Bruder Cadfael und das Mönchskraut - Ellis Peters - E-Book

Bruder Cadfael und das Mönchskraut E-Book

Ellis Peters

0,0
4,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
  • Herausgeber: beTHRILLED
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2019
Beschreibung

Die Kult-Krimi-Serie endlich als eBook!

Der Edelmann Gervase Bonel will sein riesiges Landgut der Abtei zu Shrewsbury vermachen, wenn er im Gegenzug ein lebenslanges Wohnrecht erhält. Doch bevor die Abmachung gültig wird, wird Bonel vergiftet - mit einer Medizin aus Bruder Cadfaels Arzneischrank! Cadfael ist entsetzt. Und fest entschlossen, herauszufinden, wie seine Medizin in dieser tödlichen Dosis in Bonels Essen gelangen konnte. Doch er muss sich beeilen, wenn er einen Unschuldigen vor dem Tode bewahren will ...

Über die Reihe: Morde und Mysterien im finstersten Mittelalter des 12. Jahrhunderts liefern den perfekten Hintergrund für die spannenden Abenteuer des Bruders Cadfael, einem ehemaligen Kreuzritter, der sich als Mönch in die Abtei St. Peter & Paul nahe Shrewsbury zurückgezogen hat. Doch ein ruhiges Leben als Kräutergärtner und Heilkundiger ist ihm nicht vergönnt: Immer wieder muss er seine detektivischen Fähigkeiten einsetzen, um Verbrechen in der Gemeinde aufzuklären.

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung!



Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Weitere Titel der Autorin

Über dieses Buch

Über die Reihe

Über die Autorin

Titel

Impressum

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

Weitere Titel der Autorin

Bruder Cadfael und die Entführung der Heiligen

Bruder Cadfael und der unbekannte Tote

Bruder Cadfael und der Aufstand auf dem Jahrmarkt

Bruder Cadfael und der Hochzeitsmord

Über dieses Buch

Der Edelmann Gervase Bonel will sein riesiges Landgut der Abtei zu Shrewsbury vermachen, wenn er im Gegenzug ein lebenslanges Wohnrecht erhält. Doch bevor die Abmachung gültig wird, wird Bonel vergiftet – mit einer Medizin aus Bruder Cadfaels Arzneischrank! Cadfael ist entsetzt. Und fest entschlossen, herauszufinden, wie seine Medizin in dieser tödlichen Dosis in Bonels Essen gelangen konnte. Doch er muss sich beeilen, wenn er einen Unschuldigen vor dem Tode bewahren will ...

Über die Reihe

Morde und Mysterien im finsteren Mittelalter des 12. Jahrhunderts liefern den perfekten Hintergrund für die spannenden Abenteuer des Bruders Cadfael, einem ehemaligen Kreuzritter, der sich als Mönch in die Abtei St. Peter & Paul nahe Shrewsbury zurückgezogen hat. Doch ein ruhiges Leben als Kräutergärtner und Heilkundiger ist ihm nicht vergönnt: Immer wieder muss er seine detektivischen Fähigkeiten einsetzen, um Verbrechen in der Gemeinde aufzuklären.

Über die Autorin

Ellis Peters ist das Pseudonym der 1913 geborenen englischen Autorin Edith Pargeter. Ihre Bruder-Cadfael-Reihe erschien in 15 Sprachen und mehr als 20 Ländern und wurde erfolgreich von der BBC verfilmt. Ihr Wissen als Apothekenhelferin war der Ausgangspunkt für den kräuterkundigen Bruder Cadfael. Ellis Peters starb im Oktober 1995.

Ellis Peters

Bruder Cadfael und das Mönchskraut

Aus dem Englischen von Eva Malsch

beTHRILLED

Digitale Erstausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 1980 by Ellis Peters

Titel der britischen Originalausgabe: „Monk’s Hood“

Originalverlag: Macmillan, London

Für die deutschsprachige Erstausgabe:

Copyright © 1986 der deutschen Übersetzung

Verlag: Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Lektorat/Projektmanagement: Rebecca Schaarschmidt

Covergestaltung: Thomas Krämer unter Verwendung von Motiven © shutterstock: Color Symphony | optimarc | Andrey_Kuzmin | stockcreations

eBook-Erstellung: 3WplusP, Rimpar

ISBN 978-3-7325-6928-1

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

1.

An jenem besonderen Morgen Anfang Dezember im Jahre 1138 ging Bruder Cadfael in friedfertiger Stimmung ins Domkapitel, fest entschlossen, den langweiligen, prosaischen Vortrag von Bruder Francis ebenso zu erdulden wie das umständliche juristische Geschwätz Bruder Benedicts, des Sakristans. Die Menschen waren unbeständig und fehlbar, und man musste Nachsicht mit ihnen üben. Immerhin neigte sich das Jahr, das mit Belagerungen und Gemetzeln begonnen hatte, einem ruhigen, vergleichsweise glücklichen Ende entgegen. Die Wogen des Bürgerkriegs zwischen König Stephen und den Partisanen der Kaiserin Maud hatten sich zu den Südwestgrenzen verlagert, und Shrewsbury konnte sich allmählich erholen, nachdem es die schwächere Seite unterstützt und dafür einen blutigen Preis bezahlt hatte. Trotz aller Hindernisse, die der landwirtschaftlichen Arbeit im Wege gestanden hatten, war die Ernte nach einem wunderbaren Sommer erfolgreich eingebracht worden. Die Scheunen waren voll, die Mühlräder kreisten, Schafe und Rinder gediehen prächtig auf den immer noch üppig grünen Weiden. Das Wetter blieb erstaunlich mild, nur am frühen Morgen ahnte man den nahen Frost. Vorerst musste niemand frieren oder hungern. Diese schöne Zeit würde nicht mehr lange dauern, aber zunächst war jeder neue Tag ein Segen.

In seinem eigenen kleinen Königreich war die Ernte reich und mannigfaltig gewesen. An den Dachrinnen seines Gartenschuppens hingen Leinenbeutel mit getrockneten Kräutern, Weinkrüge standen in Reih und Glied, auf den Regalen drängten sich Flaschen und Töpfe mit Arzneien, die alle Winterkrankheiten, vom Schnupfen über Gelenkentzündungen bis zu Keuchhusten, kurieren würden. Die Welt sah viel erfreulicher aus als im Frühling, und ein Ende, das den Anfang übertraf, war stets zu begrüßen.

Und so begab sich Bruder Cadfael frohen Mutes zu seinem Sitz im Kapitelsaal in einer angenehm dunklen Ecke, versteckt hinter einer Säule, und beobachtete mit schläfrigem Wohlwollen, wie seine Brüder hereinkamen und ihre Plätze einnahmen: Abt Heribert, alt und sanftmütig und voller Sorge, gequält von dem schlimmen Jahr, das nun zu Ende ging; Prior Robert Pennant, hochgewachsen und aristokratisch, mit elfenbeinweißem Gesicht, silbernen Haaren und Brauen, stattlich und stolz aufgerichtet, als hätte er bereits die Mitra errungen, nach der er strebte. Er war weder alt noch gebrechlich, sondern ein scheinbar altersloser, sehniger einundfünfzigjähriger Mann, wenn er sich auch bemühte, wie ein Patriarch zu wirken, der sich einem heiligen Leben geweiht hatte. Vor zehn Jahren hatte er schon genauso ausgesehen, und in den nächsten zwanzig Jahren würde er sich ganz sicher nicht ändern. Bruder Jerome, sein Schreiber, folgte ihm getreulich auf den Fersen und reflektierte Prior Roberts Vergnügen oder Missvergnügen wie ein kleiner Zerrspiegel. Danach erschienen die anderen Amtsträger, der Subprior, der Sakristan, der Hospitalvorstand, der Almosenpfleger, der Krankenpfleger, der Wächter des Marienaltars, der Kellermeister, der Kantor und der Novizenmeister. Mit Würde und Anstand bereiteten sie sich auf eine Sitzung vor, die sich wohl kaum vom normalen Alltag unterscheiden würde.

Der junge Bruder Francis, mit einer nasalen Sprechweise und spärlichen Lateinkenntnissen ausgestattet, nahm seine Aufgabe, die Liste der Heiligen und Märtyrer vorzulesen, deren man während der nächsten Tage im Gebet gedenken wollte, sehr ernst. Dann erging er sich in einem frommen Kommentar über die Verdienste des Apostels Andreas, dessen Ehrentag soeben verstrichen war. Anschließend bezeichnete Bruder Benedict, der Sakristan, es als recht und billig, dass er, der für die Instandhaltung der Kirche und der Enklave verantwortlich war, den größeren Anspruch auf eine Summe geltend machte, die man dem Kloster erstens zu dem genannten Zweck und zweitens zur Anschaffung von Kerzen für die Marienkapelle vermacht hatte. Für Letztere war Bruder Maurice zuständig. Der Kantor nahm das Geschenk eines neu vertonten ›Sanctus‹ zur Kenntnis, das der Gönner des Komponisten gestiftet hatte. Aber seine mangelnde Begeisterung für die großzügige Gabe ließ ahnen, dass er ihre Qualitäten nicht sonderlich schätzte und dass man sie nur selten zu hören bekommen würde. Bruder Paul, der Novizenmeister, brachte eine Klage gegen einen seiner Schüler vor, dessen Leichtsinn man weder seiner Jugend noch seiner Unerfahrenheit zugutehalten konnte. Man hatte den Burschen im Kreuzgang singen hören, wo er ein Gebet des Heiligen Augustus abschreiben sollte, und zwar ein weltliches Lied von skandalösem Inhalt. Es handelte sich hierbei um die Klage eines christlichen Pilgers, der von den Sarazenen gefangen gehalten wurde und sich tröstete, indem er das Hemd, das ihm seine Liebste zum Abschied geschenkt hatte, an die Brust drückte.

Bruder Cadfaels Müdigkeit verflog. Er erinnerte sich gut an dieses schöne, ergreifende Lied, denn auch er hatte an jenem Kreuzzug teilgenommen. Er kannte das Land der Sarazenen, das peinigende Licht und Dunkel der Gefängnisse – und auch die Sehnsucht, die man dort verspürte. Nun sah er, wie Bruder Jerome in heiliger Entrüstung die Augen schloss, nachdem ein so intimes weibliches Kleidungsstück erwähnt worden war, und von krampfhaften Zuckungen geschüttelt wurde. Wahrscheinlich, weil er einer Frau noch nie nahe genug gekommen ist, um ihr Hemd zu berühren, dachte Bruder Cadfael, der eher zur Milde gegenüber dem jungen Sünder neigte. Entsetzen bebte durch die Reihen einiger alter unschuldiger Brüder, die ihr ganzes Leben im Kloster verbracht hatten und einen Teil der Schöpfungsgeschichte als verbotenes Buch betrachteten. Cadfael meldete sich zu Wort, was im Kapitelsaal nur selten vorkam, und fragte sanft, wie sich der Bursche verteidigt hätte.

»Er sagte«, berichtete Bruder Paul, »er hätte das Lied von seinem Großvater gelernt, der bei der Eroberung Jerusalems für das Kreuz gekämpft hatte. Und er fände das Lied so schön, dass es ihm heilig erschien. Denn der Pilger, der es gesungen hätte, wäre weder ein Mönch noch ein Soldat gewesen, sondern ein ganz gewöhnlicher Mensch, der die lange Reise aus Liebe unternommen hätte.«

»Aus guter, heiliger Liebe«, betonte Bruder Cadfael und gebrauchte Worte, die ihm ganz natürlich erschienen, denn er hielt die Liebe für eine Kraft, die sich selbst heiligte und keiner Entschuldigung bedurfte. »Lässt das Lied erkennen, dass die Liebste, von der er sich getrennt hatte, nicht seine Gattin gewesen wäre? Ich denke nicht. Und die Melodie ist bemerkenswert schön. Sicher ist es nicht die Aufgabe unseres Ordens, das Sakrament der Ehe zu verurteilen und jene zu verachten, die nicht unter dem Zwang des Zölibats stehen. Ich glaube nicht, dass dieser junge Mann etwas Schlimmes verbrochen hat. Vielleicht sollte der Bruder Kantor prüfen, ob er eine schöne Singstimme hat. Die Menschen, die bei der Arbeit singen, fühlen zumeist den Drang, ein gottgegebenes Talent zu nutzen.«

Der verwirrte Kantor, dem nicht allzu viele Sänger zur Verfügung standen, erklärte sofort, dass er den Novizen gern würde singen hören. Prior Robert zog die strengen Brauen zusammen und rümpfte die aristokratische Nase. Wäre es nach ihm gegangen, hätte er den Sünder hart bestraft. Doch der Novizenmeister war kein Verfechter erbarmungsloser disziplinarischer Maßnahmen, und jetzt schien er sich zu freuen, weil das Vergehen seines Schülers einem guten Zweck dienen würde. »Er war stets eifrig und lernwillig, Vater Abt, und ist erst seit kurzer Zeit bei uns. In konzentrierten Augenblicken kommt es öfter vor, dass man sich vergisst. Und seine Abschriften sind sauber und sorgfältig gemacht.«

Der Sänger kam mit einer geringfügigen Strafe davon, die ihn nicht einmal so lange auf den Knien festhalten würde, dass er sich steifbeinig erheben musste. Abt Heribert neigte stets zur Milde, und an diesem Morgen wirkte er noch zerstreuter als sonst. Die Besprechung der Alltagsprobleme näherte sich dem Ende. Plötzlich erhob sich der Abt, als wollte er die Sitzung schließen.

»Da wären noch ein paar Dokumente zu siegeln«, verkündete Bruder Matthew, der Kellermeister, und raschelte hastig mit seinen Pergamenten, denn er hatte das Gefühl, dass der Bruder Abt mit seinen Gedanken ganz woanders war und seine Pflichten aus den Augen verloren hatte. »Es geht um die Lehensfarm Hales und um Walter Aylwins Übertragung, auch um die Vereinbarung mit unseren künftigen Gästen Gervase Bonel und seiner Frau, denen wir das erste Haus hinter dem Mühlenteich zuweisen wollen. Master Bonel möchte so bald wie möglich einziehen, noch vor Weihnachten ...«

»Jaja, das habe ich nicht vergessen.« In würdevoller Resignation stand Abt Heribert vor ihnen, ein Pergament in den Händen. »Ich muss euch allen etwas mitteilen. Diese wichtigen Dokumente können heute nicht gesiegelt werden, aus einleuchtenden Gründen. Es wäre möglich, dass ich nicht mehr dafür zuständig bin und nicht mehr länger das Recht habe, die Geschicke unseres Ordens zu lenken. Ich habe hier Instruktionen aus Westminster, vom königlichen Hof, die mir gestern überbracht wurden. Ihr alle wisst, dass Papst Innozenz König Stephens Thronanspruch anerkannt und einen Gesandten mit allen Vollmachten zu seiner Unterstützung nach England geschickt hat – Alberic, den Kardinalbischof von Ostia. Der Kardinal schlägt vor, in London ein Legatenkonzil zum Zwecke der Kirchenreformation abzuhalten. Ich soll daran teilnehmen und über meine Tätigkeit als Abt dieses Klosters Rechenschaft ablegen. Die Bedingungen sind eindeutig«, fuhr Abt Heribert traurig fort. »Mein Amt steht den Legaten zur Verfügung. Wir haben ein böses Jahr hinter uns und wurden zwischen zwei Thronprätendenten hin- und hergerissen. Es ist kein Geheimnis, das gebe ich gern zu, dass mir seine Gnaden, als er uns im Sommer besuchte, nicht gerade wohlgesinnt war. Denn im Chaos des Zeitenwandels sah ich meinen Weg nicht so klar vor Augen und erkannte seine Souveränität nur zögernd an. Deshalb glaube ich jetzt, dass ich die Pflichten des Abtes nicht mehr wahrnehmen kann, bevor mich das Legatenkonzil in meinem Amt bestätigt hat. Ich kann im Namen unseres Hauses keine Dokumente oder Vereinbarungen siegeln. Was unerledigt ist, muss unerledigt bleiben, bis eine Entscheidung getroffen wurde. Ich darf mir keine Befugnisse anmaßen, die vielleicht einem anderen zustehen.«

Er hatte gesagt, was er zu sagen hatte, setzte sich wieder und faltete geduldig die Hände, während das zunächst leise, bestürzte Gemurmel allmählich zu einem lauten, ärgerlichen Stimmengewirr anschwoll. Doch nicht alle waren entsetzt, wie Bruder Cadfael klar erkannte. Prior Robert, ebenso überrascht wie die anderen, mimte zwar Erschütterung, frohlockte jedoch hinter der Fassade seines Elfenbeingesichts und zog die offensichtlichen Schlüsse. Und Bruder Jerome, der auch die stummen Botschaften des Priors schnell zu deuten wusste, rieb sich im Schutz seiner weiten Kuttenärmel beglückt die Hände, während sein Gesicht frommen Schmerz und Mitgefühl ausdrückte. Nicht, dass die beiden irgendetwas gegen Heribert hatten, abgesehen von dem Umstand, dass er schon viel zu lange ein Amt bekleidete, auf das ungeduldige Untergebene begehrliche Blicke warfen. Natürlich war er ein netter alter Mann, aber nicht mehr zeitgemäß, und er hielt die Zügel viel zu locker in der Hand – wie ein König, der zu lange lebt und dadurch Meuchelmörder anlockt. Aber die anderen schwirrten in panischer Erregung umher, wie Hühner, die von einem Fuchs heimgesucht wurden, und schrien durcheinander.

»Vater Abt, der König wird dich sicher in deinem Amt bestätigen!«

»O Vater, musst du wirklich an diesem Konzil teilnehmen?«

»Wir werden uns wie Schafe vorkommen, die ihres Hirten beraubt wurden!«

Prior Robert, der sich durchaus befähigt fühlte, die Herde von St. Peter zu kommandieren, wenn es sein musste, warf jenem jammernden Bruder einen kurzen Basiliskenblick zu, verzichtete aber auf einen Einwand und erklärte stattdessen, wie sehr er die Entwicklung der Dinge bedauerte.

»Aufgrund meines Gelübdes bin ich der Kirche verpflichtet«, sagte Abt Heribert traurig, »und als getreuer Sohn muss ich ihrem Ruf folgen. Wenn es der Kirche gefällt, mich weiterhin im Amt zu belassen, werde ich zurückkehren und wieder euer Hirte sein. Wenn ein anderer meinen Platz einnehmen soll, werde ich ebenfalls zurückkommen, falls es mir gestattet ist, und unter der Herrschaft des neuen Abtes als treuer Bruder in eurer Mitte leben.«

Cadfael glaubte ein schwaches Lächeln auf Roberts Lippen zu erkennen. Es würde den Prior keineswegs stören, seinen früheren Vorgesetzten endlich als gewöhnlichen Bruder unter seiner Herrschaft zu sehen.

»Aber es steht wohl fest«, fuhr Heribert demütig fort, »dass ich die Rechte des Abts nicht beanspruchen kann, bis die Sache geregelt ist. Deshalb müssen all diese Angelegenheiten bis zu meiner Rückkehr warten – oder bis zum Amtsantritt des neuen Abtes. Ist irgendetwas besonders dringlich?«

Bruder Matthew blätterte in seinen Pergamenten und dachte nach, immer noch verstört angesichts der unerwarteten Neuigkeit. »Aylwins Übertragungsurkunde hat keine Eile. Er ist ein alter Freund unseres Ordens, und sein Angebot wird sicher so lange gelten, wie es nötig erscheint. Und der Lehensvertrag mit Hale läuft erst zu Mariä Verkündigung im nächsten Jahr ab, also können wir uns auch damit Zeit lassen. Aber Master Bonel verlässt sich drauf, dass das Dokument baldmöglichst gesiegelt wird. Er möchte seine Sachen in das Haus bringen.«

»Erkläre mir doch noch einmal die Bedingungen«, bat der Abt. »In letzter Zeit hatte ich so viel im Kopf – und so habe ich leider vergessen, was vereinbart wurde.«

»Nun, er überträgt uns sein Haus Mallilie mit mehreren Pachtgütern, und dafür möchte er das Wohnrecht in der Abtei erhalten, im ersten Haus an der Stadtseite des Mühlenteichs. Es steht leer, und er sagt, es wäre genau das Richtige für seine Frau, ihn selbst sowie zwei Dienstboten. Die Einzelheiten entsprechen den Abmachungen, die in einem solchen Fall üblich sind. Die Bonels bekommen täglich zwei Laibe Mönchsbrot und einen Laib Dienstbotenbrot, zwei Gallonen Traditionsbier und eine Gallone Dienstbotenbier, an Fleischtagen ein Fleischgericht aus der Klosterküche, wie es den Wachtmeistern der Abtei zusteht, und an Fischtagen ein Fischgericht sowie zusätzliche Mahlzeiten, wann immer es besondere Leckerbissen gibt. Ihr Diener wird die Speisen jeweils holen. Sie erhalten auch täglich ein Fleisch- oder Fischgericht für ihre beiden Angestellten. Außerdem kann Master Bonel alljährlich eine Kutte beanspruchen, wie die älteren Klosterbeamten, und seine Frau möchte zehn Shilling im Jahr, sodass sie sich selbst ihre Kleidung aussuchen kann. Dazu kommen noch zehn Shilling pro Jahr für Wäsche, Schuhe, Brennholz und Verpflegung eines Pferdes. Falls einer der Bonels stirbt, steht dem anderen weiterhin das Recht zu, in dem Haus zu wohnen und die Hälfte der oben genannten Lebensmittel und Summen in Empfang zu nehmen. Allerdings brauchen wir für den Fall, dass Mistress Bonel ihren Mann überlebt, kein Pferd mehr für sie zu halten. Dies sind die Bedingungen, und ich wollte nach der Kapitelsitzung die Genehmigung bezeugen lassen. Der Richter hat einen Schreiber hergeschickt.«

»Ich fürchte, dass auch diese Sache warten muss«, sagte der Abt seufzend. »Meine Rechte sind in der Schwebe.«

»Das wird Master Bonel sehr unangenehm sein«, meinte der Kellermeister besorgt. »Die beiden haben ihre Übersiedlung schon vorbereitet und erwarten, dass sie das Haus in den nächsten Tagen beziehen können. Weihnachten steht vor der Tür – und wir können sie nicht im Ungewissen lassen.«

»Man könnte ihnen doch erlauben, hierher zu übersiedeln, auch wenn die offizielle Genehmigung noch warten muss«, schlug Prior Robert vor. Nachdem niemand bezweifelte, dass er Heriberts Nachfolge antreten würde und mit König Stephen auf viel besserem Fuß stand als sein Vorgänger, sprach er mit siegessicherer Autorität.

Der Abt nickte erleichtert. »Ich glaube, das wäre zulässig. Gut, Bruder Matthew. Die Bonels sollen bei uns Einzug halten, die offizielle Genehmigung wird sicher bald erfolgen. Das kannst du unseren Gästen versichern. Sie sollen sich noch vor Weihnachten bei uns einleben, damit sie das Fest genießen können. Gibt es noch andere Fälle, um die wir uns kümmern müssen?«

»Nein, Vater«, antwortete Bruder Matthew, dann fragte er bedrückt und nachdenklich: »Wann musst du abreisen?«

»Übermorgen. Ich kann nicht mehr so schnell reiten, und wir werden mehrere Tage auf der Straße verbringen. Während meiner Abwesenheit wird natürlich Prior Robert das Kloster leiten.«

Geistesabwesend hob Heribert seine Hand, um die Mönche zu segnen, und verließ den Kapitelsaal. Prior Robert eilte ihm nach, in der offensichtlichen Überzeugung, die Benediktinerabtei St. Peter und St. Paul in Shrewsbury schon jetzt unter Kontrolle zu haben. Und er hegte zweifellos die Absicht, ihr bis an sein Lebensende vorzustehen.

In traurigem Schweigen gingen die Brüder hinaus, um dann gedämpfte, aber erregte Gespräche zu führen, sobald sie sich in dem großen Hof verteilt hatten. Heribert war seit elf Jahren ihr Abt – ein gutmütiger, umgänglicher Mann, vielleicht ein wenig zu großzügig. Bangen Herzens sahen sie den möglichen Veränderungen entgegen.

Eine halbe Stunde vor dem Hochamt um zehn Uhr wanderte Cadfael gedankenverloren zu seinem Schuppen im Kräutergarten, um ein paar Pflanzen zu inspizieren, die er züchtete. Der gepflegte, von dichten Hecken eingefriedete Garten sah nach den ersten kalten Nächten dürr und öde aus. Die Blätter welkten und färbten sich braun, die zarteren Pflänzchen zogen sich in die Wärme des Erdreichs zurück. Aber in der Luft lag immer noch eine Erinnerung an sommerliche Düfte, und die würzigen Aromen, die sich im Schuppen mischten, wirkten fast betäubend. Cadfael kam oft hierher, um in Ruhe nachzudenken. Er war gewöhnt an die starken, berauschenden Gerüche und nahm sie kaum wahr. Aber wenn es nötig gewesen wäre, hätte er die Quellen aller einzelnen Düfte bestimmen können.

König Stephen hatte also seinen alten Groll nicht vergessen, und Abt Heribert sollte der Sündenbock für Shrewsburys Widerstand gegen die Inthronisierung des Regenten sein. Von Natur aus war Stephen kein rachsüchtiger Mann. Vielleicht wollte er dem päpstlichen Gesandten schmeicheln, nachdem Innozenz ihn als König von England anerkannt hatte, und sich im Kampf gegen seine Rivalin, Kaiserin Maud, der Unterstützung des Vatikans versichern, einer Waffe, die man nicht unterschätzen durfte. Diese entschlossene Frau würde nicht so leicht aufgeben und ihren Anspruch mit Nachdruck in Rom vertreten, sodass sich der Papst vielleicht anders besinnen könnte. Deshalb würde man Alberic von Ostia, der die Kirche reformieren wollte, keine Steine in den Weg legen. Und Heribert könnte das Opfer sein, das man dem Fanatismus des Kardinalbischofs bringen würde.

Ein weiterer Sachverhalt drängte sich immer wieder in Cadfaels Überlegungen – die Position der sogenannten Klostergäste, jener Seelen, die – manchmal schon in jungen Jahren – die werktätige Welt verließen und ihr Erbe der Abtei schenkten, um auf deren Grund und Boden ein beschauliches, beschütztes, müßiges Leben zu führen und mit allen lebensnotwendigen Gütern versorgt zu werden, ohne einen Finger zu rühren ... Träumten sie schon jahrelang davon, während sie schweißgebadet lammenden Mutterschafen beistanden, die Ernte einbrachten oder harte Arbeit in irgendwelchen Handelszweigen verrichteten? Träumten sie von einem kleinen irdischen Paradies, wo Mahlzeiten vom Himmel fielen und wo man nichts anderes zu tun brauchte, als im Sommer sonnenzubaden und im Winter mit einem Becher Warmbier am Feuer zu sitzen? Und wenn sie ihr Ziel erreicht hatten – wie lange dauerte die Freude an? Wann hatten sie es satt, nichts zu tun – nichts tun zu müssen? Cadfael konnte es verstehen, wenn sich ein Blinder, Lahmer oder Kranker zu einer solchen Lebensweise entschloss. Aber dass es gesunde, kräftige Leute gab, die dem Müßiggang frönen wollten, würde ihm immer ein Rätsel bleiben. Es musste noch andere Beweggründe geben. Nicht jeder stand in dem Wahn, dass Trägheit dasselbe bedeutete wie Glück. Was sonst konnte einen Menschen zu einer solchen Entscheidung treiben? Der Wunsch nach einem Erben? Eine gewisse Vorliebe für das Klosterleben, wobei der Mut fehlte, es in letzter Konsequenz zu führen? Vielleicht! Ein verheirateter Mann im vorgeschrittenen Alter, der sich bereits Gedanken über sein Ende machte, könnte sich von solchen Erwägungen leiten lassen. So manche Männer hatten Mönchskutten angezogen, nachdem sie Kinder und Enkel bekommen und ein ereignisreiches Leben geführt hatten. Der Gästestatus könnte ein Markstein auf diesem Weg sein. Oder war es denkbar, dass sich ein Mann seines Lebenswerks beraubte, weil er der Welt grollte, einem unbotmäßigen Sohn oder der Bürde, mit seiner eigenen Seele zurechtkommen zu müssen?

Bruder Cadfael schloss den kräftigen Duft des Weißen Andorns, aus dem er eine Hustenmedizin brauen wollte, im Schuppen ein und ging mit ernster Miene zum Hochamt.

An einem grauen Morgen ritt Abt Heribert auf der Londoner Straße dahin und kehrte Shrewsbury den Rücken. Zum ersten Mal in diesem Herbst war das Gras von einer Frostschicht bedeckt. Bruder Emanuel, sein Schreiber, und die beiden dienstältesten Laienbrüder begleiteten ihn. Er saß auf seinem weißen Maultier und gab sich fröhlich, als er aufbrach, und machte trotzdem eine traurige Figur. Nicht einmal in jüngeren Jahren war er ein guter Reiter gewesen, und jetzt kauerte er in seinem hohen, schaukelnden Sattel, in sich zusammengesunken wie ein kleiner, unzureichend gefüllter Sack. Viele Brüder standen am Klostertor und sahen ihm angstvoll und betrübt nach, bis er aus ihrem Blickfeld verschwunden war. Auch ein paar Schüler waren erschienen und schauten noch unglücklicher drein, denn der Abt hatte Bruder Paul gestattet, die Schule nach seinem eigenen Gutdünken, also höchst duldsam zu leiten. Doch wenn Prior Robert das Regiment übernahm, würde keine einzige Abteilung in diesem Haus unbehelligt bleiben, und man musste mit strengen disziplinarischen Reglementierungen rechnen.

Cadfael gestand sich ein, dass die Abtei durchaus eine etwas strengere Disziplin vertragen konnte. In letzter Zeit hatte sich Heribert, tief enttäuscht von der menschlichen Welt, immer mehr zurückgezogen, um im Gebet Trost zu suchen. Die Belagerung und der Fall von Shrewsbury, das damit verbundene Blutvergießen und die wilden Rachegedanken hätten genügt, um auch die robustesten Naturen zu deprimieren, wenn das auch keine Entschuldigung für das Versäumnis war, das Recht zu verteidigen und das Unrecht zu bekämpfen. Aber es gab Zeiten, wo die Alten ermüdeten und die Last der Führerschaft zu schwer wurde. Vielleicht – vielleicht! – wäre Heribert nicht mehr so traurig, wenn man ihm diese Last abnehmen würde.

An diesem Tag ging es bei der Morgenmesse und bei der Kapitelversammlung höchst gesittet und ruhig zu, das Hochamt wurde in tiefer Frömmigkeit zelebriert, das Tagewerk pflichtbewusst erledigt. Robert war viel zu sehr auf seine äußere Wirkung bedacht, um sich vor Zeugen die Hände zu reiben oder über die Lippen zu lecken. Er hielt sich an die Gesetze der Gerechtigkeit und des Glaubens kraft seiner heiligen Autorität. Doch er war nicht gewillt, auf ein einziges seiner Privilegien zu verzichten.

Cadfael war es gewöhnt, dass man ihm während seiner aktivsten Monate zwei Gärtnergehilfen zuteilte, denn er züchtete nicht nur Kräuter in seinem ummauerten Garten. Der Küchengarten der Abtei lag allerdings außerhalb der Enklave auf der anderen Seite der Hauptstraße, am Rand des fruchtbaren Ackerlands am Flussufer, des sogenannten Gaye. In der Regenzeit bewässerte der Severn den ertragreichen Boden. In Cadfaels geschlossenem Garten wuchsen kleine, empfindliche Pflanzen, und am Meole-Bach, der die Mühle in Gang setzte, baute er Kohl, Erbsen und Bohnen an. Jetzt, wo der Winter bevorstand und das Erdreich sich ebenso schlafen legte wie die Igel, die sich unter den Hecken zwischen trockenem Gras und welken Blättern verkrochen, hatte er nur mehr einen Gehilfen. Ein Novize ging ihm zur Hand, wenn er seine Medizinen braute, seine Pillen drehte, in seinen Ölen rührte und Breiumschläge zubereitete. Nicht nur die Mönche suchten seinen ärztlichen Rat, sondern auch die Stadtbewohner und die Leute vom Foregate. Manchmal kamen sogar Kranke aus den umliegenden Dörfern zu ihm. Er hatte diese Wissenschaft nicht studiert, sondern nur aus seinen Erfahrungen gelernt, und im Laufe der Jahre hatte er sich so viele Kenntnisse angeeignet, dass sich einige Patienten lieber von ihm behandeln ließen als von anerkannten Ärzten.

In diesem Herbst diente ihm ein achtzehnjähriger Novize als Gehilfe, Bruder Mark, Vollwaise und lästiges Ärgernis eines verantwortungsscheuen Onkels, der ihn schon vor zwei Jahren ins Kloster geschickt hatte, um ihn loszuwerden. Wortkarg, vereinsamt und heimwehkrank war er in der Abtei eingetroffen, ein zarter Bursche, der noch jünger wirkte, als es seinen Jahren entsprach, und mit ängstlicher Unterwürfigkeit alle Aufträge erfüllte, als wäre es sein höchstes Lebensziel, Bestrafungen aller Art zu entrinnen. Nach ein paar Monaten gemeinsamer Gartenarbeit mit Cadfael hatte sich seine Zunge allmählich gelockert, und seine Angst war verflogen. Er war immer noch klein für sein Alter und sehr vorsichtig, wann immer er Autoritätspersonen begegnete, aber gesund und kräftig und ein tüchtiger Gärtner. Was die Herstellung der Arzneien betraf, so war er ein gelehriger, interessierter Schüler. Im Kreis seiner Kollegen blieb er stumm wie eh und je. Er sprach nur bei der Gartenarbeit, und auch dann nur mit Cadfael. Trotz seiner schweigsamen Zurückhaltung im Kreuzgang und im Hof war es Mark, der seinem Meister alle Klatschgeschichten brühwarm erzählte – noch bevor sie sich in der ganzen Abtei verbreiteten.

Eine Stunde vor der Abendandacht kam er von der Mühle zurück, wo er einen Auftrag erfüllt hatte, und wusste Neuigkeiten zu berichten. »Weißt du, was Prior Robert getan hat, Bruder Cadfael? Er ist in die Wohnung des Abtes gezogen! Wirklich und wahrhaftig! Und der Bruder Subprior soll von heute an in der Zelle des Priors schlafen! Und dabei hat sich das Tor gerade erst hinter Abt Heribert geschlossen! Ich finde das sehr anmaßend!«

Das fand Cadfael auch, aber er fühlte sich nicht bemüßigt, dies seinem Gehilfen mitzuteilen oder diesem solch freimütige Äußerungen zu gestatten. »Es steht dir nicht zu, deine Vorgesetzten zu beurteilen«, sagte er sanft, »zumindest hast du kein Recht dazu, solange du dich nicht in ihre Lage versetzen und diese oder jene Probleme aus ihrem Blickwinkel betrachten kannst. Vielleicht hat Abt Heribert den Prior gebeten, in seine Wohnung zu ziehen. Es wäre doch denkbar, dass dadurch Prior Roberts Autorität als Klosterleiter dokumentiert werden soll, während unser Abt verreist ist. Jene Räume sind jeweils dem geistigen Vater unserer Abtei vorbehalten.«

»Aber Prior Robert ist nicht unser geistiger Vater, noch nicht! Und wenn Abt Heribert diese Übersiedlung gewünscht hätte, wäre sie bei der Kapitelsitzung zur Sprache gekommen. Zumindest hätte er es dem Bruder Subprior gesagt. Aber das hat er nicht getan. Ich habe dem Bruder Subprior angesehen, dass er erstaunt und entsetzt war. Er hätte sich niemals solche Freiheiten herausgenommen.«

Wie wahr, dachte Cadfael und zerstampfte emsig Wurzeln in einem Mörser. Bruder Richard, der Subprior, wäre der letzte gewesen, der sich eine solche Willkür angemaßt hätte. Er war ein großer, gutmütiger Mann – und so friedliebend, dass es beinahe schon als Trägheit ausgelegt werden konnte. Niemals würde er von sich aus eine Beförderung anstreben, nicht einmal auf legitime Weise. Bald könnten jüngere, wagemutigere Brüder Mittel und Wege finden, um den Führungswechsel zu ihrem Vorteil zu nutzen. Wenn Richard in der Zelle des Priors nächtigte, die direkt neben dem Schlafsaal lag, würde es so manchem Sünder viel leichter fallen, hinauszuschlüpfen, nachdem man die Lichter gelöscht hatte. Selbst wenn das Vergehen entdeckt werden sollte, würde es der Subprior vermutlich niemals melden, geschweige denn bestrafen. Wann immer Ärgernisse auftauchten, pflegte er Augen und Ohren zu verschließen.

»Die Diener in der Wohnung des Abtes sind ganz verzweifelt«, erzählte Bruder Mark. »Du weißt doch, wie treu sie unserem Abt Heribert ergeben sind, und jetzt werden sie gezwungen, einem anderen zu dienen – noch bevor es offiziell bestätigt wurde, dass unser Abt sein Amt niederlegen muss! Bruder Henry meint, das wäre Blasphemie. Und Bruder Petrus schaut drein wie fünf Tage Regenwetter und murmelt schauderhaftes Zeug in seine Kochtöpfe. Er sagt, sobald Prior Robert einen Fuß in diese Wohnung gesetzt hätte, würde man Schierlingsgift brauchen, um ihn wieder rauszukriegen, wenn Abt Heribert zurückkommt.«

Das konnte sich Cadfael gut vorstellen. Bruder Petrus war der langjährige Koch des Abtes, ein schwarzhaariger, glutäugiger Barbar aus dem schottischen Grenzland. Er neigte zu ungestümen, maßlosen Äußerungen, die niemand sonderlich ernst nahm – wenn man auch nicht genau wusste, in welchen Fällen es trotz aller Vorbehalte ratsam wäre, auf ihn zu hören.

»Wie du sehr wohl weißt, sagt Bruder Petrus vieles, was er nicht sagen dürfte, aber er meint es niemals böse. Er ist ein ausgezeichneter Koch und wird weiterhin köstliche Speisen auf den Tisch des Abtes bringen – wer immer auch am Kopfende sitzen mag, weil er gar nicht anders kann.«

»Aber glücklich wird er nicht dabei sein«, erwiderte Bruder Mark im Brustton der Überzeugung.

Der friedliche Tagesablauf war zweifellos schwer erschüttert worden. Doch die klösterliche Ordnung war so fest gefügt, dass jeder Bruder, mochte er nun glücklich sein oder nicht, gewissenhaft seinen Pflichten nachging.

»Wenn Abt Heribert in seinem Amt bestätigt wurde und zurückkommt«, sagte Bruder Mark aus einem inbrünstigen Wunschdenken heraus, »wird sich Prior Robert die Nase verrenken.« Der Gedanke, dass dieses edle, strenge Organ plötzlich schief im Gesicht des Priors sitzen könnte wie die misshandelte Nase eines alten Soldaten, tröstete den jungen Mann und er musste sogar lachen. Cadfael brachte es nicht übers Herz, mit ihm zu schimpfen, da diese Vision auch für ihn gewisse Reize hatte.

Am Nachmittag kam Bruder Edmund, der Krankenpfleger, in Cadfaels Schuppen, um ein paar Arzneien für seine Patienten zu holen. Der Frost, der auf die milden Tage gefolgt war, hatte einige junge Brüder überrumpelt. Sie litten an einem heftigen Schnupfen, den man nur in den Griff bekommen konnte, wenn man die Opfer isolierte, großteils Mönche, die auf den Berghängen die Schafe hüteten. Vier dieser jungen Männer lagen nun im Hospital, zusammen mit den alten Brüdern, die dort ihre Tage verbrachten und abgesehen von ihren religiösen Pflichten keine Aufgaben mehr zu erfüllen hatten, während sie auf ihr Ende warteten.

»Die Burschen brauchen nur ein paar Tage im warmen Bett zu bleiben, dann werden sie von selbst wieder gesund«, meinte Cadfael und füllte eine bräunliche Flüssigkeit, die scharf, süß und aromatisch roch, von einer größeren Flasche in eine kleinere. »Aber es ist natürlich nicht nötig, dass sie sich unwohl fühlen, und sei es auch nur für ein paar Tage. Gib ihnen zwei- bis dreimal am Tag einen Löffel von dieser Medizin, dann wird es ihnen bald besser gehen.«

»Was ist denn da drin?«, fragte Bruder Edmund neugierig. Die meisten von Bruder Cadfaels Rezepturen kannte er bereits, aber er wusste, dass in diesem Schuppen ständig experimentiert wurde. Manchmal fragte er sich, ob Cadfael die neuen Medikamente an sich selbst ausprobierte.

»Rosmarin, Weißer Andorn und Steinbrech, vermischt mit Flachssamenöl und einem roten Wein, den ich aus Kirschen und ihren Steinen gebraut habe. Diese Arznei ist gut gegen Schnupfen, auch gegen Husten.« Sorgsam steckte Cadfael den Stöpsel in die große Flasche und wischte den Hals ab. »Hast du noch einen Wunsch? Vielleicht irgendwas für die alten Knaben? Sicher regen sie sich schrecklich auf über die diversen Neuigkeiten. Wenn die Menschen erst mal über sechzig sind, hassen sie Veränderungen.«

Bruder Edmund nickte wehmütig. »Vor allem solche Veränderungen ... Sie wussten gar nicht, wie sehr sie Heribert lieben. Das merken sie erst jetzt, wo sie ihn verloren haben.«

»Glaubst du wirklich, dass wir ihn verloren haben?«

»Ich befürchte es. Nicht, dass Stephen nachtragend wäre – aber er wird tun, was der Gesandte will, um dem Papst Honig um den Bart zu schmieren. Und glaubst du, dass ein fanatischer Reformator, der in unserem Reich die Möglichkeit erhält, die Kirche nach seinem Geschmack umzuformen, an unserem guten kleinen Abt Gefallen finden wird? Stephen hat die Saat des Zweifels gesät, als er noch wütend auf uns war. Aber jetzt ist es Alberic von Ostia, der unseren lieben Abt prüfen und für zu weichlich befinden wird.« Bruder Edmund seufzte tief auf. »Ich könnte noch ein Töpfchen von deiner Salbe gegen Druckbrand gebrauchen. Bruder Adrian hat sich schon wieder ganz wund gelegen. Er wird nicht mehr lange Buße tun müssen, die arme Seele.«

»Sicher hat er schreckliche Schmerzen, wenn du ihn auf die Seite drehst, um ihn einzusalben«, meinte Cadfael.

»Er besteht nur noch aus Haut und Knochen, und es ist sehr mühselig, ihm ein paar Bissen einzuflößen. Er welkt einfach dahin – wie ein Blatt im Herbst.«

»Wenn du ihn hochheben willst und Hilfe benötigst – lass mich rufen. Dazu bin ich ja schließlich da. So, hier hast du deine Salbe. Ich glaube, sie ist besser denn je, denn ich habe mehr Labkraut hineingetan als sonst.«

Bruder Edmund legte die Flasche und das Töpfchen in seine Tasche und überlegte, ob er noch weiterer Arzneien bedurfte. Nachdenklich rieb er sich das spitze Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger. Plötzlich wehte ein kalter Windstoß zur Tür herein. Sie wandten beide die Köpfe – so abrupt, dass der junge Mann, der die Tür einen Spaltbreit geöffnet hatte, verstört zurückwich.

»Mach die Tür zu, Junge!«, rief Cadfael und zog fröstelnd die Schultern hoch.

»Verzeih, Bruder!«, erwiderte eine unterwürfige Stimme hastig. »Ich warte draußen, bis du Zeit für mich hast.« Die Tür begann sich vor einem schmalen, dunklen, ängstlichen Gesicht zu schließen.

»Nein, nein«, entgegnete Cadfael ungeduldig, »so hab ich’s nicht gemeint. Komm nur herein in die Wärme und mach schnell die Tür zu, damit uns dieser böse Wind nichts mehr anhaben kann. Wenn er noch lange hereinbläst, fängt die Kohlenpfanne an zu rauchen. Ich werde mich gleich um dich kümmern, wenn der Bruder Krankenpfleger alles hat, was er braucht.«

Die Tür ging gerade so weit auf, dass ein dünner Bursche hereinschlüpfen konnte, dann wurde sie sofort wieder zugeworfen, und er lehnte sich dagegen.

Es war ihm anzumerken, dass er sich am liebsten unsichtbar gemacht hätte, wenn sein Blick auch neugierig über die duftenden trockenen Kräuter wanderte, die von den Deckenbalken herabhingen, über die Regale mit den Töpfen und Flaschen, die Essenzen aus der sommerlichen Ernte bargen.

»Ach ja!« Jetzt war es Bruder Edmund eingefallen, was er noch brauchte. »Bruder Rhys jammert über heftige Rücken- und Schulterschmerzen. Er kann sich kaum bewegen, und ich beobachte immer wieder, wie er zusammenzuckt. Du hast doch ein Öl, das seine Beschwerden schon einmal gelindert hat.«

»O ja – einen Augenblick, ich werde ein Fläschchen für dich füllen.« Cadfael griff nach einer großen Steingutflasche und suchte in den Regalen nach einer kleineren aus Rauchglas. Vorsichtig zog er den Stöpsel aus der großen Flasche und goss ein zähflüssiges dunkles Öl, das einen kräftigen, beißenden Geruch verströmte, in die kleinere. Dann schraubte er den Holzstöpsel wieder in den Flaschenhals und drückte ihn mithilfe eines Leinentuchs fest hinein. Mit einem anderen Lappen wischte er beide Behälter ab, danach warf er ihn in die kleine Kohlenpfanne, auf der ein Steinguttopf mit einer leise brodelnden Brühe stand. »Das wird ihm helfen – vor allem, wenn du jemanden mit kräftigen Fingern findest, der ihm das Öl fest in die Gelenke reibt. Aber pass auf, dass es niemals mit deinen Lippen in Berührung kommt, Bruder Edmund. Und wasch dir die Hände, wenn du es benutzt hast. Sorg auch dafür, dass sich alle anderen, die es zwischen die Finger kriegen, gründlich waschen. Der menschlichen Haut tut dieses Öl gut, aber es darf nicht in seinen Körper gelangen. Du darfst es auch bei keinem Patienten anwenden, der eine kleine Wunde oder einen Kratzer hat. Es ist ziemlich stark.«

»Und offenbar gefährlich«, ergänzte Edmund. »Woraus besteht es denn?« Er drehte die Flasche hin und her, um zu sehen, wie langsam und klebrig das Öl über die Glaswand rann.

»Hauptsächlich aus zermahlenen Eisenhutwurzeln, vermischt mit Senf- und Flachssamenöl. Wenn man es schluckt, wird man vergiftet. Schon eine kleine Dosis könnte einen Menschen töten. Also verwahr es gut, und vergiss nicht, dir jedes Mal sofort die Hände zu waschen, wenn du es verwendet hast. Für alte, eingerostete Gelenke ist dieses Öl der reine Balsam. Bruder Rhys wird ein prickelndes Hitzegefühl verspüren, wenn man das Öl kräftig in die Haut reibt. Das betäubt den Schmerz, und danach wird er sich viel besser fühlen. Hast du jetzt alles? Wenn du willst, kann ich zu dir kommen und Bruder Rhys behandeln. Ich weiß, wo die Schmerzen sitzen, und dieses Öl muss wirklich mit aller Kraft in die Haut gerieben werden, sonst hilft es nicht.«