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Die Kult-Krimi-Serie endlich als eBook!
Die Abtei von Shrewsbury braucht eine Reliquie. Davon ist der ehrgeizige Prior Robert fest überzeugt. Und da die Gebeine von Heiligen nicht einfach auf der Straße liegen, leitet Robert höchstpersönlich eine Mönchsdelegation in ein weit entferntes walisisches Dorf, um die Gebeine einer wundertätigen Heiligen sicher in seine Abtei zu geleiten. Doch schon bald bedarf es Bruder Cadfaels ungewöhnlicher Scharfsinnigkeit, als unerklärliche Erscheinungen und fragwürdige Wunder die frommen Männer auf ihrer Mission behindern. Und dann geschieht im Namen der Heiligen sogar ein Mord!
Der Krimi ist in einer früheren Auflage bereits unter dem Titel "Im Namen des Heiligen" erschienen.
Über die Reihe: Morde und Mysterien im finsteren Mittelalter des 12. Jahrhunderts liefern den perfekten Hintergrund für die spannenden Abenteuer des Bruders Cadfael, eines ehemaligen Kreuzritters, der sich als Mönch in die Abtei St. Peter & Paul nahe Shrewsbury zurückgezogen hat. Doch ein ruhiges Leben als Kräutergärtner und Heilkundiger ist ihm nicht vergönnt: Immer wieder muss er seine detektivischen Fähigkeiten einsetzen, um Verbrechen in der Gemeinde aufzuklären.
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Seitenzahl: 336
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Über dieses Buch
Über die Reihe
Über die Autorin
Titel
Impressum
1.
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8.
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10.
11.
12.
Bruder Cadfaels nächster Fall
Bruder Cadfael und der unbekannte Tote
Bruder Cadfael und das Mönchskraut
Bruder Cadfael und der Aufstand auf dem Jahrmarkt
Bruder Cadfael und der Hochzeitsmord
Die Abtei von Shrewsbury braucht eine Reliquie. Davon ist der ehrgeizige Prior Robert fest überzeugt. Und da die Gebeine von Heiligen nicht einfach auf der Straße liegen, leitet Robert höchstpersönlich eine Mönchsdelegation in ein weit entferntes walisisches Dorf, um die Gebeine einer wundertätigen Heiligen sicher in seine Abtei zu geleiten. Doch schon bald bedarf es Bruder Cadfaels ungewöhnlicher Scharfsinnigkeit, als unerklärliche Erscheinungen und fragwürdige Wunder die frommen Männer auf ihrer Mission behindern. Und dann geschieht im Namen der Heiligen sogar ein Mord!
Der Krimi ist in einer früheren Auflage bereits unter dem Titel ”Im Namen des Heiligen” erschienen.
Morde und Mysterien im finsteren Mittelalter des 12. Jahrhunderts liefern den perfekten Hintergrund für die spannenden Abenteuer des Bruders Cadfael, eines ehemaligen Kreuzritters, der sich als Mönch in die Abtei St. Peter & Paul nahe Shrewsbury zurückgezogen hat. Doch ein ruhiges Leben als Kräutergärtner und Heilkundiger ist ihm nicht vergönnt: Immer wieder muss er seine detektivischen Fähigkeiten einsetzen, um Verbrechen in der Gemeinde aufzuklären..
Ellis Peters ist das Pseudonym der 1913 geborenen englischen Autorin Edith Pargeter. Ihre Bruder-Cadfael-Reihe erschien in 15 Sprachen und mehr als 20 Ländern und wurde erfolgreich von der BBC verfilmt. Ihr Wissen als Apothekenhelferin war der Ausgangspunkt für den kräuterkundigen Bruder Cadfael. Ellis Peters starb im Oktober 1995.
Ellis Peters
Bruder Cadfael und die Entführung der Heiligen
Aus dem Englischen von Eva Malsch
beTHRILLED
Digitale Erstausgabe
»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG
Für die Originalausgabe:
Copyright © 1977 by Ellis PetersTitel der britischen Originalausgabe: „A Morbid Taste for Bones“
Originalverlag: Macmillan, London
Für die deutschsprachige Erstausgabe:
Copyright © 1985 der deutschen Übersetzung
Titel der deutschsprachigen Erstausgabe: „Im Namen des Heiligen“
Verlag: Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München
Für diese Ausgabe:
Copyright © 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Lektorat/Projektmanagement: Rebecca Schaarschmidt
Covergestaltung: Thomas Krämer unter Verwendung von Motiven © shutterstock: Color Symphony | optimarc | Andrey_Kuzmin | dayene.designer
eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar
ISBN 978-3-7325-6926-7
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An einem schönen Morgen Anfang Mai, den man mit Recht als den Beginn der sensationellen Affäre um die Gwytherin-Reliquien betrachten konnte, hatte sich Bruder Cadfael schon lange vor Sonnenaufgang erhoben, um Kohlsämlinge umzupflanzen. Seine Gedanken galten der Geburt, dem Wachstum und der Fruchtbarkeit und keineswegs irgendwelchen Gräbern und Reliquien und Ermordungen von Heiligen oder Sündern gewöhnlicher Herkunft – fehlbaren Menschen von seiner Sorte. Nichts störte seine Ruhe außer der Notwendigkeit, zur Messe hineingehen zu müssen, zumal die halbe Stunde im Kapitel meistens zehn Minuten länger dauerte als vorgesehen. Es missfiel ihm, dass er seine Zeit dafür opfern musste. Viel lieber hätte er sie hier draußen verbracht, bei einer kongenialeren Beschäftigung inmitten seiner Pflanzen, doch er durfte seine Pflichten nicht vernachlässigen. Immerhin hatte er sich offenen Auges für dieses Klosterleben entschieden, und er konnte sich nicht über die Dinge beklagen, die ihm unattraktiv erschienen, da ihm dieses Dasein ansonsten so viel Freude machte und ihm die Befriedigung schenkte, die er auch jetzt fühlte, als er sich aufrichtete und umblickte.
Er bezweifelte, dass es im ganzen Königreich einen schöneren Benediktinergarten gab oder einen, in dem noch mehr von den Kräutern wuchsen, die man als Gewürze und Arzneien verwendete. Der Großteil der Obstgärten und Ländereien, die zur Shrewsbury-Abtei von St. Peter und St. Paul gehörten, lag nördlich der Straße, außerhalb der Mönchsenklave. Aber hier, im geschützten Garten innerhalb der Klostermauern, bei den Fischteichen des Abts und dem Bächlein, das die Mühle der Abtei betrieb, herrschte Bruder Cadfael unangefochten. Vor allem das Herbarium war sein Königreich, denn er hatte es in fünfzehnjähriger Arbeit schrittweise gestaltet und um viele exotische Pflanzen bereichert, die er eigenhändig und sorgsam gezüchtet hatte. Diese Pflanzen hatte er von den Reisen mitgebracht, die ihn in seiner Jugend nach Venetien, Zypern und ins Heilige Land geführt hatten. Bruder Cadfael war erst in späten Jahren Mönch geworden – wie ein angeschlagenes Kriegsschiff, das endlich in einem stillen Hafen seine Ruhe findet. Er wusste sehr wohl, dass die Novizen und Laienbrüder während seiner ersten Klosterjahre auf ihn gezeigt und ehrfürchtig über ihn getuschelt hatten.
»Seht ihr den Bruder, der dort im Garten arbeitet – den untersetzten Burschen mit dem schlingernden Seemannsgang? Wenn man ihn so anschaut, möchte man nicht glauben, dass er in seiner Jugend an Kreuzzügen teilgenommen hat. Er war mit Godfrey de Bouillon in Antiochia, als es von den Sarazenen erobert wurde. Und er fuhr als Kapitän zur See, als der König von Jerusalem die ganze Küste des Heiligen Landes beherrschte, und er kämpfte zehn Jahre lang gegen die Korsaren! Schwer zu glauben, was?«
Bruder Cadfael selbst fand seine wechselvolle Laufbahn keineswegs ungewöhnlich. Er hatte nichts davon vergessen, und er bereute nichts. Auch sah er keinen Widerspruch in der Tatsache, dass er die vielen Schlachten und Abenteuer ebenso genossen hatte, wie er jetzt Freude an der stillen Abgeschiedenheit fand. Um der Wahrheit die Ehre zu geben – die Stille wurde mit kleinen Bosheiten gewürzt, wann immer sich eine Gelegenheit dazu ergab, ebenso, wie er seine Speisen gut gewürzt liebte. Doch er glich trotzdem einem Schlachtschiff, das zur Ruhe gekommen war und dies zu würdigen wusste. Wahrscheinlich dachten die jungen Brüder, die ihn beobachteten, dass es in einem Leben wie dem seinen auch Begegnungen mit Frauen gegeben haben musste, und keineswegs nur ritterlicher Art – und sie fragten sich sicher, ob dies die richtige Grundlage für ein mönchisches Dasein war.
Was die Frauen betraf, so hatten sie recht. Abgesehen von Richildis, die verständlicherweise keine Lust gehabt hatte, zehn Jahre lang auf seine Rückkehr zu warten, und die Frau eines braven Mannes ohne kriegerische Ambitionen, aber mit guten Zukunftsaussichten geworden war, konnte er sich auch an andere Frauen in vielen Ländern erinnern. Dies waren für beide Seiten angenehme Zwischenspiele gewesen, die weder dem einen noch dem anderen Schaden zugefügt hatten. Bianca, die aus einem Steinbrunnen in Venedig Wasser geschöpft hatte – Arianna, die griechische Bootsfahrerin – Mariam, die Sarazenenwitwe, die in Antiochia Gewürze und Obst verkauft und der er für eine Weile den verstorbenen Gatten ersetzt hatte ... Es waren flüchtige und auch ernsthaftere Begegnungen gewesen, und keine einzige hatte gebrochene Herzen hinterlassen. Dies betrachtete er als Erfolg, und dass er diese Frauen gekannt hatte, trug zu der harmonischen Ausgeglichenheit bei, die ihm jetzt, in seinem abgeschiedenen, beschaulichen Leben, Befriedigung verschaffte und die ihm zu geduldiger Weisheit verhalf, sodass er den Umgang mit diesen schlichten Gemütern ertrug, die ihr Leben dem Benediktinerorden geweiht hatten. Für ihn war das Klosterdasein ein rechtzeitig erfolgter Rückzug. Wenn man alles andere schon getan hatte, war es eine schöne, zufriedenstellende Aufgabe, einen Kräutergarten zu pflegen. Er konnte sich nicht vorstellen, so zu leben, wenn er zuvor nichts anderes geleistet hätte.
Noch fünf Minuten, dann musste er sich die Hände waschen und in die Kirche zur Messe gehen. Er genoß es, durch sein duftendes, blühendes Königreich zu spazieren, wo Bruder John und Bruder Columbanus, zwei Jünglinge, die erst vor knapp einem Jahr tonsuriert worden waren, Unkraut jäteten und Hecken stutzten. Glänzend oder matt, glatt oder behaart leuchteten die Blätter in allen erdenklichen Variationen von Grün. Die Blumen waren meist schüchterne kleine Pflänzchen, die fast verstohlen in gedämpften Farben blühten, denn sie waren unwichtige, ungeliebte Mitbewohner dieses Gartens und nur geduldet, weil sie die Kräutersaat schützten. Gartenraute, Salbei, Rosmarin, Ingwer, Steinsamen, Minze, Thymian, Akelei, Eisenkraut, Bohnenkraut, Senf – hier gediehen alle Arten von Kräutern – Fenchel, Wurmkraut, Basilikum und Dill, Petersilie, Kerbel und Majoran. Er hatte allen seinen Assistenten beigebracht, wie man sie verwendete, auch die unbekannten, und sie auf die Gefahren hingewiesen, denn der Nutzen der Kräuter liegt in der richtigen Proportion. Eine Überdosis kann schlimmer sein als die Krankheit, die kuriert werden soll. Klein und bescheiden in ihren Farbnuancen, dicht beieinander wachsend und schüchtern, erregten Bruder Cadfaels Kräuter nur Aufmerksamkeit, wenn sie im Sonnenschein ihren süßen Duft verströmten. Aber hinter diesen unscheinbaren Reihen erhoben sich höhere, auffälligere Pflanzen – Beete mit Päonien, die wegen ihrer würzigen Samen gezüchtet wurden, hochmütige Mohnblumen, deren geschlossene Knospen kaum die weißen oder purpurfarbenen Blütenblätter zeigten. Sie wuchsen fast mannshoch, und ihre Heimat war der östliche Teil des Mittelmeers. Aus jenen Ländern hatte Cadfael vor langer Zeit ihre Ahnen mitgebracht und sie in seinem eigenen Garten gezüchtet, bevor er die vollkommenen Ergebnisse seiner Bemühungen hierhergebracht hatte, wo sie Schmerzen bekämpften, die schlimmsten Feinde der Menschheit – und die Schlaflosigkeit, die Schwester der Schmerzen.
Die beiden jungen Männer, die Kutten bis zu den Knien hochgeschürzt, richteten sich gerade auf und streiften die Erde von ihren Händen, denn auch sie mussten sich für die Messe fertig machen. Bruder Columbanus würde niemals seine Pflichten vergessen und auch bei seinen Mitbrüdern keine Nachlässigkeiten dulden. Er war ein hübscher und gutgebauter großer Bursche mit einem runden Normannenkopf, denn er stammte aus einer aristokratischen Normannenfamilie, der jüngere von zwei Söhnen und dazu bestimmt, innerhalb der Mönchshierarchie Karriere zu machen. Dies galt als zweitbestes Lebensziel – wenn man schon kein Land erben konnte. Er hatte kräftiges, zu Berge stehendes blondes Haar und strahlend blaue Augen. Seine bescheidene Haltung, seine Blässe, sein introvertiertes Wesen bildeten einen krassen Gegensatz zu seinem muskulösen Körperbau.
Kein sehr einfacher Kollege, dieser Bruder Columbanus, denn trotz seiner bewundernswerten Kraft war er erschreckend sensibel, neigte zu emotionalen Krisen und Gewissensnöten, zu apokalyptischen Visionen, die nicht zu seinem massiven Bauernschädel passen wollten. Aber er war jung und idealistisch, und er hatte noch genug Zeit, um diese Qualen zu überwinden. Bruder Cadfael hatte ein paar Monate lang mit ihm zusammengearbeitet und war voller Hoffnung. Bruder Columbanus war willig, tüchtig und fast zu eifrig darauf bedacht, Wohlgefallen zu erregen. Wahrscheinlich fühlte er sich seinem aristokratischen Elternhaus allzu verpflichtet und fürchtete, ein Misserfolg könnte seiner Familie schaden. Man kann nicht von erlauchtem normannischem Geblüt und ein Versager sein! Bruder Cadfael hatte Mitleid mit allen Opfern, die in solche Fallen geraten waren. Er selbst stammte aus einem alten Waliser Geschlecht, das nichts von übermenschlichen Ambitionen hielt. Und so tolerierte er Bruder Columbanus mit Gleichmut und verarztete ihn bei gelegentlichen Exzessen mit philosophischer Geduld. Der Saft der Mohnpflanzen hatte Bruder Columbanus schon oft besänftigt, wenn er von seinem religiösen Fieberwahn befallen war.
Nun, der andere junge Bruder hatte nichts für solchen Unsinn übrig. Bruder John war so unkompliziert und alltäglich wie sein Name, ein vierschrötiger Bursche mit Stupsnase und einem unbezähmbaren Ring aus drahtigen roten Locken, rund um die Tonsur. Er war stets hungrig, und sein Hauptinteresse galt der Frage, ob die Pflanzen im Garten essbar und von erfreulichem Geschmack waren. Im Herbst würde er sicher einen Weg finden, um sich Zugang zum Obstgarten zu verschaffen. Nun begnügte er sich damit, Bruder Cadfael zu helfen, jungen Salat umzupflanzen und auf die Reifezeit der saftigen Früchte zu warten. Er war ein netter, gutmütiger, fröhlicher Bursche, den es möglicherweise durch einen unbegreiflichen Irrtum ins Kloster verschlagen und der noch nicht begriffen hatte, dass er hier fehl am Platz war. Bruder Cadfael hatte einen gewissen Hang zur Spitzbüberei in Bruder John entdeckt, also eine verwandte Seele, die sich allerdings noch nicht richtig entfaltet hatte. Aber er war überzeugt, dass dieser rote Vogel bald fliegen lernen würde. Und bis dahin würde er sich amüsieren, wo immer sich eine Gelegenheit ergab, und sein Vergnügen manchmal an unerwarteter Stelle finden.
»Ich muss mich beeilen«, sagte er, wischte sich die Hände an seiner Kutte ab und strich sie sorgfältig glatt. »In dieser Woche bin ich der Vorleser.« Ja, natürlich, erinnerte sich Cadfael. Und so langweilig die Passagen auch waren, die man für Bruder John im Refektorium ausgesucht hatte, so harmlos die Märtyrer und Heiligen auch sein mochten, denen das jeweilige Kapitel geweiht war – John würde ihnen dramatisches Leben einhauchen. Sollte man ihm jemals gestatten, die Geschichte über die Enthauptung des Heiligen Johannes des Täufers vorzulesen, das Kloster würde in seinen Grundfesten erzittern.
»Du liest uns zur Ehre Gottes und der Heiligen vor, Bruder«, erinnerte ihn Columbanus mit liebevollem Tadel und leicht irritierender Unterwürfigkeit, »nicht zu deiner eigenen.«
»Mein Geist ist stets von gesegneten Gedanken erfüllt«, entgegnete John, von unbeirrbarem Frohsinn erfüllt, zwinkerte Cadfael hinter dem Rücken seines Kollegen zu und eilte beschwingt zum Tor der Abtei. Sie folgten ihm etwas langsamer, der blonde schlanke Jüngling und der siebenundfünfzigjährige Veteran mit der breiten Brust und den O-Beinen. War ich jemals so jung und ernsthaft wie dieser Bursche, fragte sich Cadfael, während er mit seinem schlingernden Seemannsgang an der Seite des Normannen blieb, der mit langen geschmeidigen Schritten dem schmalen Weg zwischen den Büschen folgte. Er konnte kaum glauben, dass Columbanus immerhin schon fünfundzwanzig war und aus einem vornehmen, ambitionierten Haus stammte, dessen Vermögen sicher nicht ausschließlich auf frommen Taten basierte.
Diese dritte Messe des Tages war kurz, und danach verließen die Benediktinermönche der Shrewsbury-Abtei in geordneten Reihen den Kirchenchor und gingen in den Kapitelsaal, wo sie ihre Bänke aufsuchten, angeführt von Abt Heribert. Er war alt, von mildem/nachgiebigem Wesen, ein sanftmütiger, grauhaariger Asket, der in harmonischem Frieden zu leben wünschte. Seine Gestalt war nicht besonders eindrucksvoll, aber sein Gesicht, das stets liebevolle Besorgnis widerspiegelte, wirkte sehr anziehend. Novizen und Schüler fühlten sich wohl in seiner Nähe – wenn sie in diesen Genuss kamen, was nicht so einfach war, denn der furchterregende Prior Robert pflegte ihn abzuschirmen.
Prior Robert Pennant, in dessen Adern walisisches und englisches Blut floss, war über einen Meter achtzig groß, dünn und sehr gelenkig. Mit seinen fünfzig Jahren hatte er bereits silbergraues Haar und ein schmales schönes Gesicht mit aristokratischen Zügen und hoher Stirn. In den Grafschaften der Midlands gab es keinen zweiten Mann, der so großartig mit einer Mitra aussah und in seiner Autorität so überirdisch wirkte – und es gab auch keinen Mann in ganz England, der dies besser wusste und entschlossener war, es bei jeder Gelegenheit zu demonstrieren. Alle seine Bewegungen unterstrichen die bischöfliche Würde, als er durch den Kapitelsaal schritt.
Bruder Richard, der Unterprior, folgte ihm – das genaue Gegenteil des Priors, unscheinbar, freundlich und gütig, klug, aber denkfaul. Es war zu bezweifeln, ob er jemals Prior werden würde, wenn Robert einmal das Zeitliche segnete, da viele jüngere, ehrgeizige Brüder nach diesem Amt strebten und bereit waren, die größten Mühen auf sich zu nehmen, um ihr Ziel zu erreichen.
Hinter Richard kamen die anderen Brüder herein, nach Hierarchien geordnet. Bruder Benedikt, der Sakristan, Bruder Anselm, der Präzentor, Bruder Matthew, der Kellermeister, Bruder Denis, der Hospitalleiter, Bruder Edmund, der Krankenpfleger, Bruder Oswald, der Almosenpfleger, Bruder Jerome, der Schreiber des Priors, und Bruder Paul, der Lehrer der Novizen. Danach folgten die gewöhnlichen Ordensmitglieder, eine imposante Schar. Mit den letzten dieser Brüder trat auch Cadfael ein und suchte seinen Platz auf, im Hintergrund des Saals, schlecht beleuchtet und halb verborgen hinter einer Säule. Da er nichts mit mühseligen Schreibarbeiten zu tun hatte, war es unwahrscheinlich, dass man ihn aufrufen und bitten würde, einen Vortrag über irgendwelche häuslichen Geschäfte zu halten, und wenn die besprochenen Themen allzu langweilig waren, konnte er sich die Zeit mit einem Nickerchen vertreiben. Aufgrund langjähriger Gewohnheit war er imstande, in seiner schattigen Ecke aufrecht sitzend und unbemerkt zu schlafen. Er besaß einen sechsten Sinn, der ihn notfalls sofort wecken würde. Angeblich hatte er sogar einmal eine Frage beantwortet, obwohl er überzeugt war, dass er zu jenem Zeitpunkt tief geschlafen hatte.
An diesem Maimorgen blieb er lange genug wach, um Bruder Johns Vortrag über die unwahrscheinlichen, dramatischen letzten Jahre irgendeines obskuren Heiligen zu genießen, der gerade Namenstag hatte. Aber als der Kellermeister die komplizierten Einzelheiten eines Legats erläuterte, das teilweise für den Altar Unserer lieben Frau und teilweise für das Hospital bestimmt war, schloss er die Augen. Immerhin wusste er, dass nach der Aburteilung diverser geringfügiger Missetaten Prior Robert die restliche Zeit beanspruchen würde, um seinen Feldzug für die Sicherung der Reliquien und die Schirmherrschaft eines mächtigen Heiligen fortsetzen würde. In den letzten Monaten war nur selten über andere Dinge diskutiert worden. Der Prior hatte sich das alles in den Kopf gesetzt, seit im Kluniazenserkloster von Wenlock voller Stolz und Jubel das Grab der Gründerin, der heiligen Milburga, wiederentdeckt und der Rest ihrer Gebeine triumphierend auf dem Altar deponiert worden war. Eine ausländische Abtei, nur wenige Kilometer entfernt, verfügte über eine eigene wunderwirkende Heilige – und das große Benediktinerkloster von Shrewsbury entbehrte solcher Reliquien, wie eine geplünderte Opferbüchse. Das konnte Prior Robert nicht ertragen. Seit einem Jahr suchte er die Umgebung nach einem überzähligen Heiligen ab, spähte hoffnungsvoll nach Wales, wo es früher, wie man wohl wusste, so viele heilige Männer und Frauen gegeben hatte wie Pilze im Herbst und wo man sie, ebenso wie die letzteren, kaum beachtet hatte. Bruder Cadfael hatte keine Lust, sich die neuesten Klagen und Anfeuerungen Roberts anzuhören, und schlummerte ein.
Weiße Felsen reflektierten die Sonnenhitze, versengten ihm das Gesicht, und der trockene Staub brannte in seiner Kehle. Von der Stelle aus, wo er mit seinen Gefährten in Deckung lag, konnte er die lange Mauer überblicken. Die Stahlhelme der Wächter auf den Türmen glitzerten im feurigen Licht. Ringsum erstreckte sich eine Landschaft, aus rötlichem Stein geschnitzt, mit tiefen Schluchten und steilen Klippen. Kein einziger grüner Grashalm milderte die rote Glut. Und vor ihm lag das Ziel seiner Reise, die heilige Stadt Jerusalem, gekrönt von Türmen und Kuppeln und von weißen Mauern umgeben. Der Staub der tobenden Schlacht hing in der Luft, umnebelte die Brustwehr und das Tor. Der Lärm heiserer Schreie und klirrender Rüstungen drang in sein Ohr. Er wartete auf die Trompetenfanfare, das Zeichen zum letzten Angriff. Er blieb in seiner Deckung, denn er hatte den kurzen Sarazenenpfeil respektieren gelernt. Die Banner flatterten im heißen Wind, er sah die erhobene Trompete funkeln und wappnete sich.
Der Ton, der ihn aus seinem Traum riss, war laut und durchdringend – doch es war keine Trompete, die zum Angriff auf die Stadt Jerusalem blies. Er saß wieder in seiner dunklen Ecke im Kapitelsaal, und jetzt sprang er auf, ebenso konsterniert und erschrocken wie die anderen. Der schrille Schrei, der ihn geweckt hatte, ging in ein herzzerreißendes Stöhnen über, das immer wieder zu einem gellenden Kreischen anschwoll und sowohl von qualvollen Schmerzen als auch von wilder Ekstase künden konnte. In der Mitte des Saales lag Bruder Columbanus auf dem Bauch, schlug um sich wie ein gestrandeter Fisch, trat mit seinen langen weißen Beinen in die Luft und stieß dieses grässliche Gebrüll aus, umringt von hilflosen Brüdern, während Prior Robert jammernd die Hände rang.
Bruder Cadfael und Bruder Edmund, der Krankenpfleger, rannten zu dem Unglücklichen, knieten neben ihm nieder und suchten zu verhindern, dass er sich die Stirn am Steinboden blutig schlug oder sich alle Glieder brach. »Epilepsie«, sagte Bruder Edmund kurz und bündig und schob Bruder Columbanus das Ende der dicken Kordel, die ihm als Gürtel diente, zwischen die Zähne – zusammen mit einem Teil des Kuttensaums, damit sich der tobende junge Bruder nicht die Zunge abbiss.
Cadfael war nicht überzeugt von dieser Diagnose, denn dies waren nicht die grunzenden, hilflosen Laute eines Epileptikers, sondern eher die wilden Schreie einer hysterischen Frau. Aber die Behandlung dämpfte zumindest den Lärm und schien sogar die krampfhaften Zuckungen zu verringern, wenn sie auch erneut an Heftigkeit zunahmen, als Cadfael und Edmund ihren Griff lockerten.
»Der arme junge Mann!«, murmelte Abt Heribert, der sich im Hintergrund hielt. »Was für ein plötzlicher, grausamer Anfall! Geht sanft mit ihm um! Bringt ihn ins Hospital! Wir müssen für seine Genesung beten.«
Das Kapitel löste sich auf, nicht so wohlgeordnet wie sonst. Mit der Hilfe Bruder Johns und einiger anderer von eher praktischer Denkungsart trugen sie Columbanus in eine kleine Kammer im Hospital. Sie hatten ihn in ein Leintuch gewickelt, damit er nicht um sich schlagen und sich verletzten konnte, und statt der Kordel, an der er womöglich erstickt wäre, hatten sie ihm ein Stück Holz zwischen die Zähne gesteckt. Sie legten ihn auf ein Bett und fesselten ihn mit Bandagen, die sie um seine Brust und seine Schenkel wickelten. Er ächzte, gurgelte, bäumte sich auf, aber mit nachlassenden Kräften. Und als sie ihm Bruder Cadfaels Mohnsaft eingeflößt hatten, wurde das Stöhnen immer leiser, der Widerstand gegen die Bande erlahmte.
»Passt gut auf ihn auf!«, befahl Prior Robert, der am Fußende des Bettes stand und besorgt die Stirn runzelte. »Ich denke, irgendjemand sollte stets bei ihm Wache halten, für den Fall, dass sich der Anfall wiederholt. Bruder Edmund, du musst dich auch um deine anderen Kranken kümmern, also kannst du nicht Tag und Nacht an seinem Lager sitzen. Bruder Jerome, ich übergebe diesen armen Mann deiner Obhut und entbinde dich von allen deinen übrigen Pflichten, solange er dich braucht.«
»Dazu bin ich gern bereit«, erwiderte Bruder Jerome. »Ich werde für ihn beten.«
Er war der treueste Anhänger des Priors, und wann immer ein Fall eintrat, der bedingungslosen Gehorsam verlangte oder einen lückenlosen Bericht über gewisse Wahnsinnssymptome bei diesem oder jenem Bruder, wandte sich Prior Robert an Jerome.
»Bleib nachts bei ihm, denn es geschieht vor allem in der Nacht, dass die Widerstandskräfte eines Mannes nachlassen und die bösen Mächte in seinem Körper die Oberhand gewinnen. Wenn er friedlich schläft, kannst du dich ausruhen – aber bleib in seiner Nähe, falls er deine Hilfe benötigt.«
»In einer Stunde wird er tief und fest schlafen«, erklärte Cadfael zuversichtlich. »Und die Wirkung des Mohnsafts wird bald in einen natürlichen Schlaf übergehen. Wenn Gott es so will, ist er morgen wieder gesund.«
Nach seiner Ansicht mangelte es Bruder Columbanus sowohl an körperlicher als auch an geistiger Arbeit, und dafür rächte er sich mit diesen halb willentlich herbeigeführten, halb unfreiwilligen Exzessen, um bemitleidet und gleichzeitig getadelt zu werden. Doch Cadfael war vorsichtig genug, um an seinen Mutmaßungen zu zweifeln. Er war sich nicht sicher, ob er seine Mitbrüder gut genug kannte, um sie richtig beurteilen zu können. Höchstens Bruder John ... Aber innerhalb der Klostermauern und auch in der Außenwelt waren die fröhlichen, ungezwungenen, extrovertierten Brüder Johns dünn gesät.
Am nächsten Morgen erschien Bruder Jerome aufgeregt im Kapitelsaal und konnte es kaum erwarten, seine ungeheuerlichen Neuigkeiten loszuwerden. Als Abt Heribert ihm sanfte Vorwürfe machte, weil er den Patienten allein gelassen hatte, faltete er ehrerbietig die Hände und neigte den Kopf, allerdings, ohne seine Erregung zu bezähmen.
»Vater, eine andere Pflicht sandte mich hierher – eine Pflicht, die sicher dringlicher ist. Bruder Columbanus schläft – wenn auch nicht friedlich, denn er wird anscheinend von bösen Träumen heimgesucht. Aber zwei Laienbrüder halten bei ihm Wache. Falls ich ein Unrecht begangen habe, werde ich es demütig büßen.«
»Geht es unserem Bruder noch nicht besser?«, fragte der Abt besorgt.
»Er leidet immer noch, und wenn er wach ist, tobt er, aber ... Vater, dies ist es, was ich dir mitteilen wollte – es gibt Hoffnung für ihn! In der Nacht bekam ich einen wundersamen Besuch, und nun bin ich hier, um von der göttlichen Gnade zu berichten, die mir zuteilwurde. In den Morgenstunden nickte ich neben Bruder Columbanus’ Bett ein, und da hatte ich einen großartigen Traum.«
Mittlerweile hatte er die Aufmerksamkeit aller Brüder auf sich gezogen, sogar Cadfael war hellwach.
»Also noch einer«, flüsterte ihm Bruder John spöttisch ins Ohr. »Allmählich breitet sich die Seuche aus!«
»Vater, die Wand der Kammer schien sich zu öffnen, und ein gleißendes Licht flammte auf, und in diesem Lichtstrahl kam eine schöne Jungfrau herein. Sie trat ans Bett unseres Bruders und sagte mir, dass sie Winifred heißt und dass es eine heilige Quelle in Wales gibt – dort, wo sie ihr Martyrium erlitten hat. Und dann verriet sie mir, dass Bruder Columbanus sicher genesen würde, wenn er im Wasser dieser Quelle badet. Sie segnete unser Kloster, dann verschwand sie, das Licht erlosch, und ich erwachte.«
Das ehrfürchtige Gemurmel, das diesen Worten folgte, wurde von Prior Roberts Stimme übertönt, die in ehrfürchtigem Triumph ausrief: »Vater Abt, wir wurden erleuchtet! Unsere unermüdliche Suche nach einem Heiligen hat dieses Zeichen der Gnade auf uns gelenkt, das uns Kraft gibt und uns ermutigt auszuharren!«
»Winifred«, sagte der Abt zweifelnd. »Ich erinnerte mich nur undeutlich an die Geschichte dieser Heiligen und Märtyrerin. Es gibt ja so viele in Wales ... Natürlich müssen wir Bruder Columbanus zu dieser Quelle schicken. Es wäre undankbar, ein solches Omen zu missachten. Aber – wo ist die Quelle?«
Prior Robert wandte sich an die wenigen Waliser unter den Brüdern. Rasch glitt sein Blick über Cadfael hinweg, der nie zu seinen Favoriten gezählt hatte, vielleicht wegen dieses gewissen Funkelns in seinen Augen und seiner berüchtigten weltlichen Vergangenheit. Und dann leuchtete der Blick des Priors auf, als er auf den alten Bruder Rhys fiel, der schon etwas senil war, aber in dogmatischer Hinsicht keine Gefahr darstellte, und der die umfassenden, wenn auch teilweise kapriziösen Erinnerungen sehr alter Menschen hatte. »Bruder, kannst du uns die Geschichte dieser Heiligen erzählen und uns sagen, wo ihr Brunnen zu finden ist?«
Der alte Mann merkte erst nach einer geraumen Weile, dass er zum Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit geworden war. Er war zusammengeschrumpft wie ein dürrer Vogel und zahnlos, und an tolerante Nichtbeachtung gewöhnt. Zögernd fing er zu sprechen an, erwärmte sich aber zusehends für das Thema, als er alle Blicke auf sich gerichtet sah. »Die heilige Winifred? Jedermann kennt die heilige Winifred. Die Quelle Holywell ist nicht weit von Chester entfernt. Aber dort werdet ihr Winifreds Grab nicht finden.«
»Erzähl uns von ihr«, bat der Prior, der vor Eifer von einem Bein aufs andere trat. »Erzähl uns ihre ganze Geschichte.«
»Die heilige Winifred«, deklamierte der Greis, der diese Stunde seines Ruhmes zu genießen begann, »war das einzige Kind eines Ritters namens Tevyth, der in jener Gegend lebte, wo die Fürsten noch Heiden waren. Aber der heilige Bueno hatte den Ritter und alle Bewohner seines Hauses bekehrt, und Tevyth baute eine Kirche für den Heiligen und nahm ihn bei sich auf. Das Mädchen liebte Bueno noch inniger als die Eltern und gelobte, Jungfrau zu bleiben und jeden Tag die heilige Messe zu hören. Doch eines Sonntags wurde sie krank und musste zu Hause bleiben, während alle anderen zur Kirche gingen. Da kam ein Prinz zu ihr, Cradoc, ein Königssohn, der sie einmal aus der Ferne gesehen und sich sofort in sie verliebt hatte, denn sie war sehr schön. Unbeschreiblich schön!«, schwärmte Bruder Rhys und leckte sich schmatzend über die Lippen. Prior Robert zuckte zusammen, verzichtete aber auf eine Ermahnung, um die Erzählung nicht zu unterbrechen. »Er erklärte, dass ihm heiß wäre, und dass er nach einer mühsamen Jagd schrecklichen Durst hätte, und bat sie um ein Glas Wasser. Da ließ sie ihn ins Haus und gab ihm zu trinken. Und dann ...« Bruder Rhys schlang sich die Arme, die in den voluminösen Ärmeln seiner Kutte steckten, um die Schultern und sprang auf, mit einem Temperament, das ihm niemand zugetraut hätte. » ... sprach er von seiner Liebe und riss sie in die Arme! So!« Die Anstrengung war fast zu viel für ihn, und unter dem erschrockenen Blick des Priors sank er würdevoll auf seine Bank zurück. »Die unerschütterliche Jungfrau wies ihn mit sanften Worten zurück, floh in ein anderes Zimmer, kletterte aus dem Fenster und lief zur Kirche. Prinz Cradoc merkte, dass sie davongerannt war, schwang sich auf sein Pferd und ritt hinter ihr her. In der Nähe der Kirche holte er sie ein. Er fürchtete, dass sie der Gemeinde von seiner Niedertracht erzählen würde, und deshalb enthauptete er sie mit seinem Schwert.«
Er machte eine Pause, um auf ein entsetztes, mitfühlendes oder empörtes Gemurmel zu warten, was auch in reichem Maße erfolgte, untermalt von gefalteten Händen und runden Augen. Dann rief Bruder Jerome begeistert: »Und so fand die arme Märtyrerin den Tod und wurde heiliggesprochen?«
»Aber nein!«, stieß Bruder Rhys hervor. Er hatte Bruder Jerome nie gemocht. »Der heilige Bueno und die fromme Gemeinde kamen aus der Kirche und sahen, was geschehen war. Der Heilige verfluchte den Mörder, der sofort zu Boden sank und zerschmolz wie Wachs – bis die Reste seines Körpers im Gras versickert waren. Der heilige Bueno setzte den Kopf der Jungfrau auf ihren Hals, das Fleisch wuchs wieder zusammen, und sie erhob sich. Und an derselben Stelle entsprang die heilige Quelle.«
Fasziniert warteten die Brüder auf das Ende der Geschichte, und er ließ sie warten. Nachdem er geschildert hatte, wie die heilige Winifred von den Toten auferstanden war, hatte er jegliches Interesse an ihr verloren.
»Und was geschah dann?«, drängte Prior Robert. »Was fing sie mit ihrem neuen Leben an?«
»Sie pilgerte nach Rom«, antwortete Bruder Rhys gleichgültig, »besuchte eine große Synode von Heiligen und wurde zur Priorin eines Jungfrauenklosters in Gwytherin ernannt, bei Llanrwst. Dort lebte sie noch viele Jahre und wirkte zahlreiche Wunder. Und als sie zum zweiten Mal starb, blieb es dabei.« Er zuckte mit den Schultern. Mehr gab es nicht über Winifred zu sagen. Sie hatte die Chance verpasst, in Prinz Cradocs Armen die Liebe kennenzulernen, weil es ihre Bestimmung gewesen war, Priorin in einem Nest voller alter Jungfern zu werden. Was hätte er sonst noch über sie erzählen sollen?
Doch Prior Robert ließ nicht locker. »Ist sie in Gwytherin begraben? Sind auch nach ihrem Tod Wunder geschehen?«
»Ja, das habe ich gehört. Aber es ist schon lange her. Seither wurde ihr Name nicht mehr genannt.«
Prior Robert stand im Sonnenlicht, das zwischen den Säulen des Kapitelsaales hereinfiel, zu seiner vollen imposanten Größe aufgerichtet, und heftete seinen strahlenden, eindringlichen Blick auf Abt Heribert. »Vater, glaubst du nicht auch, dass unsere Suche nach einem mächtigen, heiligen Schirmherrn von Gott geleitet wurde? Diese wunderbare Heilige hat uns besucht, in Bruder Jeromes Traum, und uns aufgefordert, unseren kranken Bruder zu ihrer Quelle zu bringen, damit er genesen kann. Dürfen wir nicht hoffen, dass sie unsere Schritte auch weiterhin lenken wird? Wenn sie unsere Gebete erhört und Bruder Columbanus wieder gesund macht – wäre dann unsere Hoffnung vermessen, dass sie zu uns kommen und bei uns wohnen wird? Und dass wir die Erlaubnis der Heiligen Kirche erhalten könnten, ihre gesegneten Gebeine nach Shrewsbury zu holen – zu Ruhm und Ehre dieses Hauses?«
»Und zu Prior Roberts Ruhm und Ehre«, wisperte Bruder John in Cadfaels Ohr.
»Nun, es lässt sich nicht leugnen, dass sie uns ihre Gunst bewiesen hat«, gab Abt Heribert zu.
»Habe ich dann deine Erlaubnis, mein Vater, Bruder Columbanus mit einer Eskorte zur Quelle Holywell bringen zu lassen? Noch heute?«
»Tu das. Unsere Gebete werden ihn begleiten. Vielleicht wird er als Bote der heiligen Winifred zurückkehren, gesund und dankbar.«
Kurz nach dem Mittagessen wurde der geistesgestörte Mann, der in einem unzusammenhängenden Wortschwall mit sich selber sprach, aus dem Kloster geführt, auf ein Maultier gesetzt, auf einen hohen Sattel mit Gurten, und festgebunden, damit er nicht herunterfallen konnte, wenn er wieder einen Anfall bekam. Links und rechts von ihm ritten Bruder Jerome und ein stämmiger Laienbruder, um ihn notfalls festzuhalten. Columbanus blickte mit großen mitleiderregenden Kinderaugen um sich und schien niemanden zu kennen, ergab sich aber widerstandslos in sein Schicksal.
»Ich würde auch gern einen kleinen Ausflug nach Wales machen«, sagte Bruder John wehmütig, nachdem sie um eine Mauerecke gebogen waren, um zur Brücke über den Severn zu reiten. »Aber vermutlich hätte ich nicht die richtigen Visionen gehabt. Jerome eignet sich viel besser dazu.«
»Mein Junge«, entgegnete Cadfael mit einem toleranten Lächeln, »du entwickelst dich zusehends zu einem Skeptiker.«
»Keineswegs! Ich glaube ebenso wie alle anderen an die Heiligkeit des Mädchens und an diese Wunder. Wir wissen, dass die Heiligen die Macht besitzen, uns segensreiche Hilfe zu gewähren, und ich glaube, dass sie auch dazu bereit sind. Aber wenn Prior Roberts getreuer Haushund solche Träume hat, dann heißt das, dass ich an seine Heiligkeit glauben soll, nicht an die der guten Winifred. Außerdem – ist es nicht ehrenvoll genug, dass sie uns ihre Gunst erwiesen hat? Warum wollen sie auch noch die Gebeine der armen Frau ausgraben? Das kommt mir so vor, als würden sie einem Leichenhaus angehören und keiner Kirche. Und du denkst genauso«, fügte Bruder John hinzu und blickte dem älteren Mann fest ins Auge.
»Wenn ich mein Echo hören will, spreche ich selbst«, erwiderte Bruder Cadfael. »So, und jetzt hol die frische Gartenerde. Wir müssen die Kohlpflänzchen einsetzen.«
Die Abordnung, die man nach Holywell gesandt hatte, war fünf Tage unterwegs und kehrte an einem regnerischen Abend glanzvoll heim. Inbrünstige Gebete auf den Lippen, ritten die drei Mönche in den Hof, in der Mitte Bruder Columbanus, der aufrecht, anmutig und triumphierend im Sattel saß – falls ein so demütiger Mann mit einem solchen Wort beschrieben werden kann. Sein Gesicht strahlte, die Augen waren erfüllt von tiefem Wunderglauben und Intelligenz. Niemand hatte je zuvor weniger wahnsinnig ausgesehen, niemandem hätte man in geringerem Maße epileptische Anfälle zugetraut. Er eilte geradewegs in die Kirche, um Gott und der heiligen Winifred auf den Knien zu danken. Die anderen folgten ihm, und dann begaben sie sich ins Arbeitszimmer des Abtes, um Heribert, dem Prior und dem Unterprior pflichtschuldigst Bericht zu erstatten.
»Vater«, sagte Bruder Columbanus in freudigem Eifer, »ich könnte dir nicht schildern, was mir widerfahren ist, denn ich weiß weniger als diese beiden, die mich während meines Deliriums pflegten. Ich weiß nur, dass ich diese Reise antrat wie ein Mann, der in einem bösen Traum gefangen ist, dass ich dorthin ritt, wohin man mich führte, ohne auch nur zu ahnen, wie ich für mich selbst sorgen oder was ich tun sollte. Und plötzlich erwachte ich aus diesem Alptraum, an einem hellen Morgen, in einer gleißenden Frühlingswelt. Ich stand nackt im Gras neben einem Brunnen, und diese guten Brüder gossen das Wasser über mich, das mich heilte. Ich erkannte mich selbst und die beiden wieder, und ich fragte, wo ich mich befand und wie ich dorthin gelangt war. Dies erzählten sie mir bereitwillig. Und dann gingen wir in eine kleine Kirche in der Nähe, gefolgt von vielen Leuten, um eine Messe zu lesen. Jetzt weiß ich, dass ich meine Genesung der heiligen Winifred zu verdanken habe. Ich lobpreise und verehre sie aus tiefstem Herzen und schicke ein Dankgebet zu Gott, der sie veranlasst hat, mir Gnade zu erweisen. Alles andere werden dir diese Brüder sagen.«
Der Laienbruder war ein großer, einsilbiger Mann – und er war ziemlich müde, nachdem er unterwegs den Löwenanteil aller erforderlichen Arbeiten geleistet hatte. Außerdem begann ihn die ganze Sache allmählich zu langweilen. Und so machte er zwar die passenden Randbemerkungen, wann immer es erforderlich war, überließ es aber dem wortgewandten Jerome, die Geschichte zu erzählen. Und Bruder Jerome berichtete weitschweifig, wie sie ihren Patienten in das Dorf Holywell gebracht und die Einheimischen gefragt hatten, wo die Quelle wäre. Man hatte ihnen gezeigt, wo die Heilige nach ihrem Martyrium von den Toten auferstanden war. Die silbrige Quelle sprudelte jetzt aus einem Steinbecken. Sie führten den immer noch fantasierenden Columbanus hin, zogen ihm die Kutte, das Hemd und die Hosen aus und gossen das heilige Wasser über ihn. Sofort richtete er sich auf, hob die Hände im Gebet und dankte für die Genesung seines Geistes. Danach fragte er die beiden Brüder verwundert, wie er hierhergekommen und was ihm widerfahren wäre. Bestürzt beziehungsweise beglückt erfuhr er von seinem Anfall und der wunderbaren Heilung, und er war seiner Schutzheiligen, die ihn gerettet hatte, über alle Maßen dankbar.
»Die Leute sagten uns, dass die Heilige tatsächlich in Gwytherin begraben ist, ehrwürdiger Vater. Dort lebte sie als Priorin und vollbrachte viele Wunder. Jetzt wird das Grab vernachlässigt, man beachtet es kaum noch, und es ist durchaus möglich, dass sie nach Anerkennung strebt und lieber an einem Ort wäre, der von Pilgern aufgesucht wird, wo man sie so verehrt, wie sie es verdient und wo genügend Platz vorhanden wäre, sodass ihre Gnade und ihr Segen vielen Menschen zugutekäme.«
»Deine Worte verraten mir, dass du von jener heiligen Quelle inspiriert wurdest«, sagte Prior Robert, hoch aufgerichtet und im Vollgefühl der Bestätigung, die sein unbeirrbarer Glaube erfahren hatte. »Und du sprichst aus, was ich fühlte, als ich dir zuhörte. Ganz gewiss wünscht die heilige Winifred, dass wir sie retten, so wie sie Bruder Columbanus gerettet hat. Viele würden ihrer Gnade bedürfen und wissen nichts von ihr. Bei uns würde sie so geschätzt werden, wie es ihr zusteht. Ich bete darum, dass wir die Aufgabe bewältigen können, die sie uns stellt. Vater Abt, erlaube mir, ein Gesuch an die Kirche zu richten und diese gebenedeite Frau hierherzubringen, damit sie hier ihre ewige Ruhe findet, zu unserem Ruhme. Denn ich glaube, dies ist ihr Wille.«
»Im Namen Gottes«, erwiderte Abt Heribert andächtig. »Ich billige dein Vorhaben. Möge dich der Segen des Himmels begleiten.«
»Er hat alles schon vorher geplant«, sagte Bruder John, über das Minzebeet gebeugt, halb neidisch, halb verächtlich. »Dieses Erstaunen war nur gespielt. Und die Frage, wer die heilige Winifred wäre und wo man sie finden könnte, war ein Täuschungsmanöver. Das alles wusste er schon längst. Er suchte aus der Schar der walisischen Heiligen eine heraus, die, wie er festgestellt hatte, vernachlässigt wurde. Und er entschied, dass sie am ehesten verfügbar wäre und ihm am besten zu Ruhm und Ehre verhelfen könnte. Doch das musste auf wunderbare Weise ans Tageslicht gelangen. Es werden sich noch weitere Phänomene ereignen, wann immer er sie braucht, um seinen Weg zu ebnen – bis er das Mädchen hierher und in Sicherheit gebracht hat. Dies ist ein großes Unternehmen, und es wird ihn auf der Karriereleiter weiter emporsteigen lassen. Es fängt mit einer Vision an, dann erfolgt eine wunderbare Heilung, und von da an werden alle seine Schritte von göttlicher Gnade gelenkt. Das ist so offensichtlich wie diese platte Nase in deinem Gesicht.«
»Und du glaubst«, fragte Bruder Cadfael mit sanfter Stimme, »dass Bruder Columbanus und Bruder Jerome an diesem Komplott beteiligt sind? Dass auch dieser epileptische Anfall gespielt war? Ich müsste meines himmlischen Lohns sehr sicher sein, um mich zu einer solchen Tortur durchringen zu können und mit der Stirn gegen einen Steinboden zu schlagen. Ich glaube, das würde ich nicht einmal tun, um Prior Robert zu einem Wunder zu verhelfen.«
Bruder John dachte eine Weile nach, dann schüttelte er den Kopf. »Nein, das glaube ich nicht. Wir alle wissen, dass unser armes Lamm von Schreckensvisionen geplagt wird, wenn es eine Buße versäumt hat, und an Fastentagen oder bei Vigilien in Ekstase gerät. Und ein eiskalter Wasserguss in Holywell war sicher genau die richtige Behandlung, um den Burschen wieder zur Vernunft zu bringen. Genauso gut hätten wir ihn hier in den Fischteich werfen können. Aber er glaubt, was man ihm einredet, und schreibt seine Genesung der Heiligen zu. So eine Chance lässt er sich natürlich nicht entgehen. Nein, ich möchte nicht behaupten, dass er in eine Verschwörung verwickelt war – zumindest hat er nicht wissentlich mitgemacht. Aber er hat ihnen eine Gelegenheit verschafft, uns allen ein Wunder vorzugaukeln. Du weißt doch, dass Jerome in jener Nacht an Columbanus’ Krankenlager Wache gehalten hat. Das war genau der richtige Mann. Kein anderer hätte diese Vision gehabt ...« Traurig rollte er ein paar junge Kohlblätter zwischen den Fingern. »Und es werden genau die richtigen Männer sein, die Prior Robert nach Wales begleiten. Du wirst schon sehen.«
Zweifellos sehnte sich dieser junge Mann nach der Außenwelt, nach der frischen Luft außerhalb der Klostermauern. Bruder Cadfael stellte gewisse Überlegungen an, nicht nur von Mitleid mit seinem Gehilfen erfüllt, sondern auch von ureigensten angenehmen Gefühlen. Ein so außergewöhnliches Ereignis, das das sonst so ruhige, beschauliche Mönchsleben unterbrach, durfte man nicht ungenutzt verstreichen lassen. Abgesehen von der großartigen Gelegenheit, Unsinn zu machen ...
»Das stimmt«, bestätigte er nachdenklich. »Vielleicht müssten wir da ein bisschen mitmischen. Jedenfalls sollte in Wales nicht der Eindruck entstehen, dass Jerome das Beste ist, was Shrewsbury zu bieten hat.«
»Du hast ebenso wenig Chancen, mitgenommen zu werden, wie ich«, entgegnete Bruder John in seiner üblichen offenherzigen Art. »Jerome ist ganz bestimmt mit von der Partie, denn Prior Robert braucht seine rechte Hand. Und Columbanus, der arme Narr, das Instrument der Gnade, könnte noch einmal zu demselben Zweck verwendet werden. Den Unterprior müssen sie der Form halber auch mitschleppen. Meinst du, dass wir uns da irgendwie reinschmuggeln können? Sie werden erst in ein paar Tagen aufbrechen, denn die Tischler und Schnitzer brauchen noch eine Weile, um den kostbaren Reliquienschrein fertigzustellen, der die Gebeine der guten Winifred aufnehmen soll. Streng mal dein Gehirn an, Bruder! Wenn man Verstand hat, gibt es nichts, was man nicht zuwege brächte – Prior hin, Prior her!«