Phobie - Annette Krupka - E-Book

Phobie E-Book

Annette Krupka

0,0

Beschreibung

Was ist deine größte Angst? Kathleen Fischer stirbt, angekettet, außen am Geländer der Syratalbrücke. Ihr Mann sagt der Polizei, dass seine Frau unter einer furchtbaren Höhenangst gelitten habe. Für Hauptkommissar Mike Köhler und sein Team ein Rätsel. Wer tat das der allseits beliebten Erzieherin an? Dann gibt es einen zweiten Toten, Benjamin Haase, ein junger Mann, der wegen seiner Klaustrophobie in psychologischer Behandlung war. Er wurde in einer kleinen Kiste gefangen gehalten. Damit bewahrheitet sich der schreckliche Verdacht von Mike Köhler. Es scheint wieder ein Serientäter in Plauen aktiv zu sein, doch dieses Mal gibt es kein greifbares Motiv, auch nicht, als der nächste Mord geschieht. Schließlich ist es Kate Schulz, die eine Verbindung entdeckt. Eine Erkenntnis, die ihr zum Verhängnis werden kann.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 172

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Das Buch

Was ist deine größte Angst?

Kathleen Fischer stirbt, angekettet, außen am Geländer der Syratalbrücke. Ihr Mann sagt der Polizei, dass seine Frau unter einer furchtbaren Höhenangst gelitten habe. Für Hauptkommissar Mike Köhler und sein Team ein Rätsel. Wer tat das der allseits beliebten Erzieherin an?

Dann gibt es einen zweiten Toten, Benjamin Haase, ein junger Mann, der wegen seiner Klaustrophobie in psychologischer Behandlung war. Er wurde in einer kleinen Kiste gefangen gehalten. Damit bewahrheitet sich der schreckliche Verdacht von Mike Köhler. Es scheint wieder ein Serientäter in Plauen aktiv zu sein, doch dieses Mal gibt es kein greifbares Motiv, auch nicht, als der nächste Mord geschieht.

Schließlich ist es Kate Schulz, die eine Verbindung entdeckt. Eine Erkenntnis, die ihr zum Verhängnis werden kann.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 1

Wie war er eigentlich auf die irrsinnige Idee gekommen, joggen gehen zu müssen? Wieso quälte er sich in seinem Alter jeden Morgen aus dem Bett, um wie ein Esel hinter einer vorgehängten Möhre herzulaufen? Ach ja, es hatte damit begonnen, dass Miriam, seine Frau, das, was er immer scherzend seinen „Wernesgrüner Muskel“ genannt hatte, als Wampe bezeichnete. Na gut, sie hatte auch nach über fünfundzwanzig Jahren Ehe ihre Figur behalten.

Sie ging ja auch schon seit vielen Jahren regelmäßig zum Sport, neuerdings neben dem Tennis zu Zumba.

Wenn es ihr Spaß machte, gut, sollte sie.

Aber dann bemerkte er, wie sie die durchtrainierten Kerle ansah, WIE! Da klingelten bei ihm die Alarmglocken. Ja, er hatte sich gehen lassen. Hier ein Bierchen, dort eine Roster, da ein Steak, es läpperte sich.

Verflixt, die Kilos waren schneller drauf gewesen, als sie bereit waren sich wieder zu verabschieden.

Jetzt rannte er schon seit zwei Wochen und was hatte er abgenommen? Zwei Kilo. Zwei!

Schnaufend, wie eine Dampflokomotive, nahm er einen kleinen Anstieg. Noch bis zur Syratalbrücke, dann würde er umdrehen. Vielleicht würde er rückwärts beim Bäcker… Er schüttelte den Kopf. Nein, kein Bäcker. So wie sein Magen knurrte, wäre das jetzt die ultimative Katastrophe.

Gerade wollte er kurz stehen bleiben, als ihm auf dem Weg eine Frau entgegengejoggt kam.

Ihre Bewegungen waren gleichmäßig und harmonisch. Sie schien sich überhaupt nicht anstrengen zu müssen, obwohl er kleine dunkle Flecken rechts und links an den Achseln bemerkte. Also schwitzte sie auch.

Unwillkürlich straffte er sich, als sie in seiner Höhe war. Aber auf ihr fröhliches „Guten Morgen“ brachte er nur ein Krächzen zustande und musste stehen bleiben. Die Frau stoppte ebenfalls und sah ihn besorgt an. „Alles in Ordnung?“, fragte sie.

Er hustete etwas und nickte. „Ja…danke.“

Mit einem Stirnrunzeln musterte sie ihn.

„Sie laufen wohl noch nicht so lange? Sie sollten sich nicht überanstrengen“, sagte sie schließlich und löste eine Flasche von ihrem Gürtel, den sie um die Taille trug. „Nehmen sie ruhig einen Schluck.“

Er kam langsam wieder zu Atem und nahm die Flasche dankbar an. Das Getränk war frisch, leicht süß und hinterließ einen Geschmack nach Minze in seinem Mund.

„Danke“, sagte er, um einen festen Ton bemüht und reichte ihr die Flasche zurück. „Sehr lecker.“

Sie lächelte. „Meine Eigenkreation eines Iso Drink.

Sie sollten immer etwas dabeihaben“, mahnte sie nochmals.

Er nickte. Sein Gegenüber wirkte fit und durchtrainiert, da konnte ihn der Neid packen. „Sie laufen wohl schon länger?“, fragte er und sie zuckte leicht die Schultern. „Schon über dreißig Jahre, also haben sie mal kein schlechtes Gewissen, das wird schon noch. Und immer daran denken, nicht viel hilft viel.“

Sie nickte ihm zu und rannte weiter, während er ihr seufzend hinterher sah.

Ihr Körper schien sich im Einklang mit jeder ihrer Bewegungen zu befinden, er musste auf sie wie ein absoluter Stümper gewirkt haben. Achselzuckend wandte er sich wieder seinem Weg zu und versuchte, seinen Trab zu finden, als er bemerkte, dass er schon fast an der Syratalbrücke, seinem Etappenziel, angekommen war.

Erleichtert blickte er nach oben und wäre fast gestürzt. Was sollte denn das? Ein zugegeben makabrer Scherz. Jemand hatte eine lebensgroße Puppe an Bungeeseilen befestigt, die hin und her schwang.

Er lief noch ein paar Schritte näher und stieß einen lauten Schrei aus. Das war keine Puppe.

Es war eine Frau, die dort oben hing und ihn anstarrte. Anstarrte aus großen, toten Augen.

„Hilfe, Hilfe“, schrie er, völlig außer sich, so laut er konnte.

In diesem Moment hörte er Schritte.

Er schnellte panisch herum. Die Frau von eben war zurückgekommen. Vielleicht hatte sie gedacht, er wäre zusammengebrochen, denn sie sah ihn zwar verblüfft, aber keineswegs alarmiert an. Er konnte nichts sagen, sondern deutete nur wortlos nach oben.

Sie folgte seinem Blick. Dann zog sie ein IPhone aus ihrer Gürteltasche.

„Ich rufe die Polizei. Setzen sie sich da drüben ins Gras und schauen sie nicht mehr hin.“

Sie legte ihm sanft die Hand auf die Schulter und dirigierte ihm vom Weg zum Rasen.

Während sie im Abstand zu ihm mehrere Telefonate führte, wunderte er sich nur, wie ruhig sie war.

Kapitel 2

Warum hatten alle Cops in einer Krimiserie irgendwelche Probleme mit ihren Familien oder psychische Probleme oder waren einfach nur durchgeknallte Typen? Mike schüttelte den Kopf und lehnte sich etwas zurück. Sofort kam eine der Stewardessen und fragte ihn, ob er noch ein Glas Wein trinken wolle. Er schaute sie an und nickte. Dann schaltete er den inzwischen vierten Film, den er sich angeschaut hatte, aus. Vielleicht half ihm der Wein etwas zu entspannen, im Idealfall sogar zu schlafen.

Aber irgendwie hatte er die Hoffnung schon aufgegeben. Prompt kam die Stewardess mit einem Glas Rotwein und schaute dann auf die neben ihm zusammengerollte Person. „Möchte ihre Frau vielleicht auch noch irgendetwas, Sir?“, fragte sie mit gedämpfter Stimme.

Mike lächelte. „Nein danke. Lassen wir sie einfach schlafen.“

Kate hatte kurz nach dem Start in Atlanta ihren Sitz zu einem Bett verlängert, sich zusammengerollt wie ein Embryo und war sofort eingeschlafen.

Und das tat sie immer noch. Mike bewunderte es zutiefst, auch wenn er sonst keine Probleme mit dem Schlafen hatte, an Bord eines Flugzeugs und das mitten über dem Atlantik fühlte er sich irgendwie unwohl. Er nippte etwas von dem Rotwein und drückte sich fester in seinen Sitz.

Zwei Monate Hochzeitsreise lagen hinter ihnen.

Das es zwei Monate waren, war ganz einfach der Tatsache geschuldet, dass sein Chef nach Lösung des vorhergegangenen Falles ihm großzügig noch einen zusätzlichen Monat unbezahlten Urlaub gewährt hatte. Und so war aus der ursprünglich geplanten einmonatigen Reise zwei Monate geworden.

Die ersten 14 Tage hatten sie in Jerusalem bei Kates Tante Sarah und deren Familie zugebracht. Es war, wie Kate es auszudrücken pflegte, Familienverbund pur. Auch für Mike war es eine Umstellung. Aber so viel geballter Herzlichkeit konnte auch er nicht widerstehen. Dann hatten sie noch knappe drei Wochen am Toten Meer verbracht, eine ruhige und erholsame Zeit, nur füreinander.

Anschließend flogen sie in die Staaten, und dort gab es das Kontrastprogramm. Erst San Francisco, dann L.A. Schließlich ging es per Inlandsflügen weiter nach Big Apple und Washington D.C., um abschließend in Atlanta Ben, Kates ehemaligen Kollegen beim FBI, zu besuchen. Dieser hatte sich gerade für Mike einiges einfallen lassen, und so konnte dieser in die Strukturen der Bundesbehörde ein wenig Einblick nehmen, was ihn absolut begeisterte.

Kate nutzte indes die Zeit, um noch ein paar Familienangelegenheiten, wie sie es nannte, zu erledigen.

Allerdings hatte sie nicht, wie er im Stillen gehofft hatte, ihre Eigentumswohnung in Atlanta verkauft.

Sie hatte einfach den Mietvertrag verlängert. Er hatte sie noch nicht darauf angesprochen, ganz einfach hatte sich die Gelegenheit nicht ergeben. Wie sollte er es auch tun? Es klang, als sei er sich seiner Sache nicht ganz sicher, was die Partnerschaft mit Kate betraf. „Kompletter Blödsinn“, dachte er und schüttelte etwas den Kopf.

„Na“, sagte eine Stimme plötzlich neben ihm, sodass er erschrak. „Du hast dir doch jetzt gerade überlegt, ob ich die Wohnung deswegen nicht verkauft habe, um eine mögliche Rückversicherung zu haben?“

Mike wandte langsam seinen Blick zu Kate, die gerade ihr Bett wieder in einen Sitz zurück verwandelte. Als sie neben ihm saß, noch ganz schlaftrunken, mit zerzaustem Haar, starrte er sie an.

„Sag mal, kannst du jetzt auch Gedanken lesen?“

Sie lachte leise. „Ja, das war der Kurs Gedanken lesen für Anfänger, der wurde bei uns im FBI angeboten.“

Als er nichts sagte wurde sie wieder ernst.

„Ich habe ganz einfach dein nachdenkliches Gesicht gesehen und wie du den Kopf geschüttelt hast. Und da habe ich mir eins und eins zusammengereimt.“ Noch immer sagte er nichts, also fuhr sie fort: „Hör zu, ich habe nicht vor mich in die Staaten abzusetzen.

Wenn, dann hätte ich das mit Sicherheit vor unserer Hochzeit gemacht, oder? Ich habe die Wohnung mit Absicht behalten, weil ich mir überlegt habe, dass wir vielleicht in 20 oder 30 Jahren unseren Altersruhesitz in den Staaten aufschlagen könnten. Wenn wir es nicht wollen, ist es immer noch eine sehr gute Wertanlage. Die Immobilienpreise in Atlanta sind nicht von schlechten Eltern. Also so oder so, es wäre dumm gewesen die Wohnung jetzt zu verkaufen oder benötigst du das Geld?“ Mike hob die Hände. „Also das hast du ganz falsch verstanden, nein, nein.“ Inzwischen war die Stewardess wieder herangekommen und lächelte Kate freundlich professionell an.

„Möchten sie vielleicht etwas trinken oder einen kleinen Imbiss? Sie haben das Essen verschlafen und ihr Mann wollte sie nicht wecken.“

Kate lächelte zurück. „Ich hätte gern einen Kaffee und vielleicht einen kleinen Obstsalat, so dies möglich wäre.“

Die junge Frau zog sich zurück, um das Bestellte innerhalb kürzester Zeit zu servieren.

Kate sah wieder hinüber zu Mike. „Damit wäre das geklärt. Hat es dir den Schlaf geraubt?“ Sie steckte sich ein Stück Melone in den Mund.

Mike seufzte. „Nein, das nicht. Ich komme bloß irgendwie nicht zur Ruhe. Ich bin froh das Omar uns abholt, stell dir vor, wir hätten beide nicht schlafen können.“

Kate lachte leise. „So ging es mir bei meinem ersten Flug nach Deutschland. Ich wusste von dir, dass meine Großmutter, oder vielmehr die Frau, die ich ein Leben lang dafürgehalten habe, ermordet worden war und das hat mich wirklich um den Schlaf gebracht. Ich hatte das Auto bei Sixx wieder abbestellt und bin ab München bis Plauen mit dem Zug gefahren. Dort habe ich endlich geschlafen.“

Sie gab Mike, der sich gerade aus ihrer Schale ebenfalls ein Stück Melone stibitzte, einen kleinen Klaps auf die Finger. „Bestell dir selbst welche“, sagte sie, aber er schüttelte den Kopf.

„Reicht“, sagte er und nippte wieder an seinem Wein.

Dabei sah er auf das Display vor sich.

„Oh, wir sind schon im Landeanflug auf München“, sagte er und lehnte sich zurück.

„Weißt du, wie froh ich bin, endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu haben?“

Kate musterte ihn von der Seite. „Sag bloß, du hast Flugangst? Wenn ja, hast du sie bisher gut verborgen.“

Er zuckte leicht die Schultern. „Jetzt, da wir verheiratet sind, kann ich es dir ja sagen. Der Gedanke, über dem Atlantik in dieser Blechkapsel zu sitzen hat mich um den Schlaf gebracht.“

Obwohl er versuchte, es scherzhaft rüberzubringen, sah Kate, dass es ihm durchaus ernst war. Natürlich, sie hatte auf dem Hin-wie auch auf dem Heimflug, ja, sogar auf dem Inlandsflug sofort geschlafen.

Sie griff nach seiner Hand. „Jetzt hast du es fast geschafft und keine Angst, nichts erschüttert mein Bild von dir, nicht mal deine Flugphobie“

Kapitel 3

Als Mike die Augen aufschlug, fühlte er sich für einen Moment wie nach einer durchzechten Nacht.

Der Jetlag hatte ihn voll erwischt. Langsam tastete er neben sich, aber das Bett neben ihm war nicht nur leer, sondern auch kalt. Langsam brachte er seinen Körper in die Senkrechte am Bettrand, stützte sein Gesicht in die Hände und rieb es. Er musste sich dringend rasieren. Dann stand er auf und tapste nach unten in die Küche. Mit noch fast geschlossenen Augen schob er einen Kaffeebecher unter den Automat und hörte, wie das Mahlwerk seine Arbeit begann.

Mitten auf dem Küchentisch lag ein Zettel.

„Bin joggen, bringe frische Brötchen mit“, darunter ein Kuss - Smiley.

Natürlich musste seine Frau ihm schon wieder ein schlechtes Gewissen machen mit ihrer Aktivität.

Grinsend ließ er sich auf den Küchenstuhl sinken und nippte an der heißen, dunklen Flüssigkeit.

Dann fiel sein Blick auf das Bild, dass auf dem Küchenblock stand. Es war am Toten Meer entstanden und er hatte zu Kate gesagt, es sei sein absolutes Lieblingsbild.

Kate saß auf einem dunklen Araberhengst direkt am Strand. Sie trug eine Jeans, Reitstiefel und eine helle Bluse, die in der Taille geknotet war. Ihr Haar, heller als sonst, wehte in der leichten Brise. Er selbst lehnte in einer hellen Leinenhose und einem Shirt am Körper des Pferdes und hatte seine Hand lässig auf den Sattelkopf gelegt. Kates rechte Hand lag auf der seinen, die andere hielt die Zügel.

Von allen Bildern, die in den zwei Monaten entstanden waren, gefiel ihm dieses am besten und Kate hatte es wohl Jasmin geschickt, die ihrerseits es ausdrucken und rahmen ließ, denn als sie gestern nach Hause gekommen waren, stand es bereits hier.

Mike stellte seinen Kaffeebecher nochmals unter die Maschine. Ein Becher Kaffee reichte heute definitiv nicht.

Sein Blick ging noch einmal zurück zu dem Bild. Ihm war erst auf dieser Reise bewusst geworden, wieviel er von Kate nicht wusste, zum Beispiel, dass sie einen Teil ihrer Ausbildung bei der berittenen Polizei absolviert hatte und eine sehr gute Reiterin war.

Schließlich öffnete er den Kühlschrank.

Auch wenn Jasmin Weidner-Amri, ihre gute Freundin und Nachbarin, das Bild und zwei Blumensträuße als Willkommensgruß bereitgestellt hatte, für die Befüllung des Kühlschrankes war Frau Anselm, Kates Haushalthilfe, verantwortlich.

Sogar seinen Lieblingsjogurt fand er unter dem reichhaltigen Angebot und nahm sich vor, Frau Anselm für diese Vorausschau zu danken. Er begann den Frühstückstisch zu decken als sein Smartphone vibrierte. Stirnrunzelnd sah er auf das Display und lächelte. Konnte Kate sich nicht zwischen den verschiedenen Brötchensorten entscheiden?

Als er das Gespräch annahm, sagte sie gleich, ohne eine Begrüßung: „Mike, du solltest sofort kommen.

Zur Syratalbrücke.“

An ihrem Tonfall, den er manchmal scherzhaft den FBI -Ton nannte, erkannte er sofort, dass es sich um etwas Außergewöhnliches handeln musste.

Immerhin hatte er noch diese Woche Urlaub, also würde sie ihn nicht mit einer Bagatelle belästigen.

„Ich komme“, sagte er daher.

Im Laufschritt eilte er ins Bad. Ganz gleich wie dringend es auch sein mochte, unrasiert und ungeduscht würde er sich an keinem Tatort zeigen, zumal Kate mit Sicherheit bereits die zuständige Polizeidienststelle verständigt hatte.

Auf den letzten Metern hatte Mike sein Auto stehen lassen und war zu Fuß weitergegangen, zumal rund um die Brücke alles mit Feuerwehr, Notarztwagen und diversen Polizeiautos zugeparkt war.

Der gesamte Bereich war großräumig abgesperrt und obwohl es noch früh am Tag war, hatten sich an der Absperrung zahlreiche Schaulustige, bevorzugt Senioren, eingefunden.

Ein uniformierter Beamter nickte Mike zu und hielt das rot-weiße Absperrband hoch, sodass er passieren konnte. Als er näher herankam, sah er auf der Leiter eines Feuerwehrautos direkt in Höhe eines Brückenbogens eine massige Gestalt, die gerade mittels Handzeichen einem der sichernden Feuerwehrmänner andeutete, dass er nach unten zu kommen gedachte.

Es dauerte einige Minuten bis Professor Doktor Omar Amri, seines Zeichens Rechtsmediziner und Pathologe, festen Boden unter den Füßen hatte und aus dem Schutzanzug, den die Spurensicherung wegen ihm immer in Extragröße vorrätig hatte, stieg.

Er kam auf Mike zu und schloss ihn in eine seiner bärenhaften Umarmungen.

„Bin ich froh dich wieder heil und wohlbehalten zu sehen, mein Freund, wenn auch die Umstände besser sein könnten“, sagte er, nachdem er Mike aus seinen Armen entlassen hatte und deutete mit dem Kopf in Richtung Brücke.

„Ihr könnt sie runterholen lassen“, rief er dem Leiter der Spurensicherung, Karsten Windisch zu, der seinerseits Mike zuwinkte.

Omar wandte sich diesem wieder zu.

„Kein schöner Anblick“, sagte er und deutete nach rechts, wo sich Kommissarin Marianne Jäger mit einem Mann mittleren Alters in Joggingkleidung unterhielt. „Der arme Kerl hatte den Schock des Morgens.“

Er nickte zu der Brücke und nachdem die Feuerwehr die Leiter kurz eingefahren hatte sah Mike, was Omar da vorhin begutachtet hatte. An zwei Bungeeseilen befestigt, wippte der Körper einer Frau zwischen einem Brückenbogen auf und ab.

Mike stieß langsam die Luft aus. „Wie lange hängt sie schon dort?“

Omar sah ihn von der Seite an. „Bist du nicht noch im Urlaub?“

Mike deutete zu Marianne, die ihn auch gesehen und mit einem kurzen Nicken begrüßt hatte.

„Formell schon, aber Kate hat mich angerufen.“

Omar grinste. „Wie uns alle.“

Dann wurde er ernst. „Sie hat den Mann schreien hören und ist sofort umgekehrt, weil sie dachte, ihm sei etwas passiert. Da sah sie den Schlamassel.“

Er schüttelte bekümmert den Kopf. „Also, was ich grob sagen kann, ist, dass sie vermutlich seit Mitternacht dort hängt. Da dürfte sie allerdings noch gelebt haben.“

Mike sog scharf die Luft ein. „Jemand hat sie…“

„Ja“, unterbrach Omar ihn. „Sie hat noch gelebt.“

Nachdem ein Sanitäter ihm ein leichtes Beruhigungsmittel verabreicht hatte, war Martin Fassmann nach einer Weile in der Lage, mit Marianne zu sprechen.

Vorher war er der Hyperventilation nahe und nicht vernehmungsfähig gewesen.

Noch immer saß er am Rand des Weges im Gras, wo Kate ihn vor über einer Stunde hingesetzt hatte und atmete jetzt bedeutend ruhiger.

„Wie lange laufen sie schon den Weg, Herr Fassmann?“, fragte Marianne ihn behutsam und fing einen Blick aus dem noch immer stark geröteten Gesicht auf.

„Noch nicht, noch nicht sehr lange“, stammelte er, aber dann wurde seine Sprache sicherer. „Seit einer Woche exakt genau diesen Weg, bis zur Brücke, dann kehre ich um. Heute bin ich dieser Frau begegnet.“

Er deutete auf Kate, die gerade mit Karsten Windisch sprach. „Sie sagte, ich solle mich nicht überanstrengen und gab mir etwas von ihrem Isodrink. Dann sind wir beide weiter gerannt, in unterschiedliche Richtung. Als ich nach oben sah, an der Brücke, da…“ Er brach ab und atmete wieder hektisch.

Marianne legte ihm eine Hand auf die Schulter.

„Es ist gut, Herr Fassmann. Wenn wir aufhören sollen…“

„Nein, nein“, sagte er schnell. „Also, ich dachte, es ist eine Puppe. Ein zwar makabrer Scherz, aber eben auch nur ein Scherz. Und dann sah ich das es ein Mensch ist, eine Frau. Ich habe mich so erschrocken das ich um Hilfe geschrien habe und da kam die Frau zurück.“

Er deutete wieder in Kates Richtung. „Sie hat mich dann hierhergesetzt und gesagt, sie kümmert sich um alles.“ Er zog etwas die Stirn in Falten und sah mehrfach zu Kate. „Wissen sie“, sagte er schließlich leise zu Marianne. „Es war seltsam, wie ruhig und gefasst sie war, geradezu verdächtig ruhig, wenn sie wissen, was ich meine.“

Die Kommissarin musste sich ein Lächeln verkneifen.

„Das geht schon in Ordnung. Frau Schulz ist quasi eine Kollegin von uns.“

Martin Fuhrmann runzelte die Stirn. „Quasi?“, fragte er gedehnt.

Marianne Jäger seufzte. „Frau Schulz ist als ehemalige FBI Agentin beratend für die Polizei tätig“, sagte sie schließlich und der Mann sah sie an, als warte er auf eine Pointe des Scherzes. Als diese nicht kam, fragte er nach: „FBI, hier bei uns in Plauen?“

Marianne hätte sich ohrfeigen können, es überhaupt erwähnt zu haben. „Natürlich nicht. Frau Schulz war viele Jahre in den Staaten und dort beim FBI. Jetzt lebt sie wieder in Plauen.“

Ihr Tonfall war jetzt so gewählt, dass er signalisierte, dass weitere Nachfragen besser zu unterbleiben hatten.

Das verstand auch Martin Fuhrmann. Er starrte zu Kate hinüber, nickte schließlich und murmelte: „Ja, ja, natürlich.“

„So“, sagte Marianne mit Nachdruck. „Herr Fuhrmann, versuchen sie sich bitte zu konzentrieren.

Ist ihnen, außer Frau Schulz, irgendjemand aufgefallen? Heute Morgen, oder auch an den Tagen vorher?“

Er schüttelte den Kopf und sah sie etwas verschämt an. „Wissen sie, ich laufe noch nicht so lange und bin komplett damit beschäftigt nicht umzufallen, so atemlos wie ich manchmal bin. Was um mich herum ist, blende ich eigentlich aus. Ich habe diese Frau Schulz heute auch nur bemerkt, weil sie direkt an mir vorbeigelaufen ist und mich gegrüßt hat.“

„Gut“, sagte Marianne Jäger. Mehr war aus dem Zeugen wohl derzeit wirklich nicht herauszuholen.

„Sollten sie sich noch an irgendetwas erinnern, mag es ihnen auch noch so unbedeutsam vorkommen, informieren sie uns bitte“, sagte sie, obwohl sie keine Hoffnung hatte, das dies geschehen würde.