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Black Knights Inc.: Nach außen hin ein High-End-Motorradladen - in Wirklichkeit eine Elitespezialeinheit der Regierung, die für die riskantesten und geheimsten Einsätze gerufen wird ...
Abby Thomson, die Tochter des US-Präsidenten, wollte das politische Parkett eigentlich verlassen, als sie in die Hände von Entführern fällt, die sie ans andere Ende der Welt verschleppen - und das scheint ihr Todesurteil zu sein. Denn ihr Vater schließt Verhandlungen mit Terroristen kategorisch aus. Ihr Funken Hoffnung jedoch heißt Carlos Soto, ist KGI-Mitglied und der Mann, dessen Herz Abby einst gebrochen hat. Bei einer Flucht durch den Dschungel knistert es allerdings gewaltig zwischen den beiden, so dass sie es auf einen zweiten Versuch ankommen lassen wollen ...vorausgesetzt, Abby und Carlos schaffen es lebend aus der grünen Hölle!
"Walker leistet großartige Arbeit: Ihre Bücher sind die perfekte Mischung aus Spannung, Witz und Romantik!" (Literary Escapism)
"Das Feuer zwischen Held und Heldin lodert heißer als eine Feuerwerksrakete, die an beiden Enden brennt ... die Leserinnen bekommen hier einen wahren Höllenritt geboten!" (RT Book Reviews)
"Walkers Romantic-Thrill-Debüt hat alles, was das Herz begehrt: einen atemberaubend rasanten Plot, wunderbare Charaktere und heiße Liebesszenen." (Booklist)
Band 7 der New-York-Times-Bestseller-Reihe
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Seitenzahl: 503
JULIE ANN WALKER
Black Knights Inc.
Verhängnisvoller Schwur
Ins Deutsche übertragenvon Michael Krug
Black Knights Inc.: Nach außen hin ein High-End-Motorradladen – in Wirklichkeit eine Elitespezialeinheit der Regierung, die für die riskantesten und geheimsten Einsätze gerufen wird …
Abby Thomson, die Tochter des US-Präsidenten, wollte das politische Parkett eigentlich verlassen, als sie in die Hände von Entführern fällt, die sie ans andere Ende der Welt verschleppen – und das scheint ihr Todesurteil zu sein. Denn ihr Vater schließt Verhandlungen mit Terroristen kategorisch aus. Ihr Funken Hoffnung jedoch heißt Carlos Soto, ist KGI-Mitglied und der Mann, dessen Herz Abby einst gebrochen hat. Bei einer Flucht durch den Dschungel knistert es allerdings gewaltig zwischen den beiden, so dass sie es auf einen zweiten Versuch ankommen lassen wollen …vorausgesetzt, Abby und Carlos schaffen es lebend aus der grünen Hölle!
Für meine große Schwester Dana.
Als ich jünger war, hielt ich es für einen Fluch, als die »kleine Dana« bezeichnet zu werden. Ich wollte von den Menschen nicht als Miniaturausgabe von dir, sondern als ich selbst betrachtet werden. Inzwischen ist mir klar, dass es ein Segen war, die »kleine Dana« zu sein. Dadurch trat ich in große Fußstapfen, was mich immer dazu angespornt hat, besser zu sein, mich besser zu schlagen und mehr zu erreichen. Dieser Ansporn hat mir im Leben gute Dienste erwiesen. Danke dafür!
Alle großen Dinge sind einfach, und viele lassen sich mit einem einzigen Wort ausdrücken: Freiheit, Gerechtigkeit, Ehre, Pflicht, Gnade, Hoffnung.
– Winston Churchill
Georgetown-Campus
Washington, D. C.
Vor acht Jahren
»He, kleine nena. Wohin so eilig, hm?«
Beim Klang von Carlos’ seidigem Bariton unmittelbar hinter ihr trat Abigail Thompsons Herz die Flucht an. Sie wirbelte herum und machte sich auf die Wirkung seiner pechschwarzen Augen und dieses ausnehmend verführerischen Grübchens in seiner linken Wange gefasst. Aber der dämliche Bürgersteig wurde ausgerechnet in diesem Moment wackelig wie der Boden eines Erlebnisparcours. Und statt wie geplant eine anmutige Pirouette hinzulegen, stolperte sie über ihre eigenen Füße. Sie wankte seitwärts auf den Randstein zu, und ihre Bücher, die Handtasche und die Unterlagen für ihre Einschreibung fielen zu Boden.
»Sch…eibenkleister!«, entfuhr es ihr, als sie mit dem Fuß über die Kante kippte. Aber ganz gleich, wie sehr sie auch mit den Armen ruderte, als wäre sie einem Zeichentrickfilm entsprungen – der Schwung ließ sich nicht mehr bremsen.
Tuuut! Die Hupe eines Autos erscholl. Quiiiiieeeeeetsch! Bremsen kreischten. Hitze und Kälte durchzuckten in der frühherbstlichen Luft abwechselnd ihren ganzen Körper. Sämtliche Haare schienen ihr kerzengerade vom Kopf abzustehen, als sie die Augen zupresste und sich für eine knochenbrechende Kollision wappnete. Aber dank Gottes Gnade – Halleluja! Amen! – und Carlos’ schneller Reaktion wurde sie davor bewahrt, zu einer Kühlerfigur zu werden. Er packte ihr Handgelenk mit festem Griff, riss sie kraftvoll vor dem heranrasenden Verkehr zurück und in seine Arme.
Und apropos Gottes Gnade …
Himmel! Dort wähnte sich Abby plötzlich. Als ihr Gesicht gegen seine kräftige Brust gedrückt wurde und ihr der berauschende Duft von Seife und … Mann in die Nase stieg, fiel ihr jedenfalls kein besseres Wort dafür ein.
Nun ja, genau genommen hätten Begriffe wie Nirwana, Paradies oder Land der Wunder wahrscheinlich auch gepasst.
YourBodyisaWonderland … Dein Körper, ein Land der Wunder. Als John Mayer diese Worte geprägt hatte, musste er einfach an Carlos gedacht haben. Denn der Bursche war schlichtweg brandheiß! Ein fleischgewordener Adonis. Also … Carlos natürlich. Nicht John Mayer. Obwohl man der Fairness halber sagen muss, dass auch der gute Johnny irgendwie süß ist. Aber sie schweifte ab. Denn es spielte keine Rolle, wie sie es nannte – Himmel, Nirwana, Paradies oder Land der Wunder –, da alles auf die schlichte Tatsache hinauslief, dass ihre Not von einer Sekunde auf die andere in Verlangen umschlug und der Schreck in Spannung. Sexuelle Spannung.
Und es fühlte sich herrlich an!
Aber leider hielt das gerade mal zwei Sekunden an. Oje! Denn Carlos fasste sie an den Schultern und hielt sie auf Armeslänge Abstand – sehr zum Verdruss ihrer heißhungrigen neunzehnjährigen Libido.
Und ja, Abby war vollkommen klar, wie irrational es war, den Umstand zu verfluchen, dass ihr nur zwei Sekunden in seinen Armen vergönnt gewesen waren – obwohl sie eigentlich ihrem Schutzengel dafür danken sollte, nicht als Verkehrsopfer geendet zu haben. Aber so war es nun mal. Der Mann ließ sie schon so irrational denken und handeln, seit sie ihn zum ersten Mal erblickt hatte, als er damals dort auf dem Gehweg in der Nähe des südlichen Torhauses stand. Er hatte sich bei Rosa eingehängt, seiner Zwillingsschwester und Abbys – zu dem Zeitpunkt – neuer Studienberaterin, und zack! Seine dunkle, exotische Schönheit hatte Abby erfasst wie … nun, wie diese Limousine eben um ein Haar.
Das war vor einem Jahr gewesen. Und seither hatte sie Rosa so lieb gewonnen, als gehöre sie zu ihrer eigenen Familie. Und Carlos? Tja, bei ihm konnte sie zwar nicht behaupten, dass sie ihn wie ein Familienmitglied liebte, aber sie empfand definitiv etwas für ihn. Etwas, das in ihrem Lehrbuch Bio 101 als biologischer Imperativ bezeichnet wurde, nämlich den überwältigenden und instinktiven Drang, sich zu paaren. Oder laienhaft ausgedrückt: das Verlangen, es miteinander zu treiben.
»Jesús Cristo!«, fluchte er und riss sie damit aus ihren erhitzten Gedanken. »Alles gut, chamaca?«
Gut? Also, vor ein paar Sekunden, als sie sich an ihn geschmiegt hatte, da war es ihr besser als gut gegangen. Nämlich spitze! Aber nun hatte er sie chamaca genannt – was Rosa zufolge ein Slang-Ausdruck für »kleines Mädchen« war. Womit er ihr soeben zum unzähligsten Mal unter die Nase gerieben hatte, dass er sie nicht als bereitwillige Bettgespielin, sondern eher wie eine lästige kleine Schwester sah. Daher hätte Abby getrost von sich sagen können, dass sie sich alles andere als gut fühlte.
»Bestens«, log sie, bückte sich, um ihre Habseligkeiten wieder aufzuheben, und schlug die Hand schnell auf den Stapel Papiere, als der Wind sie erfasste und auf die Straße zu wehen drohte. »Danke für die Rettung übrigens. Eine überstürzte Begegnung mit einem Auto hätte diesen Tag wirklich beeinträchtigen können.«
»Kein Problem.« Carlos kauerte sich neben sie und half ihr, die Bücher aufeinanderzustapeln. Unwillkürlich fiel Abby auf, wie sonnengebräunt seine Hände im Vergleich zu ihren waren. Man stelle sich nur vor, wie wir beide zusammen nackt aussehen würden – seine braune Haut als Kontrast zu meiner Blässe. Bei dem Gedanken wurden ihr die Knie schon wieder weich. Mensch! »Vor allem, wenn man bedenkt, dass ich dich erschreckt und zum Stolpern gebracht habe.«
»Nein. Das war nicht deine Schuld. Ich bin bloß tollpatschig«, versicherte sie ihm und ließ den Zusatz wann immer du in der Nähe bist wohlweislich weg.
»Hmmm. Bist du sicher, dass es nicht auch an der ganzen Sangria liegen könnte, die du gestern Abend bei der kleinen Fiesta der Theatertruppe in dich reingeschüttet hast? So ein Kater kann ziemlich heimtückisch sein.«
»Du warst auch da?« Das fiel ihr schwer zu glauben. Auf der Party waren nicht nur vorwiegend Leute der unteren Studienjahrgänge gewesen, es schien auch unmöglich zu sein, dass Abby ihn übersehen haben könnte. Wenn Carlos Soto einen Raum betrat – im Fall der Party am vergangenen Abend eine aufgegebene Lagerhalle –, dann bekam es jeder mit. Er schien etwas an sich zu haben, eine Präsenz zu besitzen, die Aufmerksamkeit gebot.
Typisches Beispiel: Wenn sie aufschaute und ihr dieses verdammte, unwiderstehliche Grübchen zuzwinkerte, schien jede Zelle ihres Körpers jäh zu erstarren wie der alte English Setter ihres Vaters, wenn er ein Eichhörnchen erspähte. Und sie war sich ziemlich sicher, dass sie im Augenblick wie jener Hund am gesamten Körper zitterte. Ist ihm überhaupt bewusst, dass er das macht?
Wahrscheinlichnicht, entschied Abby, was alles noch schlimmer machte.
»Ich war nur kurz dort, um einen Freund abzuholen, der einen Chauffeur gebraucht hat«, erklärte Carlos. »Außerdem hat er die Stimme der Vernunft gebraucht, die ihn davon abgehalten hat, eine für ihn viel zu junge Philosophiestudentin abzuschleppen.«
»Zu jung für ihn? Lass mich raten«, sagte Abby gereizt, stand auf und schlang sich den Riemen ihrer Handtasche über die Schulter. »Wie alt war denn die Studentin? Achtzehn? Neunzehn? Soweit ich weiß, ist man damit eindeutig mündig.«
Carlos tat es ihr gleich und erhob sich mit einer Bewegung so anmutig, dass man es nur als das exakte Gegenteil ihrer Beinahe-Begegnung mit dem Kühler eines Buick bezeichnen konnte. Er behielt ihre Bücher und klemmte sie sich unter den Arm. Dadurch rutschte seine braune Velourslederjacke nach oben und gab den Blick auf seine schlanke Taille preis. Was hätte Abby nicht dafür gegeben, die Uhr ein paar Minuten zurückdrehen zu können, um die Gelegenheit zu nutzen und die Arme um diese Taille zu schlingen. »Sie war zwanzig und … Hör gefälligst auf, die Augen zu verdrehen«, brummte er, als Abby genau das tat. »Das ist zu jung, um sich mit einem Kerl zu besaufen, der in meinem Alter ist.«
»Ja, fünfundzwanzig ist definitiv steinalt.« Sie rümpfte die Nase. »Ich sehe dich in deiner unmittelbaren Zukunft schon mit portioniertem Dörrpflaumensaft und Rheumakissen, du Armer.«
Er schnitt eine Grimasse in ihre Richtung.
Eine Geste, die Abby prompt erwiderte.
»Und um noch mal darauf zurückzukommen«, sagte sie, »ich habe keinen Kater.«
»Ach nein?«
»Nein. Ich bezeichne das eher als Weinmigräne.«
Carlos stimmte ein herzliches Lachen an, und Abby hätte schwören können, das Geräusch tief in ihrem Bauch zu spüren. Als die kühle Brise die Haare an seiner Schläfe zerzauste, streckte sie hastig die Hände aus, um ihm ihre Bücher abzunehmen. Sie war nicht nur bereits spät mit ihrem Termin dran, sie brauchte auch etwas in den Fingern, um zu verhindern, dass sie sich aus eigenem Antrieb in seine seidig glänzenden schwarzen Locken gruben.
»Dabei fällt mir etwas ein.« Er schaute zu einem der drei Agenten des Secret Service hinüber, die sich wieder zurückgezogen hatten, als sich herausstellte, dass sie nicht auf die Straße gestürzt war. »Was ist denn mit deiner Sicherheitsmannschaft los? Wissen die nicht, dass sie dich nicht trinken lassen sollten? Dafür bist du zu jung. Muss ich ein Wörtchen mit ihnen reden?«
Auweia. Schlimm genug, dass sie keinen Augenblick Privatsphäre mehr hatte, seit ihr Vater von seiner Partei als Kandidat für die nächste Präsidentschaftswahl der Vereinigten Staaten nominiert worden war. Noch schlimmer jedoch war, dass weit und breit jeder die unerlässliche Gegenwart der Agenten des Secret Service mitbekam, die mit zum Paket gehörten, wenn man als potenzielle nächste First Daughter galt – sogar wahrscheinlich die nächste First Daughter, wenn man all den Politexperten und TV-Sprechern glauben wollte. Die meisten Leute benahmen sich dadurch in ihrer Nähe merkwürdig, als fürchteten sie, nur zehn Sekunden davon entfernt zu sein, eine Kugel in den Schädel zu bekommen oder so. Beziehungsweise bewog es Carlos – diesen großen, wunderschönen Nervtöter – ständig dazu, die Agenten beschwatzen zu wollen, etwas zu unterbinden, was Abby als vollkommen normales Verhalten eines Collegemädchens betrachtete.
»Es wird dich freuen zu hören«, teilte sie ihm mürrisch mit, als sie beide den Weg den Bürgersteig entlang fortsetzten und Abby aus den Augenwinkeln sah, dass die Sicherheitsmannschaft ihnen folgte, »dass ich von Agent Mitchell wegen der zwei jämmerlichen Gläser Sangria, die ich getrunken habe, bereits total gedisst worden bin. Er redet schon fast so grob wie mein Vater und hat mich wissen lassen, dass ich vorsichtiger sein muss als eine normale Studentin und bedenken soll, wie sich mein Verhalten auf die bevorstehende Wahl auswirkt. Kurzum: Nein. Es ist absolut nicht nötig, dass du mit ihnen redest. Trotzdem schönen Dank auch für das Angebot.«
»Gern geschehen.«
Abby warf ihm einen genervten Blick zu. »Dir dürfte der Sarkasmus in meinem Tonfall entgangen sein.«
»Oh, den habe ich schon mitbekommen. Ich hab bloß beschlossen, ihn zu ignorieren«, erklärte er, als eine junge Frau, von der Abby fast sicher war, dass sie vergangenen Frühling mit ihr zusammen den Kurs für Infinitesimalrechnung besucht hatte, dicht an ihnen vorbeiging. Die brünette Barbiepuppe beäugte Carlos mit einer Miene, die wohl ein versteckter Ausdruck von Sehnsucht sein sollte, wie Abby vermutete. Nur funktionierte dieser Trick leider nicht, weil die Barbiepuppe errötete und kicherte, sobald er sie ansah. Abby verdrehte die Augen und gab Würgelaute von sich.
Carlos stupste sie mit dem Ellbogen an.
Als Vergeltungsschlag stieß sie mit der Schulter gegen seinen Arm.
»Hör auf damit«, forderte er sie auf.
»Hör du doch auf«, konterte sie.
Mit einem breiten Grinsen, das sein attraktives Gesicht … nun ja, nochattraktiverwerden ließ, steckte er die Hände in die Hosentaschen. »Du, äh, was genau bedeutet ›gedisst‹ eigentlich?«
»Es bedeutet, er hat mich zugenölt. Logisch, oder?« Sie hätte ihn ja gern damit aufgezogen, ein alter Sack zu sein, weil er sich nicht mehr mit dem Jugendslang auskannte. Nur wäre das ihrem Feldzug nicht zuträglich gewesen, ihm begreiflich zu machen, dass die sechs Jahre Altersunterschied zwischen ihnen im großen Gefüge der Dinge praktisch nichts waren.
Wieder stimmte er ein Lachen an, das irgendwo in der Nähe ihres Unterleibs durch ihren Körper vibrierte. »Also, du hast vielleicht eine Art zu reden!«
Ja, so bin ich. Die alberne kleine Abby. Immer für einen Lacher gut.
»Wohin sind wir eigentlich unterwegs?«, erkundigte er sich und verkürzte die Schritte, um sie an die ihren anzugleichen. Ein Windstoß trug ihnen den Geruch des Wechsels der Jahreszeit zu, und das Versprechen sich verfärbender Blätter und langer Regentage lag in der Luft.
»Na ja, ich weiß ja nicht, wohin du willst«, gab sie zurück, »aber ich treffe mich mit Rosa im Café um die Ecke.« Mit dem Kinn deutete sie auf den Stapel der Unterlagen, die sie zwischen zwei Lehrbücher geklemmt hatte, bevor sie fortfuhr. »Sie hilft mir bei der Einschreibung für nächstes Frühjahr. Welche Kurse ich belegen soll, welche Professoren man besser meidet und so weiter. Ich muss sie jetzt schon ausquetschen, bevor ihr zwei die nächste Runde Klinikpraktika antretet und ich euch wochenlang nicht zu Gesicht bekomme. Und da wir gerade von Praktika reden: Rosa hat gesagt, sie freut sich schon darauf, Zeit in der Pädiatrie zu verbringen. Tendierst du immer noch zu Allgemeinchirurgie?«
»Sí.« Er nickte. »Das macht mir am meisten Spaß.«
»Spaß?«
»Klar.« Wieder nickte Carlos.
Abby seufzte. Manchmal musste man dem Mann wirklich alles aus der Nase ziehen, um mehr über ein Thema zu erfahren. »Spaß inwiefern?«, hakte sie nach.
»Spaß in der Hinsicht, dass mir die Herausforderung gefällt, nie im Voraus zu wissen, was als Nächstes durch die Tür der Notaufnahme kommt oder welche Operation ansteht. In der Allgemeinchirurgie ist jeder Tag ein Abenteuer.«
»Aha.« Sie nickte. »Schätze, das ergibt Sinn. Also, du weißt schon, für deine Begriffe.«
Er wandte sich ihr zu und sah sie an, eine dunkle Augenbraue hochgezogen. »Was soll das denn schon wieder heißen?«
»Nur, dass im direkten Vergleich zwischen Rosa und dir eindeutig du der Adrenalinjunkie bist und sie definitiv die seriöse Verantwortungsbewusste ist.«
Und wenn er mit einem Skalpell ebenso umzugehen verstand wie mit dem Motorrad, mit dem er über den Campus brauste – geschickt, präzise, schnell und selbstsicher –, konnte man getrost davon ausgehen, dass er sich rasch einen Namen als einer der gefragtesten Chirurgen des Landes machen würde.
»Ich fasse das mal als Kompliment auf«, entschied Carlos. »Und da wir gerade von meiner so seriösen und verantwortungsbewussten Zwillingsschwester reden, frage ich mich, wieso sie mir nicht erzählt hat, dass sie sich mit dir trifft.«
Eine weitere junge Frau kam auf sie zu. Aber im Gegensatz zu der von vorhin machte diese keinen Hehl daraus, dass sie extrem interessiert daran wäre, sich eine ausgiebige Portion Puerto Ricaner zu gönnen. Noch offensichtlicher hätte das die blauäugige Schnepfe höchstens zeigen können, indem sie ihre Bluse aufgeknöpft und Carlos ihre Glocken entgegengeschwenkt hätte. Und als der große Trottel die Unverfrorenheit besaß, der Tussi die volle Kraft seines Grübchens zu schenken – was dazu führte, dass ihm besagte Tussi aufreizend zuzwinkerte, als sie an ihnen vorbeiging –, beschloss Abby, dass es sich so anfühlen musste, wenn man jemanden umbringen wollte.
Blieb die Frage: Wollte sie Carlos oder lieber Miss Offensichtlich niederstrecken?
»Ich schätze mal, sie hat es dir nicht erzählt, weil du nicht ihr Aufpasser bist«, teilte sie ihm schnippisch mit und verlagerte ihre Bücher auf einen Arm, damit sie die freie Hand vor dem Gesicht schwenken konnte. Sie hustete theatralisch.
»Was soll das? Was machst du da?«, wollte er wissen.
»Tut mir leid«, entschuldigte sie sich. »Ist bloß schwierig zu atmen, wenn so viele Tussi- und Trottel-Gerüche in der Luft liegen.«
Er malte mit dem Kiefer, bis seine Halswirbel knackten, während die schwarzen Augen vor belustigter Kränkung funkelten. »Und ich vermute, ich bin dabei wohl der Trottel, richtig?«
»Wenn du dir den Schuh unbedingt anziehen willst …«, gab Abby zurück, als sie um die Ecke bogen und die Neonreklame über dem Café in Sicht geriet.
»Für so ein kleines Ding weißt du aber ziemlich gut, wie man einem Kerl einen Tritt in die …«
BUUUMMM!
Die gesamte Welt explodierte.
Zumindest fühlte es sich so an – das donnernde Getöse war derart intensiv, dass die totale globale Zerstörung das einzige logische Ergebnis zu sein schien. Doch es wurde offensichtlich, dass der Planet intakt geblieben war, als Abby den Betonboden küsste. Im einen Moment hatte sie noch auf dem Gehweg gestanden, eine Nanosekunde später lag sie flach wie eine Flunder da, die Bücher unter ihren Armen begraben.
»Wa…«, brachte sie mit klingelnden Ohren hervor. Im Vergleich dazu drangen das verängstigte Geschrei und das Schrillen von Autoalarm rings um sie herum nur gedämpft und scheinbar weit entfernt zu ihr durch.
Sie drehte den Kopf, um die Wange auf den rauen, kühlen Gehweg zu legen, und versuchte zu bestimmten, ob sie sich irgendetwas gebrochen hatte. Zum Glück tat ihr nichts weh, abgesehen von einem kleinen Brennen an der Innenseite der Unterlippe, aus der sie sich anscheinend auf dem Weg nach unten ein Stück herausgebissen hatte. Doch sie verbuchte das einfach als geringste ihrer Sorgen, denn im nächsten Augenblick sah sie Agent Mitchell, der auf sie zugestürmt kam, während er gleichzeitig etwas in den winzigen, an seinem Ärmelaufschlag befestigten Funksender brüllte. Und das unverhohlene Grauen, das aus seinen Zügen sprach, sagte alles.
Was immer geschehen sein mochte, es musste schlimm sein. Richtig schlimm. Abbys Herz raste los, als bestritte es ein Rennen, so als hätte gerade jemand die Startpistole abgefeuert. Ihre Lunge stieß das letzte bisschen Luft hervor, das sich in ihr befand, bis ihr vor Sauerstoffmangel schwindlig wurde.
»Unten bleiben! Unten bleiben!«, befahl Agent Mitchell, als er sich neben ihren Kopf kniete. Seine Stimme drang wie aus weiter Ferne zu ihr. »Nicht bewegen, Soto. Bleiben Sie, wo Sie sind«, fügte er hinzu, während die schwarzen Schuhe der übrigen zwei Agenten in Sicht gerieten. Ihre Stimmen hallten sonderbar wider, als sie den anderen Menschen auf dem Bürgersteig Anweisungen zuriefen.
Wobleiben? Wo bist du, Carlos? Und dann beantwortete Abby ihre Frage selbst. Er lag ausgestreckt auf ihr, bedeckte ihren Körper mit seinem. Später würde sie sich durch den Kopf gehen lassen, wie schnell – wie selbstlos – er reagiert hatte, aber vorerst musste sie herausfinden, was hier überhaupt vor sich ging.
»Was ist passiert?«, verlangte sie zu erfahren und war nicht überrascht darüber, dass ihre Stimme rau und schwach ertönte, kaum lauter als ein Flüstern. Niemand hörte sie in dem Radau einer Welt, in der Chaos ausgebrochen war. Das Schrillen von Sirenen drang von der Straße herüber. Das Hämmern rennender Füße erinnerte an eine Stampede. Und die ängstlichen Schreie eines Dutzends Menschen hallten durch die Luft, jeder ein akustischer Sturmangriff. Abby schluckte, und der metallische Geschmack von Blut lief ihr von der aufgebissenen Unterlippe den Hals hinab, bevor sie es erneut versuchte. »Sagt mir doch endlich, was los ist!«
Diesmal lag ein wenig mehr Kraft in ihrer Stimme. Trotzdem antwortete ihr immer noch niemand. Und ihre Angst schlug rasch in Panik um. Sie fing an, zu zappeln.
»Sch-sch, Abby«, ertönte Carlos’ tiefer Bariton in ihrem Ohr, und sein heißer Atem blies ihr auf die Wange. »Halt still, bis die Agenten uns sagen, dass wir uns rühren dürfen.«
»Was ist los?«, fragte sie ihn flehentlich, und das merkwürdige Gefühl einer düsteren Vorahnung nagte in ihrem Hinterkopf. Irgendetwas war da … »Was passiert gerade?«
»Kann ich nicht sagen«, erwiderte er. »Es hat eine Explosion gegeben, und –«
Das Quietschen von Reifen auf Asphalt ertönte. Eine Sekunde später holperten keine anderthalb Meter von Abbys Kopf entfernt die großen, klobigen Reifen eines schwarzen Dienst-SUV der Regierung über den Randstein.
»Okay, verschwinden wir!«, brüllte Agent Mitchell, als zwei von Abbys Leibwächtern Carlos’ Arme packten, um ihn von ihr zu hieven. Im nächsten Moment wurde sie so mühelos vom Boden gehoben, wie sie mit ihrer Mutter zu Hause welke Blüten von den rings um die Birke gepflanzten Rosenbüschen zupfte.
Und sie fand seltsam, dass ihr ausgerechnet dieser Vergleich durch den Kopf schoss. Denn als die Agenten sie zur offenen Tür des wartenden SUV scheuchten, konnte sie endlich einen Blick auf die Szene um sie herum erhaschen. Scherben und Trümmer übersäten den Bürgersteig und die Straße. Irgendwo weiter vorn nahm sie Rauch und Flammen wahr. Menschen liefen wirr hin und her oder kauerten sich zu engen Gruppen zusammen. Und überall – auf der Straße, an den Menschen, an den Trümmern – prangten Spritzer einer klebrigen roten Substanz derselben Farbe, wie die der Rosenblüten an jenen Büschen.
Blut. Das war Blut. Großer Gott!
Abby setzte sich gegen die Agenten zur Wehr, als sich das Gefühl einer unguten Vorahnung in schreckliche, übelkeiterregende Beklommenheit verwandelte. »Aufhören!«, brüllte sie die Männer an. Sie musste zu Carlos. Er stand auf dem Bürgersteig und starrte geradeaus. Der Ausdruck in seinem Gesicht war unbeschreiblich – eine Mischung aus Grauen, Ungläubigkeit und Verleugnung. »Lasst mich los! Ich muss zu –«
»Abby?« Carlos wandte sich ihr zu. Durch den Wirbel ringsum konnte sie seine belegte Stimme kaum hören. »War Rosa in dem Café?«
Im Café? War die Explosion etwa von dort ausgegangen? Nein. Nein! Das durfte nicht sein. Aber sie konnte nichts sehen, um sich davon zu überzeugen, da ihr die Agenten und die Tür des SUV die Sicht versperrten. Ihr Herz drohte in der Brust zu zerspringen. »W-wahrscheinlich. Ich war spät dran«, gab sie zurück.
Kaum hatte sie den Satz zu Ende gesprochen, rannte Carlos über den Bürgersteig los und schrie dabei immer wieder Rosas Namen mit einer Stimme, von der Abby überzeugt war, sie würde sie demnächst in ihren Albträumen heimsuchen. Gleich darauf wurde sie in den SUV geschoben, Agenten pferchten sich neben sie und hielten ihre Arme und Beine fest, als sie mit allem gegen sie ankämpfte, was sie zu bieten hatte, beißend, fauchend, kratzend.
Rosa! Oh Gott, nein! Die Worte dröhnten immer und immer wieder durch ihren Schädel, und mit jeder Wiederholung wurde das Innerste ihrer Seele erneut zerfetzt. »Lasst mich los!«, schrie sie ihre Aufpasser an. »Ich muss nachsehen! Ich muss Rosa finden! Ich muss Carlos helfen! Ich muss –«
»Abby!«, brüllte Agent Mitchell neben ihr und klatschte seine breite Handfläche auf ihren Mund. »Es gibt nichts, was du tun kannst! Wir bringen dich jetzt von hier weg!«
Wie auf ein Stichwort legte der Fahrer den Gang ein. Abby konnte fühlen, wie die großen Reifen heftig durchdrehten, bevor sie auf dem Asphalt Halt fanden und den SUV vorwärtsschnellen ließen. Sie wurde mit solcher Wucht in den Sitz gedrückt, dass ihr Kopf zurückgeschleudert wurde, und als sich Agent Mitchells Hand von ihrem Mund löste, heulte sie auf: »Nein, nein, nein!« Panik und Schock hatten sie in ein wildes Tier verwandelt, das sich aufbäumte, zappelte und verzweifelt um Freiheit kämpfte. Zumindest bis das klaffende, verkohlte Loch, das früher das Café gewesen war, draußen vor dem Fenster vorbeizog. Als ihr das volle Ausmaß dessen ins Bewusstsein sickerte, was geschehen war, erstarrte sie. Und ein schrecklicher, ein grauenhafter Gedanke nistete sich in ihrem Kopf ein.
DasistmeineSchuld.
Und damit begann Abby erst richtig zu schreien. Sie schrie, bis ihre Stimmbänder zu zerreißen drohten. Sie schrie, bis ein Blutgefäß in ihrem rechten Auge platzte.
Hotel Novotel
Kuala Lumpur, Malaysia
Heute
Carlos Soto, in der Gemeinschaft der Sondereinsatztruppe allgemein als »Solido« bekannt, trieb sich am Ende der noblen Hotelbar herum. Er beobachtete beiläufig, wie sein bester Freund, Ethan »Ozzie« Sykes, die Waffen eines Mannes bei der süßen Agentin des Secret Service einsetzte, die gerade dienstfrei hatte und an einem nahen Tisch saß.
»Ozzie ist Serienverführer«, merkte Dan Currington auf dem Barhocker neben ihm an. Dan war das dritte und letzte Mitglied von Black Knights Inc. – kurz BKI –, das ihn auf dieser Mission begleitete. BKI stellte ein verdeckt für die Regierung arbeitendes Unternehmen dar, das sich als Motorradwerkstatt tarnte. Manchmal hatte Solido immer noch Mühe zu glauben, dass es so etwas wirklich gab, denn es mutete wie etwas aus einem schlechten Spionagethriller an.
»Sí«, räumte er mit einem gutmütigen Schmunzeln ein, als sich Ozzie vorbeugte, um der Agentin etwas ins Ohr zu flüstern. Die Frau errötete und kicherte, und Solido konnte nur den Kopf schütteln. »Aber das scheint die Damen nie zu stören. Keine Ahnung, wie er das immer wieder hinbekommt.«
»Ach, nee?« Dan sah ihn an und zog zweifelnd eine Augenbraue hoch, während er gemächlich einen Schluck Selters nahm. »Ich dachte, ihr wärt bei dem Wettkampf, wer die meisten Kerben in seinen Bettpfosten bekommt, Kopf an Kopf.«
Stirnrunzelnd betrachtete Solido die Flasche Tiger-Bier in seiner Hand. Es stimmte. Ein paar Jahre lang war er Ozzie beim Abschleppen von Kneipenmädels eine harte Konkurrenz gewesen. Aber in letzter Zeit hatte die … äh … Jagd ihren Reiz verloren.
»Ich glaube, ich bin damit ziemlich durch, hermano. Erscheint mir so …« Er verzog die Lippen, während er nach dem richtigen Wort suchte. »Oberflächlich, würde ich sagen. Oder nicht erfüllend? Keine Ahnung.« Er zuckte mit den Schultern. »Außerdem war ich nie so gut darin wie Ozzie.« Er neigte sein Bier in Richtung des Tisches, an dem der unangefochtene König der Gelegenheitsbeziehungen mittlerweile an den Fingern der Agentin fummelte. Julia Ledbetter. So hieß sie. Und sie sah einer Agentin des Secret Service etwa so ähnlich wie ein Chihuahua einem Dobermann. Aber Solido vermutete, das gehörte wohl dazu. Schutz durch List und unscheinbare, aber wirkungsvolle Tarnung. Wenngleich seiner Meinung nach das wilde Auftreten einer Bulldogge, das der gute alte Agent Mitchell gehabt hatte, durchaus auch seine Vorzüge besaß.
Er fragte sich, was wohl aus dem Mann geworden sein mochte. Und weil er gerade daran dachte, fragte er sich, was aus allen Agenten geworden sein mochte, die damals zu Abbys Schutz eingeteilt gewesen waren. Unter den sieben Leuten ihres aktuellen Sicherheitsteams gab es kein einziges vertrautes Gesicht.
Andererseits konnte sich in acht Jahren viel verändern. Man brauchte nur ihn anzusehen. In der Zeit hatte er sich vom Medizinstudenten über einen Soldaten zu einem geheimen Regierungsagenten gewandelt. Verdammt, sogar sein Name lautete anders.
»Nie so gut wie Ozzie?« Dans zweite Augenbraue gesellte sich irgendwo in der Nähe des Haaransatzes zur ersten. »Also, ich, äh …« Er räusperte sich. »Ich muss schon sagen, das ist das erste Mal, dass ich höre, wie ein Kerl zugibt, dass seine Manneskraft im Vergleich zu ’nem anderen abstinkt.«
»Das habe ich damit nicht gemeint, pendejo. Und das weißt du genau.«
Dan klemmte die Zunge in die Wange und nickte. »Der Zwischenfall mit der Bierflasche?«
Solido betastete die kleine Narbe, die oberhalb des rechten Ohrs über seine Kopfhaut verlief. Die hatte er von einem One-Night-Stand, einer Frau, von der er gedacht hatte, sie verstünde die Art ihrer Beziehung. Aber als sie ihn dabei erwischte, wie er draußen am Hinterausgang von Red Delilah’s Bikerbar – seinem Lieblingsschuppen in Chicago, wo Black Knights Inc. zu Hause war – die Lippen auf die einer kurvigen kleinen mamacita presste, da hatte sie Unflätigkeiten über die Moral seiner Mutter gebrüllt, bevor sie ausgeholt und ihm eine Flasche Budweiser über den Schädel gezogen hatte.
»Ich habe ihr gesagt, dass ich an nichts Ernstem interessiert war«, rechtfertigte er sich. »Keine Ahnung, wie ich mich noch deutlicher hätte ausdrücken können.«
»M-hm«, brummte Dan unverbindlich, womit er bewirkte, dass sich die Falten auf Solidos Stirn vertieften. Schon sein Leben lang warfen ihm Angehörige, Freunde und Teamkameraden vor, mühsam zu sein, wenn es darum ging, Details herauszurücken, doch er sah das anders. Er sagte, was gesagt werden musste, wenn es gesagt werden musste. Er schmückte bloß nicht ständig jede Kleinigkeit aus, das war alles.
»Verstehst du …«, fuhr Solido fort und beschloss, darüber hinwegzusehen, dass Dan nichts erwidert hatte, und zum springenden Punkt zurückzukehren. »Ich will damit nur sagen, dass ich vielleicht bereit für … mehr bin.« Er blinzelte, ein wenig verblüfft darüber, wie er an dieses Thema geraten war. Immerhin waren die Knights alles andere als Männer der gefühlsduseligen Sorte. Normalerweise drehten sich ihre Gespräche eher um die neuesten Waffen, Motorradauspuffe und Spiele der Chicago Cubs als um etwas, das auch nur annähernd richtigen … nun ja … Gefühlen nahekam.
Er wartete darauf, dass Dan etwas erwiderte wie: Oha,jetzt aber langsam, Kumpel, was sind wir denn? Busenfreundinnen? Deshalb verblüffte es ihn, als Dan stattdessen fragte: »Soll das heißen, du hast dir die Hörner endgültig abgestoßen?«
»Mit dem endgültig bin ich mir nicht so sicher.« Solidos stirnrunzelnde Miene ging jäh in ein Grinsen über. »Ich weiß nicht, ob das überhaupt möglich ist. Immerhin bin ich Puerto Ricaner, Mann. Meine Hörner sind fest angewachsen.«
Dan verdrehte die Augen. »Kaum zu fassen, dass diese Masche mit dem Latin Lover wirklich zieht.«
»Was soll ich sagen? Die Frauen stehen eben auf meinen Gigolo-Charme.«
»Tatsächlich?« Dan legte den Kopf leicht schief und musterte Solido eingehend. »Ich würd eher sagen, du bist ein billiger Enrique-Iglesias-Verschnitt.«
Solido knuffte ihn in den Arm, bevor er dem Gespräch rasch wieder eine ernsthafte Note verlieh. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass sonst leicht eine gute Stunde vergehen konnte, in der lediglich Beleidigungen ausgetauscht wurden. Lustig? Klar. Allerdings überhaupt nicht produktiv. »Tatsache ist, ich bin dreiunddreißig Jahre alt. Und ich frage mich folglich, ob es nicht an der Zeit ist, darüber nachzudenken« – er deutete mit der Hand eine Rollbewegung an – »sich zu binden.«
Und wer hätte das gedacht? Es war ihm tatsächlich gelungen, das Wort auszusprechen, ohne sich daran zu verschlucken.
Dan sah ihn mit einer Miene an, die man als Musterbeispiel für überraschte Ehrfurcht bezeichnen konnte. »Na, so was, na, so was, na, so was.« Er schüttelte den sandblond behaarten Kopf. »Es geschehen also doch noch Zeichen und Wunder.«
»Ich weiß.« Solido zuckte mit den Schultern. »Ich bin selbst ein bisschen überrascht. Oder vielleicht trinke ich auch bloß zu viel von dem Kool-Aid, das es bei uns gibt. Ich meine, dir ist doch aufgefallen, wie viele unserer Teamkameraden sich inzwischen ins Eheleben gestürzt haben, oder?«
»Schwindelerregend, was?«
In den letzten sechs Jahren hatten sich sage und schreibe sechs der Jungs von BKI den guten alten Ring an den Finger stecken lassen. Und was Zeichen und Wunder anging: Sie ließen es wirklich so erscheinen, als sei dieser Zustand … nun ja … gut. Sogar besser als das Dasein als Single. Gottstehmir bei.
»Oder vielleicht hat dieser plötzliche Anflug von Gedanken an Treue auch was damit zu tun, wie du die letzten drei Tage« – Dan sah sich um und vergewisserte sich, dass sich in Hörweite niemand befand, der sie vielleicht belauschte – »Du-weißt-schon-Wen angestarrt hast.«
Das Blut floss aus Solidos Kopf ab. Auf einmal fühlte sich sein Gesicht kalt an, seine Stirn klamm. »Was soll das heißen?«, fragte er, zupfte seine Manschetten zurecht und neigte den Kopf von einer Seite zur anderen in dem Versuch, die Anspannung in seinem Genick zu lösen. Plötzlich kam ihm seine Kleidung zu eng vor. Er wollte es dem Umstand zuschreiben, dass er daran gewöhnt war, entweder Kampfausrüstung oder Jeans und Motorradjacke zu tragen. Doch tief in seinem Innersten kannte er den wahren Grund, wieso sich das Jackett auf einmal wie eine Zwangsjacke anfühlte und der Schlips wie eine Seidenanakonda: Dans Einschätzung kam der Wahrheit nämlich entschieden zu nah. »Wie starre ich sie denn an?«
»Wie Winnie Puuh den Topf mit Honig. Wie Graf Dracula die Blutkonserve.«
»Pah. Das bildest du dir ein. Wenn ich sie beobachtet habe, dann nur deshalb, weil wir« – er senkte die Stimme zu einem Flüstern – »dafür bezahlt werden.«
»Ja, aber es gibt Beobachten, und es gibt Beobachten«, beharrte Dan.
Solido umklammerte verkrampft seine Bierflasche, es kam einem Wunder gleich, dass sie nicht zerbarst. Dan hatte recht. Seit Präsident Thompson ihn damit beauftragt hatte, auf die andere Hälfte des Globus zu fliegen, um bei Abbys Schutzprogramm zu helfen, während sie am Kongress »Neue Grenzen im Gartenbau« teilnahm, war er außerstande, den Blick von ihr zu lösen. Und obwohl er acht Jahre nichts von ihr gesehen oder gehört hatte, war sie noch genau so, wie er sich an sie erinnerte.
Schlank, blond und hübsch auf typisch amerikanische Weise, was nur angemessen zu sein schien, zumal sie die jüngste Tochter des Präsidenten der Vereinigten Staaten war. Sie besaß immer noch jene fesselnden grünen Augen, die ihn damals vor all den Jahren, als er ihr am Georgetown-Campus begegnet war, jäh hatten erstarren lassen. Und dasselbe süße, strahlende Lächeln, das damals seine Fantasie befeuert hatte – und seither den Großteil seiner Tagträume.
Sie ist zu jung für dich. Er dachte an den tadelnden Tonfall in Rosas Stimme zurück. Undselbst wenn sie es nicht wäre, spielt sie weit außerhalb deiner Liga. Glaubst du, ihr Vater will, dass sie mit einem maldito bori geht, wenn er eine landesweite Wahl zu gewinnen hat?
Damals war er zwar angesichts dieser Abwertung zusammengezuckt, gleichzeitig jedoch hatte er gewusst, dass seine Schwester recht hatte. Der Altersunterschied zwischen Abby und ihm war zu der Zeit unüberwindlich gewesen. Eine Kluft in der Lebenserfahrung, so weit und unüberbrückbar wie der interstellare Raum. Aber mittlerweile war sie erwachsen, oder? Eine Frau – und was für eine! Alles, was seinen Motor auf Touren brachte, gebündelt in einer hellhaarigen, zierlichen Verpackung.
Bedauerlicherweise hatte sich allerdings an der Sache mit dem malditobori nichts geändert. Trotz mehrerer Titel und dem Army-Ranger-Anstecker am Revers der Uniform, die zu Hause in seinem Schrank hing, verkörperte er nach wie vor bloß den Sohn ungebildeter Einwanderer, die ihr Leben damit verbracht hatten, Cerveza und Reis in einer schmuddeligen Eckkneipe Miamis zu servieren. Und jegliche Illusionen, die er darüber gehabt haben mochte, dass Abby über solchen Dingen stand, waren ihm am Tag von Rosas Beerdigung geraubt worden.
Damals war er zu ihr gegangen und hatte gedacht, sie würde ihm vielleicht ihre Hand zum Halten, eine Schulter zum Ausweinen anbieten. Er hatte sie in dem Glauben aufgesucht, sie seien Freunde – vielleicht sogar mehr als Freunde, trotz ihrer Jugend. An jenem Tag hatte er Abby derart dringend gebraucht, dass er bereit gewesen war, den Altersunterschied und sein unangemessenes Handeln zu ignorieren, denn seine Zerknirschtheit, sein Kummer, sein Verlangen danach, zu trösten und getröstet zu werden, hatten alles andere in den Schatten gestellt. Aber er hatte sich mit der Vermutung geirrt, dass sie ihn vielleicht ihrer Zuwendung als würdig erachten würde. Sie hatte nämlich unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass Rosa und deren Aufgabe als ihre Studienberaterin der einzige Leim gewesen waren, der sie drei zusammengehalten hatte.
Abby mochte ihren Abschluss in Medizin gegen einen in Botanik und das Skalpell gegen eine Gartenschaufel eingetauscht haben, doch abgesehen davon wirkte weder an ihrem Aussehen noch sonst etwas an ihr verändert. Sie war immer noch Abigail Thompson, die First Daughter. Amerikas Prinzessin. Und er war immer noch … nun ja … eben er.
»Und? Wie sieht’s aus? Verrätst du mir eure Vorgeschichte?«, fragte Dan, als Solido zu lange zu still geblieben war.
»Keine Vorgeschichte«, entgegnete er rasch. Zumindest keine Nennenswerte.
»Ja, sicher. Glaub ich dir aufs Wort.«
Und nun war es Solido, der in seiner Not das altbewährte Klischee der Black Knights hervorkramte. »Und selbst wenn doch, was soll’s? Glaubst du, ich will darüber reden? Was sind wir? Busenfreundinnen?«
Dan verdrehte die Augen. »Also hast du kein Problem damit, dass wir morgen abdampfen? Und dich von ihr zu verabschieden?«
Das ging Solido unter die Haut. »Ich weiß, ich hab’s schon um die hundertmal gesagt, seit wir diesen Auftrag übernommen haben.« Er sprach kaum lauter als im Flüsterton. »Aber ich glaube den Quatsch nicht, dass Abbys große Schwester das wahrscheinliche Ziel dieser potenziellen Entführung darstellt, weil sie in die politischen Fußstapfen ihres Vaters getreten ist, um Kongressabgeordnete zu werden.« Mit dem Daumen kratzte er am Etikett der Bierflasche, bis es ihm gelang, die Ecke abzuschälen. Den darunter verbliebenen Klebstoff nahm er mit der stumpfen Kante seines Fingernagels in Angriff. »Dass Caroline eine große Nummer in der Regierung ist, macht sie für die Fraktionen, die nach einem Druckmittel gegen den Präsidenten suchen, um nichts verlockender als Abby.«
»Alter, du hast doch den NSA-Bericht, den uns der Präsident gegeben hat, genauso aufmerksam gelesen wie ich. Alle Anzeichen deuten auf Caroline.« Dan lockerte seine Krawatte. Sie hielten sich als Geschäftsleute getarnt im Hotel auf. Nur der Präsident, seine Stabschefs und der Secret Service wussten über ihren wahren Auftrag Bescheid – sie sollten zusätzlichen Schutz für Abby bereitstellen, wenn sie nicht für die Nacht sicher in ihrem Zimmer abgeschottet war wie jetzt gerade.
Und natürlich hatte Dan recht. Es deuteten wirklich alle Anzeichen auf Caroline. Und da dem so war, verlangte Präsident Thompson – der Black Knights Inc. zusammen mit den Stabschefs im Verborgenen leitete – nur dann Schutz durch BKI für Abby, wenn sie sich außerhalb des Festlands der USA aufhielt. Caroline hingegen wurde seit sechs Wochen täglich von einer BKI-Ergänzungstruppe bewacht. Seit der erste Hinweis auf eine mögliche Entführung aus irgendwelchen Leitungen aufgeschnappt worden war.
»Kopf hoch.« Dan stupste Solido mit dem Ellbogen an. »Morgen um null siebenhundert steigen wir ins Flugzeug. Dann ist das alles nicht mehr dein Problem. Bye-bye, Dienst als Kugelfänger, und Bye-bye, Du-weißt-schon-Wer.«
Bye-bye, Du-weißt-schon-wer? War Solido nach acht langen Jahren der Trennung wirklich bereit, sich so bald wieder von Abby zu verabschieden? Die Antwort auf die Frage hätte ihm keinen solchen Stich im Herzen versetzen sollen. Mierda.
Solido trank einen Schluck Bier und hoffte, die Schmerzen in der Brust stammten lediglich von den Verdauungsproblemen durch das NasiKerabu, was er zu Mittag gehabt hatte. Schon der blaue Reis hätte dir zu denken geben sollen,pendejo. Aber in dem Moment, als das Flüssigbrot seine Zunge berührte, verzog er das Gesicht. Heftig stellte er die Flasche auf der Theke ab und wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen. »MadredeDios«, brummte er. »Warum können die auf dieser Seite des Planeten kein anständiges Bier brauen?« Dans Gesichtsausdruck verhärtete sich, als sein Blick die verschmähte Flasche traf. »Tut mir leid.« Solido zuckte zusammen. »Ich, äh, ich schätze, für dich ist jedes Bier verlockend, was?«
Dan »The Man« Currington war in die Flasche gekrochen und ein volles Jahr dort geblieben, nachdem seine Frau innerhalb der Tore von Black Knights Inc. brutal niedergeschossen worden war. Neunzig Tage Entziehungskur und eine verbissene, mentale Stärke, die Solido unwillkürlich bewunderte, hatte Dan gebraucht, um sich wieder aus dem Sumpf zu ziehen.
»Nicht der Geschmack ist verlockend«, gestand Dan in steifem Tonfall. »Sondern das Vergessen dabei.«
Solido bedeutete dem Barkeeper, das Bier wegzuräumen. »Und da wir gerade vom Vergessen und davon reden, sich die Hörner abzustoßen …« Er deutete mit dem Kinn in Richtung der großen, schmalen Frau, die sich gerade am gegenüberliegenden Ende der Bar einen Drink bestellte, weil er das Thema wechseln wollte. »Ich konnte nicht umhin zu bemerken, wie du mit Agent DePaul die letzten zweiundsiebzig Stunden lang immer wieder aus Kulleraugen Blicke ausgetauscht hast. Warum schneidest du dir nicht eine Scheibe von Ozzie ab und nutzt den Umstand, dass ihr beide außer Dienst seid, um dir ein wenig die Hörner abzustoßen? Und Vergessen im Bett statt in der Flasche zu suchen? Du weißt schon, ein bisschen den Kolben ölen.«
»Den Kolben ölen?« Dan grunzte. »Wow, Solido. Gesprochen wie ein wahrer Poet.« Aber als er zu Penni DePaul schaute, entsprach der Ausdruck in seinem Blick genau jenem, mit dem er vor Sekunden das Bier betrachtet hatte. In zwei Worten: kläglicher Sehnsucht.
In echter BKI-Manier rückte Solido seinem Kumpel den Kopf zurecht. »Es ist nicht zu übersehen, dass die Frau ein verzweifeltes Verlangen in dir auslöst, hermano. Und ich fürchte echt, wenn du deswegen nicht bald was unternimmst, sperrst du dich am Ende oben in dein Zimmer und ziehst dir die größten Hits von Air Supply rein.« Dan bedachte ihn mit einem Blick, der ihn wohl vernichten sollte, aber Solido schüttelte den Kopf und klopfte dem Mann auf die Schulter. »Außerdem würde Patti nicht wollen, dass du den Rest deines Lebens wie ein Eunuch verbringst. Sie würde wollen, dass du glücklich bist. Sie würde wollen, dass –«
»Nein.« Dan schüttelte den Kopf. »Es ist zu früh.«
»Das ist ein Haufen caca, und das weißt du auch. Seit Pattis Unglück sind fast zwei Jahre vergangen.« Dan öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, aber Solido kam ihm zuvor. »Und komm mir jetzt nicht mit der alten selbstanklagenden Leier, es sei deine Schuld, dass sie tot ist. Der Einzige, der Schuld daran hat, was Patti zugestoßen ist, war der Kerl, der den Abzug der abgesägten Schrotflinte gedrückt hat, das weißt du so gut wie ich. Es ist Zeit für dich, nach vorn zu schauen. Und wieder anzufangen zu leben.« Er ließ den Blick hinüber zu Agent DePaul wandern. Sie starrte Dan an, und ihre großen braunen Augen wirkten dabei herzlich und besorgt. Sí, die Frau verkörperte haargenau das, was Dan im Augenblick brauchte. Etwas Tröstliches und Mitfühlendes. Etwas Süßes und Williges. Etwas, das keine Erinnerung war. »Und ich denke, du solltest mit der hübschen Agentin Penni da drüben anfangen.«
Dan zuckte mit den Schultern und spannte die Kiefermuskulatur an. »Ist mir egal, was du behauptest. Zwei Jahre sind verdammt noch mal zu früh. Und außerdem, die Ähnlichkeit der Namen – das ist unheimlich, Mann. Patti mit ›i‹ und Penni mit ›i‹. Wahrscheinlich würde es damit enden, dass ich sie in der Hitze des Gefechts mit falschem Namen anrede, und wie ätzend wäre das dann? Für uns beide.« Er täuschte ein Schaudern vor.
Es gab Zeiten, so wie jetzt, da kam Dans Michigan-Akzent deutlich durch. Solido lehnte sich zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und atmete die Luft in der Bar ein, die aus einer Kombination von Red Bull, Whiskey und hochpreisigem Parfum zu bestehen schien. Er überlegte, was er als Nächstes versuchen sollte. Doch bevor er den Mund öffnen konnte, um eine weitere Binsenweisheit à la carpediem vom Stapel zu lassen, stieß Ozzie zu ihnen.
Er schlang ihnen jeweils einen Arm um die Schultern, ließ ein Grinsen mit weißen Zähne aufblitzen, das Frauen binnen zwei Sekunden dazu bringen konnte, aus der Wäsche zu hüpfen, zog seine Kameraden dicht zu sich und flüsterte verschwörerisch: »Ratet mal, was ich in der Tasche habe, Jungs.« Dabei wackelte er mit den Augenbrauen. »Tja, es ist der Zimmerschlüssel einer bestimmten reizenden Regierungsagentin, der alle anderen Männer restlos verleidet sein werden, wenn sie morgen früh aufwacht!«
»Herrgott noch mal, Ozzie«, brummte Dan und starrte auf das Eis in seinem Glas, als wolle er es allein mit seinem Blick zum Schmelzen bringen. »Du bist echt ein Arsch. Höchstens ein, zwei Chromosomen vom Esel entfernt.«
»Oh, hör sich einer an, wer da mit mir flirtet«, konterte Ozzie prompt. »Aber langweile mich jetzt nicht, indem du es als Romanze hinstellst. Außerdem sagt das gerade der Richtige.«
Dan warf ihm einen finsteren Blick zu. »Wie meinst du das?«
»Nur ein Arsch würde die Einladung in den Augen der großen Zuckerschnecke von einer Secret-Service-Agentin da drüben sausen lassen.« Ozzie deutete mit einem Daumen in Richtung des Tisches, an dem sich Penni zu Julia gesellt hatte.
»Dan sagt, es ist noch zu früh«, teilte ihm Solido mit.
»Hmmm«, brummte Ozzie. »Tja, zu den Dingen, die ich im Leben gelernt habe, gehört, dass Bullshit stinkt. Und Kumpel, was du da gerade abgelassen hast, mieft wie zwei Wochen altes, in ungewaschene Sportsocken gewickeltes Sushi.«
»Ganz meine Rede«, pflichtete Solido ihm bei.
»Ach, leckt mich doch, ihr zwei«, empörte sich Dan. »Hört gefälligst auf, so zu reden, als wär ich nicht hier. Und abgesehen davon bin ich nicht an Penni DePaul interessiert.«
Solido und Ozzie wechselten einen Blick, der Dan stumm einen himmelschreienden mentiroso nannte – einen Lügner. Dan ertappte sie dabei. »Echt nicht«, beharrte er ein wenig zu eindringlich. Und dann kam die Wahrheit ans Licht. »Ich hätte ohnehin nicht die leiseste Ahnung, was ich tun soll. Ich hab seit über einem Jahrzehnt nicht mehr versucht, eine Frau zu verführen.«
»So, dann hast du ja Glück, dass ich auch Schützenhilfe im Repertoire hab«, tönte Ozzie und klopfte Dan auf den Rücken, bevor er sich zu den Frauen umdrehte. »Kommt und tanzt mit uns, Ladys!«, rief er, packte Dan am Arm und zerrte ihn vom Barhocker. »Uns steht der Sinn nach Spaß! Und wir haben vor, dem Impuls nachzugeben, bis ihr in einer Stunde leider nach oben gehen müsst, um euren Zapfenstreich einzuhalten.«
»Das ist kein Zapfenstreich, Ozzie!«, rief Julia Ledbetter zurück, lachte und erhob sich vom Tisch. »Das nennt sich Protokoll. Und das ist etwas völlig anderes!« Sie verdrehte die Augen, um zu verdeutlichen, wie sehr sie der neue Verhaltenskodex des Secret Service nervte. Man hatte ihn als Reaktion auf das Verhalten einer Gruppe von Agenten eingeführt, die in den Schlagzeilen gelandet war, nachdem man sie bei einem Saufgelage in … nun ja … fragwürdiger weiblicher Gesellschaft in Südamerika erwischt hatte. Vater Staat, der internationale Peinlichkeiten solcher Art nie gut aufnahm, war danach vom sprichwörtlichen Vater zum buchstäblichen geworden, indem er neue Richtlinien erlassen hatte, die Agentinnen und Agenten außer Dienst befolgen mussten. Und eine der Regeln war, oh welche Überraschung, ein verfluchter Zapfenstreich um Mitternacht.
Nicht zum ersten Mal war Solido froh, dass er sich nach seinem Dienst bei der Army für Türchen Nummer zwei entschieden hatte, als ihm von Präsident Thompson – der sich aus irgendeinem merkwürdigen Grund für seine Laufbahn interessierte – eine Stelle entweder beim Secret Service oder bei Black Knights Inc. angeboten worden war. Natürlich hatte sein Entschluss zu dem Zeitpunkt weniger mit Scheu vor den schon damals strengen Regeln beim Secret Service zu tun gehabt, sondern vielmehr damit, dass er nicht an jeder Ecke Thompsons jüngster Tochter über den Weg laufen wollte. Oder schlimmer noch – zu ihrer Bewachung eingeteilt werden.
Verdammt, und schau mich einer jetzt an! Eingeteilt zu ihrer Bewachung! Und, sí, die Ironie daran war ihm total bewusst.
»Solido? Kommst du?«, fragte Dan und riss ihn damit aus seinen Gedanken. Als er seinen Kameraden ansah, stellte er fest, dass Dans Gesichtsausdruck an Panik grenzte.
Ozzie schlang Dan einen Arm um die Schulter und murmelte: »Kumpel, wenn du einfach nur aufhörst, dich zu wehren und dir selbst die Tour zu vermasseln, gelingt’s mir vielleicht, dir heute Nacht zum Einparken zu verhelfen.«
Dans Miene ging von Panik in Verwirrung über. »Einparken?«
Solido schüttelte den Kopf. »Bring ihn nicht in Fahrt«, riet er, da er bestens wusste, was als Nächstes folgen würde. Leider kam seine Empfehlung zu spät. Ozzie legte bereits los.
»Du weißt schon«, sagte Ozzie. »Ich helf dir, dich zurück in den Knattersattel zu hieven. Zurück in die Grotten zu klettern. Den Benz wieder einzuparken. Verstehst du jetzt, was ich dir zu sagen versuche?«
»Nein.« Dan schüttelte mit angewiderter Miene den Kopf. »War ja überaus subtil. Vielleicht solltest du nächstes Mal noch Soundeffekte verwenden.«
Ozzie öffnete den Mund, aber Dan verdrehte die Augen und hob eine Hand. »Das war ’n Witz. Ich hab’s kapiert.«
»Ehrlich?« Ozzie grinste und wackelte mit den Augenbrauen.
»Ja.« Dan nickte. »Mir ist sonnenklar, dass du die Latte der Evolution um mindestens drei Stufen senkst.«
Der gegen Beleidigungen gefeite Ozzie grinste und scheuchte Dan in Richtung des freien Bereichs vor einem Podium, auf dem eine Fünf-Mann-Band und eine exotische Sängerin in einem roten Paillettenkleid ziemlich eigenwillige Interpretationen der aktuellen Charts zum Besten gaben. Als Dan sich zu Solido umschaute, bat er ihn eindringlich: »Jetzt mach schon, Mann. Komm mit uns.«
»Ich nicht, hermano.« Solido warf ein paar bunte malaysische Ringgit auf die Theke. »Ich hau mich aufs Ohr.« Wo ich mich ganz sichernichtewig und länger rastlos hin und her wälzen werde, weil die kleine Abby Thompson gerade mal vier Türen weiter den Flur entlang schläft.
Sí. Klar. Genau. Und wenn ihm das jemand glauben würde, könnte er auch den Eskimos Kühlschränke verkaufen.
Abby las die letzten Worte ihrer Rede über die Notwendigkeit, den Dschungel Malaysias vor der Abholzung zu schützen, und vergewisserte sich, dass sie alle wichtigen Punkte angesprochen hatte – auch wenn ihr der eine oder andere Hänger unterlaufen war, als sie den verfluchten Vortrag vor ein paar Stunden gehalten hatte. Aber den Teilnehmern des Gartenbaukongresses schien es nicht aufgefallen zu sein, als sie gestockt hatte. Öffentliche Reden waren eigentlich nicht so ihr Fall, darum verbuchte sie es insgesamt als Erfolg.
Und vielleicht bewirkt es ja sogar etwas dabei, wie man hier mit der Natur umgeht. Obwohl sie sich in der Hinsicht keinen großen Hoffnungen hingab. Die weitläufige Wildnis von Südostasien beherbergte zwar in Hülle und Fülle biologische Schätze in Form verschiedenster Pflanzen, nur waren die nicht annähernd so profitabel wie die Gummibaumplantagen, von denen sie täglich mehr und mehr verdrängt wurden.
Aber zumindest habe ich es versucht. Meine Meinung kundgetan. Mehr konnte sie wohl nicht tun. Sie faltete die Unterlagen ihrer Rede zusammen, steckte sie in die Gesäßtasche ihrer Hose, lehnte sich gegen den Betonsims des schmalen Hotelbalkons und betrachtete die goldenen Lichter Kuala Lumpurs, die ihr von überall entgegenfunkelten. Vor ein paar Stunden war ein Gewitter über die Stadt gezogen, hatte den Großteil des Smogs aus der Luft geschwemmt und die Luftfeuchtigkeit um einige weitere Prozent angehoben. Als wäre das nötig gewesen. Doch trotz des Schweißfilms, der ihre gesamte Haut überziehen würde, wenn sie noch länger draußen blieb, konnte sie sich nicht dazu durchringen, in die klimatisierte Zuflucht ihres Zimmers zurückzukehren. Denn sie wusste, dann würde sie nichts mehr von ihren Gedanken an Carlos ablenken.
Ihn wiederzusehen hatte bewirkt, dass die vergangenen drei Tage zu den längsten ihres Lebens gehörten. In seiner Nähe zu sein. Festzustellen, dass er in vielerlei Hinsicht noch derselbe Mann war, den sie damals in D. C. gekannt hatte. Klug. Attraktiv. Allzeit zu einem Lächeln bereit. In anderer Hinsicht jedoch hatte er sich stark verändert. Er wirkte härter. Kantiger. Sexyer … was sie nicht für möglich gehalten hätte, wenn sie ihn nicht mit eigenen Augen gesehen hätte.
Oh Dad, warum hast du nur zugestimmt, dass er auf diese Mission mitkommt? Warum konntest du ihn nicht zu Carolines Bewachung schicken und mir einen anderen deiner supergeheimen Agenten zuteilen?
Ja, sie wusste alles über Black Knights Inc., diese verdeckt agierende Gruppe von Männern und Frauen, die ihr Vater einige Jahre, nachdem er Präsident geworden war und erfahren hatte, dass sich manche Dinge nur außerhalb der regulären Regierungskanäle erledigen ließen, ins Leben gerufen hatte. Sie wusste alles darüber, weil es ein Bestandteil ihrer Abmachung gewesen war, sicherzustellen, dass Carlos immer gut versorgt war.
Ihre Abmachung – dieses verflixte, dämliche notwendige Übel von einer Vereinbarung …
Was sie zurück zu der Frage brachte, warum ihr Vater Carlos hierhergeschickt hatte. Sie war völlig von den Socken gewesen, als sie ihn am ersten Tag gesehen hatte. Konnte sich ihr Vater nicht denken, wie schwierig diese Situation für sie war? Hatte er keinen Gedanken daran verschwendet, wie schlimm es für sie sein könnte, lächeln und flirten und kokettieren zu müssen, wie sie es in den guten alten Tagen gemacht hatte? Tun zu müssen, als ob nichts passiert wäre.
Plötzlich spürte sie, wie sich hinter ihr eine dunkle Gegenwart näherte. Den Bruchteil einer Sekunde danach nahm sie das leichte, fast zarte Brennen von etwas wahr, das in ihren Hals stach – eine Nadel? Ihr Herz hämmerte so heftig gegen das Brustbein, dass es eine Rippe zu brechen drohte. Abby öffnete den Mund, um zu schreien, doch der einzige Laut, der sich ihrer Kehle entrang, war ein lautes, gurgelndes Stöhnen, das sich nach einem verendenden Tier anhörte.
Es war eine Nadel. Die durch ihre Adern rasende Substanz wirkte kraftvoll und schnell. Sie ließ Abbys Stimmbänder erstarren und ihre Muskeln erschlaffen. Vom einen Moment auf den anderen verlor sie die Fähigkeit, das raue Geländer des Hotelbalkons zu umklammern. Und wenngleich sie den klebrigen Schweiß auf den Unterarmen des mysteriösen Mannes spürte, der ihr die Arme an den Körper presste, während er den Kolben der Spritze durchdrückte, konnte sie ums Verrecken nicht das Geringste tun, um gegen ihn anzukämpfen.
OhGott, nein! Ihr entsetzter Geist schrie die Worte, die ihr Mund nicht zu bilden vermochte. Und als sich die Substanz, offensichtlich eine Droge, brennend, schwelend, verunreinigend über ihre Blutgefäße durch den Körper ausbreitete, entzündete sie ihr Blut und ließ Tausende beißende Ameisen über ihre Nervenenden krabbeln. Dann, als würde ein Lichtschalter ausgeknipst, schalteten all ihre Sinne ab. Abby wusste, dass die von der dunklen Straße herauftreibende Brise heiß und feucht war, überladen mit unangenehmen Auspuffgasen und den penetranteren Gerüchen von Trockenfisch, Kardamom und frisch geschnittenen Chilischoten. Aber sie konnte den schwülen Kuss des Windes nicht mehr auf der Haut spüren und die einzigartige südostasiatische Aromenmischung nicht mehr riechen.
Sie war gefangen. Gefangen in einem nutzlosen Körper. Und sie wollte zwar nicht in der Manier von ApocalypseNow durchdrehen oder so – aber dieses Grauen! Der absolute Horror!
Darum kämpfend, wenigstens annähernd bei klarem Verstand zu bleiben, richtete sie den Blick ihrer wässrigen Augen auf die Petronas Towers im Norden. Die gewaltigen Wolkenkratzer hoben sich mit ihrem hellen silbrigen Schimmer vom schwarzen Himmel ab – zwei Leuchtfeuer der Hoffnung, die der Welt zeigten, wie weit es das Land in den letzten zwanzig Jahren gebracht hatte.
Undwo ist meine Hoffnung? Meine Rettung? Wo in Dreiteufelsnamen steckt meine Sicherheitsmannschaft?
Abby ließ den Blick zum Balkon zu ihrer Linken wandern, wo sie nach Marcy Tucker Ausschau hielt, der Agentin des Secret Service, der man für die Nacht das Zimmer neben dem von Abby zugeteilt hatte. Aber zu ihrer tiefen Bestürzung traf ihr Blick nicht Agent Tucker auf ihrem Posten, sondern einen großen dunkelhäutigen Mann, der an deren Balkon lehnte. Sein Lächeln wirkte unanständig, seine Zähne stachen weiß aus der Dunkelheit hervor, als er einen Arm hob und die Faust in die Luft streckte. Vielleicht eine Geste für Sieg? Aber was für ein Sieg? Abby wagte nicht, genauer darüber nachzudenken.
Stattdessen spitzte sie die Ohren und wartete darauf, dass die Innentür, die ihr Zimmer mit dem von Agent Silver zu ihrer Rechten verband, explosionsartig aufgestoßen wurde. Sie durfte diese Tür nicht abschließen, das gehörte zu dem Protokoll, nach dem sie seit mittlerweile fast neun Jahre lebte – und nach dem, was in Georgetown passiert war, konnte man sein letztes Hemd darauf verwetten, dass sie sich buchstabengetreu an die Vorschriften hielt. Und bestimmt hatte Agent Silver den schrecklichen Laut gehört, zu dem sie noch fähig gewesen war, bevor ihre Stimmbänder den Dienst quittierten. Bestimmt war er höchstens noch zwei Sekunden davon entfernt, zu ihrer Rettung hereinzustürmen. Bestimmt …
Aber statt der Verbindungstür öffnete sich die Tür zu seinem Balkon mit einem gedämpften Klirren. Und es war nicht Agent LaVaughn Silvers großer, kahler Schädel und sein schwarzer Kinnbart, der in der Nacht erschien, sondern ein weiterer lächelnder dunkelhäutiger Fremder. Als er die Faust ähnlich wie der andere Mann zu einer Siegesgeste in die Luft streckte, schloss nackte Angst ihre schwarzen Finger um Abbys Hals und drohte, sie zu erwürgen.
Eine letzte Chance … Abby schwenkte die Aufmerksamkeit zum Dach des Einkaufszentrums auf der gegenüberliegenden Straßenseite. AgentBosco? Tony? Sind Sie da? Ist ihre Waffe auf meine Angreifer gerichtet? Sie wartete auf den lauten Knall, mit dem heißes Blei die Mündung einer Pistole verließ. Eine Sekunde. Zwei … Furcht rauschte summend wie der Stock von Honigbienen, die sie zu Hause in D. C. für den Botanischen Garten kultivierte, durch ihre Ohren. Aber drei Sekunden verstrichen, dann vier, und das Peng! der Waffe blieb aus.
AgentBosco? Fieberhaft suchte ihr Blick das weitläufige flache Dach nach dem letzten der drei Agenten des Secret Service ab, die in dieser Nacht Dienst hatten. Doch einen Herzschlag später schrumpfte ihre Sicht und wurde trüb, bis sich alles jenseits eines Radius von drei Metern in ein verschwommenes, verwirrendes Grau verwandelte.
Dann griff die drogenbedingte Lähmung, die ihre Muskeln befallen hatte, auf ihren Verstand über. Positive Begleiterscheinung: Die Angst, die Abby so brutal umklammerte, löste ihren Würgegriff schlagartig und … verpuffte einfach. Negative Begleiterscheinung: An die Stelle der Angst trat nichts. Keine Freude. Kein Kummer. Kein Mitleid. Keine Schmerzen.
Nichts …
Die gewaltige Leere hätte an sich schon beängstigend sein müssen. Und ein Teil von ihr – ein kleiner, nahezu verschwindender Teil ihres Verstands, der immer noch tapfer gegen die Wirkung des Betäubungsmittels ankämpfte – verstand das und begriff das Ausmaß der Schwierigkeiten, in denen sie steckte. Nur reichte das nicht. Und bald überwältigte die unfassbar dichte Wolke der Apathie den letzten winzigen Rest Vernunft und sorgte dafür, dass sich Abby seelenruhig wie aus der Ferne selbst beobachtete. Sie sah, wie eine Plattform für Fensterputzer, die von einer schattigen Gestalt bedient wurde, neben ihrem Balkon herabgelassen wurde. Wie die zwei Kerle, die ihre Fäuste in die Luft gestreckt hatten, zurück in die Zimmer zu beiden Seiten von ihrem huschten. Sie beobachtete, wie der Mistkerl, der ihr knochenloses Gewicht stützte, sie emporhob und über den Rand des Balkons der wartenden schattigen Gestalt reichte. Ihr Kopf und ihre Arme baumelten dabei herab, als wäre sie eine lebensgroße Lumpenpuppe.
Auf verschwommene, teilnahmslose Weise wurde ihr klar, dass der von der NSA aufgeschnappte Online-Austausch über eine drohende Entführung echt gewesen war. Es geschah in diesem Augenblick. Allerdings ihr, nicht Caroline, wie die Berichte nahegelegt hatten. Und es gab nicht das Geringste, was sie tun konnte, um es zu verhindern.
Nichts, was sie unbedingt tun wollte, wenn sie es genauer betrachtete, so vollkommen losgelöst von sich selbst fühlte sie sich. Atmete sie überhaupt? Abby konnte die Bewegungen ihrer Lungenflügel nicht fühlen, nahm nicht wahr, wie sich ihr Brustraum mit kostbarem, lebensspendendem Sauerstoff füllte. Schlug ihr Herz noch? Es gab kein beruhigendes Rauschen von Blut zwischen ihren Ohren, kein Bu-bumm des Muskels hinter ihrem Brustbein.
Vielleicht war sie im Begriff zu sterben. Oder schon tot. Vielleicht wurde sie nicht entführt, sondern war ermordet worden. Und das hier war ein außerkörperliches Erlebnis. Wie seltsam. Abby hatte nie wirklich an solche Dinge geglaubt. Aber wenn das der Tod war, dann …
»Keine Sorge«, flüsterte ihr der schattige Kerl in stockendem Englisch mit starkem Akzent ins Ohr. »Wir werden dich nicht töten. Du würdest deinen Wert für uns verlieren.«
Also … doch nichttot. Puh. Abby hätte froh darüber sein sollen. Das wusste sie. Aber das Grauen … rief sie, lockte sie, riet ihr loszulassen. Und das würde sie tun. Warum auch nicht? Ihr fiel kein einziger guter Grund ein. Und ganz ehrlich, loszulassen fühlte sich … gut an.
***
Dans Herz hämmerte wie wild, bis er seinen Puls in den Fingerspitzen spüren konnte – und an tieferer Stelle. Denn die bezaubernde Agentin Penni DePaul hatte ihn gegen die Tür seines Hotelzimmers gestoßen, kaum dass er sie mit dem Schuh zugedrückt hatte. Und nun stellte sich ihre agile Zunge – wie kam das denn? – der seinen auf atemberaubende Weise vor.
Weich … so fühlte sie sich an. So groß und schlank die Frau sein mochte, an den richtigen Stellen war sie weich. An ihren herrlichen ausladenden Hüften, die er zwischen den Händen hielt. Und an ihren kleinen, runden Brüsten, die fest gegen seine Brust drückten.
Außerdem roch sie frisch. Leicht und luftig und einfach fabelhaft. Ihr Duft ließ ihn erregter werden als seit … nun ja … seit langer Zeit. Und als er ihren Hals knapp unter dem Ohr küsste, schmeckte ihre Haut nach Rosenwasser.
Im Grunde verkörperte sie alles, was er sich die vergangenen vierundzwanzig Monate verweigert hatte. Sie war … eine Frau.
Einebetrunkene Frau? Bestand die Möglichkeit, dass er sie übervorteilte?
»Wie viele dieser schnieken Drinks hast du gehabt?«, flüsterte er ihr ins Ohr.
»Gerade genug«, erwiderte sie kichernd und fasste hinter ihn, um seinen Hintern zu packen und sich besser an seinem erregten Schritt reiben zu können. Als es ihm gelang, wieder geradeaus zu schauen, blickte er sie eindringlich an.
Sie stand sicher auf den Beinen. Ihr Lächeln strahlte Wärme aus. Und ihre Pupillen waren … geweitet? Er legte den Kopf schief und musterte sie eingehender.
»Ich bin nicht betrunken, Dan«, versicherte sie ihm.
»Nein?«