Culpa - Annette Krupka - E-Book

Culpa E-Book

Annette Krupka

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Beschreibung

Während Kate Schulz und Mike Köhler mit ihren Hochzeitsvorbereitungen beschäftigt sind, wird in einer historischen Gruft im Plauener Arboretum der Leichnam eines alten Mannes gefunden. Niemand scheint ihn zu vermissen. Wer ist er und warum hat man ihn in dieser Gruft richtiggehend entsorgt? Dann entdeckt Doktor Omar Amri ein Detail am Körper des alten Mannes, dass den Fall in einem ganz anderen Licht dastehen lässt. Aber es gibt bereits einen neuen Toten.

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Das Buch

Während Kate Schulz und Mike Köhler mit ihren Hochzeitsvorbereitungen beschäftigt sind, wird in einer historischen Gruft im Plauener Arboretum der Leichnam eines alten Mannes gefunden.

Niemand scheint ihn zu vermissen.

Wer ist er und warum hat man ihn in dieser Gruft richtiggehend entsorgt?

Dann entdeckt Doktor Omar Amri ein Detail am Körper des alten Mannes, dass den Fall in einem ganz anderen Licht dastehen lässt. Aber es gibt bereits einen neuen Toten.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Nachwort

Kapitel 1

„Elli, Elli!“

Barbara Böttger schüttelte den Kopf. Normalerweise hörte ihre Labradorhündin aufs Wort, aber heute schien sie ihrem Jagdtrieb einfach blind nachzugeben. Nachdem sie die Chamissostraße überquert hatten, ließ sie die Hündin, wie immer, von der Leine.

Elli war froh den Weg entlang des Arboretums frei laufen zu können. Aber heute war das Tor, was sonst um diese Zeit immer geschlossen war, einen Spalt geöffnet und die Hündin hatte sich durchgequetscht und war laut bellend den Weg hinunter gejagt. Seufzend lief Barbara ihr nach.

Sicher war ein Kaninchen in der Nähe, dessen Duft wohl auch die gehorsamste Hündin schier irre machen konnte.

„Elli, komm jetzt, Fuß“, rief sie in die Dämmerung, in deren Silhouette der Baumpark mit seinen alten Gräbern und Grüften fast gespenstisch wirkte.

Barbara Böttger war keine ängstliche Frau und in Begleitung ihrer Hündin hatte sie sich stets sicher gefühlt. Außerdem hielt sie nichts von Friedhofsgruselgeschichten. Sie war nach wie vor der Meinung, dass Lebende deutlich mehr Unheil anrichten konnten als Verstorbene.

Sie sah Elli am Rand des Areals stehen, wie sie aufgeregt an einer Gruft hin und her lief und sich jetzt nach ihr umschaute. Dabei bellte sie nicht nur, sondern winselte abwechselnd.

Barbara erschrak etwas. Hatte die Hündin sich etwa verletzt oder war von einem anderen Tier angegriffen worden? Trotz ihrer 74 Jahre rannte sie den Weg entlang und nahm schließlich die Abkürzung querfeldein über die ehemaligen Gräberfelder.

„Was ist denn, mein Mädchen?“, fragte sie und sah aber sofort beim Näherkommen, dass ihre Befürchtungen sich nicht bestätigten.

Elli hatte keine Verletzungen, sie war nur scheinbar furchtbar aufgeregt und rannte immer wieder zu der Gruft hin. Kopfschüttelnd trat Barbara näher.

„Na das ist doch…“, sagte sie.

Irgendjemand hatte den schweren Deckel der alten Gruft einen breiten Spalt zur Seite geschoben, man sah sehr deutlich die Spuren, die augenscheinlich frisch waren.

Sie vermutete, dass einige Jugendliche hier wohl einen Einbruch in eine Gruft, warum auch immer, geplant hatten. Durch ihre Hündin waren sie dann in ihrem Vorhaben gestört worden und hatten schnell Reißaus genommen.

Sie ging etwas näher heran und bemerkte, dass Elli sich noch nicht beruhigen wollte.

Diese lief immer noch aufgeregt zu dem Spalt und bellte hinein.

Entschlossen legte sie ihr die Leine um und zog ihr Smartphone aus der Tasche.

Es war besser die Polizei zu verständigen. Nicht, dass irgendjemand noch in diesen Spalt hineinfiel und sich ernsthaft verletzte.

„Warum haben sie ihren Hund hier freilaufen lassen?“

Obermeisterin Kirsch sah Barbara Böttger streng an.

„Hier auf dem Gelände sind freilaufende Hunde nicht gestattet.“

Barbara sah ihrerseits die Polizistin kampflustig an.

Auch wenn sie einen Kopf kleiner und fast dreimal so alt wie die junge Frau war, würde sie sich diese haltlose Anschuldigung nicht gefallen lassen.

„Erstens habe ich meine Hündin draußen auf dem Weg ohne Leine laufen lassen, weil um diese Zeit das Tor des Arboretums immer geschlossen ist. Zweitens, ist das der Dank dafür, dass ich mich darum sorge das jemand in diese Gruft fallen könnte?“

Die Polizistin räusperte sich etwas und sah auf ihren Kollegen, der inzwischen eine Taschenlampe aus dem Auto geholt hatte. Dieser hatte die Worte seiner jungen Kollegin gehört und lächelte Barbara Böttger zu.

„Sie haben alles richtig gemacht. Wenn ein Hund einmal Witterung aufnimmt, dann ist er schwer zu bändigen“, sagte er beruhigend.

Barbara wandte sich dem Mann in mittleren Jahren zu.

Er war ihr deutlich sympathischer als seine schnippige junge Kollegin.

„Ja, ich dachte auch erst, sie hat ein Kaninchen gewittert, aber dann ist sie nur um diese Gruft herumgerannt und war gar nicht mehr zu beruhigen.“

Elli lag jetzt neben ihr auf dem Boden, behielt aber besagtes Objekt, trotz der einbrechenden Dunkelheit, fest im Blick.

„Vielleicht hat sie das Kaninchen genau dort hineingejagt?“

Er nickte seiner Kollegin zu.

„Also, ich schaue da mal hinein und dann sichern wir den Ort. Frau Böttger hat bestimmt recht, da waren ein paar Jugendliche am Werk, die wohl einen Horrorfilm zu viel gesehen haben und die Hündin hat sie mit ihrer Jagdaktion aufgeschreckt. Die sind längst über alle Berge.“

Er ging an der dunklen Marmoreinfassung auf die Knie und leuchtete in den Spalt.

„So, jetzt…“ Plötzlich verstummte er.

„Scheiße“, sagte er leise, aber durchaus verständlich.

Seine Kollegin trat näher. „Rainer, was ist denn?“

Dieser erhob sich und im Schein der Taschenlampe sah er blass aus.

„Ruf den Kriminaldauerdienst,“ sagte er.

Kapitel 2

Als Hauptkommissar Mike Köhler das Gelände des Arboretums betrat, war es für ihn wie ein Déjà-vu.

Vor zwei Monaten hatte es hier in der ehemaligen Leichenhalle einen Suizid gegeben, und jetzt war er wieder hier wegen eines Leichenfundes. Er sah bereits am Eingang die hellen Scheinwerfer im seitlichen Areal des ehemaligen Friedhofs.

Als er in Richtung des Tatortes ging, bot sich ihm ein bizarres Schauspiel. In einem geradezu mystischen Licht- und Schattenspiel erhob sich aus den Tiefen der Gruft ein massiger, großer Körper, komplett in Weiß gekleidet.

Schließlich erkannte er Professor Omar Amri, der sich stöhnend und mit Hilfe von Karsten Windisch, dem Leiter der Spurensicherung, aus den Tiefen der Gruft an die Erdoberfläche zurückkämpfte. Einige Beamte hatten die Platte noch weiter zur Seite geschoben und eine Leiter in die Tiefe gelassen, sodass der Pathologe hinunter und wieder heraufklettern konnte. Er nickte Mike kurz zu, riss sich dann den Anzug der Spurensicherung, den diese für ihn immer in Sondergröße vorrätig hatten, vom Körper und winkte den Hauptkommissar etwas zur Seite.

Dann wandte er sich an Karsten Windisch.

„Wenn ihr fertig seid, könnt ihr ihn ins Institut bringen lassen.“

Dieser nickte und beriet sich mit seinen Mitarbeitern.

„Also, ich würde sagen, der Tote ist maximal 48 Stunden tot. Scheinbar hat ihn jemand mit Gewalt in diesen engen Spalt gepresst, es sind multiple Verletzungen zu sehen, von denen ich aber vermute, dass sie post mortem eingetreten sind“, sagte Omar und stopfte den Overall in einen dafür vorgesehenen Beutel. „Was kannst du noch sagen?“

Der Pathologe zuckte die Schultern. „Momentan nicht viel, außer männlich und mindestens achtzig Jahre, eher älter. Ach ja, und stark unterernährt.“

Kasten Windisch war jetzt auch wieder zu ihnen getreten. „Keine Papiere. Eine leichte Hose, sieht fast wie eine Schlafanzughose aus und ein T-Shirt. Etwas wenig als Bekleidung, immerhin ist es derzeit recht kühl.“

Mike sah zu der Gruft hin. „Und von selbst könnte er nicht hineingefallen und gestorben sein?“

Er dachte dabei an einen dementen alten Herrn, der vielleicht von einem Pflegeheim oder von zu Hause weggelaufen war und sich hier her, warum auch immer, verirrt hatte.

Sowohl Karsten als auch Omar schüttelten den Kopf.

„Als wir hier ankamen, war der Spalt an der breitesten Stelle sechzig Zentimeter. Da stürzt niemand rein, jedenfalls nicht komplett. Außerdem haben wir massig Faserreste gefunden, an beiden Seiten. Also da war viel Kraft im Spiel, um ihn dort hineinzupressen, auch wenn er sehr schlank war. Vielleicht wollte sich jemand eine Erdbestattung sparen? Bei den Preisen heute…“ Mike zog die Augenbrauen nach oben.

„Eine bizarre Art, einen Verstorbenen zu entsorgen.

Wer hat ihn denn nun entdeckt?“

Der Leiter der Spurensicherung deutete mit den Daumen nach rechts. Dort standen zwei uniformierte Beamte. Mike nickte und trat zu ihnen.

„Obermeisterin Kirsch, Hauptmeister Brüning“, stellte der ältere Beamte seine Kollegin und sich vor.

Mike kannte sie vom Ansehen her, hatte aber noch nichts mit ihnen zu tun gehabt.

Hauptmeister Rainer Brüning berichtete kurz und umfassend, was sie hier nach ihrer Benachrichtigung durch Frau Böttger vorgefunden hatten.

„Wir dachten ja ebenfalls es war der Streich von ein paar Jugendlichen und hätte der Hund nicht so verrückt gespielt…“ Er schüttelte den Kopf.

Mike sah sich um. „Wo ist die Zeugin?“

„Wir haben sie nach Hause geschickt. Sie hat einen pflegebedürftigen Mann und konnte nicht mehr länger warten. Aber wir haben ihre Daten.“

Mike nickte. „Danke, sie können dann auch gehen.

Schönen Feierabend.“

Er ging zurück zu Omar, der gerade seine Tasche zusammenpackte.

„Ich lege mich für ein paar Stunden aufs Ohr und mache mich morgen früh gleich an die Autopsie.

Vielleicht haben wir es wirklich mit einem ganz normalen Tod zu tun und Karsten hat recht, jemand wollte sich die Beerdigungskosten sparen.“

Mike lachte leise. „Das glaubst du doch selbst nicht?“

Der Pathologe grinste breit. „Natürlich nicht, aber das wäre nun wirklich mal was anderes.“

Kapitel 3

Als Mike das pathologische Institut betrat, fand er Omar nicht wie sonst in seinem Büro an.

Seine Assistentin Kerstin Nagler hatte ihn bereits an der Tür empfangen und deutete auf einen kleinen Raum. Dort hingen diverse Schutzkittel.

„Sie sollen zu ihm reinkommen“, sagte die junge Frau und zeigte auf eine weiße Tür. Mike wusste, dass diese in den Sektionsraum führte.

Er zögerte einen Augenblick. Es war ungewöhnlich für Omar, dass er ihn ohne vorherige Absprache mit dem Toten konfrontierte. Auch wenn er zu gelegentlichen wissenschaftlichen Monologen neigte, es machte ihm keine Freude, wie seinem Vorgänger, Polizisten bei einer Autopsie mit unerfreulichen Details zu konfrontieren und dabei zu warten, wenn die Ersten blass und würgend Richtung Toilette stürmten.

Er präsentierte lieber seine Ergebnisse sachlich in der angenehmen Atmosphäre seines Büros und unterlegte diese gegebenenfalls mit Bildern.

Das er heute Mike selbst im Sektionssaal haben wollte, war ein absolutes Novum.

Mit einem leisen Seufzer nahm Mike einen Schutzkittel, setzte eine Maske auf und betrat den Saal, dessen Tür Kerstin Nagler ihm aufhielt.

Zu seiner Erleichterung schien Omar bereits mit der Sektion fertig zu sein, der Leichnam war bis zum Hals abgedeckt.

Der Pathologe sah auf und winkte Mike näher zu treten.

„Ich wollte dir das hier unbedingt zeigen“, sagte er und deutete auf den Toten.

Dessen wächsernes Gesicht war schmal und spitz, die Wangen eingefallen. Omar hatte ja bereits angedeutet, dass der Mann weit über achtzig Jahre sein musste. Somit war das hagere Gesicht wohl kaum etwas Besonderes. Omar wartete scheinbar, bis Mike sich etwas akklimatisiert hatte. Also nickte dieser ihm zu.

Mit einem Ruck riss der Pathologe das Tuch weg und legte es hinter sich auf einen Hocker.

Mike zog scharf die Luft ein.

Der Mann war nicht nur dünn, er war fast komplett zum Skelett abgemagert. Überall auf dem Körper waren großflächige Hämatome, kleinere Brandverletzungen und Quetschungen zu erkennen.

Omar deutete auf beide Handgelenke, die deutliche Spuren von Fesselungen zeigten.

Mike atmete geräuschvoll aus.

„Das hat man ihm alles zu Lebzeiten angetan?“

Omar nickte, dann nahm er das Tuch wieder auf und deckte den Toten damit fast behutsam zu. Mit einer Kopfbewegung deutete er zur Tür.

„Lass uns drüben weiterreden. Ich wollte es dir nur zeigen, damit du eine Vorstellung hast.“

Mike zog sich den Kittel aus und warf ihn samt Maske in den dafür vorgesehenen Abfallsack.

Dann ging er bereits in Omars Büro, wohin ihm dieser ein paar Minuten später folgte.

Mit einem Seufzer nahm er Mike gegenüber Platz und schenkte ihnen beiden Kaffee ein.

„Also, zuerst korrigiere ich das Alter des Mannes nach oben. Er ist mindestens neunzig Jahre alt und war scheinbar bisher in recht guter körperlicher Verfassung.“

Als er Mikes ungläubigen Blick sah, nickte er.

„Wirklich. Mein erster Gedanke bei seinem Anblick war, dass wir es hier mit einem Karzinompatient im Endstadium seiner Erkrankung zu tun haben. Negativ. Der nächste Gedanke war vielleicht eine Alzheimerdemenz, die den reduzierten Ernährungszustand erklärt, nichts. Das Gehirn ist altersgemäß verändert.“ Als er schwieg, sah Mike ihn an.

„Und was vermutest du?“

„Jemand hat ihn hungern lassen, und zwar extrem.

Sein Darm ist komplett sauber. Was ich gefunden habe, ist eine Art klare, verwässerte Brühe und so etwas wie schwarzer, dünner Kaffee. Ich lasse das noch genau analysieren. Einige der Verletzungen, die ihm zugefügt wurden als er noch lebte, werden zum Großteil von denen nach seinem Tod überdeckt, als man ihn in diesen Spalt der Gruft gedrückt hat. Aber die Brandspuren und die Hämatome sind noch gut erkennbar.“

Mike lehnte sich zurück.

„Dann wurde er also über eine längere Zeit gefangen gehalten, gefesselt und gefoltert? Wer tut einem alten Mann so etwas an?“

Omar hob beide Hände.

„Das herauszufinden ist deine Sache, aber vielleicht kann ich dir ein wenig helfen.“

Mike stöhnte innerlich auf. Er hasste es, wenn Omar noch irgendein Ass im Ärmel hatte und es dann in der Art eines Varietéküstlers präsentierte.

Der Pathologe schob einen eingetüteten, fleckigen Zettel über den Tisch. Er war ungefähr 3x3 Zentimeter groß und ziemlich zerdrückt. Man sah ihm an, dass er nass geworden war.

Omar deutete mit dem Finger darauf. „Den habe ich in der Kehle des alten Herrn gefunden und ich sage es nicht gern, aber er wurde ihm noch zu Lebzeiten hineingeschoben. Die Flecken, die du siehst, sind Blut.“

Mike kniff die Augen zusammen, aber Omar reichte ihm eine Lupe.

„Ich kann dir auch sagen, was darauf steht- mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa“, sagte er.

Mike legte die Lupe weg und sah ihn fragend an.

„Schuld?“

Der Pathologe nickte. „Ja. Wörtlich heißt es-durch meine Schuld, durch meine Schuld, durch meine übergroße Schuld. Scheinbar war jemand der Meinung, dass er diese Art des Todes verdient hat.“

Mike runzelte die Stirn. „Aber an dem Zettel ist er ja wohl kaum gestorben, oder?

Omar sah ihn an und nickte erneut.

„Doch, aber er hätte auch so wahrscheinlich die nächsten Stunden, maximal ein oder zwei Tage überlebt. Keine der zahlreichen Verletzungen war todesursächlich. Mit Sicherheit schmerzhaft, ja, aber sie haben, auch nicht in Kombination, zum Tod geführt. Das toxikologische Gutachten läuft ebenfalls noch, aber ich erwarte mir da keine besonderen Erkenntnisse. Jemand hat ihn verhungern lassen, ganz langsam und sukzessive. Aber am Ende starb er an diesem Zettel. Bolustod.“

Omar erhob sich langsam.

„Ach und im Übrigen, der Mann hat vor seinem Tod eine ziemlich lange Zeit auf den Knieen zugebracht“, sagte er.

„Das gibt es doch nicht, dass niemand diesen alten Mann vermisst“, sagte Mike und sah Marianne Jäger an, die gerade sein Büro betrat.

Die Kommissarin zuckte die Schultern.

„Leider gibt es auch bei uns Gegenden, da kennt einer den anderen nicht und interessiert sich noch viel weniger dafür, was neben, über oder unter ihm passiert.“

Mike schüttelte den Kopf und deutete Marianne, sich doch einen Kaffee einzuschenken. „Aber man kann nicht einen Mann mehrere Wochen gefangen halten und foltern, ohne dass das jemand merkt.“

Marianne Jäger enthielt sich einer Antwort und setzte sich mit ihrem Kaffee Mike gegenüber. Dieser seufzte leise auf. Dann sah er sich die Fotos im Computer an, die Omar ihm gemailt hatte. Schließlich lehnte er sich etwas zurück.

„Dieses hier“, sagte er und drehte den Bildschirm so, dass Marianne es sehen konnte. Sie nickte. „Ich denke auch, dass es als Pressefoto geeignet ist.“

Er schickte es an die Pressestelle und nahm sich dann auch einen Kaffee.

„Hoffen wir, dass ihn jemand erkennt“, sagte Marianne und stellte ihre leere Tasse ab.

Dann sah sie Mike an, der wortlos an seinem Kaffee nippte.

„Was ist?“, fragte sie, die Hand schon auf dem Türgriff. Er schüttelte langsam den Kopf.

„Ich weiß nicht, aber diesmal habe ich so ein komisches Gefühl.“

„Na endlich haben wir einen Namen“, rief Kommissaranwärter Frieder Lein Mike entgegen, als dieser den Flur entlangkam. Dieser sah ihn verwirrt an.

„Welchen Namen?“

Als er Frieders enttäuschtes Gesicht sah, verstand Mike und sein Gesichtsausdruck hellte sich auf.

„Was, einen Namen für den toten alten Mann?“

Der junge Kommissaranwärter grinste breit.

„Ja, ein Nachbar hat sich gemeldet. Er heißt Sebastian Weck und sagte uns, er habe den alten Mann schon ein paar Wochen nicht mehr gesehen, aber das sei nichts Ungewöhnliches. Jedenfalls ist aber in seinem Haus regelmäßig das Licht an- und ausgegangen und auch pünktlich um 19.30 Uhr der Fernseher, wenn die Nachrichten im MDR kommen.“

Inzwischen waren sie in Mikes Büro angekommen und dieser startete seinen Computer. Mit einer Geste deutete er Frieder sich zu setzen.

„Franz Wellenkamp, geboren 1922 in Weihmichl. Wo ist das?“

„Bayern, besser gesagt, Niederbayern“, sagte Frieder.

Mike stand wieder auf.

„Gut, dann fahren wir mal zu diesem Nachbarn und schauen uns dann das Haus von Herrn Wellenkamp an. Ich sage der Spurensicherung Bescheid, kommst du mit?“

Erfreut nickte Frieder. Meist war Mike gemeinsam mit Marianne Jäger unterwegs, daher empfand der junge Kommissaranwärter es als besondere Auszeichnung, direkt mit einem erfahrenen Hauptkommissar vor Ort zu sein.

Das kleine Einfamilienhaus von Franz Wellenkamp stand ganz am Ende eines eher als Gasse denn als Straße zu bezeichnenden Weges am Stadtrand von Plauen auf dem Weg nach Kauschwitz.

Die beiden Wagen der Spurensicherung versperrten bereits die gesamte Zufahrt, sodass Mike auf einen Feldweg ausweichen musste.

Beim Aussteigen versank er prompt im Schlamm und betrachtete seine Schuhe, die sich sofort mit einer undefinierbaren, braunen Masse verklumpten. Auf der anderen Seite fluchte Frieder Lein, dessen neue Sneaker sich innerhalb Sekunden von weiß zu braun verfärbten.

Dann gingen sie auf den Weg und zumindest Mike versuchte, weitgehend erfolglos, im Gras die Masse abzustreifen. Karsten Windisch, der Leiter der Spurensicherung, kam ihnen grinsend entgegen. Seine Füße steckten in großen Plastiküberziehern.

„Hättet ihr eine Weile gewartet, ich wollte euch welche bringen“, sagte er und deutete auf die Schuhüberzieher in seiner Hand.

Mike winkte ab.

„Wart ihr schon drin?“, fragte er stattdessen, aber Karsten schüttelte den Kopf.

„Wir haben auf euch gewartet. Zumindest haben wir mal geklingelt, aber der Nachbar sagte uns schon, dass der alte Mann allein lebte. Auch keine Haustiere, also da erwartet uns zumindest dahingehend keine unangenehme Überraschung.“

Sie gingen auf das kleine Haus zu, das ausgesprochen schlicht, aber gepflegt wirkte. Es hatte einen kleinen Vorgarten, der umzäunt war und von einem kurzgeschnittenen Rasen, der bis zum Eingang reichte, dominiert wurde. Während sie die Schutzkleidung überzogen, sah Mike auf den Rasen und dann Frieder und Karsten an.

„Er wurde einige Wochen gefangen gehalten. Ganz gleich ob hier oder wo anders und der Rasen ist tip top gepflegt?“

Sie öffneten die Haustür und ein abgestandener Geruch schlug ihnen förmlich entgegen.

„Mann, jemand sollte mal ein Fenster öffnen“, sagte Frieder und Karsten Windisch grinste ihn an.

„Das, mein junger Freund, ist noch der netteste Geruch, der dir aus einem leerstehenden Haus entgegenkommen kann.“

Die Wangen des jungen Kriminalanwärters nahmen eine auffällige Rötung an. Es war ihm sichtlich peinlich, als Greenhorn zu wirken, zumal ein anderer Mitarbeiter der Spurensicherung, der die Aussage seines Chefs gehört hatte, ebenfalls grinste.