Bruder Cadfael und das Geheimnis der schönen Toten - Ellis Peters - E-Book

Bruder Cadfael und das Geheimnis der schönen Toten E-Book

Ellis Peters

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Beschreibung

Die Kult-Krimi-Serie endlich als eBook!

England, 1143: Der Sommer liegt heiß über der Abtei von Shrewsbury, aber die Mönche können sich dennoch nicht schonen. Denn die Abtei hat neues Land übernommen - und das muss trotz der Temperaturen bestellt werden. Doch dann finden die Mönche die Leiche einer Frau auf dem neuen Acker. Wer ist die mysteriöse Tote? Bruder Cadfael begibt sich umgehend auf die Suche nach der Wahrheit - und kommt einer Tragödie auf die Spur ...

Über die Reihe: Morde und Mysterien im finstersten Mittelalter des 12. Jahrhunderts liefern den perfekten Hintergrund für die spannenden Abenteuer des Bruders Cadfael, eines ehemaligen Kreuzritters, der sich als Mönch in die Abtei St. Peter & Paul nahe Shrewsbury zurückgezogen hat. Doch ein ruhiges Leben als Kräutergärtner und Heilkundiger ist ihm nicht vergönnt: Immer wieder muss er seine detektivischen Fähigkeiten einsetzen, um Verbrechen in der Gemeinde aufzuklären.

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Inhalt

Cover

Weitere Titel der Autorin

Über dieses Buch

Über die Reihe

Über die Autorin

Titel

Impressum

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebtes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Elftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Weitere Titel der Autorin

Bruder Cadfael und die Entführung der Heiligen

Bruder Cadfael und der unbekannte Tote

Bruder Cadfael und das Mönchskraut

Bruder Cadfael und der Hochzeitsmord

Bruder Cadfael und der Aufstand auf dem Jahrmarkt

Bruder Cadfael und die Jungfrau im Eis

Bruder Cadfael und die Zuflucht im Kloster

Bruder Cadfael und der Ketzerlehrling

Über dieses Buch

Der Sommer liegt im Jahr 1143 heiß über England, und auch die Mönche von Shrewsbury bleiben davon nicht verschont. Die Abtei übernimmt neues Land – und dieses muss trotz der Temperaturen bestellt werden. Doch dann finden die Mönche die Leiche einer Frau auf dem neuen Acker. Wer ist die mysteriöse Tote? Bruder Cadfael begibt sich umgehend auf die Suche nach der Wahrheit – und kommt einer Tragödie auf die Spur…

Über die Reihe

Morde und Mysterien im finsteren Mittelalter des 12. Jahrhunderts liefern den perfekten Hintergrund für die spannenden Abenteuer des Bruders Cadfael, einem ehemaligen Kreuzritter, der sich als Mönch in die Abtei St. Peter & Paul nahe Shrewsbury zurückgezogen hat. Doch ein ruhiges Leben als Kräutergärtner und Heilkundiger ist ihm nicht vergönnt: Immer wieder muss er seine detektivischen Fähigkeiten einsetzen, um Verbrechen in der Gemeinde aufzuklären.

Über die Autorin

Ellis Peters ist das Pseudonym der 1913 geborenen englischen Autorin Edith Pargeter. Ihre Bruder-Cadfael-Reihe erschien in 15 Sprachen und mehr als 20 Ländern und wurde erfolgreich von der BBC verfilmt. Ihr Wissen als Apothekenhelferin war der Ausgangspunkt für den kräuterkundigen Bruder Cadfael. Ellis Peters starb im Oktober 1995.

Ellis Peters

Bruder Cadfael und das Geheimnis der schönen Toten

Aus dem Englischen von Hans-Joachim Maass

Digitale Erstausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 1989 by Ellis Peters

Titel der britischen Originalausgabe: »The Potter’s Field«

Originalverlag: Headline Book Publishing PLC, London

Für die deutschsprachige Erstausgabe:

Copyright © der deutschen Übersetzung 1993 by Wilhelm Heyne Verlag

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Lektorat/Projektmanagement: Rebecca Schaarschmidt

Covergestaltung: Thomas Krämer unter Verwendung von Motiven © Color Symphony/shutterstock © optimarc/shutterstock © Andrey_Kuzmin/shutterstock © Andrey_Kuzmin/shutterstock © Zuktenvos/shutterstock

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH,Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 978-3-7325-9425-2

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Erstes Kapitel

Die Saint-Peter-Messe des Jahres 1143 lag bereits eine Woche zurück, und die Fratres gewöhnten sich wieder an den alltäglichen Trott eines trockenen und vielversprechenden August. Die Getreideernte wurde schon in die Scheunen gefahren, als Bruder Matthew, der Kellermeister, die Angelegenheit erstmals zur Sprache brachte, die er während des jährlichen Marktes an einigen Tagen mit dem Prior der Augustinerabtei Johannes des Evangelisten in Haughmond besprochen hatte, etwa sechs Kilometer nordöstlich von Shrewsbury. Haughmond war eine Gründung Fitz Alans, der in Ungnade gefallen und enteignet worden war, seit er Schloss Shrewsbury gegen König Stephen gehalten hatte, obwohl Gerüchte wissen wollten, dass er aus seiner Zuflucht in Frankreich nach England zurückgekehrt sei und sich bei den Streitkräften der Kaiserin in Bristol in Sicherheit befinde. Doch viele seiner Pächter am Ort waren dem König treu ergeben geblieben und behielten ihre Ländereien. Haughmond Abbey gedieh unter ihrer Schirmherrschaft und ihren Schenkungen, und so war die Abtei ein hochachtbarer Nachbar, mit dem sich gelegentlich zu beiderseitigem Nutzen Geschäfte machen ließen. Bruder Matthew zufolge war jetzt so eine Gelegenheit gekommen.

»Der Vorschlag zu diesem Landtausch ging von Haughmond aus«, sagte er, »aber er wäre für beide Häuser sinnvoll. Ich habe dem Vater Abt und Prior Robert schon die notwendigen Tatsachen vorgelegt. Ich habe Skizzen der beiden fraglichen Felder mitgebracht, die beide groß und von vergleichbarer Bodengüte sind. Das Feld, das unser Haus besitzt, liegt gut zwei Kilometer hinter Haughton und wird auf allen Seiten von Land begrenzt, das der Abtei von Haughmond durch Schenkung vermacht worden ist. Es liegt auf der Hand, dass es für sie vorteilhaft sein wird, ihre Ländereien um dieses Feld zu erweitern, einmal, weil es den Anbau erleichtert, zum andern, weil Zeit und Mühe gespart werden. Sie brauchen nicht mehr hin- und herzugehen, um ihr weiter südlich liegendes Feld zu erreichen. Dieses, das Haughmond gegen unseres einzutauschen wünscht, liegt diesseits des Herrenhauses von Longner, rund eineinhalb Meilen von uns, aber lästig weit von Haughmond entfernt. Es wäre also vorteilhaft, diesen Tausch in Betracht zu ziehen. Ich habe mir das Gelände angesehen, und der Handel würde beiden Seiten zugutekommen. Ich empfehle, den Vorschlag anzunehmen.«

»Wenn das Feld diesseits von Longner liegt«, sagte Bruder Richard, der Subprior, der einmal rund eine Meile jenseits des Herrenhauses gewohnt hatte und das Gelände kannte, »wie liegt es dann zum Fluss? Kann es überschwemmt werden?«

»Nein. Der Severn liegt zwar an einer Seite, ja, aber das Ufer ist hoch, und die Wiese steigt von dort sanft bis zu einem Feldrain und einem Knick mit Bäumen und Büschen auf dem Hügelkamm an. Es ist das Feld, auf dem Bruder Ruald bis vor etwa fünfzehn Monaten Pächter war. Am Flussufer gab es zwei oder drei kleine Lehmgruben, aber ich glaube, die Vorkommen sind erschöpft. Man kennt das Feld unter dem Namen Töpferacker.«

Eine leichte Bewegung machte sich im Kloster bemerkbar, als sich alle Köpfe in eine Richtung drehten und die Augen aller einen kaum wahrnehmbaren Moment lang auf Bruder Ruald ruhten. Dieser war ein zartgliedriger, stiller, ernster Mann mit einem langen, strengen Gesicht mit ebenmäßigen Zügen, der auf eine alterslose, klassische Weise gut aussah. Während der Andachtsstunden des Tages bewegte er sich immer noch halb entrückt und wie in Verzückung, denn er hatte erst vor zwei Monaten seine endgültigen Gelübde abgelegt, und seine Sehnsucht nach dem Leben im Kloster, die er erst nach fünfzehnjähriger Ehe und fünfundzwanzigjähriger Ausübung des Töpferhandwerks erkannt hatte, hatte sich bis zu quälender Pein gesteigert, bevor er aufgenommen worden war und im Kloster Frieden gefunden hatte. Einen Frieden, den er selbst jetzt auch nicht einen Augenblick aufzugeben schien. Selbst wenn die Augen aller auf ihm ruhten, bewahrte er unerschütterliche Ruhe. Jeder hier kannte seine Geschichte, die kompliziert und seltsam genug war, doch das störte ihn nicht. Er war endlich, wo er sein wollte.

»Es ist gutes Weideland«, sagte er einfach. »Und falls nötig, könnte man es kultivieren. Es liegt oberhalb jeder bekannten Überschwemmungslinie. Das andere Feld kenne ich natürlich nicht.«

»Es mag vielleicht etwas größer sein«, sagte Bruder Matthew, der sich um Objektivität bemühte. Er neigte den Kopf zur Seite, betrachtete seine Pergamentblätter und verglich die beiden Felder mit zu schmalen Schlitzen zusammengekniffenen Augen. »Doch bei der Entfernung bleiben uns Zeit und Mühe erspart. Wie ich schon sagte, wäre der Handel für beide Seiten von Vorteil.«

»Der Töpferacker!«, sagte Prior Robert nachdenklich. »So ein Feld wurde mit dem Silber für Judas’ Verrat zur Beerdigung von Fremden gekauft. Ich hoffe, der Name bedeutet kein böses Omen.«

»Es wurde nur nach meinem Handwerk benannt«, erwiderte Ruald. »Erde ist unschuldig. Nur der Gebrauch, den wir von ihr machen, kann sie besudeln. Ich habe dort ehrlich gearbeitet, als ich noch nicht wusste, wohin ich in Wahrheit gehöre. Es ist gutes Land. Man könnte es besser verwenden als für eine Werkstatt und einen Brennofen wie bei mir. Dafür hätte schon ein schmaler Hof genügt.«

»Und der Zugang ist leicht?«, fragte Bruder Richard. »Von der Landstraße aus gesehen liegt es jenseits des Flusses.«

»Ein kleines Stück flussaufwärts gibt es eine Furt und eine Fähre, die sogar noch näher beim Feld anlegt.«

»Dieses Land wurde Haughmond erst vor einem Jahr von Eudo Blount auf Longner geschenkt«, erinnerte sie Bruder Anselm. »Ist Blount an diesem Austausch beteiligt? Er hat keine Einwände erhoben? Oder muss er erst noch befragt werden?«

»Ihr werdet euch erinnern«, sagte Bruder Matthew, in jedem Augenblick geduldig und Herr der Lage, wie es seine Art war, »dass Eudo Blount der Ältere Anfang des Jahres in Wilton starb, bei der Nachhut, die den Rückzug des Königs sicherte. Sein Sohn, ebenfalls Eudo benannt, ist jetzt Herr auf Longner. Ja, wir haben mit ihm gesprochen. Er hat keine Einwände. Die Schenkung ist Eigentum Haughmonds und kann so verwendet werden, wie es der Abtei am vorteilhaftesten erscheint, welchem Zweck dieser Tausch zugutekommen würde. Von dort sind keine Widerstände zu erwarten.«

»Und auch keinerlei Beschränkung des Gebrauchs, den wir davon machen wollen?«, fragte der Prior scharf. »Die Abmachung wird zu den üblichen Bedingungen erfolgen? So dass beide Seiten nach Belieben mit den Feldern verfahren können? Sie bebauen, kultivieren oder als Weideland nutzen, ganz nach Wunsch?«

»Das ist abgemacht. Falls wir pflügen wollen, steht dem nichts entgegen.«

»Mir scheint«, sagte Abt Radulfus und warf einen langen Blick auf die aufmerksamen Gesichter seiner Schar, »wir haben genug gehört. Falls jemand noch etwas zur Sprache bringen will, soll er es jetzt bitte ungescheut tun.«

In dem anschließenden nachdenklichen Schweigen wandten sich viele Augen erneut mit milder Erwartung dem strengen Gesicht Bruder Rualds zu, der als Einziger distanziert und unbeteiligt blieb. Wer sollte die Qualitäten jenes Felds, auf dem er so viele Jahre lang gearbeitet hatte, besser beurteilen können oder besser geeignet sein festzustellen, ob sie mit einer Zustimmung zu dem vorgeschlagenen Tausch gut fahren würden? Doch er hatte pflichtgemäß alles gesagt, was er zu sagen hatte, und spürte kein Bedürfnis, dem noch ein Wort hinzuzufügen. Nachdem er der Welt den Rücken gekehrt hatte und seiner ersehnten Berufung gefolgt war, gab es für ihn weder Feld noch Haus oder Brennofen und Familie mehr. Er sprach nie über sein früheres Leben, und vermutlich dachte er auch gar nicht mehr daran. In all diesen Jahren war er auf Wanderschaft und weit weg von zu Hause gewesen.

»Sehr wohl, denn!«, sagte der Abt. »Offensichtlich gewinnen sowohl wir als auch Haughmond durch diesen Tausch. Ich bitte Euch, Matthew, mit dem Prior zu verhandeln und den Vertrag entsprechend aufzusetzen, und sobald sich ein Tag festsetzen lässt, werden wir die Abmachung vor Zeugen schließen und besiegeln. Und sobald das erledigt ist, denke ich, sollten Bruder Richard und Bruder Cadfael sich das Gelände ansehen und darüber zu Rate gehen, wie wir das Feld am nutzbringendsten verwenden können.«

Bruder Matthew rollte seine Pläne mit flinker Hand und einem befriedigten Ausdruck zusammen. Ihm oblag es, Eigentum und Geldmittel des Hauses streng im Auge zu behalten, Ländereien, Ernten, Schenkungen und Legate danach abzuschätzen, welchen Gewinn sie dem Kloster von Saint Peter und Saint Paul bringen konnten, und er hatte den Töpferacker mit kundigem Geschick bewertet. Was er gesehen hatte, hatte ihm gefallen.

»Sonst gibt es nichts zu besprechen?«, fragte Radulfus.

»Nichts, Vater!«

»Dann ist dieses Ordenskapitel beendet«, sagte der Abt, verließ das Gebäude vor den anderen und betrat das von der Augustsonne gebleichte Gras des Friedhofs.

Bruder Cadfael ging nach der Abendandacht in dem angenehm kühlen Sonnenschein eines klaren Abends in die Stadt hinauf, um mit seinem Freund Hugh Beringar zu Abend zu essen und seinen Patensohn Giles zu besuchen, einen dreieinhalbjährigen, hochgewachsenen, kräftigen Jungen, der so etwas wie ein gutmütiger Tyrann des gesamten Haushalts war. Angesichts der heiligen Pflicht, die ein Pate seinem Schutzbefohlenen schuldig ist, hatte Cadfael Erlaubnis, das Haus mit angemessener Regelmäßigkeit zu besuchen, und wenn die Zeit, die er mit dem Jungen verbrachte, mehr mit Spiel als mit den ernsthaften Ermahnungen eines verantwortungsbewussten Paten verbracht wurde, war das weder für Giles noch für seine Eltern ein Grund zur Klage.

»Er hört mehr auf dich«, sagte Aline, die lächelnd und heiter zusah, »als auf mich. Aber er wird dich müde machen, bevor du das bei ihm erreichst. Zum Glück muss er bald ins Bett.«

Sie war so blond, wie Hugh schwarz war, weizenblond und zartgliedrig sowie eine Spur höher gewachsen als ihr Mann. Das Kind hatte die gleiche lange, schlanke Gestalt und war flachsblond wie sie. Eines Tages würde er seinen Vater um Haupteslänge überragen. Hugh selbst hatte es vorhergesagt, als er seinen neugeborenen Erben, ein Winterkind, kurz vor Weihnachten zum ersten Mal sah, das schönste Geschenk zum Fest. Jetzt, im Alter von drei Jahren, hatte Giles die ungestüme Energie eines gesunden Welpen, und wenn diese verbraucht war, ergab er sich mit der gleichen Selbstvergessenheit dem Schlaf. Schließlich wurde er auf Alines Armen ins Bett gebracht, worauf Hugh und Cadfael allein zurückblieben, beim Wein zusammensaßen und auf die Ereignisse des Tages zurückblickten.

»Rualds Feld?«, fragte Hugh, als er erfuhr, was am Morgen im Kapitel beschlossen worden war. »Das ist doch das große Feld neben Gut Longner, wo er früher sein kleines Grundstück und den Brennofen hatte? Ich erinnere mich an die Schenkung an Haughmond, denn ich war damals Zeuge. Das war Anfang Oktober im letzten Jahr. Die Blounts sind für Haughmond immer gute Schirmherren gewesen. Obwohl ich sagen muss, dass die Klosterbrüder das Land kaum je genutzt haben, solange sie es besaßen. In euren Händen wird es bessere Verwendung finden.«

»Es ist lange her, dass ich in seine Nähe gekommen bin«, sagte Cadfael. »Warum ist es so vernachlässigt? Als Ruald ins Kloster kam, war niemand da, der sein Handwerk hätte weiterführen können, ich weiß, aber Haughmond hat wenigstens einen Pächter in das Häuschen gesetzt.«

»Das haben sie getan. Eine alte Witwe, doch was sollte die schon mit dem Boden anfangen? Jetzt ist auch sie nicht mehr da. Sie lebt im Haushalt ihrer Tochter in der Stadt. Der Brennofen ist zum Steinbruch geworden, und das Häuschen verfällt. Es ist höchste Zeit, dass wieder jemand dort einzieht. Die Klosterbrüder haben sich in diesem Jahr nicht einmal die Mühe gemacht, die Heuernte einzubringen. Sie werden froh sein, wenn sie das Land los sind.«

»Das kommt beiden Seiten sehr gut zupass«, sagte Cadfael nachdenklich. »Und wie Matthew berichtet, hat auch der junge Eudo Blount auf Longner nichts einzuwenden. Obwohl der Abt von Haughmond ihn zuvor um seine Einwilligung gebeten haben muss, da die Schenkung ja ursprünglich von Eudos Vater gekommen war. Ein Jammer«, sagte er traurig, »dass der Geber vorzeitig zu seinem Schöpfer eingegangen ist und in dieser Angelegenheit nicht mehr für sich selber sprechen kann.«

Eudo Blount der Ältere, Gutsherr auf Longner, hatte seine Ländereien nur wenige Wochen nach der Schenkung des Felds an das Kloster in der Obhut seines Sohnes und Erben zurückgelassen, um sich in Waffen König Stephens Armee anzuschließen, die damals die Kaiserin und deren Truppen in Oxford belagerte. Diesen Feldzug hatte er überlebt, nur um wenige Monate später bei dem unerwarteten fluchtartigen Rückzug aus Wilton zu sterben. Der König hatte nicht zum ersten Mal nicht nur seinen mächtigsten Gegner unterschätzt, Earl Robert of Gloucester, sondern auch die Geschwindigkeit, mit der der Feind vorrücken konnte, und war so nur in Begleitung seiner Vorhut in eine gefährliche Situation geraten, aus der er sich nur infolge eines heldenhaften Nachhutgefechts hatte in Sicherheit bringen können, das den Großhofmeister des Königs, William Martel, die Freiheit und Eudo Blount das Leben gekostet hatte. Stephen hatte sich bei seiner Ehre verpflichtet gefühlt, für die Freilassung Martels einen hohen Preis zu zahlen. Doch niemand in dieser Welt konnte Eudo Blount freikaufen. An seiner Stelle wurde sein ältester Sohn Herr auf Longner. Sein jüngerer Sohn, ein Novize im Kloster von Ramsey, hatte den Leichnam seines Vaters im März nach Hause gebracht, um ihn dort beizusetzen, wie Cadfael jetzt wieder einfiel.

»Ein prachtvoller, hochgewachsener Mann war das«, erinnerte sich Hugh, »nicht mehr als zwei oder drei Jahre über vierzig. Und gut sah er aus! Keiner seiner Söhne kann es mit ihm aufnehmen. Seltsam, wie das Schicksal spielt. Die Dame des Hauses ist ein paar Jahre älter und siecht an einem Leiden dahin, das sie zu einem Schatten ihrer selbst gemacht hat und ihr vor Schmerzen keine Ruhe lässt. Und doch, sie schleppt sich weiter durch dieses Leben, während er dahingegangen ist. Lässt sie sich von euch Medikamente kommen? Die Herrin auf Longner? Ich vergesse immer ihren Namen.«

»Donata«, erwiderte Cadfael. »Ihr Name ist Donata. Doch jetzt, wo du es erwähnst, fällt es mir wieder ein. Es gab eine Zeit, in der ihre Zofe von Zeit zu Zeit einen Arzneitrank holte, um ihren Schmerz zu lindern. Doch das ist jetzt schon ein Jahr oder mehr her. Ich habe gedacht, sie sei schon auf dem Weg der Besserung und würde die Kräuter nicht mehr so oft brauchen. Dabei habe ich kaum je etwas für sie tun können. Es gibt Krankheiten, gegen die meine geringen Fähigkeiten nichts ausrichten.«

»Ich habe sie bei der Beisetzung von Eudo gesehen«, sagte Hugh und starrte schwermütig durch die offene Flurtür in die Sommerdämmerung, die sich blau und leuchtend auf seinen Garten senkte. »Nein, diese Krankheit lässt nicht nach. Donata besteht ja fast nur noch aus Haut und Knochen, und ich schwöre, dass das Licht durch ihre Hand schien, als sie sie hob, und ihr Gesicht war grau wie Lavendel und zu lauter tiefen Falten geschrumpft. Eudo ließ mich kommen, als er sich entschlossen hatte, nach Oxford zu gehen und sich der Belagerung anzuschließen. Ich fragte mich, wie er es über sich bringt, sie in einem solchen Zustand allein zu lassen. Stephen hatte ihn nicht gerufen, und selbst wenn er es getan hätte, hätte er nicht persönlich zu gehen brauchen. Er wäre nur verpflichtet gewesen, für vierzig Tage einen bewaffneten und berittenen Knappen hinzuschicken. Doch er bestellte sein Haus, überließ sein Gut der Obhut seines Sohnes und ritt los.«

»Es mag sehr wohl sein«, sagte Cadfael, »dass er es nicht mehr ertragen konnte, sich Tag für Tag ein Leid anzusehen, das er weder verhindern noch bessern konnte.«

Seine Stimme war sehr leise, und Aline, die in diesem Augenblick wieder die Halle betrat, hörte die Worte nicht. Schon ihr bloßer Anblick, wie sie in ihrer Erfüllung als glückliche Frau und Mutter zufrieden strahlte, verscheuchte all solche Gedanken und brachte beide Männer dazu, eilig jede Spur eines düsteren Ernstes zu verscheuchen, der einen Schatten auf ihre Heiterkeit hätte werfen können. Sie setzte sich zu ihnen. Ausnahmsweise hatte sie einmal nichts zu tun, denn das Licht war schon so schwach, dass sie weder nähen oder auch nur spinnen konnte, und der warme, angenehme Abend war viel zu schön, um durch brennende Kerzen vertrieben zu werden.

»Er schläft tief und fest. Er ist schon beim Abendgebet eingenickt. Aber trotzdem konnte er sich noch aufraffen, von Constance seine Gutenachtgeschichte zu verlangen. Er wird kaum mehr als die ersten Worte gehört haben, aber Gewohnheit ist Gewohnheit. Und ich will auch meine Geschichte«, sagte sie und lächelte Cadfael an, »bevor ich dich ziehen lasse. Was gibt’s bei euch drüben im Kloster Neues? Seit der Messe bin ich kaum aus dem Haus gekommen, nur zum Gottesdienst in Saint Mary’s. War die Messe dieses Jahr ein Erfolg? Was meinst du? Ich glaubte, weniger Flamen dort zu sehen als sonst, aber trotzdem gab es einige wunderbare Stoffe. Ich habe gut eingekauft, ein paar schwere walisische Wollstoffe für Winterkleidung. Dem Sheriff ist es gleichgültig, was er anzieht«, sagte sie und warf Hugh einen schelmischen Blick zu, »aber ich werde nicht zulassen, dass mein Mann in fadenscheinigen Sachen herumläuft und sich erkältet. Würdest du glauben, dass sein bester Hausmantel zehn Jahre alt ist und ich ihn schon zweimal mit einem neuen Futter versehen habe? Trotzdem will er sich nicht davon trennen.«

»Alte Diener sind die besten«, bemerkte Hugh geistesabwesend. »Um die Wahrheit zu sagen, greife ich nur aus alter Gewohnheit nach diesen Sachen. Mein Herz, du darfst mich neu einkleiden, wann immer du willst. Ach ja, und neu ist auch, wie mir Cadfael sagt, dass Shrewsbury und Haughmond einen Landtausch vereinbart haben. Das Feld, das man den Töpferacker nennt, neben Gut Longner, wird der Abtei zugeschlagen. Gerade rechtzeitig zum Pflügen, falls du das beschließen solltest, Cadfael.«

»Das mag schon sein«, gab Cadfael zu. »Wenigstens im oberen Teil, der weiter vom Fluss entfernt ist. Der untere Teil wird eine gute Weide abgeben.«

»Ich habe immer bei Ruald gekauft«, sagte Aline betrübt. »Er war ein guter Handwerker. Ich frage mich immer noch, was ihn dazu brachte, der Welt um des Klosters willen den Rücken zu kehren, und das so plötzlich?«

»Wer weiß?« Cadfael blickte, wie er es neuerdings nur selten tat, auf den viele Jahre zurückliegenden Wendepunkt in seinem eigenen Leben zurück. Nach all seinen Reisen, seinen Kämpfen, nachdem er Hitze, Kälte und Mühsal ertragen hatte, nach den Vergnügungen und Schmerzen, ohne die man keine Erfahrungen machen kann, blieb die urplötzliche, unwiderstehliche Sehnsucht, eine Kehrtwendung zu machen und sich in die Stille zurückzuziehen, ein Rätsel. Dabei war es gewiss kein Rückzug gewesen. Vielmehr ein Auftauchen in Licht und Gewissheit. »Er hat es selbst nie erklären oder beschreiben können. Er konnte nur sagen, Gott habe sich ihm offenbart und so habe er die Richtung eingeschlagen, die ihm gewiesen wurde, und sei dorthin gegangen, wohin es ihn rief. So etwas kommt vor. Ich glaube, Radulfus hatte zunächst seine Zweifel. Er beließ ihn die volle Zeit und noch etwas mehr in seinem Noviziat. Sein Verlangen war nachgerade extrem, und unser Abt misstraut Extremen. Und außerdem war der Mann fünfzehn Jahre verheiratet gewesen, und seine Frau war keineswegs mit seiner Entscheidung einverstanden. Ruald ließ ihr alles, was er zu geben hatte, doch sie hatte dafür nur Spott und Verachtung übrig. Sie kämpfte viele Wochen gegen seinen Entschluss an, doch er ließ sich nicht erweichen. Nachdem er bei uns aufgenommen wurde, blieb sie nicht mehr lange in dem Häuschen. Sie verkaufte jedoch nichts von dem, was er ihr zurückgelassen hatte. Nur wenige Wochen später ging sie aus dem Haus, ließ die Tür offen, alles so zurücklassend, wie es war, und verschwand.«

»Mit einem anderen Mann, wie alle Nachbarn sagten«, bemerkte Hugh zynisch.

»Nun«, sagte Cadfael verständnisvoll, »ihr Mann hatte sie verlassen. Und nach allem, was ich höre, hat sie das sehr verbittert. Vielleicht hat sie sich einen Liebhaber genommen, um sich zu rächen. Hast du die Frau je gesehen?«

»Nein«, erwiderte Hugh, »nicht dass ich wüsste.«

»Ich aber«, sagte Aline. »Sie half an Markttagen und während der Messe an seinem Stand aus. Letztes Jahr natürlich nicht mehr, da war er im Kloster, und sie war schon weggegangen. Natürlich wurde viel darüber geredet, dass Ruald sie verlassen hatte, und Klatsch ist nie sehr liebenswürdig. Sie war bei den Marktfrauen nicht sehr beliebt, gab sich nie Mühe, sich mit jemandem anzufreunden, und ließ keine der anderen Frauen an sich heran. Und dann, müsst ihr wissen, war sie sehr schön und überdies eine Fremde. Er hatte sie vor Jahren aus Wales mitgebracht, und selbst nach all diesen Jahren noch sprach sie kaum englisch und gab sich nie Mühe, etwas anderes zu sein als eine Fremde. Sie schien sich außer Ruald nichts zu wünschen. Kein Wunder, dass sie verbittert war, als er sie verließ. Die Nachbarn sagten, sie habe ihn irgendwann gehasst und behauptet, sie hätte einen Liebhaber. Außerdem soll sie gesagt haben, auf einen solchen Ehemann gut verzichten zu können. Trotzdem kämpfte sie bis zum Ende um ihn. Frauen nehmen manchmal Zuflucht zum Hass, wenn Liebe ihnen nichts als Schmerz einbringt.« Sie hatte sich mit ungewohntem Ernst in die Qual einer anderen Frau hineinversetzt. Nun schüttelte sie das Bild mit einigem Entsetzen ab. »Jetzt bin ich die Klatschbase! Was werdet ihr von mir denken? Und außerdem liegt alles schon ein Jahr zurück, und inzwischen dürfte sie versöhnt sein. Kein Wunder, dass sie alles hinter sich ließ – sie hatte hier ohnehin kaum Wurzeln geschlagen – und nach Wales zurückging, ohne einer Menschenseele ein Wort davon zu sagen. Nachdem Ruald gegangen war, hielt sie hier nichts mehr. Was spielt es aber für eine Rolle, ob mit einem anderen Mann oder allein?«

»Mein Liebes«, erklärte Hugh gerührt und amüsiert zugleich, »du wirst für mich immer ein Rätsel bleiben. Wie kommt es überhaupt, dass du so viel über den Fall weißt? Und woher diese hitzigen Gefühle?«

»Ich habe sie zusammen gesehen, und das genügte. So nur über einen Messestand hinweg war deutlich zu sehen, wie ungestüm sie ihm zugetan war. Und ihr Männer«, sagte Aline mit resignierter Nachsicht, »seht natürlich in erster Linie die Rechte des Mannes, wenn er tut, was er sich vorgenommen hat, ob er nun ins Kloster gehen oder in den Krieg ziehen will, aber ich bin eine Frau und sehe, was für ein großes Unrecht dieser Frau angetan worden ist. Hatte sie denn in dieser Frage keine Rechte? Und habt ihr euch nie mal die Mühe gemacht nachzudenken – er durfte sich die Freiheit nehmen, ins Kloster zu gehen und Mönch zu werden, aber sein Weggang hat ihr keine Freiheit gegeben. Sie konnte sich keinen neuen Mann nehmen, solange der, den sie hatte, ob Mönch oder nicht, noch am Leben war. War das gerecht? Ich hoffe fast«, gestand Aline rundheraus ein, »dass sie mit ihrem Liebhaber auf und davon ging, statt hier allein zu leben und zu leiden.«

Hugh streckte seinen Arm weit aus, um seine Frau an sich zu ziehen, wobei er ein Mittelding zwischen einem Lachen und einem Seufzer hören ließ. »Meine Teuerste, du hast schon recht mit dem, was du sagst, denn diese Welt ist voller Ungerechtigkeit.«

»Trotzdem glaube ich, dass es nicht Rualds Schuld war«, sagte Aline begütigend. »Ich wage sogar zu behaupten, dass er sie freigegeben hätte, wenn er gekonnt hätte. Doch jetzt ist es geschehen, und ich hoffe, dass sie mit ihrem Leben einigermaßen zufrieden ist, wo immer sie lebt. Und ich nehme an, dass einem Mann nichts anderes übrigbleibt als zu gehorchen, wenn er plötzlich eine Berufung in sich fühlt. Vielleicht hat ihn der Entschluss genauso viel gekostet. Was für ein Bruder ist aus ihm geworden, Cadfael? War es wirklich ein unabänderlicher Entschluss?«

»Es sieht wahrhaftig so aus«, erwiderte Cadfael. »Der Mann geht voll und ganz in seinem Klosterleben auf. Ich glaube wirklich, dass er keine Wahl hatte.« Er hielt nachdenklich inne, da es ihm schwerfiel, für ein Ausmaß von Selbstaufgabe, wie es ihm selber unmöglich war, die angemessenen Worte zu finden. »Er lebt jetzt in dieser vollkommenen Sicherheit, an der weder Gut noch Böse etwas ändern kann, da für ihn bis zum heutigen Tag alles gut ist. Wenn man jetzt von ihm verlangte, zum Märtyrer zu werden, würde er das mit der gleichen Heiterkeit auf sich nehmen, als wäre es die Seligkeit. Tatsächlich wäre es für ihn die Seligkeit, weniger kennt er nicht. Ich bezweifle, dass er überhaupt noch an irgendeinen Teil des Lebens, das er vierzig Jahre lang geführt hat, auch nur einen Gedanken verschwendet, daran oder an die Frau, die er kannte und im Stich ließ. Nein, Ruald hatte keine Wahl.«

Aline sah ihn mit aufgerissenen Augen, die in all ihrer Unschuld so klug waren, unverwandt an. »Ist es für dich auch so gewesen«, fragte sie, »als deine Zeit kam?«

»Nein, ich hatte eine Wahl. Ich habe eine Wahl getroffen. Es war sogar eine schwierige Wahl, aber ich habe sie getroffen und halte daran fest. Ich bin kein so auserwählter Heiliger wie Ruald.«

»Der soll ein Heiliger sein?«, fragte Aline. »Das scheint mir doch etwas zu einfach.«

Die Urkunde über den Landtausch zwischen Haughmond und Shrewsbury wurde in der ersten Septemberwoche aufgesetzt, gesiegelt und bezeugt. Ein paar Tage später machten sich Bruder Cadfael und Bruder Richard, der Subprior, auf den Weg, um die Neuerwerbung in Augenschein zu nehmen und deren bestmögliche Nutzung zum Vorteil der Abtei zu prüfen. Der Morgen war dunstig, als sie aufbrachen, doch als sie die Fähre erreichten, die vom Feld aus ein Stück stromaufwärts verkehrte, drang die Sonne schon durch den Dunst, und die Sandalen der Männer hinterließen dunkle Fußspuren in dem von Tau benetzten Gras auf dem Steilufer. Auf der anderen Flussseite erhob sich sandig und steil das jenseitige Ufer, das hier und da von der Strömung ausgehöhlt war und allmählich in eine schmale Grasfläche überging, an deren Ende sich ein mit Büschen und Bäumen bestandener Hügelkamm erhob. Als sie die Boote verließen, hatten sie noch einige Minuten an diesem schmalen Streifen Weideland entlangzugehen, und dann standen sie an der Ecke des Töpferackers, der in seiner ganzen Größe schräg vor ihnen lang.

Es war ein sehr angenehm anzusehender Ort. Von der sandigen Böschung des Flussufers stieg der grasbewachsene Hang allmählich zu einem natürlichen Feldrain mit Buschwerk und Dornensträuchern und einem filigranartigen Schirm aus Birken hin an, die sich vor dem Himmel abhoben. In der jenseitigen Ecke duckte sich die Hülle des leeren Häuschens, dessen Garten nicht eingezäunt war und dessen Pflanzenbewuchs in die umgebende Wildnis aus ungemähtem Gras hineinwucherte. Das Heu, das Haughmond nicht hatte einbringen wollen, war schon frühherbstlich verblichen, da es bereits vor Wochen gereift und in Samen geschossen war, und unter den ausgebleichten stehenden Stielen waren noch immer die verschiedensten Wiesenblumen zu sehen, Glockenblumen und Engelwurz, Klatschmohn, Gänseblümchen und Tausendgüldenkraut, und frische grüne Grastriebe durchbrachen das Wurzelgeflecht der welkenden Gräser. Unterhalb des höhergelegenen Knicks zeigten sich in dem Brombeergestrüpp die ersten Früchte, deren Farbe von Rot in Schwarz zu wechseln begann.

»Wir könnten es immer noch schneiden und als Streu für die Tiere trocknen«, sagte Bruder Richard mit einem abschätzenden Blick auf den üppigen Wildwuchs, »aber wäre es der Mühe wert? Wir könnten es auch absterben lassen und unterpflügen. Dieses Land ist seit Generationen nicht mehr unter dem Pflug gewesen.«

»Das wäre schwere Arbeit«, sagte Cadfael, der voller Vergnügen den glitzernden Lichtschein der Sonne auf den weißen Birkenstämmen auf dem Hügelkamm betrachtete.

»Nicht so schwer, wie man glauben könnte. Der Boden darunter ist gut, krümeliger Lehm. Wir haben starke Ochsen, und das Feld ist lang genug, um ein Sechsergespann ins Joch zu nehmen. Wir brauchen beim ersten Pflügen eine tiefe, breite Furche. Ich wäre dafür«, sagte Bruder Richard, der mit dem Nutzvieh genügend Erfahrungen hatte, und marschierte quer über das Feld auf den Hügelkamm zu. Er tat es mit dem sicheren Instinkt des Landmanns, der sich lieber an den höhergelegenen Teil des Ackers hält, statt durch das tiefe Gras zu waten. »Den unteren Streifen könnten wir als Weideland nutzen und diesen oberen Teil pflügen.«

Cadfael war zu dem gleichen Schluss gekommen. Das Feld, von dem sie sich getrennt hatten und das weiter hinter Haughton lag, hatte sich am besten als Viehweide geeignet, doch hier würden sie sehr gut Weizen oder Gerste anbauen und das Vieh erst auf der unteren Weide grasen lassen können, um es dann auf das abgeerntete Stoppelfeld zu treiben, um das Land für das nächste Jahr zu düngen. Das Land gefiel ihm, und doch lag so etwas wie Traurigkeit auf ihm. Die kläglichen Überreste des Gartenzauns, den sie jetzt erreichten, das wild wuchernde Gestrüpp, in dem Kräuter und Unkraut um Raum für die Wurzeln, um Licht und Luft wetteiferten, der türlose Eingang und die Fenster ohne Läden, all das ließ spüren, dass hier keine Menschen mehr wohnten, dass das Leben ausgezogen war. Ohne diese Überreste wäre dies ein Bild des Friedens gewesen, ein Bild von ländlicher, in sich ruhender Schönheit. Doch es war unmöglich, das verlassene Häuschen und den kleinen Garten anzusehen, ohne daran zu denken, dass hier fünfzehn Jahre lang zwei Leben gelebt worden waren, vereint in einer kinderlosen Ehe, und dass von all den Gedanken und Empfindungen, die den beiden Menschen gemeinsam gewesen waren, jetzt keine Spur mehr zu finden war. Ebenso unmöglich war es, die kahle, eingeebnete Stelle zu übersehen, an der der Brennofen gestanden hatte, den man all seiner Steine beraubt hatte. Beide Männer mussten daran denken, dass hier ein Handwerker gearbeitet und seinen Brennofen beschickt und befeuert hatte, der jetzt aber kahl und kalt war. Hier musste einmal menschliches Glück zu Hause gewesen sein, Zufriedenheit des Gemüts, die Erfüllung tüchtiger Hände. Kummer, Bitterkeit und Zorn hatte es gewiss auch gegeben, doch jetzt waren nur noch die Trümmer dieses vergangenen Lebens zu sehen, kalte, gleichgültige Melancholie.

Cadfael kehrte der einst bewohnten Ecke des Feldes den Rücken zu, und jetzt lag die weite Wiesenfläche vor ihm, die leicht dampfte, als die Sonne Morgendunst und Tau verschwinden ließ und die klaren kleinen Farbtupfer der Blumen unter den emporschießenden Gräsern leuchteten. Vögel glitten über den Büschen des hochgelegenen Knicks dahin und flatterten zwischen den Bäumen des Hügelkamms umher, und die unbehagliche Erinnerung an den Menschen war vom Töpferacker verschwunden.

»Nun, wie lautet dein Urteil?«, fragte Bruder Richard.

»Ich glaube, wir täten gut daran, es mit einer Wintersaat zu versuchen. Jetzt tief pflügen, dann noch ein zweites Mal, um Winterweizen zu säen und ein paar Bohnen dazu. Umso besser, wenn wir vor dem zweiten Pflügen noch mit etwas Mergel düngen können.«

»Besser könnten wir es kaum nutzen«, stimmte Richard zufrieden zu und ging vor Cadfael den sanften Abhang hinunter auf die sanft geschwungene und glitzernde Flussbiegung unter den kleinen Sanddünen zu. Cadfael trottete hinter ihm her. Die trockenen Gräser raschelten in einem langgezogenen, rhythmischen Seufzen um seine Fesseln wie zum Gedenken an eine Tragödie. Wir sollten, dachte er, das Land dort oben lieber gleich urbar machen, damit der Boden Frucht trägt. Dort, wo früher der Brennofen gestanden hat, sollte grünes Getreide wogen, und das Häuschen sollten wir entweder abreißen oder einen Pächter hineinsetzen und darauf achten, dass er das Unkraut jätet und den Garten pflegt. Entweder das oder alles aufpflügen. Lieber gleich vergessen, dass in Feld und Garten mal ein Töpfer gearbeitet hat.

In den ersten Oktobertagen wurde das sechsköpfige Ochsengespann der Abtei mit dem schweren, hochrädrigen Pflug durch die Furt auf die andere Seite des Flusses gebracht, wo es die erste Grassode auf Rualds Acker schnitt und umdrehte. Die Tiere begannen an der oberen Ecke, in der Nähe des verfallenen Häuschens, und zogen die erste Furche unterhalb des Knicks mit seinem üppigen Buschwerk und den Brombeersträuchern, die den Feldrain bildeten. Der Ochsentreiber trieb sein Gespann an, und die Tiere trotteten teilnahmslos vorwärts. Das Messersech schnitt tief durch Grasnarbe und Erde, die Pflugschar durchschnitt die verfilzten Wurzeln, und das Streichbrett schleuderte die Lehmklumpen wie eine sich träge brechende Welle zur Seite, brachte schwarzen Erdboden und den kräftigen Geruch der Erde nach oben. Bruder Richard und Bruder Cadfael waren gekommen, um sich den Beginn der Arbeit anzusehen. Abt Radulfus hatte den Pflug gesegnet, und alle Vorzeichen waren günstig. Die erste gerade Furche wurde über das gesamte Feld gezogen und hob sich schwarz vor der herbstlichen Blässe der Gräser ab, und der auf sein Geschick stolze Pflüger ließ sein langes Gespann in einer weit ausholenden Kurve umdrehen, damit die Tiere auf dem Rückweg möglichst dicht an der ersten Furche blieben. Richard hatte recht gehabt; der Erdboden war nicht zu schwer, und die Arbeit würde rasch vorangehen.

Cadfael hatte der Arbeit den Rücken gekehrt und stand in der klaffenden Türöffnung des Häuschens und starrte in den kahlen Raum. Schon vor einem ganzen Jahr, nachdem sich die Frau den Staub dieses Orts von den Füßen geschüttelt und die Trümmer ihres Lebens hinter sich gelassen hatte, um anderswo einen Neuanfang zu suchen, war die gesamte bewegliche Habe von Rualds Ehe mit Einverständnis seines Landherrn auf Longner entfernt und dem Almosenpfleger Bruder Ambrose übergeben worden, der sie unter seinen Bittstellern nach deren Bedürfnissen verteilen sollte. Nichts war im Haus geblieben. Im Kamin lagen noch die Reste der letzten kalten Asche, und der Wind hatte Laub in die Zimmerecken geweht, das sich dort zu Nistplätzen für überwinternde Igel und Haselmäuse abgelagert hatte. Lange Brombeerzweige hatten von den Sträuchern draußen durch die leere Fensterhöhle einen Weg ins Haus gefunden, und auf Cadfaels Schulter wippte ein Scharlachdornzweig, der die Hälfte seiner Blätter verloren hatte, dafür aber mit roten Beeren gesprenkelt war. Nesseln und Kreuzkraut hatten in den Spalten der Bodenbretter Wurzeln geschlagen, um dort emporzuwachsen. Die Erde braucht nur sehr kurze Zeit, um die Spuren menschlichen Lebens zu tilgen.

Cadfael hörte das Rufen von der anderen Seite des Ackers, schenkte ihm jedoch keine Beachtung, sondern dachte nur, der Treiber brülle sein Gespann an, bis Richard ihn am Ärmel zupfte und ihm ins Ohr zischte: »Da drüben muss etwas passiert sein! Sieh mal, sie sind stehengeblieben. Sie haben etwas gefunden – oder zerbrochen – oh, doch hoffentlich nicht das Kolter!« Es war ihm anzusehen, wie ärgerlich er geworden war. Ein Pflug ist ein kostbares Gerät, und ein eisenbewehrtes Kolter konnte sich auf neuem und unerprobtem Boden leicht als verwundbar erweisen.

Cadfael drehte sich um und starrte auf die Stelle, an der das Ochsengespann stehen geblieben war, am hinteren Ende des Ackers, wo sich das Gestrüpp von Büschen erhob. Sie hatten den Pflug dicht daran entlanggeführt, um den Boden möglichst gut zu nutzen, und die Ochsen standen jetzt still und geduldig in ihrem Geschirr, nur ein paar Meter vor dem Pflug in der frischen Furche, während Treiber und Pflüger die Köpfe zusammensteckten und sich über etwas in der Erde beugten. Und im selben Moment kam der Pflüger auf die Beine und rannte Hals über Kopf mit herumrudernden Armen auf das Häuschen zu. Er stolperte immer wieder in dem verfilzten Gras.

»Bruder … Bruder Cadfael … Könnt Ihr herkommen? Kommt her, seht mal! Da ist etwas …«

Richard hatte den Mund geöffnet, um den Mann wegen dieser unzusammenhängenden Aufforderung zur Ordnung zu rufen, doch Cadfael hatte dem erschreckten und besorgten Pflüger ins Gesicht geblickt und setzte sich rasch in Bewegung, um über das Feld zu laufen. Es war offenkundig, dass dieses Etwas, was immer es sein mochte, ebenso unwillkommen wie unvorhergesehen und so geartet war, dass nur eine höhere Autorität die Verantwortung übernehmen und ein klärendes Wort äußern konnte. Der Pflüger rannte neben ihm her und sprudelte unzusammenhängende Worte hervor, die nicht dazu angetan waren, Licht in die Angelegenheit zu bringen.

»Das Kolter hat es nach oben gezerrt – unter der Erde ist noch mehr, ich weiß aber nicht, was …«

Der Ochsentreiber war inzwischen aufgestanden und stand mit hilflos herabhängenden Armen da.

»Bruder, wir konnten da einfach nicht weiterpflügen, wir können ja nicht wissen, worauf wir da gestoßen sind.« Er hatte das Gespann ein wenig vorziehen lassen, um die Stelle frei zu machen und zu zeigen, was die Arbeit so unverhofft unterbrochen hatte. Dicht vor dem leicht abfallenden Flussufer, das den Feldrain markierte und wo abgeschnittene Besenginsterbüsche sich über die leicht geschwungene Furche neigten, wo der Pflug gewendet hatte, hatte das Kolter tiefer ins Erdreich geschnitten und in der Furche etwas hinter sich hergeschleift, was weder Wurzel noch Stiel war. Cadfael kniete sich hin und beugte sich tief herunter, um besser zu sehen. Bruder Richard, den die Bestürzung, die seine Knechte zunächst so wirr hatte reden lassen und jetzt vor Furcht stumm werden ließ, endlich doch beeindruckte, trat zurück und sah wachsam zu, als Cadfael eine Hand durch die Furche gleiten ließ und die langen Fäden berührte, die sich im Kolter verheddert hatten und ans Tageslicht gezogen worden waren.

Fasern, aber von Menschenhand gemacht. Nicht die knorrigen Fäden von Wurzeln, die aus dem Erdreich gerissen worden waren, sondern halbverrottete Stofffetzen, deren Farbe einst schwarz oder das gewöhnliche Dunkelbraun gewesen war und die jetzt die Farbe der Erde angenommen, jedoch noch immer genug von ihrer eigentlichen Natur in sich hatten, um zu langen, ausgefransten Lumpen zerrissen zu werden, als das Eisen des Kolters die Falten durchschnitt, aus denen sie stammten. Und da war noch etwas, was mit ihnen ans Tageslicht gekommen und vielleicht von ihnen umhüllt gewesen war und jetzt fast in der Länge eines männlichen Unterarms in der Furche lag, schwarz, gewellt und zart: eine lange, dichte Strähne dunklen Haars.

Zweites Kapitel

Bruder Cadfael kehrte allein in die Abtei zurück und bat um sofortige Audienz bei Abt Radulfus.

»Vater, etwas Unvorhergesehenes lässt mich so eilig zu Euch zurückkehren. Wenn es unwichtig gewesen wäre, hätte ich Euch damit nicht behelligt, doch der Pflug hat auf dem Töpferacker etwas ans Licht gebracht, was sowohl dieses Haus als auch das weltliche Gesetz angeht. Ich habe noch nichts unternommen. Ich brauche Euer Einverständnis, um dies auch Hugh Beringar mitzuteilen, um dann, seine Einwilligung vorausgesetzt, weiter zu untersuchen, was ich bis jetzt so belassen habe, wie wir es vorgefunden haben. Vater, das Kolter hat ein paar Fetzen Stoff und eine Locke menschlichen Haars zutage gefördert. Das Haar einer Frau, wie mir scheinen will. Es ist lang und fein, und ich denke, es ist nie geschnitten worden. Und, Vater, es wird unter der Erde festgehalten.«

»Du willst mir also sagen«, sagte Radulfus nach einer langen und bedeutungsvollen Pause, »dass es noch immer auf einem menschlichen Kopf sitzt.« Seine Stimme klang gleichmütig und fest. Es gab nur wenige unwahrscheinliche Situationen, denen er in seinen mehr als fünfzig Jahren nicht begegnet war. Und wenn dies die erste ihrer Art war, so war es keineswegs die ernsteste, der er sich je gegenübergesehen hatte. Die Klostergemeinschaft ist immer noch abhängig und wird von einer Welt beherrscht, in der alles möglich ist. »An diesem ungeweihten Ort liegt irgendein Mensch begraben. Gesetzwidrig.«

»Das befürchte ich auch«, sagte Cadfael. »Wir haben aber nicht weitergemacht, um uns Gewissheit zu verschaffen, da wir Eure Einwilligung wünschen und den Sheriff dabeihaben wollen.«

»Was habt ihr dann getan? Wie habt ihr die Dinge dort auf dem Feld zurückgelassen?«

»Bruder Richard hält an dem Ort Wache. Das Pflügen geht weiter, jedoch mit der gebotenen Vorsicht und in einiger Entfernung von dieser Stelle. Es schien mir nicht nötig zu sein«, erklärte er, »die Arbeit zu verzögern. Wir wollten auch nicht allzu viel Aufmerksamkeit auf das lenken, was dort vorgeht. Das Pflügen erklärt unsere Anwesenheit. Niemand braucht sich zu wundern, dass wir uns dort zu schaffen machen. Und selbst wenn es sich als wahr erweisen sollte, kann es doch sehr, sehr lange zurückliegen und schon weit vor unserer Zeit geschehen sein.«

»Möglich«, sagte der Abt und ließ seinen unbestechlichen Blick auf Cadfaels Gesicht ruhen, »obwohl ich denke, dass du nicht an eine solche Gnade glaubst. Soviel ich aus Akten und Urkunden weiß, hat es in der Nähe dieser Stelle nie eine Kirche oder einen Friedhof gegeben. Ich bete zu Gott, dass es nicht zu weiteren Entdeckungen dieser Art kommt. Eine ist mehr als genug. Nun, du hast meine Vollmacht. Tu, was getan werden muss.«

Cadfael tat, was getan werden musste. Als Erstes musste er Hugh von dem Vorgefallenen in Kenntnis setzen und sicherstellen, dass der weltlichen Obrigkeit nichts von dem verborgen blieb, was sich weiter ereignen würde. Hugh kannte seinen Freund gut genug, um keine Zweifel zu äußern, keine Fragen zu stellen und keine Zeit mit Einwänden oder Bedenken zu verlieren, sondern er ließ sofort die Pferde satteln, nahm einen Lehnsmann der Garnison mit, der, falls nötig, Botenritte übernehmen konnte, und machte sich mit Cadfael zur Furt des Severn und zum Töpferacker auf.

Als sie an dem oberen Feldrain entlang zu der Stelle ritten, an der Bruder Richard bei den Ginsterbüschen wartete, war das Ochsengespann weiter unten auf dem abschüssigen Feld noch bei der Arbeit. Die langgezogenen, schmalen, leicht geschwungenen Ackerfurchen hoben sich mit ihrer kräftigen, dunklen Erdfarbe von dem dichten, verfilzten, verblichenen Gras der Wiese ab. Nur diese Ecke unterhalb des Knicks war jungfräulich belassen. Nach der ersten unheilverkündenden Kehrtwendung war der Pflug in gehörigem Abstand von der grausigen Fundstelle weitergezogen worden. Die Wunde im Erdreich, die das Kolter zurückgelassen hatte, endete urplötzlich dort, wo die langen dunklen Fasern in der Furche mitgezogen worden waren. Hugh bückte sich, um genau hinzusehen und die Stofffetzen zu berühren. Die Fäden lösten sich unter seinen Händen auf, während die langen, gelockten Haarsträhnen festsaßen. Als er sie hochhob und leicht an ihnen zog, glitten sie ihm durch die Finger. Sie waren noch in der Erde verwurzelt. Er trat zurück und starrte mit finsterer Miene in die tiefe Furche.

»Was immer du hier gefunden hast, wir sollten es lieber ausgraben. Wie es scheint, wollte dein Pflüger das Land etwas zu gut ausnutzen. Er hätte uns Ärger erspart, wenn er sein Gespann ein paar Meter vor der Erhebung hätte wenden lassen.«

Doch dazu war es nun zu spät. Es war geschehen. Der Fund konnte nicht mehr mit Erdreich bedeckt und dann vergessen werden. Die beiden Männer hatten Spaten mitgebracht und eine Breithacke, um das verfilzte Wurzelgeflecht des seit langer Zeit nicht mehr gestörten Pflanzenwuchses behutsam abzuschälen, sowie eine Sichel, um die überhängenden Ginsterzweige zurückzuschneiden, die ihre Bewegungen behinderten und diese geheime Grabstätte zum Teil verdeckt hatten. Innerhalb einer Viertelstunde wurde offenkundig, dass die unter der Erde ruhende Gestalt tatsächlich so lang war wie ein Grab, denn die verrotteten Stofffetzen tauchten hier und da am Fuß des aufgeworfenen Erdwalls auf, und Cadfael warf den Spaten fort, um sich hinzuknien und die Erde mit bloßen Händen wegzuschaufeln. Es war nicht einmal ein tiefes Grab. Man hatte dieses eingehüllte Bündel unterhalb des Knicks einfach ins Erdreich gelegt, die dicken Grassoden daraufgepackt und es den Büschen überlassen, den Ort zu verhüllen. Das Grab war jedoch tief genug, um den Leichnam an einer solchen Stelle ungestört ruhen zu lassen; ein weniger wirkungsvoller Pflug hätte keine so enge Kurve beschreiben können, um sie zu erreichen, und auch das Kolter wäre nicht tief genug in das Erdreich und damit in das heimliche Grab eingedrungen.

Cadfael betastete die freigelegten Fetzen schwarzen Stoffs und spürte die Knochen darunter. Der lange Schnitt des Kolters hatte die jenseits des Erdwalls liegende Seite von der Mitte bis zum Kopf aufgeschlitzt, wo es mit den Fäden auch die dichte Haarsträhne ans Tageslicht gezerrt hatte. Cadfael wischte dort, wo das Gesicht sein musste, das Erdreich zur Seite. Der Leichnam war von Kopf bis Fuß in verrottenden Wollstoff gewickelt, in eine Art Umhang, doch es konnte kein Zweifel mehr bestehen, dass es ein menschliches Geschöpf war, das hier heimlich unter die Erde gebracht worden war. Gesetzwidrig, hatte Radulfus gesagt. Gesetzwidrig begraben, gesetzwidrig vom Leben zum Tode befördert.

Mit den Händen schaufelten sie geduldig das Erdreich zur Seite. Es bedeckte den unverkennbaren Umriss eines Menschen. Sie arbeiteten sich unter dem Leichnam behutsam vor, um ihn aus seinem Bett herauszubekommen, hoben ihn aus dem Grab und legten ihn ins Gras. Leicht, schlank und zerbrechlich kam er ans Licht. Er musste mit angehaltenem Atem und äußerst behutsam berührt und getragen werden, da die Wollfäden bei jeder Berührung zerbröselten und sich auflösten. Cadfael schlug vorsichtig die Stofffalten zur Seite, so dass die verwitterten Überreste entblößt wurden.

Gewiss eine Frau, denn sie trug ein langes dunkles Gewand ohne Gürtel und ohne Schmuck. Seltsamerweise hatte es den Anschein, als hätte man ihr den langen Rock sorgfältig glattgezogen und in ordentliche Falten gelegt, die immer noch durch den Umhang bewahrt wurden, in den man sie vor der Beisetzung eingewickelt hatte. Das Gesicht war von allem Fleisch entblößt, und die Hände, die aus den langen Ärmeln hervorlugten, waren nichts als Knochen, wurden jedoch durch die Umhüllung zusammengehalten. An den Handgelenken und den entblößten Fesseln fanden sich Spuren getrockneten und zusammengeschrumpften Fleisches. Das Einzige, was an ihr noch an ihre frühere Lebensfülle erinnerte, war der üppige, schwarze, geflochtene Haarschopf, aus dem das Kolter neben ihrer rechten Schläfe eine aufgelöste Strähne herausgezogen hatte. Seltsamerweise hatte man die Frau offenbar für die Beisetzung ausgestreckt, wie es sich gehörte, und ihre Hände waren hochgezogen und auf der Brust gefaltet. Noch seltsamer war, dass sie ein einfaches Kreuz umklammert hielt, ein Kreuz aus zwei zurechtgeschnittenen Holzstäbchen, die mit einem Streifen Leinentuch zusammengebunden waren.

Cadfael zog die Ränder des verrotteten Tuchs behutsam wieder über den Schädel, von dem das dunkle Haar in so sonderbar anmutender Fülle aufwallte. Als ihr totenkopfähnliches Gesicht bedeckt war, wurde die Frau noch ehrfurchtgebietender, und alle vier Männer traten ein wenig zurück, um sie in ehrerbietiger Verwunderung anzustarren, denn angesichts eines so gefassten und schmucklosen Todes schienen Mitleid und Entsetzen gleichermaßen fehl am Platz zu sein. Die Männer spürten nicht einmal so etwas wie den Willen, sich zu fragen oder einzugestehen, was an ihrer Beisetzung an dieser Stelle so sonderbar war, noch nicht; die Zeit dafür würde noch kommen, doch jetzt nicht, nicht hier. Erst musste vollbracht werden, was nötig war, ohne jeden Kommentar und ohne unziemliche Fragen.

»Nun«, sagte Hugh trocken, »was nun? Fällt dies in meine Zuständigkeit, Brüder, oder in eure?«

Bruder Richard, dessen Gesicht etwas grauer war als gewöhnlich, sagte zweifelnd: »Wir befinden uns auf Land der Abtei. Doch das hier befindet sich kaum in Übereinstimmung mit dem Gesetz, und das Gesetz ist Euer Aufgabenbereich. Ich weiß nicht, was sich der Herr Abt in einem so sonderbaren Fall wünschen wird.«

»Er dürfte wünschen, dass wir die Leiche zur Abtei bringen«, sagte Cadfael mit Überzeugung. »Wer immer sie sein mag und wie lange sie hier schon ungesegnet begraben liegt, sie ist eine Seele, die erlöst werden muss, und wir sind ihr ein christliches Begräbnis schuldig. Das Land, von dem wir sie zu ihm bringen, gehört der Abtei, und er wird wünschen, dass sie auch wieder auf Land der Abtei begraben wird. Wenn«, sagte Cadfael mit Nachdruck, »sie empfangen hat, was wir ihr sonst noch schuldig sind, falls sich das überhaupt je feststellen lässt.«

»Wir können es zumindest versuchen«, sagte Hugh und warf einen nachdenklichen Blick auf die Reihe der Ginsterbüsche und um die klaffende Grube, die sie durch das verfilzte Gras geschnitten hatten. »Ich frage mich, ob sich hier noch mehr finden lässt, was man vielleicht mit ihr in die Erde gelegt hat. Wir sollten zumindest noch etwas weiter und tiefer graben und uns überzeugen.« Er bückte sich, um den zerfallenden Umhang wieder um ihren Körper zu legen, und schon seine bloße Berührung ließ Fäden zerreißen und Staubkörnchen aufwirbeln. »Wir werden ein besseres Leichentuch brauchen, wenn wir sie mitnehmen wollen, und eine Bahre, wenn wir sie ganz und unversehrt wegtragen wollen, wie wir sie jetzt sehen. Richard, nehmt mein Pferd und reitet zum Herrn Abt. Sagt ihm einfach, dass wir hier tatsächlich einen Leichnam gefunden haben, und schickt uns eine Bahre und eine Decke, damit wir sie in einem schicklichen Zustand nach Hause bringen können. Mehr ist nicht nötig, jetzt noch nicht. Und was wissen wir denn auch schon? Keine weiteren Berichte, bis wir da sind.«