Marshal Nye - Logan Kenison - E-Book

Marshal Nye E-Book

Logan Kenison

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Beschreibung

Fort Crump – eine Stadt im Hexenkessel des Goldands. Hier kreuzen sich die Schicksalslinien von Männern und Frauen, die das Glück suchen. Als Billy Bascomb, der Bruder des Banditenanführers, getötet wird, ist klar, dass Big Todd Bascomb das nicht auf sich sitzen lassen kann. Er sammelt seine Männer um sich und reitet nach Fort Crump – und nur ein Mann steht ihm im Weg: Marshal Jonathan Nye. (Anmerkung: Der im Roman dargestellte Mordfall basiert auf einer wahren Begebenheit; nur Namen der Personen und Orte wurden geändert.)

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Marshal Nye

Westernroman

von Logan Kenison

Das Buch

Fort Crump – eine Stadt im Hexenkessel des Goldands. Hier kreuzen sich die Schicksalslinien von Männern und Frauen, die das Glück suchen. Als Billy Bascomb, der Bruder des Banditenanführers, getötet wird, ist klar, dass Big Todd Bascomb das nicht auf sich sitzen lassen kann. Er sammelt seine Männer um sich und reitet nach Fort Crump – und nur ein Mann steht ihm im Weg: Marshal Jonathan Nye.

(Anmerkung: Der im Roman dargestellte Mordfall basiert auf einer wahren Begebenheit; nur Namen der Personen und Orte wurden geändert.)

Der Autor

Logan Kenison (vormals Joe Tyler) ist Autor von Western-, Abenteuer- und Spacegeschichten. Neben seinen Western, die er mit Leidenschaft verfasst, schreibt er seit 2018 die Reihe Spacewestern.

Inhalt

Impressum

Marshal Nye (Roman)

Weitere Titel von Logan Kenison

Ungekürzte Erstausgabe 08/2012

Copyright © 2020 by Logan Kenison

Lektorat: Carola Lee-Altrichter

Abdruck auch auszugsweise nur mit Genehmigung des Verlags oder Autors

Cover: Edward A. Martin

[email protected]

Marshal Nye

Westernroman von Logan Kenison

Die Missouri-Dampfer schaufelten täglich neue Menschenmassen nach Fort Crump: Goldsucher, Glücksritter, Jäger, Siedler, Spieler, Huren, Unternehmer, zweibeinige Wölfe und Ratten. Wildfremde Menschen strömten über die Gangways an Land und drängten durch die schlammigen Straßen, verteilten sich auf Hotels, Saloons, Spielhallen, Boarding Houses und Freudenhäuser. Überall herrschte Gedränge und Geschrei. Pferde wieherten in Panik, als man sie in Gurte steckte und Ladekräne sie an Land hievten oder Matrosen sie über schmale Planken auf die Kais trieben. Sieben total überladene Esel blökten, doch niemand kümmerte sich um sie; ihr Besitzer war weit und breit nicht in zu sehen.

Der aufsehenerregendste Teil der Ladung an diesem Montagmorgen im Oktober 1876 war zweifellos die Rinderherde, die ein Rancher aus Kansas für 350 Dollars nach Browns hatte treiben und dort verladen lassen, um die Menschen in den Goldgebieten mit dem heißbegehrten Fleisch zu versorgen. Schreiend und in die Luft schießend trieben die Cowboys die Tiere aus dem Schiffsbauch. Beim Donnern der Hufe erzitterte das ganze Schiff, und für einen Augenblick glaubte sogar die Besatzung, dass der Schaufelraddampfer mit Mann und Maus unterginge, versenkt von einer außer Kontrolle geratenen Rinderherde.

Die Menge an der Anlegestelle stob auseinander und machte hastig Platz. Eine Welle von auf- und niederschaukelnden Hörnern schwappte durch die Hauptstraße, die auf eine Anhöhe hinaufführte. Dort oben befanden sich ein weiterer Stadtteil sowie Wohn- und Arbeitszelte. Zahlreiche neue Häuser waren im Begriff zu entstehen.

Der Landgang von Jonathan Nye blieb bei diesem Spektakel beinahe unbemerkt. Doch er war eine beeindruckende Erscheinung und zog die Blicke der Menschen selbst jetzt noch auf sich. Seine Größe von sechs Fuß drei Zoll war nicht zu übersehen, ebenso sein Haar, das sattelbraun glänzte und ihm bis zur Hüfte hinabfiel. Selten hatte man einen Mann mit solch langem, dichtem Haar gesehen. Sogar Frauen warfen ihm neidische Blicke zu und bewunderten ihn ob dieser Haarpracht. Schnurr- und Kinnbart ließen das hagere Gesicht mit den eingefallenen Wangen noch ausgemergelter erscheinen.

Nye hatte dem Anlegemanöver des Steamers vom Deck aus zugesehen, nun nahm er den Sattel neben der Reling auf, warf ihn sich über die Schulter und marschierte von Bord – ein weiterer Fremder unter Fremden, von dem man denken mochte, dass er wie alle anderen sein Glück auf den Goldfeldern versuchen wollte, in denen in den letzten zwei Jahren große Vorkommen des Edelmetalls gefunden worden waren.

Jonathan Nye trug die abgewetzte Kleidung eines Büffeljägers – eine mit langen Fransen besetzte Lederjacke, um die er seinen Revolvergurt mit seinem Sechsschüsser geschlungen hatte, sowie Hosen aus Wildleder –, und den ramponierten dunkelgrauen Hut, der unzählige Reitstunden und Regengüsse auf dem Buckel hatte. Dort, wo man ihn beim Auf- und Absetzen ständig anfasste, machten sich Auflösungserscheinungen bemerkbar; er war porös und nicht mehr regendicht, und es war nur noch eine Frage der Zeit, bis Nye sich einen neuen Deckel würde zulegen müssen.

Die Stiefel, die über die Gangway pochten, machten einen ebenso ausgeleierten Eindruck, ohne jedoch vernachlässigt zu wirken. Wenn die Sachen des Mannes auch schon lange getragen wirkten, so waren sie dennoch nicht ungepflegt.

Hochgewachsen, wie Nye war, überblickte er die Menge mühelos, und seine blauen Augen wanderten unablässig von einem zum andern. Sie streiften über die sich ergießenden Menschenmassen, studierten Gesichter. Es schien, als prüfte er jeden Passanten, dem er begegnete; sondierte, sortierte aus. Er suchte jemanden, das wurde schnell klar, und dieser Jemand musste ein Mann sein. Denn Frauen beachtete er nicht.

Er nahm sich ein Zimmer in Molly Fallons Boarding House und legte dort seinen Sattel ab. Dann begann sein Rundgang durch die Stadt.

Als er gegen halb zwei den Golden Nugget Saloon betrat, wusste er, dass er sein Ziel erreicht hatte.

In der hinteren Ecke an einem mit grünem Filz bespannten Tisch saßen fünf Männer bei einem Pokerspiel. Die wachsamen Augen Nyes entdeckten sie sogleich. In aller Seelenruhe trat er ein und legte die Hand hinter den mit Nussbaumschalen verzierten Kolben seines Peacemakers Single Action Colts Kaliber .45.

Die Spieler waren so in das Spiel vertieft, dass sie keine Notiz von dem Nähertretenden nahmen. Erst als Nyes Schatten auf die Tischplatte fiel, blickten sie auf.

Einer der Männer erbleichte. Die Karten in seiner Hand begannen zu flattern.

»Ganz recht, ich bin’s«, sagte Nye mit tiefer Stimme. »Charlies Bruder.«

Die Unterlippe des Mannes vibrierte, sein rechtes Augenlid zuckte unkontrolliert.

»Ich … ich …«

»Du brauchst nichts zu sagen, Mallory. Steh nur auf, damit du recht schnell ziehen kannst. Du sollst eine faire Chance bekommen. Nicht so, wie mein Bruder, dem du in den Rücken geschossen hast.«

Die anderen Männer am Tisch hatten Mühe, das Gesagte zu verdauen. Einer von ihnen schlug die richtigen Schlüsse schneller als seine Mitspieler.

»Ich bin Vince Whitney, Bürgermeister dieser Stadt und Besitzer des Golden Nugget Saloons. Haben Sie eine Anklage gegen Mr Stone vorzubringen, Fremder?«

»Ganz recht, das habe ich. Und sein Name ist nicht Stone, sondern Jeb Mallory. Er stammt aus Abilene.«

»Was werfen Sie diesem Mann vor?«

»Mord.«

»Wer wurde ermordet?«

»Mein Bruder, Charles Henry Nye. In einem Ort namens Maddox Falls.«

»Haben Sie Beweise, Mister?«

»Nope.«

»Dann können Sie keine Anklage gegen ihn erheben.«

»Ich weiß. Deswegen fordere ich ihn zum Duell.«

Nye nickte Mallory zu, dessen spitzes Rattengesicht aschfahl geworden war.

»Komm schon, Mallory. Hoch mit den Arschbacken. Bringen wir’s hinter uns.«

Der Mann neben dem Bürgermeister fuhr hoch.

»Sie können hier nicht einfach hereinspazieren und einen Mann abknallen, Mister!«, brauste er auf und wollte vor Nye treten. Doch plötzlich legte sich der Arm des Bürgermeisters vor seine Brust und hielt ihn zurück.

»Setz’ dich, Amos. Das ist eine Sache zwischen diesem Mister und Milo Stone. Oder sollte ich besser sagen: Jeb Mallory?«

Nye nickte. »Jeb Mallory. Das ist sein richtiger Name.«

Die vier Männer am Tisch blickten den Beschuldigten an, und der Bürgermeister fragte:

»Nun, was sagen Sie dazu, Stone-Mallory? Wie lautet Ihr wirklicher Name?«

»I-ich … äh, dazu sage ich gar nichts!«, stieß der Angesprochene hervor. »Dieser Mann ist ein Lügner. Ich kenne weder ihn noch seinen Bruder, und einen Mann namens Charlie Nye habe ich nicht umgebracht. Ich war noch nie in diesem Ort, in Maddox Falls.«

Ein anderer Pokerspieler mischte sich ein: »Warum bist du plötzlich so bleich um die Nase, he? Du wurdest es in dem Moment, als der Fremde an unseren Tisch trat, und zwar schon bevor er diese Anklage äußerte. Ich denke, du kennst ihn sehr wohl und hast uns ’ne Menge Lügenmärchen aufgetischt, Stone.«

»D-das … ist nicht wahr!«, zischte der Mann. Er rutschte auf dem Stuhl hin und her.

»Ich fürchte, Sie müssen sich der Herausforderung stellen«, meinte Bürgermeister Whitney gedehnt.

Mallory brach der Schweiß aus.

»Das … ist nicht Ihr Ernst!«

»Ich fürchte, doch. Wir wissen nicht, was vorgefallen ist, und können die Sache nicht beurteilten. Aber dieser Mann würde Sie kaum den halben Missouri herauf bis in unsere Stadt verfolgt haben, wenn es nicht etwas Schwerwiegendes gewesen wäre. – Mord, Mr Mallory, ist eine Anklage, die man nicht einfach unter den Tisch fallen lassen kann.«

»Aber … Sie … Sie haben kein Recht …«

»Erzählen Sie mir nicht, welche Rechte ich habe, Mallory. Und nun scheren Sie sich raus auf die Straße. Tragen Sie’s mit diesem Gentleman aus. Wenn Sie danach noch leben, können Sie an diesen Tisch zurückkehren, und weiterspielen.« Er wandte sich an Nye. »Sie sind doch einverstanden, die Sache draußen zu erledigen, damit keine Unschuldigen gefährdet werden?«

»Selbstverständlich, Mayor.«

»Aber ich nicht!«, heulte Mallory auf. »Ich bin nicht einverstanden! Ich möchte kein Revolverduell mit diesem Mann! Ich verlange, dass das Gesetz mich schützt. Wo ist der verdammte Marshal, wenn man ihn braucht?«

»Ja, wo ist er?«, erwiderte Whitney kühl. »Umgelegt worden ist er. Vor achtzehn Tagen. Fort Crump hat keinen Marshal, Mr Mallory. Sie müssen es allein durchstehen.« Erneut wandte er sich an Nye: »Und um ihretwillen hoffe ich, dass es sich nicht um einen Irrtum handelt und dieser Mann wirklich jener Jeb Mallory ist, von dem Sie uns berichteten.«

»Er ist es«, bestätigte Nye seelenruhig noch einmal.

Im selben Moment brüllte ein Schuss auf, und Nye spürte einen Luftzug an der Wange.

Um Mallorys Hand wallte eine kleine Rauchwolke, durch die die Umrisse eines zweiläufigen Derringers erkennbar waren. Diese kleinen, besonders für Spieler geeigneten Modelle, wurden seit 1866 von der Firma Remington gebaut und angeboten. Mit dem Kaliber .41 besaßen sie genug Durchschlagskraft, um einen Mann zu töten, sofern man ihn an der richtigen Stelle traf – aber das galt ja für alle Feuerwaffen. Der erste Schuss Mallorys war fehlgegangen, doch im zweiten Lauf steckte eine weitere Patrone.

Als er sah, dass Nye unverletzt geblieben war, schoss der Spieler erneut.

Der zweite Schuss donnerte, doch gleichzeitig brüllte auch Nyes Peacemaker auf. Keiner hatte gesehen, wie der Fremde gezogen hatte. Nach einer schemenhaften Bewegung hatte er den Colt plötzlich in der Hand gehalten, den Hahn gespannt und den Stecher durchgezogen.

Die Kugel traf den sitzenden Mallory in die Brust und fuhr durch ihn hindurch. Vor Schreck zuckte der Mann zurück bis an die Stuhllehne und riss beide Arme auseinander. Er starrte an sich hinab, sah die sich rot färbende Hemdbrust und das mit Blut gefüllte Einschussloch. Dann verdrehte er die Augen, rutschte mit einem langgezogenen Seufzer vom Stuhl und verschwand unter dem Tisch.

Die Männer sprangen fluchend auseinander. Sie hatten gar nicht richtig mitbekommen, was geschehen war; ihre Gehirne arbeiteten noch daran, die Eindrücke zu sortieren und in eine korrekte Reihenfolge zu bringen.

Als sie alle stocksteif dastanden, drang ihnen ins Bewusstsein, dass Jeb Mallory tot sein könnte.

Sie sahen zu Nye hinüber. Dieser straffte die Schultern – aufrecht, den noch rauchenden Colt in der Hand.

Einer der Männer umrundete den Tisch, sah auf Mallory hinab, kniete sich neben ihn. Der Spieler regte sich nicht. Seine Hand umkrallte den leergeschossenen Derringer. Sie hatten alle gesehen, wie Mallory beide Kugeln auf Nye abgefeuert und danebengeschossen hatte.

Der Mann erhob sich, suchte den Blickkontakt der anderen und schüttelte den Kopf.

Nye ließ den Peacemaker zweimal um den Zeigefinger wirbeln und steckte ihn ins Holster zurück.

*

An den Fenstern drängten sich die Menschen und spähten in den Saloon herein. Das Donnern der Schüsse war draußen zu hören gewesen, und im Nu hatte sich eine große Menge versammelt.

Nye ignorierte die neugierigen Blicke, trat an die Mahagonitheke und bestellte einen doppelten Whisky. Aus den Augenwinkeln sah er, wie der Bürgermeister an ihn herantrat.

Als der Bartender Nye das Glas hinstellte, kippte er es mit einem Zug hinab.

»Das habe ich jetzt gebraucht.«

»Waren Sie schon lange hinter ihm her?«, fragte Whitney.

»Sieben Wochen.«

»Sie scheinen ein zäher Brocken zu sein. Wenn man Sie auf der Fährte hat, gibt man wohl besser Fersengeld.«

»Er hat meinen Bruder ermordet.«

Ein paar Männer wurden zusammengerufen, um den Toten wegzutragen. Nye und der Bürgermeister sahen dabei zu. Durch die Menge draußen ging ein Raunen, als Mallory hindurchgetragen wurde. Die Flügeltüren schwangen nur einmal kurz, dann war der Leerraum wieder gefüllt mit Gesichtern, die hereinstarrten und den Mann sehen wollten, der Milo Stone erledigt hatte.

Sie sahen, wie dieser Mann seelenruhig an der Theke stand und sich mit dem Bürgermeister unterhielt.

»Sie wären der Richtige für den Job«, meinte Whitney.

»Danke, aber nein danke.«

»Warum? Haben Sie anderweitige Verpflichtungen?«

»Das nicht. Aber ich kümmere mich um meine Sachen.«

»Diese Stadt benötigt dringend einen Townmarshal, Mr Nye.«

»Sicher. Aber nicht mich.«

»Sie sind eine eindrucksvolle Erscheinung«, sagte der Bürgermeister nicht ohne Bewunderung. »Vermutlich wird die Hälfte aller Banditen schon das Weite suchen, wenn sie sie nur ansieht.«

»Ha, ha. Und die andere Hälfte wird genau dorthin schießen, wo der Marshalstern blinkt. Damit gibt man nämlich auch nachts eine gute Zielscheibe ab.«

»Wollen Sie wissen, wie viel die Stadt Ihnen bieten würde?«

»Nein.«

»Hundert Dollar pro Monat.«

»Fein. Das reicht für eine Beerdigung im Eichensarg.«

»Kost und Logis frei, und auch alle anderen Dinge, die Sie benötigen, wie Munition, Kleidung, Pferd und Sattel.«

»Verlockend für jemanden, der nicht Jonathan Nye heißt.«

»Ich würde es im Stadtrat sicher noch durchbringen, dass wir Ihnen eine Prämie von zwei Dollar fünfzig pro Verhaftung bezahlen. Die schlagen wir auf die Strafe drauf, die der Delinquent entrichten muss. Na, was sagen Sie?«

»Ich bin sicher, Sie finden Ihren Marshal.«

»Uns liegt sehr viel an unserer Stadt, Mr Nye. Die Goldfelder ziehen eine Menge Gesindel und Banditen an. Die zahlreichen Goldgräber, die in die Stadt kommen, um ihre Funde in Dollars umzuwechseln und das Geld dann in unseren Stores, Saloons und Tanzhallen ausgeben, benötigen ein Gefühl von Sicherheit. Sie müssen wissen, dass jemand da ist, der sie vor Raubüberfällen beschützt. Andererseits wollen die Bürger von Fort Crump nicht von übermütigen und betrunkenen Goldgräbern belästigt werden. Sie hätten eine sehr wichtige Aufgabe, wenn Sie das Amt annehmen, Mr Nye.«

Nye leerte das zweite Whiskyglas, das der Barkeeper ihm auf ein Handzeichen hin gebracht hatte. Er antwortete nicht.

»Was hält Sie davon ab, den Job zu übernehmen?«, fragte Bürgermeister Whitney.

»Ich habe hier nichts zu schaffen. Es ist nicht meine Art, mich in anderer Leute Angelegenheiten einzumischen. Ich arbeitete als Büffeljäger und habe auf den Great Plains etwas Geld gemacht. Die Mannschaft, die ich in Nebraska verlassen habe, nimmt mich wieder auf, sobald ich zurückkehre. Dort kann ich mich den Dingen widmen, die mich interessieren, und habe meine Ruhe vor den Menschen.«

»Sie mögen die Menschen wohl nicht besonders?«

»Einer von diesen Menschen hat meinen Bruder ermordet. Ich möchte so wenig wie möglich mit ihnen zu tun haben.«

»Das heißt, Sie waren persönlich involviert. Deswegen haben sie Mallory gejagt.«

»Das ist richtig.«

»Dann sage ich Ihnen, auch hier sind Menschen persönlich involviert. Die Frau des Storekeepers verlor vor zwei Wochen ihren Ehemann. Er wurde von einer randalierenden Meute betrunkener Goldgräber erschossen. Die Männer behaupteten, es wäre nur ein Spaß gewesen. Da sie alle wild herumballerten, konnten wir nicht herausfinden, wer den tödlichen Schuss abgegeben hatte, und mussten sie laufen lassen. Würden Sie sagen, dass Mrs Kelly persönlich involviert ist?«

»Ja, aber …«

»Antworten Sie nicht gleich. Ich habe noch weitere Geschichten auf Lager.«

Nye hob abwehrend die Hand.

»Sie wollen sie nicht hören«, stellte Whitney fest.

»Das ist es nicht. Ich denke nur, diese Art von Job liegt mir nicht, Mr Whitney.«

»Hören Sie, Mr Nye: Ich habe Sie schießen sehen. Obwohl Mallory bereits auf Sie gefeuert hat, blieben Sie ruhig und handelten überlegt. Ihre Hand zitterte nicht. Nein, ich denke, Sie sind genau der Richtige für den Job. – Jedes Verbrechen involviert die Menschen persönlich. Jeder Betroffene, jedes Opfer ist involviert. Alles, was geschieht, betrifft Menschen. Diese brauchen einen guten Marshal, der sich um die Belange derer kümmert, die es nicht selbst tun können. Mrs Kelly kann sich keinen Colt schnappen und den Mörder ihres Mannes zum Duell fordern, wie Sie das getan haben.«

»Hören Sie auf. Ich weiß, was Sie sagen wollen.«

Doch Bürgermeister Whitney fuhr in eindringlichem Ton fort: »Nehmen Sie den Stern und bekämpfen Sie Unrecht und Verbrechen in Fort Crump. Tun Sie’s für die Schwachen und Kleinen dieser Stadt, die sich nicht selbst helfen können – und ich verspreche Ihnen: Sie werden persönlich involviert sein! Helfen Sie dem Gesetz auf die Beine. Überall im Westen entstehen jetzt funktionierende Gemeinden. Recht und Ordnung hält Einzug. Das ist bitter nötig nach all den Jahren der Verrohung und ungezügelten Wildheit. Bauen Sie mit uns an diesem neuen Amerika. Denn nur durch Recht und Ordnung kommen wir voran, nur dadurch sind Geschäfte, Wohlstand und Entwicklung möglich. Denken Sie an John Sutter. Als 1848 auf seinem Land Gold gefunden wurde, pilgerten hunderttausend Verrückte dorthin, um die ganze Gegend auf den Kopf zu stellen. Das ruinierte Sutter – und zwar, weil die gesetzlichen Rahmenbedingungen fehlten, ihn und seinen Besitz zu schützen.

Das muss anders werden, Mr Nye! Inzwischen sind viele Menschen in den Westen geströmt. Familien, Frauen, Kinder – keine Großgrundbesitzer wie Sutter, sondern kleine Menschen, die mithelfen, das Land aufzubauen und voranzubringen. Auch sie haben ein Recht darauf, dass sich jemand um sie kümmert und sie beschützt. Hören Sie, was sagen Sie dazu, wenn wir Ihnen nach Ablauf von drei Jahren einen Bonus in Höhe von eintausend Dollar anbieten würden?«

Eintausend Dollar sowie das, was er in den drei Jahren von seinem Lohn sparen konnte, waren ein gewaltiger Anreiz für Nye. Er würde nie mehr Büffel schießen müssen. Mit dem Geld konnte er die Pferderanch in Wyoming aufbauen, von der er schon lange träumte. Er würde in der Abgeschiedenheit der Natur sein Leben verbringen können, weitab der Menschen, die er so verabscheute. Nur hin und wieder Pferde in die Stadt oder zum Fort treiben, um sie zu verkaufen. Das war genau das Leben, das er sich wünschte, und das ihm bisher verwehrt geblieben war.

Nach drei Jahren Arbeit würde er genau das haben können.

Ein Ruck ging durch den langen Mann. Doch als er seine Stimme erhob, klang sie ganz nüchtern.

»Ich stelle fest, Sie arbeiten mit allen Registern, Bürgermeister.«

»Nur, weil Sie sich so zieren, Mr Nye. Wenn’s sein muss, würde ich Ihnen sogar eine Flasche Whisky spendieren, Sie abfüllen und im Suff Ihre Hand führen, wenn Sie den Vertrag unterschreiben.«

Nye lachte trocken.

»Na gut. Geben Sie mir die Flasche. Ich trinke sie später. Und dann zeigen Sie mir das Marshal’s Office.«

*