Die Überlebenden von Senillee - Logan Kenison - E-Book

Die Überlebenden von Senillee E-Book

Logan Kenison

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Beschreibung

Planetenbruch! Der bewohnte Planet Senillee steht vor seiner völligen Vernichtung. Owen Richter, der das System nur auf der Durchreise passieren wollte, findet sich plötzlich in einem humanitären Rettungseinsatz wieder. Doch die Menschen, die er an Bord genommen hat, wollen nicht gerettet werden – sie wollen Rache!

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Seitenzahl: 148

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Die Überlebenden von Senillee

Ein Spacewestern

von Logan Kenison

Das Buch

Planetenbruch! Der bewohnte Planet Senillee steht vor seiner völligen Vernichtung. Owen Richter, der das System nur auf der Durchreise passieren wollte, findet sich plötzlich in einem humanitären Rettungseinsatz wieder. Doch die Menschen, die er an Bord genommen hat, wollen nicht gerettet werden – sie wollen Rache!

Der Autor

Logan Kenison ist Autor von Western-, Abenteuer- und Spaceromanen. Neben seinen Western, die er mit Leidenschaft verfasst, schreibt er seit 2018 die Reihe Spacewestern.

Inhalt

Impressum

Die Überlebenden von Senillee

Weitere Titel von Logan Kenison

Impressum

08/2018

Copyright dieser Ausgabe: 09/2021 by Logan Kenison

Lektorat: Carola Lee-Altrichter

Abdruck auch auszugsweise nur mit Genehmigung des Autors.

Cover: »Shoals« von GrahamTG

https://www.deviantart.com/grahamtg/art/Shoals-865559038

Kontakt: [email protected]

Die Überlebenden von Senillee

Ein Spacewestern

von Logan Kenison

Die Avery ASS-70 machte einen Satz, sodass Owen Richter auf dem Pilotensitz durchgerüttelt wurde, und wäre er nicht angeschnallt gewesen, hätte ihn der Ruck bestimmt durch den gesamten Innenraum katapultiert. Doch Richter hatte keine Zeit, ein Dankgebet zu den Sternengöttern zu senden, der wilde, künstlich erzeugte Mahlstrom hatte das Schiff noch nicht losgelassen.

Draußen wirbelten gelbe und graue Farben in wilder Fahrt vorüber, lange Schlieren schossen in atemberaubender Geschwindigkeit wie in einem gigantischen Kaleidoskop an ihm vorbei, und alle Flächen vibrierten, während die Sprungmotoren ein ohrenbetäubendes Getöse in den Innenraum sandten. Beinahe hatte Richter das Gefühl, vollständig zu ertauben, da brach alles Stampfen und Rütteln schlagartig ab, die Avery verfiel in Normalflug und glitt in Raum und Zeit des angesteuerten Ziels.

Das Senillee-System.

Der Eintritt war alles andere als sanft gewesen, und Richter hatte seine letzte Warpzelle dafür verbraucht. Er hatte die Absicht, dem Hauptplaneten, Senillee, einen Besuch abzustatten und sich dort die nötigen Rohstoffe für die Weiterreise zu besorgen. Doch noch bevor er die Position des Planeten lokalisieren konnte, noch bevor er überhaupt daran denken konnte, eine Route einzuprogrammieren und das Ziel anzuvisieren, erreichte ihn ein Signal.

»Offener Funkspruch«, teilte der Computer ihm mit, während die Anlage piepsende Geräusche in die Pilotenkanzel sandte. »An alle Raumschiffe im Sektor.«

»Ich nehme ihn an«, sagte Richter.

Ein lautes Knacken, als wäre das Raumschiff in der Mitte entzweigebrochen (was natürlich nicht der Fall war), dann erklang die Botschaft:

»Hier spricht Celia Clay, Vertreterin der Behörden von Senillee. Dies ist ein Hilferuf. An alle Raumschiffe, die diese Nachricht hören: Bitte kommen Sie nach Senillee! Unser Planet ist dabei, von Naturkräften vernichtet zu werden. Gewaltige Eruptionen haben bereits Städte verschluckt und Lava ausgestoßen Die Siedler haben sich an die verschiedensten Orte geflüchtet, und wir bitten alle Raumschiffe, einen dieser Orte anzufliegen und so viele Bewohner wie möglich aufzunehmen. Alle müssen Senillee so schnell wie möglich verlassen. Bitte helfen Sie uns. Millionen werden sterben, wenn Sie uns nicht helfen. Fliegen Sie einen dieser Orte an, um Leben zu retten.«

Auf Richters Bildschirm erschien eine Tabelle mit zahlreichen Ortsnamen – er kannte keinen einzigen von ihnen; das gesamte Senillee-System war ihm fremd; er war noch nie hier gewesen. Er tippte wahllos auf einen Namen, dann meldete der Computer:

»Zielkoordinaten empfangen und eingespeist.«

Die Funkstimme von Celia Clay bedankte sich bei ihm für seine Bereitschaft.

Es war eigentlich gar keine Frage – Hilfeleistung in Zeiten der Not war erstes Gebot. Dennoch schwebte Richters Zeigefinger über dem Knopf, der ihn auf Kurs zu diesem Ort bringen sollte. Er schaffte es nicht, ihn einfach nach unten zu drücken.

Natürlich wollte er Leben retten, und das bedeutete, dass er hilfsbedürftige Menschen aufnehmen und von dort wegbringen musste – doch das berücksichtigte Richters derzeitige Situation nicht vollständig und nicht ausreichend. Er hatte ein Problem: Wenn er dort hinflog, würde es ihn einen weiteren Teil seines ohnehin bereits knapp gewordenen Treibstoffs kosten, und wenn auf Senillee die Naturkatastrophe wütete, würde er keinen neuen Treibstoff aufnehmen können. Käme er dann noch von dort unten weg? Und wenn ja, wie weit würde er es schaffen? Konnte er einen der Monde dieses Planeten erreichen? Oder schaffte er es sogar noch zu einem anderen Planeten in diesem System?

Und falls ja, gab es dort eine Station oder ein Terminal, wo er diese Menschen würde absetzen können? Und wichtiger: Würde er Treibstoff aufnehmen können – oder zumindest genügend Rohstoffe, um selbst mit der Miniraffinerie seines Raumschiffs Treibstoff herzustellen?

Richter war tatsächlich einen Moment lang unschlüssig, und sein Zeigefinger wollte sich nicht auf den roten Knopf senken.

Der entscheidende Ausschlag kam von anderer Seite: Die automatische Funknachricht der Behörden hatte sein Zögern bemerkt und sandte nun Aufnahmen der Planetenoberfläche. Richter sah einen gewaltigen Feuersturm über die Ebene fegen, sah den orangefarbenen Himmel, der aussah, als stünde er in lodernden Flammen, sah explodierende Bergsättel. Lava quoll hervor, rauchend, glühend heiß, und floss mit einer unglaublichen Geschwindigkeit in Talsenken, walzte alles nieder, was ihr im Weg war, und verbrannte Wälder und Gestrüpp, verschluckte Felder, Farmen, Dörfer und rollte unaufhaltsam auch auf die größeren Städte, Staudämme, Autobahnen und Flughäfen zu. Dunkler Qualm stieg in den Himmel, und Feuerfunken regneten pausenlos herab.

Richter sah, wie die Menschen kreischend aus ihren wertlos gewordenen Fahrzeugen sprangen und im Feuerregen fortliefen (während fliegende Flammen sie umschwirrten und ihre Kleidung und Haare in Brand setzten), nur um irgendwann vor Erschöpfung zusammenzubrechen und von der Lava überrollt zu werden.

Es waren grausame Tode, die die Menschen starben: Der Glutatem der Lava, der die Lungen verbrannte, oder überwalzt von seiner feurigen Masse, deren Hunger nie nachließ. Einige wollten nicht warten, bis die Naturgewalten sie eingeholt hatten; sie brachten sich gegenseitig um. Andere stürzten sich von Häusern oder erschossen sich auf offener Straße.

Aufgrund dieses Elends konnte Richter nicht länger in seinem Raumschiff sitzen und sich irgendwelchen Gedankenspielen hingeben; er musste etwas tun. Er hämmerte auf den Knopf, und die Avery startete in Richtung Nott Base.

Wenige Minuten später stürzte die Avery in schnellem Landfall auf die Planetenoberfläche hinab, und Richter sah das Grauen aus der Luft. Die Kontinente wirkten an vielen Stellen wie aufgerissen – als hätten gigantische Fleischerhaken tiefe Wunden in ihre Oberfläche geschlagen –; und sprudelnd und schäumend trat orangerote und gelbe Lava hervor, unablässig lange Schlieren herausspritzend. Mitten auf den Meeren entstanden Glutquellen, welche die Wasser schlagartig vaporisierten und große Mengen Dampf in die Atmosphäre hinausstießen. Gewaltige Seekreaturen kamen an die Oberfläche der wild wirbelnden heißen Gewässer und fanden dort nicht die erhoffte Kühlung, sondern wanden sich kreischend im Todeskampf, während sie erstickten, lebendig gekocht wurden oder durch heiße Glutstücke verbrannten. Über allem lag der ständige Regen aus Funken und Feuer, der alles in Brand setzte, worauf er niederfiel.

Während Richter sich Nott Base näherte, hörte er ein Prasseln. Es klang, als würde Regen gegen die Außenwand der Avery schlagen, doch er wusste, dass das nicht der Fall war. Nicht Regen, sondern Funken, Staub, Asche, in die Luft gewirbeltes Gestein und erkaltete Lavabrocken schlugen gegen die Avery. Hinzu kamen das Fauchen und Dröhnen der Atmosphäre, die an der Außenwand rieb, und die Reibungsfeuer, die allein schon durch den Landfall entstanden.

Richter erkannte Nott Base schon von weitem: Eine große betonierte Landefläche, quadratisch, mit Signallichtern, von denen über die Hälfte bereits ausgefallen waren. Er ließ die Avery mit Höchstgeschwindigkeit darauf zu jagen und drückte erst im letzten Augenblick die Automatic-Landing-Sequence, die er einem (wie er jetzt fand) dämlichen Impuls folgend mit der »Schönen blauen Donau« von Johann Strauß unterlegt hatte. Er hatte das irgendwann einmal in einem uraltem Spiel gesehen und es für eine blendende Idee gehalten, es in diesem Raumschiff einzuprogrammieren, aber jetzt wirkte die meisterhaft komponierte, lebensfrohe Musik angesichts des Ausmaßes an Grauen, Zerstörung und Vernichtung, das draußen auf ihn und die Menschen niederging, so deplatziert, dass er gerne jeden Hebel gerissen, jeden Knopf gehämmert hätte, um sie zu beenden – doch einen Abbruch der Musik hatte er beim Einprogrammieren nicht vorgesehen; er hatte nicht gedacht, dass sie einmal in einem solch unpassenden Moment aktiviert werden würde.

Daher war er gezwungen, sie bis zum Stillstand der Avery auf dem Landefeld und dem Auslaufen der Motoren anzuhören, und das war über die Hälfte des Musikstücks, dessen frohgemuter Charakter ihm immer mehr auf die Nerven ging und ihn nur noch wütend machte.

Er sprang aus dem Pilotensitz und rannte zur Ausstiegsluke, doch bevor er sie öffnete, warf er einen langen Blick durch das Bullauge hinaus in alle Richtungen. Es hatte keinen Sinn, dass er die Luke aufriss, und die Feuerfunken hereinwirbeln ließ, ohne dass jemand in der Nähe war, der ins Raumschiff hätte kommen können. Drüben, wo die Häuser der Basis standen, wütete bereits ein furchtbares Feuer. Ein Sturm riss Gegenstände, Mauerbrocken, Balken und anderes von den Dächern und vom Boden hoch und wirbelte es umher, und wenn ein Gegenstand aus der Sturmhose hinausgetragen wurde, sodass ihre Kräfte nicht mehr ausreichten, fiel er wie ein Geschoss zu Boden und drohte alles zu zermalmen.

Richter entdeckte geduckte Gestalten am Rand der Landeplattform entlanglaufen und vor einer Qualmwolke fliehen. Nun stieß er die Luke auf, schrie und winkte ihnen zu, doch sie entdeckten ihn nicht. Wahrscheinlich waren sie zu sehr damit beschäftigt, sich selbst in Sicherheit zu bringen, und hatten in dem Getöse und Lärm das Landen des Raumschiffs gar nicht mitbekommen.

Richter lief ins Innere zurück und zog einen der massigen Alberti-Lichtstrahler aus dem Regalfach, wo er eingerastet aufbewahrt wurde. Er schleppte ihn zur Luke und schaltete ihn an. Mehrmals lenkte er den Lichtkegel über die im Qualm dahinhastenden Gestalten, bis eine von ihnen aufblickte und zur Avery herübersah.

Sie griff die nächststehende Person am Arm und deutete in die Richtung, aus der der Lichtkegel kam, und auch die anderen blickten nun herüber. Richter setzte den Strahler ab und winkte mit weit ausladenden Bewegungen.

Nun kamen sie herübergerannt – instinktiv geduckt, um den wirbelnden Funken eine möglichst kleine Angriffsfläche zu bieten, hastig und auch ein bisschen unbeholfen, wie kleine Kätzchen. Sie hatten über die Hälfte des Wegs zurückgelegt, als Richter erkannte, dass es Männer, Frauen und Kinder waren.

»Kommt rein!«, schrie er ihnen entgegen, doch dem Brüllen des Feuers und dem Tosen des Katastrophenszenarios hatte er an Lautstärke nichts entgegenzusetzen. Daher beschränkte er sich fortan auf wilde, ausladende Gesten, die von allen Spezies des Universums verstanden wurden.

Die Flüchtlinge hasteten heran, trampelten die kurze schräge Rampe hinauf, dann waren sie im Innern, und Richter ließ die Luke zufahren.

Er roch verbranntes Haar, verbrannte Kleidungsstücke und – am schlimmsten – verbranntes Fleisch. Die Menschen weinten, schrien und kreischten – einige bestimmt vor Schmerz –, und es brach ein wildes Durcheinander aus, das Richter nicht zu bändigen vermochte. Einige kleine Brandherde mussten ausgeschlagen werden, und Richter zog glostende Kleidungsstücke von zuckenden Leibern. Dann öffnete er den großen Medizinschrank neben der Luke, suchte nach dem richtigen Mittel, griff nach Brandsalbe und Sprühflaschen.

Er gab kurze Erklärungen ab und zeigte, wie betroffene Stellen eingecremt und eingesprüht werden konnten, danach nahmen die Flüchtlinge selbst Tuben und Sprühflaschen in die Hand und halfen sich gegenseitig.

Richter stellte bei einer raschen Augenscheinprüfung fest, dass die meisten von ihnen ziemlich munter waren, allerdings hatte er jetzt keine Zeit, sie eingehend zu untersuchen oder sich um diejenigen zu kümmern, die verletzt waren. Er musste weg von hier, und zwar sofort, wenn er nicht selbst samt seinem Raumschiff als glühender, geschmolzener Klumpen inmitten des Infernos enden wollte. Er rief den Flüchtlingen zu, sich auf den Boden zu legen und/oder irgendwo Halt zu suchen, dann lief er in die Pilotenkanzel zurück und sprang in den Sitz. Auch diesmal nahm er sich einer alten Gewohnheit folgend die Zeit, sich anzuschnallen, bevor er die flache Hand auf den Startknopf schlug. Die Avery vibrierte, schüttelte sich, Motoren heulten dröhnend auf.

Das Schiff saß einen Moment lang wie festgeklebt, und Richter spürte aufkeimende Panik. Draußen war es heiß, die Funken stoben und Lava rollte direkt auf das Landefeld zu. Er hatte nur noch Sekunden, und wenn er es jetzt nicht schaffte … wenn die Lava begann, die Stützen des Raumschiffs zu umschließen … Richter verdrängte den Gedanken. Er erhöhte den Schub um weitere zwanzig Prozent, wartete kurz, erhöhte erneut, diesmal auf Maximum. Dann, mit einer zitternden Bewegung, die ein Vibrieren durch alle Teile und alle Anwesenden sandte, hob das Raumschiff ab, taumelnd zwar, aber die Avery war in der Luft.

In diesem alles entscheidenden Moment brauste von rechts ein Feuersturm heran, erwischte die Avery von der Seite und schleuderte sie aus der Bahn, und das Schiff hatte erneut Mühe, sich in die Höhe zu schrauben. Richter blieb auf Vollschub, bis er merkte, dass der Raumer an Höhe gewann. Dann erst begann er aufzuatmen. Vorläufig.

Er hob die Nase steil in die Luft, bis er nur noch den blanken, orangefarbenen, glühenden und brennenden Himmel mit den Feuerschlieren vor sich hatte, und ließ die Maschinen mit voller Kraft an Höhe gewinnen. Schließlich hatte die Avery die Schwerkraft überwunden, und das Schiff war wieder so wendig und schnell, wie Richter es gewohnt war. Sie hatten die Atmosphäre hinter sich gelassen und den Weltraum erreicht, waren dem unmittelbaren Tod entkommen und –

– hatten so gut wie allen restlichen Treibstoff verbraucht.

Richter fluchte und schlug mit der Faust auf die Konsole, und im selben Moment hörte er einen erschrockenen Laut. Er blickte über die Schulter und sah ein kleines rothaariges Mädchen, das sich neben dem Zugang zur Pilotenkanzel gegen die Wand drückte. Es mochte etwa vier Jahre alt sein, hielt einen Teddy mit beiden Händen gegen die Brust gedrückt und blickte verängstigt zu Richter auf.

*

Die Avery tuckerte mit den letzten Treibstoffreserven dahin. Richter scannte verzweifelt die Umgebung, fand einen Mond, der nichts weiter als ein brauner Felsball war, ohne Bewuchs, ohne Getier, mit einer ungewissen Menge von Rohstoffen. Vielleicht würden sie dort stranden – und wenn niemand sie fand und von dort wegholte, was dann?

Doch ihm blieb keine Wahl. Entweder der Mond, oder sie endeten als Treibgut im All, und das war seiner Erfahrung nach nicht besser.

Er scannte die Oberfläche, entdeckte eine Station, und eine kurze Überschlagsrechnung im Kopf ergab, dass er es bis zu dieser Station schaffen könnte. Gerade noch.

Er setzte Kurs, und der braune Felsball erschien mitten auf dem Monitor. Mit minimalster Geschwindigkeit, eigentlich einem antriebslosen Gleiten, flog er darauf zu. Richter gab jetzt keinen Schub mehr, die allerletzten Tropfen seines Treibstoffs würde er für den Bremsvorgang brauchen, wenn er nicht unkontrolliert auf dem Mond aufschlagen wollte.

Er lehnte sich in seinem Sessel zurück, stützte den Ellbogen ab und kratzte sich an der Stirn. Autsch! Einige der Funken schienen auch ihn getroffen und verbrannt zu haben. Doch das war nichts im Vergleich zu dem, was auf Senillee ausgebrochen war. Er dachte an die armen Menschen, die Opfer dieser verheerenden Naturkatastrophe geworden waren. Wahrscheinlich würde der ganze Planet vernichtet werden. Wie viele von diesen Menschen waren heute Morgen noch frohgemut aufgewacht und hatten Pläne für diesen Tag gehabt? Wahrscheinlich alle. Wenn die Menschen, Wissenschaftler und Experten dieses Unglück vorhergesehen hätten, hätten sie ihre Raumschiffe bestiegen und den Planeten verlassen. Also musste die Katastrophe unvermittelt über sie hereingebrochen sein.

Richter dachte daran, dass einige der Flüchtlinge auch Kinder dabeigehabt hatten. Diese armen Kleinen! Ihnen war es nicht besser ergangen als den Erwachsenen.

Unwillkürlich drehte Richter sich um und suchte nach dem Mädchen, das ihm in die Pilotenkanzel gefolgt war. Er hatte sich nicht näher um die Kleine kümmern können; die Berechnungen, Scans und die Entscheidungen, die er hatte treffen müssen, hatten ihn so in Beschlag genommen, dass er sie für den Moment völlig vergessen hatte.

Als er sich jetzt nach ihr umsah, war sie verschwunden.

Richter vermutete, dass sie zu den andern im Lagerraum zurückgekehrt war, zu ihren Eltern, Angehörigen, oder zumindest doch zu Menschen, die sie kannte. Doch dann hörte er ein Schluchzen, und weil die Avery genau auf Kurs lag und die Reise zu dem Mond noch etwas Zeit in Anspruch nahm, überließ er das Schiff sich selbst, gurtete sich ab, stand auf und sah sich in der Pilotenkanzel um.

Sie saß in einem schmalen Spalt zwischen der Wand und der Abdeckung eines Kabelkastens. Der Spalt war so eng, dass sie sich hatte hineinzwängen müssen, und sie hatte dazu die Luft angehalten. Noch immer presste sie sich das Stofftier fest an den Leib; es schien ihr Hoffnung und Trost zu geben – die einzige Hoffnung, die sie noch zu haben schien.

Richter entdeckte einen Tränenstrom, der sich über ihre Wangen ergoss. Dass das Mädchen nichts anderes als die Wand anstarrte, wertete er als Realitätsflucht. Sie hatte unbändige Angst – selbst jetzt noch, nachdem sie den zerfallenden Planeten mit seinen Feuern, Glut- und Ascheregen, Giftgasen und Lavaströmen hinter sich gelassen hatte und fürs Erste in Sicherheit war.

Richter ging vor dem Spalt auf die Knie und stützte sich mit dem Ellbogen gegen die Wand, um einen legeren Eindruck zu vermitteln, und er sagte in einem hoffentlich unbekümmert genug wirkenden Tonfall:

»Wir sind in Sicherheit. Du brauchst keine Angst mehr zu haben.«

Der Kopf des Mädchens ruckte herum, sie sah mit hellblauen Augen zu ihm auf, und Richter erkannte, dass sich in ihnen namenlose Angst und abgrundtiefer Schrecken spiegelten. Sie hatte rotblondes Haar und trug ein feuerrotes Kleidchen, ihre Beinchen steckten in Strumpfhosen, und die Schuhe waren aus Makima-Leder und, zum Kleid passend, hydrantenrot.

»Du kannst rauskommen«, redete er sanft weiter. »Niemand tut dir etwas. Das Feuer haben wir hinter uns gelassen. Wir sind jetzt im Weltraum. Hier kann dir nichts mehr passieren. Hier ist alles gut. Okay?«

Sie nickte nicht, sagte nichts, blickte ihn nur weiter an mit ihren wasserblauen Augen, aus denen die Tränen quollen. Nur den Teddy mit seinen Brandflecken presste sie nach wie vor an ihre Brust.

»Willst du mir deinen Namen verraten?«, fragte er.

Er wartete geduldig. Bestimmt brauchte es geraume Zeit, bis seine Worte – die Worte eines Fremden – in die Gedankenwelt des Kindes eingesickert waren. Dann, ganz langsam, schüttelte sie den Kopf.

»Na gut, versuchen wir es anders herum. Ich bin Owen. Owen Richter. Und wer bist du?«

Sie sagte nichts; wieder nur die großen, blauen Augen. Doch wenigstens hatte sie jetzt aufgehört zu weinen.