Bruder Cadfael und die Zuflucht im Kloster - Ellis Peters - E-Book

Bruder Cadfael und die Zuflucht im Kloster E-Book

Ellis Peters

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Beschreibung

Die Kult-Krimi-Serie endlich als eBook!

Die Benediktiner-Abtei von Shrewsbury ist in Aufruhr: Ein junger Mann wird von einem wütenden Mob des Raubmordes beschuldigt und flüchtet sich in das Kloster. Bruder Cadfael glaubt zwar an die Unschuld des reisenden Gauklers, doch dann geschieht ein weiterer Mord - und die Lage spitzt sich zu. Wird es dem Mönch gelingen, aus den falschen Indizien die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen und rechtzeitig die Unschuld des Beklagten zu beweisen?

Über die Reihe: Morde und Mysterien im finstersten Mittelalter des 12. Jahrhunderts liefern den perfekten Hintergrund für die spannenden Abenteuer des Bruders Cadfael, eines ehemaligen Kreuzritters, der sich als Mönch in die Abtei St. Peter & Paul nahe Shrewsbury zurückgezogen hat. Doch ein ruhiges Leben als Kräutergärtner und Heilkundiger ist ihm nicht vergönnt: Immer wieder muss er seine detektivischen Fähigkeiten einsetzen, um Verbrechen in der Gemeinde aufzuklären.

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung!



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Inhalt

Cover

Weitere Titel der Autorin

Über dieses Buch

Über die Reihe

Über die Autorin

Titel

Impressum

1 Freitag Mitternacht bis Samstagmorgen

2 Samstag – von Prim bis Mittag

3 Samstag – von Mittag bis Nacht

4 Sonntag

5 Montag – vom frühen Morgen bis zur Komplet

6 Montagnacht bis Dienstagnachmittag

7 Dienstag – Nachmittag bis Nacht

8 Mittwoch

9 Donnerstag – vom Morgen bis zum späten Abend

10 Donnerstagnacht bis Freitagmorgen

11 Freitag – vom Morgen bis zum späten Abend

12 Freitagnacht

13 Freitagnacht bis Samstagmorgen

14 Danach

Weitere Titel der Autorin

Bruder Cadfael und die Entführung der Heiligen

Bruder Cadfael und der unbekannte Tote

Bruder Cadfael und das Mönchskraut

Bruder Cadfael und der Hochzeitsmord

Bruder Cadfael und der Aufstand auf dem Jahrmarkt

Bruder Cadfael die Jungfrau im Eis

Über dieses Buch

Aufregende Ereignisse in der Benediktiner-Abtei von Shrewsbury: Ein junger Mann wird von einem wütenden Mob des Raubmordes beschuldigt und flüchtet sich in das Kloster. Bruder Cadfael glaubt zwar an die Unschuld des reisenden Gauklers, doch bleibt ihm wenig Zeit, diese auch zu beweisen. Als ein weiterer Mord für noch mehr Unruhe unter den Bewohnern sorgt, ist des Rätsels Lösung umso dringender. Wird es dem Mönch letzten Endes gelingen, die richtigen Schlussfolgerungen aus den falschen Indizien zu ziehen?

Über die Reihe

Morde und Mysterien im finsteren Mittelalter des 12. Jahrhunderts liefern den perfekten Hintergrund für die spannenden Abenteuer des Bruders Cadfael, einem ehemaligen Kreuzritter, der sich als Mönch in die Abtei St. Peter & Paul nahe Shrewsbury zurückgezogen hat. Doch ein ruhiges Leben als Kräutergärtner und Heilkundiger ist ihm nicht vergönnt: Immer wieder muss er seine detektivischen Fähigkeiten einsetzen, um Verbrechen in der Gemeinde aufzuklären.

Über die Autorin

Ellis Peters ist das Pseudonym der 1913 geborenen englischen Autorin Edith Pargeter. Ihre Bruder-Cadfael-Reihe erschien in 15 Sprachen und mehr als 20 Ländern und wurde erfolgreich von der BBC verfilmt. Ihr Wissen als Apothekenhelferin war der Ausgangspunkt für den kräuterkundigen Bruder Cadfael. Ellis Peters starb im Oktober 1995.

Ellis Peters

Bruder Cadfael und die Zuflucht im Kloster

Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren

Digitale Erstausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 1983 by Ellis Peters

Titel der britischen Originalausgabe: »The Sanctuary Sparrow«

Originalverlag: Macmillan, London

Für die deutschsprachige Erstausgabe:

Copyright © der deutschen Übersetzung 1988 by Wilhelm Heyne Verlag

Verlag: Wilhelm Heyne Verlag, München

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Titel der deutschsprachigen Erstausgabe: »Zuflucht im Kloster«

Lektorat/Projektmanagement: Rebecca Schaarschmidt

Covergestaltung: Thomas Krämer unter Verwendung von Motiven © Color Symphony/shutterstock, © optimarc/shutterstock, © Andrey_Kuzmin/shutterstock, © azure1/shutterstock; 5. Kerstin Schoene/shutterstock

E-Book-Produktion: 3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 978-3-7325-8518-2

www.luebbe.de

www.lesejury.de

1Freitag Mitternacht bis Samstagmorgen

Es begann so, wie auch die schwersten Stürme beginnen: Mit einem kaum wahrnehmbaren Beben, einem leisen, so entfernten und doch so unheilschwangeren Geräusch, dass jeder, dessen Gehör scharf genug war, es zu vernehmen, sofort die Ohren spitzte und versuchte, alle anderen Geräusche auszuschließen, um sich allein auf diesen Ton zu konzentrieren und die Warnung zu verstehen. Wie ein Hase, der stets auf der Hut ist und Geräusche sehr gut zu orten weiß, besaß Bruder Cadfael ein ausgezeichnetes Gehör. Er vernahm das Geschrei, das zu diesem Zeitpunkt noch von der anderen Seite der Brücke, die über den Severn in die Stadt führte, herübertönte, erstarrte zu gespannter Reglosigkeit und lauschte.

Es hätte ein ganz harmloses Geräusch sein können. Zwar schwang etwas Blutdürstiges darin mit, doch mochte es natürlichen Ursprungs sein: der entfernte Jagdruf einiger Eulen oder das ungeduldige Bellen eines Fuchses, der durch sein Revier streifte. Das Wilde dieser Jagd war für Cadfaels Ohren jedenfalls unverkennbar. Und selbst Bruder Anselm, der Vorsänger, der sich ganz auf die Liturgie konzentrierte, ließ sich für einen Augenblick ablenken und sang einen falschen Ton, riss sich jedoch gleich darauf zusammen und nahm die Melodie wieder auf.

Denn was hätte diese Mitternachtsmesse schon stören sollen, jetzt, in diesem freundlichen Frühling, kaum vier Wochen nach Ostern im Jahre des Herrn 1140, da Shrewsbury und die ganze Provinz sich des königlichen Friedens erfreute, mochten sich auch weiter im Süden König und Kaiserin, diese beiden um den Thron streitenden Verwandten, bekriegen? Es war ein sehr strenger Winter gewesen, aber er war gottlob vorüber. Am Ostersonntag hatte die Sonne geschienen und seitdem nicht aufgehört, die Erde mit ihrer Wärme zu verwöhnen, unterbrochen nur von vereinzelten, leichten Regenschauern, die diesen himmlischen Segen zu bekräftigen schienen. Nur weiter westlich, in Wales, hatte es schwere Regenfälle gegeben, die den Fluss hatten anschwellen lassen. Das Frühjahr versprach gut zu werden. Shrewsbury hatte einen strengen, aber gerechten Sheriff, und für die Rechte der Bürgerschaft traten ein einsichtiger Vorsteher und der Bürgerrat ein. In dieser Zeit des Bürgerkriegs hatten die Stadt und die Grafschaft, in der sie lag, allen Grund, Gott und König Stephen dafür zu danken, dass eine gewisse Ruhe und Ordnung herrschte. Eine Störung der klösterlichen Ruhe während der Mitternachtsmesse war hier gewiss nicht zu befürchten. Und doch hatte Bruder Anselm einen Augenblick lang den rechten Ton verfehlt.

Im Dämmerlicht des Chors, den zu einem Teil der Gemeindealtar vom Hauptschiff der Kirche trennte und der nur vom Ewigen Licht und den Kerzen auf dem Hochaltar beleuchtet wurde, wirkten die Klosterbrüder auf den Bänken des Chorgestühls wie geschnitzte Figuren, wie eine Reihe gleichartiger Schattenwesen – Gestalten, deren Alter und Aussehen nicht zu erkennen war. Die Höhe des Gewölbes, die Säulen und Mauern aus massivem Stein, verwandelten Bruder Anselms Stimme in ein zauberisches Klanggewebe, das hoch über den Köpfen der Mönche schwebte. Wo Schatten und Kerzenschein endeten, herrschte Dunkelheit – bei Nacht war es hier drinnen ebenso finster wie draußen. Es war eine milde, friedliche und ruhige Nacht.

Nein, nicht ganz ruhig. Das kaum wahrnehmbare Beben schwoll zu einem leisen, unablässigen Gemurmel an. Im Zwielicht unter der Chorbühne, rechts vom Eingang zum Chor, richtete Abt Radulfus sich auf seinem Sitz auf. Zur Linken raschelte Prior Roberts Kutte und verriet weniger innere Unruhe als vielmehr Missfallen und Zurechtweisung. Eine kaum merkliche Bewegung ging durch die Reihen der Mönche und erstarb.

Aber der Lärm kam näher. Selbst bevor er so laut wurde, dass eine Reaktion unumgänglich war, war die Wut, die in ihm mitschwang, unverkennbar. Etwas Drohendes, eine gefährliche Erregung, wie bei einer Jagd, ging von ihm aus. Es klang, als habe die Verfolgung den Punkt erreicht, da die Jäger der Vorhut das Wild bis zur Erschöpfung gehetzt haben und die Jagdherren herbeikommen, um ihm den Todesstoß zu versetzen. Selbst auf diese Entfernung bestand kein Zweifel daran, dass ein Leben in Gefahr war.

Das Geschrei kam jetzt schnell näher. Es war schwer, es zu ignorieren, obwohl der Vorsänger sich alle Mühe gab, seine Schäflein durch den Gottesdienst zu führen, und seine Stimme erhob und das Tempo beschleunigte, um dieser Herausforderung zu begegnen. Die jüngeren Brüder und die Novizen rutschten unruhig auf ihren Plätzen hin und her und flüsterten sogar, halb erregt, halb verängstigt, miteinander. Was anfangs noch einem Stimmengewirr glich, war zu einem wilden, gedämpften Heulen geworden, das klang, als verfolgten riesige Bienen einen Eindringling. Selbst der Abt und der Prior hatten sich, bereit, sich zu erheben, vorgebeugt und wechselten im Dämmerlicht des Chors fragende Blicke.

Mit verbissener Hingabe ließ Bruder Anselm die erste Zeile der Laudes erklingen. Weiter kam er nicht. An der Westseite der Kirche wurde der unverriegelte Flügel der großen Gemeindetür aufgestoßen und krachte gegen die Wand. Eine undeutliche Gestalt stürzte herein, stolperte keuchend durch das Kirchenschiff, stützte sich an Wand und Säulen ab und rang dabei nach Atem, als sei sie dem Tode nahe.

Alles sprang auf. Die Jüngeren brachen in verwunderte und entsetzte Rufe aus, stießen sich an und wussten nicht, was tun. Als Herr über dieses Kloster zauderte Abt Radulfus hingegen keinen Augenblick. Rasch und energisch nahm er eine Kerze vom nächsten Ständer und trat mit langen, leichten Schritten und wehendem Gewand um den Gemeindealtar herum in das Hauptschiff. Prior Robert folgte ihm. Er war stärker darum bemüht, seine Würde zu bewahren, und traf daher später am Ort des Geschehens ein. Hinter ihm drängten sich verstört die übrigen Klosterbrüder. Noch bevor sie das Hauptschiff betreten hatten, ertönte ein lautes Triumphgeschrei, und durch die Gemeindetür stürzten Dutzende der erregten Verfolger, deren Opfer sich in die Kirche geflüchtet hatten.

Bruder Cadfael, für den nächtlicher Alarm sowohl zu Lande als auch auf See einst nichts Ungewöhnliches gewesen waren, hatte sich gleichzeitig mit dem Abt erhoben, jedoch daran gedacht, einen zweiarmigen Leuchter mitzunehmen. Prior Robert schritt gerade, würdig darauf bedacht, dass sein silbriges Haar nicht in Unordnung geriet, rechts um den Gemeindealtar herum. Cadfael wandte sich zur Linken und trat vor ihm ins Kirchenschiff. Den Leuchter, der sowohl Lichtquelle als auch Waffe war, hielt er hoch über seinem Kopf.

Die Verfolger hatten ihr Opfer inzwischen eingeholt. Es handelte sich um ein Viertel der männlichen Bevölkerung der Stadt, und zwar nicht das beste, aber auch nicht das schlechteste Viertel: unbescholtene Kaufleute, Handwerker, Händler, dazu jenes Gesindel, das bei jedem Aufruhr dabei ist. Sie alle waren vor Betrunkenheit oder Erregung oder beidem völlig außer sich und schrien nach Blut. Und tatsächlich waren auf dem Boden der Kirche Blutspritzer zu sehen. Auf den drei Stufen, die zum Gemeindealtar hinaufführten, lag ein bemitleidenswerter junger Mann und war den Fußtritten und Fausthieben seiner Verfolger ausgesetzt, die sich glücklicherweise so um ihn drängten, dass nicht jeder Tritt oder Schlag ihn traf. Alles, was Cadfael von ihm sehen konnte, waren ein dünner Arm und eine Faust, kaum größer als die eines Kindes, die aus dem Durcheinander nach dem Altartuch griff und es verzweifelt gepackt hielt.

Die hochgewachsene, schlanke, sehnige Gestalt von Abt Radulfus trat vor den Altar. Sein hageres, strenges Gesicht verriet seinen Zorn. Die Kerze in der Hand, schlug er die Schöße seiner Kutte den vordersten Angreifern ins Gesicht, die wie Tiere über den am Boden Liegenden hergefallen waren, und stellte sich breitbeinig über den jungen Mann, der immer noch den Saum des Altartuches umklammert hielt.

»Zurück, ihr Gotteslästerer! Zurück, sage ich, und schämt euch! Packt euch, bevor ihr die ewige Verdammnis auf euch herabbeschwört!«

Er hatte seine Stimme nicht erheben müssen – er hatte sie nur, wie ein Messer, aus der Scheide gezogen, und sie durchschnitt das aufgeregte Stimmengewirr wie Butter. Als gehe von ihm eine unerträgliche Hitze aus, so wichen sie zurück, wenn auch nur einige Schritte, so weit, dass seine Glut sie nicht mehr verbrennen konnte. Sie traten von einem Fuß auf den anderen, zögerten und beklagten sich aufgebracht und empört, hüteten sich jedoch, den Himmel herauszufordern, und ließen von dem bejammernswerten Mann ab, der kaum größer war als ein fünfzehnjähriger Junge und mit dem Gesicht nach unten, schmutzig, blutig und zerschunden auf den Altarstufen lag. In der kurzen, lastenden Stille, die eintrat, bevor sie lautstark ihre Klage wiederholten, konnten alle Anwesenden die angestrengten, keuchenden Atemstöße hören, mit denen er sich an das Leben klammerte und die seinen schmächtigen Körper zu zerreißen drohten. Sein blondes, schmutziges und blutverkrustetes Haar hob sich von dem Altartuch ab, das er noch immer nicht losgelassen hatte. Seine mageren Arme und Beine schmiegten sich an den Stein, als hinge sein Leben davon ab. Wenn er imstande war zu sprechen oder den Kopf zu heben, so war er klug genug, nichts Derartiges zu tun.

»Wie könnt ihr es wagen, das Haus Gottes zu entehren?«, fragte der Abt gebieterisch und runzelte drohend die Stirn. Das Aufblitzen eines stählernen Messers in der Hand eines vierschrötigen Burschen, der verstohlen in einem Bogen auf sein Opfer zu schlich, war ihm nicht entgangen. »Steck das Messer weg, wenn du nicht in der Hölle schmoren willst!«

Die Männer hatten ihren Atem und ihre Wut wiedergefunden. Mindestens ein Dutzend von ihnen rechtfertigten ihr Eindringen in die Kirche und schilderten die Verbrechen des Mannes. Es war ein solches Durcheinander von Stimmen, dass kein Wort zu verstehen war. Mit erhobenem Arm gebot Radulfus ihnen zu schweigen, und das Stimmengewirr erstarb. Cadfael, der bemerkt hatte, dass der Bewaffnete sein Messer lediglich hinter seinem Rücken verborgen hatte, stellte sich entschlossen zwischen ihn und den Verfolgten und näherte die brennenden Kerzen dem langen, vollen Bart des Mannes.

»Lasst einen sprechen, wenn ihr etwas zu sagen habt«, befahl der Abt. »Der Rest soll schweigen. Ihr, junger Mann, scheint Euch besonders hervortun zu wollen ...«

Der Angesprochene, der einen Schritt vor den anderen stand und dessen Vorrecht sie anzuerkennen schienen, errötete und trat mit wichtiger Miene vor. Er sah nicht gerade aus wie einer, der mit Vorliebe um Mitternacht auf Menschenjagd geht. Er war ein großer, stattlicher und selbstsicherer Mann, der sich der Tatsache, dass er ein hübsches Gesicht besaß, ein wenig zu sehr bewusst war und der in seinem Feststaat sehr elegant wirkte, auch wenn sein bestes Wams jetzt durch die Verfolgung etwas zerknittert und in Unordnung geraten war und seine Wangen vom übermäßigen Weingenuss schlaff und gerötet waren. Der Alkohol hatte ihm Mut eingeflößt, sonst hätte er es sicher nicht gewagt, dem Abt gegenüber einen so ungebührlichen Ton anzuschlagen.

»Ehrwürdiger Vater, ich werde für alle sprechen, denn das steht mir zu. Es war nicht unsere Absicht, uns einer Unehrerbietigkeit gegenüber diesem Kloster oder Euch selbst schuldig zu machen, aber wir haben diesen Mann da verfolgt wegen eines Raubes und eines Mordes, der heute Nacht begangen wurde. Dessen klage ich ihn an! Diese Männer hier werden meine Worte bestätigen. Er hat meinen Vater niedergeschlagen und seinen Geldkasten ausgeraubt, und wir sind hier, um ihn mitzunehmen. Wenn Ihr erlaubt, werden wir Euch von ihm befreien.«

Das würden sie zweifellos. Radulfus wich nicht von der Stelle, und die Klosterbrüder stellten sich rechts und links von ihm auf, um den Flüchtling abzuschirmen.

»Ich hatte eine Entschuldigung für euer Eindringen erwartet«, sagte der Abt mit schneidender Stimme. »Was immer dieser junge Mann auch getan haben mag – es ist nicht er gewesen, der in diesem Gotteshaus Blut vergossen und auf den Altarstufen ein Messer gezogen hat. Vielleicht hat er anderswo jemanden Gewalt angetan, aber hier, in dieser Kirche, ist sie ihm angetan worden. Ihr habt ein Sakrileg begangen, ihr alle, die ihr unseren Frieden gestört habt. Ihr solltet lieber an euer Seelenheil denken. Und wenn ihr wirklich eine gerechte Klage gegen diesen Mann zu führen habt, wo ist dann der Vertreter des Gesetzes? Ich sehe keinen der Männer des Sheriffs unter euch. Ich sehe keinen Gemeindevorsteher, der wenigstens als Vertreter der Bürgerschaft auftreten könnte. Ich sehe nur einen blutdürstigen Haufen, der vor dem Gesetz ebenso im Unrecht ist wie ein Räuber und Mörder. Verlasst also diesen Ort und betet um Verzeihung für eure Übertretung. Welche Klagen auch immer ihr vorzubringen habt – tragt sie dem Vertreter des Gesetzes vor.«

Seine Worte hatten einige von ihnen zur Besinnung gebracht. Sie waren nicht mehr so sicher, dass ihr Eindringen in die Kirche gerechtfertigt gewesen war, zogen sich langsam zurück und sehnten sich nach ihrem Heim und ihrem Bett. Aber die Vagabunden, die bei jedem Streit zur Stelle waren, machten trotzige, verschlagene Gesichter und zeigten keine Neigung, die Kirche zu verlassen, und die ehrbaren Bürger ließen nicht ab von ihrer bitteren Empörung, wenn sie ihr auch nicht mehr so lautstark Ausdruck gaben. Cadfael kannte die meisten von ihnen, und Radulfus konnte, wenn er auch nicht aus Shrewsbury stammte, vielleicht besser in ihren Gesichtern lesen, als sie vermuteten. Er blieb ruhig stehen, runzelte die Stirn und blickte sie drohend an, um sie vor unbedachten Taten zu warnen.

»Ehrwürdiger Abt«, begann der gutgekleidete junge Mann von neuem, »wenn Ihr ihn uns ausliefert, werden wir ihn dem Sheriff übergeben.«

Oder auch am nächsten Baum aufhängen, dachte Cadfael. Zwischen dem Kloster und dem Fluss gab es genug Bäume. Er stutzte mit den Fingernägeln die Kerzendochte, damit die Flammen höher brannten. Im Schatten lauerte immer noch der Mann mit dem Bart.

»Das kann ich nicht«, erwiderte der Abt kurz. »Und wenn der Sheriff selbst hier wäre, könnte er diesen Mann nicht mitnehmen, denn er hat um Asyl gebeten. Ihr wisst so gut wie ich, wie heilig dieses Recht ist, und dass jeder, der es wagt, es zu brechen, seine Freiheit und sein Seelenheil aufs Spiel setzt. Geht also, und beschmutzt diesen geheiligten Ort nicht länger mit euren Drohungen von Gewalt. Euer Hass entweiht unsere Gebete. Geht! Hinaus!«

»Aber Ihr habt ja noch nicht einmal gehört, welches Verbrechen er begangen hat«, rief der zornige junge Mann und schüttelte unwillig seinen Lockenkopf, wagte aber nicht, weiter vorzutreten.

»Ich werde Euch anhören«, gab Radulfus zurück. »Aber bei Tageslicht, wenn der Sheriff oder sein Unteroffizier hier ist und wir diese Angelegenheit in Ruhe und in angemessener Form erörtern können. Aber ich warne Euch: Dieser Mann hat um Asyl gebeten, und nach altem Brauch wird es ihm gewährt. Weder Ihr noch irgendein anderer darf ihn vor Ablauf der Asylfrist von diesem heiligen Ort entfernen.«

»Und ich warne Euch, Mylord«, rief der junge Mann, dessen Gesicht von Zorn gerötet war. »Wir werden dieses Kloster bewachen, und sollte er es wagen, es auch nur für einen Augenblick zu verlassen, so werden wir ihn gefangen nehmen. Sobald er Euren Herrschaftsbereich verlässt, geht er weder Euch noch die Kirche etwas an.« Zweifellos war er recht angetrunken, sonst wäre er, ein gewöhnlicher junger, wenn auch reicher Bürger dieser Stadt, nie so weit gegangen. Aber selbst in seinem jetzigen Zustand erschrak er über seine eigenen Worte und trat einen Schritt zurück.

»Wollt Ihr damit sagen, dass er Gott dann auch nichts mehr angehen wird?«, fragte der Abt kalt. »Geht in Frieden, bevor sein Fluch Euch trifft.«

Sie gingen wie Schatten, die in den Schatten zurückwichen, durch die offene Westtür und hinaus in die Nacht, aber ihre Gesichter waren dem zusammengesunkenen jungen Mann zugewendet, der auch jetzt das Altartuch nicht losließ. Es ist nicht leicht, eine aufgebrachte Menschenmenge zur Vernunft zu bringen, und selbst wenn sich ihre Klage als völlig ungerechtfertigt erweisen sollte, erschien sie den Männern im Augenblick doch berechtigt genug. Mord und Raub waren Verbrechen, die mit dem Tode bestraft wurden. Nein, nicht alle von ihnen würden nach Hause gehen. Einige würden zurückbleiben und, mit einem Seil griffbereit, die Gemeindetür und das Torhaus im Auge behalten.

»Bruder Prior und Bruder Vorsänger«, sagte Radulfus und ließ seinen Blick über die Schar der erschrockenen Mönche schweifen, »wollt Ihr bitte wieder mit den Laudes beginnen? Wir wollen den Gottesdienst fortsetzen und anschließend werden sich die Brüder, gemäß den Regeln unseres Ordens, in ihre Zellen begeben. Die Angelegenheiten der Menschen erfordern unsere Aufmerksamkeit, aber die Angelegenheiten Gottes dürfen darüber nicht vergessen werden.« Er betrachtete den Flüchtling zu seinen Füßen, dessen reglose Anspannung verriet, dass er alles, was um ihn herum vorging, genau verfolgte, und sah dann Bruder Cadfael an, der mit gedankenvoller, besorgter Miene neben ihm stand. »Ich glaube, es ist ausreichend, wenn wir beide uns um unseren Gast kümmern und ihm die Beichte abnehmen, sollte er eine ablegen wollen. Sie sind fort«, sagte der Abt gelassen zu der Gestalt zu seinen Füßen. »Ihr könnt Euch jetzt erheben.«

Ohne das Altartuch loszulassen, stand der schmächtige Jüngling auf. Er bewegte sich; als habe er überall Schmerzen, wie es ja wahrscheinlich auch der Fall war, aber anscheinend hatte er sich wenigstens nichts gebrochen, denn er stützte sich beim Aufstehen mit seinem freien Arm auf und wandte ihnen sein hageres, zerschundenes Gesicht zu, das von Blut und Schweiß und dem Schleim, der ihm aus der Nase rann, verschmiert war. Er schien von Sekunde zu Sekunde jünger und schmächtiger zu werden. Wenn aus seinen Augen nicht Verzweiflung und das nackte Entsetzen über die blutrünstige Meute gesprochen hätte, der er noch gerade rechtzeitig entkommen war, hätte man ihn für einen armseligen Jüngling aus der Klostersiedlung halten können, der von einem Dutzend oder mehr seiner launischen Genossen wegen einer kleineren Übertretung bestraft und heulend im Straßengraben liegengelassen worden war.

Einem so harmlosen Burschen waren ein Raub und ein Mord eigentlich gar nicht zuzutrauen. Er war etwa so groß wie Cadfael, der von eher kleiner Statur war, aber was die Breite seiner Schultern betraf, so hätte man aus Cadfael drei von ihm machen können. Sein Wams und seine Hose waren fadenscheinig und geflickt und wiesen jetzt, da mehrere kräftige Männer mit Fäusten und Fußtritten über ihn hergefallen waren, neue Risse auf. Ursprünglich waren seine Kleider leuchtend rot und blau gewesen, aber inzwischen waren sie durch langen Gebrauch abgetragen und schmutzig. Er wirkte nicht schwächlich, und bei regelmäßiger Ernährung wäre ein stattlicher Mann aus ihm geworden, aber als er sie jetzt ansah, schien er nur aus schlaksigen Gliedern und spitzen Knien und Ellenbogen zu bestehen, die durch seine Magerkeit noch mehr hervorstachen. Cadfael schätzte ihn auf siebzehn oder achtzehn Jahre. Er sah den Abt und Cadfael flehend an, und obwohl sein Blick unstet war und seine Augen, von denen eines zugeschwollen war, tief in den Höhlen lagen, konnte man im Schein der Kerzen erkennen, dass sie leuchtend blau wie Immergrünblüten waren.

»Mein Sohn«, sagte Radulfus mit kühler Zurückhaltung, denn selbst ein so junger, schmächtiger Bursche mochte ein Mörder sein, »du hast gehört, wessen dich die Männer, die dir nach dem Leben trachteten, beschuldigt haben. Du hast deinen Körper und deine Seele unter den Schutz der Kirche gestellt, und ich und alle anderen hier werden dein Recht auf Asyl verteidigen. Darauf kannst du dich verlassen. Für den Augenblick kann ich dir nur einen Weg zur Gnade anbieten, und ich stelle dir jetzt nur eine einzige Frage. Wie auch immer die Antwort ist – du wirst hier sicher sein, solange dein Recht auf Asyl währt. Das verspreche ich dir.«

Der Jüngling kniete nieder und sah den Abt schweigend an, als sei auch er einer, der es auf sein Leben abgesehen hatte.

»Was hast du zu deiner Beschuldigung zu sagen?«, fragte Radulfus. »Hast du heute einen Raub und einen Mord begangen?«

Unter Schmerzen öffnete der Jüngling seine aufgesprungenen Lippen und beteuerte mit einer hohen, misstrauischen Stimme, die wie die eines verängstigten Kindes klang: »Nein, Ehrwürdiger Vater, ich schwöre, dass ich kein Verbrechen begangen habe!«

»Steh auf«, sagte der Abt, und seine Stimme verriet weder Vertrauen noch ein endgültiges Urteil. »Tritt näher und leg deine Hand auf das Kästchen, das auf dem Altar steht. Weißt du, was es enthält? Hier ruhen die Gebeine des Heiligen Elerius, des Freundes und Lehrers der Heiligen Winifred. Denk nach und schwöre noch einmal, bei diesen heiligen Reliquien, damit Gott dein Zeuge sei: Bist du dessen, wessen man dich anklagt, schuldig?«

Ohne zu zögern, und mit der ganzen heißen, verzweifelten Inbrunst, die in diesem schmalen Körper wohnte, rief die helle Stimme: »Das bin ich nicht, so wahr mir Gott helfe! Ich habe nichts Böses getan.«

Schweigend und nachdenklich sah Radulfus ihn einen endlos scheinenden Augenblick lang an. Jeder, der nichts zu verbergen und den Himmel nicht zu fürchten hatte, würde diese Antwort geben. Aber dasselbe galt auch für einen gottlosen Vagabunden, der seine Haut retten wollte, der nicht an den Himmel glaubte und nur die Schrecken dieser Welt fürchtete. Es fiel schwer, ein Urteil zu fällen, und der Abt beschloss, die Angelegenheit für heute auf sich beruhen zu lassen.

»Nun gut, du hast einen feierlichen Eid geleistet und genießt, ganz gleich, ob du wahr oder falsch gesprochen hast, den Schutz dieses Hauses, wie das Gesetz es vorsieht. Hier hast du Muße, deine Seele zu erforschen.« Er wandte sich Cadfael zu, um mit ihm zu besprechen, was nun am dringendsten erforderlich war. »Ich halte es für das Beste, wenn er zunächst in der Kirche bleibt, bis wir uns mit dem Sheriff geeinigt haben.«

»Das ist auch meine Meinung«, sagte Cadfael.

»Kann man ihn allein lassen?« Sie dachten beide an die Meute, die der Abt eben erst aus der Kirche vertrieben hatte. Ihr Blutdurst war noch nicht gestillt – gewiss waren nicht alle Männer in die Stadt zurückgekehrt, und man musste mit allem rechnen.

Die Klosterbrüder hatten sich, angeführt von Prior Robert, der sich sehr aufrecht hielt und aus seinem Missfallen kein Hehl machte, in ihre Zellen zurückgezogen. Im Chor war es dunkel und still geworden. Ob die Mönche, insbesondere die jüngeren und leichter zu beeindruckenden, Schlaf finden würden, war eine andere Frage. Die gefährliche Welt dort draußen war an sie herangetreten, und ein Schauer der Erregung überlief sie.

»Ich werde noch eine Weile mit ihm zu tun haben«, sagte Cadfael und betrachtete das blutverschmierte Gesicht und das schmerzhafte Zucken der Glieder des jungen Mannes. »Wenn Ihr erlaubt, Ehrwürdiger Vater, werde ich bei ihm bleiben und mich um seine Wunden kümmern. Wenn ich Hilfe brauche, werde ich nach Euch schicken.«

»Gut, Bruder. Nehmt Euch, was Ihr braucht.« Tagsüber war es mild gewesen, aber die Nacht würde kalt werden, besonders an diesem heiligen, aber kühlen Ort. »Braucht Ihr einen Gehilfen, der die Botengänge für Euch erledigt? Unser Gast sollte nicht alleingelassen werden.«

»Es wäre gut, wenn Bruder Oswin mir zur Hand gehen dürfte. Er weiß, wo die Arzneien sind, die ich brauche«, sagte Cadfael.

»Ich werde ihn zu Euch schicken. Und sollte dieser Mann den Wunsch verspüren, Euch seine Seite dieser unglückseligen Geschichte zu erzählen, so merkt gut auf. Zweifellos werden sich seine Ankläger morgen mit einem der Offiziere des Sheriffs hier einfinden, und dann werden beide Parteien schildern müssen, was vorgefallen ist.«

Cadfael begriff, was der Abt meinte: Sollte sich in dem, was der Jüngling zu sagen hatte, zwischen Mitternacht und Morgen eine kleine Diskrepanz ergeben, so konnte das von großer Bedeutung sein. Aber bis zum Morgen würde sich die Erregung seiner Ankläger vielleicht etwas gelegt haben, und dann mochte ihre Geschichte etwas anders klingen. Cadfael, der die meisten Einwohner der Stadt kannte, war inzwischen eingefallen, warum sie Festkleidung trugen, so lange aufgeblieben waren und dem Wein mehr als sonst zugesprochen hatten: Jener vorlaute Bursche im Sonntagsstaat hätte eigentlich eher seine Braut zu Bett bringen sollen als diesen Hänfling mit »Mord« und »Raub« auf den Lippen über die Brücke zu jagen. Nur die Heirat seines Erben konnte Meister Aurifaber bewogen haben, seine Geldbörse aufzuknöpfen und seine Gäste reichlich mit Wein zu bewirten.

»Ich werde die Wache Euch überlassen«, sagte Radulfus und ging, um Bruder Oswin aus seiner Zelle zu holen und zu Cadfael in die Kirche zu schicken. Die Bereitwilligkeit, mit der er kam, verriet, dass er gehofft hatte, mit diesem Auftrag bedacht zu werden. Wer sonst sollte Cadfael bei seiner nächtlichen Arbeit zur Hand gehen, wenn nicht sein Gehilfe? Angesichts der Aussicht, die Nacht über aufbleiben und persönliche Bekanntschaft mit einem gefährlichen Schurken machen zu dürfen, betrat Bruder Oswin, aufgeregt wie ein schwänzender Schuljunge, mit großen Augen und unverhohlener Neugier die Kirche. Er beugte sich über den zitternden Fremden, hin und her gerissen zwischen der Faszination, einen Mörder von nahem zu sehen, und dem unerwarteten Mitleid, das er beim Anblick eines so bedauernswerten Menschen empfand, der doch eigentlich ein brutales Ungeheuer hätte sein sollen.

Cadfael ließ ihm keine Zeit zum Staunen. »Ich brauche Wasser, reine Tücher, die Salbe aus Labkraut und Tausendgüldenkraut und einen Krug Wein. Los, beeil dich! Und zünde die Lampe im Gartenhaus an – es könnte sein, dass wir noch mehr brauchen.«

Bruder Oswin nahm eine Kerze von einem Halter und machte sich so pflichteifrig auf den Weg, dass es ein Wunder war, dass die Kerzenflamme nicht erlosch, als er hinauseilte. Aber es ging kein Wind, und die Kerze flackerte und rußte nur wenig, als Oswin über den großen Innenhof zum Garten lief.

»Und schür die Glut im Kohlenbecken!«, rief Cadfael ihm nach, denn sein Schützling hatte begonnen mit den Zähnen zu klappern. Manch einer, der dem Tod ins Auge gesehen hatte, sank danach in sich zusammen wie eine angestochene Schweinsblase, und dieser hier hatte wohl kaum genug Saft und Kraft, einen solchen Schock auszuhalten. Cadfael konnte ihn gerade noch auffangen, bevor er in sich zusammensackte und zu Boden fiel.

»Komm ... setz dich lieber ins Chorgestühl.« Der Jüngling war so leicht wie ein Kind. Cadfael stützte ihn und wollte mit ihm um den Gemeindealtar herum in den Chor gehen, wo es weniger zugig war, aber die schmale Faust, die den Zipfel des Altartuchs die ganze Zeit umklammert hatte, wollte nicht loslassen. Der magere Körper zuckte in Cadfaels Armen.

»Wenn ich loslasse, werden sie mich umbringen ...«

»Nicht solange ich noch Hände und eine Stimme habe«, versicherte ihm Cadfael. »Unser Abt hält seine Hand über dich, und heute Nacht werden sie nichts mehr unternehmen. Lass das Tuch los und komm mit mir nach hinten. Glaub mir, dort sind Reliquien genug, und sogar heiligere als diese hier.«

Widerstrebend ließen die schmutzigen Hände mit den schwarzen, abgebrochenen Fingernägeln das Altartuch los, und der blonde Kopf sank ergeben auf Cadfaels Schulter. Cadfael trug den Jüngling in den Chor und legte ihn in den nächsten und bequemsten Chorstuhl, der zufällig der Prior Roberts war. Diese unberechtigte Aneignung war dem jungen Mann durchaus nicht unangenehm. Eben noch hatte es ihn von Kopf bis Fuß heftig geschüttelt, aber nun ließ er sich mit einem tiefen Seufzer auf den Stuhl sinken und saß still.

»Mit allen Hunden haben sie dich gehetzt«, murmelte Cadfael, als er ihn auf Prior Roberts Platz setzte, »aber wenigstens hast du dir den richtigen Zufluchtsort ausgesucht. Glaub nur nicht, dass Abt Radulfus dich ausliefern wird. Hier kannst du dich ausruhen, jedenfalls eine Zeitlang. Nur Mut! Und diese Männer sind nicht so schlecht, wie du denkst – sobald sie ihren Rausch ausgeschlafen haben, sind sie wieder vernünftig. Ich kenne sie.«

»Sie wollten mich umbringen«, sagte der Junge und begann wieder zu zittern.

Kein Zweifel, das hatten sie vorgehabt. Und sie hätten ihr Vorhaben ausgeführt, wenn er ihnen in die Hände gefallen wäre. Cadfael bemerkte, dass in der hohen Stimme Verwirrung, fassungsloses Entsetzen mitschwang. Der Junge war jetzt, da die Angst von ihm genommen war, vollkommen erschöpft, und es klang, als wisse er wirklich nicht, warum die aufgebrachte Menge ihn hatte aufhängen wollen. Ein Fuchs, der in aller Unschuld tat, was Füchse tun, musste sich so fühlen, wenn ihm die Hunde auf der Spur waren.

In diesem Augenblick kam Bruder Oswin zurück. In einem Beutel trug er eine bauchige Flasche Wein und einen Salbentopf, unter einen Arm hatte er ein zusammengefaltetes, sauberes Leintuch geklemmt, und in den Händen hielt er eine große Schüssel Wasser. Die Kerze musste er auf eine Bank im Vorbau gestellt haben, denn dort flackerte ein kleines, schwaches Licht. Unvermittelt trat er herzu, atemlos und erhitzt, und die hellbraunen Locken um seine Tonsur standen von seinem Kopf ab wie eine Dornenhecke. Er stellte die Schüssel ab, legte das Leintuch bereit und beugte sich vor, um den Patienten zu stützen, während Cadfael ihn untersuchte.

»Auch für kleine Dinge soll man dankbar sein – ich glaube, du hast nichts gebrochen. Sie haben dich geschlagen und mit Füßen getreten, und wahrscheinlich hast du überall Blutergüsse und Abschürfungen, aber die werden schnell verheilen. Beug deinen Kopf etwas hier herüber – so. Das war ein übler Hieb, hier auf der Schläfe und Wange. Das muss eine Keule gewesen sein. Jetzt nicht bewegen!«

Gehorsam hielt der Junge still. Die Wunde zog sich vom linken Backenknochen bis zu einer Stelle über dem Ohr. Das hellblonde Haar war blutverkrustet. Als Cadfael die Wunde wusch und die verfilzten Locken zurückstrich, erschauerte die Haut bei der Berührung mit dem kalten Wasser. Langsam löste sich der Schorf aus Schmutz und getrocknetem Blut auf. Dies war nicht die letzte Wunde, die der Jüngling davongetragen hatte. Das angefeuchtete Leintuch, mit dem Cadfael über Stirn, Wangen und Kinn strich, legte ein schmales, junges, unschuldiges Gesicht frei.

»Wie heißt du, mein Junge?«, fragte Cadfael.

»Liliwin«, antwortete der junge Mann, und in seinen Augen stand immer noch das Misstrauen.

»Das ist ein angelsächsischer Name. Nach deinen Augen und deiner Haarfarbe zu schließen, bist du Angelsachse. Wo bist du geboren? Nicht hier im Grenzland, nehme ich an.«

»Wie soll ich das wissen?«, antwortete der Jüngling gleichgültig. »In einem Straßengraben, und dort hat man mich liegengelassen. Meine früheste Erinnerung ist, dass ich lernte, Purzelbäume zu machen, kaum dass ich laufen konnte.«

Er versuchte nicht, sich zu verteidigen; vielleicht versuchte er nicht einmal zu lügen. Vielleicht war jetzt, da er zulassen musste, dass andere sich seiner annahmen, und seine Hilflosigkeit wie ein Verhängnis über ihm hing, die beste Gelegenheit, etwas von ihm zu erfahren.

»Und davon hast du gelebt – kreuz und quer über Land ziehen, auf Jahrmärkten Possen reißen, hin und wieder mit einigen Bällen jonglieren und für einen Teller Suppe singen? Das ist ein hartes Leben, bei dem man mehr Fußtritte als Kupfermünzen bekommt, würde ich sagen. Und das von Kindheit an?« Cadfael konnte sich nur zu gut vorstellen, wie eine Ausbildung aussah, mit der einem Kinde jene Späße beigebracht wurden, die ein Jahrmarktspublikum sehen wollte. Es gab genug Methoden, einen Jungen zu bestrafen, ohne seine Gelenkigkeit zu beeinträchtigen. »Und jetzt arbeitest du allein? Die dich aus dem Graben geholt und einen Gaukler aus dir gemacht haben, sind ihrer Wege gegangen?«

»Ich bin ihnen davongelaufen, sobald ich alt genug war, um mich allein durchzuschlagen«, sagte Liliwin mit leiser, müder Stimme. »Es waren drei fahrende Komödianten, und ich war für sie ein Geschenk des Himmels. Sie haben aus mir herausgeholt, was sie konnten – alles, was ich ihnen schuldete, waren Tritte und Schläge. Ich arbeite jetzt für mich selbst.«

»Immer noch als Spaßmacher?«

»Etwas anderes habe ich nie gelernt. Aber das kann ich gut«, sagte Liliwin und hob plötzlich stolz den Kopf. Er zuckte nicht zurück, als Cadfael die Salbe auf die Wunde an der Seite seines Kopfes auftrug.

»Und deswegen bist du letzte Nacht auch in Walter Aurifabers Haus geholt worden«, sagte Cadfael sanft und schlug den Ärmel des Jungen zurück, so dass der magere, sehnige Unterarm, der eine lange, klaffende Messerwunde davongetragen hatte, entblößt war. »Du solltest sicher die Gäste auf der Hochzeit seines Sohnes unterhalten.«

Liliwin warf ihm einen Blick zu. »Ihr kennt diese Leute?«

»Es gibt nur wenige in dieser Stadt, die ich nicht kenne. Ich kümmere mich um viele Kranke in Shrewsbury, und die alte Mutter von Meister Aurifaber ist eine von ihnen. Ja, ich kenne die Familie. Ich hatte allerdings vergessen, dass der Goldschmied gestern seinen Sohn verheiratet hat.« Und wie er die Familie kannte, war ihr Wunsch, die Gäste zu beeindrucken, nicht so groß gewesen, dass sie so viel Geld ausgaben, wie nötig gewesen wäre, um die besseren Musikanten, die in den Häusern der Adligen aufspielten, zu bezahlen. Ein armer fahrender Spaßmacher aber, der in dieser nicht gerade vielversprechenden Stadt sein Glück suchte, mochte ihnen gerade recht gekommen sein. Umso mehr, wenn seine Künste besser waren, als sein Aussehen versprach, und gute Musik so billig zu haben war. »Du hast also von dem Fest gehört und bist dorthin gegangen, um die Gäste zu unterhalten. Und was geschah dann, dass diese fröhliche Feier so unschön endete? Gib mir noch ein Stück von dem Leintuch, Oswin, und leuchte mir mit der Kerze.«

»Sie haben versprochen, mir drei Pennies für den Abend zu zahlen«, antwortete Liliwin und zitterte ebenso sehr vor Empörung wie vor Furcht und Kälte. »Und dann haben sie mich betrogen. Es war nicht meine Schuld! Ich habe meine besten Lieder gesungen und all meine Kunststücke vorgeführt ... Das Haus war voller Leute, sie drängten sich um mich, und die jungen Burschen waren betrunken und ausfallend und stießen mich an! Ein Jongleur braucht aber Platz! Es war nicht meine Schuld, dass der Krug zerbrach. Einer sprang nach einem meiner Bälle und stieß mich um, und der Krug fiel vom Tisch und zerbrach. Sie sagte, es wäre ihr bester gewesen, die alte Hexe. Sie schrie mich an und schlug mich mit ihrem Stock ...«

»Sie war das?«, fragte Cadfael und strich leicht über den Verband an Liliwins Schläfe.

»Ja, das war sie! Sie fuhr auf mich los wie der Teufel und schwor, das Ding sei mehr wert gewesen als ich an diesem Abend verdient hätte und ich müsste ihn bezahlen. Und als ich ihr widersprach gab sie mir einen Penny und befahl den Gästen, mich hinauszuwerfen!«

Dazu war sie imstande, dachte Cadfael traurig – sie, der es war, als werde ihr Herzblut vergossen, wenn etwas, das zu ihrem Haushalt gehörte, zerbrochen wurde. Sie, die jede noch so kleine Münze hortete, die sie nicht ihrer irregeleiteten Sorge um ihr Seelenheil opferte. Der unablässige Strom von Almosen, die sie dem Kloster übergab, hatte Prior Robert zu einer vorsichtigen Freundschaft zu ihr bewogen.

»Und das haben sie getan?« Es war gewiss kein sanfter Hinauswurf gewesen, denn als das geschah, mussten die Gäste bereits erhitzt und angetrunken gewesen sein. »Um welche Zeit war das? Eine Stunde vor Mitternacht?«

»Nein, früher. Es war noch keiner gegangen. Sie warfen mich hinaus und wollten mich nicht mehr einlassen.« Es war nicht das erste Mal gewesen, dass ihm seine Hilflosigkeit in solchen Situationen vor Augen geführt worden war; seine Stimme klang verzagt. »Ich hatte nicht einmal Zeit, meine Jonglierbälle aufzusammeln. Sie sind immer noch dort.«

»Sie haben dich also hinausgeworfen, und da standest du dann, in der Kälte der Nacht. Aber warum haben sie dich verfolgt?« Cadfael strich eine Falte in dem Verband um den dünnen Arm glatt, der ärgerlich hin und her zuckte. »Halt still, mein Junge! Ja, so ist es besser. Die Wunde muss fest verbunden werden – dann wird sie gut verheilen, vorausgesetzt, du lässt dir etwas Zeit. Was hast du dann getan?«

»Ich bin gegangen«, sagte Liliwin verbittert. »Was blieb mir anderes übrig? Die Wache hat mich durch die kleine Tür im Stadttor hinausgelassen, und ich ging über die Brücke und schlug mich auf dieser Seite des Flusses in die Büsche. Ich hatte vor, morgens nach Lichfield aufzubrechen. Oberhalb des Weges, der zum Fluss hinunterführt, von hier aus auf der anderen Seite der Landstraße, ist ein kleines Gehölz, und dort legte ich mich zum Schlafen ins Gras.« Es war die Frage, ob er die Wahrheit sprach – schließlich hatte die Wut in ihm gebrannt, und gleichzeitig musste er sich seiner Hilflosigkeit bewusst gewesen sein. Ungerechte Behandlung und Verachtung gewöhnt zu sein ist kein Trost für einen, dem Unrecht widerfahren ist.

»Wie kommt es dann, dass diese Meute etwa eine Stunde später mit Raub- und Mordgeschrei hinter dir herjagte?«

»Ich weiß nicht mehr als Ihr«, rief der Junge und begann wieder zu zittern, »so wahr mir Gott helfe! Ich war schon fast eingeschlafen, als ich sie schreiend über die Brücke rennen hörte. Ich hatte keinen Grund zu denken, dass das irgendetwas mit mir zu tun haben könnte, jedenfalls nicht, bevor sie die Klostersiedlung durchstöberten. Aber dieser Lärm hätte jedem Angst eingejagt – ob reines Gewissen oder nicht. Und dann hörte ich, wie sie etwas von Mord und Rache schrien und dass ich derjenige war, den sie suchten und dessen Blut sie wollten. Sie verteilten sich und durchsuchten das Gehölz, und ich rannte um mein Leben, denn ich war sicher, dass sie mich finden würden. Die ganze Meute verfolgte mich. Kurz bevor ich in die Kirche stolperte, hätten sie mich fast erwischt. Aber bei meinem Augenlicht – ich weiß nicht, was ich getan haben soll. Und ich will tot umfallen, wenn das, was ich Euch gerade erzählt habe, gelogen ist!«

Cadfael verknotete das Ende des Verbandes und zog den zerrissenen Ärmel darüber. »Daniel, der Sohn des Goldschmieds, behauptet, sein Vater sei niedergeschlagen und sein Geldkasten ausgeraubt worden. Das ist nicht gerade die Krönung einer Hochzeit! Willst du mir weismachen, dass dies alles erst passiert ist, nachdem sie dich, ohne dich zu bezahlen, hinausgeworfen haben? Es ist doch ganz verständlich, dass sie zuerst an dich dachten, als sie einen Verdächtigen suchten.«

»Aber ich schwöre Euch«, fuhr der junge Mann heftig auf, »dass der Goldschmied gesund und munter war, als ich ihn zum letzten Mal sah. Es gab keinen Streit und keine Gewalt, außer der, die sie mir antaten – als sie mich hinauswarfen, lachten und tranken und sangen sie. Was danach geschah, davon weiß ich nicht mehr als Ihr. Ich bin gegangen – warum hätte ich auch bleiben sollen? Glaubt mir, Bruder, um Gottes willen! Ich habe weder diesen Mann noch sein Geld angerührt.«

»Dann hast du nichts zu befürchten«, antwortete Cadfael entschlossen. »Hier bist du jedenfalls sicher. Du musst auf die Gerechtigkeit und Abt Radulfus vertrauen, und wenn man dich morgen befragt, musst du alles so erzählen, wie du es jetzt mir erzählt hast. Wir haben Zeit, und mit der Zeit wird die Wahrheit herauskommen. Du hast gehört, was der Ehrwürdige Vater gesagt hat: Bleib heute Nacht noch in der Kirche, und wenn morgen eine Einigung erzielt wird, kannst du dich innerhalb des Klosters frei bewegen.« Liliwins Haut fühlte sich kalt an, und er zitterte noch immer. Die Angst und der Schrecken saßen ihm noch in den Knochen. »Oswin«, sagte Cadfael schnell, »hol ein paar Decken und wärme noch ein Maß gewürzten Wein auf dem Ofen im Schuppen. Wir müssen sehen, dass wir ihn warm bekommen.«

Oswin, der, ohne den Fremden aus den Augen zu lassen, mit bewundernswerter Selbstbeherrschung geschwiegen hatte, beeilte sich, den Auftrag auszuführen. Liliwin sah ihm argwöhnisch nach und bedachte dann Cadfael mit einem nicht weniger misstrauischen Blick. Es war ihm nicht zu verübeln, dass er im Augenblick niemandem trauen zu können glaubte.

»Ihr werdet mich doch nicht allein lassen? Sie werden wiederkommen, noch bevor die Nacht vorüber ist.«

»Nein, ich werde bei dir bleiben. Sei ganz beruhigt!«

Er musste zugeben, dass es für Liliwin in seiner augenblicklichen Situation nicht ganz einfach war, diesen Rat zu befolgen. Aber wenn er erst einmal genug warmen Wein getrunken hatte, würde er wohl schlafen können. Außer Atem und mit vom Stehen am Feuer gerötetem Gesicht kehrte Oswin zurück und brachte zwei dicke, raue Decken, die Liliwin sich dankbar umlegte. Der Krug mit dem gewürzten Wein war schnell ausgetrunken. Das hagere, zerschundene Gesicht des Jungen bekam etwas Farbe.

»Geh du nur zu Bett, mein Junge«, sagte Cadfael und schob Oswin zur Nachttreppe. »Ich brauche dich jetzt nicht mehr – bis zum Morgen ist für ihn gesorgt. Dann werden wir weitersehen.«

Mit neugieriger Verwunderung betrachtete Bruder Oswin den in Decken gehüllten Jüngling, der in Prior Roberts großem Gebetsstuhl fast zu verschwinden schien. »Glaubt Ihr wirklich«, flüsterte er, »er könnte ein Mörder sein?«

»Mein Junge«, sagte Cadfael und seufzte, »solange wir nicht eine vernünftige Schilderung dessen bekommen haben, was heute Nacht in Walter Aurifabers Haus vorgefallen ist, bezweifle ich, dass überhaupt ein Mord begangen wurde. Die Gäste haben wahrscheinlich eine Menge getrunken, und es kann gut sein, dass es einen Streit und blutige Nasen gegeben hat, und dann hat irgendein Narr den Kopf verloren, und die anderen waren töricht genug, bei dieser dummen Sache mitzumachen. Geh jetzt zu Bett und warte ab, was weiter geschieht.«

Auch mir bleibt ja nichts anderes übrig, dachte er, während er Oswin nachsah, als dieser gehorsam die Treppe hinaufging. Es war nur zu berechtigt, den Anschuldigungen, die vorhin vorgebracht worden waren, zu misstrauen, aber nicht alle der aufgebrachten Männer waren betrunken gewesen. Und gewiss war irgendetwas Unvorhergesehenes im Haus des Goldschmieds vorgefallen, irgendetwas, das die Hochzeitsfeier des jungen Daniel zu einem vorzeitigen Ende gebracht hatte. Wenn Walter Aurifaber nun wirklich erschlagen und sein Vermögen geraubt worden war – von diesem bejammernswerten, in Decken gehüllten jungen Mann, der von dem Wein, den sie in ihn hineingeschüttet hatten, halb betrunken war und der beinahe schlief und doch immer wieder hochschreckte? Hätte er das in seiner Wut gewagt? Und wenn er es gewagt hätte – wäre er dazu fähig gewesen? Nur eines war gewiss: Wenn er den Raub begangen hatte, dann musste er seine Beute sehr schnell versteckt haben, und das in einer Stadt, in der er sich sicher nicht allzu gut auskannte. In diesen armseligen, abgerissenen Kleidern hatte er kaum den Penny, den ihn die alte Dame zugeworfen hatte, verbergen können, geschweige denn den Inhalt der Geldkiste des Goldschmieds.

Cadfael gab sich große Mühe, leise zu sein, aber als er sich dem Chorgestühl näherte, riss Liliwin seine blauen Augen auf und sah ihn erschreckt an.

»Keine Angst, ich bin’s. Heute Nacht wird dich niemand sonst stören. Mein Name ist übrigens Cadfael. Und du heißt also Liliwin.« Ein seltsamer und doch passender Name für einen fahrenden Spaßmacher, einen, der sehr jung und arm und einsam und doch stolz auf seine Kunst ist – einen Akrobaten, Schlangenmenschen, Sänger, Jongleur, Tänzer, der andere zum Lachen bringt und selbst wenig Grund zur Fröhlichkeit hat. »Wie alt bist du, Liliwin?«

Er war halb eingeschlafen, hatte aber zu viel Angst, seiner Müdigkeit nachzugeben. Von Minute zu Minute sah er jünger aus und wirkte immer mehr wie ein in Decken gepacktes Kind. Die Kälte hatte ihn verlassen, und sein Gesicht bekam eine gesunde Farbe. Die Antwort auf Cadfaels Frage wusste er selbst nicht: Er konnte nur die Stirn runzeln und wage Vermutungen anstellen: »Ich glaube, ich werde bald zwanzig. Es könnte auch sein, dass ich schon älter bin. Vielleicht haben mich die Komödianten jünger gemacht, als ich bin – Kinder erregen mehr Mitleid.«

Es war möglich, dass er recht hatte, und immerhin war er von schmaler Statur, schmächtig und klein. Er mochte höchstens zweiundzwanzig sein, gewiss nicht älter.

»Gut, Liliwin, dann schlaf, wenn du kannst. Du brauchst den Schlaf, und ich werde da sein. Du musst dich nicht fürchten, ich werde die Augen offen halten.«

Cadfael setzte sich auf den Stuhl des Abtes und kürzte die Dochte der Kerzen, so dass er seinen Schützling gut sehen konnte. Sie schwiegen, und die Stille, die eintrat, war sehr tröstlich. Draußen mochten zahlreiche Gefahren lauern, aber hier war das Gewölbe über dem Chor wie eine schützende Hand, die ihren bedrohten und gefährdeten Frieden bewahrte. Cadfael war seltsam berührt, als er nach einiger Zeit zwei große Tränen sah, die aus Liliwins Augen quollen, langsam über seine Wangen rollten und auf die Decke fielen.

»Woran denkst du? Was quält dich?« Als es um ihn selbst ging, hatte er gezittert, aufbegehrt, energisch widersprochen, aber nicht geweint.