Bruder Cadfael und der Ketzerlehrling - Ellis Peters - E-Book

Bruder Cadfael und der Ketzerlehrling E-Book

Ellis Peters

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Beschreibung

Die Kult-Krimi-Serie endlich als eBook!

Juni 1143: In der Abtei zu Shrewsbury wird das Fest der heiligen Winifred gefeiert, und das Kloster ist voller Gäste und Pilger. Zur selben Zeit bringt der junge Schreiber Elave den Leichnam seines Herrn William von Lythwood zum Begräbnis ins Kloster. Doch dann werden Elave und der verstorbene William gleich von mehreren Seitenplötzlich der Ketzerei bezichtigt. Und als schließlich auch noch ein Mord geschieht, ist für die Anwesenden der Täter schnell ausgemacht: Elave. Wird es Cadfael gelingen, rechtzeitig die Unschuld des jungen Mannes zu beweisen?

Über die Reihe: Morde und Mysterien im finstersten Mittelalter des 12. Jahrhunderts liefern den perfekten Hintergrund für die spannenden Abenteuer des Bruders Cadfael, eines ehemaligen Kreuzritters, der sich als Mönch in die Abtei St. Peter & Paul nahe Shrewsbury zurückgezogen hat. Doch ein ruhiges Leben als Kräutergärtner und Heilkundiger ist ihm nicht vergönnt: Immer wieder muss er seine detektivischen Fähigkeiten einsetzen, um Verbrechen in der Gemeinde aufzuklären.

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Inhalt

Cover

Weitere Titel der Autorin

Über dieses Buch

Über die Reihe

Über die Autorin

Titel

Impressum

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebtes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Elftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Fünfzehntes Kapitel

Weitere Titel der Autorin

Bruder Cadfael und die Entführung der Heiligen

Bruder Cadfael und der unbekannte Tote

Bruder Cadfael und das Mönchskraut

Bruder Cadfael und der Hochzeitsmord

Bruder Cadfael und der Aufstand auf dem Jahrmarkt

Bruder Cadfael und die Jungfrau im Eis

Bruder Cadfael und die Zuflucht im Kloster

Über dieses Buch

Juni 1143: In der Abtei zu Shrewsbury wird das Fest der heiligen Winifred gefeiert, und das Kloster ist voller Gäste und Pilger. Zur selben Zeit bringt der junge Schreiber Elave den Leichnam seines Herrn William von Lythwood zum Begräbnis ins Kloster. Doch dann werden Elave und der verstorbene William gleich von mehreren Seiten plötzlich der Ketzerei bezichtigt. Und als schließlich auch noch ein Mord geschieht, ist für die Anwesenden der Täter schnell ausgemacht: Elave. Wird es Cadfael gelingen, rechtzeitig die Unschuld des jungen Mannes zu beweisen?

Über die Reihe

Morde und Mysterien im finsteren Mittelalter des 12. Jahrhunderts liefern den perfekten Hintergrund für die spannenden Abenteuer des Bruders Cadfael, einem ehemaligen Kreuzritter, der sich als Mönch in die Abtei St. Peter & Paul nahe Shrewsbury zurückgezogen hat. Doch ein ruhiges Leben als Kräutergärtner und Heilkundiger ist ihm nicht vergönnt: Immer wieder muss er seine detektivischen Fähigkeiten einsetzen, um Verbrechen in der Gemeinde aufzuklären.

Über die Autorin

Ellis Peters ist das Pseudonym der 1913 geborenen englischen Autorin Edith Pargeter. Ihre Bruder-Cadfael-Reihe erschien in 15 Sprachen und mehr als 20 Ländern und wurde erfolgreich von der BBC verfilmt. Ihr Wissen als Apothekenhelferin war der Ausgangspunkt für den kräuterkundigen Bruder Cadfael. Ellis Peters starb im Oktober 1995.

Ellis Peters

Bruder Cadfael und der Ketzerlehrling

Aus dem Englischen von Christel Wiemken

Digitale Erstausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 1989 by Ellis Peters

Titel der britischen Originalausgabe: „The Heretic’s Apprentice“

Originalverlag: Futura Publications, a Division of Macdonald & Co (Publishers) Ltd., London & Sydney 1990

Für die deutschsprachige Erstausgabe:

Copyright © der deutschen Übersetzung 1993 by Wilhelm Heyne Verlag

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Lektorat/Projektmanagement: Rebecca Schaarschmidt

Covergestaltung: Thomas Krämer unter Verwendung von Motiven © © Color Symphony/shutterstock © optimarc/shutterstock © Andrey_Kuzmin/shutterstock © pickingpok/shutterstock © the palms/shutterstock

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimapr (www.3wplusp.de)

ISBN 978-3-7325-9424-5

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Erstes Kapitel

Am neunzehnten Juni, dem Tag, an dem der bedeutende Gast eintraf, arbeitete Bruder Cadfael im Garten des Abtes; er schnitt verblühte Rosen ab. Es war eine Arbeit, die sich Abt Radulfus normalerweise selbst vorbehielt; er war stolz auf seine Rosen und genoss die wenigen Stunden, die er mit ihnen verbringen konnte. Aber in drei Tagen würde die Abtei den Jahrestag der Überführung der heiligen Winifred in ihren Schrein in der Kirche feiern, und die Vorbereitungen für den alljährlichen Zustrom von Pilgern und Gönnern nahmen seine gesamte Zeit in Anspruch. Auch die untergeordneten Brüder hatten alle Hände voll zu tun. Cadfael war der Einzige von ihnen, der das Privileg genoss, sich um die Rosen des Abtes kümmern zu dürfen, die, wie alles andere im Klosterbereich, zum Fest der Heiligen makellos und in bester Verfassung sein mussten.

In diesem Jahr würde es keine feierliche Prozession von Saint Giles am Rande der Stadt geben wie 1141, zwei Jahre zuvor. Dort waren die Gebeine der Heiligen deponiert worden, während man im Kloster die Vorbereitungen für einen würdigen Empfang traf. An dem großen Tag war, wie Cadfael sich erinnerte, ringsum der befürchtete Regen niedergegangen, aber kein einziger Tropfen hatte ihr Reliquiar und seine Träger getroffen oder eine der Kerzen gelöscht, die sie, aufrecht wie Lanzen und unberührt vom Wind, begleitet hatten. Kleine Wunder hatte es gegeben, wo immer Winifred vorbeikam, so wie der Legende zufolge in den Fußstapfen von Welsh Olwen Blumen erblühten. Große Wunder kamen seltener vor, aber Winifred konnte ihre Macht erweisen, wo sie angebracht war. Sie hatten gute Gründe, das zu wissen und froh darüber zu sein, sowohl im fernen Gwytherin, dem Ort ihres Wirkens, als auch hier in Shrewsbury. In diesem Jahr würden die Feiern innerhalb der Abteimauern stattfinden; auch hier gab es genügend Raum für Wunder, wenn die Heilige solche bewirken wollte.

Schon jetzt trafen die Pilger zum Fest ein, in solchen Scharen, dass Cadfael das geschäftige Treiben vorn im großen Hof, am Tor und beim Gästehaus kaum eines Blickes würdigte; ebenso wenig nahm er das Klappern der Hufe auf den Pflastersteinen wahr, wenn Burschen die Pferde in die Stallungen führten. Bruder Denis, der Verwalter, würde eine Menge Leute unterzubringen und zu verpflegen haben, und zwar schon vor dem eigentlichen Festtag, an dem die Leute aus der Stadt und den Dörfern im Umkreis von vielen Meilen herbeiströmen würden.

Erst als Prior Robert auftauchte, der mit den schnellsten Schritten, die seine Würde erlaubte, um die Ecke des Kreuzgangs bog und zielstrebig auf die Gemächer des Abtes zueilte, hielt Bruder Cadfael in seinem gemächlichen Umgang mit den verwelkten Blüten inne und beobachtete ihn. Auf Roberts strengem, langem Gesicht lag der Ausdruck eines Engels, der einen Auftrag von kosmischer Bedeutung auszuführen hat, und auf den die Autorität des überirdischen Wesens übergegangen ist, das ihn ausgesandt hatte. Seine silbrige Tonsur leuchtete in der Sonne des frühen Nachmittags, und seine schmale, aristokratische Nase sondierte vorweg und erschnupperte Glorie.

Wir haben einen ganz besonders wichtigen Gast, dachte Cadfael. Und er verfolgte den Weg des Priors über die Schwelle zu den Gemächern des Abtes mit Interesse, nicht sonderlich überrascht, als er wenige Minuten später sah, wie der Abt selbst erschien und mit Robert an seiner Seite den Hof überquerte. Zwei hochgewachsene Männer, ungefähr gleich groß, der eine ganz glatte, geschmeidige, sorgfältig kultivierte Eleganz, der andere nur Knochen und Sehnen und scharfe, zurückhaltende Intelligenz. Für Prior Robert war es ein schwerer Schlag gewesen, als er bei der Neubesetzung der Vakanz, die durch die Amtsenthebung von Abt Heribert entstanden war, zugunsten eines Fremden übergangen wurde; aber er hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Er war zäh; vielleicht würde er sogar Abt Radulfus überleben und sein Ziel doch noch erreichen. Aber hoffentlich, betete Cadfael inbrünstig, erst in vielen Jahren.

Er brauchte nicht lange zu warten, bis Abt Radulfus und sein Gast zusammen über den Hof kamen, sich auf die höfliche und vorsichtige Art von Fremden unterhaltend, die sich zum ersten Mal begegnen. Hier war ein Besucher von zu großer und vermutlich zu geheimer Bedeutung, als dass er im Gästehaus untergebracht werden konnte, nicht einmal beim Adel. Ein Mann, der fast so groß war wie Radulfus und überall – außer in den Schultern – doppelt so breit, dickfleischig und beleibt bis an die Grenze des Fetten und dennoch zugleich kraftvoll und muskulös. Sein Gesicht wirkte auf den ersten Blick gerundet und glatt von gutem Leben, mit vollen Lippen, vollen Wangen und genusssüchtig. Auf den zweiten Blick verrieten die Lippen eine beträchtliche und intolerante Kraft, das fleischige Kinn umhüllte einen entschlossenen Kiefer, und die Augen bezeugten trotz ihrer leicht gedunsenen Umgebung einen scharfen und kritischen Verstand. Sein Kopf war unbedeckt, und er trug die Tonsur; sonst hätte Cadfael, der ihm noch nie begegnet war, ihn für einen Baron oder Grafen vom Hofe des Königs gehalten, denn seine Kleidung war, von ihrem düsteren Dunkelkarmin und Schwarz abgesehen, herrenmäßig geschnitten und verziert, eine lange, üppige Robe, bis auf den Boden reichend, aber zum Reiten vorn und hinten fast bis zur Taille geschlitzt, mit goldgesäumtem, dem sommerlichen Wetter entsprechend offenem Kragen, unter dem ein feines Leinenhemd zu sehen war und eine goldene Kette mit einem Kreuz unter einer dicken, muskulösen Kehle. Zweifellos gab es irgendwo einen Leibdiener oder Bereiter, der es ihm ersparte, Mantel oder Gepäck selbst tragen zu müssen – nicht einmal die Handschuhe, die er vermutlich beim Absteigen abgestreift hatte. Der Klang seiner Stimme, aus einiger Entfernung vernehmbar, als die beiden Herren das Haus betraten, war leise und gemessen und vermittelte dennoch den Eindruck von Verärgerung.

Wenige Augenblicke später sah Cadfael den vermutlichen Grund dafür. Ein Bursche kam vom Torhaus her über den Hof und führte zwei Pferde zu den Stallungen, einen stämmigen Braunen, vermutlich sein eigenes Reittier, und einen großen, eleganten, prächtig aufgezäumten Rappen mit weißen Fesseln. Keine Frage, wem er gehörte. Das prunkvolle Zaumzeug, die scharlachrote Satteldecke und die reichverzierten Zügel ließen keinerlei Zweifel daran. Zwei weitere Männer folgten mit ihren weniger dekorativen Reittieren am Zügel und einem schwerbeladenen Packpferd. Dies war ein Kleriker, der nicht ohne den Komfort reiste, den er gewohnt war. Doch wenn etwas geeignet war, den Ton gemessenen Ärgers in seiner Stimme anklingen zu lassen, so war es der Umstand, dass das schwarze Pferd, das einzige in der Gruppe, das dem Rang seines Reiters Gerechtigkeit widerfahren ließ, wenn nicht sogar das einzige, das imstande war, sein Gewicht zu tragen, auf dem linken Vorderbein lahmte. Was immer sein Auftrag und das Ziel seiner Reise sein mochten – der Gast des Abtes würde gezwungen sein, seinen Aufenthalt um ein paar Tage zu verlängern, bis die Verletzung seines Reittieres ausgeheilt war.

Cadfael beendete seine Arbeit, trug den Korb mit den verwelkten Blüten in den Garten und ließ den Trubel und die Geschäftigkeit des großen Hofes hinter sich. Das schöne, warme Wetter hatte die Rosen früh erblühen lassen. Frühlingsregen hatte für eine gute Heuernte gesorgt und die Trockenheit im Juni für ideale Verhältnisse zum Einfahren. Das Scheren der Schafe war fast abgeschlossen, und die Wollhändler errechneten hoffnungsvoll den Wert der Schuren. Die bescheidenen Pilger, die zu Fuß zur heiligen Winifred kamen, würden trockenes Reisewetter und warme Nächte haben, selbst im Freien. Das Werk der Heiligen? Cadfael konnte sich gut vorstellen, dass, wenn das Mädchen aus Wales lächelte, die Sonne auf das Grenzland schien.

Das früher angesäte der beiden Erbsenfelder, die vom Rande des Gartens zum Meole-Bach hin abfielen, war bereits reif gewesen und abgeerntet worden; zehn Tage Sonne hatten die Schoten schnell wachsen lassen. Bruder Winfrid, ein kräftiger, blauäugiger junger Riese, war eifrig damit beschäftigt, das Wurzelwerk als Dünger einzugraben, während die Stängel, mit Sicheln abgehauen, am Rande des Feldes trockneten, um als Futter und Bettstroh verwendet zu werden. Die Hände, die den Spaten schwangen, waren riesig und braun und sahen aus, als müssten sie unbeholfen sein; doch im Umgang mit Cadfaels kostbaren Glasphiolen und spröden getrockneten Kräutern waren sie ebenso geschickt und behutsam wie kraftvoll und ausdauernd beim Hantieren mit Hacke und Spaten.

In der Luft des ummauerten Kräutergartens hing eine warme und würzige Süße. Unkraut gedeiht bei gutem Wachstumswetter nicht weniger gut als die Kräuter, zwischen denen es sich breitmacht, und um diese Jahreszeit gab es immer zu tun. Cadfael schürzte seine Kutte und machte sich auf den Knien ans Werk, der warmen Erde nahe; der aufgestörte, betörende Duft umflatterte ihn wie unsichtbare Flügel, und die Sonne wärmte seinen Rücken.

Er war immer noch bei der Arbeit, wenn auch in einer wohligen Mattigkeit und ohne Hast, als zwei Stunden später Hugh Beringar nach ihm Ausschau hielt. Cadfael hörte die leichten, federnden Schritte auf dem Kies und richtete den Oberkörper auf, um seinen Freund herankommen zu sehen. Hugh lächelte, als er ihn auf den Knien vorfand.

»Bin ich in Euren Gebeten?«

»Ständig«, erklärte Cadfael feierlich. »An einem so schwierigen Fall muss man ständig arbeiten.«

Er zerkrümelte einen Klumpen warmer, dunkler Erde zwischen den Händen, wischte sich die Handflächen ab, und Hugh reichte ihm die Hand, um ihm beim Aufstehen zu helfen. In dem schmächtigen Körper und dem schlanken Handgelenk des Sheriffs steckte mehr Kraft, als sein Äußeres vermuten ließ. Cadfael kannte ihn erst seit fünf Jahren, war ihm aber näher gekommen als vielen anderen, mit denen er in den dreiundzwanzig Jahren seines Klosterlebens zusammengetroffen war. »Und was macht Ihr hier?«, fragte er. »Ich dachte, Ihr wäret im Norden auf Euren eigenen Ländereien, um das Heu einzufahren.«

»Da war ich auch, bis gestern. Das Heu ist in der Scheune, die Schur ist beendet, und ich habe Aline und Giles in die Stadt zurückgebracht. Gerade rechtzeitig, um herbeizitiert zu werden, damit ich einem großen Herrn meine Aufwartung mache, der hier zu Gast ist – zu seinem größten Missvergnügen. Wenn sein Pferd nicht lahmte, wäre er bereits auf dem Weg nach Chester. Habt Ihr nicht etwas zu trinken für einen durstigen Mann, Bruder Cadfael? – Allerdings verstehe ich nicht«, setzte er gedankenverloren hinzu, »weshalb ich so ausgedörrt bin, nachdem er allein das Reden besorgt hat.«

Cadfael hatte seinen eigenen Wein in seiner Hütte, jung, aber dennoch trinkbar. Er brachte einen Krug voll mit hinaus in die Sonne, und sie setzten sich zusammen auf die Bank an der Nordmauer des Gartens, um sich zu sonnen, ohne sich ihres Müßiggangs zu schämen.

»Ich habe das Pferd gesehen«, sagte Cadfael. »Es wird Tage dauern, bis es sich so weit erholt hat, dass es die Straße nach Chester bewältigen kann. Ich habe auch den Mann gesehen, wenn es der ist, den willkommen zu heißen der Abt sich sehr beeilte. Ich hatte den Eindruck, dass er unerwartet kam. Wenn er schnell nach Chester kommen will, braucht er entweder ein frisches Pferd oder mehr Geduld, als er vermutlich aufbringen wird.«

»Oh, er hat sich damit abgefunden. Es ist möglich, dass der Abt ihn eine Woche oder noch länger auf dem Hals haben wird. Wenn er jetzt nach Chester aufbräche, würde er seinen Mann dort nicht antreffen; es besteht also kein Grund zur Eile. Earl Ranulf ist an der Waliser Grenze und schlägt einen Einfall aus Gwynedd zurück. Owain wird dafür sorgen, dass er eine Weile beschäftigt ist.«

»Und wer ist dieser Kirchenmann auf dem Weg nach Chester?«, fragte Cadfael neugierig. »Und was wollte er von Euch?«

»Nun, er war verärgert – bis ich ihm sagte, er hätte keinen Grund zur Eile, der Earl wäre an seiner Grenze unterwegs – und schien deshalb entschlossen zu sein, allen Leuten in seiner Umgebung so viel Ärger wie möglich zu bereiten. Schickt nach dem Sheriff, damit er mir zumindest die gebührende Hochachtung erweist! Aber es steckte auch ein Körnchen Ernstes dahinter. Er wollte alles wissen, was mir über den Aufenthaltsort und die Absichten von Owain Gwynedd bekannt ist. Vor allem wollte er wissen, wie groß die Bedrohung ist, die unser Waliser Fürst für Earl Ranulf darstellt, wie sehr dem Earl daran liegt, in dieser Angelegenheit unterstützt zu werden, und ob er bereit wäre, dafür zu bezahlen.«

»Ein Mann des Königs also«, folgerte Cadfael nach einem Moment angestrengten Nachdenkens. »Ist er einer von Bischof Heinrichs Vertrauten?«

»Der nicht! König Stephan hält sich ausnahmsweise einmal an den Erzbischof und nicht an seinen Bruder in Winchester. Heinrich ist irgendwo anders beschäftigt. Nein, Euer Gast ist ein gewisser Gerbert, einer der Augustiner-Chorherren aus Canterbury, ein großer Mann im Haus des Erzbischofs Theobald. Er hat den Auftrag, eine behutsame Geste des Friedens und des Wohlwollens bei Earl Ranulf zu machen, dessen Loyalität – gegenüber Stephan oder wem auch immer – nie mehr als schwankend war, aber gefestigt werden könnte – das jedenfalls hofft Stephan! –, wenn beide Seiten ihren Vorteil davon hätten. Du gibst mir deine volle Unterstützung hier oben im Norden, und dafür halte ich dir Owain Gwynedd und seine Waliser vom Hals. Gemeinsam sind wir stärker als allein!«

Cadfaels buschige Brauen wölbten sich zu seiner ergrauten Tonsur empor. »Und das, obwohl Ranulf nach wie vor Lincoln Castle hält, Stephan zum Verdruss? Und noch weitere Burgen, die er entgegen aller Gesetze hält? Hat Stephan vor dieser Art von Unterstützung und Freundschaft die Augen verschlossen?«

»Stephan hat nichts vergessen. Aber er ist willens, darüber hinwegzusehen, wenn er erreichen kann, dass Ranulf sich ein paar Monate lang still und friedlich verhält. Es gibt mehr als nur einen unsicheren Verbündeten, der zu groß wird für seine Schuhe«, sagte Hugh. »Ich nehme an, dass Stephan vorhat, jeweils mit einem zurzeit abzurechnen. Und es gibt zumindest einen, der für ihn eine größere Bedrohung darstellt als Ranulf von Chester. Er wird bekommen, was ihm zusteht, zu gegebener Zeit, aber da ist jemand, dem Stephan mehr vorzuwerfen hat als nur ein paar gestohlene Burgen. Es lohnt sich, Chesters Entgegenkommen zu erkaufen, bis er mit Essex fertig ist.«

»Das hört sich an, als wüsstet Ihr genau, was im Kopf des Königs vor sich geht«, sagte Cadfael sanft.

»Ja, ich bin dessen so gut wie sicher. Ich habe gesehen, wie er sich bei Hofe verhielt, letzthin zu Weihnachten. Ein Fremder hätte sich fragen können, wer der König war. Umgänglich mag Stephan sein, aber sanftmütig ist er nicht. Und es gab Gerüchte, dass der Earl von Essex wieder mit der Kaiserin verhandelt hat, als sie in Oxford war; aber als sie aus der belagerten Stadt flüchten musste, wurde er anderen Sinnes. Er ist inzwischen oft genug zwischen den beiden hin- und hergependelt, und ich glaube, er ist am Ende seines Seils angekommen.«

»Und Ranulf soll besänftigt werden, bis die Sache mit dem anderen Earl erledigt ist.« Cadfael rieb sich zweifelnd die stumpfe braune Nase und dachte einen Moment stumm darüber nach. »Das scheint mir eher die Denkweise des Bischofs von Winchester zu sein als die von König Stephan«, sagte er schließlich.

»Das kann schon sein. Und vielleicht ist das der Grund dafür, dass der König für diesen Auftrag jemanden aus Canterbury beruft und nicht aus Winchester. Wer käme auf die Idee, zu vermuten, dass hinter der Hand von Erzbischof Theobald eine Idee aus Heinrichs Kopf lauern könnte? Es gibt keinen Mann im Gefolge des Königs oder der Kaiserin, der nicht weiß, dass sich die beiden nicht ausstehen können.«

Das konnte Cadfael nicht bestreiten. Die Feindschaft bestand seit fünf Jahren. Der Sitz des Erzbischofs von Canterbury war nach dem Tode Wilhelms von Corbeil vakant gewesen, und König Stephans jüngerer Bruder Heinrich hatte die zuversichtliche Erwartung gehegt, dass ihm dieses Amt übertragen würde; er war überzeugt, dass es ihm zustand. Seine Enttäuschung war groß, als Papst Innozenz an seiner Stelle Theobald von Bec berief, und Heinrich machte aus seinem Missfallen so wenig Hehl und benutzte den Einfluss, den er hatte, so offensichtlich, dass Innozenz ihn entweder in dem Wunsch, seine unbestreitbaren Fähigkeiten anzuerkennen, oder aus Ärger und Bosheit zum päpstlichen Legaten in England ernannt und ihn damit de facto über den Erzbischof gesetzt hatte – ein Schritt, der gewiss nicht dazu angetan war, den einen dem andern lieb und teuer zu machen. Fünf Jahre würdevollen, aber dennoch ingrimmigen Haders hatten das Feuer in Gang gehalten. Nein, kein argwöhnischer Earl, der von einem Abgesandten Theobalds aufgesucht wurde, würde auf die Idee kommen, hinter dem Vorschlag nach irgendwelchen Anzeichen für die verschlagenen Machenschaften Heinrichs von Winchester zu suchen.

»Nun«, gab Cadfael vorsichtig zu, »da Ranulf mit den Walisern in Gwynedd alle Hände voll zu tun hat, könnte er geneigt sein, sich höflich zu verhalten. Aber ich sehe nicht recht, welche Art von Hilfe Stephan ihm anbieten könnte.«

»Überhaupt keine«, erklärte Hugh mit einem kurzen Auflachen, »und das weiß Ranulf so gut wie wir. Nichts als seine Nachsicht; aber die wird, wie die Dinge liegen, auch ihren Wert haben. Oh, sie verstehen einander gut genug, und keiner traut dem andern, aber jeder von ihnen wird zusehen, dass der andere in seinem eigenen Interesse vorerst stillhält. Ein Übereinkommen, Auseinandersetzungen auf einen geeigneteren Zeitpunkt zu verschieben, ist besser, als überhaupt kein Übereinkommen und die Notwendigkeit, stündlich über die Schulter zu schauen. Ranulf kann sich voll und ganz Owain Gwynedd widmen und Stephan dem Problem Geoffrey de Mandeville in Essex.«

»Und in der Zwischenzeit müssen wir den Chorherrn Gerbert bewirten, bis sein Pferd ihn wieder tragen kann.«

»Und seinen Leibdiener und seine beiden Burschen und einen von Bischof de Clintons Diakonen, der ihn als Führer durch die Diözese begleitet. Ein sanftmütiger kleiner Mann namens Serlo, der in Ehrfurcht vor dem großen Herrn erstirbt. Ich bezweifle übrigens, dass er je von der heiligen Winifred gehört hat – ich meine Gerbert, nicht Serlo –, aber er wird, da er nun einmal hier ist, bestimmt die Feierlichkeiten für Euch arrangieren wollen.«

»Zuzutrauen wäre es ihm«, gab Cadfael zu. »Und was habt Ihr ihm über das kleine Problem Owain Gwynedd erzählt?«

»Die Wahrheit, wenn auch nicht die ganze Wahrheit. Dass Owain imstande ist, Ranulf an seiner eigenen Grenze so beschäftigt zu halten, dass er keine Zeit hat, anderswo Ärger zu machen. Dass keinerlei Veranlassung besteht, wirkliche Zugeständnisse zu machen, um ihn zum Stillhalten zu bewegen, dass freundliches Zureden aber nicht schaden könne.«

»Und Ihr hattet keinen Grund zu erwähnen, dass Ihr ein Abkommen mit Owain getroffen habt«, ergänzte Cadfael gelassen, »dass er uns hier in Ruhe lässt und Euch den Earl von Chester vom Halse hält. Damit bekommt Stephan zwar keine der gestohlenen Burgen hier im Norden zurück, aber es bewirkt zumindest, dass Ranulf seine gierigen Hände nicht noch auf weitere legen kann. Und was gibt es für Neuigkeiten aus dem Westen? Bei dieser trügerischen Stille in Gloucesters Land frage ich mich, was da vor sich geht. Habt Ihr irgendetwas darüber erfahren, was er im Schilde führt?«

Der planlose, aufreibende Bürgerkrieg zwischen Vetter und Base um den Thron von England dauerte jetzt schon länger als fünf Jahre; er wurde in immer wieder aufflackernden Kämpfen überwiegend im Süden und Westen ausgetragen und drang nur selten so weit nach Norden vor, dass er Shrewsbury erreichte. Die Kaiserin Mathilde mit ihrem ergebenen Gefolgsmann und illegitimen Halbbruder, dem Earl Robert von Gloucester, herrschte jetzt fast unangefochten im Südwesten und konnte sich auf Bristol und Gloucester stützen. König Stephan hielt den Rest des Landes, aber mit recht unsicherem Rückhalt in den Teilen seines Reiches, die von seiner Basis in London am weitesten entfernt lagen, sowie den Grafschaften im Süden. Unter derart instabilen Verhältnissen neigten sämtliche Barone dazu, ihren eigenen Ehrgeiz zu befriedigen, jede Gelegenheit beim Schopfe zu packen und zu versuchen, ein eigenes kleines Reich aufzubauen, anstatt dem König oder der Kaiserin Gefolgschaft zu leisten. Earl Ranulf von Chester glaubte sich weit genug von der Macht der beiden Rivalen entfernt, um sein eigenes Nest auspolstern zu können, solange die Zeitläufe für ihn günstig waren; und es war nur zu offensichtlich, dass die Errichtung eines eigenen Reiches im Norden, das sich von Chester bis Lincoln erstreckte, vor seiner angeblichen Loyalität gegenüber König Stephan Vorrang hatte. Der Auftrag des Chorherrn Gerbert besagte gewiss nicht, dass man sich auf sein Wort verlassen würde, so fromm es auch gegeben wurde; er zielte vielmehr darauf ab, ihn in seinem eigenen Interesse zum Stillhalten zu bewegen, bis der König in der Lage war, sich mit ihm zu befassen. So jedenfalls beurteilte Hugh die Angelegenheit.

»Robert«, sagte Hugh, »ist eifrig damit beschäftigt, seine Verteidigungsanlagen zu verstärken und den Südwesten in eine Festung zu verwandeln. Er und seine Schwester ziehen gemeinsam den Jungen auf, von dem sie hoffen, dass er eines Tages König wird. Oh ja, der junge Henry ist nach wie vor in Bristol, aber Stephan hat nicht die geringste Chance, seinen Krieg so weit voranzutreiben; und selbst wenn er es könnte, würde er nicht wissen, was er mit dem Jungen anfangen sollte. Aber auch sie kann, wenn sie den Jungen hätte, nicht mehr gewinnen als das Vergnügen, ihn bei sich zu haben, was vielleicht auch schon etwas Schätzenswertes ist. Letzten Endes werden sie ihn wieder nach Hause schicken müssen. Wenn er dann das nächste Mal kommt – dann vielleicht im Ernst und mit Waffen. Wer weiß?«

Die Kaiserin hatte vor weniger als einem Jahr ihren Gatten in Frankreich um Hilfe gebeten. Aber Graf Gottfried von Anjou, ob er nun an den Anspruch seiner Gemahlin auf den Thron von England glaubte oder nicht, hatte nicht die Absicht, zu ihrer Unterstützung die Truppen auszusenden, die er selbst geschickt hatte und erfolgreich zur Eroberung der Normandie einsetzte, ein Unternehmen, an dem ihm wesentlich mehr gelegen war als an Mathildes Bestrebungen. Anstelle der Ritter und der Waffen, die sie brauchte, schickte er ihr ihren zehn Jahre alten Sohn.

Was für eine Art Vater, fragte sich Cadfael, mochte dieser Graf von Anjou sein? Wie es hieß, legte er größten Wert auf das Wohlergehen seines Hauses und seiner Nachfolger und sorgte dafür, dass seine Kinder eine gute Erziehung erhielten, und gewiss setzte er mit Recht volles Vertrauen in Earl Roberts Fürsorge für das Kind, das er ihm anvertraut hatte. Dennoch – einen noch so kleinen Jungen in ein vom Bürgerkrieg zerrüttetes Land zu schicken! Zweifellos wusste er, was er von Stephan zu halten hatte, und er wusste auch, dass Stephan nicht fähig war, einem Kind etwas zuleide zu tun, selbst wenn er es in die Hände bekam. Aber was war, wenn das Kind seinen eigenen Willen hatte, selbst in so jungen Jahren, und die Reise von sich aus verlangt hatte?

Ja, es war durchaus denkbar, dass ein kühner Vater die Kühnheit seines Sohnes respektierte. Kein Zweifel, dachte Cadfael, wir werden noch von diesem Henry Plantagenet hören, der jetzt in Bristol sitzt, seine Lektionen lernt und abwartet.

»Ich muss mich auf den Weg machen«, sagte Hugh, stand auf und reckte sich träge im warmen Sonnenschein. »Für heute habe ich genug von der Geistlichkeit – Anwesende ausgenommen. Aber Ihr seid im Grunde kein Kleriker. Habt Ihr nie daran gedacht, die niederen Weihen zu nehmen? Gerade so weit, dass Ihr die Vorteile genießen könntet, wenn die eine oder andere Eurer weniger anständigen Handlungen ans Licht käme? Besser die Gerichtsbarkeit des Abtes als meine, wenn das je der Fall sein sollte.«

»Wenn das je der Fall sein sollte«, sagte Cadfael gelassen und erhob sich gleichfalls, »dann würdet Ihr höchstwahrscheinlich Euren Mund halten müssen, denn in neun von zehn Fällen würdet Ihr mit mir darin stecken. Erinnert Ihr Euch noch an die Pferde, die Ihr vor den Eintreibern des Königs versteckt habt, als ...«

Hugh legte seinen Arm um die Schultern seines Freundes und lachte. »Oh, wenn Ihr anfangt, mich an irgendwelche Dinge zu erinnern, dann kann ich Euch mit gleicher Münze heimzahlen. Lassen wir die alten Dinge lieber auf sich beruhen. Wir waren seit jeher zwei vernünftige Männer. Kommt, begleitet mich bis zum Torhaus. Es dürfte bald Vesperzeit sein.«

Gemeinsam schritten sie ohne Hast über den Kiesweg, an der Buchsbaumhecke entlang und durch den Gemüsegarten bis dorthin, wo die Rosenbeete begannen. Bruder Winfrid kam gerade vom Erbsenfeld über die Kuppe des Abhangs, forsch ausschreitend mit dem Spaten über der Schulter.

»Lasst Euch bald die Erlaubnis erteilen, zu kommen und Euren Patensohn zu besuchen«, sagte Hugh, als sie die Buchsbaumhecke umrundeten und der Trubel auf dem Hof ihnen entgegenschlug wie das geschäftige Summen eines Bienenschwarms. »So oft wir in der Stadt ankommen, fragt Giles nach Euch.«

»Ich komme gern. Ich vermisse ihn, wenn Ihr im Norden seid, aber er ist dort im Sommer besser untergebracht als hier innerhalb der Mauern. Und Aline ist wohlauf?« Er fragte voller Zuversicht, denn er wusste, dass er es sofort erfahren hätte, wenn ihr irgendetwas fehlte.

»Sie blüht wie eine Rose. Aber kommt und überzeugt Euch selbst. Sie wird sich über Euren Besuch freuen.«

Sie kamen um die Ecke des Gästehauses auf den Hof, auf dem noch immer ein fast so geschäftiges Treiben herrschte wie auf dem Marktplatz. Ein weiteres Pferd wurde zu den Stallungen geführt. Bruder Denis empfing den neu angekommenen Gast, staubig von der Straße, an der Schwelle seines Reiches; zwei oder drei Brüder rannten mit Strohsäcken, Kerzen und Wasserkrügen hin und her; bereits untergebrachte Gäste beobachteten, wie die Neuankömmlinge sich beim Torhaus drängten, erneuerten alte Bekanntschaften und schlossen neue, während die Kinder der Abtei, Oblaten und Schüler gleichermaßen, sich in kleinen Gruppen zusammenscharten, ganz Augen und Ohren, hüpfend und zirpend wie Grillen, und zwischen den Pilgern so aufgeregt umherspringend wie Hunde auf einem Jahrmarkt. Das Erscheinen von Bruder Jerome auf dem Weg vom Kreuzgang über den Hof zum Hospital hätte die Jungen normalerweise zu gesittetem Stillschweigen veranlasst, aber in dem fröhlichen Trubel war es einfach, ihm auszuweichen.

»Ihr werdet zum Fest Euer Haus voll haben«, bemerkte Hugh, der stehengeblieben war, um das bunte Chaos zu betrachten, das er offenkundig ebenso genoss wie die Kinder.

Die Gruppe, die sich unmittelbar hinter dem Tor versammelt hatte, geriet plötzlich in Bewegung. Der Pförtner trat in den Eingang zu seiner Behausung, und die Leute beiderseits des Tores wichen zurück, als wollten sie einem Reiter Platz machen. Doch unter dem Torbogen war nicht das harte Geklapper von Hufen auf Kopfsteinpflaster zu hören. Die neuen Gäste kamen zu Fuß, und als sie den Hof erreicht hatten, wurde deutlich, weshalb ihnen so bereitwillig Platz gemacht wurde. Ein langer, flacher Handkarren rollte knarrend herein, gezogen von einem untersetzten, grauhaarigen Bauern und geschoben von einem schlanken, mit Reisestaub bedeckten jungen Mann. Die Fracht, die darauf lag, war mit einem dunkelbraunen Mantel zugedeckt, und auf ihr lag ein in Sackleinen eingeschlagenes Bündel; doch angesichts der Art, auf die sich die beiden Männer abmühten, musste sie schwer sein, und ihre Form, so lang, wie ein Mann groß war, und schulterbreit, rief Gedanken an Sterblichkeit wach. Von ihr ausgehend breitete sich Schweigen aus und erreichte allmählich auch die Stelle, an der Hugh und Cadfael standen. Die Kinder schauten großäugig drein und standen mit gespitzten Ohren da, ehrfürchtig und neugierig zugleich, und wollten sich nichts entgehen lassen.

»Ich glaube«, sagte Hugh leise, »da kommt ein Gast, der eine Unterkunft außerhalb des Gästehauses braucht.«

Der junge Mann hatte sich aufgerichtet, leise stöhnend nach der Anstrengung des gebückten Schiebens, und schaute sich nach der nächsten Amtsperson um. Der Pförtner kam auf ihn zu, umrundete den Karren mit dem Sarg auf die umsichtige Art eines Mannes, den nichts überrascht und der sich von nichts aus der Fassung bringen lässt, nicht einmal vom Auftreten des Todes inmitten der Vorbereitungen zu einem Fest. Was zwischen ihnen gesprochen wurde, war zu leise, zu ernst und zu vertraulich, als dass es von irgendjemandem mitgehört werden konnte; aber es hatte den Anschein, als bäte der Fremde um Unterkunft für sich selbst und seinen Schutzbefohlenen. Sein Verhalten war ehrerbietig und höflich, wie es sich in dieser Umgebung geziemte, verriet aber auch Selbstbewusstsein. Er wendete den Kopf und deutete mit der Hand auf die Kirche. Er war ein junger Mann, vielleicht sechsundzwanzig oder siebenundzwanzig Jahre alt, in Kleidern, die von der Sonne ausgebleicht und dick mit dem Staub der Straße bedeckt waren. Etwas mehr als mittelgroß, schlank und sehnig, mit kräftigen Knochen und breiten Schultern und einer Mähne aus strohfarbenem Haar, etwas heller als die von der Sonne gebräunte Stirn, und mit einer guten, kühnen Nase, schmal und gerade. Ein stolzes Gesicht, im Augenblick erschöpft von der Anstrengung und ernst, wie es die Art seines Auftrags mit sich brachte; aber von Natur aus, dachte Cadfael, der ihn über den Hof hinweg musterte, müsste es eigentlich ein offenes, zuversichtliches, gutmütiges Gesicht sein, das gern lächelte, und ein breitlippiger Mund, der bereit war, auf das erste freundliche Wort zu reagieren.

»Jemand aus Eurer Herde hier in der Vorstadt?«, fragte Hugh, der ihn interessiert betrachtete. »Aber nein, seinem Aussehen nach ist er lange unterwegs gewesen und hat eine weite Reise hinter sich.«

»Dennoch«, sagte Cadfael und schüttelte den Kopf, weil ihn sein Erinnerungsvermögen im Stich ließ, »ist mir so, als hätte ich dieses Gesicht schon einmal gesehen, irgendwo, vor längerer Zeit. Oder er erinnert mich an einen anderen jungen Mann, den ich kannte.«

»Die jungen Männer, die Ihr früher einmal gekannt habt, könnten in der halben Welt zu Hause sein. Nun, Ihr werdet es herausfinden, zu gegebener Zeit«, sagte Hugh. »Es sieht aus, als wollte sich Bruder Denis um die Angelegenheit kümmern, und einer Eurer jungen Leute ist in den Kreuzgang gerannt, um noch jemand anderen zu holen.«

Dieser andere Jemand war, wie sich herausstellte, kein Geringerer als Prior Robert höchstpersönlich, pflichtbewusst gefolgt von Bruder Jerome. Die ausgreifenden Schritte des Priors und die Kürze von Jeromes Beinen verwandelten das, was eigentlich ein eifriges, selbstbewusstes Voranschreiten sein sollte, in ein hastiges Getrippel – ein Getrippel, das Jerome immer rechtzeitig dorthin bringen würde, wo etwas vor sich ging, das ihm Gelegenheit bot zur Befriedigung seiner Neugierde, zu Tadel oder Frömmelei.

»Eure seltsamen Gäste werden aufgenommen«, bemerkte Hugh, der dem Verlauf der Unterredung folgte, »wenn auch nur unter Vorbehalt. Nun, einen Toten kann er kaum abweisen.«

»Den Mann mit dem Karren kenne ich«, sagte Cadfael. »Er lebt in der Nähe des Wrekin. Ich habe ihn schon oft gesehen, wenn er Waren auf den Markt brachte. Karren und Mann müssen für die Überführung angemietet worden sein. Aber der andere hat eine lange Reise hinter sich, da bin ich ganz sicher. Und nun frage ich mich, wie weit er den ihm Anvertrauten mit unterwegs angemieteter Hilfe befördert hat. Und ob er hier am Ziel seiner Reise angekommen ist.«

Es war durchaus nicht sicher, ob Prior Robert die unerwartete Ankunft eines Sarges willkommen hieß, auf einem Hof, auf dem es von Pilgern wimmelte, die auf gute Vorzeichen und erfreuliche Aufregungen hofften. Prior Robert war nie bereit, etwas zu billigen, das auf irgendeine Weise den reibungslosen, geregelten Lauf der Dinge innerhalb der Klostermauern störte. Aber ganz offensichtlich fand er keinen Vorwand, um zu verweigern, was hier mit aller gebotenen Ehrerbietung gefordert wurde. Den Neuankömmlingen wurde gestattet, zu bleiben, wenn auch nur unter Vorbehalt, wie Hugh gesagt hatte. Jerome eilte dienstbeflissen davon, um vier kräftige Brüder und Novizen herbeizuholen; sie hoben den Sarg vom Karren und trugen ihn zum Kreuzgang hinüber, zweifellos um ihn in die Totenkapelle der Kirche zu bringen. Der junge Mann ergriff das bescheidene Bündel seiner Habseligkeiten und trabte ein wenig erschöpft hinter dem Leichenzug her; dann verschwand er im südlichen Teil des Kreuzgangs. Er ging, als wäre er steif und fußkrank; dennoch hielt er sich aufrecht, ohne eine Spur vorgeblichen Kummers; obwohl auf seinem Gesicht ein nachdenklicher Ernst lag, war er doch mehr mit dem beschäftigt, was in seinem eigenen Kopf vor sich ging, als mit dem, was die Leute um ihn herum denken mochten.

Bruder Denis kam die Stufen vom Gästehaus herunter und eilte hinter dem Leichenzug her über den Hof, vermutlich, um den lebenden Gast zurückzuholen und mit gebührender Freundlichkeit unterzubringen. Die Umstehenden schauten noch ein paar Sekunden lang hinter dem Sarg her und kehrten dann zu ihren Beschäftigungen zurück; das Stimmengewirr und die Geschäftigkeit setzten wieder ein, zuerst leise und zögernd, aber bald so lautstark wie zuvor, zumal die Leute jetzt, sobald der Moment der Ehrfurcht vorüber war, etwas erfreulich Besonderes zu bereden hatten.

Hugh und Cadfael gingen in nachdenklichem Schweigen auf das Torhaus zu. Der Kärrner hatte die Deichsel seines Karrens ergriffen und ihn durch den Torbogen in die Vorstadt hinausgezogen. Allem Anschein nach war er für seine Mühe im Voraus entlohnt worden und mit seinem Entgelt zufrieden.

»Es sieht so aus, als wäre die Arbeit dieses Mannes getan«, sagte Hugh, der beobachtete, wie er auf die Straße abbog. »Zweifellos werdet Ihr bald von Bruder Denis hören, um was es hier geht.«

Hughs Pferd, der Graue, den er seltsamerweise bevorzugte, war am Torhaus angebunden; keine große Schönheit in Bezug auf Aussehen oder Temperament, hartmäulig, eigensinnig und widerspenstig, mit abgrundtiefer Verachtung für alle Menschen außer seinem Herrn – und selbst diesem zollte er nicht mehr als die duldende Achtung eines Gleichrangigen.

»Kommt uns bald besuchen«, sagte Hugh mit einem Fuß im Steigbügel und den Zügeln in der Hand, »und erzählt mir alles, was man so redet. Vielleicht seid Ihr in ein oder zwei Tagen imstande, dem Gesicht dieses jungen Mannes einen Namen zu geben.«

Zweites Kapitel

Nach dem Abendessen trat Cadfael aus dem Refektorium in einen hellen, warmen, im Licht eines rosigen Sonnenuntergangs leuchtenden Abend hinaus. Während des Essens war, wahrscheinlich auf Veranlassung von Prior Robert und dem Chorherrn Gerbert zu Ehren, aus den Schriften des heiligen Augustinus vorgelesen worden, die Cadfael nicht so schätzte, wie er es eigentlich sollte. Augustinus hatte eine gewisse unbeugsame Strenge an sich, für die ein Leser, der anderer Ansicht ist, nur wenig Verständnis aufbringt. Cadfael dachte nicht daran, einem berühmten Heiligen gegenüber, für den die Menschheit nur eine Masse aus Sünde und Verderben auf ihrem unausweichlichen Weg zum Tode und die Welt mit all ihren Unzulänglichkeiten unheilbar schlecht war, seine geheimen Vorbehalte aufzugeben. Er betrachtete die Welt, von den Rosen im Garten bis zu den behauenen Steinen des Kreuzgangs, und empfand sie als unbestreitbar schön. Er konnte auch nicht einsehen, dass die Zahl derjenigen, denen die Erlösung vorherbestimmt war, feststand und ein für alle Mal begrenzt war, wie Augustinus behauptete, und erst recht nicht, dass das Schicksal jedes Menschen vom Augenblick seiner Geburt an besiegelt und hoffnungslos war – wenn es nichts gab, auf das man vorausblicken konnte, dann konnte man alle Rücksicht auf andere abwerfen, rauben und morden und brennen und jedem zerstörerischen Verlangen nachgeben.

In dieser aufsässigen Stimmung begab sich Cadfael statt zur abendlichen Zusammenkunft, bei der bestimmt die Beschäftigung mit der ingrimmigen Rechtschaffenheit des heiligen Augustinus weitergehen würde, ins Hospital. Es war wesentlich besser, die Bestände von Bruder Edmunds Medizinschrank zu überprüfen und sich eine Weile mit den alten Brüdern zu unterhalten, die mittlerweile zu gebrechlich waren, um noch ihren vollen Anteil zum Alltagsleben des Klosters beizutragen.

Edmund, der seit seinem vierten Lebensjahr im Kloster lebte und ein scharfer Beobachter war, war pflichtgemäß im Kapitelsaal erschienen, um Jeromes Vorlesung zu lauschen. Er kehrte gerade in dem Augenblick zurück, in dem Cadfael die Türen des Medizinschrankes schloss und in Gedanken die drei Dinge memorierte, die aufgefüllt werden mussten.

»Hier steckt Ihr also«, sagte Edmund ohne eine Spur von Überraschung. »Das ist gut, denn ich habe jemanden mitgebracht, der ein scharfes Auge und eine sichere Hand braucht. Ich wollte es selbst versuchen, aber Eure Augen sind besser als meine.«

Cadfael drehte sich um; er wollte sehen, wer der spätabendliche Patient war. Das Licht im Hospital war nicht sonderlich gut, und der Mann, der hinter Edmund hereinkam, zögerte beim Eintreten und blieb schüchtern auf der Schwelle stehen. Jung, schlank und ungefähr von Edmunds Größe, die etwas über dem Durchschnitt lag.

»Kommt herein zur Lampe«, sagte Edmund, »und zeigt Bruder Cadfael Eure Hand.« Und zu Cadfael, als der junge Mann stumm näherkam: »Unser Patient ist erst heute eingetroffen, und er hat eine lange Reise hinter sich. Er dürfte dringend Schlaf brauchen, aber er wird besser schlafen, wenn Ihr die Splitter aus seiner Hand holen könnt, bevor sie eitert. Ich halte die Lampe.«

Das angehobene Licht verwandelte das Gesicht des jungen Mannes in ein deutliches und kantiges Relief mit gerader Nase, kräftigen Wangenknochen und tiefen Schatten, die die Form des Mundes und die Augenhöhlen unter der hohen Stirn betonten. Er hatte den Reisestaub abgewaschen und die Mähne aus blondem, gelocktem Haar glattgebürstet. Die Farbe seiner Augen ließ sich vorerst nicht erkennen, denn sie waren auf seine rechte Hand gerichtet, die er mit der Handfläche nach oben gehorsam dicht an die Lampe hielt. Der junge Mann, der zusammen mit einem toten Begleiter in die Abtei gekommen war und um Unterkunft für beide gebeten hatte.

Die Hand, die er etwas widerwillig zur Betrachtung darbot, war groß und sehnig mit langen, kräftigen Fingern. Der Schaden war auf den ersten Blick zu erkennen. Im Daumenballen hatten sich zwei oder drei zerfetzte Einstiche zu einer kleinen, entzündeten Wunde vereinigt. Wenn sie nicht schon jetzt eiterte, würde sie es bald tun, wenn sie nicht behandelt wurde.

»Der Karren Eures Dienstmannes muss in sehr schlechtem Zustand gewesen sein«, sagte Cadfael. »Wie konntet Ihr Euch so verletzen? Habt Ihr ihn aus einem Graben herausgeschoben? Oder hat er Euch mehr als Euren Teil der Arbeit tun lassen, während er in seinem Geschirr vor Euch herging? Und womit habt Ihr versucht, die Splitter herauszuholen? Mit einem schmutzigen Messer?«

»Es ist nicht der Rede wert«, sagte der junge Mann. »Ich wollte Euch nicht damit behelligen. Es war ein neues Querbrett, das er gerade angebracht hatte, und das noch nicht richtig geglättet war. Und es war eine sehr schwere Last; der Sarg musste mit Blei ausgekleidet und versiegelt werden. Die Splitter sind tief eingedrungen, es steckt noch Holz in der Hand, obwohl ich einiges davon herausgeholt habe.«

Im Medizinschrank lagen Pinzetten. Cadfael stocherte sorgsam in dem entzündeten Fleisch, kniff über der Hand des jungen Mannes die Augen zusammen. Sein Sehvermögen war ausgezeichnet und sein Zugriff, wenn erforderlich, unerbittlich. Das raue Holz war tief eingedrungen und im Fleisch noch weiter zersplittert. Er holte Stückchen um Stückchen heraus und drückte auf die Stelle, um herauszufinden, ob noch etwas zurückgeblieben war. Dem Verhalten seines Patienten war nichts zu entnehmen; er stand still und unerschütterlich da, entweder von Natur aus schweigsam oder nur schüchtern und zurückhaltend an einem Ort, der ihm noch fremd war.

»Spürt Ihr da drinnen noch etwas?«

»Nein, nur den Wundschmerz, kein Stechen«, sagte der junge Mann.

Der Weg des längsten Splitters zeichnete sich dunkel unter der Haut ab. Cadfael griff in den Schrank nach einer Lotion zum Säubern der Wunde, hergestellt aus Beinwell, Labkraut und Wundkraut, das seinen Namen mit gutem Grund trug: »Damit die Wunde nicht eitert. Wenn die Entzündung morgen noch nicht besser ist, kommt Ihr wieder zu mir, und dann baden wir sie noch einmal, aber ich glaube, Euer Fleisch wird gut heilen.«

Edmund hatte sie verlassen, um seine Runde bei den alten Mönchen zu machen und die kleine ewige Lampe in ihrer Kapelle aufzufüllen. Cadfael schloss den Schrank und ergriff die Lampe, in deren Licht er gearbeitet hatte, um sie an ihren gewohnten Platz zurückzustellen. Sie zeigte ihm das Gesicht des Patienten von vorn, nahe und deutlich. Die tiefliegenden Augen, fest auf Cadfael gerichtet, mussten bei Tageslicht von einem dunklen, strahlenden Blau sein; jetzt wirkten sie fast schwarz. Der breite, bisher etwas verkniffene Mund entspannte sich plötzlich zu einem jungenhaften Lächeln.

»Jetzt erkenne ich Euch wieder!«, sagte Cadfael überrascht und erfreut. »Als ich Euch ankommen sah, war mir, als hätte ich Euer Gesicht schon einmal gesehen. Aber Euren Namen weiß ich nicht. Wenn ich ihn je wusste, dann habe ich ihn seit Jahren vergessen. Aber Ihr seid der Junge, der früher einmal der Schreiber von William von Lythwood war und mit ihm vor langer, langer Zeit auf Pilgerschaft gegangen ist.«

»Vor sieben Jahren«, sagte der junge Mann, plötzlich erfreut, weil man sich seiner erinnerte. »Und mein Name ist Elave.«

»Und jetzt seid Ihr wohlbehalten von Eurer Reise zurückgekehrt! Kein Wunder, dass Ihr ausgesehen habt wie jemand, der durch die halbe Welt gewandert ist. Ich weiß noch, wie Euer Herr seine letzte Gabe in die Kirche brachte, bevor er aufbrach. Er hatte vor, nach Jerusalem zu pilgern, und ich erinnere mich, dass ich mir damals fast wünschte, ich könnte ihn begleiten. Hat er die Stadt wirklich erreicht?«

»Ja, das hat er«, sagte Elave und wurde noch lebhafter. »Wir haben sie erreicht. Was für ein Glück, dass ich in seine Dienste getreten war! Ich hatte den besten Herrn, den ein Mann überhaupt haben kann – schon bevor er auf den Gedanken kam, mich auf seine Reise mitzunehmen, weil er selbst keinen Sohn hatte.«

»Nein, den hatte er nicht«, pflichtete Cadfael ihm bei, über sieben Jahre zurückblickend. »Es waren seine Neffen, die seine Geschäfte übernahmen. Er war ein kluger Mann, und er hat unserem Haus viele Wohltaten erwiesen. Es gibt hier noch eine ganze Reihe von Brüdern, die sich an seine Gaben erinnern werden ...«

Er gebot seinen Gedanken Einhalt. In der Hitze der Erinnerung hatte er ein paar Minuten lang die Gegenwart aus den Augen verloren. Und jetzt kehrte sie mit plötzlichem Begreifen zurück. Dieser Junge war mit einem einzigen Gefährten aufgebrochen, und mit einem einzigen Gefährten war er zurückgekehrt.

»Wollt Ihr damit sagen«, sagte Cadfael nüchtern, »dass es William von Lythwood ist, den Ihr in einem Sarg heimgebracht habt?«

»So ist es«, sagte Elave. »Er ist in Valognes gestorben, bevor wir Barfleur erreichen konnten. Er hatte Geld beiseitegelegt, damit ich, falls es passieren sollte, alles bezahlen und uns beide nach Hause bringen konnte. Er war krank, seit wir durch Frankreich nordwärts wanderten. Manchmal mussten wir unterwegs einen Monat oder länger Station machen, bevor er weiterkonnte. Er wusste, dass er dem Tode nahe war, aber er machte keine großen Worte darüber. Und die Mönche waren gut zu uns. Ich kann gut schreiben, ich arbeitete, wenn ich konnte. Wir haben getan, was wir tun wollten.« Er erzählte schlicht und gelassen; nach so langer Zeit mit einem Herrn, der in sich selbst und seinem Glauben ruhte und sich nicht vor dem Ende fürchtete, hatte sich der Junge die gleiche praktische Einstellung zum Leben angeeignet. »Ich muss seinen Verwandten Botschaften von ihm überbringen. Und er hat mich beauftragt, hier um eine Ruhestätte für ihn zu bitten.«

»Hier auf dem Grund der Abtei?«, fragte Cadfael.

»Ja. Ich habe darum gebeten, morgen beim Kapitel angehört zu werden. Er war zeit seines Lebens ein großer Gönner dieses Hauses, der Vater Abt wird sich daran erinnern.«

»Es ist ein anderer Abt, den wir jetzt haben, aber Prior Robert wird sich erinnern und viele andere unter uns. Und Abt Radulfus wird Euch anhören, von ihm braucht Ihr keine Ablehnung zu befürchten. Euer Herr William wird genug Zeugen haben. Aber es tut mir leid, dass er nicht lebendig heimkehrte, um uns von seiner Reise zu erzählen.« Er betrachtete den schlanken jungen Mann vor sich mit wohlbedachtem Respekt. »Aber Ihr habt gut an ihm gehandelt, und es muss ein beschwerlicher Weg für Euch gewesen sein, diese letzte Strecke. Ihr wart kaum erwachsen, als er mit Euch aufbrach.«

»Ich war knapp neunzehn«, sagte Elave lächelnd. »Neunzehn, aber kräftig wie ein Pferd. Jetzt bin ich sechsundzwanzig und kann auf eigenen Beinen stehen.« Er musterte Cadfael so eindringlich, wie er selbst gemustert wurde. »Ich erinnere mich an Euch, Bruder. Ihr seid derjenige, der vor langer Zeit selbst im Osten gekämpft hat.«

»So ist es«, gab Cadfael fast glücklich zu. Angesichts dieses jungen Mannes, heimgekehrt von Orten, die er einst gut gekannt hatte und die für ihn voller Erinnerungen waren, spürte er, wie die alte Sehnsucht erneut in ihm erwachte und die alten Geister sich wieder regten. »Wenn Ihr Zeit habt, können wir beide, Ihr und ich, uns über vieles unterhalten. Aber nicht jetzt! Wenn Ihr nicht von der Reise erschöpft seid, dann solltet Ihr es eigentlich sein, und morgen wird sich vielleicht ein geeigneter Zeitpunkt finden. Und jetzt geht lieber und seht zu, dass Ihr Schlaf bekommt. Ich muss zur Komplet.«

»Ihr habt recht«, pflichtete Elave ihm bei. »Ich bin sehr froh, hier zu sein und getan zu haben, was ich meinem Herrn versprochen habe. Ich wünsche Euch eine gute Nacht, Bruder, und ich danke Euch.«

Cadfael sah ihm nach, wie er den Hof überquerte und die Stufen des Gästehauses hinaufging, ein zäher, ausdauernder junger Mann, der in sieben Jahren mehr von der Welt gesehen hatte als andere in ihrem ganzen Leben. Niemand innerhalb dieser Mauern konnte ihm im Geiste dorthin folgen, wo er gewesen war, niemand außer Cadfael. Der alte Appetit regte sich heißhungrig, nach langen Jahren der Stille und des inneren Friedens.

»Habt Ihr ihn wiedererkannt?«, fragte Edmund, der neben Cadfaels Schulter auftauchte. »Er war ein- oder zweimal im Auftrage seines Herrn hier, das weiß ich noch, aber zwischen ungefähr Achtzehn und der Mitte der Zwanziger kann ein Mann sich bis zur Unkenntlichkeit verändern, insbesondere ein Mann, der bis ans Ende der Welt und wieder zurück gereist ist. Manchmal frage ich mich, Bruder Cadfael, ob ich auch nur die geringste Ahnung davon habe, was mir entgangen ist.«

»Und seid Ihr Eurem Vater dankbar dafür, dass er Euch in Gottes Haus gegeben hat?«, fragte Cadfael. »Oder wünscht Ihr Euch, dass er Euch eine Chance zum Leben unter Männern gegeben hätte?« Sie waren lange genug enge Freunde, dass derartige Fragen statthaft waren.

Bruder Edmund lächelte sein stilles Lächeln. »Ihr zumindest könnt niemandes Handeln in Frage stellen als Euer eigenes. Ich gehöre einer vergangenen Ordnung an, Bruder Cadfael. Leute wie mich wird es nicht mehr geben, zumindest nicht unter Radulfus. Kommt, lasst uns zur Komplet gehen und um die Beständigkeit beten, die wir gelobt haben.«

Der junge Mann Elave durfte am nächsten Morgen vor dem Kapitel erscheinen, sobald die dringendsten Haushaltsangelegenheiten erledigt waren.

Die Zahl der Teilnehmer war an diesem Tag um die zu Gast weilenden Kleriker erhöht. Chorherr Gerbert, fürs Erste daran gehindert, seinen Auftrag zu erfüllen, konnte nichts tun, als seine ungeforderten Energien auf die Einmischung in alle möglichen Dinge zu richten; er thronte während der gesamten Sitzung neben Abt Radulfus, und der Diakon des Bischofs, dem Chorherrn zu treuen Diensten zugewiesen, stand pflichteifrig an seiner Seite. Wie Hugh gesagt hatte, war er ein sanftmütiger kleiner Mann mit einem weichen, runden, klugen Gesicht, der ehrfürchtig zu Gerbert aufblickte. Er mochte in den Vierzigern sein, glattwangig, rosig und gesund, mit einem dünnen, ergrauenden Ring aus blondem Haar, stellenweise von beginnender Kahlheit durchbrochen. Zweifellos hatte er unterwegs von seinem mächtigen Begleiter einiges auszustehen gehabt und hatte kein anderes Ziel, als seinen Auftrag so schnell und so friedlich wie möglich zu erledigen. Der Weg nach Chester würde ihm sehr lang vorkommen, falls er Anweisung hatte, so weit mitzureisen.

Vor diese vergrößerte und erhabene Versammlung trat Elave, sobald er dazu aufgefordert worden war, ausgeruht und glücklich vor Erleichterung, sein Ziel erreicht zu haben und die Last der Verantwortung ablegen zu können. Sein Gesicht war offen und zuversichtlich, sogar fröhlich. Er hatte keinerlei Anlass, etwas anderes zu erwarten als die Gewährung seiner Bitte.

»Ehrwürdiger Abt«, sagte Elave, »ich habe aus dem Heiligen Land den Leichnam meines Herrn William von Lythwood zurückgebracht, der in dieser Stadt wohlbekannt war und der Abtei und der Kirche viel Gutes getan hat. Ihr habt ihn nicht gekannt, Herr, da er vor sieben Jahren zu seiner Pilgerreise aufgebrochen ist, aber es gibt hier Brüder, die sich an seine Spenden und Almosen erinnern und Zeugnis für ihn ablegen können. Es war sein Wunsch, auf dem Friedhof neben der Abteikirche begraben zu werden, und deshalb bitte ich mit allem Respekt um Grab und Beisetzung innerhalb dieser Mauern.«

Vielleicht hat er diese Ansprache viele Male geprobt, dachte Cadfael, und immer wieder anders formuliert; er schien kein Mann vieler Worte zu sein, es sei denn, er fühlte sich veranlasst, etwas zu verteidigen, das ihm teuer war. Wie dem auch sein mochte, die Worte schienen ihm von Herzen zu kommen. Er hatte eine angenehme Stimme, und seine Reise hatte ihn gelehrt, wie er sich unter Männern aller Art und jeden Ranges zu verhalten hatte.

Radulfus nickte zustimmend und wendete sich an Prior Robert. »Im Gegensatz zu mir seid Ihr, Bruder Robert, schon länger als sieben Jahre hier. Erzählt mir von dem Mann, wie Ihr ihn in Erinnerung habt. Er war ein Kaufmann in Shrewsbury?«

»Ein überaus geachteter Kaufmann«, sagte der Prior bereitwillig. »Er besaß eine Herde auf der Waliser Seite der Stadt und war außerdem als Agent für eine Reihe weiterer Schafhalter mit kleineren Herden tätig, deren Wolle er so günstig wie möglich verkaufte. Außerdem hatte er eine Werkstatt, in der er aus den Häuten Pergament fertigte. Sehr feines, weißes Pergament von bester Qualität. Wir haben es früher des Öfteren von ihm gekauft, ebenso wie andere Klöster. Jetzt werden die Geschäfte von seinen Neffen geführt. Ihr Haus liegt in der Stadt in der Nähe der Kirche von Saint Alkmund.«

»Und er war ein Gönner unseres Hauses?«

Bruder Benedict, der Sakristan, zählte die vielen Spenden auf, die William im Laufe der Jahre gemacht hatte, sowohl der Abtei als auch der Pfarrei von Holy Cross. »Er war ein guter Freund von Abt Heribert, der vor drei Jahren hier gestorben ist.« Heribert, zu sanft und nachgiebig für den Geschmack des Bischofs Heinrich von Winchester, den päpstlichen Legaten, war seines Amtes enthoben und durch Radulfus ersetzt worden und hatte seine Tage ohne jedes Bedauern recht glücklich als einfacher Klosterbruder beendet.

»William spendete im Winter auch großzügig für die Armen«, setzte Bruder Oswald, der Almosenpfleger, hinzu.