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Rebecca Reichart ist die Besitzerin einer Motorradwerkstatt, die als Fassade für ein geheimes Einsatzteam von Spezialagenten dient. Als Becky von somalischen Piraten entführt wird, kommt ihr der Ex-SEAL Frank Knight zu Hilfe, in den Becky schon seit Längerem insgeheim verliebt ist. Doch schnell stellt sich heraus, dass hinter Beckys Entführung weit mehr steckt, als sie hätten ahnen können ...
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Seitenzahl: 434
JULIE ANN WALKER
Inc. –
Roman
Ins Deutsche übertragen
von Kerstin Fricke
Zu diesem Buch
Frank »Boss« Knight wusste gleich, dass es keine gute Idee ist, eine Frau bei den Black Knights Inc. aufzunehmen. Allerdings hätte Becky Reichert ihm andernfalls niemals ihren High-End-Motorradladen als Tarnung für seine Eliteeinheit verkauft. Zugegeben, schweißen, fahren und schießen kann sie besser als jeder andere in der Truppe. Nur dass sie sich immer wieder ungewollt in Schwierigkeiten bringen muss, passt Frank so gar nicht. Zieht sie damit doch bloß unnötig Aufmerksamkeit auf die geheimen Aktionen der Black Knights Inc. Dass Becky zu einem Tauchurlaub in den Indischen Ozean aufbricht, kommt ihm daher ganz gelegen – aber er traut seinen Ohren nicht, als er erfährt, dass sie dort von Piraten entführt wurde, für die sie einen gekaperten Öltanker wieder fahrtüchtig machen soll. Becky ist in großer Gefahr, denn ein übermächtiger Feind zieht im Hintergrund geschickt die Fäden. Insgeheim würde Frank keine Sekunde zögern, Becky zu befreien, lässt sie sein Herz doch schon lange bei jeder Begegnung höher schlagen. Allerdings müsste er für ihre Befreiung den Einsatz der gesamten Black Knights Inc. riskieren. Frank muss sich endlich entscheiden – für die Pflicht oder für die Liebe seines Lebens …
Für meine großartige Agentin Nicole Resciniti.
In den Augen eines Soldaten kannst du erkennen, wie viel Krieg er bereits erlebt hat.
William Henry
Prolog
»Wir ändern auf jeden Fall den Namen.« Frank »Boss« Knight stoppte den Hummer vor dem schäbigen kleinen Fertighaus und musterte das handgemalte Holzschild, das über der Eingangstür hing: BECKYSBOMBIGEBIKES.
»Zu viele Alliterationen für deinen Geschmack?« Bill Reichert, der auf dem Beifahrersitz saß, schnallte sich grinsend ab und öffnete die Tür. Der kalte Winterwind kühlte das Wageninnere augenblicklich ab, und Frank nahm seine schwarze Wollmütze vom Armaturenbrett und setzte sie auf, um dann den Reißverschluss seines Parkas bis zum Kinn hochzuziehen.
Wenn die Sache hier funktionierte, dann würde er sich an die kalten Winter in Chicago gewöhnen müssen. Natürlich waren die niedrigen Temperaturen ein geringer Preis, den er für eine gute, solide Tarnung seines neuen Sicherheitsunternehmens zahlen musste. Noch dazu war es der perfekte Deckmantel, alle Männer, die er aus den verschiedenen Bereichen der Streitkräfte rekrutiert hatte, als Mechaniker und Motorradfreaks bei Bills kleiner Schwester in ihrem Laden für maßgefertigte Harleys unterzubringen. Vor allem, da die meisten von ihnen muskulöse, tätowierte und – nun, da sie keinen militärischen Haarschnitt mehr tragen mussten – heruntergekommen wirkende Typen waren, die selbst bei den Hell’s Angels nicht groß aufgefallen wären.
Er stieg aus dem Wagen aus und senkte den Kopf, als ihn der Wind wie eine eisige Faust ins Gesicht traf. Die Hände tief in den Manteltaschen, ging er über den Weg, den jemand durch die dicke Schneedecke geschaufelt hatte, zur Eingangstür.
Bill drückte auf die Klingel, und fünf Sekunden später war hinter der Metalltür ein vertrautes Geräusch zu hören, bei dem sich alle Härchen in Franks Nacken aufstellten.
Du weißt, dass du zu lange im Geschäft bist, wenn du den Klang einer 45er, die gerade geladen wird, noch aus einem Meter Entfernung erkennst.
»Wer ist da?«, kam eine tiefe, vorsichtige Stimme aus dem Gebäudeinneren.
»Ich dachte, du hättest uns angekündigt«, zischte Frank über Bills Schulter hinweg.
»Das habe ich auch.« Bill grinste. »Aber sie weiß auch, dass sie in dieser Gegend nicht vorsichtig genug sein kann.«
Da hatte er recht. Die Graffitis, die auf jeder vertikalen Fläche sechs Blocks in alle Richtungen zu sehen waren, gaben ihnen deutlich zu verstehen, dass sie sich mitten im Territorium einer ernst zu nehmenden Gang befanden. Hier hatten die Vice Lords das Sagen, und sie hatten dafür gesorgt, dass man das auch ja nie vergaß.
»Mach die verdammte Tür auf, du Pappnase!«, rief Bill über den kreischenden Wind hinweg. »Wir frieren uns hier die Ärsche ab!«
Das war nicht gelogen. Frank hatte nicht die leiseste Ahnung, warum er an diesem Morgen keine warme Unterhose angezogen, sondern stattdessen komplett darauf verzichtet hatte.
Das war ein Fehler gewesen. Ein Riesenfehler.
Den würde er bestimmt nie wieder machen.
Die Eingangstür wurde mit lautem Klappern geöffnet, und sie standen einem riesigen rothaarigen Mann gegenüber, der aussah, als sollte er eigentlich eine Gesichtsmaske und ein Trikot tragen und in einem Wrestlingring stehen.
Frank konnte Michael Buffer schon fast brüllen hören: »Arrrrre you ready to ruuumbllle?«
»Manus«, sagte Bill, machte einen Schritt über die Türschwelle und bedeutete Frank, ihm zu folgen. »Das ist Boss. Boss, das ist Manus. Er und seine Brüder arbeiten als Security für meine Schwester.«
Frank wartete, bis sich Manus die 45er in den Bund seiner Jeans gesteckt hatte, bevor er den kleinen gekachelten Vorraum vorsichtig betrat. Die Wände waren bedeckt mit verrosteten Motorradnummernschildern, und ihm stieg der beißende Geruch von Motoröl und brennendem Metall in die Nase, sobald sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte.
»Sie sind der Kerl, der Beckys Partner werden will? Sie möchten Geld investieren und lernen, wie man Motorräder baut?«, fragte Manus und schüttelte Franks Hand, während das rötliche Gesicht des großen Mannes strahlte, sodass seine Sommersprossen miteinander zu verschmelzen schienen.
Ja, das war die Geschichte, die sie rumerzählten, bis er sich ein Urteil gebildet hatte …
»Ich habe mich noch nicht entschieden«, antwortete er unverbindlich, doch Manus’ Grinsen wurde nur noch breiter.
»Das liegt nur daran, dass Sie Beckys Bikes noch nicht gesehen haben«, prahlte er. »Danach werden Sie ihr Ihre gesamten Ersparnisse geben wollen, damit sie Ihnen alles beibringt, was sie weiß.«
Frank zog eine Schulter hoch, als wollte er sagen: Das werden wir ja noch sehen, und sah Bill zu, der die zweite gläserne Doppeltür öffnete.
Augenblicklich wurde er von ohrenbetäubendem Lärm überwältigt.
Die donnernden Beats knallharter Rockmusik wetteiferten mit dem höllischen Kreischen und Jaulen von Metall. Frank widerstand dem Drang, sich die Ohren zuzuhalten, während er Bill in die Werkstatt folgte und um einige der maßgefertigten Hightech-Maschinen herumging.
Doch auf einmal waren ihm seine blutenden Ohren völlig egal.
Denn er erblickte das schönste und zugleich fremdartigste Motorrad, das er je gesehen hatte.
Es stand auf einer Hebebühne. Der Tank und die Schutzbleche waren in leuchtendem Neonblau lackiert, das im grellen Licht der Deckenlampen schillerte und funkelte. Das Motorrad hatte einen komplex aussehenden Doppelauspuff, war ungeheuer lang und besaß gebogene, fast schon skurril wirkende Gabeln. Außerdem war es mit so viel Chrom ausgestattet, dass es fast schon blendete.
Kurz gesagt: Es war ein Kunstwerk.
Dagegen sah seine 1952 Harley-Davidson FL, die er selbst restauriert hatte, aus, als hätte sich ein Amateur ausgetobt.
Gerade als er dachte, es könnte nicht mehr besser werden, wurde das Geräusch bearbeiteten Metalls langsam leiser, und eine junge Frau kam mit einer Schleifmaschine in der einen und einer Metallklemme in der anderen Hand hinter der Maschine hervor.
Frank hätte beinahe seine Zunge verschluckt.
Das konnte doch nicht wahr sein …
Offensichtlich doch. Denn in dem Moment, in dem die Frau die beiden Männer erblickte, schrie sie auf, schaltete die Musik aus, die aus dem altmodischen Gettoblaster kam, und ließ beide Werkzeuge fallen, um sich in Bills Arme zu werfen, ihn fest zu drücken und ihn so laut auf die Wange zu küssen, dass das Schmatzen in der jetzt plötzlich ruhigen Werkstatt widerhallte.
Das war Rebecca »Rebel« Reichert, Wild Bills kleine Schwester.
Wobei das »klein« wörtlich zu verstehen war. Frank hätte seine Bikerstiefel gefressen, wenn sie auch nur an die eins sechzig herankam.
Er hatte nicht gewusst, wie er sich eine Frau vorstellen sollte, die eine Motorradwerkstatt führte, aber so definitiv nicht. Ihr langes blondes Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden, und sie besaß strahlende braune Augen, umrahmt von üppigen dunklen Wimpern, und ein hübsches, natürliches Gesicht, womit sie genau seinen persönlichen Vorlieben entsprach, was Frauen betraf.
Etwas an diesem »netten Mädchen von nebenan« hatte ihn schon immer angesprochen.
Sieh mal einer an.
Endlich setzte Bill sie wieder auf dem Boden ab, und sie baute sich vor Frank auf, wobei sie ihre kleinen, schmutzigen Hände in ihre schlanken, jeansbedeckten Hüften stemmte. Aus irgendeinem Grund hatte er auf einmal das Gefühl, sich kerzengerade hinstellen zu müssen.
Vermutlich lag es daran, dass sie den gleichen unnachgiebigen Blick in den Augen hatte, wie er ihn von seinem beinharten Drill Sergeant aus der Grundausbildung kannte.
»So.« Sie legte ihren Kopf schräg, bis ihr Pferdeschwanz wie ein glattes goldenes Seil über ihrer Schulter hing. »Sie sind also der unbezwingbare Frank Knight. Billy hat mir so gut wie gar nichts über Sie erzählt.«
Und diese Stimme …
Sie war sanft und rau. Genau die Art von Stimme, die ins Schlafzimmer gehörte.
»Man nennt mich Boss«, brachte er gerade so hervor.
»Ich bleibe lieber bei Frank«, erwiderte sie mit einem Augenzwinkern. Aus irgendeinem Grund zuckte eines seiner Augenlider. »Schließlich kann es hier nur einen Boss geben, und der bin ich. Ich habe gehört, Sie wollen ins Motorradgeschäft einsteigen?«
»Ich denke darüber nach.« Er konnte gar nicht anders, als zur Kenntnis zu nehmen, wie sich ihre Nasenspitze leicht nach oben bog oder wie sich ihre kleinen Brüste gegen den weichen Stoff ihres mit Farbklecksen bedeckten langärmligen T-Shirts drückten.
Reiß dich zusammen, Mann!
»Tja«, sie nickte und ging an ihm vorbei zur Eingangstür, »dann zeigen Sie mir doch mal das Motorrad, das Sie mitgebracht haben, damit ich sehen kann, wie es um Ihr Talent bestellt ist.«
Für den Bruchteil einer Sekunde wanderte sein Blick zu ihren sich wiegenden Hüften hinunter, bevor er sich zwang, einen Punkt über ihrem Kopf anzustarren, während er ihr folgte. Bill ging direkt hinter ihm, und dieses Wissen erleichterte es ihm, sie nicht anzuglotzen. Dass Bill ihn dabei erwischte, wie er seine Schwester anstarrte, hätte ihm gerade noch gefehlt.
Das war ein absolutes No-Go. Insbesondere da ihm die Vorstellung missfiel, Bill könnte ihn mit einem seiner Biker-Stiefel Größe vierundvierzig in den Hintern treten.
Als sie an der ersten gläsernen Doppeltür ankamen, nahm Rebecca einen dicken rosafarbenen Overall vom Haken. Sie balancierte erst auf dem einen und dann auf dem anderen Bein, um ihn anzuziehen, zog den Reißverschluss hoch und setzte sich dann eine lilafarbene Wollmütze auf den Kopf.
Sie sah absolut lächerlich aus. Und weiblich. Und so verdammt niedlich.
Er knirschte mit den Zähnen und rief sich drei Dinge ins Gedächtnis. Erstens: Sie war viel zu jung für ihn. Zweitens: Wenn alles nach Plan lief, würde er ihr Boss sein, und nicht umgekehrt. Und drittens: Er hatte versprochen, nicht …
»Wie viel Geld wollen Sie denn investieren?«, unterbrach sie seine Gedanken und ging durch die Doppeltür in den Vorraum.
So viel wie nötig … »Darüber unterhalten wir uns später.« Er hielt den Atem an und war gespannt, wie sie auf seinen autoritären Tonfall und seine Antwort reagieren würde. Das war gewissermaßen ein Test, um herauszufinden, ob überhaupt die Chance bestand, dass sie zusammenarbeiten konnten.
Sie musterte ihn einen langen Augenblick und schien ihm mit ihren braunen Augen bis ins Gehirn blicken zu können. Dann zuckte sie mit den Achseln. »Wie Sie wollen.«
Als sie die Tür nach draußen öffnete, musste er erneut den Kopf vor dem eisigen Wind einziehen. Sie gingen zu dritt zu dem kleinen geschlossenen Anhänger, der an seinem Hummer hing, und er fischte die Schlüssel mit seinen bereits vor Kälte tauben Fingern aus der Hosentasche. Als er den Anhänger aufgeschlossen hatte, wartete sie nicht auf seine Aufforderung, sondern stieg einfach hinein.
Er folgte ihr zusammen mit Bill und beobachtete sie, während sie um das von ihm restaurierte Motorrad herumging, bevor sie sich neben den Auspuff hockte.
»Haben Sie das alles selbst gemacht?«, wollte sie wissen.
Das Motorrad, auf das er vor dreißig Minuten noch so stolz gewesen war, sah im Vergleich zu den Maschinen in ihrer Werkstatt minderwertig und einfallslos aus.
»Ja«, gab er zu und war erstaunt, dass er tatsächlich ein bisschen nervös war. Als hätte er Angst, dass sie nicht mit ihm zusammenarbeiten wollte.
»Die Schweißarbeiten sind beschissen«, sagte sie und strich mit dem Finger über eine Schweißnaht, die er eigentlich für ziemlich gut gehalten hatte. »Aber Sie sind offensichtlich ein recht guter Mechaniker, und gute Mechaniker kann ich im Moment gut gebrauchen. Außerdem«, sie stand auf und zwinkerte ihm zu, »wäre es nett, einen so großen und starken Kerl wie Sie jeden Tag um sich zu haben. Dann habe ich immer einen schönen Anblick, wenn mich die Muse mal im Stich lässt.«
Er klappte den Mund auf … aber es kam kein Ton heraus. Er konnte sie nur anstarren und blinzeln wie eine verwirrte Eule.
Du lieber Himmel, flirtete sie etwa mit ihm?
Doch er wurde erlöst und musste ihr nicht mehr antworten – danke, lieber Gott, danke! –, als Bill knurrte: »Hör auf damit, Becky. Das ist nicht der richtige Zeitpunkt dafür, und Boss ist definitiv nicht der richtige Mann.«
»Nicht?« Sie zog die Augenbrauen hoch und drehte sich mit fragendem Blick zu Frank um.
Endlich hatte er seine Stimme wiedergefunden. »Nein.« Er schüttelte energisch den Kopf und versuchte, den Kloß wieder hinunterzuschlucken, der ihm die Kehle zuschnürte.
»Tja«, sie zuckte mit den Schultern und schien ihm die offenkundige Zurückweisung nicht übel zu nehmen, »Sie können einer Frau nicht verdenken, dass sie es zumindest versucht.« Dann reichte sie ihm die Hand. »Ich bin dabei, Partner. Allerdings möchte ich vorher wissen, wie viel genau Sie investieren wollen.«
»Bill wird Ihnen alle Einzelheiten erklären«, wich er ihrer Frage aus und drückte ihre Hand nur kurz, um sie sofort wieder loszulassen, da er schneller von hier wegwollte, als er sich selbst eingestehen wollte.
Wieder legte sie den Kopf auf die Seite, sodass ihr der Pferdeschwanz über die Schulter rutschte. Sie sah ihn einen langen Augenblick an, bis er schon glaubte, sein Herz würde ihm aus dem Mund springen, wäre da nicht der Kloß in seiner Kehle gewesen. Dann zuckte sie mit den Schultern. »Okay. Spielen Sie nur weiter den Geheimnisvollen. Mir ist das scheißegal, solange Sie die Kohle ausspucken.«
Mit diesen Worten sprang sie vom Anhänger hinunter.
Frank sah ihr nach, wie sie durch den Schnee zur Eingangstür ihrer Werkstatt marschierte. Sobald sie im Inneren verschwunden war, drehte er sich zu Bill um. »Ist sie auch wirklich vertrauenswürdig genug? Mir kommt sie ziemlich impulsiv vor.«
Impulsiv, arrogant, frech und … viel zu niedlich, als gut für sie ist.
Bill grinste und verschränkte die Arme vor der Brust. »Auch wenn es nicht den Eindruck macht, Becky ist verdammt abgebrüht. Wir können uns darauf verlassen, dass sie unsere Geheimnisse für sich behält. Darauf hast du mein Wort.«
»Und was ist mit der Hierarchie? Wie wird sie reagieren, wenn ihr klar wird, dass ich das Sagen haben werde?«
Bill legte ihm eine Hand auf die Schulter und grinste. »Du wirst schon mit ihr fertigwerden, Boss.«
Ja, klar. Er hätte gern Bills Zuversicht in dieser Hinsicht geteilt, aber er konnte Ärger nun mal schon aus großer Entfernung riechen.
Und Rebecca Reichert konnte man ansehen, dass sie ihm mehr als genug Ärger machen würde …
Dreieinhalb Jahre später …
Piraten.
Wow. So was sieht man nicht alle Tage.
Das war Beckys erster Gedanke, als sie sich unter der niedrigen Kabinentür des elfeinhalb Meter langen Katamarans namens Serendipity duckte und in die sengende Äquatorsonne hinaustrat. Ach, Scheiße, dachte sie dann, und das passte schon sehr viel besser.
Eve, ihre langjährige Freundin, der die Serendipity gehörte, schwankte und starrte erschreckt und mit aufgerissenen Augen die drei dreckigen, barfüßigen Männer an, die jeweils eine uralte AK-47 in den Händen hielten und so aussahen, als könnten sie diese Waffen auch benutzen. Vier weitere ebenso dünne und ungepflegte Männer standen auf einem maroden Ruderboot, das sie mit dem Heck der Serendipity vertäut hatten.
Okay, sie hatten offensichtlich viel zu laut Oldies gehört, wenn sie nicht einmal mitbekommen hatten, dass das Boot der Piraten mit seinem rostigen alten Außenbordmotor nähergekommen war.
»Eve«, murmelte sie um den Kirschlolli herum, den sie im Mund hatte, während ihr Herz wie wild klopfte und ihre Kopfhaut kribbelte, als wäre eine Horde unsichtbarer Ameisen darauf unterwegs. »Bleib ganz ruhig, okay?«
Ja. Ruhe war der Schlüssel. Wenn sie ruhig blieben, landeten sie vielleicht nicht bei den Fischen oder, noch schlimmer, unter einem verschwitzten Kerl, der das Wort Nein nicht kannte.
Als sie von Eve keine Antwort erhielt, warf sie ihrer Freundin einen Blick zu und stellte fest, dass die Haut der armen Frau die Farbe einer Aubergine angenommen hatte.
»Eve«, sagte sie so eindringlich, wie sie nur konnte, während sie gleichzeitig versuchte, die bereits nervös wirkenden Piraten nicht aufzuregen, deren Finger möglicherweise recht locker am Abzug saßen, »du musst atmen.«
Eve schluckte schwer, um dann zitternd nach Luft zu schnappen.
Okay, gut. Problem eins, dass Eve in Ohnmacht fiel, wäre gelöst. Für Problem zwei, von Piraten als Geisel genommen zu werden, brauchte es doch etwas mehr Kreativität.
Sie zermarterte sich das Gehirn nach einem Weg, wie sie sich aus ihrer misslichen Lage befreien konnten, als plötzlich die Stimme von Jimmy Buffet aus der Kabine kam, der schmachtend sang: »Yes I am a pirate. Two hundred years too late.«
Das singst du jetzt, Jimmy? Ist nicht dein Ernst!
Unter normalen Umständen hätte sie die Ironie zu schätzen gewusst. Dummerweise waren dies alles andere als normale Umstände.
Der jüngste und kleinste der Piraten, der tatsächlich eine Augenklappe trug – ich fass es nicht! – warf ihr einen ernsten Blick zu, und sie riss die Hände in die Luft, das universelle Ich bin unbewaffnet und kooperiere-Signal. Daraufhin sah sein grimmiges Auge Eve an.
Sie musterte ihre Freundin erneut, und … oh nein. OhScheiße.
»Eve, ich möchte, dass du das Messer jetzt ganz langsam aufs Deck legst und von dir wegschiebst.« Sie gab sich die größte Mühe, ruhig und nicht bedrohlich zu klingen. Piraten verdienten ihr Geld damit, Lösegeld für Schiffe und Gefangene einzustreichen. Wenn sie Eve daran hindern konnte, Dummheiten zu machen – wie beispielsweise wie eine Irre mit einem Messer auf schwer bewaffnete Piraten loszustürmen –, dann konnten sie die Sache vermutlich unbeschadet überstehen.
Dummerweise machte es ganz den Anschein, als hätte Eve aufgehört, auf Becky zu hören.
»Eve«, zischte sie. »Leg das Messer weg. Ganz langsam. Und schieb es von dir weg.«
Dieses Mal schien sie zu ihr durchzukommen.
Eve starrte die lange dünne Klinge an, die sie mit der Faust umklammerte. Kurz flackerte Verwirrung in ihren Augen auf, da sie offenbar erst jetzt merkte, dass sie das Messer, mit dem sie den Bonito, den sie für das Mittagessen gefangen hatten, filetieren wollte, noch in der Hand hielt. Dann dämmerte es ihr rasch, und ihr verwirrter Gesichtsausdruck wich nach und nach einer beängstigenden Verzweiflung.
Becky tat nicht länger so, als wäre sie cool und gefasst. »Denk nicht mal daran«, fauchte sie.
Zwei der Männer an Deck drehten den zerzausten Kopf in ihre Richtung und legten den hölzernen Knauf ihrer Automatikgewehre an ihre knochigen Schultern, während sie die schwarzen Mündungen der Kalaschnikows auf ihr donnerndes Herz richteten.
»Man geht nicht mit einem Messer zu einer Schießerei«, flüsterte sie, hob die Hände noch ein Stück höher und versuchte, den knochentrockenen Kloß in ihrer Kehle hinunterzuschlucken. »Das weiß doch jeder.«
Im Augenwinkel sah sie, wie sich Eve langsam nach unten beugte. Dann hörte sie das unverwechselbare Klonk, als das Messer auf dem Holzdeck aufkam. Es war Musik in ihren Ohren.
»Hört mal, Jungs«, wandte sie sich an die Gruppe und war unglaublich erleichtert, als die bedrohlichen Läufe der alten, aber immer noch tödlichen Gewehre wieder auf das Deck gerichtet wurden. Das ist so eine Sache mit diesen AKs, hatte ihr Billy mal gesagt. Sie buckeln wie ein verdammtes Wildpferd, und ihre Bedienung ist einfacher als ein Mathetest im Kindergarten. Außerdem kannst du sie mit einem Lauf voller Sand abfeuern. Die Russen wissen eben, wie man verdammt verlässliche Waffen baut. Und das war in ihrer aktuellen Situation alles andere als gut. »Diese Gewässer gehören zu den Seychellen. Ihr habt hier nichts zu sagen.«
»Nein, nein, nein«, erwiderte der kleine Pirat mit der Augenklappe. Sein Englisch hatte einen starken Akzent. »Wir sind die Einzigen, die hier was zu sagen haben. Wir sind somalische Piraten.«
»Oh Mann«, keuchte Eve und legte eine zitternde Hand an ihre Kehle, während sie die Augen verdrehte.
»Wag es nicht, jetzt ohnmächtig zu werden, Evelyn Edens!«, befahl ihr Becky, deren Gehirn beinahe explodierte, wenn sie sich vorzustellen versuchte, was einer schönen, bewusstlosen Frau in den Händen von somalischen Piraten mitten auf dem Indischen Ozean passieren konnte.
Eve schwankte, schaffte es jedoch, auf den Beinen zu bleiben, die sie fest auf das schwankende Deck stellte.
Okay. Gut.
»Wir haben kein Geld. Unsere Familien sind nicht reich«, erklärte Becky. Was in ihrem Fall durchaus stimmte. Eve dagegen war steinreich. Zum Glück würden die Piraten das nicht so leicht herausfinden können. »Für uns werdet ihr kein Lösegeld kriegen. Es kostet euch mehr, uns zu ernähren und unterzubringen, als ihr je von unseren Familien erhalten werdet. Und dieses Boot ist zwanzig Jahre alt. Es ist nicht mal den Treibstoff wert, den ihr braucht, um damit nach Somalia zu segeln. Lasst uns einfach laufen, und wir vergessen, dass das je passiert ist.«
»Nein, nein, nein.« Der junge Pirat schüttelte den Kopf. Offenbar traten Verneinungen bei ihm immer gleich im Dreierpack auf. Sein dunkles Auge strahlte vor Aufregung, und sie bemerkte, dass ein kleiner schäbiger Strassstein in der Mitte seiner Augenklappe klebte, was sie an den einäugigen Willie aus den Goonies denken ließ.
Mann, das wird ja immer besser.
»Ihr seid Amerikaner.« Er grinste zufrieden und zeigte ihnen seine schiefen gelben Zähne. Sie hätte ihr bestes Schweißgerät darauf gewettet, dass er noch nie eine Zahnbürste oder Zahnpasta von Nahem gesehen hatte. »Amerika zahlt viel Geld.«
Sie schnaubte, da sie einfach nicht anders konnte. Der kleine Mann hatte ja Wahnvorstellungen. »Vielleicht wisst ihr es ja noch nicht, aber die US-Regierung verhandelt nicht mit Terroristen.«
Der einäugige Willie warf den Kopf in den Nacken und lachte, sodass seine Rippen schrecklich durch die dünne Haut seines Oberkörpers hervortraten. »Wir sind keine Terroristen. Wir sind somalische Piraten.«
Wie auch immer.
»Das ist das Gleiche«, murmelte sie und sah die anderen Männer an, die wachsam, aber auch leicht abwesend wirkten, als würden sie kein Wort von dem verstehen, was gesagt wurde.
Okay, dann war Willie also der Einzige, der Englisch sprach. Sie war sich nicht sicher, ob das gut oder schlecht für sie war.
»Keine Terroristen!«, schrie er, sodass ihm der Speichel aus dem Mund flog. »Piraten!«
»Okay, okay«, versuchte sie ihn zu beruhigen, sprach jetzt mit sanfterer Stimme und gab sich Mühe, ihren Sarkasmus im Zaum zu halten. »Ihr seid Piraten, keine Terroristen. Ich hab’s verstanden. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass unsere Regierung euch nichts als eine schwere Bleivergiftung bescheren wird. Und unsere Familien haben keinen Cent, den sie euch geben können.«
»Oh, sie werden bezahlen«, meinte er grinsend, und sie bekam wieder seine urinfarbenen Zähne zu sehen. »Das tun sie immer.«
Was traurigerweise der Wahrheit entsprach. Irgendwer brachte das Geld immer auf, wenn das Leben eines Nahestehenden auf dem Spiel stand – meist, indem er alles verkaufte, was er besaß, und normalerweise sogar noch weitaus mehr.
»So«, sagte er und stellte sich neben sie, um sie von oben bis unten zu mustern, wobei ihr vor Ekel ein Schauder den Rücken hinunterlief, »dann fahren wir jetzt nach Somalia.«
Sie hätte geschworen, dass sie lieber ihre Zunge herunterschlucken würde, als diese nächsten Worte zu denken – schließlich hatte dieses blöde Arschloch sie die letzten dreieinhalb Jahre links liegen lassen, obwohl sie ein klein wenig in diesen Mann verliebt war … okay, sie liebte ihn –, aber letzten Endes war es Fakt: Jetzt brauchte sie Frank.
Denn es war das passiert, was er ihr schon immer vorausgesagt hatte: Sie saß gehörig in der Scheiße und konnte sich nicht mehr alleine daraus befreien.
Wie sie es hasste, diesem Mann recht zu geben.
Besprechungsraum an Bord des Navy-Zerstörers USS Patton
Sechs Tage später …
Manchmal hasste Frank es, recht zu behalten.
»Tja, Bill«, sagte er und ging zum gefühlt tausendsten Mal die Pläne durch, in denen beschrieben war, wie sie Becky und Eve retten wollten. Er würde nicht zulassen, dass bei dieser Operation irgendetwas schieflief, nicht, wenn Beckys Leben auf dem Spiel stand. »Offenbar hat es deine Schwester endlich geschafft, sich so richtig in die Scheiße zu manövrieren. Ich wusste schon immer, dass das eines Tages passieren würde.«
Bill saß am Konferenztisch und hatte seine Füße in den braunen Kampfstiefeln auf den Tisch gelegt, während er gelassen in Früchte des Zorns las, als befände sich seine kleine Schwester momentan nicht in der Hand somalischer Piraten.
Einfach unglaublich.
Aber so war Bill nun mal. Der Schweinehund war der Inbegriff der Gelassenheit, und zwar immer, selbst wenn er bis zum Hals in den Drähten eines Sprengsatzes steckte. Aus diesem Grund hatte Frank zwei Stunden, nachdem er beschlossen hatte, sich selbstständig zu machen, Bill vom Alpha-Platoon rekrutiert. Der befehlshabende Offizier von Alpha hatte ihm dieses kleine Manöver noch immer nicht verziehen, aber das war Frank völlig egal, schließlich war allseits bekannt, dass sich niemand besser mit Dingen auskannte, die in die Luft fliegen konnten, als Wild Bill Reichert. Und Frank wollte nur die besten Männer bei Black Knights Inc. haben – die Elite der Elite.
»Es ist ja nicht so, als hätte sie sich absichtlich in die Hände der somalischen Piraten begeben, Boss«, murmelte Bill, leckte einen Finger an und blätterte um.
»Es ist mir egal, ob sie das mit Absicht gemacht hat oder nicht.« Ihm wäre beinahe eine Schlagader geplatzt bei der Vorstellung von Becky in den gnadenlosen Händen dieser unbarmherzigen Halsabschneider. »Die Tatsache ist und bleibt dieselbe, und sie hätte es besser wissen müssen, als in diesen Teil der Welt zu reisen.«
»Die seychellischen Gewässer gelten als sicher. Bisher wurde noch kein Schiff so nah vor Assomption von Piraten angegriffen, daher können wir davon ausgehen, dass die Frauen dachten, sie wären in Sicherheit«, schaltete sich Jamin Agassi ein.
Frank sah den neuesten Mitarbeiter von Black Knights Inc. an, und zum ersten Mal lief ihm ein Schauder den Rücken hinunter. Wie konnte man jemandem trauen, der wusste, dass die Adjektivform von Seychellen seychellisch lautete?
Die Sache wurde auch dadurch nicht besser, dass Becky dem Mann den Spitznamen »Angel« verpasst hatte, weil er derart perfekte Gesichtszüge besaß, dass sie schon fast übernatürlich wirkten. Dass das Gesicht des Mannes derart perfekt wirkte, war natürlich vor allem auf die Operationen zurückzuführen, denen er sich unterzogen hatte, nachdem er vom israelischen Mossad übergelaufen war und bevor Onkel Sam beschlossen hatte, ihn bei Franks Black Knights zu verstecken.
So ein hübscher Junge.
Was Frank nur an all die anderen hübschen Jungen erinnerte, die für ihn arbeiteten. Die alle im Einsatz gewesen waren, als die Lösegeldforderung für Becky eintraf, sodass er nur mit Bill und dem SN (was die freundliche militärische Abkürzung für »Scheiß Neuer« war) zur USS Patton aufgebrochen war.
»Ja, die seychellischen Gewässer«, wiederholte er, wobei er das Wort unnötig betonte, »wurden bisher noch nie von Piraten heimgesucht, aber da Militärschiffe aus aller Welt inzwischen häufiger am Golf von Aden, diesem Nadelöhr, patrouillieren und die Schifffahrtsrouten sichern, kann sich jeder mit einem Funken Verstand in der Birne ausrechnen, dass die Piraten jetzt weiter südlich rund um das Horn von Afrika aktiv werden. Daher war es nur eine Frage der Zeit, bis die Gewässer rings um die Seychellen und Madagaskar von Piraten heimgesucht werden.«
Nur weil er die Adjektivform von Seychellen nicht gekannt hatte, war er noch lange kein völliger Idiot. Er wusste eine ganze Menge über so einiges, auch wenn sein Vokabular, das im Allgemeinen mit zahlreichen Schimpfwörtern durchsetzt war, etwas anderes vermuten ließ.
»Es ist wirklich nicht ihre Schuld, und das weißt du«, sagte Bill leise, ohne den Blick dabei von seinem Buch abzuwenden, und blätterte erneut um.
»Natürlich ist es ihre Schuld«, knurrte Frank, warf die Hände in die Luft und zuckte zusammen, als seine schmerzende Schulter bei der plötzlichen Bewegung protestierte. Mann, alt zu werden war echt … scheiße. »Sie hätte diesen dämlichen Urlaub auf der anderen Seite der Welt in möglicherweise von Piraten heimgesuchten Gewässern gar nicht erst machen sollen. Sand und Sonne findet man auch an einigen wunderschönen Stränden in Florida und Kalifornien, auf amerikanischem Boden«, betonte er, rollte dabei seine Schulter und griff in eine Tasche seiner Cargoshorts, um sein lieb gewonnenes Fläschchen mit Ibuprofentabletten hervorzuholen.
In letzter Zeit überstand er keinen Tag mehr ohne Schmerztabletten …
Verdammt.
So langsam hatte er das Gefühl, nur noch einen Schritt von Abführmitteln und Viagra entfernt zu sein, und das machte ihn erst richtig wütend.
»Damit habe ich nicht Becky gemeint«, erklärte Bill, »aber du weißt genauso gut wie ich, dass ihr ein Wochenende am Strand in Florida oder Kalifornien nicht geholfen hätte. Sie musste sehr weit weg, um den Kopf wieder freizubekommen.«
Oh Mann. Warum unterstützte denn niemand seine Entscheidung, Becky nicht als vollwertiges Mitglied ins Team aufzunehmen und zuzulassen, dass sie ihren Hals riskierte? Waren denn jetzt alle durchgedreht?
Offensichtlich. Denn bevor er davon erfahren und dem Ganzen einen Riegel vorgeschoben hatte, waren einige der Knights längst dabei gewesen, ihr – vermutlich nach heftigen Schmeicheleien ihrerseits – derart dubiose Fähigkeiten wie die eines Hackers, Scharfschützen, Sprengstoffexperten, FBI-Verhörspezialisten und weiß Gott was sonst noch alles beizubringen.
Becky sollte ihre Tarnung sein. Nichts weiter. Ende der Geschichte.
Für ihn war sie natürlich noch weitaus mehr geworden. Der Fluch seines Alltags und gleichzeitig die Fantasie, der er sich nie wirklich hingeben wollte und durfte.
»Als ich sagte, dass es eigentlich nicht ihre Schuld ist, habe ich die Piraten gemeint«, fuhr Bill fort.
Wie bitte?
Frank erstarrte, und seine Hand, mit der er sich gerade ein paar Schmerztabletten in den Mund werfen wollte, blieb mitten in der Luft hängen. »Was zum Teufel meinst du denn damit? Natürlich sind die Piraten schuld.«
»Ich sage ja nicht, dass sie nicht bestraft werden sollten, aber in Somalia gibt es seit zwanzig Jahren keine funktionierende Regierung mehr«, erklärte Bill, während er einen mit Schwielen bedeckten Finger als Lesezeichen verwendete. »Aus diesem Grund wurden ihre Fischfanggebiete von Fremden so gut wie leer gefischt. Und dann war da noch der Tsunami, der ihnen 2004 tonnenweise Giftmüll ans Ufer gespült hat.«
»Die rotzgrüne See«, murmelte Angel. »Die skrotumzusammenziehende See.«
Was zum Teufel?, dachte Frank.
Bill riss den Kopf mit erschrockenem Gesichtsausdruck herum. »Ulysses?«
Angel zuckte mit den Achseln. »Schien irgendwie zu passen.«
Okay, dann redeten sie also über ein Buch. Aber warum ausgerechnet jetzt?
»Verdammt noch mal!«, brüllte Frank mit ungläubiger Miene. »Könnten wir bitte wieder zur Sache kommen?«
»Ja«, stimmte ihm Angel zu. »Bill will damit nur sagen, dass die ersten Piraten aufgrund der Umweltverschmutzung, des Tsunamis und der Überfischung vor der somalischen Küste auftauchten, gewissermaßen als Form der Selbsterhaltung. Das waren einfache Leute, die ihre einzige ökonomische Ressource beschützt haben: das Meer.«
»Genau.« Bill nickte dem Ex-Mossad-Agenten zu.
»Na, das ist ja einfach großartig!« Frank warf sich die Tabletten, die er noch in der Hand hielt, in den Mund und schluckte sie hinunter, ohne etwas dazu zu trinken. »Von allen Knights, die gerade nichts zu tun hatten, musste ich ausgerechnet Platon und Aristoteles erwischen. Und ich schwöre bei Gott, wenn ihr weiter so mit euren Köpfen wackelt und einander zustimmt, dann verpasse ich euch das gleiche Outfit.«
Möglicherweise konnte er verstehen, wieso Angel die Sache auf die leichte Schulter nehmen konnte, aber Bill? Schließlich befand sich seine kleine Schwester in der Gewalt somalischer Piraten, und das schon seit fast einer Woche!
»Was nicht bedeuten soll, dass ich sie nicht zu gern in Allahs offene Arme sprengen würde, wenn sie meiner Schwester auch nur ein Härchen krümmen«, fügte Bill hinzu, während ein bedrohliches Grinsen seine Lippen umspielte.
Frank drehte sich zu Bill um und starrte ihn verblüfft an.
Viele Menschen hielten Frank für gefährlich, weil er so ein aufbrausendes Temperament hatte, aber wenn man hörte, wie ruhig Bill davon sprach, die Piraten umzubringen, wo er gerade ihre schwierige Situation gerechtfertigt hatte, lief einem wirklich ein Schauder über den Rücken.
Das war der gleiche Unterschied, als ob man eine scharfe Granate in der Hand hielt oder in Kandahar gegen einen Müllsack am Straßenrand trat. Dass die Granate hochging, ließ sich gar nicht verhindern, daher warf man sie so weit weg, wie man nur konnte. Der Müllsack sah hingegen völlig harmlos aus, bis er einen plötzlich in hundert blutige Einzelteile zerfetzte.
Tja, so war das. Frank war nur froh, dass der gute Billy Boy auf seiner Seite war.
»Und was ist mit dir?«, wandte er sich an Angel. »Hast du ein Problem damit, die armen somalischen Piraten zu töten, falls es dazu kommen sollte?«
Der geheimnisvolle Israeli zog eine seiner perfekten Augenbrauen hoch. »Nicht im Geringsten.«
Gut. Wenigstens konnte er sich auf sie verlass…
Die Tür des Besprechungsraums wurde geöffnet, und Commander John L. Patterson kam herein.
»Warum machst du ständig Notizen?«, wollte Eve wissen, als Becky ihr Notizbuch zuklappte und den Filzschreiber in die Spiralbindung schob.
»Weil …« Sie verrenkte sich den Hals, um sich zu vergewissern, dass der einäugige Willie sie nicht hören konnte. »Weil die Überwachungsdrohnen, die über uns hinwegfliegen, erstaunlich gute Kameras haben. Ich teile diesen Leuten mit, was hier los ist, und informiere sie, so gut ich kann. Ich möchte nicht, dass sich Billy und die anderen zu große Sorgen machen.«
Eve legte den Kopf in den Nacken und sah zum strahlend blauen, wolkenlosen Himmel hinauf, um Becky danach einen skeptischen Blick zuzuwerfen.
Bis zu diesem Morgen, an dem der einäugige Willie sie neben Eve gesetzt hatte, waren sie auf verschiedenen Seiten des Decks festgehalten worden. Das lag vermutlich daran, dass sie in den ersten sechs Stunden nach ihrer Gefangennahme nicht nur versucht hatten, den Motor der Serendipity zu sabotieren, sondern auch Rattengift in das Essen der Piraten gemischt hatten. Die Somalis waren zweifellos der Ansicht, dass es besser wäre, sie voneinander zu trennen, damit Becky Eves Hilfe nicht bei einem weiteren Fluchtplan in Anspruch nehmen konnte.
»Äh, ich … ich sehe keine Überwachungsdrohnen«, sagte Eve, während der Ausdruck auf ihrem müden Gesicht deutlich erkennbar machte, dass sie der Ansicht war, die Sonne des Indischen Ozeans hätte Beckys Gehirn jetzt völlig geröstet.
Becky konnte nur grinsen. Die arme Eve. Die letzten sechs Tage hätten jeden in Angst und Schrecken versetzt, aber für jemanden, der so beschützt und behütet aufgewachsen war wie Eve, musste es umso schrecklicher gewesen sein.
»Die ist schon lange weg«, erklärte sie ruhig und versuchte, ihrem Tonfall genug Überzeugungskraft zu verleihen, damit Eve wieder etwas Mut schöpfte. »Wenn ich es richtig einschätze, fliegt sie alle drei oder vier Stunden über uns hinweg und ist nur etwa sechs Sekunden lang zu sehen.«
Eve schluckte schwer und sah erneut zum Himmel hinauf. »Ich habe noch überhaupt nichts über uns hinwegfliegen sehen.«
»Du kannst sie auch erst sehen, wenn du weißt, wonach du Ausschau halten musst. Sie fliegen so hoch, dass man sie nur entdecken kann, wenn sich das Sonnenlicht auf ihrem Rumpf spiegelt, sodass sie wie ein kleiner Stern schimmern.«
»Aha«, murmelte Eve, stützte erneut ihr Kinn auf die angezogenen Knie und schlang die Arme um die Beine, als würde sie versuchen, sich so klein wie möglich zu machen. Als würde sie am liebsten völlig verschwinden …
Becky sah sie scharf an. »Glaubst du mir etwa nicht?«
»Doch, schon«, beruhigte sie Eve und legte ihr einen Arm um die Schulter.
»Du glaubst mir nicht«, stellte Becky fest, lachte ungläubig, schlug sich aufs Knie und stieß dabei Eves Arm herunter.
Es war eigentlich auch egal. Sie hatten beide seit fast einer Woche nicht mehr geduscht, was bedeutete, dass sie nicht gerade gut rochen. Was hätte sie für ein Stück Seife und ein Deo gegeben. Und wo sie schon mal dabei war, sich Dinge zu wünschen, die sie nicht bekommen konnte, hätte sie auch gern einen dicken Burger vom Bull and Bear-Restaurant mit einer doppelten Portion Zwiebelringe gehabt.
Außerdem konnte sie keinen Fisch mehr sehen und bezweifelte, dass sie je wieder welchen essen würde.
»Du musst zugeben, dass das ganz schön weit hergeholt ist«, meinte Eve. »Wenn da wirklich Überwachungsdrohnen wären, die uns fotografieren, dann wüsste der kleine Mann, der hier das Sagen hat, bestimmt davon und würde dir das Schreiben verbieten.«
»Sein Name ist Ghedi, und er kann nicht lesen«, erklärte Becky. »Ich habe ihm erzählt, ich würde mir Notizen für den Roman machen, den ich schreiben werde, sobald unsere Familien das Lösegeld gezahlt haben. Er ist sehr aufgeregt, dass er bald in einem amerikanischen Buch vorkommen wird. Ich habe ihm gesagt, ich würde seine Figur den einäugigen Willie nennen.« Sie wackelte mit den Augenbrauen und grinste breit.
Eve starrte sie fragend an, und Becky konnte über die Unwissenheit ihrer Freundin, was die Popkultur anbelangte, nur lachen. »Ghedi hat nicht die leiseste Ahnung, dass wir beobachtet werden. Der arme Kerl weiß vermutlich nicht mal, dass so eine Technologie überhaupt existiert.«
»Ah, na dann …« Eve beendete den Satz nicht, und Becky beschloss, dass es Zeit war, ihrer Freundin die Wahrheit zu sagen. Sie würde es ohnehin herausfinden, wenn die Jungs von Black Knights Inc. zu ihrer Rettung eilten. Und das würden sie tun, davon war sie felsenfest überzeugt.
»Was würdest du sagen, wenn ich dir verrate, dass die Mechaniker«, sie malte mit den Fingern Anführungszeichen in die Luft, »die in meiner Werkstatt arbeiten, mehr sind, als sie zu sein vorgeben?«
»Wie meinst du das?«
»Dass sie verdeckt für die Regierung arbeiten und vermutlich längst unterwegs sind, um uns zu retten.«
Eve blinzelte mehrmals schnell hintereinander und schüttelte den Kopf. »Willst du mir damit sagen, dass dein Bruder und all diese muskulösen, tätowierten, Lederklamotten tragenden Biker, die für dich arbeiten, in Wirklichkeit Spione sind?«
Becky zog eine Schulter hoch. »Manchmal.«
Eve holte tief Luft und schürzte die Lippen, um Becky dann eine Hand auf die Schulter zu legen. »Becky, ich denke wirklich, du solltest aus der Sonne gehen und …«
Das Geräusch eines Außenbordmotors ließ sie innehalten. Sie rappelten sich beide auf und liefen zur Reling.
»Oh, Gott sei Dank.« Eve unterdrückte ein Schluchzen, als sie in der Ferne ein Motorboot entdeckte. »Wir sind gerettet.«
»Ich habe gute und schlechte Neuigkeiten«, sagte Commander Patterson, als er den Besprechungsraum betrat.
»Dann wollen wir zuerst die schlechten hören«, knurrte Frank und sah in die seltsamen braungrauen Augen des Commanders auf der Suche nach … Er wusste selbst nicht, wonach. Möglicherweise einem Funken Ehre? Integrität? Etwas, das ihm sagte, dass Patterson ein Mann war, der ein Geheimnis für sich behalten konnte – schließlich kannte Patterson ebenso wie Captain Ernesto Garcia jetzt die Wahrheit über Frank, Bill und Angel.
Und das machte Frank ganz schön zu schaffen.
Allerdings beruhigte es ihn ein wenig, dass sie die einzigen beiden Menschen an Bord der USS Patton waren, die die Wahrheit kannten. Der Rest der Crew glaubte, Frank und seine Männer wären drei Spezialisten für Entführungen, die Eves stinkreiche Familie angeheuert hatte, um die sichere Rückkehr der beiden Frauen auszuhandeln.
»Laut der letzten Überwachungsfotos ist eine dritte Partei zu Ihren beiden Damen und ihren, äh, Begleitern gestoßen, und sie haben den Kurs geändert«, berichtete Patterson. »Sie halten direkt auf einen britischen Öltanker zu, die BP Hamilton. Offenbar ist der Antrieb der Hamilton vor zwei Tagen komplett ausgefallen. Seit vierundzwanzig Stunden ist auch der Funk defekt. Laut der Berichte hat sie noch Energie und die Generatoren arbeiten noch, aber das ist auch schon alles. Im Grunde genommen ist sie nur noch Treibholz. Und obwohl mehrere Militärschiffe dorthin unterwegs sind, sieht es ganz so aus, als ob die Ladys und die Piraten zuerst dort sein werden. Tatsächlich«, der Commander sah auf seine Armbanduhr, »könnten sie bereits dort sein, wenn man bedenkt, dass wir diese Berichte immer erst sehr spät erhalten.«
Na, super. Jetzt wurde Becky also nicht nur von Piraten festgehalten, sondern auch noch selbst zur Piraterie gezwungen.
Frank wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Da beides nicht angemessen zu sein schien, fragte er einfach: »Und die guten Nachrichten?«
»Aufgrund ihrer Kursänderungen können wir sie bereits in sechs Stunden erreichen.«
»Das ist doch wirklich mal was Erfreuliches.« Je eher sie Becky in Sicherheit brachten, desto eher konnte er ihr den starrköpfigen Hals umdrehen, weil sie ihn und die Knights in eine Lage gebracht hatte, in der sie ihre Tarnung aufgeben mussten, und desto eher konnte er ihr den Hintern versohlen, weil sie ihn durch diese emotionale Hölle schickte. Denn sie war nicht nur Bills kleine Schwester, sondern für sie alle fast so etwas wie eine Schwester … gut, mit Ausnahme von ihm. Wären seine Gefühle für sie nur brüderlich gewesen – das hätte die Sache sehr viel einfacher gemacht.
Wenn er dem Mädchen, äh, derFrau nur den Arm um die Schulter legen und ihr einen freundschaftlichen Knuff verpassen wollte, würde er vielleicht nicht den lieben langen Tag herumlaufen und sich wie ein geiler alter Sack fühlen. Dann hätte er vielleicht nicht ständig trotz seiner besten Absichten den Drang …
»Sechs Stunden«, murmelte Bill, sah auf seine Uhr und unterbrach Franks Gedanken. »Mitten am Nachmittag sollte man eine Rettungsmission nicht unbedingt durchführen.«
»Aus diesem Grund werden wir auch bis heute Abend warten«, beschloss Frank. »Den Katamaran hätten wir leicht ausschalten können, das wäre sogar am helllichten Tag kein Problem gewesen. Aber ein Tanker ist etwas ganz anderes. Wir brauchen nicht nur mehr Zeit zum Planen, wir müssen auch im Schutz der Dunkelheit vorgehen, um unsere Sicherheit und die der Geiseln nicht zu gefährden.«
»Also, das ist eine ziemlich merkwürdige Auffassung von Sicherheit, der bin ich bis jetzt noch nie begegnet«, meinte Bill.
»Per Anhalter durch die Galaxis?«, erkundigte sich Angel.
Bill zwinkerte, und die beiden Männer stießen ihre Fäuste gegeneinander.
»Mann«, knurrte Frank. »Ihr zwei raubt mir noch den letzten Nerv.«
Die beiden Männer drehten sich um und grinsten Frank an.
Patterson starrte sie alle drei an und schüttelte schließlich den kahl rasierten Kopf. Falls jemals ein neuer Darsteller für Meister Proper gesucht wurde, dann wäre er die perfekte Besetzung. »Ich bin ganz Ihrer Meinung, dass wir bis Anbruch der Nacht warten sollten, aber es gibt da eine Sache, die ich nicht ganz begreife.«
»Und die wäre?«, erkundigte sich Frank, der versuchte, das Grinsen zu unterdrücken, das seine Mundwinkel bereits nach oben zog, als er sich den überzeugten Offizier mit einem kleinen goldenen Ohrring vorstellte, wie er den ihn anhimmelnden Hausfrauen auf der ganzen Welt zuzwinkerte.
»Warum sollten Piraten mit ein paar Ruderbooten und einem Katamaran einen treibenden Tanker angreifen? Sie können das Ding doch unmöglich in den nächsten Hafen schleppen, warum riskieren sie also ihr Leben und das Lösegeld, das sie für Miss Edens und Miss Reichert erwarten?«
»Bill«, meinte Frank und nickte ihm zu, »möchtest du darauf antworten?«
»Sie hoffen, dass Becky ihn wieder in Ordnung bringen kann«, erklärte Bill mit ausdrucksloser Miene.
»Sie hoffen, dass sie was?«, fragte Commander Patterson. »Dass sie den Antrieb des Schiffes reparieren kann?«
»Genau.« Frank grinste und genoss den ungläubigen Blick des Commanders. »So ist es. Und wenn sie das schafft, haben sie einen richtig dicken Fisch am Haken. Da der Tanker zur BP-Flotte gehört, ist er vermutlich ziemlich groß. Wahrscheinlich hat er eine Ladung Rohöl an Bord, die, wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht, normalerweise etwa einhundert Millionen Dollar wert sein müsste. Selbst wenn BP auch nur bereit ist, drei Prozent davon zu bezahlen, ist das für die Piraten noch immer ein Hauptgewinn.«
»Drei Prozent?«, schaltete sich Angel mit seiner kratzigen Stimme ein, die er einer guten, altmodischen Stimmbandabschabung verdankte, die auch dafür gesorgt hatte, dass ihn keine Stimmerkennungssoftware mehr zuordnen konnte. »Nach diesem Katastrofuck im Golf von Mexiko werden sie weitaus mehr bezahlen. Die wollen auf gar keinen Fall noch einen Skandal riskieren.«
Katastrofuck?
Frank, der sich selbst gern kreative Flüche ausdachte, mochte diese Kombination. Vielleicht würde die Zusammenarbeit mit Angel Agassi ja doch gar nicht so schlimm werden …
»Halten Sie das für möglich?«, wollte Patterson wissen. »Kann sie den Motor wieder zum Laufen bringen? Die Schiffsingenieure arbeiten seit Tagen an diesem Problem, und es ist ihnen bisher nicht gelungen.«
Frank zuckte mit den Achseln. »Bei Rebecca Reichert ist alles möglich. Ich habe in meinem ganzen Leben noch keinen Mechaniker gesehen, der derart intuitiv zu Werke geht. Wenn es einen Weg gibt, diesen Motor wieder zu reparieren, dann wird Becky ihn finden.«
»Wenn ich mir Ihren Gesichtsausdruck ansehe, dann haben Sie die Fernsehberichte über Becky gesehen, Commander Patterson«, meinte Bill grinsend.
Ja, dummerweise waren die Fernsehsender beinahe durchgedreht, als sie erfahren hatte, dass zwei amerikanische Frauen von Piraten entführt worden waren. Frank hasste den Medienrummel sowieso, und als die Journalisten bei seinen Männern und ihm herumgeschnüffelt hatten, musste er sich sehr zusammenreißen, damit er nicht die Nerven verlor und anfing, Leute zu verprügeln. Das war noch etwas, wofür er Becky bestrafen würde, sobald er sie wieder in die Finger bekam …
Oh Gott, daran wollte er jetzt nicht denken. Die Vorstellung, wie er sie übers Knie legte und ihren süßen nackten Hintern versohlte, bis er ganz rosig wurde, war so … erotisch. Er hatte zuvor nie auf SM gestanden, nie das Bedürfnis verspürt, eine Frau zu fesseln oder ihr spielerisch den Hintern zu verhauen, aber Becky war einfach so … so … unabhängig und … und verdammt … streitlustig, dass sie den Höhlenmenschen in ihm zum Vorschein brachte. Nichts hätte er lieber getan, als seine Plastikfesseln hervorzuholen, ihre Hand- und Fußknöchel an seine Bettpfosten zu binden und ihr ein für alle Mal seine Dominanz zu beweisen. Das war seltsam, verstörend und verdammt falsch.
Aber so war es nun mal. Außerdem fasste es seine Gefühle für sie perfekt zusammen. Seltsam, verstörend und falsch. Trotzdem schien seine Hose schon allein bei dem Gedanken, sie in seiner Gewalt zu haben, enger zu werden.
Er warf einen Blick zu Patterson und Bill und hoffte, der Anblick ihrer männlichen Gesichter würde wie eine visuelle kalte Dusche wirken, die er dringend brauchte, um die heißen Bilder wieder aus seinem Kopf zu bekommen, die sein Gehirn sowie andere Teile seiner Anatomie erhitzten. Dies war die denkbar schlechteste Zeit für einen Ständer …«
»Lassen Sie sich von ihrem Aussehen nicht täuschen«, fuhr Bill fort. »Becky ist eine Zauberin, wenn es um den Umgang mit einem Schweißgerät geht.«
»Aber woher sollten die Piraten das wissen?«, fragte der Commander. Sein verwirrter Ausdruck spiegelte nur zu deutlich wider, dass er größte Schwierigkeiten hatte, das Bild der hübschen blonden Frau, das er aus dem Fernsehen kannte, mit dem Wesen in Einklang zu bringen, das ihm gerade beschrieben wurde.
Gewöhn dich dran, Mann.
Wenn es um Becky ging, war der gute alte Spruch »Was draufsteht, ist auch drin« absolut untauglich. Die Frau war wie ein Kaleidoskop. Sie schien sich ständig zu verändern, nie dieselbe zu sein und einen ständig mit ihrem Scharfsinn zu überraschen.
»Sie wissen, dass sie eine hervorragende Mechanikerin ist, weil die Piraterie ein großes, profitables und sehr technisches Geschäft ist«, erklärte Frank. »Diese unterernährten Typen, die man im Fernsehen sieht, sind nur Handlanger, die entbehrlichen Männer. Sie werden angeheuert, um die Drecksarbeit zu machen. Hinter ihnen steckt jedoch eine sehr intelligente, gut organisierte und sehr gut getarnte Gruppe, die ebenso gut und schnell an Informationen rankommt wie Sie und ich. Ich bin mir sicher, dass derjenige, der da das Sagen hat, zehn Minuten, nachdem man Beckys und Eves Pässe gefunden hatte, alles über diese Frauen wusste, sogar ihre Sozialversicherungsnummern und Körbchengrößen.«
Die in Beckys Fall 75B war.
Und nein, er hatte nicht in der Unterwäscheschublade des Mädchens … verdammt! … der Frau herumgewühlt. Er hatte nur seine Wäsche in eine der beiden Waschmaschinen im Gebäude der Black Knights gesteckt, als ihm ein sehr verlockender rosafarbener durchsichtiger Spitzen-BH in die Hände gefallen war, der sich in der Trommel verhakt hatte. Ganz zufällig hatte er das Schild gesehen, als er den BH herausgeholt hatte, und ja, er musste zugeben, dass er für eine Sekunde überlegt hatte, ob er ihn einfach in seine Jeanstasche stecken und als eine Art perverses Souvenir behalten sollte. Zum Glück hatte sein gesunder Menschenverstand rasch wieder eingesetzt und er hatte ihn stattdessen über den Knauf eines Hängeschranks gehängt.
Aber es war schon verstörend genug, dass er überhaupt darüber nachgedacht hatte, ihn einzustecken.
»Großer Gott«, hauchte Patterson, »das ist höchst beunruhigend.«
Hey, Moment mal. Was?
Frank sah sich um und hatte schon Angst, laut gedacht zu haben, aber nein, keiner sah ihn an, als würde er ihn für einen Perversen halten. Worüber hatten sie doch gleich gerade gesprochen? Ach ja, die unglaublich besorgniserregende Fähigkeit der Piraten, an Informationen heranzukommen.
»Das kann man wohl sagen«, stimmte er ihm zu und versuchte, die Erinnerung an die rosafarbene Spitze zu verdrängen, als er die Last der prekären Lage, in der Becky momentan schwebte, erneut auf seinen Schultern spürte. Diese Last konnte ihn zerquetschen, wenn er nicht aufpasste. Und der Gedanke, sie zu verlieren … Er erschauderte. »Ich schätze, dass Sie die Baupläne des Tankers bereits vorliegen haben.« Er deutete auf die lange Plastikröhre, die Patterson in der Hand hielt.
»So ist es.« Commander Patterson reichte ihm die Dokumente.
»Konnten Sie auf den letzten Bildern der Drohne noch irgendetwas erkennen?«, fragte er, während er die Plastikröhre öffnete und die Pläne auf dem Tisch ausbreitete.
Als der Commander nicht sofort reagierte, blickte er wieder auf. Der Mann schien auf der Innenseite seiner Wange herumzukauen, um ein Grinsen zu unterdrücken.
»Was ist?«, knurrte Frank. »Was hat sie diesmal wieder geschrieben?«
Der Commander hob die Faust vor den Mund und räusperte sich demonstrativ. »Die Bilder zeigen klar und deutlich, dass sie geschrieben hat: ›Würdet ihr Jungs euch gefälligst beeilen?‹«
»Tja, dann wissen wir jetzt wenigstens, dass dieses Erlebnis ihrem Selbstbewusstsein nichts anhaben konnte.« Bill kicherte.
Ja, so war Becky. Zwei Tonnen unvorhersehbares TNT, verpackt in ein kleines Päckchen … Und die heftige Erleichterung, die ihn beim Klang dieser Worte, die so typisch für Becky waren, durchflutete, ließ ihn beinahe zusammenbrechen.
Dieses Mädchen, dachte er und holte tief Luft, bevor er seine Männer heranwinkte. »Okay, meine Herren, offenbar müssen wir uns jetzt mit einem Tanker beschäftigen.«
Pirat war keine Position, die Becky je in ihren Lebenslauf hatte schreiben wollen, aber wie üblich war ihr Leben mal wieder eine Wundertüte voller Überraschungen.
Der Mann, der an Bord gekommen war, hatte sich nicht als ihr Retter entpuppt, wie Eve törichterweise gehofft hatte. Oh nein. Er war zwar größer und älter als die anderen Piraten, sehr gut gekleidet, hatte ein gepflegtes Äußeres und sprach hervorragendes Englisch mit dieser leicht überheblichen Note, die der britische Akzent mit sich brachte, aber er war dennoch ein Pirat. Er stellte sich ihnen als Sharif, der Dolmetscher – ohne Nachnamen – vor.
»Ich habe für die Vereinten Nationen gearbeitet«, erklärte er ihnen, kurz nachdem er an Bord gekommen war, »bevor ich in diese Branche gewechselt bin. Jetzt bin ich Dolmetscher.«
»Was für eine Branche?«, schnaubte Becky abschätzig, verschränkte die Arme vor der Brust und beäugte seine frisch gewaschene Kleidung mit einer Mischung aus Neid und Abscheu. »Soweit ich informiert bin, wird die Piraterie international noch immer als Verbrechen und nicht als Branche angesehen. In diesem Fall sind Sie daher kein Dolmetscher, sondern bestenfalls ein Erpresser.«
Sharif lachte nur tief und dunkel. Kultiviert beschrieb es vermutlich am besten. Bei dem Geräusch fing Beckys Haut an zu kribbeln. »Ich arbeite als Dolmetscher für neun Gangs, die unabhängig voneinander für denselben Boss tätig sind. Das klingt für mich schon nach einer Branche. Noch dazu einer ziemlich lukrativen.«
»Wie Sie meinen.« Sie verdrehte die Augen und legte Eve beruhigend eine Hand auf die Schulter. Als sie begriffen hatte, dass Sharif nicht gekommen war, um sie zu retten, war ihre arme Freundin in sich zusammengesackt wie ein Luftballon, aus dem man die Luft herausgelassen hatte.
»Es ist mir völlig egal, was Sie über mich denken, Miss Reichert«, erwiderte Sharif, wobei er das »t« am Ende ihres Namens verschluckte. »Alles, was mich interessiert, ist, dass Sie Motoren reparieren können.«
»Na und?«
»Daher werden wir Ihre Reise nach Somalia verschieben«, verkündete er, und sie schöpfte augenblicklich neue Hoffnung und sah optimistischer in die Zukunft. Die Knights, die größtenteils Ex-Navy-SEALs waren, konnten gerade auf dem Meer wahre Wunder bewirken. Je länger sie dem Festland fernblieb, desto leichter wäre es für ihre Jungs, eine Rettungsmission zu starten.