Die Rache der Kali - Annette Krupka - E-Book

Die Rache der Kali E-Book

Annette Krupka

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Beschreibung

Der junge Inder Gopal Shigh soll den Vater seiner Studienfreundin in Oxford ermordet haben. Die Beweislage scheint eindeutig, aber der junge Mann schweigt. Jane MacKenzie begleitet ihre Großmutter, Lady Dora, nach Indien, aber nicht nur um das Land kennenzulernen, sondern Informationen über Gopal zu sammeln. Im Hotel dessen Familie spielen sich seltsame Dinge ab, so erleidet Lady Dora plötzlich einen mysteriösen Jagdunfall. Auch Jane gerät in höchste Gefahr und bereitet Detective Inspektor Peter Brown in London mehr als nur Kopfzerbrechen.

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Das Buch

Der junge Inder Gopal Shigh soll den Vater seiner Studienfreundin in Oxford ermordet haben. Die Beweislage scheint eindeutig, aber der junge Mann schweigt.

Jane MacKenzie begleitet ihre Großmutter, Lady Dora, nach Indien. Aber nicht nur um das Land kennen zu lernen, sondern Informationen über Gopal zu sammeln.

Im Hotel dessen Familie spielen sich seltsame Dinge ab. So erleidet Lady Dora plötzlich einen mysteriösen Jagdunfall.

Auch Jane gerät in höchste Gefahr und bereitet Detective Inspektor Peter Brown in London mehr als nur Kopfzerbrechen.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 1

Lady Dora schnarchte.

Mit leicht geöffnetem Mund lag sie im Sessel, die Hände graziös über der Brust gefaltet. Der Ton steigerte sich und eine der Stewardessen kam näher.

Jane winkte ab. Die Stewardess lächelte und zog sich zurück.

Noch drei Stunden bis Delhi.

Jane klappte ihr Buch zu, legte es zur Seite und sah ihre Großmutter an.

Für ihre knapp 80 Jahre war Lady Dora eine attraktive Frau, groß und schlank, das Haar dunkel getönt und bestens frisiert.

Dank der Errungenschaften der modernen Kosmetikindustrie hielten sich auch Fältchen und Hautdefekte in Grenzen.

Neben der körperlichen Attraktivität konnte Lady Dora auch mit geistigen Fähigkeiten aufwarten.

Allerdings besaß sie eine äußerst spitze Zunge, die Jane, ihre Enkeltochter, des Öfteren zu spüren bekam.

Jane ließ sich tiefer in den Sessel der Business Class zurückgleiten und begann, mit den Füßen kreisende Bewegungen durchzuführen.

Zehn Stunden Bewegungslosigkeit waren das Schlimmste, was sie treffen konnte.

Die plötzliche Reise nach Indien war nicht Lady Doras Einfall zu verdanken, die Stätten ihre Kindheit zu besuchen. Sie war in Agra geboren und hatte sieben Jahre dort gelebt.

Natürlich hatte sie sich öfters mit dem Gedanken befasst, wieder einmal dorthin zu reisen, aber von Jane war der letzte Impuls gekommen.

„Ich hätte Lust, dass alles einmal zu sehen, von dem du mir immer erzählt hast, Großmama“, hatte sie eines Abends gesagt, als Lady Dora wieder einmal in ihren indischen Erinnerungen schwelgte.

Schließlich hatten die Pläne für eine solche Reise konkrete Formen angenommen und Lady Dora glaubte noch immer, es wäre allein ihre Idee gewesen.

Jane lächelte in dem Gedanken daran und stellte ihre Fußübungen ein.

Natürlich kannte sie Lady Doras Erzählungen in- und auswendig.

Ihre Kindheit in Agra, das Internat in Delhi und später in England, ihr Besuch als junges Mädchen in Jaipur und die Eheschließung mit ihrem verstorbenen Mann, Lord Nottingham, der als Colonel in Jaipur stationiert war.

Immer wieder hatte Jane davon gehört, natürlich untermauert von Glorifizierung des alten Empire und Bezug auf die heutige Jugend, wobei sie meist ihre einzige Enkeltochter meinte.

Jane Elisabeth Elinor Dora MacKenzie führte, dank finanzieller Unabhängigkeit, die ihr ihr Vater ermöglicht hatte, ein Leben, wie sie es sich immer gewünscht hatte.

Als Historikerin konnte sie sich der Forschung widmen und nebenbei noch als Fremdenführerin in London und Schottland, dem Ursprungsland ihrer väterlichen Linie, tätig sein.

Sicher hätte sie damit genügend zu tun und ihre Ambitionen ihre, zugegeben nicht gerade unkomplizierte Großmutter, nach Indien zu begleiten, wären nahe Null gegangen, wäre da nicht Professor James Downsand und ein mysteriöser Mord in Oxford gewesen.

Für Polizei und Presse war der Mord alles andere als mysteriös, denn man hatte einen Täter und auch ein scheinbares, wenn auch spekulatives Motiv.

Das Opfer, ein angesehener Bürger Oxfords, Immobilienmakler, sehr wohlhabend, Mister Roger Patton.

Seine Tochter Francis, sein einziges Kind aus erster Ehe, studierte in Oxford und brachte ihren Mitkommilitonen, Gopal Shigh, Sohn eines reichen, indischen Hoteliers, mit nach Hause.

Eine Weile verkehrte der junge Mann scheinbar freundschaftlich mit der ganzen Familie, die außer Mister Patton aus seiner Tochter Francis und seiner zweiten Ehefrau Patricia bestand.

Am Abend des 10. Januar wurde die Polizei von der völlig aufgelösten Francis Patton gerufen.

Im Kaminzimmer lag ihr Vater, erstochen mit einem langen, indischen Dolch aus seinem eigenen Besitz.

In der riesigen Blutlache saß, schweigend, mit blutverschmierten Kleidern und Händen, Gopal Shigh, der junge Student und Freund der Familie.

Widerstandslos ließ er sich festnehmen und schwieg.

Die Polizei konnte den vermeintlichen Tathergang rekonstruieren.

Scheinbar war Mister Patton mit dem jungen Mann in Streit geraten. Zeugen hatten ausgesagt, Mister Patton wäre antiindisch eingestellt gewesen und die Freundschaft seiner Tochter zu Gopal hätte ihn keineswegs behagt.

Im Streit habe der junge Mann wahrscheinlich das Messer, dass zu einer umfangreichen Waffensammlung des Hausherrn gehörte, ergriffen und ihn mit drei gezielten Stichen in den Brustbereich getötet.

Dass es keine Abwehrspuren gab, wurde mit dem hohen Blutalkoholwert des Opfers erklärt, fast drei Promille.

Die Spurensicherung fand am blutverschmierten Heft des Messers Gopals Fingerabdrücke, ebenso wie die Fingerabdrücke der gesamten Familie und des Dienstpersonals, aber das war nicht weiter verwunderlich.

Somit schien, für den ersten Moment, alles darauf hinzudeuten, dass Gopal Shigh der Täter war.

Bei der polizeilichen Erstvernehmung schwieg er und auch ein Freund seiner Familie, der ihm als Anwalt zu Hilfe geeilt war, konnte ihm kein Wort entlocken.

Kein Leugnen, kein Geständnis, nichts.

„Eine Statue, nichts weiter“, sagt der Detective Inspektor Peter Brown.

Nach zwei Wochen sah es so aus, als würde aus dem Fall ein klarer Indizienprozess werden.

Gerade deshalb sah es eben schlecht für den jungen Inder aus.

Scheinbar hatte er ein Motiv, er war am Tatort, seine Fingerabdrücke waren auf dem Messer, er selbst war blutbeschmiert aufgefunden worden.

Francis Patton sagte aus, bei ihrem nach Hause kommen war die Eingangstür verschlossen, das Personal hatte an diesem Tag frei.

Ein Einbrecher schied somit auch aus, denn die Spurensicherung fand nichts, was darauf hindeuten könnte.

Um die psychische Schuldfähigkeit des jungen Mannes zu prüfen, beorderte man den pensionierten Polizeipsychologen Professor Downsand als Gutachter.

Einmal deshalb, weil er als eine Koryphäe auf dem Gebiet Täterprofile und Gutachten galt, zum anderen wurden Stimmen in der Presse laut, man stürze sich deswegen so bereitwillig auf den jungen Mann als Täter, weil er Inder sei.

„Wir brauchen deswegen einen international anerkannten Experten wie sie, Professor“, hatte Detective Inspektor Brown gesagt, als er den Professor in seinem Haus in Windsor aufsuchte.

Dieser behielt sich erst einmal nur vor, den Fall zu prüfen. Aber dann entschied er sich rasch dafür ihn zu übernehmen.

Er saß Gopal Shigh in dem, zugegeben ungemütlichen, Untersuchungszimmer gegenüber.

Der junge Mann hatte den Blick nicht gesenkt, sondern sah ihn an, weder provozierend noch neugierig noch resigniert. Es war auch kein leerer Blick.

Dieser Blick war eher höflich abwartend, gerade zu freundlich. Auch das intelligente, fein geschnittene Gesicht zeigte höfliche Aufmerksamkeit.

Downsand erläuterte mit kurzen, knappen Worten den Grund seines Hierseins.

Und er erhielt darauf auch eine Antwort.

„Ich habe bereits von ihnen gehört, Sir. Sehr erfreut sie kennen zu lernen.“

Das waren die einzigen privaten Worte, die der Professor von Gopal Shigh zu hören bekam.

Alle Tests erfüllte dieser mit Konzentration und ruhiger Gelassenheit, aber auf Fragen, gleich welcher Art, antwortete er nicht.

Der Professor glaubte fast, in den samtdunklen Augen so etwas wie Mitleid mit ihm zu erkennen.

Natürlich fragte auch er sich nach dem Motiv.

Dieser junge Mann machte nicht den Eindruck eines Affekttäters auf ihn. Aber sollte die Tat geplant gewesen sein, und wenn ja,warum?

Professor Downsand befragte natürlich auch Francis Patton. Die junge Frau vermittelte ihm einen insgesamt gefassten Eindruck.

„Ich verstehe das alles nicht, glauben sie mir. Gopal war immer ruhig, eher zurückhaltend, auch bei Treffen mit Kommilitonen. Wir beide arbeiten eng zusammen, daher waren wir auch in der Freizeit befreundet.“

Downsand hatte Francis in Oxford aufgesucht, in ihrem Elternhaus. Er beobachtete die hübsche dunkelhaarige Frau, die mit ihrem Rücken am Fenster lehnte. „Wie befreundet?“

Sie machte eine abwehrende Handbewegung.

„Das habe ich schon alles dem Detective Inspektor erzählt. Wir hatten nichts miteinander, Gopal und ich. Er macht auch nie, hören sie Professor, nie, dahingehend Annäherungen oder Andeutungen oder sonst etwas. Und ich habe ihm dazu auch keine Veranlassung gegeben.“

Downsand glaubte ihr.

„Sprach Gopal von seiner Familie?“

Francis verschränkte die Arme und lief im Zimmer auf und ab. Konzentriert starrte sie auf das helle Teppichmuster zu ihren Füßen.

„Eigentlich sehr selten. Einmal erzählte er von seinem Vater. Er ist ein schwerkranker Mann und wird von der Familie gepflegt. Familienoberhaupt ist de facto sein älterer Bruder. Gopal sprach mit großem Respekt, ja geradezu mit Ehrerbietung von ihm. Ist er denn nicht hier? Ich meine jetzt, wo Gopal...“

Sie schwieg, scheinbar wurde ihr bewusst, dass sie sich um einen jungen Mann Sorgen machte, der in dringendem Verdacht stand ihren Vater getötet zu haben.

„Nein. Seitens der Familie ist bisher nichts eingeleitet worden. Nur der Anwalt der Familie, der hier in England für die Geschäfte der Familie Shigh zuständig ist, wurde mit seiner Verteidigung beauftragt.

Aber Gopal hat auch nach niemand verlangt. Er schweigt zu allem.“

Francis nickte bedächtig.

„Ja, das ist seine Art. Den großen Schweiger nannten sie ihn oft. Dabei kann er so charmant und gesprächig sein.“

Downsand wollte auf die Familie Shigh zurückkommen und erfuhr nichts aufregend Neues.

Außer dem Bruder und seiner Frau gab es nur noch eine jüngere Schwester, die Gopal sehr liebte und sie hätten sich auch regelmäßig geschrieben.

„Nur ein einziges Mal übte Gopal eine Art Kritik an seiner Familie. Er erzählte mir, dass seine kleine Schwester das College in Agra besuchte. Sie sei eine ausgezeichnete Schülerin, aber habe dieses auf Befehl ihres älteren Bruders beenden müssen. Er habe ihr auch ein Studium verweigert. Sie solle zu Hause bleiben, bis er eine passende Heirat für sie arrangieren würde. Er sagte mir, ich wisse gar nicht wie gut es mir geht, dass ich studieren könne und niemand mir dies verbieten würde. Danach hat er nie wieder etwas in dieser Richtung gesagt.“

Francis stellte auch das Verhältnis zwischen ihrem Vater und Gopal Shigh als keinesfalls schlecht dar.

„Papa war erst ein wenig besorgt. Er dachte, Gopal und ich, na sie wissen schon. Als ich ihm dann reinen Wein einschenkte, war er erleichtert und verstand sich auch recht gut mit ihm. Natürlich hatten sie ein paar Streitgespräche. Papas Großvater war noch in Indien stationiert. Sie wissen schon, das war ein heikles Thema und ich versuchte immer davon abzulenken. Aber sonst? Papa schätzte ihn als einen tüchtigen Kerl, wie er es auszudrücken pflegte. Die Sommerferien verbrachte Gopal mit uns allen am Mittelmeer. Wir hatten viel Spaß, obwohl Papa schon drei Wochen eher zurückmusste und danach…“

Francis runzelte konzentriert die Stirn und strich sich die langen Haare aus dem Gesicht.

„Gopal bekam einen Brief von zu Hause. Es war kurz nach den Semesterferien, ich habe es mitbekommen.

Danach war er etwas verändert, trauriger, noch ruhiger. Aber nicht aggressiv.“

Der Professor nickte.

„Und ihre Stiefmutter, Miss Patton?“

Francis ging zur Tür.

„Ich rufe sie am besten selbst. Patricia, kommst du bitte?“

Was Professor Downsand erwartet hatte, wusste er im Nachhinein wohl selbst nicht. Aber diese junge Frau verschlug ihm dem Atem.

Patricia Patton war kaum älter als ihre Stieftochter Francis und reichte dieser gerade bis zur Schulter.

Sie wirkte zart und zerbrechlich, unterstrichen durch die schwarze Kleidung und die Flut der blonden Haare.

Wie ein wohlerzogenes Schulmädchen reichte sie Downsand die Hand.

„Ich habe bereits von ihnen gehört, Professor.“

Sie deutete ihm wieder Platz zu nehmen und setzte sich ihm gegenüber.

Viel mehr neue Erkenntnisse konnte auch sie nicht in die Angelegenheit bringen. Ihre Aussagen deckten sich mit denen von Francis, was den Charakter und das Benehmen des jungen Mannes betrafen.

Sie selbst sprach mit heller, melodischer Stimme, ohne jeglichen Akzent.

Als sie sich zurückzog, erschien es dem Professor, als habe sie alles Licht im Raum mit sich genommen.

Er räusperte sich etwas, denn diese romantische Seite kannte er selbst nicht an sich.

Dann begegnete er Francis spöttischem Blick.

„Sie hat Eindruck auf sie gemacht, nicht wahr, Herr Professor? Das tut sie auf alle Männer. Deswegen wollte Papa sie haben.“

Die junge Frau sprach ohne Bitterkeit, aber Downsand wusste was sie meinte.

Mit einer Geste ihrer schmalen Hand schien sie seine Gedanken wegwischen zu wollen.

„Ich verstehe mich mit Patricia gut. Sie hat mir meinen Platz hier im Haus nie streitig gemacht. Und jetzt, nach Papas Tod, erhalte ich die Hälfte des Vermögens. Genauso, wie er es bei der Hochzeit mit Patricia festgelegt hat. Also dahingehend bin ich versorgt. Außerdem habe ich noch das Geld meiner Mutter. Vielleicht finden sie das makaber, Professor, aber ich wollte das nur sagen.“

Er nickte.

„Ich verstehe sie, Miss Patton. Werden sie hier wohnen bleiben?“

Francis schüttelte den Kopf.

„Nein, ich werde nach London ziehen, wenn mein Studium beendet ist. Aber das hatte ich schon eher geplant, vor Papas Tod. Aber was wird aus Gopal, glauben sie wirklich, er ist der Mörder meines Vaters?“

Downsand machte eine abwehrende Bewegung und erhob sich.

„Vorläufig glaube ich noch gar nichts. Ich hoffe, der Junge spricht endlich. Auf Wiedersehen, Miss Patton.“

Der Detective Inspektor Brown sah den Professor erstaunt an.

„Briefe? Nein, davon haben wir nichts gefunden.

Überhaupt, sein Zimmer war geradezu soldatisch einfach und korrekt eingeräumt. Was wir fanden waren Lehrbücher, Aufzeichnungen aus Vorlesungen, zwei, drei private Romane und Wäsche. Sonst nichts was auf die Privatperson Gopal Shigh hindeuten könnte.“

Downsand hatte Peter Brown von seinem Gespräch mit Francis Patton erzählt.

„Seltsam, da es laut Miss Patton einen regen Schriftwechsel mit der Schwester gab und einen Brief, auf den Gopal traurig reagiert habe. Haben sie von der Familie etwas gehört?“

Detective Inspektor Brown gab einen undefinierbaren Ton von sich.

„Ich habe die indischen Behörden eingeschaltet. Ich habe sie gebeten, die Familie zu befragen. Erst bekam ich die Antwort, die Familie sei sehr einflussreich und so weiter. Schließlich habe man sie doch befragt und die Familie könne sich Gopal als Täter nicht vorstellen. Basta, nichts weiter.“

Als Downsand etwas einwerfen wollte ergänzte der Detective Inspector: „Und dieser Anwalt, ein Mister Separd, ist auch nicht besser. Ein Freund der Familie, dass ich nicht lache. Bisher hat er sich nicht ein bisschen bemüht, Licht in die Sache zu bringen. Ich selbst bin ratlos.“

Professor Downsand lehnte sich zurück.

Das Büro von Detective Inspector Brown war hell und freundlich, sein Schreibtisch wirkte allerdings spartanisch.

Nichts erinnerte an die Privatperson Brown. Kein Bild, keine Kaffeetasse mit lustigem Aufdruck, keine Urlaubserinnerung.

Downsand dachte an Detective Inspector Hellow, Browns Vorgänger im Amt. Da standen hier in dem alten Büro, dass damals noch nicht so großzügig renoviert war, auf dem wackeligen Schreibtisch Bilder der sich ständig vergrößerten Familie des Detective Inspektors.

Dazwischen Muscheln vom letzten Urlaub, ein handgemaltes Bild der Enkeltochter Jenny, eine große Dose Bonbons für eventuelle kleine Besucher.

„Warum haben sie eigentlich keine privaten Dinge hier?“, fragte er unvermittelt Brown.

Dieser starrte ihn ungläubig an. „Wieso interessiert sie das?“

Downsand lächelte.

„Eine Frage mit einer Gegenfrage beantworten? Aha!

Also raus mit der Sprache.“

„Private Dinge, gerade hier, machen verletzlich“,

antwortete Brown nach einer Weile, als er zu merken schien, dass Downsand nicht gewillt war, locker zu lassen.

Der Professor musste an Jane MacKenzie denken, die junge Amerikanerin, die ihnen im Fall des Hyde Park Mörders den wahrhaft Schuldigen geliefert hatte und mit der ihn noch immer eine herzliche Freundschaft verband.

Ihr Verhältnis zu Detective Inspektor Brown hingegen war noch immer sehr angespannt.

„Er versteckt sich nur hinter der kühlen Maske der Arroganz, um nicht verletzt zu werden“, hatte sie einmal zornig über Brown gesagt.

„Vielleicht hat Gopal Shigh deswegen alle persönlichen Dinge aus seinem Zimmer verbannt, um nicht verletzlich zu sein. In seinen Raum kamen auch andere Kommilitonen. Vielleicht wollte er verhindern, dass jemand seine Briefe oder Bilder findet. Aber wo sind die Sachen?“, spann Downsand Janes Aussage, auf Gopal bezogen, weiter.

Brown lehnte sich entspannt zurück. Ihm war anzumerken wie froh er war, das Downsand seine Frage zu seiner Privatsphäre nur in Verbindung mit dem Fall gestellt hatte.

„Ja, wo? Der Junge wird es uns wohl kaum sagen.

Also, wie die Sache jetzt aussieht, wird Anklage erhoben werden. Was meinen sie?“

„Das sie erhoben wird, glaube ich auch und ich befürchte, ich kann es durch ein Gutachten nicht verhindern. Der Junge ist meines Erachtens nach psychisch gesund und sein Schweigen ist Berechnung. Er will nur nichts sagen. Aber ich möchte noch einen indischen Kollegen zu Rate ziehen. Professor Nandun ist derzeit in London und ich habe bereits Kontakt zu ihm aufgenommen. Er ist ein anerkannter Gutachter und vor allem, er ist Inder.“

Brown nickte und reichte ihm die Hand.

„Ich hoffe, wir bekommen die Sache bald in den Griff, die Zeitungen sind nicht gerade gnädig mit uns.“

„Jane.“

Lady Doras Stimme klang verärgert. Die Angesprochene schreckte hoch und sah in die vorwurfsvollen, hellen Augen ihrer Großmutter.

„Du starrst vor dich hin und hörst nicht zu. Ich sagte dir eben, dass ich eine Weile versuchen werde zu schlafen, aber ich denke, ich werde völlig zerschlagen in Delhi ankommen.“

Jane hatte keine Lust ihrer Großmutter zu erläutern, dass sie bereits seit Stunden schlief und gemütlich geschnarcht hatte.

Sie hätte es empört von sich gewiesen.

„Natürlich Großmama, auch ich versuche noch ein bisschen zu schlafen.“

Um einer weiteren Unterhaltung zu entgehen, schloss sie die Augen.

„Ich stimme mit ihren Untersuchungen völlig überein, verehrter Herr Kollege. Der junge Mann ist, zumindest im strafrechtlichen Sinne, voll zurechnungsfähig.“

Professor Nandun saß im Wintergarten seines Londoner Kollegen und genoss eine Tasse Tee, die Missis Nowland, zusammen mit ihrem köstlichen Teegebäck, serviert hatte.

Downsand verbeugte sich leicht in Richtung des etwas fülligen Inders, der den Tee, vor allem aber den Imbiss seiner Haushälterin, sichtlich zu genießen schien.

„Es freut mich, dass sie mit mir konform gehen. Was mich aber mehr interessiert, ist ihre Meinung zu der Sache mit den persönlichen Dingen von Gopal Shigh.“

Er hatte seinem Kollegen aus Delhi von den Ergebnissen der persönlichen Durchsuchung in Gopal Shigh Studentenzimmer erzählt.

Mister Nandun stellte seine Tasse ab und warf seinem Gastgeber einen langen Blick zu, dann räusperte er sich.

„Ich denke, irgendwo hat der Junge seine persönlichen Dinge aufbewahrt. Wenn nicht in seinem Zimmer, dann irgendwo, wo er auch Zeit hatte, die Bilder anzusehen, die Briefe zu lesen. Er ist ein traditionsbewusster junger Mann, der die Ehre seiner Familie hochhält und auch die Erinnerungen daran.“

Downsand brauchte eine Weile bis er den Sinn des letzten Satzes begriff.

Dann überlegte er, wie er weiter vorgehen konnte, um seinen Gast diskret auszufragen, ohne seine Gefühle zu verletzen.

Er war sich bewusst, dass er sich auf glattem Parkett bewegte. Aber für Zurückhaltung blieb nicht viel Zeit. In allererster Linie ging es darum, den Mörder von Mister Patton zu finden und, falls Gopal Shigh unschuldig war, ihn aus der Sache heraus zu bringen.

„Glauben sie, Gopal könnte jemanden decken? Die Schuld auf sich nehmen? Vielleicht wegen der Familienehre?“

Seufzend zog Professor Nandun die Schultern nach oben, aber ehe er etwas entgegnen konnte, fragte Downsand weiter, jetzt waren ihm auch die Gefühle seines Gastes gleichgültig.

„Wenn es stimmt, dass Mister Patton so antiindisch eingestellt war wie einige Zeugen behaupten, vielleicht steckt mehr hinter der Sache als wir glauben?“

Warnend hob Mister Nandun die Hand.

„Damit gehen sie von Gopals Schuld aus, aber in Wirklichkeit glauben sie an seine Unschuld.

Sie denken, seine Familie ist in die Sache verwickelt, nicht wahr? Um ehrlich zu sein, ich glaube es auch.

Und nun sage ich ihnen etwas, verehrter Herr Kollege, was ich der Polizei nie sagen würde und es auch vehement abstreiten würde, ihnen davon erzählt zu haben. Ich kenne die Familie Shigh. Nicht persönlich, aber ich habe viel von ihnen gehört. Es wird viel geklatscht in unserem Land, so wie sie das hier nennen würden. Aber wir sagen, überall ist Wahrheit, auch in Gerüchten. Man weiß, dass Mister Shigh, der alte Herr, sehr fortschrittlich eingestellt ist. Er schickte auch seinen jüngsten Sohn nach England. Nach seinem Krankheitsausbruch übernahm sein ältester Sohn nicht nur die Geschäfte, sondern auch den Familienvorsitz. Der alte Herr ist heute kaum noch ansprechbar und sein Sohn ist das Oberhaupt der Familie. Es ist allgemein bekannt das dieser sehr antibritisch eingestellt ist und man erzählt sich, er wäre Mitglied einer Sekte. Viel weiß man nicht über diese Sekte, bei uns gibt es tausende Sekten und religiöse Strömungen und ständig werden es mehr. Was ich allerdings weiß, ist, dass sie die Göttin Kali anbeten sollen.“

Er schwieg und nahm einen Schluck Tee.

„Haben sie Gopal ihre Beobachtungen mitgeteilt?“, fragte Downsand.

„Ja, aber er schwieg. Keine Regung, nichts.“

„Und? Was glauben sie?“

Downsand erhob sich und sah hinaus in seinen Garten. Der Frühling hatte den noch vor Wochen kahl aussehenden Ort in ein zartes Grün getaucht. Jetzt konnte er wieder jeden Tag hinausgehen, seine geliebten Rosen beobachten, jäten, säen, alles das, was das Leben auf dem Land so angenehm für ihn machte.

„Wir müssten die Möglichkeit haben, die Familie etwas näher unter die Lupe zu nehmen. Vielleicht würden uns einige Beobachtungen oder Hinweise weiterbringen.“

Mister Nandun lächelte. Sein breites, dunkles Gesicht eines Südinders nahm einen geradezu verschmitzten Ausdruck an.

„Ich habe ihnen ein klein wenig Vorarbeit geleistet.

Immerhin habe ich ein paar…hm… gute Bekannte bei den Behörden, die für ein kleines Trinkgeld gewünschte Informationen geben und auch weiterleiten. Keiner der Familie Shigh hat in den letzten Monaten Indien verlassen. Damit meine ich auch den größeren Verwandtenkreis. Also, eine Mittäterschaft ist so nicht gänzlich ausgeschlossen, aber eher unwahrscheinlich. Es ist schwierig an diese Familie heranzukommen, vielleicht haben sie noch eine Idee?“

Professor Downsand hatte tatsächlich eine Idee.

Eine verrückte zwar, aber sie schien ihm durchaus durchführbar.

Zwei Tage später saß auf Professor Nanduns Platz Jane MacKenzie und genoss Missis Nowlands Sahnebiskuits.

Jane war der erklärte Liebling von Professor Downsands Haushälterin, weil sie einen guten Appetit besaß und ihn auch deutlich zeigte.

Während sie herzhaft in das leckere Gebäckstück biss, beobachteten ihre wachen, grünen Augen ihr Gegenüber. Der Professor zündete sich, reichlich umständlich, eine Pfeife an und schob sie zwischen den Fingern hin und her.

Jane lächelte etwas, legte das Biskuit aus der Hand und lehnte sich in dem dunkelroten Ledersessel zurück.

„Wo drückt der Schuh, Professor?“, fragte sie unvermittelt.

Dieser musterte sie versonnen.

Es war ein Jahr her, als sie das erste Mal in diesem Sessel hier gesessen hatte, die junge Amerikanerin mit den schottischen Wurzeln. Wie damals war ihr flammendrotes Haar zu einem straffen Zopf geflochten, der ihr bis zur Taille reichte.

Ihre Kleidung war solide praktisch, wenn auch von bester Qualität und konsequent schottisch.

Über der Bluse trug sie ein Plaid in den Farben der MacKenzies, dass mit einer großen, silbernen Brosche gehalten wurde. Darauf standen die Worte- Luceo non uro- Ich leuchte, aber verbrenne nicht.

Dieser Spruch schien für Jane MacKenzie mehr als zutreffend.

Obwohl von eher kleiner, aber kräftiger Statur, wirkte sie durch ihr Temperament, ihre Beweglichkeit, ihren wachen Verstand wie eine leuchtende Kerze.

„Professor?“

Jane blickte fragend in Downsands Richtung, der sich jetzt räusperte.

Dann rückte er seine Pfeife zurecht und sah sie an.

„Ich möchte sie etwas fragen, Jane. Irgendwann hatten sie einmal erwähnt, ihre Großmutter, Lady Dora wolle noch einmal nach Indien. Sie hatte wohl den Wunsch geäußert, dass sie sie begleiten könnten.

Wäre jetzt nicht die richtige Zeit dafür? Schließlich wird sie auch nicht jünger.“

Jane starrte ihn verdutzt an, dann breitete sich ein Lächeln über ihren Zügen aus. Schließlich begann sie herzhaft zu lachen.

„Aha, der Oxfordmord? Ist unser Detective Inspektor am Ende seines Lateins angekommen und benötigt Hilfe?“

Wild begann Downsand mit seiner Pfeife herumzufuchteln, so dass ein paar Funken auf dem Teppich landeten und geistesgegenwärtig von Jane ausgetreten wurden.

„Um Himmels willen. Er weiß nichts davon und ich will auch nicht wissen, was er dazu sagen würde.

Aber ich habe mir gedacht, wenn sie sich im Hotel der Familie Shigh einquartieren und als Historikerin ein paar Nachforschungen anstellen könnten?“

Jane nickte und ergriff erneut ein Sahnebiskuit.

„Naja, das könnte gehen. Großmama wird zwar überrascht sein, wenn es so schnell geht mit der Reise. Aber das ist mein Problem. Was mache ich mit Hieronymus?“

Das war Janes stolzer Kater, der sie sonst fast überall hinbegleitete und absolute Priorität hatte.

Während ihrer Abwesenheit ließ er sich lediglich von ihrer Tante Marci anfassen und füttern. Es gab allgemein nur wenige Menschen, die das Vertrauen des riesigen Fellbündels besaßen, das durchaus aggressiv werden konnte.

„Ach, Miss Jane, lassen sie ihn doch hier bei uns.“

Missis Nowland hatte ihre Worte gehört, als sie neue Biskuit servierte und Tee auffüllte.