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Lia wird bereits ihr ganzes Leben von einem Dämon verfolgt. In der Gegend verschwanden häufig Kinder. Als sie alt genug ist, das Haus ihrer Eltern zu übernehmen, kehrt sie an den Ort zurück, um sich ihren Ängsten zu stellen. Dort lernt sie den charismatischen Joshua kennen, der ihr näherkommt. Als schließlich ihr eigener Sohn verschwindet, muss sie mit dem Dämon verhandeln. Das Böse muss besiegt werden, die Liebe findet einen Weg.
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Seitenzahl: 314
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Jeanny O‘Malley
Finstere Pfade, gefährliche Dimensionen
Band 1 Die Prophezeiung
Roman Fantastik Horror Fantasy
Impressum
Texte: © 2022 Copyright by Jeanny O’Malley
Umschlag:© 2022 Copyright by Jeanny O’Malley
Verantwortlich
für den Inhalt:Jeanny O’Malley
Postfach 1105
53805 Ruppichteroth
E-Mail: [email protected]
Facebook: @JeannyOMalley
Instagram: @Jeannyomalley
Twitter: @JeannyMalley
Druck:epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin
Um meine Geschichte erzählen zu können, muss ich weit ausholen, denn die Ereignisse fingen bereits bei meiner Geburt an.
Als meine Mutter in den Wehen lag, durfte mein Vater nicht dabei sein. Zur damaligen Zeit war das noch nicht üblich. Nervös saß er im Warteraum und hielt mein Namensschild in der Hand. Ursprünglich sollte ich Larissa heißen. Aufgeregt faltete er das Schild in sämtlichen Variationen. Als ihm berichtet wurde, dass ich gesund zur Welt kam, wollten sie meinen Namen wissen. Er schaute auf das zusammengefaltete Stück Papier, auf dem nur noch die Buchstaben L, i und a zu sehen waren. Also nannte er mich Lia.
Im Alter von zwölf Jahren mussten wir umziehen, weil mein Vater einen neuen Job angenommen hatte. Gemeinsam zogen wir in eine schicke Siedlung. Unser Heim war ganz normal und schlicht, wie es sich für ein Haus von Leuten mit mittlerem Einkommen gehörte. Aber die anderen Häuser in einem Straßenzug wurden von reichen Menschen erbaut. Sie bestanden aus reinem Marmor. Scheinbar wollten die Besitzer sich damit hervorheben. Die Bauten unterschieden sich in den Farben und unzähligen Verzierungen an Wänden und Säulen. Diese teure Siedlung wurde liebevoll Marmorviertel genannt. Mama und Papa fanden es schick dort zu wohnen, aber mir war das egal. Ich vermisste meine Freunde, die ich zurücklassen musste. Zwar wohnten wir nicht allzu weit entfernt von meinem ehemaligen Wohnort, aber ich musste trotzdem die Schule wechseln. In der Gegend gab es alles, was für eine zufriedene Familie nötig ist. Eine angrenzende Stadt, in der Geschäfte aller Art zu finden sind, ein See in unmittelbarer Nähe und sogar ein großes Waldstück als Erholungsgebiet. Die perfekte Umgebung.
In der Schule war es für mich schwierig, neue Freunde kennenzulernen. Auf dem Schulweg nach Hause hatte ich nur eine Begleiterin. Miranda war in meinem Alter und sie wohnte in der Siedlung. Sie lebte in einem dieser teuren Häuser. Wir verstanden uns gut, solange wir in der Schule waren, jedoch durfte ich nicht zu ihr nach Hause kommen. Den Grund dafür konnte ich mir nicht ausmalen.
Einen Tag lud mich Miranda doch zu sich ein, da sie Geburtstag hatte und sie diesen mit mir verbringen wollte. Gemeinsam gingen wir zu ihr nach Hause. Zwar hatte ich kein Geschenk besorgen können, aber ihr war es egal gewesen. Sie schien traurig zu sein und brauchte mich wohl als Unterstützung. Wir saßen etwa eine halbe Stunde bei ihr auf dem Bett und hörten Musik. Plötzlich kam ihre Mutter ins Zimmer und sah irgendwie sehr zornig aus. Sie atmete tief ein und versuchte sich zu beruhigen, bevor sie zu mir sagte: „Ich denke, du musst nach Hause gehen. Miranda hat heute noch andere Verpflichtungen.“ Meine Freundin schaute mich schuldbewusst an und nickte mir zu. Da ich merkte, dass ich in diesem Haus unerwünscht war, wollte ich Miranda nicht noch Ärger bereiten und machte mich auf den Weg.
Ich musste durch die Siedlung nach Hause gehen. Alle Häuser aus Marmor waren nur einstöckig. Doch eines bestand aus Marmor, der rötlich aussah und zweistöckig. Diese Leute, die dort wohnten, mussten viel reicher sein, als alle anderen in der Gegend. Neben der Türe konnte ich Torbögen sehen, die die obere Etage stützten. Es wirkte unbewohnt, denn innen drin war alles dunkel und es hingen keine Gardinen an den Fenstern. Hinter einer Fensterscheibe klebte ein Schild. Ich dachte mir, da würde das Haus zum Verkauf angeboten und interessierte mich dafür. Darauf stand: „Hier lebt der Teufel.“ Ich erschrak und mir lief eine Gänsehaut über den Rücken. Auf einmal hörte ich jemanden meinen Namen rufen, doch ich konnte nicht erkennen, von wo die Stimme kam. Sie schien überall zu sein. Ängstlich lief ich nach Hause.
Eine Woche später ging ich im nahegelegenen Wald spazieren. Die Sonne strahlte, es war warm und die Bäume ließen genug Licht durch ihre Zweige, sodass alles um mich herum freundlich aussah. Doch plötzlich wurde es dunkler und ich empfand eine Kälte, die mir Angst machte. Es hatte den Anschein, als würden die Bäume näher zusammenrücken und daher kein Licht mehr durchlassen. Ich fühlte mich irgendwie schwerelos und spürte eine Gänsehaut im Nacken. Ich hörte zum zweiten Mal diese Stimme. Diesmal war sie lauter und ich erkannte den Tonfall eines Mannes. Er sagte mit dunklem dämonischen Klang: „Lia! Komm zu mir! Es wird dir hier gefallen.“ Ich machte meine Augen weit auf und konnte fast nichts mehr sehen. Es fühlte sich so an, als ob ich den Boden unter den Füßen verloren hatte. Voller Angst blickte ich mich um. Die Bäume schauten dunkel und kalt aus. Alles um mich herum sah auf einmal furchterregend aus und ich war ganz alleine. Nur diese Stimme vernahm ich, die mich erneut zu sich rief. Ich spürte tief in mir, dass es eine böse Macht war, die mich zu sich holen wollte. Irgendwie wusste ich das instinktiv. Mein ganzer Körper und meine Seele kämpften dagegen an. Ich sträubte mich so sehr, dass ich augenblicklich in Ohnmacht fiel.
Als ich zu mir kam, lag ich zu Hause in meinem Bett. Mein Vater saß neben mir und sagte liebevoll: „Wir fanden dich am anderen Ende des Waldes. Du hast Glück gehabt, dass wir dort nach dir suchten.“ Mit einem Lächeln auf meinem Gesicht umarmte ich meinen Vater. Mir fiel wortwörtlich ein Stein vom Herzen, dass ich bei ihm in Sicherheit war. Meine Mutter kam in das Zimmer hinein und fragte mich: „Sag mal Lia! Was war da eigentlich los mit dir im Wald?“ Leise antwortete ich ihr: „Es wurde plötzlich dunkel um mich herum. Ich hörte eine Stimme, die meinen Namen rief. Danach verlor ich den Boden unter meinen Füßen und fühlte mich schwerelos. Ich kämpfte dagegen an und jetzt bin ich hier.“ Mein Vater streichelte liebevoll meine Hand und meinte: „Das war bestimmt meine Stimme, die du gehört hast. Und dann hob ich dich vom Boden auf. Vielleicht war es das, was du spürtest.“ Einen kurzen Moment dachte ich nach und es kam mir logisch vor. Aber dann erinnerte ich mich an diesen dämonischen Klang und wie er zu mir sagte, dass ich kommen sollte und dass es mir dort gefallen wird. Von daher konnte es nicht mein Vater gewesen sein.
Die Stunden danach lag ich noch in meinem Bett und sollte mich erholen. Mir gefiel dieses Erlebnis nicht. Mein Gespür sagte mir, dass dieser Ort Unheil bringt. Die Menschen waren sonderbar und der Wald war furchteinflößend. Es lag aber nicht nur daran, sondern auch, dass der Teufel in dem roten Marmorhaus wohnen sollte. Es passte wunderbar ins Schema. Ich glaubte dran, dass diese Stadt verflucht war, und wollte unbedingt von dort fort.
Am Abend beim Essen sah ich meine Eltern an und erzählte: „Ich will wieder weg. Ich habe keine Freunde gefunden und sämtliche Leute reden nicht mit uns. Außerdem ist es mir hier unheimlich.“ Beruhigend sagte mir meine Mutter: „Du hast dich ja noch gar nicht an diesem Ort eingelebt. Das kommt bestimmt noch.“ Zweifelnd aß ich mein Essen weiter und fragte mich die ganze Zeit, warum die Leute nicht mit Fremden reden. Selbst Mirandas Mutter war ungewöhnlich kühl zu mir.
Einen Monat später überredete ich meine Eltern doch noch, dass ich bei meiner Tante Anne in der Stadt leben durfte. Dort hatte ich meine alten Freunde wieder und war glücklich.
Mein Glück hielt aber nicht lange an. Ein Jahr später, als ich dreizehn Jahre alt wurde, hatten meine Eltern einen schrecklichen Unfall. Beide starben sie direkt am Unfallort. Seitdem glaubte ich an die unglückbringende Zahl 13.
Meine Tante zog mich in der Stadt auf und ich wurde erwachsen. Meine Freunde heirateten, oder sie zogen wegen ihrer beruflichen Karriere in andere Städte und Dörfer. Somit hatte ich wieder keinen, außer Tante Anne.
„Lia, meine Liebe, wie war dein Vorstellungsgespräch?“ fragte Tante Ann, als ich nach Hause kam. Sie machte sich immer große Sorgen um meine Zukunft. Ich sah an den Falten unter ihren Augen, sowie ihre vereinzelt grauen Strähnen in den kurzen, dunklen Haaren, dass die meisten davon wohl aus Sorge um mich kamen. „Es lief so gut, dass ich nächsten Monat anfangen kann. Ich freue mich so sehr, dass ich in dem teuren Hotel arbeiten darf.“ Tanzend wirbelte ich durch das Zimmer. Voller Gedanken wandte sie sich wieder an mich: „Das ist schön. Das freut mich für dich. Aber willst du nun wirklich das Erbe deiner Eltern annehmen und in das Haus ziehen, was du damals so gehasst hast?“ „Ich habe nicht das Haus gehasst, sondern die Umgebung. Und es passt doch gut, dass die bisherigen Mieter dort gerade jetzt ausgezogen sind, wo ich mit meinen zwanzig Jahren mal eine eigene Unterkunft brauchen könnte. Schließlich will ich ja auch mal Herrenbesuch mitbringen können.“ scherzte ich bei dem letzten Satz, denn ich hatte noch nie einen Mann mit nach Hause gebracht, was meine Tante auch höchst seltsam fand. Es hatte sich halt noch kein potentieller Partner gefunden, mit dem ich etwas anfangen wollte. Eigenartigerweise war ich auch etwas stolz auf meine Jungfräulichkeit. Jedoch wollte ich nicht bis zu meiner Hochzeit warten. So sehr hing ich nicht an dem Titel einer Jungfrau. Ich wusste, dass ich nur auf den richtigen Partner warten müsste, der mir vom ersten Blick an zusagte. Egal, ob ich diesen auch später heirate oder nicht. Es lag halt nicht an einem Gelübde, sondern mangelte bei mir an in Frage kommenden Partnern, mit denen es sich lohnt.
Am nächsten Tag waren meine Sachen gepackt und ich wollte sofort in mein neues Zuhause aufbrechen. Ein neuer Lebensabschnitt lag vor mir, den ich kaum noch erwarten konnte. Da unzählige Renovierungsarbeiten anstanden, plante ich nur aus Koffern zu leben und auf einer Luftmatratze zu schlafen. Mit weinerlichen Augen schaute mich Tante Ann an und fragte: „Wirst du mich wenigstens ein wenig vermissen?“ „Natürlich werde ich das. Immerhin hast du mich bei dir wohnen lassen, obwohl meine Eltern noch lebten und ich einfach von dort weg wollte. Und nach ihrem Tod hast du mir alles gegeben, was du nur konntest, damit es mir gutgeht. Glaube gar nicht, dass du mir nichts bedeutest, nur weil ich jetzt mein eigenes Leben führen möchte.“ erklärte ich und umarmte sie liebevoll. Schluchzend meinte sie an meinem Ohr gedrückt: „Ich weiß es doch. Ich habe dich auch lieb. Trotzdem wird es jetzt ungewohnt ruhig im Haus sein. Und melde dich immer wenn du Lust darauf hast oder du Hilfe brauchst. Meine Türe ist immer für dich geöffnet.“ Sanft gab ich ihr einen Kuss auf die Wange und drückte sie erneut an meine Brust.
Nachdem ich mich von meiner Tante verabschiedet hatte, fuhr ich mit einem Taxi in die Siedlung, die mir damals nicht wirklich gefallen hatte. Ein Teil in mir freute sich sehr auf die neu gewonnene Freiheit, doch der andere Teil warnte mich vor dieser Gegend. Aber ich hatte die letzten Jahre nie wieder diese dämonische Stimme gehört und schob das alles auf meine Fantasie. Wahrscheinlich lag das an meiner Einsamkeit zur damaligen Zeit.
Es war einer dieser heißen Tage im Sommer, an denen ich die backende Hitze in der Stadt kaum noch ertragen konnte. Die Sonne brannte vom Himmel und ich schwitzte in dem Taxi. In der Siedlung an dem Haus meiner Eltern angekommen, merkte ich, dass es an dieser Stelle etwas kühler war. Dort am Waldesrand war es schön schattig und es ging ein leichter Wind. Nachdem ich meine Koffer in einem der vielen Zimmer verstaut hatte, wollte ich mir in dem nahegelegenen Wald die Beine vertreten. Die frischere Luft würde mir guttun, dachte ich. Kurz schaute ich in den Spiegel im Badezimmer und kämmte mir meine langen schwarzen Haare zunächst durch. Das Licht am Spiegel war so grell, dass meine blauen Augen darin irgendwie heller waren. Im Kontrast zu den Haaren wirkten sie auf einmal eisig. Ich muss sagen, dass mir dies gefallen hatte. Schnell machte ich mir noch einen Zopf, damit wenigstens mein Nacken etwas freier war und somit bequem. Als ich mit meinem Anblick zufrieden war, machte ich mich auf den Weg.
Unter dem Schatten der Bäume war es angenehm kühl und ich atmete die frische Luft ein. Im Gegensatz zu damals fühlte ich mich diesmal wohl und hatte keine Angst. Aber ich dachte nicht wirklich an die Ereignisse von einst und führte meinen Weg unbeschwert fort.
Ich wollte mich auch ein wenig in der Siedlung umschauen, ob sich viel verändert hatte. Aber da waren die gleichen Häuser aus Marmor, wie früher auch. Es war alles wie gehabt. Meine Schritte führten mich zu dem Haus, in dem Miranda wohnte. Da es schon dämmerte, brannte in einem Zimmer bereits Licht. Drinnen sah ich eine junge Frau mit langen, blonden Haaren in einem Sessel sitzen und ich erkannte meine damalige Freundin. Ich beschloss bei ihr zu klingeln und hoffte, dass ihre Mutter nicht da war. Auf dem Namensschild stand nur der Name Peterson. Sachte wurde die Türe geöffnet und sie schaute mich fragend an. „Hallo Miranda! Ich bin es, Lia! Du hast mich vor acht Jahren zu deinem Geburtstag eingeladen. Wir gingen zusammen zur Schule. Erkennst du mich noch?“ „Ja, hallo Lia! Es ist lange her, aber komm doch herein.“ sagte sie und zog mich hinein. Ängstlich blickte sie sich in der Gegend um, bevor sie die Türe hastig verschloss. „Was machst du denn bei Anbruch der Nacht noch draußen?“ wollte sie von mir wissen und bot mir einen Platz am Tisch an. Ich setzte mich auf einen Stuhl, schaute mich um und antwortete: „Ich bin heute wieder in das Haus meiner Eltern gezogen, was sie mir vererbten. Die nächsten Tage werde ich mit der Renovierung beschäftigt sein und in zwei Tagen kommen meine Möbel.“ Zuerst gab sie mir einen Kaffee zu trinken, bevor sie mir erzählte: „Hier gehen seltsame Dinge vor sich. Ich hätte damals mit dir mitgehen sollen, als du gingst.“ Fragend sah ich sie an und verstand diesen Satz nicht. Dies kam so völlig aus dem Zusammenhang gerissen. „Warum sagst du so etwas?“ hakte ich nach. Sie erklärte betrübt: „Ich hätte dich begleiten sollen, als du diesen Ort verlassen hast. Aber meine Eltern haben mich nicht gelassen. Ich hatte ja auch keine Tante wie du, die auf mich aufpassen konnte. Und meine Eltern wollten dieses prächtige Haus nicht aufgeben. Nun sind beide gestorben und haben mir dieses Gebäude hinterlassen. Ich bringe es aber auch nicht fertig, jetzt noch mein Heim zu verlassen.“ Dann stand Miranda auf und zeigte mir ein Bild. Sie erzählte seufzend: „Das ist mein kleiner Bruder. Er ist verschwunden. Er ging in den Wald mit seinen Freunden spielen und kam nicht wieder. Seine Freunde sagten, dass sie Verstecken gespielt haben und danach war er weg. Irgendwie will ich hier warten, falls er doch eines Tages wiederkommt.“ Einen kurzen Moment lang überlegte ich. Es kam mir wie ein Zufall vor, aber ich dachte an meine Ohnmacht von damals, als ich noch ein Kind war. Ich nahm Mirandas Hand und meinte mitfühlend: „Ich verstehe deinen Schmerz und deine Sorgen. Aber ich erkenne vielleicht einen Zusammenhang.“ Seufzend stand ich auf und erzählte ihr meine Geschichte, die mir vor acht Jahren passierte. Fragend sah sie mich an und sagte entsetzt: „Der Wald ist verflucht. Ich wusste es schon als Kind. Meine Eltern erzählten mir davon, dass schon früher Kinder dort verschwunden sind.“ Langsam kam mir ein Gedanke und ich hatte eine Theorie. Ich fragte meine Freundin: „Könnte es sein, dass nur Kinder in dem Wald gefährdet sind, die alleine sind? Ich war ja damals auch alleine und dein Bruder hat sich versteckt und war abseits. Als ich heute in dem Wald war, ist alles so gewesen, wie in einem normalen Wald. Das wird es bestimmt sein.“ Miranda fragte verwundert: „Meinst du, da sind Leute, die es auf Kinder abgesehen haben, die alleine sind?“ Mit einem Nicken bestätigte ich dies.
Nach kurzer Zeit war es fast schon Nacht. Ich hatte meinen Kaffee ausgetrunken und sagte zu Miranda: „Ich werde jetzt wieder gehen. Es ist schon spät geworden.“ Entsetzt sah sie mich an und meinte ängstlich: „Es ist bereits dunkel draußen. Willst du wirklich gehen?“ Nickend bestätigte ich dies und fragte: „Was soll mir denn passieren? Meinst du, dass ich Angst vor der Dunkelheit habe?“ Miranda antwortete zögernd: „Es ist nur so, dass sich vieles seit damals geändert hat. Einige Leute sind weggezogen und andere wieder hier hin. Alles ist irgendwie sonderbar geworden. Die Umgebung hat sich verändert.“ Lächelnd gab ich ihr zum Abschied die Hand und sagte: „Ich werde schon auf mich aufpassen.“ Darauf verließ ich das Haus und hörte, wie sie hinter mir sofort die Türe verschloss. Sie musste echt verstört sein. Aber ich konnte es ihr nicht verübeln. Immerhin hatte sie genauso wie ich die Eltern verloren und dazu noch ihren Bruder. Es war kein Wunder, wenn sie daher solche eine Angst hatte.
Auf meinem Weg kam ich an dem großen Haus aus rotem Marmor vorbei. Diesmal klebte kein Zettel an dem Fenster, sondern ein Lichtschein war zu erkennen. Neugierig ging ich näher heran. Ich schaute durch die Fensterscheibe und sah einen Kamin mit einem Feuer. Ich wunderte mich etwas, dass im Sommer ein Feuer brannte, aber dann dachte ich mir, dass es in der Nacht doch recht kühl in dieser Gegend ist und wahrscheinlich die Gebäude auskühlen würden. Schließlich waren sie aus Marmor gebaut und drinnen kam vermutlich die Hitze des Tages nicht an. Innen in dem Zimmer war alles wunderschön und edel eingerichtet. Ein Stil, der mich an die Zeit vor der Französischen Revolution erinnerte. Dieser Anblick ließ mich staunen. Offensichtlich wohnte jemand in diesem schönen Anwesen. Ein Mensch, der reicher als alle anderen war, um sich so ein Objekt zu leisten. Meine Furcht, die ich seit damals vor diesem Haus hatte, war wie fortgezaubert. Ich wollte am liebsten hineingehen, um es mir anzuschauen. Es sah dort nicht mehr so kalt und einsam aus, wie vor acht Jahren. Doch die Sorge, dass mich jemand beobachten könnte, wie ich in das Fenster blickte, ließ mich meinen Weg fortsetzen.
Am nächsten Morgen kamen ein paar meiner Freundinnen mit ihren Männern und Freunden überraschenderweise zu mir ins Haus. Sie brachten mir Geschenke für meinen Einzug mit und ich freute mich richtig, sie alle wiederzusehen. Auch waren sie gekommen, um mir bei den Malerarbeiten zu helfen und um einige Möbel zusammenzubauen. Die Arbeit verlief wie im Fluge und wir gönnten uns eine Pause und aßen etwas. Niemals hätte ich geglaubt, dass ich so viele nette Leute um mich herum haben würde. Zumal ich damals so Schwierigkeiten damit hatte, überhaupt Freunde zu finden.
Nach dem Essen wollten wir einen Verdauungsspaziergang machen. Meine Freundin Samantha schlug vor, in den nahegelegenen Wald zu gehen. Ohne Bedenken stimmte ich zu. Wir waren alle erwachsen und nicht alleine. Demnach sollte uns keine Gefahr drohen. Also gingen wir los, um uns ein wenig die Beine zu vertreten. Zwar dachte ich an die verschwundenen Kinder, aber Sorgen um uns machte ich mir nicht. Ich zog die Türe hinter mir zu und wir machten uns auf den Weg.
Nach kurzer Zeit im Wald wurde alles um uns herum plötzlich still. Die Vögel zwitscherten nicht mehr und wir konnten unsere Schritte so laut hören, als wenn wir in einer tiefen Schlucht spazieren gingen. Anscheinend kam es nur mir so vor, denn meine Begleiter schlenderten einfach weiter, als würde nichts sein. Die Geschichte dieses Ortes war ihnen unbekannt und daher übersahen sie das Offensichtliche. Auf einmal sah ich vor uns ein kleines, blondes Mädchen in einem seltsamen alten Kleid auf uns zukommen. Ich dachte daran, dass ich das kleine Kind nicht alleine im Wald zurücklassen kann. Ich wollte es zunächst mit nach Hause nehmen, bevor ihm etwas passiert. Meine Freunde gingen einige Schritte weiter. Ich blieb stehen und ließ das Mädchen auf mich zukommen. Als sie bei mir stand, kniete ich mich vor sie hin und fragte freundlich: „Willst du mit uns aus dem Wald gehen?“ Apathisch sah es mich an und dann sagte das Mädchen langsam mit dunkler, dämonischer Stimme: „Nein!“ Ich drehte mich zu meinen Freunden um und wollte sehen, wie sie darauf reagierten, aber sie taten so, als ob sie es nicht gehört haben. Vielleicht hatten sie auch nichts mitbekommen. Also schaute ich wieder auf das Mädchen und bemerkte, dass es verschwunden war. Ich fühlte eine Gänsehaut auf meinem Rücken. Irgendwas Seltsames ging gerade mit mir vor. Ich konnte es nicht erklären. Meine Freundin rief mir zu: „Wo bleibst du denn so lange?“ Ich stand langsam auf und merkte, dass die Vögel sangen und die Luft spürbar wärmer wurde. Ein paar Schritte weiter, fragte ich meine Freunde, ob sie das Mädchen gehört hatten. Samantha fragte mich daraufhin: „Was für ein Mädchen?“ Ich bekam in diesem Moment wieder dieses Gefühl, als ob ich in Ohnmacht fallen würde. Dies war zu viel für meine Nerven. Sollte ich den Verstand verloren haben von all diesen Geschichten?
Am Abend waren wir mit der Arbeit fertig und meine Wohnung war komplett eingerichtet. Mein Glück war es, dass die paar Männer, die dabei waren, eine Ahnung von den handwerklichen Dingen hatten, denn alleine hätte ich das nie so schnell hinbekommen. Ich freute mich sehr über ihre Hilfe und bedankte mich bei jedem Einzelnen für die Arbeit mit einer Umarmung.
Nachdem meine Freunde fort waren, dachte ich an das sonderbare Mädchen im Wald zurück. Wie passte dies alles zusammen? Spielten meine Sinne mir einen Streich? Lag es an irgendwelchen Ausdünstungen im Haus selbst? Oder verlor ich langsam den Verstand? Da ich noch etwas frische Luft schnappen wollte, um meine Gedanken zu sortieren, ging ich kurz vor meine Türe und schaute mir den Sonnenuntergang an.
Plötzlich hörte ich Musik. Es kam aus der entgegengesetzten Richtung des Waldes. Ich dachte an ein Fest und wollte es mir anschauen. Mir war jede Ablenkung recht. Als ich näherkam, hörte ich, dass die wohlklingenden Töne aus einer Panflöte kamen. Irgendwie lockte mich dieser Klang auf eine verführerische Art an. Immer weiter folgte ich den Lauten aus der Flöte. Die Musik rief mich zu einem kleinen Hügel am Ende der Siedlung. Dort schien die untergehende Sonne noch ein wenig hin und färbte alles leuchtend dunkelrot.
Als ich vor dem Hügel stand, sah ich einen Mann von atemberaubender Schönheit. Zumindest was meinen Geschmack anging. Er hatte nur eine enge schwarze Jeans an und lehnte gegen einen Baum. Dieser attraktive Mann spielte die Panflöte. Ich sah ihm noch eine kurze Weile zu und merkte, wie ich mich zu ihm hingezogen fühlte. Dies hatte noch kein einziger Kerl vor ihm geschafft.
Er spielte, bis die Sonne untergegangen war. Dann sah er mich an und sagte mit einer dunklen Stimme: „Hallo!“ Mir blieb fast die Sprache weg. Er hatte einen tollen Körper. Zwar hatte er keine Behaarung auf der Brust, aber einen kleinen Kinnbart, der ebenso schwarz war, wie die nicht zu kurzen Haare auf seinem Kopf. Ich konnte seine Bauchmuskeln sehen. Sie sahen wirklich so aus wie ein Waschbrett. Seine Lenden waren schmal und seine Oberarme etwas muskulös. Ich sah ihn an und sagte fast heiser: „Hallo!“ Das war das Einzige, was mir einfallen wollte. Auf einmal kam er auf mich zu und stellte sich höflich vor: „Mein Name ist Joshua Newman.“ Wie von ihm hypnotisiert, antwortete ich: „Und mein Name ist Lia Price!“ Dann ging er wortlos an mir vorbei, um von dem Hügel hinunterzugehen. Überrascht davon drehte ich mich zu ihm um und folgte ihm. Sollte es das gewesen sein? Eine kurze Vorstellung der neuen Nachbarn und die Sache war erledigt? Ich machte mich nach dieser Begegnung auf den Weg nach Hause. Doch wir gingen in die gleiche Richtung.
Joshua fragte mich nach kurzer Zeit: „Verfolgst du mich etwa?“ Erschrocken schüttelte ich mit dem Kopf und antwortete zögerlich: „Ich habe nur denselben Weg zu mir nach Hause.“ Dann nickte er mit dem Kopf und schlug einen anderen Weg ein. Etwas verwirrt sah ich ihm hinterher. Dieser Mann hatte etwas an sich, was mich schwach werden ließ. Er war der Typ, von dem ich sagen konnte, dass er mein Traummann war.
Als ich später in meiner Wohnung ankam, aß ich noch eine Kleinigkeit und wurde schließlich müde. Mein Telefon klingelte auf einmal und ich nahm das Gespräch an. „Hallo Lia! Ich wollte nachhören, wie es dir heute gegangen ist. Hat alles mit deinen Leuten geklappt oder muss noch etwas im Haus gemacht werden?“ hörte ich Tante Ann fragen. Ich freute mich sehr, dass sie sich nach mir erkundigte und antwortete: „Mit dem Haus ist alles bestens. Zwar sind hier und da noch Kleinigkeiten zu erledigen, aber die werde ich auch alleine hinbekommen. Hör zu Tante Ann, ich bin gerade sehr müde. Es war ein wirklich langer Tag gewesen. Ich melde mich bei dir, wenn ich mehr Zeit zum Reden habe.“ Sie verstand es und wünschte mir noch eine gute Nacht. Kurz darauf legte ich mich ins Bett und wollte schlafen.
Mir ging diese Melodie von der Panflöte nicht mehr aus dem Kopf. Es war mir so, als hörte ich sie noch die ganze Nacht lang.
Als ich endlich schlief, hatte ich einen seltsamen Traum. Ich hörte diese Musik und sah um mich herum Feuer und viele Kinder. Ich wusste nicht, ob ich Angst haben sollte oder mit den Klängen tanzen wollte. Es schien alles zu verwirrend zu sein. Aber so war es immer bei mir.
Am nächsten Morgen konnte ich mich nur noch an Bruchstücke aus diesem Traum erinnern und am Abend wusste ich schon fast nichts mehr.
Den Tag über strich ich die letzte Wand im Wohnzimmer an. Der einzelne Schrank stand nur so weit davon entfernt, dass ich mühelos dahinter arbeiten konnte. Außerdem war er nicht zu schwer, dass ich ihn auch alleine an die richtige Stelle schieben konnte. Ich achtete immerhin sehr darauf, dass ich alles zur Not selbst erledigen konnte, denn ohne einen Partner sollte ich dies machen können. Schließlich wollte ich nicht immer auf die Hilfe meiner Freunde angewiesen sein.
In der folgenden Nacht hörte ich erneut diese Musik der Panflöte. Sie hielt mich die ganze Zeit wach und ich überlegte mir, ob Joshua wieder auf dem Hügel stehen würde. Ich wollte am liebsten aufstehen und dorthin gehen, aber etwas in mir hielt mich zurück. Ich wollte nicht aufdringlich sein. Schließlich war er ein fremder Mann und ich sollte ihn nicht anhimmeln. Dabei stellte ich mir vor, wie es wäre ihn zu küssen und diese tollen Bauchmuskeln zu streicheln. Hitze stieg in mir auf und ich dachte, dass mir meine Sinne einen Streich spielten.
Als die Morgensonne in mein Zimmer schien, wachte ich auf. Irgendwie hatte ich es doch noch geschafft einzuschlafen. Zunächst stellte ich mich unter die Dusche, denn die Hitze des Tages hatte auch in der Nacht noch ihre Wirkung bei mir gehabt. Ich habe geschwitzt, als ob ich Fieber hätte, aber ich war kerngesund. Wahrscheinlich lag das an diesem Tagtraum von Joshua.
Nachdem ich gefrühstückt hatte, wollte ich Miranda besuchen gehen. Sie würde am hellen Tag bestimmt anders reagieren als mitten in der Nacht. Schließlich hatte ich sie mit meinem spontanen Besuch zuvor regelrecht überfallen.
Ich zog mir ein luftiges Sommerkleid an und ging zu ihrem Haus hin. Diesmal nahm ich einen anderen Weg. Ich wollte zuerst an diesem wunderschönen Haus vorbei gehen, um es am Tag zu bewundern. Als ich dort ankam, waren die Rollläden an jedem Fenster heruntergelassen. Ich dachte mir, dass es ja noch früh war und die Leute bestimmt noch schlafen würden. In meinen Überlegungen kam ich schließlich an Mirandas Haus an. Ich stellte mich an die Türe und klingelte.
Es dauerte ein wenig, aber endlich wurde mir von ihr geöffnet. Sie sah mich mit großen Augen an und fragte mich: „Was machst du denn so früh schon hier?“ Lächelnd antwortete ich: „Ich dachte, dass du vielleicht am hellen Tage weniger Angst hast mich zu sehen. Und daher dachte ich mir, ich komme mal vorbei.“ Sie nickte mir zu und bat mich herein.
Als wir zusammen im Wohnzimmer saßen, sagte ich zu ihr: „Ich könnte hier eine Freundin gebrauchen. Meine Freunde sind alle weit weg.“ Miranda sah mich verlegen an und fragte leise: „Meinst du mich? Ich soll deine Freundin sein?“ Ich nickte lächelnd und meinte: „Wir haben viel gemeinsam. Und wir unterstützen uns gegenseitig. Außerdem haben wir uns doch damals auch auf Anhieb verstanden. Ich kenne keinen Grund, warum wir nicht da weitermachen, wo wir damals aufgehört haben.“ Da kam auch das erste Mal ein Lächeln über ihre Lippen. Sie freute sich anscheinend darüber. Ihre Mutter hatte ihr wahrscheinlich den Umgang mit anderen Menschen verboten, aus Angst, dass auch noch ihr zweites Kind verloren gehen könnte.
Einige Zeit redeten wir über die letzten acht Jahre, was wir in dieser Zeit erlebt hatten, in der wir uns nicht gesehen haben. Miranda schaute mir in die Augen und fragte neugierig: „Warst du schon einmal verheiratet?“ Ich war überrascht, dass sie mich das fragte, und antwortete seufzend: „Nein! Nachdem meine Eltern diesen Unfall hatten, vergrub ich mich meistens in meinem Zimmer. Ich wollte nicht durch die Liebe unglücklich werden. Hört sich doof an, aber ich wollte nicht noch Liebeskummer zusätzlich haben. Ich habe nur gute Freunde, war aber nie mit einem Mann zusammen.“ Miranda sah mich mitfühlend an und meinte: „Das tut mir leid. Aber du hast es bestimmt richtig gemacht. Ich habe einen Mann kennengelernt und ihn geheiratet, nachdem meine Eltern gestorben waren. Nach einem Jahr hat er mich verlassen.“ Wie eine Freundin umarmte ich sie liebevoll. Dann dachte ich an Joshua. Ich ließ sie wieder los und sagte zu ihr: „Ich habe vorgestern einen Mann kennengelernt, der auf mich einen bleibenden Eindruck gemacht hat. Er sieht wirklich gut aus. Er ist groß, hat einen Waschbrettbauch, starke Oberarme, schmale Lenden und schwarze Haare. Einen winzigen Kinnbart und einen kleinen Schnurrbart hat er auch. Sein Gesicht ist relativ schmal. Er stand auf dem Hügel am Ende der Siedlung und lehnte gegen einen Baum, während er Panflöte spielte. Er teilte mir mit, dass sein Name Joshua Newman ist.“ Miranda sah nachdenklich aus und meinte: „Er muss neu hier sein. Ihn habe ich noch nicht gesehen.“ Mit einer schwungvollen Bewegung ging ich ans Fenster und sagte in einem verliebten Tonfall: „Er ist der reinste Traummann. Er sieht so gut aus und er scheint nett zu sein. Ich glaube, dass er mich mit seiner Musik verzaubert hat.“ Miranda sah mich merkwürdig an und meinte gedankenversunken: „Wahrscheinlich hat er das auch.“
Den ganzen restlichen Tag sprachen wir über alles, was uns sonst noch beschäftigte, was wir beruflich machten und was wir in unserem Leben noch erreichen wollten. Wir zwei redeten bis kurz vor Sonnenuntergang. Ich schaute auf meine Uhr und merkte, dass ich tatsächlich den ganzen Tag nicht weiter in meinem Haus gearbeitet habe. Also trank ich meinen Kaffee aus und verabschiedete mich von Miranda.
Vor ihrer Haustüre sagte sie mir noch, dass ich vorsichtig sein sollte. Dann schloss sie hinter mir zu. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sie nicht mehr so gerne vor die Türe ging.
Auf meinem Rückweg schlenderte ich noch einmal an dem gigantischen Haus aus rotem Marmor vorbei. Die Rollläden waren alle geöffnet. Die Sonne ging gerade unter und es war nur noch ein ganz kleiner roter Streifen am Horizont zu sehen. Innerhalb weniger Sekunden wurde es dunkel. Schnell wollte ich mich wieder auf den Weg machen.
Plötzlich stand Joshua vor mir. Er sah mir in die Augen und fragte ein wenig überrascht: „Na Lia? Was machst du denn noch in dieser Gegend? Hast du keine Angst vor der Dunkelheit wie alle anderen hier?“ Ich wollte mit ihm reden, aber doch irgendwie nicht. Sein Blick sah auf seine Art magisch aus. Die Augen waren so dunkelbraun, dass sie in den Lichtverhältnissen fast schon schwarz aussahen. Ich antwortete leicht verunsichert: „Ich will nach Hause gehen. Außerdem habe ich keine Angst vor der Nacht.“ Ich spürte ein bisschen die kühlere Luft um mich herum. Als ich ihn ansah, fiel mir auf, dass er wieder nur eine schwarze Jeans anhatte und sonst nichts. Bei diesem Anblick wurde mir ein wenig kalt und heiß zugleich. Als Joshua meine Gänsehaut sah, kam er langsam auf mich zu. Dann drehte er mich von ihm weg und umarmte mich von hinten. Ich merkte, dass seine Haut sehr warm war. Er wärmte mich mit seinem Körper. Ich fragte ihn überrascht: „Was machst du denn da?“ Mit seinem Mund an meinem Ohr antwortete er: „Ich halte dich warm.“ Ich verspürte bei diesem Satz ein ungewohntes Kribbeln in meinem ganzen Bauch. Ich mochte diesen Mann sehr. Irgendwie zog er mich magisch an. Er war pure Erotik auf zwei Beinen, um es mal ungeniert zu sagen. Ich wollte ganz nah bei ihm sein. Bevor ich etwas sagen konnte, nahm er mich an die Hand und meinte: „Ich bringe dich nach Hause, wenn du es erlaubst.“ Nickend stimmte ich zu. Durch seine Nähe war mir plötzlich nicht mehr kalt.
Unterwegs fragte ich neugierig: „Wie lange kannst du denn so toll Panflöte spielen?“ „Seit ein paar Tagen.“ antwortete er ohne nachzudenken. Das war eine seltsame Aussage und ich fragte verwundert: „Du spielst so toll und das erst seit einer Woche?“ Verlegen sah er mich an und erklärte: „Du hast nach dem Zeitraum gefragt, in dem ich so schöne Klänge zaubern kann. Und das ist erst ein paar Tage her. Natürlich habe ich vorher sehr lange üben müssen. Aber nun ist es perfekt.“ Das klang plausibel und ich war wieder beruhigter. Ich nahm ja an, dass er mich anlog oder ich es mit einem Wunderknaben zu tun hatte, der innerhalb kürzester Zeit direkt in einem Konzert mitspielen konnte. Er hielt immer noch meine Hand fest und mich störte es keinesfalls. Mein Hirn und mein Körper baten die ganze Zeit darum, dass er mehr mit mir anstellen würde. Doch ich wollte mich auch nicht zu früh auf ein Abenteuer einlassen.
Bei mir angekommen küsste er meine Hand und fragte mich galant: „Kann ich dich morgen Abend zum Essen bei mir zu Hause einladen?“ Angenehm überrascht nahm ich die Einladung an. Mit einem kurzen Wink verabschiedete er sich von mir und ging langsam weg, während er sagte: „Ich werde dich abholen. Nach Sonnenuntergang.“
Mit einem Gefühl im Bauch als hätte ich tausend Schmetterlinge in mir, freute ich mich auf den nächsten Abend, und überlegte, was ich anziehen sollte, wenn er mich abholt.
Mitten in der Nacht wachte ich auf. Ich hörte die Panflöte so laut, als ob sie mich rufen würde. Mir wurde auf einmal sehr warm. Ich legte meine leichte Sommerdecke weg und lag fast nackt auf meinem Bett. Diese Musik machte mich wahnsinnig. Ich wäre einfach gerne aus dem Haus gelaufen, um bei Joshua zu sein. Ich machte mein Fenster zu. Mir wurde zwar dadurch noch wärmer, aber ich wollte die Klänge nicht mehr hören. Vielleicht hatte er mich doch mit seiner Panflöte hypnotisiert. Ich beabsichtigte nicht schwach zu werden und steckte mir Ohrstöpsel in die Ohren, um nichts mehr mitzubekommen. Es gelang mir nach einiger Zeit, endlich zu schlafen.
Am nächsten Morgen stand ich kurz vor dem Frühstück schon unter der Dusche. Sonst warte ich immer damit, bis ich mit dem Essen fertig bin, aber an diesem Tag war sowieso alles anders. Jedoch war die Nacht so heiß gewesen, dass ich das Gefühl hatte, mich direkt abkühlen zu müssen.
Nach der ersten Mahlzeit des Tages ging ich in mein Schlafzimmer und suchte den Schrank nach einem schönen Kleid durch. Zur engeren Wahl standen ein luftiges weißes oder ein enges schwarzes Kleid. Alle anderen fand ich für das erste Date nicht so passend. Ich hing beide an den Schrank und begutachtete sie. Da ich mich nicht sofort festlegen konnte, wollte ich zunächst ein wenig Ordnung in mein neues Heim bringen.
Ich entschied mich schließlich nach ein wenig notwendiger Hausarbeit für das weiße Kleid. Nachdem ich es angezogen hatte, ging ich noch einmal in das Badezimmer, um mir die Haare zu machen. Ich schaute in den Spiegel und überlegte, was ich mit meiner langen, schwarzen Mähne machen könnte. Rasch hatte ich mich für eine Hochsteckfrisur entschlossen.
Als ich fertig gestylt war, machte ich mich auf den Weg in die Küche, um etwas zu trinken. Also goss ich mir Orangensaft in ein Glas. Nachdem ich es an meinen Mund hob, vergoss ich plötzlich die Hälfte auf meinem schönen weißen Kleid. Ich hätte schreien können, als ich bemerkte, dass es so gut wie ruiniert war. Ich hoffte wirklich, dass der Saft nun nicht ewig daran haften würde. Doch so schnell bekam ich das mit der Wäsche nicht mehr hin.
Sofort ging ich ins Schlafzimmer und zog das beschmutzte Kleidungsstück aus. Es blieb nur noch das enge Schwarze, was ich anziehen wollte. Folglich kleidete ich mich erneut an. Dies passte auch besser zu meiner Hochsteckfrisur.