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Der Tod ist ein grausamer Schnitter, und manchmal schlägt er schnell und unerbittlich zu. Ich hatte es nicht gewollt – ich schwöre: Ich hatte das nicht gewollt! Doch Mr. Novak wollte mir einfach nicht glauben. Getrieben von blinder Wut verfolgte er mich durch den Westen mit der Absicht, mich zu ermorden – für etwas, das ich nicht getan hatte. Und so trieb er mich auf den bitteren Trail.
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Seitenzahl: 153
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Blinde Wut
Westernroman
von Logan Kenison
Das Buch
Der Tod ist ein grausamer Schnitter, und manchmal schlägt er schnell und unerbittlich zu. Ich hatte es nicht gewollt – ich schwöre: Ich hatte das nicht gewollt! Doch Mr. Novak wollte mir einfach nicht glauben. Getrieben von blinder Wut verfolgte er mich durch den Westen mit der Absicht, mich zu ermorden – für etwas, das ich nicht getan hatte. Und so trieb er mich auf den bitteren Trail.
Der Autor
Logan Kenison (vormals Joe Tyler) ist Autor von Western-, Abenteuer- und Spacegeschichten. Neben seinen Western, die er mit Leidenschaft verfasst, schreibt er seit 2018 die Reihe Spacewestern.
Lesermeinung
Mit »Blinde Wut« erscheint endlich ein neuer Western von Logan Kenison, der vom Stil her diesmal etwas anders ist als seine bisherigen Romane. Der Roman ist in Ich-Form geschrieben und wirkt dadurch sehr lebendig. Der Leser kann sich ausgezeichnet mit dem Protagonisten identifizieren. Die Handlung beginnt in fast »kindischer Idylle«, steigert sich aber sehr schnell zu einem echten action-geladenen Pageturner. Er zeigt auf teils drastische Weise, wie schnell und brutal die kindliche Unbeschwertheit im Wilden Westen vorbei sein kann, wenn die Gerechtigkeit auf der Strecke bleibt und man auf sich gestellt um sein Leben kämpfen muss.
Über die Motivation des Autors, diesen Roman trotz des ablehnenden Bescheids eines Verlages zu veröffentlichen, informiert auf sehr schöne Weise das Vorwort. Ich kann nach der Lektüre den Autor nur bestärken, mit der Veröffentlichung alles richtig gemacht zu haben!
»Blinde Wut« war für mich die unterhaltsamste und spannendste Neuveröffentlichung im Genre Western der letzten Monate!
(5 Sterne)
Inhalt
Impressum
Vorwort
Blinde Wut (Roman)
Weitere Titel von Logan Kenison
Erstausgabe 01/2013
Copyright dieser Ausgabe: 2020 by Logan Kenison
Lektorat: Carola Lee-Altrichter
Abdruck auch auszugsweise nur mit Genehmigung des Autors.
Das Cover wurde gestaltet nach Motiven der Episode »Hinrichtung im Morgengrauen« (Orig.: »Death at Dawn«, USA, 1960) der Bonanza-Komplettbox. Im Handel auf DVD erhältlich. Mit freundlicher Genehmigung von www.fernsehjuwelen.de
Vorwort
Als ich einem Verleger die Idee zu »Blinde Wut« unterbreitete, riet er mir, keinen Western mit einem 15-jährigen Protagonisten zu schreiben. Man riet mir auch ab, Western in Ichform zu schreiben. Und schließlich meinte man, ich bräuchte das Genre Western nicht neu erfinden.
In anderen Worten: Ich solle mit meinen Geschichten kein Neuland betreten. Weder jetzt noch später – am besten nie.
Einem ersten Impuls folgend wollte ich die Geschichte verwerfen. Doch dann erinnerte ich mich daran, wie tief mich das Geschick des jungen Ben Quade in »Ben Quades Stolz« von G. F. Unger berührt hatte – und da wusste ich: Auch sehr junge Protagonisten haben ihre Daseinsberechtigung im Western. Vielleicht sind es ihre Unerfahrenheit, das Lernen der rauen Gesetze des Wilden Westens und die Dinge, denen sie gegenüberstehen, was ihnen die Sympathie der Leser zufliegen lässt. Vielleicht ist es das Gefühl, noch einmal in seine Jugend zurückversetzt zu werden und Dinge wie den ersten Kuss, die erste Liebe noch einmal mitzuerleben.
Dieser Roman jedenfalls vereint alles, wovon man mir abgeraten hat. Warum auch nicht? Als man Paul McCartney sagte, er solle in seinen klassischen Werken keine Terzdopplungen vornehmen, weil diese in der Klassik verboten seien, sagte er: »Get outa my way, I’m gonna double them all!« (»Geh’ mir aus dem Weg, ich verdopple sie alle!«)
Selbst dem Westerngenre, das heutzutage mit Klischees überfrachtet ist, kann Neues abgewonnen werden – ein neuer Blickwinkel, eine neue Idee, ein neues Lebensgefühl, neuen Wein in alte Schläuche.
In diesem Sinne also: Bahn frei, ich schreibe alles, was man mir ›verboten‹ hat!
Vielleicht wollen Sie, liebe Leser, auch einmal Neuland im Wilden Westen betreten? Gehen Sie doch mit Jeff Endicott auf die Reise. Dem armen Jungen steht die schlimmste Zeit seines Lebens bevor. In gewisser Weise hätte ich »Blinde Wut« vielleicht wirklich nicht schreiben sollen. Aber nicht aus den oben genannten Gründen und weil der Roman kein interessanter Western wäre, sondern um Jeff all das zu ersparen, was hier auf ihn – und auf Sie – wartet.
Happy Trails
Logan Kenison
Blinde Wut
Westernroman von Logan Kenison
In Bonner, im Weld County, lebte ein Mann namens Novak, Karel Novak. Doch niemand nannte ihn jemals Karel. Wenn man seinen Vornamen überhaupt erwähnte, dann nannte man ihn Chuck. Er war vor acht Jahren in die Gegend gekommen, hatte eine Parzelle abgesteckt und mit dem Anbau von Mais begonnen. Soviel wir wussten, kamen er, seine Frau und seine Tochter aus dem Alten Europa, von irgendwo östlich dort. Er sprach einen harten Dialekt, den man schlecht verstand.
Mr. Novak hatte eine Frau namens Alena. Sie war zweiunddreißig und damit vier Jahre jünger als er, jedoch doppelt so verbraucht. Sie war ein kleines Persönchen mit schmalen Schultern, schmalen Hüften und großen roten Händen, unterernährt und glanzlos. Das dünne Haar trug sie sehr dicht an den Kopf gebürstet und hinten zu einem kümmerlichen Zopf geflochten. Stets sah sie ganz abwesend aus, mit trüben grauen Augen, die ins Leere starrten. Sie hatte ein schmales Gesicht mit einer gelblichen Färbung und einem schmallippigen Mund, der immer leicht geöffnet war. Mrs. Augustus meinte, sie litte an Schwindsucht, doch wir hörten Mrs. Novak nie husten.
Die Novaks hatten eine vierzehnjährige Tochter namens Eva. Eva besuchte dieselbe Schulklasse in dem winzigen Holzgebäude in Bonner, in dem sich dreizehn Kinder aller Altersstufen trafen. Von der Lehrerin, Mrs. Windbigler, wurden wir im Lesen, Schreiben, Rechnen und in Geschichte unterrichtet. Die Älteren langweilte manchmal der Unterricht, und sie begannen Unsinn zu machen, während die Kleinsten nicht kapierten, worüber gesprochen wurde. Es waren schwierige Zeiten, aber Mrs. Windbigler gab ihr Bestes. Wenn jemand nach vier Jahren die Schule verließ, konnte er Schreiben und Rechnen, hatten etwas von Europa und der Geschichte Amerikas gehört und Gedichte von Ralph Waldo Emerson, die gruseligen Geschichten Edgar Allan Poes und die poetische Erzählung »Gertrude of Wyoming« von Thomas Campbell gelesen.
Damals war ich fünfzehn, und es war mein letztes Jahr in Bonner. Eva Novak saß eine Reihe vor mir, das schwarze Haar fiel ihr zwischen die Schulterblätter.
Im Jahr zuvor hatte ich mich in Polly Maher verliebt und Tage und Nächte mit glühenden Gedanken zugebracht, bis die Liebe plötzlich abgestorben war. Polly hatte mir einen giftigen Blick zugeworfen, als ich im Laden ihres Vaters einmal Blödsinn gemacht hatte und unangenehm auffiel. Das war ihr zu Ohren gekommen, und ihr stechender Blick hatte auf mich wie eine schallende Ohrfeige gewirkt. Sämtliche Gefühle, die ich bis dahin für sie gehegt hatte, waren mit einem Schlag vernichtet gewesen. Sie weiß bis heute nicht, dass ich einmal in sie verliebt gewesen war; ich hatte es ihr nie gesagt.
Als ich damals, fünfzehnjährig, die Schulbank in der letzten Reihe drückte, war ich bereit für Neues. Und dieses ›Neue‹ hieß Eva Novak. Mir fiel auf, wie wunderbar ihr Haar im Licht der Nachmittagssonne glänzte. Es war ganz anders als das Haar ihrer Mutter und viel voller. Sie kam gewiss nach ihrem Vater. Sein schwarzer Haarschopf war dicht und kräftig, auch wenn sich in den letzten Jahren ein paar silberne Fäden hineingezogen hatten.
Mr. Novak galt als brummiger, kontaktarmer Mensch, ein Einzelgänger, der nur selten ein Wort mit seinen Nachbarn wechselte. Wenn die Novaks das Kirchenfest besuchten, blieben sie unter sich. Sie aßen, tranken und unterhielten sich in ihrer Muttersprache, uns aber glotzten sie nur von fern an.
Eva war ein Mädel, das ich mir als Verlobte vorstellen konnte. Sie war im letzten Jahr gut gewachsen, und das nicht nur in die Höhe, sondern auch an all den Stellen, die einem jungen Burschen wie mir gefielen. Zwar hatte sie schon zwei Jungen geküsst – Jimmy Abbott und Pollys Bruder Clark –, doch niemand konnte ihr Schlimmeres nachsagen als dies. Ich beschloss, es zu ignorieren. Was blieb mir anderes übrig, wenn ich zum Zug kommen wollte? Und diesmal wollte ich es. Denn es kam mir inzwischen wie ein Fehler vor, Polly nichts von meinen Gefühlen gesagt zu haben. Vielleicht wäre zwischen uns etwas gelaufen, wenn ich nur den Mut gefunden hätte, ihr zu sagen, was ich für sie empfand.
Den ganzen Nachmittag über machten mich die Sommersonne, Evas glänzendes Haar und ihr prächtiger Rücken verrückt. Daraufhin kratze ich allen Mut zusammen, ging nach Schulschluss zu ihr hin und fragte sie, ob ich ihr die Bücher nach Hause tragen dürfe.
Aus den Augenwinkeln heraus sah ich, wie Polly unvermittelt die Schultreppe herunterkam. Sie blieb stehen und starrte mich entgeistert an. Sie war sozusagen in meine Frage hineingelaufen, doch ich beachtete sie nicht. Wie gebannt hing ich an Evas Lippen, und mein Herz setzte einen Moment aus. Ein Lächeln hellte ihr Gesicht auf und die rauchgrauen Augen begannen zu leuchten.
Ihr gehauchtes »Ja« überhörte ich fast, so laut rauschte das Blut in meinen Ohren.
Wir schlugen den Weg über den Barker’s Pond ein, einen Weiher, an dem die Frösche quakten, und Teichhühner, Regenpfeifer und Säbelschnabler kreischten. Die Sonne fiel durch die Blätter einiger Haselnusssträucher und färbte alle Oberflächen golden.
Ich traute mich, Eva etwas von mir zu erzählen, und war ganz erstaunt, als sie mir interessiert zuhörte. Dann erzählte sie mir von einer Patchworkdecke, die sie genäht hatte, und ich tat, als ob mich das interessierte.
Am Weiher blieben wir eine Weile stehen und sahen den Vögeln zu. Sie gingen laut gackernd und kreischend ihren Geschäften nach. Als wir zum Weg zurückkamen, rollte ein Fuhrwerk heran. Mr. Novak saß auf dem Kutschbock und maß mich und seine Tochter mit einem bitterbösen Blick.
Er herrschte sie in ihrer harten Muttersprache an, und Eva murmelte eine Entschuldigung. Sie riss mir die Bücher aus der Hand und kletterte neben ihrem Vater auf den Sitz. Wortlos wendete Mr. Novak den Wagen und fuhr davon, während Eva betreten zu Boden blickte.
Ich sah ihnen eine Weile nach, und mein Herz schlug bis zum Hals. Bisher hatte ich nicht viel mit Mr. Novak zu tun gehabt, aber mir schien, als gefiele ihm nicht, dass ich seine Tochter begleitet hatte.
Ich machte mich auf den Weg zurück in die Stadt. Als ich in die Straße zu unserem Haus einbog, entdeckte ich Polly. Sie kam direkt auf mich zu. Hatte sie etwa auf mich gewartet?
Doch sie blieb nicht stehen. Im Vorbeigehen raunte sie mir etwas zu, und ich verstand: »Sei bloß vorsichtig!«
Ich glaubte, mich verhört zu haben, und fuhr auf dem Absatz herum.
»Was sagtest du?«
Sie blieb nicht stehen, wandte sich nicht einmal um. Dann verschwand sie hinter einer Hausecke. Ich war allein mit ihrer Andeutung und der Verwirrung, die sie in mir auslöste.
Schweren Herzens marschierte ich nach Hause. Pa und mein Bruder Douglas warteten bereits bei Maisbrot und Chili mit Kidneybohnen. Ich schleuderte die Schulbücher in die Ecke und setzte mich. Sie sahen mir an, dass etwas nicht stimmte, aber ich sagte nichts.
»Du musst nicht darüber reden, wenn du nicht willst«, sagte Pa.
Er schenkte sich aus einem Steinkrug Wein ein und nippte an dem Glas.
Ich schlang das Chili und die Bohnen hinunter, ohne ein Wort zu sagen, und ignorierte die Sticheleien meines Bruders. Pa sagte:
»Lass ihn in Ruhe, Doug. Der Tag wird kommen, an dem du dich schlecht fühlst, dann wirst du es nicht mögen, wenn dir jemand auf den Gefühlen herumtrampelt.«
Douglas beendete seine Sticheleien und konzentrierte sich darauf, uns die Tiere aufzuzählen, die er heute gesehen hatte. Unbestrittener Höhepunkt war eine Wassermokassinschlange, die er in der Nähe des Creeks entdeckt hatte. Morgen wollte er wieder hingehen, diesmal mit Billy Wheeler, und einen leeren Mehlsack mitnehmen. Sie wollten versuchen, die Schlange zu fangen. »Ich lege sie dir ins Bett«, verkündete er hämisch in meine Richtung. »Pass nur gut auf, wenn du morgen ins Bett steigst, ob nicht schon jemand drin liegt.«
Pa befahl ihm streng, diesen Unsinn zu lassen. Doug gluckste ein paar Mal und gab schließlich klein bei. Er hatte seinen Spaß auf meine Kosten gehabt. Mein Bruder war zwei Jahre jünger als ich, hatte aber ungleich mehr Blödsinn im Kopf. Nach Ma’s Tod hatten wir eine Zeitlang pausenlos beisammengehangen. Nach der Schule halfen wir Pa bei der Arbeit in der Werkstatt und streunten abends in der Gegend herum. Samstags gingen wir Fischen, und es herrschte ein Wettstreit zwischen uns, wer den größten Schleimaal aus dem Fluss holte.
Vor einiger Zeit war mir Dougs kindisches Getue zu blöd geworden, und ich hatte begonnen, mich mit Tommy Naylor zusammenzutun. Doug hatte mir das übelgenommen, aber anstatt sich selbst einen Freund zu suchen, hatte er begonnen, sich über mich und Tommy lustig zu machen.
Als er einmal eine faustdicke Lügengeschichte über uns herumerzählte, passten wir ihn ab, da, wo der Weg zum Fluss einen Knick machte, und verprügelten ihn hinter dichtem Haselnussstrauchwerk, wo niemand hinsehen konnte. Seither beschränkte sich Doug darauf, nur mich zu triezen, denn Tommy Naylor hatte viel fester zugeschlagen als ich.
Vor dem Einschlafen brütete ich darüber nach, was Polly mir hatte sagen wollen. Sei bloß vorsichtig. Wollte sie mich etwa vor Eva warnen? Oder vor ihrem Dad? Ich wusste, dass Pollys Bruder Clark ein paarmal versucht hatte, Eva näherzukommen. Ein Blinder mit Krückstock hätte gesehen, dass er voll auf sie abgefahren war. Aber plötzlich war es aus gewesen. Clark drückte teilnahmslos die Schulbank und ignorierte Eva völlig. Tommy Naylor meinte sogar, dass Clark zitterte, wenn er Eva sah.
Gab es da etwas? Ein dunkles Geheimnis, das die Familie Novak umgab?
Sei bloß vorsichtig …
Warum hatte sie mir nicht offen gesagt, was sie meinte?
Vielleicht durfte sie nicht.
Sollte ich aufgrund ihrer kryptischen Warnung und meiner fantasievollen Ausmalungen derselben mit Eva Schluss machen, noch bevor etwas begonnen hatte?
Nein!
Sollten die Mahers sich um ihre Angelegenheiten kümmern, und ich scherte mich um meinen Kram.
Am nächsten Tag in der Schule musterte ich Eva zunächst nur, konnte aber nichts Außergewöhnliches feststellen. Sie wirkte wie immer.
In der Pause ging ich hin und fragte, ob sie zu Hause Ärger bekommen hatte.
»Nein!«, antwortete sie verwundert und blickte mich an, als verstünde sie meine Frage nicht.
Ich sagte, mir wäre es vorgekommen, als hätte ihr Pa etwas dagegen gehabt, dass wir Zeit am Weiher vertrödelt hätten.
Eva winkte ab. »Ach, das war nichts. Der regt sich immer gleich so auf. Vergiss es.«
Das beruhigte mich etwas. Wenn Eva keinen Anlass zur Sorge sah – und sie kannten ihren Pa besser als Polly –, dann brauchte ich auch keine Befürchtungen zu hegen.
Nach Schulschluss schien es, als steuerte Eva direkt auf mich zu. Ihr wiegender Gang, die Hüften und die schmalen Schultern, das wallende schwarze Haar und die rauchgrauen Augen, die meinen Blick suchten – all das ließ mein Herz höherschlagen. Die Frage kam ganz natürlich über meine Lippen.
»Gehen wir zum Pond hinüber?«
Sie nickte eifrig und reichte mir ihre Schulbücher. Es war, als wären wir bereits ein Paar. Innerlich jubelte ich.
Diesmal erzählte ich ihr von Doug und der Wassermokassinschlange, die er vorgeblich gesehen hatte. Den üblen Streich, den er mir spielen wollte, erwähnte ich nicht.
Am Weiher standen wir nebeneinander und ließen die Kühle des Wassers auf uns wirken. Es roch nach Thymian und getrockneten Weiden. Wasserläufer hasteten über die Wasseroberfläche, und ab und zu wurde einer von einem auftauchenden Fisch verschlungen.
Ich spürte eine Berührung an der Schulter. Es war Evas Schulter, und sie machte keine Anstalten, sie zurückzuziehen. Ein Kribbeln jagte mir durch den Körper.
Plötzlich fuhr sie herum und sah mich an.
»Sag mal, würdest du ein Herz mit unseren Namen in die Rinde der Birke schnitzen, Jeff?«
»Na klar!«
»Jeff und Eva!«, schwärmte sie.
»Morgen bringe ich mein Taschenmesser mit«, verkündete ich. Ich war ziemlich stolz darauf, dass ein Mädchen mich um so etwas gebeten hatte.
Eva lief los, um sich einen Baum auszusuchen. Ich trottete hinter ihr her. Für einen Moment fühlte ich mich wie ein Dämlack, der willenlos einem Mädchen und ihren Grillen ausgeliefert war. Ich verdrängte den Gedanken. Denn so war es wohl, wenn man eine Freundin hatte.
Eva war fündig geworden. Mit der Handfläche fuhr sie über die glatte weiße Haut des kräftigen Birkenstamms und sagte:
»Dieser ist schön. Hier möchte ich das Herz hinhaben.«
Ich nickte.
Sie drückte sich mit dem Rücken gegen den Stamm.
»Komm her, Jeff.«
Ich stand in einer normalen Entfernung vor ihr, nicht zu nahe und nicht zu weit. Was zum Teufel meinte sie mit ›Komm her, Jeff‹?
Als ich sie verwirrt anstarrte, nahm sie meine Hand und zog mich zu sich heran, bis unsere Gesichter sich beinahe berührten.
»Weißt du, dass du sehr schöne Augen hast, Jeff Endicott?«
»Was?« Mir verschlug es fast die Spucke. So etwas hatte noch nie ein Mädchen zu mir gesagt.
Sie nahm meinen Kopf in beide Hände und zog ihn zu sich heran.
Ich spürte etwas Nasses und Weiches auf meinen Lippen und roch einen wunderbaren, unbekannten Duft – den Duft von Haut und Mensch, den Duft eines Mädchens. Für einen Moment glaubte ich, Sterne zu sehen. Und dann spürte ich ihren Körper. Sie drückte ihn an mich. Ich fühlte ihre Wärme, die weiche Haut unter ihrer Bluse und ihre Lippen auf den meinen, die gar nicht mehr aufhören wollten, mich zu liebkosen. Ich wandelte wie durch einen Traum und wollte, dass dieser Traum nie endete.
Als wir das Rattern des Wagens hörten, war es zu spät.
»Was machst du mit meinerrr Tochterrr?«, brüllte er in seinem harten Englisch.
Ich stolperte zurück.
»N-nichts …«, war alles, was ich lahm hervorstieß.
In Mr. Novaks Augen blitzte Wut, als er vom Bock sprang und die Schrotflinte unter dem Sitz hervorzog.
Die Mündung schwang hoch, auf mich zu.
»Nein, Pa!«, schrie Eva. »Nein, Pa!«
Ich verspürte Todesangst, begann zu zittern und taumelte zurück, über Wurzeln stolpernd, während Mr. Novak mir mit raumgreifenden Schritten nachsetzte.
Da sah ich eine Bewegung hinter ihm. Eine schmale Person, beinahe vollständig verdeckt von seinen breiten Schultern, lief aus seinem Schatten heraus und fiel ihm in den Arm.
»Nein, Karel, das darfst du nicht! Lass den Jungen zufrieden!«
Mrs. Novak packte den Lauf der Schrotflinte und drückte ihn zur Seite, doch Novak schwang ihn so heftig wieder herum, dass sie stürzte und mit einem Aufschrei ins knöchelhohe Gras fiel.
Plötzlich war Eva vor ihm. Sie weinte und schrie und versuchte, ihren Vater zu stoppen.
»Nein, Pa! Nein!«
Novaks Hand klatschte ihr ins Gesicht und sie fiel zur Seite. Dann hatte er mich vor seinem Lauf – nahe genug, dass die Schrotflinte ihre tödliche Wirkung voll entfalten konnte.