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Neues von den Black Knights Inc.! Der Ex-Navy SEAL Rock Babineaux ist ein Südstaatler wie aus dem Buche: Heiß, sexy und mehr als nur ein bisschen verrucht. Aber Rock ist unschuldig zum Ziel einer gewaltigen Verbrecherjagd geworden - und die einzige Chance, sein Team, die Black Knights Inc., zu beschützen, ist die Flucht. Vor allem seine Partnerin Vanessa Cordero will er unbedingt aus dieser Sache heraushalten. Doch Rock hat nicht mit Vanessas Sturheit gerechnet: Sie weigert sich entschieden, ihn in dieser brenzligen Situation allein zu lassen. Die beiden müssen nun gegen alle Widerstände kämpfen ohne sich von der Leidenschaft, die in ihnen beiden lodert, ablenken zu lassen ... (ca. 390 Seiten) Rasante Action und heiße Sinnlichkeit - Romantic Thrill vom Feinsten!
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Seitenzahl: 486
Titel
Zu diesem Buch
Widmung
Zitat
Prolog
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Dank
Die Autorin
Julie Ann Walker bei LYX
Impressum
JULIE ANN WALKER
Roman
Ins Deutsche übertragen
von Kerstin Fricke
Zu diesem Buch
Neues von den Black Knights Inc.!
Der Ex-Navy-SEAL Rock Babineaux ist ein Südstaatler wie aus dem Buche: Heiß, sexy und mehr als nur ein bisschen verrucht. Aber Rock ist unschuldig zum Ziel einer gewaltigen Verbrecherjagd geworden – und die einzige Chance, sein Team, die Black Knights Inc., zu beschützen, ist die Flucht. Vor allem seine Partnerin Vanessa Cordero will er unbedingt aus dieser Sache heraushalten. Doch Rock hat nicht mit Vanessas Sturheit gerechnet: Sie weigert sich entschieden, ihn in dieser brenzligen Situation alleinzulassen. Die beiden müssen nun gegen alle Widerstände kämpfen, ohne sich von der Leidenschaft, die in ihnen beiden lodert, ablenken zu lassen.
Rasante Action und heiße Sinnlichkeit – Romantic Thrill vom Feinsten!
Für meinen Vater, den Mann, der mich Ehre, Loyalität, Integrität und Durchhaltevermögen gelehrt hat. Danke, Dad, dass du mir immer ein gutes Vorbild gewesen bist.
Wage, und die Welt gibt immer nach; wenn sie manchmal trotzdem zurückschlägt, wage es aufs Neue, und du wirst sehen, sie ordnet sich unter.
William Makepeace Thackeray
Prolog
Hauptquartier der Black Knights Inc.
Goose Island, Chicago, Illinois
»Es heißt, er wäre ausgetickt.«
Der Satz schien wie ein schlechter Geruch in der Luft zu hängen. Alle, die an dem großen Konferenztisch saßen, rutschten unruhig auf den Stühlen herum, und auf ihren Gesichtern spiegelte sich jedes Gefühl von Fassungslosigkeit bis hin zu trotzigem Leugnen.
Vanessa Cordero gehörte zur letzteren Gruppe. Nein, das würde er nicht tun. Nicht Rock.
»Wer behauptet das?«, fragte Ozzie. Sein zerzaustes blondes Haar und sein Star-Trek-T-Shirt, auf dem stand »I beat the Kobayashi Maru«, spiegelten seine Position als ausgemachter Geek ebenso wider wie die drei winzigen Laptops, die aufgeklappt vor ihm standen.
»Die offizielle Meldung kam über das Verteidigungsministerium«, antwortete Boss, der sich einen Stuhl heranzog und sich darauffallen ließ. Frank »Boss« Knight, ihr geschätzter Chef, besaß den Körperbau eines Kampfpanzers. Im Moment sah er allerdings eher aus wie Atlas, auf dessen breiten Schultern das Gewicht der ganzen Welt lastete.
»Vom Verteidigungsministerium?« Ozzie schnaubte, und Vanessa beobachtete, wie er sein jugendliches Gesicht skeptisch verzog. »Ja, dann ist ja alles sonnenklar, oder?« Das Verteidigungsministerium war für alle Facetten der Aufklärungs- und Verteidigungsmaßnahmen von der NSA bis hinunter zu einzelnen Abteilungen des Militärs verantwortlich. Daher war diese Aussage bestenfalls mehrdeutig, wenn nicht sogar kryptisch.
Boss mahlte mit dem Unterkiefer. Er schien zu zögern, bevor er schließlich den akkordeonartigen Ordner aufschlug, den er sich unter den Arm geklemmt hatte. Nachdem er einen Stapel Papier herausgeholt hatte, warf er diesen in die Tischmitte. »Verteilen«, befahl er.
Vanessa hatte schon fast Angst, sich eines der Papierbündel zu nehmen. Sie fürchtete sich vor dem, was die Informationen enthüllen könnten.
Nein. Er würde das nicht tun. Nicht Rock.
Nicht der Mann, der mit ihr gelacht und sie geduldig gelehrt hatte, die perfekte Mehlschwitze für einen Topf Gumbo zuzubereiten, auch wenn sie bei den ersten drei Versuchen Mist gebaut und alles hatte anbrennen lassen. Nicht der Mann, der ihr in aller Seelenruhe das Motorradfahren beigebracht hatte, obwohl ihr die Maschine immer wieder zur Seite wegrutschte. Nicht der Mann, der sie in die Arme genommen und gute drei Kilometer zurück zum Hauptquartier der Black Knights Inc. getragen hatte, nachdem sie sich beim Jogging den Knöchel verstaucht hatte.
Nicht Rock …
Von unten war das Jaulen eines elektrischen Schraubenziehers zu hören, und Boss stand von seinem Stuhl auf und stampfte zum Geländer. Das Kommandozentrum befand sich in der ersten Etage einer alten, zweistöckigen Zigarettenfabrik, und von dort aus konnte man auf die Motorradwerkstatt im Erdgeschoss, die auch die Tarnung dieses verdeckt für die Regierung arbeitenden Unternehmens darstellte, hinabsehen. Wie Ozzie gern witzelte, waren sie tagsüber Motorradschrauber und nachts die letzte Rettung von Uncle Sam.
Und jetzt hatte man einen von ihnen beschuldigt, durchgeknallt zu sein.
Vor lauter Angst lief Vanessa ein Schauder den Rücken herunter. Ein solcher Agent wurde noch schlimmer angesehen als ein Verräter. Und die Haltung der Regierung gegenüber Verrätern kannte man ja.
Sie wurden schlicht und einfach zum Tode verurteilt.
Verdammte Scheiße. Was für ein Albtraum.
»Becky!«, schrie Boss, während die Blätter, die er auf den Tisch geworfen hatte, innerhalb der Gruppe verteilt wurden. Wie üblich zuckte Vanessa zusammen, als sein donnernder Bass durch den Raum hallte. »Schwing deinen Hintern hier rauf! Wir haben ein Problem!«
Ein Problem? So nannte er das, wenn jeder Agent im Dienst der guten alten Vereinigten Staaten ab sofort hinter einem der ihren her sein würde? Wenn ja, dann wollte sie lieber nicht wissen, was er als Katastrophe bezeichnete.
Der elektrische Schraubenzieher wurde ausgeschaltet, und Sekunden später waren Beckys Arbeitsstiefel auf der Metalltreppe zu hören. Das hohle Geräusch schallte durch das ganze Gebäude und schien in Vanessas zugeschnürter Brust zu vibrieren. Und ja, die Tatsache, dass sich der Raum langsam zu neigen schien, hatte etwas damit zu tun, dass sie die Luft angehalten hatte, seitdem Boss die Bombe hatte fallen lassen. Sie kniff die Augen zusammen und zwang sich, den dringend notwendigen Atemzug zu machen. Als sie hörte, wie Becky im ersten Stock ankam, öffnete sie vorsichtig ein Augenlid und stellte fest, dass der blonde Pferdeschwanz der Frau mit Metallsplittern übersät war. Diese waren gewissermaßen ein funkelndes Accessoire und ergänzten die Fettflecken auf ihrem T-Shirt.
Becky Reichert war der Grund dafür, dass ihre Tarnung so gut funktionierte. Die meisten der Agenten konnten zwar ganz gut mit einem Schraubenschlüssel umgehen, aber sie war das Genie, das die umwerfenden Motorräder entwickelte und somit dafür verantwortlich war, dass die Öffentlichkeit sie tatsächlich für eine der weltbesten Motorradwerkstätten hielt, als sie sich auch ausgab.
»Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du brüllst wie ein verwundeter Bulle?«, verlangte Becky zu erfahren. Sie stemmte die Hände in die Hüften und hatte wie immer einen Lolli im Mund, als sie Boss wütend anstarrte. Vanessa hätte ihr in dieser Hinsicht voll und ganz zugestimmt.
»Bisher nur du, Süße.« Boss zog Becky den knallroten Lolli aus dem Mund, beugte sich vor und gab ihr einen schnellen Kuss.
Als er sich wieder aufrichtete, sah Becky seine angespannten Gesichtszüge, die ihr sagten, dass er am liebsten etwas schlagen würde, und das schalkhafte Funkeln in ihren Augen verflüchtigte sich. »Was ist los, Frank?«, flüsterte sie erschrocken. »Was ist passiert?«
»General Fuller hat eben angerufen und mich darüber informiert, dass Rock offiziell als abtrünniger Agent angesehen wird.«
»Was für ein Blödsinn!«, rief Becky und nahm Boss den Lolli wieder ab. Sie biss heftig darauf herum und ließ ihren Schock und ihre Fassungslosigkeit an der unschuldigen Süßigkeit aus.
»So ist es aber«, beharrte Boss und zog seiner Verlobten einen Stuhl heran. »Und wir müssen der Sache auf den Grund gehen.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob uns gefallen wird, was wir finden werden«, sagte Mac mit seinem texanischen Akzent, kniff die veilchenblauen Augen zusammen und runzelte die Stirn, während er in dem Stapel Papier in seiner Hand herumblätterte. »Diese Beweise könnten ziemlich eindeutig sein.«
Der Kaffee in Vanessas Bauch – der ihr ohnehin nicht gerade gut bekommen war, da die meisten Knights dieses Getränk eher sirupartig bevorzugten – brannte wie Batteriesäure. Wenn einer von ihnen etwas über belastende Beweise wusste, dann war das Bryan »Mac« McMillan, der einstige FBI-Staragent.
Widerstrebend wandte sie den Blick von Macs besorgter Miene ab, sah auf den dünnen Papierstapel in ihrer Hand herab und musterte die vielen briefmarkengroßen Fotos, neben denen ein kurzer Infotext stand. »Die alle?«, krächzte sie und starrte Boss ungläubig an. »Die soll er alle umgebracht haben?«
»Ja.« Boss nickte.
»Aber bei den meisten sieht es eher so aus, als wäre es ein Unfall gewesen. Ein Herzinfarkt, ein Autounfall, einer ist ertrunken … Warum wollen sie das alles Rock anhängen?«
»Es hat wohl einen Tipp gegeben, dass unter Rocks Namen ein Postfach eröffnet wurde, und darin war ein Haufen Akten über diese Leute«, erklärte Boss.
»Und es gibt unzählige Methoden, mit denen man einen Mord wie einen Unfall aussehen lassen kann«, fügte Ozzie hinzu.
»Das ist doch eine interessante Verbindung«, erkannte Mac und presste die Lippen aufeinander. »Jeder dieser Männer wurde irgendwann entführt, aber es gab nie eine Lösegeldforderung. Irgendwann sind sie alle einfach wieder aufgetaucht und haben ihr Leben fortgesetzt. Die Behörden konnten nie herausfinden, was eigentlich genau passiert war.«
»Genau«, meinte Boss. »Das ist mir auch aufgefallen. Und da es der einzige Hinweis ist, den wir haben, habe ich Ozzie gebeten, die Daten dieser Entführungen mit den Zeiten zu vergleichen, an denen Rock definitiv nicht hier gewesen ist.«
»Aber warum sollte er das tun?« Vanessa begriff, was sie da gesagt hatte, und formulierte die Frage anders. »Ich meine, warum behaupten die, dass er das getan hätte? Diese Männer zu töten – welchen Grund sollte er dafür gehabt haben?«
»Geld?«, mutmaßte Ozzie und starrte stirnrunzelnd auf seine Bildschirme. »Hier steht, diese Männer seien alle sehr wohlhabend gewesen. Wenn Rock sie tatsächlich ausgeschaltet hat, hätten einige Leute davon profitieren können. Ihr wisst schon, Familienmitglieder, rivalisierende Unternehmen …«
»Nie im Leben.« Vanessa wackelte mit dem Kopf hin und her und war jetzt erst recht davon überzeugt, dass das alles nichts als ein Haufen Blödsinn sein konnte. »Ihr wisst doch selbst, wie er immer rumläuft. Glaubt ihr etwa, er würde uralte Jeans, löchrige T-Shirts und abgeschabte Krokodillederstiefel tragen, wenn er einen Haufen Geld hätte?« Sie deutete mit einem Finger auf die Papiere und stellte angewidert fest, dass ihr Finger zitterte. Rasch ballte sie die Hand zur Faust und verbarg sie in ihrem Schoß. Ihre oberste Regel für die Arbeit bei den Black Knights lautete: Zeig keine Furcht. Schließlich waren die Knights alle knallharte, unschlagbare Agenten, die selbst im Angesicht des Todes nicht einmal mit der Wimper zuckten, und da wollte sie ganz bestimmt nicht als das schwächste Glied gelten. »Wenn du mir erzählen würdest, dass sie Christian verdächtigen«, fuhr sie ausweichend fort, »dann hätte ich dir vielleicht geglaubt. Nichts für ungut, Christian.« Sie sah den ehemaligen SAS-Officer entschuldigend an, der wie immer eine Designerjeans und einen Kaschmirpullover trug. Die beiden Kleidungsstücke hatten vermutlich mehr gekostet, als die meisten Menschen an Monatsraten für ihr Auto zahlten.
»Kein Problem, meine Liebe«, erwiderte Christian mit seinem glatten britischen Akzent, der ihre aufgewühlten Nerven ein wenig besänftigte. »Zufälligerweise bin ich ganz deiner Meinung. Hätte sich Rock aufgrund von Anschlägen auf diese Männer tatsächlich derart bereichert, warum sollte er sich dann immer noch mit uns abgeben? Warum liegt er nicht schon längst irgendwo am Strand, genießt die Sonne und bestellt bei einer Schönheit im Bikini seine Drinks?«
Vanessa sah sich die Gesichter der Menschen am Tisch an, die sie inzwischen liebte, als gehörten sie zu ihrer Familie. Ihre Mienen spendeten ihr ein wenig Trost. Es war offensichtlich, dass alle ebenso verwirrt und verängstigt waren wie sie, was bewirkte, dass sich der Kaffee mit ihrer Magensäure langsam einen Weg ihre Kehle hinauf bahnte.
Die Black Knights sollten aber nicht verängstigt sein. Sie waren doch knallharte, unschlagbare Agenten, die selbst im Angesicht des Todes nicht mit der Wimper zuckten, nicht wahr?
Sie schluckte schwer und sprach schnell weiter. Die Stille war ohrenbetäubend und vernichtend. Sie konnte sie einfach nicht ertragen. »Eine Sache steht jedenfalls fest.« Sie griff nach dem ersten Strohhalm, der ihr in den Sinn kam. »Er hat nicht allein gearbeitet.«
»Die Telefongespräche.« Ozzie hörte auf zu tippen. »Er hat ständig so seltsame Anrufe bekommen und musste kurz darauf verschwinden. Das kann nur bedeuten, dass er bei der ganzen Sache einen Komplizen gehabt hat.«
»Einen Komplizen? Augenblick mal«, warf Becky ein, zog sich einen neuen Lolli, diesmal ein lilafarbenen, aus dem Mund und deutete damit auf Ozzie. »Bei dir klingt das ja fast so, als wäre er schuldig.«
»Das habe ich überhaupt nicht gesagt.« Ozzie hielt abwehrend die Hände in die Luft. »Ich weise nur darauf hin, dass er nie etwas über seinen anderen Job erzählt hat, dass er immer wieder zu sehr seltsamen Zeiten verschwunden ist, dass er auf jeden Fall mit jemandem zusammengearbeitet hat und –« Er wurde kreidebleich. Vanessas Magen zog sich zusammen.
Ozzie drehte seinen Computer herum. Auf dem Bildschirm waren zwei Spalten zu erkennen. In der ersten wurden die Daten der Entführungen aufgeführt, in der zweiten hingegen die Zeiträume, in denen Rock wie vom Erdboden verschwunden gewesen war.
Die beiden Spalten passten perfekt zusammen.
Boss stieß einige Flüche aus, die jedem Seemann zur Ehre gereicht hätten. »Okay, dann gibt es anscheinend eine Verbindung zwischen diesen Männern und Rocks anderem Job.«
Dabei hatten sie alle bisher immer geglaubt, er würde diesen anderen Job für irgendeine undurchsichtige Regierungsorganisation ausführen. Doch nach diesen neuesten Enthüllungen schien der Job nicht das Geringste mit der Regierung zu tun zu haben.
Heilige Scheiße! Vanessa war kurz davor, in Ohnmacht zu fallen. Der Raum drehte sich nicht länger, er schien vielmehr um sie herum zu rasen, als würde sie in einem Karussell sitzen. Sie legte die Stirn auf die Tischplatte und versuchte, ruhig und langsam zu atmen, während kleine Sterne auf der Innenseite ihrer Augenlider tanzten – so viel zur Fassade der knallharten Agentin.
Ist das möglich? Konnte er das wirklich getan haben? Allein bei diesem Gedanken pochte es in ihren Schläfen in demselben Rhythmus, in dem ihr Herz raste.
»Was ist?«, hörte sie Becky fragen, der man die Verwirrung deutlich anhörte. »Warum macht ihr alle ein Gesicht, als hättet ihr einen Geist gesehen?«
»Es ist unserer Regierung nicht gestattet, ihre Bürger umzubringen«, antwortete Boss, dessen Stimme so rau klang, als würde er seine Stimmbänder mit Stahlwolle putzen. »Und jeder einzelne dieser Männer war Amerikaner, ist hier geboren und aufgewachsen.«
Erneut legte sich eine angespannte Stille über die Gruppe, und Vanessa hob ihren tonnenschweren Kopf wieder vom Tisch. »Das kann doch nicht wahr sein! Sitzen wir wirklich hier und ziehen in Betracht, dass er schuldig ist? Rock Babineaux? Der Ex-Navy-SEAL? Das Gründungsmitglied der Black Knights? Der erbitterte Südstaatler, der patriotischer ist als wir alle zusammen?«
Rock Babineaux, der Mann, der witzig, mutig und trotz seines testosteronlastigen Berufs und seiner Ausbildung erstaunlich zurückhaltend und bescheiden war? Rock Babineaux, der Mann, bei dem sie ihren Grundsatz, niemals etwas mit einem anderen Agenten anzufangen, am liebsten in den Wind geschossen hätte?
Sie starrte Boss flehentlich an. Bitte führ uns nicht auf diesen Weg. Du musst doch wissen, dass Rock so etwas niemals getan hätte.
Boss’ Adamsapfel hüpfte, und Vanessa hielt einen Moment lang den Atem an. Dann seufzte sie zittrig, als er entschlossen den Kopf schüttelte. »Nein, natürlich nicht. Wenn alles so eindeutig und offensichtlich aussieht, wie in diesem Bericht«, er deutete mit einem vernarbten Finger auf das fragliche Dokument, »dann stimmt hier meiner Erfahrung nach irgendwas ganz und gar nicht. Nichts auf der Welt ist dermaßen schwarz und weiß.«
Sie klammerte sich an die Sicherheit, die sie in seiner Stimme hörte, denn ja, eine Sekunde lang hatte sie tatsächlich selbst Zweifel bekommen.
»Da bin ich ganz deiner Meinung, Boss«, sagte Ozzie und klappte seine Laptops zu, damit er seine Unterarme auf den Konferenztisch stützen und sich vorbeugen konnte. »Es gibt da noch eine andere Sache, die ich nicht begreife: Wenn Rocks zweiter Job nicht von der Regierung sanktioniert war und niemand aus der Regierung abgesehen von El Jefe und seinen Stabschefs überhaupt weiß, was wir wirklich tun« – die Black Knights waren seit mehr als vier Jahren nur dem Präsidenten und seinen Stabschefs Rede und Antwort schuldig, und ihr direkter Vorgesetzter General Pete Fuller war der Leiter aller Stabschefs – »wie in aller Welt kann das Verteidigungsministerium ihn dann als abtrünnigen Agenten führen? Ihres Wissens nach ist er doch nur ein Ex-Navy-SEAL, der jetzt als Motorradschrauber arbeitet. Wie passt das zusammen?«
Boss stieß leise flüsternd einen Fluch aus, der die Herkunft aller Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums beleidigte. Und, oh, oh, sein mordslustiger Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel daran, dass noch mehr schlechte Nachrichten kommen würden.
Na super, dachte Vanessa. Wäre ich heute Morgen doch lieber im Bett geblieben.
Nachdem sie sich ihren Zeh auf dem Weg ins Bad gestoßen, unter der Dusche nicht mehr genug Conditioner gehabt und sich beinahe einen Elektroschock versetzt hatte, als ihr Föhn spontan in Flammen aufgegangen war, hatte dieser Tag eigentlich nur noch weiter den Bach runtergehen können. Aber mit so etwas hatte sie nun auch wieder nicht gerechnet.
»Wenn ihr euch eure Dossiers anseht«, begann Boss und blätterte durch seinen eigenen Stapel, »dann werdet ihr feststellen, dass der letzte Mann, den Rock angeblich umgebracht hat, Fred Billingsworth hieß. Fred war ein sehr auf seine Tarnung bedachter Privatdetektiv, der nur mit modernster Hightech gearbeitet hat. Das wiederum bedeutet, dass er nicht etwa hinter Ehebrechern oder Versicherungsbetrügereien her gewesen ist, sondern ausschließlich für Großunternehmen gearbeitet hat. Soweit bekannt ist, war er zuletzt für irgendeine Unterstützergruppe der Demokratischen Partei tätig. Er sollte möglichst viel belastendes Material über alle potenziellen Präsidentschaftskandidaten für die nächste Wahlperiode zusammensuchen. Wie ihr euch vorstellen könnt, wurde der Fall aufgrund der prekären Art seiner Ermittlung nach seinem Tod rasch von der Polizei an das FBI übergeben. Irgendwie, und ich weiß nicht wie, haben die Wind von Rock und diesem Postfach bekommen, in dem sowohl eine Akte über Billingsworth als auch jeden anderen der Männer zu finden war. Als General Fuller das herausgefunden hat, musste er den Verantwortlichen offenbaren, was wir wirklich machen, sonst wäre gegen uns alle ermittelt worden.«
Alle starrten ihn an. Einer der Hauptgründe, aus denen die Black Knights seit ihrer Gründung so effektiv operiert hatten, war die Tatsache, dass abgesehen von sehr wenigen hochrangigen Regierungsmitgliedern niemand wusste, was hier wirklich vor sich ging.
»Und was bedeutet das für uns?«, wollte Ozzie wissen.
»Dem General zufolge überhaupt nichts«, erwiderte Boss, dem man seine Skepsis deutlich anhören konnte. »Er sagt, es würde alles wie immer weiterlaufen.«
Alle am Tisch stießen ungläubige Geräusche aus.
»Was geschehen ist, ist geschehen«, murmelte Boss und schüttelte den Kopf. »Vorerst bleibt uns nichts anderes übrig, als Fuller beim Wort zu nehmen.«
»Und was unternehmen wir wegen Rock?«, wollte Ozzie wissen. Vanessa starrte Boss erneut an. Die Antwort auf diese Frage interessierte sie ebenfalls sehr.
»Wir werden ihn finden«, erklärte Boss mit bebenden Nasenflügeln, »bevor uns irgendein anderer zuvorkommt.«
Am Rand des Monteverde Cloud Forest, Costa Rica
Sechs Monate später …
Da war es wieder – dieses Kribbeln zwischen seinen Schulterblättern. Dieses Zusammenziehen der Kopfhaut. Ob es nur Instinkt war, Intuition oder eine gefühlsmäßige Reaktion infolge eines Lebens voller ständiger Wachsamkeit, Rock Babineaux wusste genau, dass er beobachtet wurde.
Die Frage war nur, ob von einem Freund oder Feind.
Merde. Eigentlich gab es nur eine Option, oder? Schließlich hatte er keine Freunde mehr.
Langsam und weiterhin an seinem Refresco nippend, dem fruchtigen Drink, dem er seit seinem ersten Aufenthalt in Costa Rica verfallen war, sah er sich in dem Bereich vor der kleinen Cantina um, während er gleichzeitig unauffällig seine Pistole entsicherte.
Wo steckst du? Wo … Ah, da bist du ja.
Drüben in der Ecke saß ein Mann an einem kleinen Tisch unter einem bogenförmigen Spalier. Aufgrund der dicken Reben, die darüber wuchsen, befand sich der Unbekannte im Schatten, aber Rock musste ihn auch gar nicht genau sehen, um zu wissen, dass er nur so tat, als würde er das Buch in seiner Hand lesen. Tatsächlich beobachtete der Mann Rock durch seine verspiegelte Sonnenbrillen hindurch. Die Brillengläser glänzten im Licht der Abendsonne, als er sich vorbeugte, um einen Bissen von seinem Ceviche zu sich zu nehmen, einem nach Zitrone schmeckenden Fischgericht, das in dieser Gegend so beliebt war.
Das pechschwarze Haar, das unter der Baseballkappe hervorlugte, und die olivfarbene Haut sprachen ebenso wie der schmale Körperbau des schmächtigen Mannes – Rock hätte seine Lieblingsstiefel darauf verwettet, dass der Kerl keine siebzig Kilo wog – dafür, dass es sich um einen Latino handelte, und aufgrund seines ungleichmäßigen Bartwuchses war er vermutlich noch sehr jung.
Mon dieu. Jetzt jagen die mir schon richtige Babys auf den Hals?
Sein Magen zog sich vor Resignation zusammen, und das Abendessen, auf das er sich so sehr gefreut hatte, da er zum ersten Mal seit fast einem Monat etwas zu sich nehmen wollte, das er nicht von einem Baum gepflückt oder aus einer Dose gelöffelt hatte, verlor mit einem Mal jeglichen Reiz.
So viel zu einem angenehmen, entspannenden Abend in der Stadt.
Er warf einen Stapel farbenfroher Geldscheine auf die Bar, schlang sich seinen schweren Rucksack auf den Rücken, drehte sich zum dichten Grün des Dschungels um, der direkt an die Kantine angrenzte, und vergewisserte sich, dass er problemlos an eine Pistole herankam.
Nicht, dass er wirklich vorhatte, sie zu benutzen.
Nur, weil jeder Agent im Auftrag von Uncle Sam grünes Licht hatte, ihm eine Kugel ins Gehirn zu jagen, hieß das noch lange nicht, dass er ebenso handeln würde. Schließlich befolgten diese Leute auch nur ihre Befehle, und damit kannte er sich schließlich aus. Das Befolgen von Befehlen hatte ihn erst in diese beschissene Lage gebracht.
Er betrat den Dschungel und war sofort durchnässt von dem warmen Wasser, das an den Blättern der Bäume, Farne und Reben klebte, die er berührte, während er dem gewundenen, kaum erkennbaren Weg auf die Weise folgte, die sein Vater ihm beigebracht hatte. Dabei lief er langsam und lautlos und passte auf, wohin er trat und wie er sich bewegte, damit er die Tiere des Waldes um sich herum nicht störte. Gleichzeitig lauschte er mit einem Ohr auf die Geräusche hinter sich und mit dem anderen auf die Sinfonie der summenden Insekten, singenden Vögel und des tropfenden Wassers, das von Blatt zu Blatt fiel, um auf die eine Auffälligkeit zu warten, die dort nicht hingehörte.
Aber die Sekunden wurden zu Minuten und die Minuten zu einer Stunde, und noch immer war die Harmonie des Waldliedes nicht unterbrochen worden.
Habe ich mich etwa geirrt?
Der Mann hatte ihn beobachtet, das wusste er ganz sicher. Aber vielleicht war er ja nur neugierig gewesen, warum der tätowierte Gringo in der Bar nicht genauso aussah wie all die anderen Touristen, die den Monteverde Cloud Forest besuchten. Rocks schwere Cargohose, das ausgeblichene Tanktop und die abgenutzten Dschungelstiefel entsprachen ganz gewiss nicht den sonst üblichen Nike-Turnschuhen, Joggingshorts und T-Shirts mit dem Werbeaufdruck einer Biermarke. Rock hatte die letzten sechs Monate in der Wildnis gelebt – und das sah man ihm an.
Tja, vielleicht war es wirklich so einfach. Er atmete erleichtert auf und lächelte, als ein scharlachroter Ara von einer niedrig hängenden Rebe abhob und zum dichten Blätterdach hinaufflog. Das Federkleid des Vogels glitzerte in einem der wenigen Sonnenstrahlen, die durch die dichten Baumwipfel hindurchdrangen, und sein Schrei hallte vom Waldboden wider. Rock rückte seinen Rucksack zurecht, wischte sich mit einer Hand den Schweiß von der Stirn und verließ den Pfad.
Und da geschah es.
Etwa fünfzig Meter hinter ihm kreischte ein Brüllaffe warnend auf, und alle Geräusche des Dschungels kamen mit Ausnahme des stetig tropfenden Wassers auf einen Schlag zum Erliegen. Ein Mensch hat den Wald betreten …
Und, okay, jetzt war vermutlich nicht der richtige Zeitpunkt, den Angsthasen zu spielen. Rasch nahm Rock seinen Rucksack ab und lehnte ihn an den nassen, mit Efeu bewachsenen Stamm eines gewaltigen Baumes. Er bedeckte ihn mit den Wedeln eines in der Nähe wachsenden Farns, bevor er sich lautlos in die Richtung bewegte, aus der der Ruf des Affen gekommen war. Während er sich parallel zum Pfad hielt, verschmolz er mit den Schatten des Dschungels und wurde selbst zu einem Schatten. Nach und nach erwachte der Wald wieder zum Leben, zuerst setze das dröhnende Summen der Insekten ein, gefolgt vom Zwitschern der Vögel und den grunzenden Geräuschen der Affenbande, die weit oben im Geäst herumtobte.
Er war noch nicht weit gekommen, als er eine Bewegung wahrnahm. Sofort presste er sich gegen einen Baumstamm, atmete den frischen, erdigen Geruch der Flechten ein, die daran wuchsen, und wartete. Kurz darauf erschien der Mann auch schon auf dem Weg.
Hast es wohl eilig, den guten, alten Rock umzubringen, was? Tja, tut mir echt leid, mein Junge, aber heute ist nicht dein Glückstag.
Rock hielt still, bis sein Möchtegern-Attentäter an ihm vorbei gelaufen war, dann trat er aus seiner Deckung. Blitzartig legte er einen Arm um den Hals des jungen Mannes und presst ihm eine seiner SIGs in die Nierengegend.
Instinktiv begann sein Gegner, sich zu wehren und herumzuzappeln, aber Rock übte einfach etwas mehr Druck aus. Was wiederum ein Kreischen hervorrief. Ein sehr unmännliches Kreischen.
Was ist denn das?
Er lockerte seinen Griff um den dünnen Hals nicht, während er die Pistole in den Hosenbund schob und seinem Gegner die lächerliche verspiegelte Sonnenbrille abnahmen. Danach folgte die Baseballkappe, und Rock sah erstaunt mit an, wie ein langer schwarzer Pferdeschwanz darunter hervorquoll. Er wirbelte seinen Gefangenen herum, und ihm wäre beinahe das Herz stehen geblieben.
»Vanessa? Was zum Teufel machst du denn hier?«
Sie hatte ihn gefunden!
Endlich, nach monatelangem Suchen hatte sie ihn gefunden! Der Klang seiner weichen Stimme, dieses Südstaatenakzents, der sie an Blechdächer und Hollywoodschaukeln erinnerte, schien ihre Trommelfelle zu streicheln.
»Ich bin hier, um dir zu helfen«, brachte sie aufgeregt hervor und konnte den Drang gerade noch so unterdrücken, ihm die Arme um den Hals zu werfen und sein dunkles Haar zu berühren, das dunkler war als bei ihrer letzten Begegnung und aussah, als hätte er es selbst notdürftig geschnitten, was vermutlich auch den Tatsachen entsprach.
Bleib professionell, Van. Du musst die Sache professionell regeln. Denn, ja, sie hatte wirklich etwas für Rock übrig. Wie konnte es auch anders sein? Er war einfach so … so … natürlich – das schien ihr das beste Wort dafür zu sein. Ihm fehlte dieses gigantische Ego der Alphamänner, das so typisch für viele Agenten war. Dafür besaß er ein unerschütterliches und anhaltendes Pflichtgefühl sowie eine erfrischende Bescheidenheit, die sie vom ersten Augenblick an als anziehend empfunden hatte. Und dann war da noch diese seidenglatte Stimme …
Nachdem sie ihm damals die entsprechenden Signale übermittelt hatte, gab er ihr eindeutig zu verstehen, dass in seinem Leben kein Platz für eine Freundin war – und erst recht nicht für etwas noch Längerfristigeres. Wenn sie jedoch nur auf Sex aus war, konnte sie jederzeit zu ihm kommen. Das hatte er ihr an einem Grillabend zu verstehen gegeben, an dem er sie angeschmachtet und ihr mitgeteilt hatte, dass der Spaß den Ärger, den sie sich mit ihm einhandeln würde, durchaus wert war.
So etwas hatte sie jedoch schon einmal erlebt, und ihr war nichts außer einem schmucklosen Ringfinger geblieben. Sie musste sich ehrlich eingestehen, dass sie jetzt, mit dreißig, langsam nervös wurde, was die ganze Sache anging. Vor allem, da sie schon immer davon geträumt hatte, eine Familie zu gründen.
Da sie also viel zu alt und abgestumpft war, um mit dem heißen – superheißen! – Bad Boy ins Bett zu gehen und nur eine Affäre zu haben, blieb ihr als einzige Alternative, professionell zu bleiben.
Das war natürlich einfacher gesagt als getan. Vor allem, da sein Tanktop die gebräunten Konturen seines tätowierten Bizeps entblößte und seine breiten Schultern erst recht gut zur Geltung brachte.
Reiß dich um Himmels willen zusammen, Cordero.
Natürlich entging ihr nicht, wie lächerlich es war, dass sie hier mitten im Dschungel stand und gegen ihre Libido ankämpfte, während jede Regierungsorganisation Amerikas Leute auf diesen Mann angesetzt hatte. Aber es war ihm schon immer gelungen, sie derart in die Bredouille zu bringen, seitdem sie sich kannten. Dafür, dass sie eine ausgezeichnete Kommunikationsspezialistin war, fehlten ihr in seiner Gegenwart unerklärlicherweise häufig die Worte. Allerdings war er es während ihrer letzten Mission gewesen, der vor allem seine Lippen und seine Zunge hatte sprechen lassen.
Ach, da machte sich schon wieder die Libido bemerkbar. Die Erinnerung an ihren leidenschaftlichen Kuss half ihr nicht gerade dabei, professionell zu bleiben, auch wenn sie sich damals aus rein beruflichen Gründen geküsst hatten.
»Bist du alleine hergekommen?« Seine Miene war steinhart, und unter seinem präzise geformten Kinnbart waren deutlich seine heruntergezogenen Mundwinkel zu erkennen.
»Zum Cloud Forest? Ja.« Sie hatte die vierstündige Motorradfahrt von der Hauptstadt hierher ganz allein gemacht. Ja, das ist Girlpower! »Aber die anderen warten in San José und –«
»So eine Scheiße!« Er drehte sich um und ging ein paar Schritte den Pfad entlang, wobei er sowohl auf Englisch als auch auf Französisch fluchte. Dann wirbelte er herum und kam wieder einige Schritte auf sie zu. Die haselnussbraunen Augen glitzerten selbst in den tiefen Schatten unter dem dichten Blätterdach. »Wie habt ihr mich gefunden?«
Das war definitiv nicht einfach gewesen. Nachdem man ihn offiziell zum Abschuss freigegeben hatte, war er blitzschnell verschwunden und hatte sich seitdem auch nicht mehr sehen lassen.
»Wir hatten schon Zweifel, ob wir es noch schaffen würden«, gab sie zu.
Zwischen seinen dunklen Augenbrauen befanden sich zwei vertikale Linien, die zuvor noch nicht da gewesen waren. Und er hatte abgenommen. Schon vorher war er schlank und geschmeidig gewesen, aber jetzt schien er nur noch aus Muskeln, Knochen und Sehnen zu bestehen. In Kombination mit dem zerzausten Haar und den ausgeblichenen Kleidungsstücken konnte man als Frau schon mal weiche Knie bekommen. Dieser Mann hatte eine ebenso explosive und wilde Ausstrahlung wie die exotischen Tiere, die in diesem Dschungel lebten. Und dennoch … Bleib professionell, flüsterte die leise Stimme in ihrem Kopf, auf die sie innerlich antwortete: Ich versuche es ja, verdammt noch mal!
»Boss sagte, du hättest deine Spuren besser verwischt, als es jemals einem anderen gelungen wäre.«
Rock knurrte, und in seinem Unterkiefer zuckte ein Muskel. »Ich war offensichtlich nicht gut genug, schließlich bist du ja hier, nicht wahr?«
Natürlich war ihr klar gewesen, dass er sie nicht mit offenen Armen begrüßen würde, aber diese unverhüllte Feindseligkeit verwirrte sie dennoch.
Wollte er ihre Hilfe etwa nicht?
»Das ist uns nur gelungen, weil wir diese Holzschale in deinem Schlafzimmer zu Hause gefunden haben. Du weißt schon, die auf deiner Kommode.«
Er kniff die Augen noch weiter zusammen, und sie wertete das als Bestätigung. »Nach gründlicher Suche haben wir herausgefunden, dass der Künstler seine Ware nur hier im CASEM-Geschäft in Santa Elena verkauft. Und da Boss sagte, dass du hier nie im Auftrag der Black Knights gewesen bist, konnte das nur bedeuten, dass dich andere Gründe hierhergeführt hatten. Es war ein Schuss ins Blaue, aber der einzige Hinweis, den wir hatten.« Glücklicherweise hatte es sich ausgezahlt, denn hier war er. Endlich. »Von da an war es nicht mehr so schwer, wir mussten uns nur eine Ausrede einfallen lassen, damit wir nach Costa Rica kommen und uns hier umsehen konnten.«
»Eine Ausrede?«
Ein dicker Wassertropfen fiel von einem Blatt auf ihre Wange, und Vanessa hielt den Atem an, als Rock einfach so die Hand ausstreckte und den Tropfen wegwischte. Sein Daumen fühlte sich rau an, und, oh Mann, er roch gut, wie frische Blätter, einfache Seife und guter, sauberer, gesunder Schweiß.
Im Grunde genommen genauso, wie er aussah: rau und sexy. Sein Gesichtsausdruck erinnerte sie an die Zeit, als er diese Killer verhört hatte, die ein irrer Mobster aus Las Vegas den Black Knights auf den Hals gehetzt hatte. Damals war er müde und erschöpft gewesen – ein Verhör schien ihm auch immer geistig zu schaffen zu machen –, aber die Müdigkeit hatte seiner Miene noch etwas Gefährliches verliehen. Dasselbe geschah jetzt auch. Und, Mannomann, das ging ihr durch Mark und Bein. Denn dies war das Aussehen eines Mannes, der nicht von seiner Pflicht zurückschreckte, eines Mannes, den die Welt wieder und wieder auf die Probe gestellt hatte und der genau wusste, wie er mit allem fertigwurde, dass ihm in die Quere kam. Er konnte mit einer Waffe umgehen, einem Terroristen, einer Frau …
Himmel noch mal! Ist das dein Ernst, Van?
»Das FBI und die CIA wissen jetzt über uns Bescheid«, teilte sie ihm mit und beobachtete, wie er die Zähne aufeinanderbiss, sodass sein Gesicht grob und unnachgiebig wirkte. »Als die Menschenjagd begann, wurde bekannt, dass du zu den Black Knights gehörst, und General Fuller musste die Wahrheit über unsere kleine Gruppe sagen. Seitdem hängen uns ständig Agenten im Nacken, die herausfinden wollen, wo du dich aufhältst.«
»C’est des Conneries!« Das ist doch Blödsinn!, schrie er auf Französisch, drehte sich um und ging wieder ein paar Schritte weg.
Noch vor wenigen Monaten hätte sie ihm voll und ganz zugestimmt, aber seitdem hatte sie herausgefunden, dass es nicht nur schlecht war, wenn die CIA über die Black Knights Bescheid wusste. Tatsächlich waren die unzähligen Informationen, über die CIA verfügte, bei einigen ihrer letzten Aufträge durchaus hilfreich gewesen. Dass man sich hinsichtlich der Schuld von Richard »Rock« Babineaux nicht einig war, bedeutete noch lange nicht, dass man nicht im selben Team spielte und einander nicht trotzdem in allen anderen Belangen unter die Arme griff.
»Sie waren überzeugt davon, dass wir wissen, wo du dich aufhältst, was irgendwie auch wieder witzig war, hatten aber nicht die geringste Ahnung, wo du bist«, erklärte sie und starrte ihn an, während er geschmeidig zu ihr zurücklief, ohne dabei Energie zu vergeuden. »Im letzten Monat haben sie uns dann halbwegs in Ruhe gelassen, und demnach, was Ozzie nach dem Hacken ihrer Berichte in Erfahrung bringen konnte, glauben sie selbst fast nicht mehr daran, dich ausfindig zu machen.« Nur, dass es noch einen Überwachungswagen in San José gab. Aber sie war der Ansicht, dass sie Informationen vorerst für sich behalten konnte. Insbesondere, weil sie so das Gefühl hatte, was schwer genug werden würde, ihn davon zu überzeugen, mit ihr zurückzukommen. »Aber wir waren nicht bereit, irgendwelche Risiken einzugehen. Nachdem wir also herausgefunden hatten, woher die Schale stammt, wollten wir ihnen nichts von unserer Spur verraten und haben versucht, uns einen guten Grund auszudenken, aus dem wir hierherkommen mussten.«
»Und welchen Grund habt ihr euch einfallen lassen?«, wollte er wissen und sah noch immer nicht so aus, als würde er gleich auf die Knie fallen und seinem Glücksstern dafür danken, dass sie noch auf seiner Seite waren und ihn gefunden hatten, sondern eher so, als würde er sie gleich wieder nach Hause schicken wollen.
Sie gab sich die größte Mühe, das nicht persönlich zu nehmen, vor allem nach all dem, was sie durchgemacht hatte, um ihn zu finden.
»Eve hat ein Ferienhaus in San José. Du erinnerst dich doch an Eve, nicht wahr?«, fragte sie, auch wenn das vermutlich eine dumme Frage war, wenn man bedachte, dass Eve Edens in Chicago eine ziemliche Berühmtheit und darüber hinaus auch noch umwerfend schön war. Jeder, der die Frau jemals gesehen hatte, würde sie vermutlich nie wieder vergessen.
»Oui. Ich erinnere mich an Eve«, erwiderte er. Und, verdammt, sie hatte doch so sehr gehofft, dass ihm ihre Reize nicht ins Auge gestochen waren.
»Tja, da Boss und Becky Flitterwochen machen wollten«, fuhr sie fort und versuchte, das grünäugige Monster auf ihrer Schulter zu ignorieren, das ihr mit einem spitzen Finger die Schläfe zu bohren schien, »hielten wir es für cool und vor allem für glaubhaft, wenn einige von uns mit ihnen zusammen ihr runterfahren und …«
»Augenblick mal«, fiel er ihr ins Wort und hielt eine Hand hoch. »Boss und Becky haben geheiratet?«
Ganz kurz zeichnete sich Schmerz in seinem Gesicht ab, und Vanessa wurde das Herz schwer. Rock und Boss waren schon seit ihrer Ausbildung befreundet, und sie wusste, dass er Becky wie eine kleine Schwester liebte. Daher musste es ein schwerer Schlag für ihn sein zu erfahren, dass er die Hochzeit der beiden verpasst hatte.
Als sie den Schmerz und die Enttäuschung in seinem Gesicht sah, verblassten einige ihrer Zweifel. Denn als aus den Tagen Wochen aus den Wochen Monate geworden waren, hatte sie sich zu ihrer Schande eingestehen müssen, dass sie selbst an Rocks Unschuld zu zweifeln begann. Aber ein Mann, der zu alldem fähig war, was Rock zur Last gelegt wurde, wäre doch wohl nicht so enttäuscht, nur weil er eine Hochzeit verpasst hatte, oder? Nein. Nein, das wäre er nicht. Sie war überaus erleichtert, dass ihr vorheriges Vertrauen in ihn teilweise wieder zurückkehrte.
»Ja, sie haben geheiratet.« Sie widerstand dem Drang, tröstend seinen Bizeps zu tätscheln. »Sie waren vor zwei Monaten bei einem Friedensrichter, aber sie wollten mit der großen Feier warten, bis diese Sache mit dir aufgeklärt ist, damit du mitfeiern kannst.«
Er blickte auf seine Stiefel hinab. »Du hättest nicht herkommen sollen. Dadurch hast du dich und alle Knights, ebenfalls hier sind, in große Gefahr gebracht.«
Sie ging auf ihn zu und legte ihm sanft eine Hand auf den Unterarm. »Komm mit mir nach Hause, Rock.«
Er spannte die Muskeln unter seiner gebräunten Haut an, als sie ihn berührte, und seine Haare kitzelten ihre Handfläche. Eine dumme Frau hätte das wahrscheinlich unglaublich sexy gefunden. Glücklicherweise war sie keine dumme Frau, oder doch?
Denn als er den Mund verzog, diesen Mund, der so wunderschön und so perfekt proportioniert war, wie man es sonst nur von Skulpturen aus der Renaissance kannte, begann sie, daran zu zweifeln, dass mit ihrer geistigen Gesundheit noch alles in bester Ordnung war.
»Wir können dir helfen«, beharrte sie und stellte erschrocken fest, dass ihre Stimme leise und angestrengt klang. »Wir können herausfinden, wer dir das anhängen will, und einen Weg finden, um …«
»Wieso bist du so sicher, dass man mir etwas anhängen will?«, fiel er ihr ins Wort, und seine Miene wurde ausdruckslos.
»Weil ich dich kenne. Ich weiß, dass du niemals –«
»Du weißt nicht das Geringste über mich, chérie«, flüsterte er und machte einen Schritt von ihr weg, um aus ihrer Reichweite zu gelangen.
»Geh wieder dahin zurück, wo du hergekommen bist«, knurrte Rock, drehte sich auf dem Weg um und starrte Vanessa an, als offensichtlich wurde, dass sie keine Anstalten zum Gehen machte.
»Nein«, verkündete sie, verschränkte die Arme und reckte ihr kleines, stures Kinn in die Luft, wobei sie aussah, als wäre sie stinkwütend. Sie machte ganz den Anschein, als müssten erst zwei Wrestler mit einem Presslufthammer kommen, damit sie sich von der Stelle bewegte. »Die Knights haben mir den Auftrag gegeben, dich nach Hause zu bringen, und genau das werde ich auch tun.«
Nach Hause? Er hatte kein Zuhause. Nicht mehr. Nicht seit dieser letzten schicksalhaften Mission. Nicht, seitdem er angefangen hatte, Fragen zu stellen.
Non. Jetzt war ihm nichts als ein einsames Baumhaus tief im Dschungel geblieben, und eigentlich hatte er nicht mal mehr das. Da ihn die Knights aufgespürt hatten, würde er sich einen anderen Zufluchtsort suchen müssen. Seiner Sicherheit zuliebe …
»Ich werde es nicht noch einmal sagen.« Er packte ihre Schultern und schüttelte sie leicht, aber nur so sehr, dass sie merkte, wie ernst es ihm war. »Du musst wieder zurückgehen.«
Er konnte ihre weiche Haut unter seinen Fingern ebenso wenig ignorieren wie ihren Geruch, der ihn an Pfefferminzkaugummi und Trocknertücher erinnerte und trotz der feuchten Schwüle, die dafür sorgte, dass ihre Brust und ihr Hals schweißüberströmt waren, sauber und frisch duftete. Sofort ließ er sie wieder los und machte einen Schritt nach hinten.
Alles an ihr war herzförmig, von ihrem Gesicht über ihren Mund bis hin zu ihrem knackigen Hintern, der einen Atheisten zu Gott bekehren konnte. Sie war so klein und exotisch, und selbst jetzt, da sie gekleidet war wie ein Mann und diesen schäbigen Bart trug, verkörperte sie für ihn noch immer die begehrenswerteste Frau, die er je gesehen hatte.
Doch das musste er zu ihrer beider Wohl rasch wieder vergessen.
Denn wenn es vor diesem Fiasko schon keine gemeinsame Zukunft für sie gegeben hatte, dann gab es jetzt erst recht keine Chance mehr. Und, oui, er wusste, dass sie auf etwas Festes aus war. Das konnte er in ihren großen, dunklen Augen erkennen, wann immer er sie ansah. Fast sah er darin schon die Bilder von weißen Kleidern und orangefarbenen Blüten in ihrem Haar.
Wenn die Dinge anders ausgesehen hätten …
Aber nein. Dieser Gedankengang führte doch nirgendwohin, so würde er sich nur verrückt machen.
»Ich gehe nicht ohne dich zurück«, verkündete sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch. »Willst du unsere Hilfe denn nicht?«
Mon dieu, allein bei der Vorstellung, dass sich die Black Knights auch noch in diesen Schlamassel einmischten, drehte sich ihm der Magen um, und der Schweiß auf seiner Haut wurde kalt und klamm.
»Du kannst mir hier nicht helfen, chérie.« So langsam kam er zu der Erkenntnis, dass ihm niemand helfen konnte. »Das Beste wäre, wenn ihr einfach vergesst, dass ihr mich je gekannt habt.«
Ihre Miene wurde noch entschlossener als die der meisten Vier-Sterne-Generäle, die er je gekannt hatte. »Das ist unmöglich«, erwiderte sie und schüttelte wütend den Kopf. Dabei rutschte ihr der lange schwarze Pferdeschwanz über die Schulter. Einige Strähnen blieben an ihrem schweißnassen Hals kleben, und Rock hätte beinahe die Hand ausgestreckt und sie dort entfernt.
Wenn er sie berührte, erinnerte er sich nur wieder an all die Dinge, die er in seinem Leben verloren hatte, all die Dinge, die er aufgegeben hatte, als ihn dieser Verlust dazu bewogen hatte, sich als Verhörspezialist für »Das Projekt« zur Verfügung zu stellen und …
»Es muss doch irgendwas geben, das wir für dich tun können«, meinte sie.
»Nein«, knurrte er und sah sie mit dem Blick an, den er im Laufe der Jahre perfektioniert hatte und den er aufsetzte, wenn er böse Männer über ihre schlimmen Taten befragte, sodass ihnen die Hoden schrumpften.
»Das kann aber nicht sein«, fauchte sie und war anscheinend immun gegen seinen Gesichtsausdruck.
Tja, das hast du davon, dass du geglaubt hast, es würde auch bei einem Menschen ziehen, der dem anderen Geschlecht angehört.
Mehrere lange Sekunden standen sie einfach nur da und starrten einander an, als wäre es ein Wettkampf, den derjenige gewann, der als Letzter den Blick abwandte. Aber anders als bei diesem Kinderspiel war der Einsatz hier unglaublich hoch. Denn ihm war der Tod ebenso unnachgiebig auf der Spur wie die Jaguare, die in diesem Dschungel lebten, hinter ihrer Beute her waren. Die Chancen standen sehr gut, dass er diese Sache nicht lebendig überstand. Daher konnte er höchstens hoffen, seine Freunde da rauszuhalten, damit sie in Sicherheit waren, während er die Antwort auf die Frage suchte, warum er verraten worden war, und denjenigen, der dafür verantwortlich war, zur Rechenschaft zog.
»Ich gebe dir noch eine Chance, chérie. Dreh dich jetzt um und geh den Weg zurück, den du gekommen bist.«
»Oder was?« Sie forderte ihn mit jeder Faser ihres Wesens heraus und sah aus wie eine sehr wütende … eine sehr wütende … Wie sollte er sie beschreiben? Wie eine sehr wütende Sexbombe. Oui. Genau so gemein und bedrohlich wirkte sie auf ihn – und das reichte bei Weitem nicht aus für die Sache, in die er verwickelt war. Aber das konnte sie ja nicht wissen. Und selbst ihre Haltung wirkte so, als hätte sie seinen Bluff durchschaut.
»Na gut.« Er wirbelte auf dem Absatz herum und marschierte den Weg zurück, um seinen Rucksack zu holen. Nachdem er ihn unter dem Farn hervorgekramt hatte, schüttelte er ihn, um sicherzustellen, dass das Ungeziefer verduftete, schulterte ihn dann und trat vom Pfad in den Dschungel, wo er sofort zügig voranschritt.
Er würde ihr einfach davonlaufen. Sie ließ ihm keine andere Wahl.
Also hüpfte er über Büsche, umging Wurzeln, schlüpfte durch Vorhänge aus feuchten Reben und bewegte sich lautlos und schnell durch den Dschungel wie ein Geist. Doch sehr zu seinem Erstaunen und Entsetzen konnte er dreißig Minuten später noch immer hören, wie sie durch das Unterholz brach und keine fünfzig Meter hinter ihm blieb, wobei sie alle Tiere erschreckte, an denen sie vorbeikam, und diesen Warnschreie entlockte.
Die Frau besaß die Zähigkeit einer Bulldogge in Kombination mit dem Hörvermögen einer Fledermaus. Das war ja mal wieder typisch!
Okay, so würde das also nicht funktionieren, denn wenn er sie zu weit in den Dschungel führte, würde sie nie den Weg zurück zum Pfad finden.
Dann muss ich es wohl mithilfe der Bäume probieren. Wenn er einen der riesigen Bäume erklomm, dann musste er nur noch warten. Ausharren, bis sie an ihm vorbeigegangen war, ihre Suche nach ihm abbrach und schließlich aufgab und umkehrte. Und sie würde aufgeben und umkehren. Denn auch wenn sie in ihrem süßen Latinakörper verdammt viel Mut besaß, konnte selbst die ausgefuchste Agentin und hervorragende Kommunikationsspezialistin Vanessa Cordero nicht vorhaben, die Nacht mitten im Dschungel zu verbringen.
Oui, das war der beste Plan. Der allerdings sofort in die Hose ging, als er nach einer Rebe am nächsten Riesenbaum griff und im nächsten Augenblick von Dunkelheit umgeben war.
Denn so lief das hier im Cloud Forest. Die Nacht brach ohne Vorwarnung oder Dämmerung herein.
»Zut!«, fluchte er, sah sich um und fragte sich, ob Vanessa im Dunkeln allein den Weg zurück zum Pfad und nach Santa Elena finden würde.
Was er bezweifelte, da er selbst keine drei Meter weit sehen konnte und ihm nicht aufgefallen war, dass sie irgendwelche Ausrüstung bei sich hatte. Kein Essen und kein Wasser und erst recht keine Taschenlampe …
All das bestätigte sich eine Sekunde später, als ihre zaghafte Stimme durch den Dschungel hallte. »Rock?« Sie klang verängstigt, und das traf ihn wie ein heftiger Schlag in die Magengrube. »Ich … ich kann überhaupt nichts sehen.«
Während er sie verfluchte, sich selbst und diesen zwielichtigen Bastard namens Rwanda Don, der ihm diesen Schlamassel erst eingebrockt hatte, zog er eine Stiftlampe aus einer der vielen Taschen seiner Cargohose und lief den Weg zurück, den er gekommen war. Nachdem er gerade mal zwei Schritte gemacht hatte, rief sie ihn erneut, und die Angst in ihrer Stimme grenzte nun beinahe an Panik. »Rock? Ich höre irgendwas hinter mit, aber ich … kann nicht sehen, was es ist.«
»Sei einfach still!«, schrie er. Es gab hier unzählige vier-, sechs und achtbeinige Kreaturen sowie welche ohne Beine, die sie schwer verletzen konnten. Er ließ seinen Rucksack fallen und schaltete die Nachbrenner ein. Das üppige Grün des Dschungelbodens sah im gelblichen Licht seiner Taschenlampe eher grau als grün aus, während er dem Klang ihrer Stimme folgte.
Es schien eine Ewigkeit zu dauern, aber endlich gelang es ihm, die Entfernung zu verringern. Er schwenkte die Taschenlampe und rief: »Vanessa? Wo steckst du?«
Das Licht fiel auf ihr verängstigtes Gesicht, das eingerahmt war von seilartigen braunen Reben, die vom Baum hinter ihr herabragten, sowie etwas, das gelb schimmerte und bei dem es sich nur um eines handeln konnte: eine Greifschwanz-Lanzenotter.
Panische Angst ließ sein Blut gefrieren, denn bei der Schlange handelte sich zwar um keines der Exemplare, deren Biss einen auf der Stelle umbrachte, aber wenn sie einen in die Hand biss, konnte man durchaus einen Finger verlieren, und ein Biss in eine Hauptschlagader wie beispielsweise die, die gerade so auffällig an Vanessas hübschem Hals pulsierte, wo die Schlange vermutlich zuschlagen würde, konnte sogar schwere organische Schäden bewirken.
Er ging langsam auf sie zu und achtete darauf, keine bedrohlichen Bewegungen zu machen. »Bleib ganz still stehen«, zischte er, als sie erleichtert einen Schritt auf ihn zugehen wollte. »Beweg dich einfach überhaupt nicht mehr.«
Sie blieb wie erstarrt stehen – braves Mädchen.
»Wa… warum soll ich mich nicht bewegen?«, wollte sie wissen, und sah ihn mit aufgerissenen Augen an, die im Licht der Taschenlampe leuchteten. Ihre leise Stimme zitterte.
»Beweg dich einfach nicht!« Er näherte sich ihr langsam und zog eine seiner SIGs aus dem Hosenbund.
»Rock, ich …«
Sie kam nicht weiter, da sich die Viper auf einmal bewegte und Rock keine Zeit mehr blieb. Er riss die Waffe hoch. Er wollte sie erschießen!
Sie konnte den Umriss seiner Pistole im schwachen Lichtstrahl erkennen, und einen Augenblick lang, bevor die Angst überhaupt einsetzen konnte, war da nur ein einziges Gefühl …
Fassungslosigkeit! Sie konnte nicht glauben, dass er wirklich vorhatte …
Bumm!
Der Schuss klang, als wäre eine Kanone abgefeuert worden, und war so laut, dass Vanessas Zähne klapperten. Sie wartete auf den betäubenden Schmerz und den Tod, der kurz darauf folgen würde, aber alles, was sie spürte, war, dass hinter ihr irgendetwas zu Boden fiel.
Instinktiv sprang sie zur Seite und sah nach unten, als Rock mit der Taschenlampe den Waldboden ableuchtete. Dort lag der zuckende, gelbe Körper einer tödlich verwundeten Schlange. Mit zwei großen Schritten war Rock bei ihr, packte eine der blutbeschmierten Windungen der Schlange und trennte ihr den Kopf sauber mit einem fünfundzwanzig Zentimeter langen Bowiemesser ab, das er irgendwo am Leib versteckt gehabt hatte.
»Ich …« Sie versuchte, den Kloß herunterzuschlucken, der ihr den Hals zugeschnürt hatte, seitdem die große schwarze Pistole auf ihren Kopf gerichtet worden war. »Ich dachte, du würdest …« Sie konnte nicht weitersprechen. Auf einmal drehte sich die Dunkelheit um sie herum, und wenn sie nicht schnell etwas unternahm, würde sie ganz sicher mitgerissen werden.
Kopf zwischen die Beine. Halt den Kopf zwischen die Beine!
Sie beugte den Oberkörper nach unten und legte die Hände in die Kniekehlen, um zu verhindern, dass sie hyperventilierte und das Bewusstsein verlor.
Würde ihn das nicht sehr beeindrucken, wenn ich einfach umkippe?
Ähm, nein. Die Antwort auf diese Frage war ein eindeutiges Nein.
Sie verharrte so einige Sekunden lang, spielte einen menschlichen Taco und presste das Gesicht gegen die Kniescheiben, bis sie keine Sterne mehr vor den Augen sah. Erst dann richtete sie sich wieder auf. Im schwachen Licht der Taschenlampe konnte sie Rocks besorgte Miene gerade so erkennen.
»Ist alles okay?«, erkundigte er sich.
»Ja, ich …« Sie holte zur Beruhigung tief Luft und stellte angewidert fest, dass sie am ganzen Körper zitterte. So viel zu dem Bild der knallharten Agentin, das sie seit ihrem Arbeitsbeginn bei den Black Knights hatte aufrechterhalten wollen. »Es geht mir gut«, bekam sie schließlich über die Lippen.
»Was hast du geglaubt, dass ich tun würde?«
»Oh, äh …« Sie biss sich auf die Unterlippe und zuckte zusammen, als er ihr ins Gesicht leuchtete.
»Du hast wirklich geglaubt, ich würde dich erschießen, oder?«
»Hör auf, mich so anzuleuchten!«, fauchte sie und hielt sich eine Hand vor das Gesicht. Das war eine gute Ausrede, um erstens ihren Gesichtsausdruck vor ihm zu verbergen, da sie sich dermaßen schämte, und zweitens, um das Thema zu wechseln.
»Heilige Scheiße! Du hast das wirklich geglaubt!« Er klang, als könnte er es nicht fassen, wandte sich um und ging ein paar Schritte. Sie starrte blinzelnd in die Dunkelheit – die jetzt sogar noch undurchdringlicher zu sein schien, nachdem er ihr mit der Taschenlampe direkt in die Augen geleuchtet hatte – und konnte seine Bewegungen nur anhand des dünnen, tanzenden Lichtscheins nachverfolgen. Dann richtete er die Lampe unvermittelt wieder auf sie, und sie wurde erneut geblendet. »Dann hast du das also tatsächlich geglaubt, was du über mich gehört hast? Du denkst –«
»Nein«, fiel sie ihm ins Wort. Sie machte einen Schritt auf ihn zu und versuchte, ihn mit erhobenen Händen zu beschwichtigen. »Ich habe es nicht geglaubt.«
Er schwieg einen angespannten Augenblick lang, und die Geräusche der Frösche und das Summen der nachtaktiven Insekten setzte wieder ein. »Du bist eine schreckliche Lügnerin.«
»Rock, ich –«
»Erspar mir das.«
Sie klappte den Mund zu. Was sollte sie auch noch sagen? Für einen Sekundenbruchteil war sie wirklich davon ausgegangen, dass er sie erschießen würde.
»Meinst du, du kannst mit mir Schritt halten?« Die Frage kam so plötzlich und unerwartet, dass Vanessa kurz verwirrt war.
»Bisher ist es mir doch auch gelungen, oder nicht?«
Er knurrte als Antwort nur. Dann war die Zeit des Redens auch schon wieder vorbei, da sie genug damit zu tun hatte, in seiner Nähe zu bleiben und den Lichtschein seiner Taschenlampe nicht zu verlieren.
Die Dunkelheit, dieser stygische schwarze Abgrund … Hier kamen zu viele Erinnerungen wieder zum Vorschein.
Sie erschauderte und stolperte über eine große Wurzel. Sofort wedelte sie mit den Armen und versuchte, das Gleichgewicht nicht zu verlieren, was ihr jedoch nicht gelang. Bevor sie jedoch unbeholfen und mit dem Gesicht voran zu Boden fallen konnte, war er auch schon bei ihr, packte sie unter den Achseln und zog sie an seine breite Brust.
Augenblicklich schien die Zeit stillzustehen.
Es war, als hätte jemand eine Sanduhr auf die Seite gelegt, damit die Sandkörner zum Stillstand kommen. Die erdrückende Feuchtigkeit verschwand. Die unerträgliche Dunkelheit verblasste. Es gab nichts mehr außer ihnen beiden, ihre Umarmung, ihre Münder, die so dicht beieinander waren, dass ihr Atem verschmolz.
Küss mich. Dieser Gedanke schoss ihr durch den Kopf, ohne dass sie ihn bewusst gefasst hatte, und sie erschrak. Sie wusste, dass es nicht richtig war und dass er seine Meinung über das, was er ihr geben konnte, nicht geändert hatte. Ihr war klar, dass sie mit ihrer Hoffnung darauf, er würde doch irgendwann dasselbe wollen wie sie, nur ihre Zeit vergeudete. Aber in diesem Moment, der eigentlich gar kein richtiger Moment war, sondern nur ein kurzer Augenblick, wollte sie wissen, wie es sich anfühlte, ihn in den Armen zu halten. Sie wollte seine Leidenschaft spüren, ihn schmecken und sich in ihn verlieren.
Er beugte sich ein wenig vor, seine vollen Lippen waren den ihren so nah, und sein Atem war so warm …
Doch dann schob er sie von sich weg und drückte ihr die Stiftlampe in die Hand.
»Nimm du das Licht«, ordnete er an. »Achte darauf, mir
vor die Füße zu leuchten.«
Dann wandte er sich ab, und ihr blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen, auch wenn sie unglaublich weiche Knie hatte.
»Wir glauben, wir haben ihn gefunden.«
Rwanda Don – dieser Codename war wirklich amüsant – beugte sich vor und legte die Finger enger um das Prepaidhandy. »Wo? Wie?«
»In Costa Rica«, antwortete der CIA-Agent, der schon von Anfang an am »Projekt« mitarbeitete. R.D. lief vor Aufregung ein Schauder den Rücken herunter. »Und es ist ihnen gelungen, indem sie Vanessa Cordero verwanzt haben. Laut der Berichte ist sie jetzt seit einigen Stunden im Monteverde Cloud Forest, und hier sind alle der Meinung, dass sie sich dort nicht so lange aufhalten würde, wenn sie ihn nicht gefunden hätte.«
Konnte das wahr sein? Nach all diesen Monaten?
»Folgen sie ihm?«
»Das ist der Plan.« Die Stimme des Agenten klang eingebildet, aber das war auch nicht weiter verwunderlich. Sie waren ihrem ultimativen Ziel, Richard »Rock« Babineaux endlich zu kriegen oder sogar zu eliminieren so unglaublich nah, und auf diese Weise würden sie sicherstellen, dass ihre geheimen – und illegalen – Aktivitäten der letzten Jahre für immer unentdeckt bleiben würden.
Er soll sterben. Bitte, lass ihn sterben. Allein der Gedanke an die ganzen Anschuldigungen, die Rock bei seiner Gefangennahme vorbringen konnte, bewirkte, dass sich R.D. der Magen umdrehte. Aber falls jemand tatsächlich Nachforschungen anstellen würde, gab es natürlich nichts, was dabei zum Vorschein kommen konnte.
Wir haben genug Vorsichtsmaßnahmen getroffen und unsere Spuren gut verwischt. Aber erst, nachdem Billingsworth, dieser neugierige Mistkerl, angefangen hatte, zu viele Fragen über die Herkunft gewisser Geldmittel zur Finanzierung der Kampagne zu stellen, woraufhin R.D. und der CIA-Agent ein wenig aufgeräumt hatten. Die Geldsumme, die dabei verloren gegangen war und die R.D. eigentlich dafür vorgesehen hatte, zukünftige Pläne zu realisieren, war erschreckend hoch.
Dennoch war da auch eine gewisse Befriedigung, wenngleich eine widerliche, dass der einzige Mensch, der wirklich gewusst hatte, woher dieses Geld stammte, jetzt tot war, und dass dank zweier Mitarbeiter des »Projekts« …
R.D. holte zittrig Luft. »Halten Sie mich weiter auf dem Laufenden.«
Das tiefe Seufzen am anderen Ende der Leitung war wirklich ärgerlich. »Das tun wir doch schon die ganze Zeit.«
»Ja, das ist wahr.« Mit diesen Worten legte R.D. auf, lehnte sich zurück und verspürte zum ersten Mal seit Monaten wieder einen leichten Optimismus.
Natürlich war das alles kein Anlass für allzu große Hoffnungen machen. Rock war ein gerissener Kerl, und wenn es irgendjemandem gelingen konnte, dem weit ausgespannten Netz, das die CIA ausgeworfen hatte, zu entkommen, dann ihm.
Sie hatte tatsächlich geglaubt, er wollte sie erschießen. Rock presste eine Hand an seine schmerzende Brust, während er zu der Stelle zurückmarschierte, an der er seinen Rucksack hatte fallen lassen. In den vergangenen sechs Monaten hatte er wie ein Tier gelitten bei der Vorstellung, die Black Knights könnten ihn für schuldig halten – warum sollten sie es auch nicht tun? Sie würden all die Beweise vorgelegt bekommen, die gegen ihn gesammelt worden waren. Aber erst jetzt war ihm bewusst geworden, wie sehr es schmerzte, mit eigenen Augen Zeuge ihrer Zweifel an ihm zu werden.
Und was hatte er dennoch beinahe getan, obwohl ihm das Herz wehtat bei der Vorstellung, dass er ihren Respekt und ihr Vertrauen verloren hatte?
Er hätte Vanessa Cordero beinahe geküsst.
Was nur wieder bewies, was für ein gottverdammter imbécile er war, was für ein erbärmlicher Wurm. Denn indem er sie küsste, würde er die ohnehin schon schlimme Lage noch weiter verschlechtern. Dadurch machte er ihr nur Hoffnung, auch wenn diese längst verloren war.
Er warf einen Blick über die Schulter und hatte sein eigenes Leid schnell wieder vergessen, als er das Weiß ihrer Augäpfel wie zwei Baken in der Dunkelheit leuchten sah. Man musste nicht seine besondere Fähigkeit besitzen, Menschen zu durchschauen, oder sein Talent, die schwächsten mimischen Hinweise zu erkennen, um zu begreifen, dass diese Frau eine Heidenangst hatte. Und ihre Angst hatte nichts mit dem schaurigen, lauten Ruf des Sprenkelkauzes in der Nähe zu tun, da ihr die flüchtigen Geräusche des Dschungels vor Einbruch der Dunkelheit nicht das Geringste ausgemacht hatten.
Oui, es war ganz offensichtlich: Vanessa Cordero hatte Angst vor der Dunkelheit.
Pourquoi? Aber der Grund, aus dem sie sich fürchtete, war eigentlich unwichtig. Die Tatsache, dass sie solche Angst hatte, bewirkte, dass er neben seinem Rucksack stehen blieb, die Lippen schürzte und seine Optionen durchging.
Option eins: Er konnte sie zurück nach Santa Elena führen, was einen zweistündigen Marsch durch den dichten, dunklen Dschungel bedeuten würde, bei dem er ständig auf ihren Atem lauschen würde. Option zwei: Er nahm sie mit zu seinem Baumhaus, das gerade mal fünfzehn Minuten entfernt war, und schickte sie gleich morgen früh wieder weg.
Die zweite Option zog allerdings mit sich, dass er die Nacht mit ihr verbringen würde. Nur sie beide auf engstem Raum. Dabei hatte er schon seit sehr, sehr langer Zeit nicht mehr mit einer Frau geschlafen.
Vanessa traf für ihn die Entscheidung, als hinter ihnen ein lautes Geräusch ertönte und sie ihm auf den Rücken sprang, wobei sie die Beine um seine Taille und die Arme um seinen Hals schlang, ihn beinahe erstickte und bewirkte, dass ihm die Augen aus den Höhlen traten.
Was in aller W…
Weiter kam er mit seinem Gedankengang nicht, da es erneut laut rasselte und sie an ihm hochkletterte, als wäre sie eine Katze und er ihr Kratzbaum, um dabei in seinen Kniekehlen, seinem Gürtel und an den Schultern Halt zu finden. Entweder half er ihr dabei, ihr Ziel zu erreichen, oder er wurde noch schwer verletzt, daher legte er ihr eine Hand an den Hintern – oh, großer Gott! – und schob sie ein wenig an. Zu seinem Erstaunen saß sie im nächsten Augenblick auf seinen Schultern und hielt die Taschenlampe in einer Hand, um die Umgebung auszuleuchten, während sie sich mit der anderen an seinem Haar festhielt und ihm beinahe ein ganzes Haarbüschel mitsamt der Haarwurzeln auszog.