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Heiß, heißer, Black Knights Inc.
Für SAS Offizier Christian Watson ist es nichts Ungewöhnliches, ständig sein Leben riskieren zu müssen. Doch als die attraktive - und nicht gerade auf den Mund gefallene - BKI Office Managerin Emily Schutz benötigt, steht Christians Welt kopf.
"Eine erstklassige, höchst romantische und actiongeladene Story!" KIRKUS
Band 11 der knisternd-heißen "Black-Knights-Inc"-Reihe!
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Seitenzahl: 501
JULIE ANN WALKER
Black Knights Inc.
Riskantes Versprechen
Ins Deutsche übertragen von Michael Krug
Black Knights Inc.: Nach außen hin ein High-End-Motorradladen – in Wirklichkeit eine Elitespezialeinheit der Regierung, die für die riskantesten und geheimsten Einsätze gerufen wird …
Für SAS Offizier Christian Watson ist es nichts Ungewöhnliches, ständig sein Leben riskieren zu müssen. Doch als die attraktive – und nicht gerade auf den Mund gefallene – BKI Office Managerin Emily Schutz benötigt, steht Christians Welt kopf.
An alle, die sich vor dem Sprung in die Liebe gescheut, ihn aber trotzdem gewagt haben: Dieses Buch ist für euch.
Bevor du einen Rachefeldzug antrittst, hebe zwei Gräber aus.
– Japanisches Sprichwort
Kirkuk, Irak
Vor acht Jahren …
»Wer hat dich geschickt? Was willst du?«
Der Akzent des Polizisten ließ die Worte kehlig und hart klingen, doch das war nichts im Vergleich zu der granitartigen Faust, die in Christian Watsons Nase krachte. Ein regelrechter Geysir von Blut schoss über seine Lippen und ergoss sich über die Platzwunde an seinem Kinn, die er der ersten Runde des Verhörs zu verdanken hatte.
Die … wann stattgefunden hatte? Vor zwanzig Minuten? Vor zwei Stunden?
Die Zeit verlangsamte sich, wenn man nach allen Regeln der Kunst windelweich geprügelt wurde.
Eines von Christians Augen war bereits zugeschwollen. Das andere war am Rand aufgeplatzt. Wenn er es öffnete, bröckelte die Kruste, die sich über der Wunde gebildet hatte, und brannte höllisch. Aber die Schmerzen waren den Ausdruck der blanken Wut und Ohnmacht in der Visage des Polizisten wert.
»Mein Name ist Christian Watson. Ich bin Corporal des Special Air Service Ihrer Majestät.« Anschließend leierte er die Nummer seiner Erkennungsmarke herunter, bevor er den Mund zuklappte. Mehr Informationen erforderte die Genfer Konvention nicht. Mehr würde er nicht preisgeben.
Ein weiterer Schlag landete auf seiner Wange. Sein Auge fühlte sich dabei an, als würde es aus der Höhle springen. Als Nächstes folgte ein Hieb, der tief in seinen Bauch getrieben wurde, unmittelbar über der Stelle, an der ihn ein Projektil sauber durchschlagen hatte. Die Schmerzen, die in ihm explodierten, glichen einem Lebewesen, das hungrig mit nadelspitzen Zähnen an seinen Eingeweiden nagte.
Benommenheit und Übelkeit brachen über ihn herein. Vielleicht hätte er sich übergeben, wenn der Stuhl, an den man ihn gefesselt hatte, nicht durch die Wucht des Treffers nach hinten umgekippt wäre. Als er auf den Boden des winzigen Verhörzimmers knallte, hörte sich das Geräusch seines von den Fliesen zurückprallenden Schädels sogar für seine eigenen Ohren übelkeiterregend an.
Dunkelheit bedrängte ihn. Am Rand seines Sichtfelds zeichnete sich verschwommen ein bösartiger Schemen ab.
Zum ersten Mal, seit er das Feuer auf die Straßenblockade eröffnet hatte, versuchte Angst sich in seinem Herzen einzunisten. Er durfte nicht bewusstlos werden. Der Verlust des Bewusstseins kam einem Verlust der Kontrolle gleich. Und ein Verlust der Kontrolle jagte ihm mehr Angst ein, als es ein korrupter irakischer Polizist je könnte.
Während sich in seinem Kopf alles schwindelerregend drehte, kämpfte er gegen seine Fesseln an. Er bemühte sich, beim durchdringenden Eisenaroma seines eigenen Blutes nicht zu würgen, öffnete das heile Auge einen Spalt und funkelte den Polizisten trotzig an. Sein Angreifer hatte ein fieses Grinsen aufgesetzt. Der hasserfüllte Gesichtsausdruck erinnerte Christian an einen Mann, den er vor langer Zeit gekannt hatte. Einen Mann, der anderen aus purem Vergnügen Schmerzen zugefügt hatte. Einen Mann, der ihn …
Der Raum um Christian herum verschwamm und veränderte sich, schmolz zu einer neuen, noch beängstigenderen Szene. Plötzlich war er wieder sechs Jahre alt und befand sich im Zimmer seiner Kindheit. Verschwunden waren der Geruch von Blut und Schweiß und der trockene, staubige Wind. Stattdessen bestürmten ihn andere Gerüche, die von dem massiven, über ihm aufragenden Schatten ausgingen: Whiskey, Rauch und unterschwellig ein Hauch von Fäulnis.
Der Schatten streckte sich ihm entgegen. Gewaltige Pranken krümmten sich zu brutalen Klauen, vor denen es kein Entrinnen gab.
Christian wimmerte und rutschte rückwärts. Aber er konnte nirgendwohin. Es gab keine Möglichkeit zur Flucht.
»Ma!«, rief er, die Stimme heiser vor Grauen. »Ma, bitte!«
Aber sie würde nicht kommen. Es war zu spät. Sie war zu weit weg. Er wusste, dass sie nicht kommen würde.
Ein unverkennbarer Laut ertönte, als die Flamme eines Feuerzeugs zum Leben erwachte. Orangefarbenes Licht flackerte in der Dunkelheit und warf einen unsteten Schein auf die unbarmherzigen Augen des schemenhaften Mannes. Dadurch wirkte er genauso, wie er war. Sadistisch. Grausam. Das Böse in Menschengestalt.
Christian wappnete sich für das, was als Nächstes kommen würde. Dennoch überwältigte ihn das erste Zischen durch die schiere Intensität der feurigen Schmerzen.
Er warf den Kopf zurück und schrie …
Port Isaac, Cornwall, England
»Aufwachen, verdammt! Wach auf!«
Wie von der Tarantel gestochen schreckte Christian im Bett hoch. Einige verwirrende Sekunden lang war er völlig planlos, hatte keinen Schimmer, wo er war. Oder wann es war. Er nahm nur Dunkelheit und die anhaltende Erinnerung an Höllenqualen wahr. Dann war da nur … sie. Emily Scott. Die Frau, die ihm unter die Haut gegangen war und sich dort häuslich niedergelassen hatte.
Der exotische Geruch ihres Shampoos stieg ihm in die Nase. Was ihn wie mit einem Katapult abgefeuert zurück ins Hier und Jetzt schleuderte.
Verkackter Höllendreck, ging ihm im selben Moment durch den Kopf, in dem Emily hervorstieß: »Heilige verfickte Scheiße!«
Die Frau besaß ein Mundwerk, das ihn immer wieder aufs Neue belustigte. Vielleicht hätte er gelächelt, wenn in ihren Worten nicht so überdeutlich mitgeschwungen hätte, dass sie eben erst unsanft aus dem Schlaf gerissen worden war … und noch etwas anderes. Etwas, das sich verdächtig nach Angst anhörte.
Zweifellos hatte er sich die verfluchte Seele aus dem Leib geschrien. Was selbst einem einsatzerfahrenen Außendienstagenten einen Mordsschrecken einjagen würde, und erst recht einer hübschen, zierlichen Bürodame, die es irgendwie geschafft hatte, sich in eine Mission zu verstricken, bei der sie nicht das Geringste verloren hatte.
Zur Hölle damit, dachte Christian erneut, als ihn die Überreste des Traums – Korrektur: der Träume – schaudern ließen.
Monate. So lange war er schon nicht mehr schweißgebadet aufgewacht, nachdem er sich im Schlaf hin und her geworfen hatte, um den Geistern seiner Vergangenheit zu entrinnen. Er hatte gehofft, dass er sie vielleicht endgültig abgehängt hätte. Leider schienen sie so intensiv und unausweichlich zu sein wie eh und je. Diese Schweinehunde.
Vor Verlegenheit und Scham fuhr er sich mit der Hand übers Gesicht. Die Stoppeln seines Eintagebarts kratzten über die Schwielen an seiner Handfläche.
»Hi.« Sie schüttelte ihn an der Schulter, als wäre sie nicht sicher, ob er wirklich wach war. »Du hattest einen Albtraum.« Durch ihren Akzent aus China Town betonte sie das A in allen Worten, wodurch sie ziemlich tough klang. Was für eine komische Wirkung sorgte, zumal er fand, dass sie ungefähr so gefährlich aussah wie ein Kaninchenbaby.
Seine Worte klangen barscher als beabsichtigt, als er erwiderte: »Was du nicht sagst, Sherlock.«
Sie zog sich zurück und nahm den Geruch ihres Shampoos mit. Sein Herz schleuderte sich sofort gegen den Brustkorb, als wolle es den zwischen ihnen entstandenen Abstand verringern.
Sie schnaubte genervt, und er wusste, dass er sich entschuldigen sollte. Doch die Worte blieben ihm im Hals stecken. Er konnte den Gedanken nicht ertragen, dass sie ihn so gesehen hatte.
So verletzlich.
So ungeschützt.
So … außer Kontrolle.
»Weißt du« – sie gab sich keine Mühe, die Schärfe in ihrem Ton zu verbergen – »ein normaler Mensch würde so was sagen wie: ›Danke, Emily. Danke, dass du mich geweckt hast, bevor ich ein Loch in die verfluchte Wand geschlagen hätte.‹«
Für den letzten Satz benutzte sie einen englischen Akzent. Zum Niederknien. Und total daneben. Sie hörte sich eher wie eine Neuseeländerin an als eine Engländerin.
»Hast recht«, räumte er ein. »Du hast vollkommen recht. Tut mir leid. Danke, dass du mich geweckt hast.«
Seine Augen hatten sich gerade an die Düsternis gewöhnt, und er stellte fest, dass sie einen vertrauten ausgefransten Pullover trug. Ihr braunes Haar formte auf dem Kopf ein chaotisches Stillleben, in ihrem Gesicht fehlte jede Spur von Make-up. Und – ein nicht zu vernachlässigendes Und! – sie trug keinen BH. Christian war sich ziemlich sicher, dass er durch den dicken Stoff ihres Sweaters ansatzweise die aufgerichteten Nippel sehen konnte.
Gottverdammt … Er starrte auf ihre Brüste.
Hör auf, ihre Brüste anzuglotzen.
Sicher doch. Nur leichter gedacht, als getan, zumal Emily vom Scheitel bis zu den unlackierten Zehennägeln wun-der-schön anzusehen war. Nicht schön auf die Art wie Hollywood-Sternchen mit ihrem gefärbten Haar, ihren schönheitschirurgisch optimierten Fahrgestellen und jeder Menge Kosmetika. Nein, schön auf eine zeitlose, unangestrengte, natürliche Weise.
Trotz ihrer schlanken Gestalt besaß Emily herrliche Kurven an genau den richtigen Stellen. Außerdem eine Stupsnase, große dunkle Augen und einen sinnlichen Mund. Müsste er ihre Gesamterscheinung bewerten, würde er am ehesten sagen, sie strahlte ein mädchenhaftes Flair aus. Tendenziell sorgte sie beim Betreten eines Raums für Aufruhr unter den männlichen Anwesenden.
Zu seinem Leidwesen befand sie sich gerade in seinem Raum.
Okay. Kurz zurückgespult. Angesichts der Tatsache, dass Emily tatsächlich umwerfend schön war und regelmäßig für Hysterie unter Männern sorgte, hätte man sich fragen können, warum das für Christian keinem wahrgewordenen Traum gleichkam.
Die Antwort war einfach: Seit ihrer ersten Begegnung machte sie ihm unmissverständlich klar, dass sie in dieser Hinsicht keinerlei Interesse an ihm besaß. Jedenfalls genoss sie es, ihn an der Nase herumzuführen. Ihn aufzuziehen. Mit ihrer messerscharfen Zunge regelmäßig Streifen aus seiner Haut zu schneiden. Aber was nächtliche Aktivitäten anging? Tja, hierbei konnte man getrost behaupten, dass Emily das menschliche Pendant zu einer Verkehrsampel darstellte. Bei Rot stehen bleiben. Oder einen ordentlichen Strafzettel kassieren.
Masochistisch wie er war, begehrte er sie dadurch nur umso mehr. Und wie zum Beweis hatte sich sein Fahnenmast bereits halb aufgerichtet. Den Zustand hätte er gern Emilys durchschimmernden Nippeln zugeschrieben. Hör endlich auf, ihre Brüste anzuglotzen! Aber mit einem halbsteifen Schwanz herumzulaufen, war generell so ziemlich der Standard, wenn sich Emily im Umkreis von zehn Metern befand.
»Willst du darüber reden?«, fragte sie. Das erste Licht des Morgens suchte sich ausgerechnet diesen Moment aus, um durch den Spalt zwischen den Vorhängen hereinzuscheinen. Es erfasste ihre glatte, makellose Haut, betonte das Schönheitsmal hoch oben an ihrer rechten Wange und unterstrich das Mitgefühl, das aus ihren Augen sprach.
»Worüber reden?«
»Deinen Albtraum.«
Christian schnaubte. »Ungefähr so dringend, wie ich mir die Eier mit einer rostigen Rasierklinge abtrennen lassen möchte.«
Einen Herzschlag lang schwieg sie. Dann kräuselten sich ihre Lippen zu einem kleinen Lächeln. »Na ja, jeder, wie er’s mag.«
Ein Scherz. Sie versuchte, seine Anspannung aus ihm abfließen zu lassen. Was vielleicht funktioniert hätte, wenn sie jemand anders gewesen wäre. Wenn sie nicht ein so hypnotisierendes Lächeln besessen hätte. Christian fürchtete, wenn er zu lange hinstarrte, würde er unter ihren Bann geraten und ihr hilflos ausgeliefert sein.
Durch die schmale Öffnung der Vorhänge erhaschte er einen Blick auf die Aussicht dahinter. Die aufgehende Sonne tünchte den Strand in einen perlmuttartigen Schein. Goldene Strahlen färbten die Spitzen der Wellen im Hafen rosa und silbern. Ein Anblick wie aus Christians Kindheit. Damals, als seine Kindheit … wenn schon nicht berauschend, so doch zumindest erträglich gewesen war. Bevor sie zu einer Abfolge langer, einsamer Tage und furchterregender Nächte verkommen war.
»Wie spät ist es?«, wollte er wissen und bemühte sich, nicht darauf zu achten, wie sein Oberschenkel durch den Stoff der Decke ihre Hüfte berührte.
»Kurz nach sechs. Du hast noch Zeit, ein bisschen länger zu schlafen.«
»Keine Chance.«
Ihr Gesichtsausdruck blieb mitfühlend. »So geht’s mir auch nach schlimmen Träumen. Ich hab’ festgestellt, dass es mir hilft, wenn jemand bei mir bleibt. Du weißt schon, als so eine Art Wächter gegen die Rückkehr des Albtraums. Willst du, dass ich bei dir bleibe?«
Du lieber Himmel, meinte sie die Frage ernst? Mehr als alles andere wollte er, dass sie bei ihm blieb. Nur konnte er sie nicht in seinem Zimmer, in seinem Bett haben, ohne sie zu berühren. Und da auf der Liste der unausgesprochenen Regeln fett, unterstrichen und in Großbuchstaben EINE FRAU NIEMALS ANFASSEN, BEVOR SIE EINEN DAZU EINLÄDT stand, musste sie gehen.
»Lieber nicht. Mir geht’s gut. Aber danke. Danke, dass du nach mir gesehen hast. Dass du mich geweckt hast.« Christian wagte einen Blick in ihre Augen und erkannte sofort, was für ein Fehler es gewesen war. Er war daran gewöhnt, ein schelmisches Funkeln darin zu entdecken, gewürzt mit etwas Spott, Verdruss oder gelegentlich sogar widerwilligem Respekt. Hingegen war er nicht daran gewöhnt, Zärtlichkeit darin zu sehen.
Nicht, dass Emily eine unfreundliche Person war. Ganz im Gegenteil. Unter dem toughen Äußeren verbarg sich ein unglaublich weicher Kern. Das Problem war nur, dass sie ihm ihre weichere Seite selten zeigte. Stattdessen zog sie es vor, ihm gegenüber all die Ecken und Kanten auszupacken, die sie beim Heranwachsen im Arbeiterviertel Bridgeport in Chicago entwickelt hatte.
Als sie eine Hand auf seinen Oberschenkel legte, brach ihm sofort der Schweiß aus. »Wenn du dir sicher bist, dass du …«
»Ich bin mir sicher«, fiel er ihr schnell ins Wort.
»Du spielst echt gern den super-harten Kerl, oder?«
Er zog eine Augenbraue hoch und achtete darauf, einen tunlichst arroganten Gesichtsausdruck zur Schau zu stellen. »Den muss ich nicht spielen, Schätzchen.«
Emily warf den Kopf zurück und lachte. Beim Anblick ihres nackten Halses in Kombination mit den leisen, sinnlichen, an- und abschwellenden Lauten ihrer Belustigung richtete sich sein Halbmast zu voller Größe auf.
Verflixter Verräter da unten!
Wie unfair, dass Männer täglich mit dem ihnen angewachsenen Geschlechtsorgan zu kämpfen hatten. Vor allem, da selbiges Geschlechtsorgan null Hirn besaß und ein mieses Gefühl für Timing hatte.
Emily senkte das Kinn und betrachtete ihn, nach wie vor mit diesem hypnotischen Lächeln auf den Lippen. »Lass dir nie von jemandem mangelndes Selbstvertrauen vorwerfen, Christian.«
Er spielte mit dem Gedanken, so zu tun, als hätte er sie nicht gehört, damit sie seinen Namen noch einmal sagen würde. Wie sie ihn aussprach, empfand er immer wie ein Gläschen gut gereiften Whiskeys – warm, kraftvoll, berauschend. Stattdessen jedoch erwiderte er: »Du sagst das, als wäre es was Schlechtes.«
»Nein, ist es nicht. Ich mag selbstbewusste Männer.«
»Vorsicht«, warnte Christian. »Das klingt verdächtig, als würdest zu zugeben, mich zu mögen.«
Sie zuckte mit den Schultern. Es war eine zierliche, unterbewusst anmutige Geste. »Na ja, zumindest hab’ ich keine ausgeprägte Abneigung gegen dich.«
Hitze breitete sich schlagartig in seinem Bauch aus. Um von der plötzlichen Farbe in seinen Wangen und vom raubtierhaften Schimmer abzulenken, der in seine Augen trat, setzte er eine genervte Miene auf. »Das nenn ich mal ein schwaches Lob.«
»Ach, du willst Lob? Tja, ich fürchte, dann bist du an die Falsche geraten. Mit Komplimenten bin ich ganz schlecht.«
»Das ist jetzt die Untertreibung des Jahrhunderts.« Um bei der Wahrheit zu bleiben: Er hatte schon bei vielen Gelegenheiten gehört, wie sie ihren Kollegen Komplimente unterbreitet hatte. Aber aus irgendeinem Grund stellte sie sich miserabel dabei an, Bewunderung in seine Richtung zum Ausdruck zu bringen.
Vermutlich klappte ihm deshalb der Mund auf und blieb sperrangelweit offen, als sie tief Luft holte und herausplatzte: »Du hast richtig hübsche Augen.«
Kreiiiiiisch. Das war das Geräusch der Nadel, die über seine mentale Schallplatte kratzte. Hatte Emily Watson gerade gesagt, er hätte hübsche Augen? Noch mal zurück. Nicht nur hübsche Augen, sondern richtig hübsche Augen?
Wie merkwürdig, dass sie so dachte. Christian hatte immer gefunden, seine Augen wären ein wenig … unheimlich. Sie hatten eine eigenartige Farbe, irgendetwas zwischen Grün und Gold. Zu hell in Kombination mit seiner sonnengebräunten Haut und seinem dunklen Haar. Und hatte man ihm das nicht auch gesagt? Hatten nicht seine unheimlichen Augen heraufbeschworen, dass …
Er zerstampfte die Erinnerung, bevor sie sich einstellen konnte, und sah sich im Zimmer um, als würde er flüchtig nach etwas Ausschau halten. »Warte mal kurz«, sagte er.
»Was ist? Wonach suchst du?«
»Nach dem weißen Kaninchen. Ich bin wohl in den Kaninchenbau gefallen.«
Emily klatschte ihm gegen den Arm und gab sich keine Mühe, es sanft zu tun. Und pervers wie er war, gefiel es ihm. Andererseits: Wie pervers konnte es schon sein, sich nach der Berührung – und sei es einer schmähenden Berührung – einer Frau wie Emily Scott zu sehnen?
»Siehst du? Und deshalb mach ich dir keine Komplimente. Du weißt einfach nicht, wie man damit umgeht.«
»Tut mir leid. Du hast völlig recht. Lass es uns noch mal versuchen, ja? Du findest also, ich hab’ richtig hübsche Augen?« Zur Betonung klimperte er mit den Wimpern.
Stöhnend stieß sie sich vom Bett ab. Den Verlust ihres Gewichts, den Verlust ihrer Hüfte an seinem Oberschenkel, den Verlust ihres exotisch duftenden Shampoos spürte Christian in Körperregionen, die er nicht zu benennen wagte. »Abgesehen davon«, fügte sie hinzu, »ist dein Ego schon groß genug, auch ohne von mir gelegentlich gestreichelt zu werden.«
Beim Wort gestreichelt stockte ihm der Atem. Es schien in der Luft zu hängen und wie ein schlagendes Herz zu pulsieren.
Falls ihr seine plötzliche Anspannung auffiel, ließ sie es sich nicht anmerken, als sie hinüber zur Tür schlenderte. An der Schwelle drehte sie sich um und sagte: »Da du ja nicht mehr weiterschläfst, wie wär’s, wenn du Frühstück für die ausgehungerte Horde machst, hm? Ich könnte nämlich schon noch ein Stündchen Augenpflege vertragen.«
Damit streckte sie die Arme über den Kopf und entfesselte ein geräuschvolles Gähnen. Ihr antiker Pullover hob sich langsam vom Bund ihrer Pyjamahose. Beim Aufblitzen der hellen, seidigen Haut wurde Christians Mund schlagartig zum Wüstengebiet.
»Apropos ausgehungerte Horde«, sagte er – oder krächzte er vielmehr heiser. »Schlafen die anderen noch? Oder hab ich sie geweckt?«
Emily spähte im Flur nach links und rechts. Ihr dunkles Haar fiel dabei über die Schulter wie ein seidiger Vorhang, den er sich sehnte zu berühren. »Die Lichter in ihren Zimmern sind noch aus. Ich glaub, ich war die Einzige, die’s gehört hat. Du weißt schon, weil wir eine gemeinsame Wand haben.«
Ah ja. Die gemeinsame Wand.
Die Wand, die Christian die letzten fünf Nächte angestarrt hatte, während sie alle darauf warteten, dass die Dinge sich klärten, damit sie sich aus ihrem Versteck hervorwagen und nach Chicago zurückkehren konnten. Die Wand, an die er vielleicht – nur vielleicht – das eine oder andere Mal ein Ohr gepresst hatte, in der Hoffnung, dabei zu lauschen, wie sie … was? Schnarchte? Atmete? Sich befriedigte?
Er unterdrückte ein Stöhnen.
»Und?« Sie legte den Kopf schief. »Machst du’s?«
»Ob ich was mache?«
Sie runzelte die Stirn, als wäre sein IQ innerhalb von fünf Sekunden um satte fünfzig Punkte gefallen. Was, wenn er ehrlich sein wollte, der Wahrheit ziemlich nahekam. Das tat sein IQ tatsächlich. Jedes Mal, wenn sich Emily im Raum aufhielt.
»Machst du Frühstück? Ich weiß, dass eigentlich ich damit an der Reihe wäre, aber …«
»Kein Wort mehr.« Christian hob die Hand. »Ist so gut wie erledigt.« Denn wenngleich Frühstücksdienst bei niemandem ganz oben auf der Liste der bevorzugten Aufgaben stand, übernahm er ihn gern, wenn er Emily dadurch aus seinem Zimmer bekam. Nachdem er ihr so lange so nah gewesen war, brauchte er definitiv etwas Zeit allein mit seinem Ständer. »Ein traditionelles englisches Frühstück«, fügte er hinzu, als sie eine zusätzliche Beteuerung zu brauchen schien.
Sie rümpfte die Nase. »Die gedünsteten Champignons und die gebratene Tomate lass ich mir ja noch einreden, aber Bohnen zum Frühstück habe ich nie verstanden.«
»Die sind gut fürs Herz.«
Sogar quer durch das düstere Zimmer konnte Christian beobachten, wie der Schalk in ihren Augen aufleuchtete. Emily genoss es, Knöpfe zu drücken, indem sie unheimlich krasse Dinge von sich gab. Er vermutete, dass es ihr Freude bereitete, die Menschen um sie herum ständig aus dem Gleichgewicht zu bringen. »Je mehr man davon isst, desto lauter kann man …«
»Grundgütiger!«, fiel er ihr tadelnd ins Wort, bevor sie die alte Binsenweisheit aussprechen konnte. »Werd’ erwachsen, ja?«
Die Frau konnte ihn mühelos zur Weißglut treiben. Aber sie brachte ihn auch zum Lachen. Und in seiner Branche … ach was, in seinem gesamten verdammten Leben … gab es selten etwas zu lachen.
»So spießig«, klagte sie. Nicht zum ersten Mal.
»Ich bin nicht spießig. Ich bin Engländer, Schätzchen.«
»Genau das mein ich.«
»Das tut weh.« Er verschränkte die Arme vor der Brust und reckte das Kinn vor. Wenn er sich nicht irrte, heftete sich ihr Blick auf seine nackten Brustmuskeln, bevor er über die schwarzen, gewundenen Tätowierungen wanderte, die seine Arme von den Schultern bis zu den Handgelenken bedeckten.
Ist das etwa Interesse, das ich in ihren Augen sehe?, fragte er sich hoffnungsvoll.
Christian bot keinen unerfreulichen Anblick. Das wusste er. Zwar musste er sich die Frauen nicht unbedingt mit einem Besenstiel vom Leib halten, ebenso wenig jedoch musste er sich allzu sehr anstrengen, um bereitwillige Bettgefährtinnen zu finden. Leider verschwand das Aufflackern von Interesse, das er in ihren Augen gesehen zu haben glaubte, bevor er es eingehender studieren konnte.
»Und, freust du dich darauf, die Heimat heute zu verlassen?«, fragte sie ihn und verharrte nach wie vor an seiner Tür.
»England ist nicht mehr meine Heimat«, versicherte er ihr, und seine Stimmung plumpste jäh ins Klo. Das Gute daran war, dass sein Ständer gleich mit abstürzte. Anscheinend gab es also zwei Maßnahmen gegen eine unerwünschte Erektion. Zum einen, selbst Hand anzulegen. Zum anderen, über das Land zu reden, das ihn verraten hatte. »Schon lange nicht mehr.«
Emily betrachtete ihn noch einen Herzschlag lang, dann nickte sie und wandte sich ab, um in ihr eigenes Zimmer zurückzukehren. Bevor sie den Flur hinunter verschwand, brachte sie noch eine Abschiedsspitze an. Wenn Christian zu dem Zeitpunkt gewusst hätte, als wie unheilvoll sich ihre Worte erweisen würden, wäre er mit über den Kopf gezogener Decke im Bett geblieben. »Irgendwann musst du mir erzählen, was hier passiert ist.«
Emily Scott hatte einen guten Tag.
Den Frühstücksdienst hatte sie an Christian abgeschoben. Sie trug ihr Lieblingssweatshirt, das ein gewisser Paulie Konerko nach seinem Beitrag zum Sieg der White Sox in der World Series 2005 signiert hatte. Und sie war unterwegs nach Hause. Zurück in eine Welt mit Baseball und Tiefkühlpizza, hoch aufragenden Wolkenkratzern und einem See so groß und blau, dass er wie ein Meer anmutete.
Hinzu kam, dass sie nicht mehr länger mit vier der vor Testosteron strotzendsten Männer auf dem Planeten in einem winzigen Häuschen eingepfercht sein würde. In Summe würde sie sich daher sogar so weit aus dem Fenster lehnen, dass es nicht bloß ein guter Tag war, sondern ein uneingeschränkt großartiger. Deshalb hätte sie eigentlich dafür gewappnet sein müssen, dass die Dinge anfingen, den Bach runterzugehen.
Sie hatte schon die Erfahrung gemacht, dass ihr die guten Tage zu denken geben sollten, da sich das Leben gerade dann am liebsten anpirschte und ihr in den Hintern trat, wenn sie am wenigsten damit rechnete.
Typisches Beispiel: Nur zwei Stunden, nachdem sie Christians köstliches englisches Frühstück – natürlich ohne die Bohnen – förmlich verschlungen hatte, ertappte sie sich dabei, mit vor Staunen offenstehendem Mund ungläubig zu blinzeln, als er die Tür des Häuschens seines Onkels aufzog und ihm ein Mikrofon vors Gesicht gehalten wurde.
»Sind Sie Corporal Christian Watson?«, verlangte eine rothaarige Frau in gelbem Hosenanzug zu erfahren. »Stimmt es, dass Sie der SAS-Soldat waren, der beim Kirkuk-Polizeirevier-Vorfall gefangen genommen wurde?«
»Wo sind Sie gewesen, Corporal Watson?«, fügte ein Mann mit Regenmantel und klassischer Schirmmütze hinzu und hielt Christian ein digitales Diktiergerät vor den Mund. »Was haben Sie getrieben, seit Sie den Special Air Service Ihrer Majestät verlassen haben?«
Emily erhaschte noch flüchtig einen Blick auf ein halbes Dutzend weiterer Leute um den Eingang des Hauses – darunter ein Kerl mit einer verflucht großen Kamera auf der Schulter –, bevor Christian die Tür zuknallte und den Schlüssel im Schloss drehte. Sein Gesicht glich einer Gewitterwolke, als er herumwirbelte.
»Verfluchte Scheiße«, fluchte er knurrend, bevor er eine Abfolge von Unflätigkeiten vom Stapel ließ, die selbst einem besoffenen Seemann die Schamesröte ins Gesicht getrieben hätten.
Warum nur klangen Schimpfwörter aus seinem Mund so viel besser? Ach ja, richtig. Weil aus seinem Mund alles besser klang. Dieser Akzent!
Als sich Emily zu den drei Männern hinter ihr umdrehte, spiegelten ihre Mienen ihren eigenen Gesichtsausdruck. Mit einem Wort: Bestürzung. Mit zwei Worten: zügellose Neugier. Und mit mehr Worten? Was zum Geier soll das?, kam ihr in den Sinn.
»Was zum Henker soll das?«, fragte Ace und rückte die Trageriemen seines Rucksacks auf den breiten Schultern bequemer zurecht.
Sie alle hatten Rucksäcke, vollgestopft mit dem Allernötigsten für die Flucht aus dem Land – grundlegende Toilettenartikel und frische Sachen zum Wechseln. Normalerweise gehörte zum »Allernötigsten« auch eine Ansammlung von Handfeuerwaffen, Messern und ähnlichen spitzen oder knallenden Gegenständen, die bei korrekter Handhabung zum Tod führten. Allerdings mussten sie ihr Arsenal vor ein paar Tagen beim ursprünglichen Versuch, es über den großen Teich zu schaffen, zurücklassen. Seither fragte sich Emily, ob sich die Männer ohne ihr übliches Sammelsurium an Kampfklingen und Schusswaffen nackt vorkamen.
»Ich mein, echt jetzt, was zum ungeputzten Allerwertesten soll das?«, wiederholte Ace.
Colby »Ace« Ventura war früher Pilot bei der US Navy gewesen und hatte später zu Black Knights Inc. gewechselt, einem verdeckt für die Regierung arbeitenden Unternehmen, gegründet und geleitet von niemand Geringerem als dem Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika höchstpersönlich – mittlerweile dem ehemaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. Zu den Mitarbeitern gehörten einige der geheimsten Geheimagenten auf dem Planeten. Emily selbst war nach ihrem Abschied von der CIA zu dem Unternehmen gegangen. Obwohl es in Wahrheit wohl präziser wäre zu sagen, Black Knights Inc. hatte sie unter die Fittiche genommen, als sie nach dem Fiasko mit ihrem einstigen Boss gezwungen gewesen war, die CIA zu verlassen.
Und nur fürs Protokoll, sie zählte nicht zu den geheimsten aller Geheimagenten. Sie arbeitete als Büroleiterin und hatte diese Mission begleitet, um zu versuchen, die anderen organisiert, auf Schiene und aus Ärger herauszuhalten.
»So kann man’s auch ausdrücken«, meinte sie. »Man könnte es auch mit den Worten von Pilatus aus ›Das Leben des Brian‹ ausdrücken.« Sie setzte eine übertrieben empörte Miene auf. »Christian … was soll das pedeuten?«
All die Stunden, die ihre Eltern sie als Kind vor der Glotze geparkt und sie Monty Python hatten sehen lassen, während sie unterwegs waren und Gott weiß was trieben, zahlten sich nun mit einer tadellosen Imitation von Michael Palin aus. Angesichts der Umstände erschien ihr ein Zitat aus einer ur-englischen Produktion durchaus passend.
Leider sprach Christian nicht auf ihren Versuch an, die Spannung aufzulockern. »So ein Dreck«, zischte er, gefolgt von: »Verfluchte Scheiße!«
»Das hast du schon gesagt.« Immer noch bemühte sie sich, seine Stimmung zu heben. Jedes Mal, wenn sie an die Verwundbarkeit dachte, die sie eine Sekunde lang in seinen Augen gesehen hatte, nachdem er aus seinem Albtraum erwacht war, krampfte sich ihr bescheuertes, rührseliges, viel zu weiches Herz zusammen. »Versuch’s doch mal mit was anderem. Mir persönlich gefällt ja Kruzefixhalleluja-Sakrament oder Himmelherrschaftszeiten noch mal. Ebenso könnte ich vorschlagen …«
»Lass stecken, Emily.« Er bedachte sie mit einem finsteren Blick. Ganz ehrlich, Christian konnte so finster dreinschauen wie sonst niemand. »Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt für deinen beißenden Scharfsinn.«
»Ach nein? Und ich dachte, jeder Zeitpunkt wäre gut für beißenden Scharfsinn.«
»Da draußen sind beschissene Reporter.«
»Ja. Hab sie mit eigenen Knopfaugen gesehen.«
Diesmal bedachte er sie mit einer genervten Grimasse. Der Mann schien über ein riesiges Arsenal von sexy-spöttischen Blicken und vernichtend-finsteren Gesichtsausdrücken zu verfügen. Und die Wahrheit? Emily war vernarrt in jede einzelne Version davon.
Sein Mienenspiel gewährte ihr nämlich flüchtige Einblicke in den wahren Mann unter dem sorgsam gestylten Haar, den Designerklamotten und dem kostspieligen Krimskrams. Den Mann, der auch dreckig und mürrisch sein konnte, der Ecken und Kanten hatte. Den Mann, den ein Teil von ihr nicht erwarten konnte, kennenzulernen.
Nur ein Teil von ihr, könnte man sich fragen? Ja, nur ein Teil von ihr. Der wilde Teil. Der unbesonnene Teil. Der verrückte Teil, der nichts anderes im kleinen verruchten Hirn hatte als will haben, will haben, will haben!
Es dürfte nicht weiter überraschen, dass Emily diesen Teil tunlichst zu ignorieren versuchte und sich stattdessen auf den anderen Teil ihrer selbst konzentrierte. Den vernünftigen Teil. Den rationalen Teil. Den praktisch veranlagten Teil, der nicht wagte, ihm noch mehr sexy Munition gegen ihre ohnehin bereits hechelnde Libido zu liefern.
»Was machen wir jetzt?«, fragte Ace.
»Hintertür«, sagte Angel und wandte sich bereits ab. Angel war ein ehemaliger israelischer Mossad-Agent, der ebenfalls zu einem der Teufelskerle von BKI geworden war. Emily wusste kaum etwas über ihn. Der Mann verkörperte ein riesiges Fragezeichen, und seine Vergangenheit lag in noch tieferen Schatten als die von Christian.
»Genau. Gute Idee.« Sie hastete hinter ihm her. Leider hörten sie von hinten das Geräusch von Stimmen, noch bevor sie die Hintertür erreichten.
»Gefangen«, flüsterte Emily, und ihr Herz schaltete schlagartig in den höchsten Gang. Nur zu gern hätte sie die jähe Beschleunigung ihres Pulses der zunehmend alarmierenden Lage zugeschrieben. In Wahrheit jedoch lag der wilde Takt zumindest teilweise daran, dass Christian unmittelbar hinter ihr zum Stehen gekommen war, so nah, dass sie die von ihm abgestrahlte Körperwärme fühlen konnte.
Und wieder wollte sich mit aller Gewalt ihr wilder, unbesonnener Teil bemerkbar machen. Und wer konnte es ihm verdenken, wenn man berücksichtigte, dass Christians Auftreten dem eines Wüstenhochlands glich? Rau. Gefährlich. Hart. Seine Augen funkelten und leuchteten wie eine Oase inmitten des Sands.
Intensiv maskulin – das war er. Sinnlich. Animalisch. Ein Meter neunzig aus starken Knochen mit heldenhafter Mähne und einem verführerischen Kinngrübchen. Ein Kerl des Schlags, der anziehend wirkte, weil er Selbstvertrauen, Testosteron und Kraft ausstrahlte. Ein Herzensbrecher. Die meisten Frauen brachte er allein dadurch ins Schwitzen, dass er atmete.
Zu ihrem Glück war Emily nicht wie die meisten Frauen.
Na schön. Vielleicht doch. Denn im Ernst, sich nicht nach seinem sengend heißen Prachtkörper zu sehnen, wäre ungefähr so, als redete man sich ein: Siehst du diesen flauschigen Welpen dort? Der ist überhaupt nicht süß.
Und dennoch: Ob sie Christan nun am liebsten an Ort und Stelle besprungen hätte oder nicht, es kam nicht infrage, denn sie hatte gelernt, Berufliches nicht mit Privatem zu vermischen. Einmal und nie wieder, Baby.
»Das ist übel«, murmelte Christian und wich einen Schritt zurück. Emilys wilder, unbesonnener Teil weinte, während der vernünftige, praktisch veranlagte Teil jubelte.
»Übler als übel«, pflichtete ihm Ace bei.
»Wir müssen uns beruhigen«, warf Angel auf seine übliche nüchterne Weise ein. Jamin »Angel« Agassis Diktion war die Beste, die Emily je gehört hatte. Aber seine Stimme? Zum Davonlaufen. Lag vermutlich daran, dass er sich nach seiner Flucht aus Israel einer Stimmbandoperation unterzogen hatte, um Spracherkennungssoftware zu entgehen.
Schon ziemlich krass …
»Richtig.« Ace nickte. »Bevor wir zu sehr aus dem Häuschen geraten, müssen wir mal bestimmen, womit wir’s eigentlich zu tun haben.« Er sah Christian mit fragend hochgezogenen Augenbrauen an. »Ist es wahr? Du warst der Soldat, der beim Kirkuk-Polizeirevier-Vorfall in Gefangenschaft geraten ist?«
Emily drehte den Kopf, musterte eingehend Christians Gesicht und stellte fest, dass unter dem rechten Auge ein Muskel zuckte. Soweit sie es beurteilen konnte, war das das einzige verräterische Anzeichen auf seinen Gemütszustand, und es trat nur auf, wenn er stinksauer oder richtig aus dem Konzept gebracht war. Was bedeutete, es trat oft auf, wenn sie sich in der Nähe befand.
»Ja«, antwortete Christian mit fünf Sekunden Verzögerung. »Das war ich.«
»Heilige Scheiße auf Toast«, fluchte Ace und fuhr sich mit einer Hand durchs blonde Haar.
»Klärt mich mal auf.« Das kam von Rusty Parker, dem einzigen Zivilisten der Gruppe. »Was war der Kirkuk-Polizeirevier-Vorfall?«
Rusty war ein ehemaliger Marine, der einen Sommer lang als CIA-Agent gearbeitet hatte, bevor er nach England gezogen und Charterbootkapitän geworden war. Emily hatte ihm in jenem Sommer aus einem Schlamassel geholfen, und seither waren sie in Verbindung geblieben. Als sie und die anderen Mitglieder von BKI in der vergangenen Woche aus dem Land flüchten mussten, nachdem sie ihre Mission vermasselt hatten, einen berüchtigten, nur unter dem Decknamen Spider bekannten Verbrecherboss der Unterwelt zu Fall zu bringen, hatte sie Rusty als Ersten angerufen.
Armer Teufel, dachte sie nun. Sie hätte ihn nie und nimmer in die Sache hineingezogen, wenn sie gewusst hätte, wie viele Schwierigkeiten sie ihm damit machen würde.
»Genau.« Sie nickte. »Selbe Frage wie Rusty. Was war der Kirkuk-Polizeirevier-Vorfall?«
Christian schüttelte den Kopf. »Dafür haben wir jetzt keine Zeit.«
»Doch, haben wir. Da unsere einzigen Ausgänge von Reportern belagert werden, haben wir alle Zeit der Welt.«
Christian blies genervt den Atem nach oben aus, wodurch ihm eine Strähne in die Stirn fiel. Der Anblick wollte Emily ablenken, aber sie weigerte sich, es zuzulassen.
»Na schön. Aber machen wir’s verflucht noch mal kurz, okay?«
»Wir sind ganz Ohr«, versicherte sie ihm. »Schieß los.«
Wieder zuckte der Muskel unter seinem Auge. Gleich darauf gesellte sich ein weiterer in seiner Kieferpartie dazu. »Es war gegen Ende des Irakkriegs, nachdem die schwersten Kampfhandlungen abgeflaut waren, und vor dem Einfall von ISIS ins Land. Ich wurde hingeschickt, um eine Gruppe irakischer Polizisten im Auge zu behalten. Die haben eine Sondereinheit zur Verbrechensbekämpfung geleitet. Gerüchte brachten sie mit Korruption und Polizeibrutalität in der Stadt in Verbindung. Ich sollte genug Beweise gegen sie sammeln, um eine Verhaftung zu rechtfertigen.«
»Oh, ich erinnere mich. Hab darüber mal was gelesen.« Rusty verengte nachdenklich die Augen. »Da hat’s ’ne Schießerei an einer Straßensperre gegeben, richtig?«
Christian nickte, und diese verflixte Strähne fesselte Emilys Aufmerksamkeit. Schon wieder.
Ruhig bleiben, Kleine, ermahnte sie ihre aufsässige Libido.
»Dummerweise waren mir die Polizisten, die ich observieren sollte, auf die Schliche gekommen. Ich bin aus der Stadt aufgebrochen, um meinem befehlshabenden Offizier einen Lagebericht zu überbringen, als ich an einer Straßensperre aufgehalten wurde. Zuerst dachte ich, dass ich mich aus der Lage herausreden könnte, klar? Aber dann wurde es ziemlich schnell ziemlich brenzlig. Sie haben ihre Waffen gezogen und zu schießen angefangen. Ich hab’ ebenfalls gezogen und das Feuer erwidert. Hab mir eine Kugel in den Bauch eingefangen, durch die ich in ziemlich übler Verfassung war. Aber bevor es ihnen gelang, mich zu überwältigen, hab’ ich noch zwei der Wichser erledigt.«
Er schilderte es so beiläufig. Bevor es ihnen gelang, mich zu überwältigen … Doch Emily kannte Christian. Es musste ein höllischer Kampf gewesen sein.
»Sie haben mich zum Polizeirevier gebracht, wo sie mich acht Stunden lang befragt haben«, fügte er hinzu.
Befragt. Ha! Eine harmlose Umschreibung dafür, dass man ihn verhört und wahrscheinlich gefoltert hatte. Visionen von Prügel, zustechenden Messern und Sauerstoffentzug tauchten vor Emilys geistigem Auge auf. Prompt drohte ihr Frühstück, die vorgesehene Richtung umzukehren.
»Hast du davon heute Morgen geträumt?«, fragte sie. Wenn man nach den heiseren Schreien ging, die Emily aus dem Tiefschlaf gerissen hatten, mussten Christians acht Stunden in den Händen der Iraker brutal gewesen sein.
Er schleuderte ihr einen kurzen, aber eindeutigen Blick zu, ein unausgesprochenes Halt, gefälligst die Klappe. Doch es war bereits zu spät. Ace schaute zwischen den beiden hin und her. Ein Grinsen von Ohr zu Ohr breitete sich in seinen attraktiven Zügen aus.
»Woher weißt du, wovon er heute Morgen geträumt hat, hm?« Ace’ blaue Augen wurden groß. »Läuft da zwischen euch beiden etwas, wovon ihr uns erzählen möchtet? Zum Beispiel, dass ihr endlich genug vom Vorspiel hattet und ans Eingemachte gegangen seid?«
»Vorspiel?« Emily schaute finster drein. »Ich hab’ nicht den geringsten Schimmer, was du da laberst.«
»Oh, und ob du den hast. All das Piesacken, all die verbalen Ringkämpfe: Das nennt man Vorspiel, Schätzchen.«
Wegwerfend schwenkte Emily eine Hand durch die Luft, in der immer noch das Aroma von Speck und gebuttertem Toast hing. »Wenn du dir das einreden willst, bitte. Das Piesacken ist nichts weiter als guter, unverfänglicher Spaß. Und vielleicht ein bisschen Ego-Management meinerseits.« Mit zusammengekniffenen Augen sah sie Christian an und deutete mit der Hand auf seine Gesamtheit. »Ich meine, seht ihn euch doch an. Die Kleidung. Die Frisur. Das Lächeln. Irgendjemand muss ihn ja auf dem Boden halten.«
»Geee-nau.« Ace nickte.
Emily verdrehte die Augen und wandte sich Christian zu. »Sag’s ihm.«
Christian zog eine Augenbraue hoch, als wolle er fragen: Ihm was sagen?
Sie presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen und machte große Augen. Ihr Gesichtsausdruck vermittelte: Dass ich recht habe.
Statt sich auf ihre Seite zu stellen, sagte Christian: »Können wir jetzt bitte wieder zurück zum eigentlichen Thema kommen? Falls ihr’s vergessen habt, da draußen sind Reporter, die uns davon abhalten, unseren Flug zu erwischen und von diesem verfluchten Felshaufen im Meer zu verschwinden!«
Glaubte er etwa, ihr Gezänk wäre eine Art Vorspiel? Die Vorstellung ließ Emily kribbelnd einen unerwünschten Anflug von Erregung über den Rücken wandern. Regionen ihres Körpers, die kein Recht hatten, darauf anzusprechen – insbesondere die Spitzen ihrer Brustwarzen und die Gegend zwischen ihren Beinen –, regten sich.
Sie gab sich keinen Illusionen hin, wenn es um Christian ging. Und trotz ihrer gegenteiligen Beteuerungen wollte sie ihn. Ich meine, wer würde das nicht? Allerdings ließ er keine Anzeichen erkennen, dass er ähnlich empfand. Im Gegenteil, er fand sie lästig wie eine Schmeißfliege. Seine Worte. Nicht ihre.
Was völlig in Ordnung war.
Ist es wirklich!
Immerhin war sie fest entschlossen, an ihrem Motto »kein Vermischen von Beruflichem und Vergnügen« festzuhalten. Und selbst wenn dem nicht so wäre, sie beide waren so gegensätzlich wie Öl und Wasser.
Er trug Designerkleidung und fuhr einen Porsche. Sie bevorzugte Yoga-Hosen und Sweatshirts, in der Regel von der Stange beim Discounter. Ihn umgab ein Flair von Geheimnissen, deren Tiefen sie nicht zu ergründen wagte. Und sie? Tja, sie glich so ziemlich einem offenen Buch.
»Als Reaktion auf meine Gefangennahme«, fuhr Christian schließlich mit seiner Schilderung fort, »wurden zehn Mitglieder des 22. SAS-Regiments zusammen mit einem vollen Zug Fallschirmjägern der Sondereinsatzkommandos aus Bagdad eingeflogen, um mich zu befreien. Sie haben das Polizeirevier gestürmt und mich rausgeholt. Dabei haben sie zusätzlich zu den zwei Beamten, die ich bei der Straßensperre kaltgemacht hatte, drei weitere erschossen und einen SAS-Soldaten zurückgelassen …«
Als er verstummte, trat in seine Züge ein Ausdruck, den Emily noch nie zuvor an ihm gesehen hatte. Traurigkeit. Keine oberflächliche Emotion, sondern eine tief in seinem Innersten verwurzelte, dauerhafte Traurigkeit. Der Vorfall im Irak suchte ihn bis zu diesem Tag heim.
Ihr Herz krampfte sich zusammen.
»Hat für gewaltigen internationalen Wirbel gesorgt, wenn ich mich recht erinnere«, griff Ace den Faden dort auf, wo Christian ihn fallen gelassen hatte.
»Die Iraker wollten Blut, Rache, Wiedergutmachung.« Als Christian fortfuhr, klang er sanfter. »Die Zeitungen in Großbritannien haben sich auf ihre Seite gestellt und den SAS als schießwütig bezeichnet.« Sein Gesichtsausdruck vermittelte Ungläubigkeit und mehr als ein bisschen Verachtung. »Hat keine Rolle gespielt, dass mich die Iraker umgebracht hätten, wenn ich in dem Polizeirevier geblieben wäre. Hat keine Rolle gespielt, dass ich den verfluchten direkten Befehl hatte, jedwede Maßnahmen zu ergreifen, um nicht gefangen genommen zu werden. Und es hat auch keine Rolle gespielt, dass die Polizisten, um die’s ging, durch und durch korrupt und verkommen waren. Im Grunde genommen war der Krieg ja vorbei. Es sollte eigentlich Frieden herrschen. Wir sollten Verbündete sein. Die Nachrichtenagenturen haben berichtet, fünf irakische Polizisten wären tot und der brüchige Frieden zwischen unseren Ländern wäre in Gefahr, weil ein SAS-Offizier an jener Straßensperre das Feuer eröffnet hat.«
»Man hat dir die Schuld gegeben«, merkte Angel an. Der Blick seiner dunklen Augen wirkte intensiv. Wie immer.
Neben der Stimmbandbehandlung hatte sich Angel umfassenden plastischen Operationen unterzogen, um sein Erscheinungsbild zu verändern. Seinen Chirurgen als Genie zu bezeichnen, wäre eine glatte Untertreibung. Angel sah … nun ja … wie ein Engel aus. So wunderschön, dass sein Anblick beinah in den Augen schmerzte.
Allerdings war der Chirurg nicht in der Lage gewesen, seine Augen zu verändern. Eine ganze Welt dunklen Wissens sprach aus Angels Augen. Fügte Emily all dem hinzu, dass sämtliche Aufzeichnungen über ihn bis zur Unleserlichkeit geschwärzt waren und sie keine Ahnung hatte, was für ein höllisches Desaster oder Missgeschick ihn bewogen hatte, Israel zu verlassen und sich all die Operationen überhaupt erst anzutun, musste sie zugeben, dass er ihr unheimlich war. Nur ein bisschen.
Na schön, vielleicht auch sehr.
»Und wie sie das haben.« Christian nickte. »Na ja, nicht wirklich mir persönlich. Die Presse kannte meinen Namen nicht. Die wussten nur, dass einer der Vertreter des Special Air Service Ihrer Majestät die Ursache des Schlamassels war. Und da sich die SAS damit brüstet, nie dumm dazustehen, haben die Oberbefehlshaber nur zu bereitwillig in den allgemeinen Tenor eingestimmt. Sie haben der Presse versichert, dass man mich, den verantwortlichen Offizier, aus dem Dienst entlassen würde.«
Der Muskel unter seinem rechten Auge zuckte wieder. Heftig. »Sie haben Wort gehalten, gerade mal zwei Monate nach dem Vorfall verstreichen lassen, um etwaige Ermittler nicht auf die Fährte eines Mannes zu bringen, der unmittelbar danach entlassen wurde, und mich dann rausgeworfen. Man hat mir gesagt, wenn ich Stillschweigen bewahre und kein Aufsehen errege, würden meine offiziellen Aufzeichnungen zeigen, dass ich den Dienst unbescholten und ehrenhaft verlassen habe. Niemand außer Personen mit Zugriff auf meine Verschlussakten würde je erfahren, dass ich der in das Polizeirevierfiasko verwickelte Offizier war.« Christian schnaubte. »Schätze, das war die Vorstellung der Gottobersten von einem Kompromissangebot für all die gute Arbeit, die ich geleistet hatte.«
Endlich verstand Emily, weshalb er England nicht mehr als seine Heimat betrachtete. Er hatte für sein Land alles riskiert, hätte um ein Haar sein Leben gelassen, und als er am meisten Schutz und Rückhalt gebraucht hätte, war Mütterchen England …
Wumm! Wumm! Wumm! Eine laute Faust hämmerte an die Tür. Die Frau mit dem gelben Hosenanzug rief: »Corporal Watson! Warum haben Sie an dem Tag damals das Feuer auf die Straßensperre eröffnet?«
»Wir müssen raus hier, und zwar schnell«, murmelte Ace und sah sich im bescheidenen Wohnbereich um. Wie jedes englische Häuschen, das etwas auf sich hielt, glich auch dieser Ort einem Musterbeispiel an Schrulligkeit, dekoriert mit Antiquitäten und vornehmen, sichtlich viel genutzten Polstermöbeln. Sogar das obligatorische Gemälde eines Rebhuhns über dem Kamin fehlte nicht. »Wir können es uns nicht leisten, dass die BBC unsere Gesichter im ganzen Land ausstrahlt.«
»Und ich schon oder wie?«, donnerte Christian. »Ich bin auch verdeckter Agent, falls du’s vergessen hast. Mal ganz zu schweigen davon, dass meine Identität und meine Verwicklung in Kirkuk streng geheim sein sollten.«
»Tja, ich sag dir das höchst ungern, Kumpel.« Ace legte Christian mitfühlend eine Hand auf die Schulter. »Aber das Geheimnis ist gelüftet.«
»Jetzt konzentrieren wir uns darauf, unsere Tarnung zu schützen«, sagte Angel.
Emilys Augen wurden groß. »Hast du dafür einen Plan?«
Angel zeigte zur Decke. »Wir schaffen eine Ablenkung.«
Sie schaute in der Erwartung nach oben, von einer Erkenntnis ereilt zu werden. Wurde sie nicht. An der Decke erblickte sie nur die nicht ganz weiße Farbe, einen silbrigen Leuchtkörper und staubige Spinnweben in einer Ecke.
»Und wie?«, fragte sie. »Indem wir das Dach in Brand stecken?«
Angel lächelte. Oder zumindest zuckte einer seiner Mundwinkel. Näher kam Angel einem Lächeln nie. »Haltet euch bereit, loszurennen, wenn der richtige Zeitpunkt kommt.«
Ohne ein weiteres Wort steuerte er auf die Treppe zu. Emily schaute ihm zugleich neugierig und ungläubig nach.
»Hab’ ich als Einzige das Gefühl, hier irgendwie in der Luft zu hängen?«, fragte sie. »Wann ist der richtige Zeitpunkt? Woher wissen wir das?«
Christian ergriff ihren Arm und drückte ihn. Moment, was? Er berührte sie sonst nie. Jedenfalls nicht freiwillig.
»Keine Sorge.« Er senkte das Kinn mit dem Grübchen, bis sich ihre Blicke direkt begegneten. Christian besaß wirklich die schönsten Augen, die man sich vorstellen konnte, wie geschmolzenes Glas, so klar und heiß. »Es wird alles gut. Ich lasse nicht zu, dass dir etwas passiert.«
Ooo…kay. Also das war … es war …
Emily fühlte sich dermaßen aus dem Gleichgewicht gebracht, dass jemand sie mit einer Feder hätte umstoßen können. Tatsächlich taumelte sie leicht, als Christian sie losließ, zur Treppe lief und die Stufen zwei auf einmal nehmend hinaufrannte.
Oh, und apropos hübsche Dinge …
Sieh sich nur einer diiiiiesen Hintern an! Straff und fest, bedeckt von einer Jeans, die vermutlich mehr kostete, als Emily in einer Woche verdiente.
Ohne es allzu sehr betonen zu wollen, er sah verdammt gut in dieser Jeans aus. Sie passte ihm wie angegossen – hinten und vorne.
Bevor Emily den Gedanken bremsen konnte, ertappte sie sich dabei, sich zu fragen, ob er Links- oder Rechtsträger war. Ein schneller Blick, bevor er um den Absatz des ersten Stockwerks verschwand, wies auf einen Rechtsträger hin, und aber hallo, was für einen Rechtsträger.
Wie zum Teufel war ihr das bisher entgangen?
Ach, richtig. Weil sie ja tunlichst eben nicht hinsah. Denn einmal und nie wieder, Baby. Sie vermischte Berufliches und Vergnügen nicht. Wirklich nicht!
»Das ist ’ne gute Möglichkeit, Fliegen zu fangen.« Ace schloss ihren offen stehenden Mund, indem er ihr Kinn mit einem Finger hochdrückte.
Pendoggett, Cornwall, England
»Ich stehe hier vor einem Haus in Port Isaac in Cornwall, in dem sich Corporal Christian Watson mit geschlossenen Jalousien und abgesperrten Türen verschanzt hat. Gerüchten zufolge ist Corporal Watson der Mann, der verantwortlich für den Kirkuk-Polizeirevier-Vorfall war.«
Lawrence Michelsons Stiefel rutschten vom Kaffeetisch und plumpsten mit einem lauten, dumpfen Knall auf den Boden. Der Atem stockte ihm in der Brust, als wäre die Luft mit Widerhaken versehen.
»Ben!«, rief er. »Schwing deinen kleinen Arsch hier rein!«
»Ich bin grad auf dem Klo!«, rief sein jüngerer Bruder durch den Flur zurück.
»Verdammt, verkneif’s dir einfach! Du musst dir ansehen, was in der Glotze läuft!«
Lawrence schnappte sich die Fernbedienung und regelte die Lautstärke höher. Die Reporterin auf dem Bildschirm war rothaarig und hübsch. Sie versuchte, ihre gut gepolsterte Figur unter einem gelben Hosenanzug zu verbergen, was jedoch nicht funktionierte. Bei jeder anderen Gelegenheit hätte Lawrence ihren Anblick in Gedanken abgespeichert, um das mentale Bild später ungestört zu nutzen. In Anbetracht des Themas allerdings, über das sie berichtete, war sein Schwanz das Letzte, woran er dachte.
»Verflucht noch mal, Lawrence.« Ben knöpfte gerade die Jeans zu, als er das Zimmer betrat. »Was ist denn so wichtig, dass ich …«
»Schhh.« Lawrence schwenkte eine Hand. Das Blut pulsierte rauschend durch seine Ohren. »Hör zu.« Er zeigte auf den Fernseher.
»Corporal Watson hat die Anschuldigungen bisher weder bestätigt noch abgestritten«, fuhr die hübsche Reporterin fort, »aber wir hoffen, er wird bald herauskommen und eine Stellungnahme abgeben.«
Ein aufgezeichnetes Video wurde eingeblendet. Es zeigte eine fröhlich bemalte rote Tür, die aufschwang. Ein großer Kerl mit dunklem Haar erschien auf der Schwelle, wo ihm prompt ein Mikrofon vors Gesicht gehalten wurde.
Am Rande nahm Lawrence wahr, dass die gelbe Hosenanzugsschnitte Watson eine Frage entgegenrief. Allerdings registrierte er den Wortlaut nicht, denn er war zu beschäftigt damit, sich jede Einzelheit der Züge des Mannes einzuprägen.
Corporal Christian Watson besaß eine Kinnpartie wie aus Stein gehauen und dazu passende Wangenknochen, eine Adlernase, einen Bartschatten und gespenstisch helle Augen. Er kam Lawrence wie ein Mistkerl der Sorte vor, die andere Männer gern wären und die meisten Frauen bespringen wollten. Ein Mistkerl der Sorte, der unbeschwert durchs Leben fegte und gar nicht bemerkte, was für ein Blutbad er hinter sich zurückließ.
Die finstere Wut, mit der Lawrence zeitlebens zu kämpfen gehabt hatte, stieg in ihm hoch, füllte ihn bis zum Rand aus. Früher war er in der Lage gewesen, sie zu bändigen. In jüngeren Jahren hatte er gekämpft und gefickt – beides schien den inneren Tumult in ihm zu besänftigen. Aber seit der Tragödie in seiner Familie stellte die Kontrolle über die Wut ein ernstes Problem dar. Und nun, da er Watsons Gesicht vor sich sah, trübte Dunkelheit Lawrences Sicht, und der Drang, die Scheiße aus irgendetwas – oder irgendjemandem – rauszuprügeln, ließ ihn die Hände unwillkürlich zu Fäusten ballen.
»Bleiben Sie dran für weitere Entwicklungen in dieser Story«, sagte die Reporterin, bevor sie ausgeblendet wurde. Dann folgte eine Werbeeinblendung für Zahnpasta.
»Großer Gott.« Ben starrte ihn mit geweiteten Augen blinzelnd an. »Glaubst du, es stimmt? Meinst du, er ist es?«
Wenn’s einen Gott im Himmel gibt, dann bitte, lass es so sein.
»Lass es uns rausfinden, ja?« Lawrence stemmte sich vom Sofa hoch. Die Muskeln in seinem Rücken zuckten, das Summen zwischen seinen Ohren wurde mit jeder verstreichenden Sekunde lauter. »Sind nur zwanzig Minuten nach Port Isaac. Hol deine Knarre.«
Ben zog das Kinn zurück. »Jetzt mal langsam, Lawrence. Du kannst den Kerl nicht ernsthaft umbringen wollen.«
»Ich will ihn nicht umbringen.« Obwohl das nicht ganz stimmte. Jahrelang hatte er sich Fantasien darüber hingegeben, das Arschloch zu erledigen, das verantwortlich für all das Leid in seinem Leben war. »Ich will bloß mit ihm reden.«
»Wieso brauchen wir dann unsere Waffen?«
»Weil er eher geneigt sein wird, uns die Wahrheit zu sagen, wenn wir ihm die Mündungen unserer Knarren vor die Visage halten.«
»Ich weiß nicht recht …« Ben schluckte. Das Geräusch klang klebrig. Oder vielleicht wäre feige eine bessere Beschreibung dafür.
Ben war schon immer der zurückhaltendste der drei Michelson-Brüder gewesen, wollte nie Staub aufwirbeln, nie in Schwierigkeiten geraten. Lawrence hingegen war immer schon der Hitzkopf, der gern Staub aufwirbelte und förmlich nach Ärger suchte. Und ihr älterer Bruder? Tja, er war der Beste von ihnen gewesen. Für ihn fasste Lawrence gerade diesen Plan. Zumindest redete er sich das ein, als er zur Garderobe an der Vordertür ging und sich seine Regenjacke griff.
»Herrgott noch mal, Ben. Das ist unsere Chance. Nach all den Jahren haben wir endlich ein Gesicht und einen Namen. Zieh jetzt bloß nicht den Schwanz ein.«
»Wenn der Sergeant rausfindet, dass wir unsere Knarren zu Haus haben, klemmt er unsere Eier in einen Schraubstock und wirft uns hochkant raus.«
Lawrence presste die Kiefer aufeinander, bis seine Backenzähne knirschten. Hin und wieder hatte er das Gefühl, auf der falschen Seite des Atlantiks geboren zu sein. Im Gegensatz zu den Amerikanern, die ihre Polizeibeamten bewaffneten, zogen die braven Bürger Englands für ihr Gesetzesvollzugspersonal unbewaffnete Schlappschwänze vor. Und obwohl Ben und er die Zusatzschulung absolviert, die Prüfungen bestanden und es in eine Spezialeinheit geschafft hatten, die Waffen tragen durfte, mussten sie die Schießeisen in ihren Einsatzwagen zurücklassen, wenn sie außer Dienst waren.
Es war grotesk. Lawrence fand, dass er als Polizeibeamter in der Lage sein sollte, sich zu verteidigen. Und als Mitglied seiner regionalen bewaffneten Einheit sollte man ihm auf jeden Fall zutrauen, dass er seine verdammte Knarre mit nach Hause nahm.
Und deshalb tat er es auch.
»Was der Sergeant nicht weiß, macht ihn nicht heiß«, gab er zurück. Denselben Spruch brachte er jedes Mal, wenn Ben kalte Füße wegen eines Verstoßes gegen das Protokoll bekam.
»Ich weiß nicht recht …«, wiederholte Ben.
Lawrence liebte seinen jüngeren Bruder. Tat er wirklich. Immerhin verkörperte Ben die einzige Familie, die er noch hatte. Dennoch hätte er der trübseligen Memme in diesem Moment am liebsten ins Gesicht geschlagen.
»Ich schon«, ließ Lawrence nicht locker. »Schnapp dir deine Jacke, schnapp dir deine Knarre. Und dann holen wir uns von dem Drecksack ein paar Antworten.«
»Warum können wir nicht alle über die Dächer flüchten?«, wollte Emily wissen.
Sie stand neben dem einzigen Dachfenster, als das schwache Frühlingssonnenlicht versuchte, sich durch die wallende Wolkenschicht draußen zu kämpfen. Ein Sturm zog rasch über die Bucht und steuerte mit aller bedrohlichen Bösartigkeit, die Mutter Natur aufzubringen vermochte, ins Landesinnere. Blitze zuckten über den Himmel, der dazugehörige Donner tarnte das Geräusch, mit dem Angel das knarrende alte Fenster öffnete. Rasch ließ er prüfend den Blick über das Dach und den Bereich am Boden wandern.
»Weil nämlich, Schätzchen, einige von uns geschickt darin sein dürften, verstohlen über Dächer zu laufen, und andere von uns nicht.« Christian zog sich durch das Loch im Boden der Dachkammer hoch und bahnte sich flink den Weg über die unebenen, willkürlich über die Balken verlegten Bretter. Er reichte Angel eine Sprühdose, die aussah, als könnte sie Deodorant enthalten.
Emily irritierte es ohne Ende, dass er sich nicht bloß in einem Raum aufzuhalten, sondern ihn stets auszufüllen schien. Noch vor wenigen Augenblicken hatte die Dachkammer aus Kartons, die sich bis zur Decke stapelten, sowie Ace, Angel, Rusty und ihr bestanden. Nun bestand sie von oben bis unten aus Christian. Was ihr umso merkwürdiger vorkam, da eigentlich Rusty derjenige mit einem Körperbau wie ein Panzer war.
»Ich vermute mal, du spielst auf mich an.« Sie warf Christian einen Blick zu, von dem sie hoffte, er würde ihre Gedanken deutlich vermitteln: Wenn er nicht aufpasste, schwebte er in Gefahr, ein einziges, riesiges Arschloch zu werden.
»Tu ich«, gestand er. »Aber abgesehen davon ist es wesentlich einfacher für eine Person, den neugierigen Blicken der Presse zu entgehen, als für fünf Leute.« Sein Schulterzucken brachte wortlos zum Ausdruck: Ist so.
Da Emily zu dem Schluss gelangte, dass er vermutlich recht hatte, wechselte sie vorsichtshalber das Thema. »Was ist mit dem Deo?«
»Kein Deo«, entgegnete Angel. Er öffnete seinen Rucksack und fügte die Dose der Ansammlung anderer Gegenstände hinzu, die er aus dem Schrank unter dem Waschbecken im Badezimmer mitgenommen hatte.
Als sie die Aufschrift der Sprühdose sah, war sie anderer Meinung. »Doch, ist es. Siehst du?« Sie deutete auf die großen Buchstaben, die in Fettschrift verkündeten: Beckham Instinct Deospray.
David Beckham galt als unbestrittener Stolz des Landes, das sich damit brüstete, die Wiege des Fußballs zu sein. Sein Name oder Foto zierte so gut wie alles.
»Für unsere Zwecke«, stellte Angel klar, »ist es eine Bombe.«
»Eine Bombe!« Emily ließ den Blick blinzelnd durch die kleine Dachkammer wandern und stellte bestürzt fest, dass alle vier Männer sie ungerührt anstarrten.
»Zumindest der Zünder für eine Bombe«, schränkte Angel ein, als würde es dadurch besser.
»Und was genau hast du vor, in die Luft zu jagen?«
»Ein Auto.« Angel schlang sich die Trageriemen seines vollen Rucksacks über die Schultern.
»Ein Auto. Logisch.« Sie nickte kurz, dann schüttelte sie den Kopf. »Bist du bekloppt?«
»Die Explosion muss groß genug sein, um die Reporter vom Haus wegzulocken«, erklärte Ace, womit er bewies, dass alle außer Emily auf derselben Wellenlänge waren. Sie selbst hatte das Gefühl, nicht mal in derselben Dimension wie die anderen zu sein.
»Richtig«, pflichtete Angel ihm bei. Wenn Emily sich nicht irrte, besagte auch der Ausdruck in seinen rätselhaften Zügen: Ist so.
Allmählich hatte sie den Spruch satt. Ob ihn die Männer nun tatsächlich andeuteten oder nicht.
»Na schön. Wie ihr meint. Nur, Angel … vergewissere dich nach Möglichkeit, dass der Besitzer versichert ist«, sagte Emily im selben Moment, in dem Christian hervorplatzte: »Halt Ausschau nach einer Karre mit Versicherungsnachweis, Kumpel.«
Da Emily bettelarm aufgewachsen war, wusste sie, was es bedeuten konnte, kein Fahrzeug zur Verfügung zu haben. Konnte man nicht zur Arbeit gelangen, verlor man seinen Job. Und verlor man seinen Job, konnte man sich kein Dach über dem Kopf, kein Essen auf dem Tisch und keine Kleidung am Leib mehr leisten. Aber Christian – woher wusste er das?
Da dämmerte ihr, dass sie auch nach den Monaten, die sie zusammen verbracht und gearbeitet hatten, noch kaum etwas über seine Vergangenheit wusste – darüber, wer er vor seiner Zeit bei BKI gewesen war. Emily war nicht sicher, ob die Tatsache sie traurig stimmen oder mit Stolz auf sich selbst erfüllen sollte. Denn ihn kennenzulernen, sein wahres Ich, würde gefährlich nah daran entlangschrammen, Berufliches mit Vergnügen zu vermischen.
Trotzdem hielt sie das nicht davon ab, sich stumm zu fragen: Wer bist du, Christian?
Laut sprach sie die Frage nicht aus. Stattdessen ließ sie ihren Blick das erledigen. Das taten Christian und sie in letzter Zeit häufig. Mit Augen und Mienenspiel brachten sie all das zum Ausdruck, was sich ihre Münder auszusprechen weigerten.
Es war beunruhigend. Doch sie wusste nicht, wie sie es verhindern sollte, abgesehen davon, ihn überhaupt nicht mehr anzusehen. Und da sein Anblick nun mal unbestreitbar eine Augenweide war, würde das so bald nicht passieren.
Er zog eine dunkle, schmale Augenbraue hoch und fragte ohne Worte: Willst du das wirklich wissen?
Ja, wollte sie. Aber Angst hielt sie zurück. Die Angst davor, dass all die Mauern, die sie um ihn herum aufgebaut hatte, krachend einstürzen könnten, wenn sie diese Linie auch nur ein Stück weit überschritt und ihn richtig kennenlernte.
Verneinend schüttelte sie den Kopf.
Dachte ich mir, erwiderten seine zuckenden Lippen.
Angel schaute zwischen ihnen hin und her, als er versuchte, ihre stille Unterhaltung zu interpretieren. Schließlich gab er es auf, zuckte mit den Schultern und schwang ein Bein über den Fenstersims. Im Nu war er verschwunden und ließ den Rest der Gruppe zurück. Zusammen traten sie den Weg zurück nach unten an, um auf sein Ablenkungsmanöver zu warten.
Emily nahm auf dem Sofa Platz. Ihre Handflächen kribbelten vor Adrenalin, ihre Fußspitze tappte einen nervösen Takt auf den polierten Holzboden. Geduld war noch nie eine ihrer Tugenden gewesen. Genauso wenig, wie herumzusitzen und darauf zu warten, dass etwas Unheilvolles passierte. Sie war stolz darauf, eine Frau der Tat zu sein, eine Frau, die das Heft in die Hand nahm und …
Plötzlich schoss ihr ein Gedanke durch den Kopf, und sie warf Christian einen nachdenklichen Blick zu.
»Was ist?«, verlangte er zu erfahren.
»Deshalb arbeitest du für BKI, nicht wahr?«
»Was meinst du?« Er schaute aufrichtig verwirrt drein.
»Weil man dich aus dem SAS rausgeworfen hat.«
»Wir nennen das außer Dienst gestellt.«
»Jacke wie Hose.« Abfällig schwenkte sie eine Hand durch die Luft.
»Eine hoffnungslos abgedroschene Phrase.«
»Lass den Scheiß.«
»Eine weitere lächerlich überstrapazierte Floskel.«
»Ich mein’s ernst.«
Abgehackt blies Christian den Atem aus und bedachte sie mit einem seiner so sexy, sexy finsteren Blicke.
»Ich hätte gedacht, mittlerweile wäre offensichtlich, dass dein vernichtender Blick bei mir nicht wirkt«, meinte sie zu ihm. Was gewissermaßen gelogen war. Er wirkte nämlich sehr wohl bei ihr. Nur nicht auf die Weise, wie er vermutlich dachte.
Nichts konnte je so spaßig sein wie ein Duell in Schlagfertigkeit mit Christian. Es wärmte Emily das Blut, erhellte sie von innen heraus. Gefährliche Empfindungen, doch dagegen konnte sie nicht an. Sie hatte festgestellt, dass sie gern mit dem Feuer spielte, wenn es um ihn ging.
»Okay. Na schön. Ja«, brummte er. »Deshalb arbeite ich für BKI. Nach dem SAS hab ich’s bei einem Sicherheitsunternehmen versucht. Hab versucht, kleinen alten Damen Selbstverteidigung beizubringen. Hab wirklich versucht, ein Zivilist zu sein, aber ich war fürchterlich darin. Ich bin schon verflucht fürchterlich darin, seit ich siebzehn geworden bin und man mich erwischt hat, wie ich einen Laib Brot und eine Flasche Gewürzsoße aus dem Laden an der Ecke geklaut hab. Der Bezirksrichter hat mich damals gleich vor die Wahl gestellt, Haftanstalt oder Armee.«
»Deshalb warst du beim Militär?« Ace schaute verwirrt drein. »Weil du zwischen Dienst oder Knast wählen musstest?«
Christian zuckte mit den Schultern. »War damals weit verbreitet. Und ich muss zugeben, es war das Beste, was mir je passiert ist. Einen Monat nach Beginn der Ausbildung war ich total geflasht. Das Militär hat mir die Sicherheit und Beständigkeit geboten, die ich als Kind und Jugendlicher nie hatte. Am Anfang wäre Plastiksprengstoff nötig gewesen, um mich aus dem Dienst rauszubekommen, und nach Kirkuk wäre beinah Plastiksprengstoff nötig gewesen, um mich draußen zu halten. Dann hab ich von Boss gehört.«
Christian hatte einen Laib Brot und eine Flasche Gewürzsoße gestohlen? Das Militär hatte ihm die Sicherheit und Beständigkeit geboten, die er als Kind und Jugendlicher nie hatte? Heilige Scheiße! War Christian etwa in armen Verhältnissen aufgewachsen?
Emily versuchte, sich ihn dürr und abgerissen vorzustellen, mit löchrigen Jeans und abgetragenen Kniestrümpfen. Irgendwie wollte sich das Bild nicht recht in ihrem Kopf einstellen. Der erwachsene Christian trat allzeit so gefasst, so unerschütterlich, so total und kostspielig herausgeputzt auf. Sie hatte immer gedacht, er hätte schon mit einem Paar Gucci-Schuhen an den Füßen das Licht der Welt erblickt.
Andererseits wurde durch seine Erklärung glasklar, warum er zusammen mit ihr verlangt hatte, dass sich Angel unbedingt ein Auto aussuchen sollte, dessen Besitzer eine Versicherung hatte.
Emily vermeinte, ein rumorendes Krachen zu hören. Kacke. Das waren doch nicht etwa die Mauern gewesen, die sie gegen ihn errichtet hatte – oder? Oder?
Da sie sich davor scheute, ihre eigene Frage zu beantworten, stellte sie stattdessen Christian eine. »Boss? Was war mit ihm?«
Frank »Boss« Knight war ihr hochgeschätzter Anführer bei Black Knights Inc.