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Nachdem er die wilden Jahre hinter sich gelassen hat, hat Jack Nolan nur noch einen einzigen Wunsch: Zusammen mit seiner Frau Emily ihren Kindern Cindy und Joe ein Heim zu schaffen und ihre Parzelle in Kansas zu bewirtschaften. Doch der Großrancher Jason Masterson hat etwas gegen Siedler, die seinen Rindern kostbares Weideland stehlen. Die Hinweise mehren sich, dass im County ein Krieg ausbricht, doch Jack setzt alles daran, sich herauszuhalten. Aber dann kommt der bittere Tag, an dem Jack erkennen muss, dass es auch ihn etwas angeht. -- Dieses E-Book enthält die Bonusstory: Zum Sterben nach Medicine Bow.
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Seitenzahl: 160
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NOLAND REITET
Westernroman
von Logan Kenison
Das Buch
Nachdem er die wilden Jahre hinter sich gelassen hat, hat Jack Nolan nur noch einen einzigen Wunsch: Zusammen mit seiner Frau Emily ihren Kindern Cindy und Joe ein Heim zu schaffen und ihre Parzelle in Kansas zu bewirtschaften. Doch der Großrancher Jason Masterson hat etwas gegen Siedler, die seinen Rindern kostbares Weideland stehlen. Die Hinweise mehren sich, dass im County ein Krieg ausbricht, doch Jack setzt alles daran, sich herauszuhalten. Aber dann kommt der bittere Tag, an dem Jack erkennen muss, dass es auch ihn etwas angeht.
Dieses E-Book enthält die Bonusstory:
Zum Sterben nach Medicine Bow
Der Autor
Logan Kenison (vormals Joe Tyler) ist Autor von Western-, Abenteuer- und Spacegeschichten. Neben seinen Western, die er mit Leidenschaft verfasst, schreibt er seit 2018 die Reihe Spacewestern.
Inhalt
Impressum
Noland reitet (Roman)
Zum Sterben nach Medicine Bow (Bonusstory)
Weitere Titel von Logan Kenison
Erstausgabe 2007
Copyright dieser Ausgabe: 2020 by Logan Kenison
Lektorat: Carola Lee-Altrichter
Abdruck auch auszugsweise nur mit Genehmigung des Autors.
Das Cover wurde gestaltet nach Motiven der Bonanza-Komplettbox. Im Handel auf DVD erhältlich. Mit freundlicher Genehmigung von www.fernsehjuwelen.de
Dieser Roman ist ein Produkt der Fantasie. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen ist unbeabsichtigt und wäre reiner Zufall.
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Noland reitet
Die Sonne war untergegangen und nur noch ein paar farbige Schlieren standen am westlichen Horizont. Im Osten funkelten bereits die ersten Sterne am Nachthimmel. Emilio, der Peon, rannte zum Farmhaus.
»Señor Barton! Señor Barton!«, stieß er atemlos hervor.
Jeremias Barton, der im Licht der Petroleumlampe in der Bibel gelesen hatte, blickte auf. Von Ferne hörte er Hufgetrappel.
Emilio blieb keuchend auf der Schwelle stehen.
»Es kommen Reiter!«
»Ich höre es, Emilio.«
Jeremias Barton stand auf.
»Soll ich die Gewehre holen, Señor?«
»Gewehre? Gott bewahre, Emilio, wir werden müde Reisende doch nicht mit Gewehren empfangen. Sie werden von Weitem das Licht im Farmhaus gesehen haben. Sieh’ besser nach, ob noch genügend Brot und Bohnen übrig sind, um ihnen etwas vorzusetzen. Und rufe Jorge und Bernardo, um ihnen in der Scheune ein Lager herzurichten.«
»Aber Señor. Es ist bereits dunkel, und diese Reiter … das gefällt mir gar nicht.«
»Erwarte nicht immer das Schlechteste von den Menschen, Emilio. Nun geh.«
Brummend wandte Emilio sich ab.
Jeremias Barton trat vor die Tür und wartete, bis die Ankömmlinge in Sicht kamen. Dies geschah, als sie die Hügelkrone erreicht hatten. Es handelte sich um fünf Reiter – dunkle Flecke auf dem dunklen Hügelbuckel. Sie jagten im Galopp die abschüssige Strecke herab. Der aufgewirbelte Staub wirkte ihm Mondschein wie ein im Wind wehendes Leichentuch.
»Guten Abend, Gents«, rief Barton ihnen zu.
Er erhielt keine Antwort. Die Männer ritten in den Farmhof und hielten vor der Eingangstür. Das Licht, das aus dem Haus fiel, beleuchtete ihre Gesichter. Es waren unfreundliche Gesichter mit zusammengepressten Lippen und kalt funkelnden Augen.
Heavens, durchzuckte es Barton, ich hätte auf Emilio hören sollen.
»Guten Abend, Gentlemen«, rief er erneut, doch diesmal zitterte seine Stimme.
Und diesmal erhielt er Antwort – sie bestand aus Pulver und Blei. Plötzlich hielten alle fünf Männer Waffen in den Händen. Ein Colt bellte auf und jagte ihm eine Kugel in die Brust.
Jeremias Barton brach an der Tür zusammen.
Jorge, der hinter dem Schuppen gearbeitet hatte, lief herbei.
»Madrede Dios! Quéoccure?«, schrie er leichenblass.
Die Männer fuhren herum. Ohne ein Wort eröffneten sie das Feuer auf ihn.
Emilio sah durchs Fenster, wie Jorge getroffen gegen die Wand des Schuppens prallte.
Er rannte ins Hinterzimmer und riss die Tür des Gewehrschranks auf. Hastig griff er die vorderste Waffe, entsicherte sie und feuerte durch die offene Tür auf die Mörder.
*
»Hooo! Hooo!«
Jack Nolan zog an den Zügeln seiner zwei Ackergäule, und der Pflug kam zum Stillstand. Er wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn, wo sich dicke Schweißperlen gebildet hatten. Schweiß lief auch seinen Arm hinab. Mit der Hand bildete er vor den Augen einen Schirm gegen die blendende Sonne, die hoch am Mittagshimmel stand. Jetzt machte er die Reiter aus, deren Hufschlag er gehört hatte. Sie kamen von Süden heran.
Sie waren zu fünft; unrasierte Burschen mit tiefhängenden Colts auf ausgeruhten Pferden. Sie schwitzten kaum, hatten sich offensichtlich den Tag über im Schatten aufgehalten, während andere unter der brütenden Sonne schufteten.
Aber Jack Nolan war nicht neidisch.
Er wusste, was es hieß, ein Leben im Sattel zu führen. Er war froh, dass er sesshaft war. Seine Arbeit liebte er. Die Heimstätte hatte er vor zweieinhalb Jahren vom Staat Kansas erworben, seitdem arbeitete er daran, ihr Ertrag abzuringen. Auf dieses Stück Land setzte er seine Zukunft – eine Zukunft, in der seine Frau Emily und seine Kinder Cindy und Joe eine Rolle spielten.
Mit Männern der Art, wie sie jetzt über sein Land geritten kamen, wollte Jack Nolan nichts mehr zu tun haben. Jahrelang waren solche Männer sein Umgang gewesen, hatten solche Männer gemeint, sich mit ihm messen zu müssen, um sich einen Namen zu machen.
Dies alles war vorüber, und Jack dankte Gott dafür. Als er Emily Baumgardner in Cabot, Arkansas, kennengelernt hatte, hatte sich sein Leben von Grund auf verändert. Emily hatte in einem der Zelte gekocht, in denen Mahlzeiten ausgegeben wurden. Sie war fleißig und rührig und sich für keine Arbeit zu schade. Außerdem – und das war beileibe kein Nachteil – war sie verdammt hübsch: dunkelhaarig, mit hohen Wangenknochen, neckischen Sommersprossen auf dem Nasenrücken und einer reizenden Figur.
Emily hatte ihren Job aufgegeben und den Herumtreiber Jack geheiratet, der daraufhin zahm und häuslich geworden war. Rasch fassten sie den Plan, ein Stück Land zu erwerben und eine Farm zu betreiben. Kansas mit seinen Millionen Morgen ungenutzten Landes stand zur Wahl. Nur etwa hunderttausend Menschen lebten in dem 213.000 Quadratkilometer großen Staat. Dort gab es Land in Hülle und Fülle.
Der Abschied von ihren Eltern war Emily zwar schwerer gefallen als erwartet, aber sie hatte die Zähne zusammengebissen und war mit ihrem Mann nach Kansas aufgebrochen. Hier bauten sich die Nolans unter Berufung auf das Heimstättengesetz ein neues Leben auf. Dieser Gesetzesakt, von Abraham Lincoln am 20. Mai 1862 unterzeichnet und in Kraft seit 1863, erlaubte es US-Bürgern über 21 Jahren, 160 Morgen freien Grundbesitz abzustecken und zu bewirtschaften. Nach einer Dauer von fünf Jahren wurde der Siedler Eigentümer des von ihm bewirtschafteten Landes. Die 5-Jahres-Frist konnte auch durch Bezahlen von 200 Dollar auf sechs Monate verkürzt werden.
Während Jack Nolan die fünf Reiter herankommen sah, dachte er an sein früheres, ruheloses Leben, und wie es sich zum Besseren gewendet hatte. Die fünf Männer waren nun in Rufweite.
»Howdy«, rief Jack.
Nur einer wandte leicht den Kopf in seine Richtung, tippte mit dem Zeigefinger an die Krempe seines Stetsons. Der Mann trug trotz der Hitze lederne Handschuhe.
Die Reiter passierten Jack, ohne ihm weitere Beachtung zu schenken. Sie ließen auf seinem Land nur eine wabernde Staubwolke zurück.
Jack Nolan sah ihnen nach, bis sie sein Feld überquert hatten. Sie ritten eine kleine Anhöhe hinauf und verschwanden hinter Sagegestrüpp und einigen Ulmen, die Schatten spendeten.
Jack ging zum Feldrand, wo er seine Siebensachen deponiert hatte: Spaten, Jacke, Ackergerät, Sattel. Er nahm die Feldflasche, ließ etwas von dem lauwarmen Wasser die Kehle hinabrinnen und gab seinen Pferden zu trinken. Die leere Feldflasche legte er zurück.
Da hörte er Schüsse.
Er zögerte nicht lange, sondern rannte die Anhöhe hinauf, hinter der Minuten zuvor die fünf Reiter verschwunden waren. Von hier überblickte er das Land. Linker Hand im Valley, wo das Gelände anzusteigen begann, lag das kleine Anwesen der Dunstons. Abe und Louisa Dunston lebten seit zwölf Jahren in Kansas. Sie waren 1857 mit einem Wagentreck hergekommen, hatten Land erworben und es in Jahren harter Arbeit urbar gemacht. Jetzt trug ihr Boden Weizen, Roggen und Mais, und die beiden hatten mit ihren drei Kindern ihr Auskommen.
Trotz der Hitze gefror Jack das Blut in den Adern, als er sah, was sich auf dem kleinen Anwesen der Dunstons abspielte.
Die fünf Männer, die zuvor sein Feld überquert hatten, saßen auf ihren Pferden im Hof, grölten und ließen Abe Dunston »tanzen«: Sie schossen vor dem 47-jährigen Farmer in den Boden und kleine Staubfähnchen wirbelten hoch. Der Farmer zuckte bei jedem Schuss zusammen, und reflexartig zog er das jeweilige Bein zurück. Es sah aus, als tanze er unter wildesten Zuckungen und Verrenkungen.
Seine Frau stand an der Tür des Häuschens, hatte die Hände vor den Mund geschlagen und schrie bei jeder Detonation auf. Das kleinste Kind hing plärrend an ihrem Rock. Der mittlere Junge hatte sich hinter ihrem Rücken versteckt; auch er weinte.
Ihr ältestes Kind, die Tochter Tammy, war nicht zu sehen.
Die Meute machte sich einen Spaß daraus, den wehrlosen Farmer zu schikanieren.
Wut stieg in Jack auf.
Ohne zu überlegen rannte er den Hügel hinunter, auf das Anwesen der Dunstons zu.
Die Männer schossen weiter und lachten.
Noch bevor Jack das Anwesen erreicht hatte, sah er, wie sich der Lauf eines Gewehres aus der Tür schob. Tammy! Das Mädchen hatte im Haus nach dem Gewehr des Vaters gegriffen. Schon erschien Tammy in einem flatternden Kleid an der Tür, das Gewehr im Anschlag.
»Stopit!«, schrie sie mit heller Stimme.
Der Lauf zeigte auf die Männer, die immer noch auf ihren Gäulen saßen.
Das Schießen brach ab und das Gelächter der fünf Männer verhallte.
Louisa, ihre Mutter, erschrak noch mehr, als sie das Kind mit der Waffe in der Hand sah. Sie versuchte, nach dem Lauf zu greifen, doch sie langte daneben.
Und dann fiel der Schuss.
*
Der Schuss stand wie für sich allein in der Ebene und breitete sich über die Weite der Prärie aus wie die Wellen eines Kieselsteins, der in einen Teich geworfen wurde.
Jack blieb wie angewurzelt stehen.
Die ganze Situation wirkte wie eingefroren.
In diesem Moment war außer dem Nachhall des Schusses nichts zu hören – ein dumpfes Grollen, das sich im Tal verlor. Doch dieser Schuss klirrte noch laut und donnernd in den Ohren aller Anwesenden.
Der Farmer Abe Dunston hatte den Kopf zur Seite geworfen und blickte keuchend auf seine Tochter. Seine Frau Louisa biss sich in die zur Faust geballte Hand. Die beiden Kleinen klammerten sich fest an ihre Mutter.
Tammy machte einen Schritt zur Seite.
Der Lauf des Gewehrs neigte sich zu Boden, als sei ihr die Waffe plötzlich zu schwer geworden – sie konnte sie nicht mehr oben halten.
Eine rote Rose erblühte auf ihrer Brust.
Ihr Kopf nickte nach vorn. Dann sackte sie zusammen.
Sie schlug der Länge nach hin, und das Gewehr fiel klappernd auf den hölzernen Vorbau. Das Gesicht des Mädchens lag im Staub.
Stille lastete bleischwer über der Szenerie.
Es war, als hätte die Welt aufgehört zu atmen.
Dann durchbrach das dreckige Lachen eines der Reiter die Lähmung.
Jack Nolans Hände ballten sich zu Fäusten, so hart, dass sie erzitterten und die Knöchel weiß hervortraten. Mit einem Ruck setzte er sich in Bewegung und sprintete auf die Reiter zu.
»Tammy! Tammy!«
Louisa brach neben ihrer Tochter in die Knie, riss sie hoch und drückte den leblosen Körper an ihre Brust. Sie schluchzte und Tränen rannen über ihr Gesicht.
Der Farmer Abe Dunston hatte die Reiter vergessen und starrte wie gelähmt auf sein totes Kind. Seine Arme hingen schlaff herab; er rang nach Atem.
Dann war Jack Nolan heran.
»Ihr verdammten Schweine!«
Der Mann, der ihm vorhin zugenickt hatte, saß auf seinem Pferd zuvorderst. Jack sprang hoch und schlug diesem Mann seine Faust ins Gesicht. Mit einem überraschten Keuchen ließ der Mann den Colt fallen. Sein Pferd erschrak, machte einen Satz vorwärts und der Mann fiel aus dem Sattel.
Jack rannte weiter zum nächsten. Wieder sprang er hoch, um den Kerl aus dem Sattel zu stoßen. Doch dieser reagierte schneller als sein Komplize zuvor, wehrte Jacks Angriff mit dem Bein ab und stieß ihn zurück.
Der Überraschungseffekt war auf Jacks Seite gewesen, doch nun waren die Männer gewarnt. Als Jack wieder vorspringen wollte, zog ihm ein anderer von hinten den Revolver über den Schädel.
Funkelnde Farbringe tanzten in seinem Gesichtsfeld.
Jack taumelte.
Seine Knie versagten ihm den Dienst, er brach ein.
Der Mann hatte so heftig zugeschlagen, dass aus einer Platzwunde Blut in sein dunkles Haar sickerte und bald auf Rücken und Hemd troff.
Aus den Augenwinkeln sah er, wie sich der Farmer zu seiner toten Tochter geschleppt hatte und ebenfalls auf die Knie fiel. Die Hände von Abe Dunston tasteten durch den Staub, bis er das Gewehr gefunden hatte. Er wirbelte herum.
Drei Colts bellten gleichzeitig los, noch bevor Dunston das Gewehr in Anschlag gebracht hatte. Heißes Blei jagte auf den Farmer zu. Zwei der Kugeln trafen ihn, die eine seinen Unterarm, die andere am Hals. Die dritte fuhr wenige Inch neben ihm in die Bohlen des Vorbaus.
Der Körper des Farmers erschlaffte. Dunston röchelte. Das Gewehr entfiel seinen Händen.
»Sind Sie jetzt zufrieden?«, hörte Jack die Stimme eines der Reiter.
Er schien zu Louisa Dunston zu sprechen.
»Sind Sie jetzt zufrieden, Ma’am? Wie ich hörte, erhielten Sie ein Angebot, Ihren Besitz zu verkaufen. Sie hätten es annehmen und weit weg ziehen sollen. Weit, weit weg. Aber nein, ihr wusstet es ja besser. Ihr verdammten Sturköpfe wisst ja immer alles besser!«
Er nickte seinen Kumpanen zu. Derjenige, der aus dem Sattel gefallen war, kletterte wieder hoch. Die Männer ritten an.
Sie nahmen nicht sonderlich viel Rücksicht auf den im Staub knienden Jack Nolan, der immer noch gegen seine Benommenheit kämpfte. Einer der Männer trieb sein Pferd auf Jack zu, sodass es ihn mit der Schulter anstieß und völlig zu Boden warf. Nur durch sehr viel Glück entging Jack den Hufen der davonjagenden Tiere.
Er rappelte sich auf, hustete, weil die Staubwolke ihn einhüllte, und schleppte sich zum Farmhaus.
Louisa Dunston presste ihre Tochter an sich und schaukelte vor und zurück, vor und zurück. Sie sang mit dünner Stimme ein Kinderlied, während ihr Mann, keine zwei Schritte von ihr entfernt, aus seiner Halswunde zu verbluten drohte.
*
Er hatte es geschafft, die Blutung zu stoppen.
Er hatte Abe Dunston ins Farmhaus geschleppt und so gut er konnte verarztet. Der Hals des Farmers war mit einer dicken Bandage umwickelt, und wie es aussah, hatte die Blutung tatsächlich nachgelassen. Glücklicherweise hatte die Kugel die Hauptschlagader nicht getroffen.
Die Wunde am Unterarm war schwerwiegender. Dort steckte die Kugel noch.
Jack fluchte, weil Louisa Dunston nicht ansprechbar war. Noch immer saß sie vor dem Haus und gab sich Hirngespinsten hin. Er hätte ihre Hilfe jetzt dringend nötig gehabt.
»Abe, gleich wird es verteufelt weh tun«, sage Jack.
Der Farmer gab ein ächzendes Geräusch von sich und blickte Jack mit verzweifelten Augen an.
»Wo habt ihr den Whisky, Abe?«
Die Augen des Farmers deuteten zum Küchenschrank hinüber.
Jack öffnete ein Türchen und fand vier Flaschen. Er entnahm eine, zog mit den Zähnen den Korken heraus und gab Abe ein paar Schlucke. Der Farmer hustete und wand sich, und für einen Moment dachte Jack, Abe müsse sich übergeben. Doch dann beruhigte er sich und nahm einen weiteren tiefen Zug.
Jack war kein Freund von Besäufnissen, aber nur allzu oft war Alkohol das einzige, was in der Wildnis für medizinische Zwecke zur Verfügung stand. Er verminderte das Schmerzempfinden wenigstens ein bisschen. Jack zwang Abe noch ein paar Schlucke hinein.
Dann riss er weitere Schränke auf, fand frische Handtücher und zog sie heraus.
Er zündete eine Kerze an und rückte sie neben der Wunde zurecht.
Jack hatte sich von dem Schlag auf seinen Kopf etwas erholt; der Schmerz pochte jetzt nicht mehr so wild.
In einer Schublade fand er ein scharfes, spitzes Messer, das sich für seine Zwecke eignete. Er hielt die Spitze über die Kerzenflamme, wischte sie mit einem Handtuch ab, goss etwas von dem Whisky darüber. Die Prozedur wiederholte er drei Mal.
Ein weiteres Handtuch hatte Jack unter Dunstons Arm gelegt und bettete ihn so, dass er gut an das Einschussloch herankam.
Jack setzte das Messer an und begann zu schneiden.
Abe Dunston hatte die Zähne auf einem Holzstück zusammengebissen und Schweiß lief ihm aus allen Poren. Er stöhnte heftig. Einige Minuten später war die Qual vorbei und Jack ließ eine blutige Bleikugel auf die Tischplatte fallen. Er ließ die Wunde ein paar Sekunden lang bluten, damit Verunreinigungen ausgeschwemmt wurden, dann wickelte er ein noch frisches Handtuch darüber und drückte zu, um den Blutfluss zu stoppen.
Erschöpft sank er auf den Stuhl zurück und nahm nun selbst einen Schluck von dem Whisky.
»Verdammte Schweine«, krächzte Abe Dunston und wischte sich mit der gesunden Hand die Tränen aus den Augen. Dann griff er nach der Whiskyflasche und setzte sie zu einem langen, nicht enden wollenden Zug an.
Jack sah nach Louisa und den Kindern, die immer noch draußen saßen, aneinandergeklammert und heulend. Er ging zu Abe zurück.
»Dank dir für deine Hilfe, Jack«, sagte Dunston mit wässrigen Augen.
Jack setzte sich dem Farmer gegenüber und atmete tief durch.
»Dieser Mistkerl hat etwas von einem Angebot gesagt, Abe. Ein Angebot, das du erhalten haben sollst. Was meinte er damit?«
»Masterson«, sagte Abe. »Chase Masterson bot mir letzte Woche eintausend Dollar für meine Farm. Eintausend schöne, feine Dollars.«
Chase Masterson, der große Rancher, der dem Scott County seinen Stempel aufzudrücken versuchte. Jack schürzte die Lippen.
»Eintausend Dollar, wenn wir hier weggingen. Wenn ich alles, was ich in den letzten zwölf Jahren aufgebaut hatte, verließe und einfach so wegginge. Und was tat ich, Jack? Ich war so dumm, nein zu sagen.«
Jetzt liefen wieder seine Tränen.
»Ich war dumm genug, nicht zu erkennen, dass Masterson mir die tausend Dollar nicht für mein Land, sondern für mein Leben und das meiner Familie bot. Verstehst du? Ich habe die tausend Dollar ausgeschlagen, und nun habe ich dafür Tammy auf dem Gewissen.«
»So darfst du nicht denken, Abe.«
»Masterson hat die tausend Dollar jetzt diesen Revolverschwingern gegeben, damit sie mich von hier vertreiben. So ist das wohl gewesen. Er bezahlt Tausend Dollar und bekommt das Land. So oder so.«
»Wenn das wahr ist, Abe, müssen wir …«
»O nein, Jack. Wir können gar nichts tun. Die Gerichtsbarkeit ist weit, achthundert Meilen von uns entfernt. Kein Richter würde hierher kommen, um mir und meiner Familie Recht zu verschaffen.«
Jack entdeckte einen bitteren Zug in Abe Dunstons Gesicht. Es war wieder Zeit für einen Schluck aus der Whiskyflasche. Dann sagte Jack: »Masterson hat genug Weideland, mehr als du und ich und noch zwei Dutzend Farmer zusammen. Wieso sollte er ausgerechnet dir Land abkaufen wollen?«
Abe Dunston schüttelte den Kopf. »Leute wie Masterson leben seit zwei Generationen hier. Sie lassen ihre Viehherden frei grasen und sind keine Begrenzungen gewohnt. Die neue Politik des Staates engt diese Menschen jetzt ein. Neue Siedler kommen und beanspruchen Land, das die Regierung ihnen zur Verfügung stellt. Das will der reiche und stolze Rancher sich nicht gefallen lassen, Jack.«
»Das darf doch nicht wahr sein!«, rief Jack.
»Ist es aber. Val Kaczmarek hat vor einem halben Jahr verkauft, Stephen Thomas vor zwei Monaten und Wayne Glitzky vor vier Wochen. Masterson ist reich. Er kann es sich leisten, die Sache mit Geld zu regeln. Jetzt haben wir ja gesehen, was er macht, wenn jemand sein Angebot ausschlägt.«