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Jochen, der noch neue Agent in der Firma, wurde als Hacker neu ins Team aufgenommen. Noch unerfahren im Kampf, ist er kurz nach seinem ersten Einsatz auf sich alleine gestellt. Doch dann ist er spurlos verschwunden. Christoph, ein Agent, der Jochen zum Verwechseln ähnlich sieht, soll den Auftrag von Jochen fortführen. Doch er ist vom Charakter anders als erhofft und hat keine Ahnung von Computern. Und dann lernt der Frauenheld die hübsche Schwester von Jochen kennen. Doch der Feind lauert bereits.
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Seitenzahl: 286
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Jeanny O‘Malley
Christoph alias Jochen
Nichts ist, wie es scheint
Roman Thriller Romance
Impressum
Texte: © 2022 Copyright by Jeanny O’Malley
Umschlag: © 2022 Copyright by Jeanny O’Malley
Verantwortlich
für den Inhalt: Jeanny O’Malley
c/o Heidi Kirschhausen
Am Mahlstück 7
53809 Ruppichteroth
E-Mail: [email protected]
Facebook: @JeannyOMalley
Instagram: @Jeannyomalley
Twitter: @JeannyMalley
Druck: epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin
Kapitel 1: Jochen und Nicole
„Agent Jochen! Ich darf sie herzlich in unserer Vereinigung willkommen heißen und es freut mich wirklich, dass wir einen so jungen Agenten bekommen haben, der sich auf Computer spezialisiert hat. Es haben nicht viele mit zwanzig Jahren in unsere Firma geschafft. Darauf können sie stolz sein.“ sagte ein älterer, dunkelhäutiger Mann mit leicht angegrauten Haaren zu einem jungen Mann, während er ihm die Hand schüttelte. „Ich danke ihnen vielmals. Ich hätte niemals geglaubt, dass ich mal zu der Elite gehören würde.“ freute sich Jochen über dieses Lob. Der Boss erklärte leise: „Das liegt an ihren außergewöhnlichen Fähigkeiten auf ihrem Fachgebiet. Noch nie konnte jemand, so schnell wie sie, unseren Computer-Code knacken. Wir brauchen sie hier dringend.“ Mit einem stolzen Gesicht fragte Jochen seinen Vorgesetzten: „Darf ich meiner Schwester davon erzählen?“ „Unter gar keinen Umständen!“ antwortete der ältere Mann direkt. „Sie dürfen keinem Menschen ihre Identität verraten. Ihre Sicherheit und die ihrer Familie hängen davon ab.“ war die Antwort und der Chef nahm sich eine Zigarette aus der Packung, um diese anzuzünden. „In Ordnung. Dann werde ich meine Familie wohl anlügen müssen, wenn sie mich fragen, woher ich Geld verdiene und wo ich die meiste Zeit verbringe.“ seufzte Jochen etwas angepisst, denn er war absolut kein Lügner. Danach strich er sich über seine kurzen, blonden Haare und verließ das Zimmer seines Chefs. Er dachte über seinen neuen Job nach und über die zukünftigen Lügen. Jochen stellte fest, dass er nicht mit seinem Nachnamen angeredet wurde. Und der Boss teilte ihm auch nicht seinen Namen mit. Direkt wurde ihm etwas flau im Magen, denn diese Arbeitsstelle würde ihm sehr viel mehr abverlangen, als er es für möglich gehalten hatte.
Auf der Straße schaute Jochen sich um. Die Sonne schien ihm in seine blauen Augen und er sah gegenüber im Schaufenster, wie seine blonden Haare durch das Sonnenlicht noch viel heller als sonst aussahen. Kurz darauf fasste er sich ins Gesicht und wischte über den Nasenrücken. Es war sehr warm an diesem Tag gewesen und durch die Aufregung mit der neuen Arbeitsstelle kam er noch mehr ins Schwitzen als eh schon. Lange blieb er da stehen und überlegte, ob es richtig war, diesen Job anzunehmen. Jahrelang hatte er sich selbst die Feinheiten der Datentechnik beigebracht und war froh, dass er sein Hobby zum Beruf machen konnte.
Zunächst ging Jochen zu sich nach Hause, um sich auf alles vorzubereiten. Eltern warteten dort nicht auf ihn, sondern seine kleine, sechzehn Jahre alte Schwester Nicole. Sie hatten ihre Eltern bei einem Unfall verloren. Seitdem kümmerte sich ihre Tante mit ihm um den sehr großen Hof, auf dem sie lebten. Er überlegte, wie er alles unter einen Hut bringen konnte. Die neue Arbeit und den Hof gleichzeitig zu versorgen schien ihm fast unmöglich zu sein, aber er brauchte das Geld dringend, sonst würde er das Haus auch nicht lange halten können. Es war das Letzte, was von seinen Eltern noch vorhanden war, abgesehen von einigen Bildern aus der Zeit, als sie noch glücklich waren. Während er die Straße entlang ging, dachte er an den Tag zurück, als seine Eltern starben. Es war ein Sommertag gewesen, der genauso heiß war, wie an diesem. Jochen war mit Nicole auf dem Hof und sie spielten gemeinsam mit dem Hund. Er war da schon ein Teenager, somit halb erwachsen und sie noch keine zehn Jahre alt gewesen. Die Eltern wollten ein paar Lebensmittel einkaufen und waren mit dem Auto weg. Die Kinder merkten damals nicht, wie viel Zeit vergangen war, in denen Mama und Papa nicht nach Hause kamen. Und plötzlich kam Tante Sophia auf den Hof. Nicole rannte auf sie zu, um sie in den Arm zu nehmen. Sie freute sich immer über Besuch der Familie. Doch Jochen konnte bereits an ihrem Gesicht erkennen, dass etwas nicht stimmte. Als auch er bei seiner Tante stand, da enthüllte sie die volle Wahrheit, dass die Eltern einen Autounfall hatten. Nicole fing weinend an zu schreien und auch Jochen spürte den Schmerz in seiner Brust. Doch als er seine Schwester so bitterlich weinen sah, stellte er seine eigenen Gefühle zurück und versuchte stark genug für sie beide zu bleiben. So nahm er sie in den Arm und versuchte sie irgendwie zu beruhigen und zu unterstützen. Und nun, da er einen neuen Job hatte, merkte er wieder einmal, wie schnell sich das Leben verändern konnte. Er beschleunigte seinen Schritt, um endlich nach Hause zu kommen.
Jochen betrat das Haus und stand fast direkt im Wohnzimmer. Links neben der Haustüre gab es nur einen Garderobenschrank, der dafür sorgte, dass die Leute nicht direkt im Raum standen. Rechts neben dem Eingang befand sich die Küche. Geradeaus weiter war das Treppenhaus und von dort konnte er in den Speiseraum hinter der Küche gelangen und in den Vorratsraum direkt unterhalb der Treppe. Im Wohnzimmer war ein Kamin an der tragenden Wand in der Mitte des Hauses, um das ganze Gebäude besser heizen zu können. Daneben war noch der Eingang zu dem unteren Badezimmer. Wie gerne wäre er direkt unter die Dusche gegangen, denn das Wetter war unerträglich heiß. Doch er hatte noch viel an diesem Tage vor. Nicole war glücklich ihn zu sehen und umarmte ihn liebevoll. Nach dem Tod ihrer Eltern war Jochen alles, was Nicole noch hatte. Zu ihm konnte sie aufschauen und er war ihr großes Vorbild. Sie sagte leicht genervt zu ihm: „Tante Sophia hat uns aufgetragen, den Zaun von der vierten Wiese zu kontrollieren. Lass uns direkt gehen dann haben wir es schnell erledigt.“ Nicole konnte ja nicht wissen, dass Jochen erst gerade von seinem ersten Arbeitstag kam. „Also gut. Ich trinke noch mal eben etwas.“ antwortete er und ging in die Küche um sich ein kaltes Glas Wasser zu holen. Seine Kehle fühlte sich irgendwie zu trocken an. Aber das kam nicht alleine von der Hitze des Tages.
Auf dem Weg zu dem Feld kamen sie an einer Bahntrasse entlang und mussten über die Schienen auf die andere Seite. Da es außer ihrem Hof weit und breit nichts anderes an Bevölkerung gab, hielt man es nicht für nötig dort einen Tunnel oder eine Brücke für drei Menschen zu bauen. Auch eine Schranke gab es nicht. Nur ein Andreaskreuz wies auf eine mögliche Gefahr hin. Jochen fragte, während sie gingen: „Wollen wir ein kleines Wettrennen machen?“ Nicole nickte und lief zusammen mit ihm los. Er war viel schneller als sie und blieb an den Schienen stehen. An einer Stelle ganz in ihrer Nähe führten die Schienen in einen Tunnel hinein. Man konnte den Zug nur kommen sehen, wenn er wenige Sekunden später an einem vorbei gerast kam. Jochen schaute zum Tunnel und sah eine Bahn kommen. Er rief zu Nicole: „Vorsicht, ein Zug.“ Selber aber rannte er dann in diesem Augenblick los und kam rechtzeitig vor dem Zug noch auf die andere Seite. Dies machte Jochen schon, seit sie beide kleine Kinder waren. Noch an diesem Tage ärgerte er sie damit, dass er schneller war. Schnaufend lief Nicole hinter dem Zug über die Gleise und schimpfte: „Du Mistkerl. Ich werde auf den Tag warten, an dem ich schneller bin als du.“ Jochen lachte und gab ihr einen kleinen Stups in ihre Seite. Da musste auch seine Schwester mitmachen. Ihr Lachen war das Einzige, was ihm damals half, um den Tod der Eltern verkraften zu können. Seit er für beide stark sein musste, versuchte er sie so oft wie möglich aufzuheitern. Nicole warf ihre langen, dunkelblonden Haare hinter sich und ließ die Nachmittagssonne in ihr Gesicht scheinen. Mit geschlossenen Augen genoss sie die Wärme der Sonne.
Während die Beiden den Weidezaun kontrollierten, erzählte Nicole leise: „Ich habe dir doch schon letzte Woche von diesem neuen Jungen aus meiner Klasse erzählt, den ich so süß finde. Der hat jetzt meine beste Freundin angebaggert und sie hat mir nichts erzählt, sondern mich auch noch angelogen. Ich könnte sie dafür hassen. Diese Lügen machen das Leben nur unnötig schwer und irgendwann kommt die Wahrheit ans Licht und man fühlt sich die ganze Zeit über verarscht.“ „Ja! So ist das nun mal, wenn man lügt. Deswegen macht man das ja auch nicht.“ meinte Jochen verständnisvoll. Doch dann fiel ihm sein neuer Job ein und er wusste, dass auch er seine Schwester anlügen musste. Nicole sah ihn mit ihren strahlend blauen Augen an und fragte: „Du würdest mich doch niemals anlügen, oder etwa doch?“ „Natürlich nicht.“ antwortete er ihr mit schwerem Herzen. Danach räusperte er sich und erklärte: „Es sei denn, ich will dich dadurch schützen.“ Nicole sah ihn fragend an und meinte: „Das verstehe ich nicht so richtig.“ Jochen stellte sich vor sie und erklärte weiter: „Menschen lügen meistens, um sich selbst zu schützen. Aber es gibt auch Menschen, die manchmal lügen, um jemand anderen zu schützen. Wenn deine Freundin dich angelogen hat wegen dieses Typen, dann kann es sein, dass sie sich selbst vor dir schützen wollte, weil sie ihn nett findet. Oder aber, weil sie dich schützen wollte, damit du weiter von ihm träumen kannst, dass er deine große Liebe ist. Sie wollte vielleicht deinen Traum dadurch nicht zerstören.“ Nicole schaute auf den Boden und sagte: „Das war ein schlechtes Beispiel. Ich weiß, dass sie nur sich selbst schützen wollte.“ Jochen hob ihren Kopf mit seinem Finger an ihrem Kinn hoch und meinte: „Es gibt noch andere Beispiele. Erinnerst du dich noch an die Zeit, als unsere Eltern noch lebten? Da hatten wir einen Hund. Wir sagten dir, dass er friedlich in der Nacht eingeschlafen ist. Das ist auch die Wahrheit gewesen. Aber wenn er anders gestorben wäre, hätten wir es dir verheimlich und dich angelogen, damit du für den Rest deines Lebens keine Alpträume bekommst und dieses Bild bei dir tragen würdest. Das wäre eine Lüge um dich zu schützen.“ „Jetzt weiß ich, was du meinst. Wenn ich einen Mord begehen würde, dann würdest du mir ein Alibi geben, um mich zu schützen.“ strahlte Nicole ihn an. Jochen lachte und antwortete ihr: „Nein! Wenn du wirklich jemanden getötet hättest und ich wüsste davon, dann kann selbst ich dich nicht schützen. Aber wenn du es wirklich nicht getan hättest und du stündest unter Verdacht, dann würde ich dir helfen, wo ich nur kann.“ Vorsichtig umarmte er sie und meinte leise: „Aber ich weiß ja, dass du niemanden töten könntest. Trotzdem werde ich dich beschützen, so gut es geht. Ich werde immer für dich da sein.“ Liebevoll umarmte Nicole ihn fester und sagte: „Ich danke dir. Du warst immer schon mein Held und mein Vorbild.“ Danach gingen sie zusammen weiter den Zaun entlang und fanden schließlich eine kaputte Stelle. Gemeinsam reparierten sie das Loch notdürftig und merkten sich den Ort für später.
Auf dem Rückweg sagte Jochen: „Ich muss dir noch etwas erzählen. Ich habe heute in der Stadt einen neuen Job angenommen. Ich werde ab sofort etwas seltsame Arbeitszeiten haben. Es kann sein, dass ich manchmal für Tage nicht wieder nach Hause komme. Dafür wird alles gut bezahlt und ich werde so unseren Hof vor dem Ruin bewahren.“ „Was ist denn das für ein Job?“ wollte Nicole wissen. Jochen druckste herum und antwortete: „Ich werde hauptsächlich im Sitzen arbeiten. Nun rate mal, was ich machen muss!“ Nicole ging neben Jochen her und überlegte kurz. Sie wusste zwar, dass Computer sein Hobby waren, aber an eine berufliche Karriere hatte sie nie im Leben gedacht. Nach kurzer Zeit antwortete sie ihm: „Du musst LKW-Fahrer sein. Die arbeiten im Sitzen und kommen manchmal tagelang nicht nach Hause. Habe ich recht?“ „Wenn du meinst, dass dies die richtige Bezeichnung dafür ist, dann wird es das wohl sein.“ antwortete Jochen ihr und war mit dieser Unwahrheit zwar nicht zufrieden, aber er konnte halt nicht anders.
Zu Hause angekommen meinte Jochen: „Ich bin mal eben bei Doktor Stein. Ich brauche für meinen Job noch ein Gesundheitszeugnis, was ich nachreichen muss.“ „Dann komm aber nicht so spät nach Hause. Vielleicht musst du mir nachher noch etwas besorgen.“ bat Tante Sophia ihn. „Ich werde mich beeilen und mich nicht wieder mit ihm zum Abendessen verabreden.“ antwortete Jochen, während er sich sein Fahrrad bereitstellte.
Der Arzt der Familie wohnte nicht sehr weit von ihnen entfernt. Man konnte mit einem Fernglas vom Hof aus dort hinschauen. Jochen war in wenigen Minuten bereits angekommen und erblickte Doktor Stein vor seinem Haus. Lächelnd begrüßte er ihn mit einer Umarmung. „Mein kleiner Jochen, da bist du ja endlich. Ich habe schon auf dich gewartet. Hast du Hunger oder Durst?“ wurde er empfangen. Jochen lachte und antwortete hektisch: „Ich habe nicht so viel Zeit. Ich brauche wirklich nur ein Gesundheitszeugnis für meinen neuen Job. Tante Sophia wartet mit dem Abendessen auf mich.“ „Was ist das denn für ein Job? Arbeitest du mit Lebensmitteln, mit anderen Menschen oder was für einem Test soll ich dich unterziehen?“ „Ich arbeite am PC. Und ab und zu muss ich mich auch körperlich betätigen.“ erklärte Jochen. Doktor Stein sah ihn mit einer nachdenklich hochgezogenen Augenbraue an und meinte grinsend: „Ist schon klar. Ich weiß schon, was du machst.“ „Wirklich? Woher wollen sie das wissen?“ horchte er nach. „Du sagst mir nicht, für wen oder was du arbeitest, also muss ich daraus schließen, dass es dir entweder peinlich ist oder dass es etwas Geheimes ist. Da braucht man nur eins und eins zusammenzählen. Du machst mir nach all den Jahren in denen wir uns schon kennen nichts vor. Ich kenne dich besser als es deine Eltern konnten. Sie haben mich damals immer zu sämtlichen Feten eingeladen. Dass ich nicht noch dich und deine Schwester auf die Welt gebracht habe, liegt wohl daran, dass ich da noch studiert habe.“ erzählte der Arzt. Danach nahm er ein Buch mit den Tests über Farbenblindheit in die Hand und meinte dann: „Ach ja! Seit du Kind bist, sagst du immer noch Doktor Stein zu mir. Nenn mich bitte Hans. Irgendwann sollten wir doch mal damit anfangen.“ Jochen schaute ihn verlegen an und gab ihm dann lächelnd die Hand. Irgendwie war er froh, dass er jemanden hatte, den er nicht anlügen brauchte.
Am Abend spielten Jochen und Nicole zusammen ein Brettspiel. Jochen wollte sie damit von ihrem Liebeskummer ablenken. Er merkte immer, wenn es ihr nicht so gut ging. Und scheinbar war dies der erste Kerl gewesen, in den sie verliebt war und der sie nicht haben wollte. Liebend gerne hätte er mehr für sie getan, wenn er nur gewusst hätte, wie er dies anstellen könnte.
Kurz nachdem Nicole gewonnen hatte, kam die Tante der Beiden ins Zimmer und fragte: „Du Jochen! Könntest du bitte mein Medikament aus der Apotheke holen?“ „Haben die nicht schon längst geschlossen?“ wollte Nicole wissen. Jochen antwortete: „Die haben manchmal im Spätdienst noch geöffnet.“ Sophia gab ihm einen Abholzettel in die Hand und meinte: „Der Apotheker hat mich eben angerufen und sagte, dass die Medikamente gerade angekommen sind. Wäre nett von dir, wenn du sie jetzt holen würdest.“ „Klar mache ich das. Darf ich dafür dein Auto nehmen?“ fragte er. Die Tante nickte und ging nachdenklich in die Küche. Liebevoll fragte er seine Schwester: „Möchtest du mitkommen? Es wird dir bestimmt gut tun mal in der Stadt herumzulaufen.“ Nicole sprang auf und antwortete heiter: „Na klar. Vielleicht sehe ich da noch einige Leute aus meiner Klasse.“
Zusammen fuhren die beiden im Auto in die Stadt. Jochen liebte es, den Wagen benutzen zu dürfen. Er selbst konnte sich leider kein eigenes Fahrzeug leisten. Unterwegs meinte Nicole: „Ich möchte mal wissen, wer alles aus meiner Klasse zu meinem Geburtstag kommt. Die Einladungen habe ich heute verteilt. Ich müsste es ja bald erfahren. Spätestens an meinem Geburtstag.“ Jochen lachte innerlich. Er wusste, was seine Schwester mit dieser Unterhaltung bezweckte. Sie wollte wissen, ob er noch daran gedacht und ihr schon ein Geschenk besorgt hatte. An ihren Geburtstag hatte er schon immer gedacht. Nur ein Geschenk hatte er ihr noch nicht besorgen können. Dafür war er die letzte Zeit zu beschäftigt gewesen.
Die Fahrt in die Stadt dauerte zehn Minuten. An der Apotheke angekommen stiegen sie aus dem Auto und Jochen holte dort die Medikamente ab, während Nicole sich die Schaufenster der anderen Geschäfte ansah. Staunend blieb sie vor einem Fenster stehen und sah eine kleine Figur aus Bleikristall auf einem kleinen Sockel stehen. Es war eine kleine Balletttänzerin. Sie schaute auf den Preis und seufzte. Plötzlich stand Jochen hinter ihr und fragte leise: „Warum seufzt du denn so?“ „Weil die Figur dort so schön und so verdammt teuer ist. Ich kann sie mir nicht leisten.“ antwortete Nicole enttäuscht. „Na komm. Lass uns wieder nach Hause fahren. Die Tante braucht ihre Medikamente.“ meinte Jochen mit ruhiger Stimme. Als sie sich umdrehten, da sah Nicole ihren Schwarm. Geschockt blieb sie stehen und sagte leise: „Da hinten steht er. Holger! Dieser Mistkerl. Macht mit meiner Freundin rum. Ich will nicht, dass er mich sieht.“ „Warum denn nicht?“ fragte Jochen neugierig. Nicole sah ihn böse an und erklärte: „Weil er erfahren hat, dass ich ihn mag oder eher gesagt gemocht habe. Ich schäme mich dafür. Vielleicht denkt er, dass ich immer noch was von ihm will. Das wäre peinlich, wenn er mich jetzt anquatschen würde.“ „Vielleicht solltest du ihn eifersüchtig machen, um zu erkennen, ob er dich auch mag. Er weiß bestimmt nicht, dass ich dein Bruder bin. Lass uns so tun, als ob wir ein Pärchen wären. Dann glaubt er auch nicht, dass du noch Interesse an ihm haben könntest.“ schlug Jochen vor. Nicole nahm ihn in den Arm und meinte mit einem breiten Grinsen: „Das ist eine tolle Idee. Das machen wir.“ Arm in Arm gingen sie bis zu dem Auto. Nicole schaute zu ihrem Schwarm hinüber und sagte leise: „So ein Mist. Er hat uns gesehen. Er kommt auf uns zu. Was sollen wir jetzt machen, damit er wieder weggeht?“ Blitzschnell hatte er eine Idee. „Ich werde dich jetzt küssen. Damit rechnet er bestimmt nicht.“ antwortete er leise. Kurz darauf, nachdem er das letzte Wort gesagt hatte, schnappte er sich Nicole und küsste sie auf den Mund. Er hätte alles für seine Schwester getan, um ihr zu helfen. Er liebte sie sehr. Sie war das Liebste, was ihm von seiner Familie noch geblieben war. Der Plan gelang und Nicoles Schwarm ging wieder fort. Jochen ließ sie los und meinte: „Er ist weg. Steig schnell ins Auto, bevor er es sich noch mal anders überlegt.“ Dies ließ sich Nicole nicht zweimal sagen.
Als beide im Auto saßen und Jochen losgefahren war, fing sie plötzlich an zu lachen. Nicole sagte belustigt: „Mann, war das ein Kuss. Damit hätte er wirklich nicht gerechnet. Bin mal gespannt, was er morgen in der Schule über mich erzählt.“ „Bestimmt bist du morgen der Superstar in der Klasse. Die werden wahrscheinlich alle sagen: Schaut euch die Nicole an. Die hat einen gutaussehenden Freund, der schon einen Führerschein und ein Auto hat.“ scherzte Jochen.
Nicole schaute aus dem Fenster des Autos und sagte leise, während sie vor sich hinträumte: „Ich wünsche mir, dass ich mal einen Mann kennenlerne, der genauso ist wie du. Du bist witzig, intelligent, immer nett zu mir, passt auf mich auf und hilfst mir, wo du nur kannst. Ein Mann wie du wäre perfekt für mich.“ „Vielleicht sollte er auch noch so aussehen wie ich?“ fragte Jochen scherzhaft. Träumend blickte sie aus dem Auto und antwortete leise: „So einen tollen Mann finde ich niemals.“
In der Nacht lag Nicole noch lange wach. Sie hatte sich an diesem Abend wirklich ein wenig in ihren eigenen Bruder verliebt. Sie liebte ihn schon lange, aber wirklich nur als Bruder. Nur dieser Kuss hat sie träumen lassen, wie es wäre, wenn sie einen Mann finden würde, der genauso ist wie er. Sie wusste genau, dass sie mit Jochen nur eine geschwisterliche Liebe haben würde, aber träumen durfte sie doch von ihrem Vorbild. Nicole zwang sich wirklich sehr, nicht mehr an diesen Kuss zu denken, aber irgendetwas in ihr wollte sich daran erinnern. Schließlich wurde sie noch niemals von einem Mann auf diese Art geküsst.
Die Sonne ging gerade auf, als Nicole aus ihrem Bett aufstand. Sie rieb sich ihre noch müden Augen und machte sich auf den Weg ins Badezimmer. Verschlafen zog sie ihr Nachthemd aus, um noch schnell vor der Schule duschen zu gehen. Während sie sich auszog, kam Jochen auch gerade ins Bad. Wie es nur ein Bruder machen kann, schaute er zwar weg, blieb aber im Zimmer um sich die Zähne zu putzen. Er hatte seine Schwester schon öfter nackt gesehen und es machte ihr und ihm auch nichts aus. Nicole sprang unter die Dusche und fragte dabei: „Kannst du mich gleich zur Schule begleiten? Du musst doch auch in die Stadt oder etwa nicht?“ „Doch! Ich muss zur Arbeit und will nicht zu spät kommen.“ antwortete Jochen, während er sich Zahnpasta auf die Zahnbürste schmierte.
Tante Sophia hatte bereits wie jeden Morgen das Frühstück vorbereitet und alle saßen am Tisch, um sich für den Tag zu stärken. Während Jochen in sein Brot biss, sagte Sophia: „Ich wünsche dir heute viel Erfolg bei der Arbeit. Ich bin ja so froh darüber, dass du einen Job gefunden hast. Deine Eltern wären begeistert, wenn sie es miterlebt hätten.“ Er hasste solche Sprüche von ihr, denn sie erinnerten ihn immer wieder daran, dass seine Eltern lange tot waren. Natürlich wusste er es auch so, aber mit solchen Bemerkungen trug sie nicht gerade zu seiner besten Stimmung bei. Hastig packte Nicole ihre Tasche und sagte: „Ich bin fertig. Wir können los.“
An der Schule angekommen, verabschiedete sich Jochen mit einem Kuss auf die Wange von Nicole und machte sich dann auf den Weg zu seiner neuen Arbeit. Sie winkte ihm noch hinterher und lächelte dabei. Die Mitschüler von Nicole sahen sie an und eine von ihnen fragte sie vorsichtig: „Kommt dein neuer Freund auch zu deiner Geburtstagsfeier?“ „Na klar doch!“ antwortete Nicole schmunzelnd und siegessicher. Ihr gemeinsamer Plan war aufgegangen. Die Mädchen und vor allem ihr Schwarm aus der Schule hatten diese Show geschluckt. Die Mitschülerinnen aus der Klasse sahen sich gegenseitig an und sagten, wie aus einem Mund heraus: „Dann kommen wir auch.“
Nicole schaute zufrieden ihre beste Freundin an, die gerade auf den Schulhof kam. Yvonne blickte in das glückliche Gesicht ihrer Freundin und fragte vorsichtig: „Sag mal, was ist denn mit dir los? Und was haben die Hühner da hinten so zu gackern?“ Nicole ging mit einem selbstsicheren Lächeln an ihr vorbei und antwortete lässig: „Sie wollen nur meinen tollen Freund kennenlernen.“ Danach ging Nicole in den Klassenraum.
In dem Büro des Chefs stand Jochen vor dem großen Schreibtisch und meinte euphorisch: „So, da bin ich!“ Der Boss steckte sich eine Zigarette an, lehnte sich in seinem Sessel zurück und sagte lässig: „Das sehe ich. Ich habe schon einen Auftrag für sie und ihren neuen Partner.“ „Meinen Partner?“ fragte Jochen verwundert nach. Sein Vorgesetzter nickte, drückte eine Taste an seinem Telefon und sagte: „Schicken sie mir bitte Agent Tom herein.“ Wenige Augenblicke später kam ein Mann wie ein Kleiderschrank, mit kurzen, schwarzen Haaren herein, der Jochen sofort die Hand hinhielt. „Ich bin Tom. Ich soll auf dich aufpassen Kleiner, damit dir an deinem ersten Tag nichts passiert.“ meinte der neue und erste Partner von Jochen. Der Chef nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette, pustete den Qualm durch das Büro und sagte: „Ihr beide werdet heute mal durch die Universität gehen und Informationen von unserem dort ansässigen Maulwurf einholen. Er beobachtet schon seit ein paar Jahren einige der Professoren, von denen wir glauben, dass sie zu der anderen Seite gewechselt sind und für die bösen Jungs neue chemische Waffen, sowie deren Gegenmittel herstellen.“ „Alles klar, Chef. Ich nehme den Kleinen direkt mal mit.“ meinte Tom und schob Jochen vor sich her.
Auf dem Weg zur Universität fragte Jochen: „Wieso forschen die Professoren an der Uni und nicht in einem geheimen Labor?“ „Es ist unauffälliger. Weißt du, nicht jedes brillante Hirn kann sich zu Hause solche Hilfsmittel im Baumarkt kaufen. In einem Labor müssten sie angestellt sein. Und in solch einer Uni, wo Studenten alles Mögliche in die Luft sprengen, fällt es weniger auf, wenn sie dort auch noch experimentieren. Keiner der Schüler würde wissen, an was sie arbeiten. Und so forscht halt der ein oder andere mehr als er sollte. Aber zum Glück haben wir unsere Informanten, die doch mehr wissen, als sie eigentlich sollten.“ erklärte sein Partner ihm und steuerte das Auto auf den Parkplatz vor der Universität. Kaum waren sie ausgestiegen, sagte Tom: „Du musst vorsichtig sein. Es gibt genügend gegnerische Typen, die verhindern wollen, dass wir Gutes tun. Hinter jeder Zeitung, die gelesen wird, könnte sich einer von ihnen verstecken. Du solltest auf Leute achten, denen du mehrmals begegnest und die dich ansehen. Auch wenn du nur das Gefühl hast beobachtet zu werden, aber du kannst keinen sehen, dann sei trotzdem auf der Hut, denn manchmal ist das Gefühl, welches du im Bauch hast besser als das, was deine Augen und dein Hirn sagen.“ „Ich habe verstanden. Am besten so unauffällig sein, wie es nur geht.“ meinte Jochen lässig. Und doch steckte in ihm sehr viel Nervosität.
In der Universität angekommen ging Tom mit Jochen zum Hausmeisterzimmer. Nachdem Tom an die Türe geklopft hatte, öffnete er diese auch direkt. Der Mann, der dort im grauen Kittel saß, schaute die Beiden an und erhob sich direkt von seinem Stuhl. Der Hausmeister sah ihm in die Augen, schaltete Musik ein, damit man nicht sehr viel von dem Gespräch hören konnte, und nahm einen Zettel in die Hand und einen Stift. Jochen stellte sich mit einem Handschlag vor und setzte sich zunächst still in eine Ecke. Sein Partner kommunizierte flüsternd mit dem Mann im Kittel. Dieser schrieb sämtliche Insider Informationen auf einen Zettel und übergab diesen Tom. Interessiert schaute Jochen den Männern zu und lernte.
Als alle Informationen ausgetauscht waren, verabschiedeten sie sich von dem Informanten und gemeinsam verließen sie die Universität.
Im Auto sitzend drückte Tom auf das Gaspedal und Jochen fragte etwas spöttisch: „Echt jetzt? Der Hausmeister ist der Maulwurf?“ Sein Partner grinste und antwortete: „Natürlich. Kennst du einen besser geeigneten Posten in einer Universität, der in sämtliche Zimmer hineinkommen kann, auch außerhalb der normalen Zeiten? Besser geht es doch nicht, um mal eben ein paar zwielichtigen Typen über die Schulter schauen zu können. Ich sehe schon, dass ich dir noch sehr viel beibringen muss. Aber so wie ich das eben verstanden habe, drängt die Zeit.“ Da wurde es Jochen etwas flau im Magen. Doch er fragte nicht noch einmal nach, denn er wollte nicht so sehr wie ein Grünschnabel wirken. Aber es klang nach einer Menge Ärger.
Mittags kam Jochen wieder nach Hause auf den Hof und half dann der Tante das Mittagessen zu kochen. „Ich hatte heute einen interessanten Arbeitstag. In meinem neuen Job lernt man viele Leute kennen.“ sagte Jochen voller Stolz. „Das freut mich für dich. Hast ja lange dafür gebetet so eine Arbeit zu finden.“ meinte Sophia mit ihrer ruhigen Stimme. Sie war immer sehr religiös gewesen, was die Eltern von Jochen nicht waren. So versuchte die Tante immer wieder den beiden Kindern beizubringen, wie sie zu Gott beten konnten. Doch bis zum Erwachsenenalter brachte dies nichts mehr. Jochen ließ sie einfach machen und dachte sich seinen Teil. Daher lächelte er und nickte bloß. Schließlich wollte er sie nicht verletzen und schon gar nicht ein tiefgründiges Gespräch führen. Doch dann überlegte er, ob dies nun so in seinem Leben weitergehen würde. Jeden Tag aufs Neue seine Familie anlügen, was seine Arbeit betrifft, der Gefahr als Agent ins Auge sehen und nebenbei noch den Hof zu versorgen. Konnte er das auf Dauer durchhalten?
Etwa eine halbe Stunde später kam Nicole nach Hause und ging zu den anderen in die Küche. Mit einem eleganten Schwung warf sie ihre Schultasche auf einen Stuhl und ließ sich dann in auf einen anderen fallen. Jochen lachte und fragte: „Was ist dir denn passiert, dass du so strahlst?“ Sie stand wieder auf, tanzte durch das Zimmer und antwortete ihm: „Sie werden alle zu meiner Geburtstagsparty kommen und sie wollen auch alle meinen tollen neuen Freund kennen lernen. Du bist einfach ein super Bruder.“ Innerlich lachte er über diese Aussage. Es war zwar nicht ganz das, was er damit beabsichtigt hatte, aber es hatte seinen Zweck erfüllt. Und auf solch eine kleine Notlüge mehr oder weniger kam es auch nicht mehr drauf an.
Kapitel 2: Jochens großer Auftrag
Nach dem Mittagessen ging Jochen zusammen mit Nicole in den Hühnerstall, um die Tiere zu füttern. Sie strahlte ihren Bruder an und meinte: „Dein Plan hat wirklich funktioniert. Mein Ex-Schwarm hat sich als Mistkerl herausgestellt. Er ist eine alte Klatschtante und überhaupt nicht an mir interessiert.“ „Siehst du. Manchmal habe auch ich gute Ideen, um dir zu helfen.“ meinte Jochen leise, während er das Hühnerfutter ausstreute. Nicole hängte sich an seinen Arm und sagte grinsend: „Danke noch mal für deine große Hilfe. Ich weiß schon, warum Gott mir so einen tollen Bruder geschenkt hat.“ „Du brauchst mir nicht zu danken. Das habe ich doch gerne gemacht.“ säuselte Jochen lächelnd. Er freute sich sehr darüber, ihr einmal wieder aus der Patsche geholfen zu haben. Dabei wurde ihm die Situation erst richtig bewusst. So langsam wurde seine Schwester erwachsen und interessierte sich für Männer. Natürlich war ihm das vorher auch schon klar gewesen, doch plötzlich begriff er erst, was dies für seine Zukunft heißen würde. Sehr bald könnte sie schon heiraten und Kinder bekommen. Und dies war ein Gedanke, an den er sich nicht so schnell gewöhnen wollte.
Spät am Abend saßen die Geschwister auf dem Sofa im Wohnzimmer und sahen sich das Fotoalbum an, mit den Bildern aus den Zeiten, als ihre Eltern noch lebten. „Kannst du dich noch an den Urlaub von diesem Bild erinnern?“ wollte Nicole wissen. Jochen schmunzelte und antwortete: „Aber sicher doch. Du wolltest unbedingt mit dem Sohn des Hotelbesitzers spielen, aber er hatte nie Zeit für dich. Später hast du doch dieses Mädchen mit den hochgebundenen Zöpfen kennengelernt. Weißt du noch, wie sie hieß?“ „Babette heißt sie. Und der Junge war Maurice.“ sagte sie mit einem nachdenklichen Stirnrunzeln. Jochen staunte: „Das ist echt klasse, wie du dich an Namen erinnern kannst von den Leuten, die du schon seit zehn Jahren nicht mehr gesehen hast.“ Jochen blickte auf ein Foto seiner Mutter und meinte leise zu Nicole: „Ich habe schon fast vergessen, wie schön sie doch war.“ Fasziniert von dem Bild sagte sie: „Ja! Ich kann mich auch schlecht an ihr reales Bild erinnern. Ich will nur hoffen, dass ich auch mal so volles Haar haben werde und so eine gute Figur.“ „Aber das hast du doch. Du siehst ihr total ähnlich, was mir auch eben erst gerade aufgefallen ist. Damals mit deinen kleinen Pausbäckchen sahst du noch nicht so aus. Und jetzt wo ich ihr Bild neben deinem Gesicht sehe, fällt mir auf, wie hübsch du geworden bist.“ antwortete Jochen liebevoll. Nach Zärtlichkeit sehnend lehnte sich Nicole mit ihrem Kopf an die Schulter von Jochen, der auch gleich seinen Arm um sie legte und mit der anderen Hand die nächste Seite vom Fotoalbum aufschlug.
Kurz bevor Jochen ins Bett gehen wollte, sagte er zu Nicole: „Ich werde gleich noch Thomas eine Mail schreiben. Der denkt sonst, dass ich ihn vernachlässige.“ „Der hat doch als Animateur in Spanien sicherlich genug zu tun in der Hauptsaison. Der wird gar nichts merken, wenn du ihm mal nicht schreibst. Wahrscheinlich reißt der jeden Abend eine andere Frau auf.“ meinte sie und zwinkerte ihm dabei zu. „Du bist ganz schön frech. Ich glaube, ich erzähle ihm davon in meiner Mail.“ scherzte Jochen und grinste dabei.
Als er am Computer saß, tippte er sein Kennwort ein und machte sein Mailprogramm auf. Thomas Winter war sein bester Freund aus der Kinderzeit gewesen, der schon im jungen Alter mit seinen Eltern ausgewandert war. Jochen schrieb ihm folgende Mail:
„Hallo Thomas!
Ich habe diese Woche einen neuen Job angenommen, der wirklich auch sehr viel Zeit von mir in Anspruch nehmen wird. Wundere Dich also nicht, wenn ich Dir vielleicht etwas weniger oft schreiben werde. Aber diese Arbeit bringt mir wenigstens genug Geld, sodass ich den Hof halten kann. Nicole behauptete, dass Du es eh nicht merken wirst, da Du in der Saison zu beschäftigt mit Frauen bist. Die Kleine wird immer frecher, aber Du weißt ja, ich kann ihr nicht lange böse sein.
Ich hoffe, es geht Dir und Deinen Eltern immer noch gut. Ich muss Dich unbedingt mal besuchen kommen in Spanien. Wir haben uns ja wirklich seit 12 Jahren nicht mehr gesehen. Aber Du weißt ja, der Unfall meiner Eltern, die neue Situation, der Hof ... und so ist halt so viel Zeit vergangen.
Sobald ich meinen ersten Urlaub haben werde und diesen auch bezahlen kann, komme ich Dich besuchen.
Bis demnächst mal
Jochen.
Er tippte am Computer auf den Befehl: Senden und schon fühlte er sich etwas besser. Er hätte ihm am liebsten noch so viel mehr geschrieben, aber er durfte nichts über seinen Job erzählen. Wenigstens hatte er sich mal wieder gemeldet und das war die Hauptsache.
In der Nacht lag Jochen noch lange wach. Er machte sich Sorgen um die Zukunft. Wie würde sein erster großer Auftrag als Agent werden? Als er so darüber nachdachte, bekam er ein wenig Angst. Langsam griff er unter sein Bett, zog eine kleine Holzkiste hervor und nahm dort sein Tagebuch heraus. Behutsam suchte er die Stelle, wo er das letzte Mal stehen geblieben war und schrieb seine Sorgen in das kleine Büchlein hinein. Dies machte er, seit seine Eltern gestorben waren. Niemand wusste davon. Nicht einmal seine Schwester.
Auf dem Weg zur Arbeit kam Jochen mit seinem Fahrrad an dem Geschäft mit der kleinen Kristallfigur vorbei. Er blickte in sein Portemonnaie und seufzte. Wo sollte er nur bis zu Nicoles Geburtstag solch einen Betrag her bekommen? Danach schaute er auf seine Uhr und erschrak. Er musste sich beeilen, bevor er zu spät zur Arbeit kommen würde.