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In den zwanziger Jahren, als die Basmatschen im sowjetischen Zentralasien, unterstützt von den Engländern, mit Terror und Mord einen muselmanischen Staat aufbauen wollten, kämpften Sawrija und Ulug nicht nur um ihre Liebe, sondern auch um das Leben des Dichters, das sie aber nicht mehr retten konnten. LESEPROBE: Akramow ging so schnell, dass Ulug Mühe hatte, mit ihm Schritt zu halten. Akramow war groß und stiernackig, er wirkte nicht wie ein Dramatiker, jedenfalls hatte sich Ulug einen Dramatiker anders vorgestellt, nicht so schwergewichtig, stark wie ein Lastträger. Sie überquerten den Registan-Platz. Ulug war überrascht von der Schönheit der drei Medressen, die den Platz säumten. »Hier verkündeten die Herolde der Timuriden ihre Schlachten und Siege«, sagte Akramow mit dröhnendem Bass, »hier beteten zehntausend Moslems, hier sprach auch Kalinin vor fünf Jahren, ich habe ihn gesehen und gehört ...« Er führte Ulug in den Innenhof der Medresse Schir-Dor, bat den Jungen um einen Augenblick Geduld und ging noch einmal zu dem löwenbemalten Portal zurück. Kein Mann war ihnen gefolgt, nur eine alte Blumenfrau, tief verschleiert und krumm, stand vor der Medresse, eine stumme Larve. Akramow sah sie aufmerksam an, dann ging er schnell zurück, durchquerte mit Ulug den verwilderten Garten, schlug einen großen Bogen hinter dem Gebäude und führte ihn hinter die Tillja-Kari-Medresse. Sie stiegen die Stufen einer Treppe empor. Im Kreuzgang saß ein junger Mann mit angezogenen Knien am Boden und lächelte breit, als er Akramow erblickte. Die Schneidezähne des Mannes standen schief, er trug eine mit silbernen Ornamenten bestickte Tjubetejka, sonst aber Hemd und Hose wie ein Europäer. »Die Blumenfrau, glaube ich«, sagte Akramow zu ihm, »sie wirkt wie ein Mann.« »Das werden wir bald haben.« Der Mann erhob sich und schüttelte Ulugs Hand. Er war groß und hager. »Ich bin Murat. Geht schon zu ihm hinein.« Hamsa saß in einer Zelle und schrieb, die Besucher traten ein und blieben eine Weile an der Tür stehen. Ulug sah sich den Mann genau an, dessen Gedichte er auswendig kannte. Mit Sawrija zusammen hatte er sie aufgesagt. Seine Stücke hatten sie im Unterricht behandelt. »Ich grüße euch. Setzt euch doch. Dich kenne ich auch, du bist der Bruder Scharafats, sie wird bald in Samarkand Theater spielen.« Hamsa sprach schnell und schien nervös zu sein. Akramow hatte Ulug erzählt, dass Hamsa nur wenig schlafe. »Scharafat? Hier?« Hamsa nickte. Dann wandte er sich an Akramow:
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Seitenzahl: 134
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Heinz Kruschel
Das Ende der Basmatschen
ISBN 978-3-95655-116-1 (E-Book)
Das Buch erschien erstmals 1972 im Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin.
Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta
Sag, wie lange wandertest du dein Leben,
Gleich im stetigen Schritt der Tage und Nächte,
Auf den Straßen, die lang sind und krumm sind,
Schlecht gepflastert mit schlechter Erfahrung,
Lügenumwuchert, wanderst streng fürchtend
Abzuirren vom Weg unter der Sonne oben, die
Gleich entfernt bleibt im Bogen, aber
Deine Füße versanken im Staub der Nähe?
Dann geschah, dass Wolken jäh aufeinanderstießen,
Sprühende Steine, dass plötzlich zu sehen, was
Schlief da unter der Müdigkeit Asche, dass
Deines Herzens Muschel aufbrach vom Hieb
Dieses uralten Gesetzes der Menschenwelt:
Stimme wie Hieb und Schneide, wie Kosmosschwingen,
Raum durchstoßend, Ferne durcheilend zwingt Liebe
Auch den Strengsten zur Aufrichtigkeit des Herzens.
Sulfia, aus »Gesetz der Liebe« übertragen von Klaus Wolf
Die Wüste heißt Tschul. Sie ist grau und. kahl wie ein Steppenwolf. Der Mann reitet den ganzen Tag, sein Pferd lahmt. Im letzten Kischlak, einem Dorf von zweihundert Seelen, haben sie ihm kein neues Pferd gegeben.
Der Abend kommt. Es ist nicht mehr weit bis Taschkent, aber der Mann muss übernachten. Er steigt ab, schnallt die gesteppte Decke los und rollt sie auf. Der Mann ist jung, sein Chalat ist staubig, aber von feinem Tuch. Als er den ledernen Schlauch abbindet, merkt er, dass es nicht sein eigener ist.
Dieser hier ist alt und brüchig und nur zu einem knappen Viertel gefüllt. Er denkt: Sie haben mir den Wasser schlauchvertauscht, und sie haben mir kein Pferd gegeben, ich habe ihnen nichts getan, ich hätte ihnen das Pferd gut bezahlt. Hatten die Ältesten solche Angst vor dem Dorfsowjet?
Er lässt das Pferd trinken, legt sich dann hin und wickelt sich fest in die Decke. Die Wüste ist nicht sandig, der Boden fasst sich kühl und schwer an. Die Erde könnte Früchte tragen, wenn man sie bewässerte.
Der Mann blickt besorgt auf das Pferd. Er hätte doch ein Kamel nehmen sollen. Es kann sein, dass er morgen das Pferd erschießen muss. Es liegt auf der Erde und versucht, mit dem Maul ein paar blattlose Kräuter zu erreichen. Der Mann weiß, dass er ohne Pferd zu spät nach Taschkent kommen wird.
Aber er weiß nicht, dass ihm vom letzten Kischlak aus ein Mann gefolgt ist, ein Mann auf einem kräftigen Kamel, mit prall gefüllten Wassersäcken.
Der Verfolger hält auch an, um zu übernachten. Er ist jung und untersetzt, sein Gesicht ist hellbraun, der Chalat ist aus braunem, grobem Wollstoff.
Der Verfolger schläft zwei oder drei Stunden, dann wartet er, bis die Sonne aufgeht, und sieht zu, wie sich der Mann in der weiten Senke vor ihm um das Pferd bemüht, wie er einen Revolver aus dem breiten Gürtel zieht. Dann hört er einen Schuss.
Als der junge Mann den Sattel abschnallt und die Taschen leert, die das Pferd getragen hat, steigt der Verfolger auf das Kamel und reitet langsam dem Manne entgegen. Der steckt den Revolver in das Hüfttuch zurück, behält aber seinen Griff in der Hand - bereit, die Waffe herauszureißen.
Der Verfolger hebt die Hände und zeigt ihm die offenen Handflächen. Dann legt er die rechte Hand auf das Herz und grüßt: »Salam alaikuml«
Der junge Mann erwidert den Gruß: »Alaikum salam.«
Der Verfolger steigt ab. -
Der Staub war überall in der Stadt, auf den Straßen und in der Luft. Ein böiger Wind wirbelte ihn auf. Es hatte monatelang nicht geregnet.
Tamerlan ging schnell. Seit drei Tagen war er in Taschkent. Seit drei Tagen hatte er den Mullah nicht sprechen können. Ein ihm unbekannter Kirgise hatte die Botschaft an sich genommen und ihm gesagt, er solle warten.
Misstrauten sie ihm?
Er wollte die Schwester mitnehmen, das musste der Mullah einsehen, die Schwester konnte nicht länger im Hause von Ungläubigen bleiben. Sie besuchte sogar eine ihrer Schulen, die in einem geschlossenen Hof untergebracht war. Nein, Sawrija gehörte zu ihm, er war nun das Oberhaupt der Familie, und Sawrija wusste das auch. Sawrija liebte ihren älteren Bruder. Und er liebte sie.
Viele Menschen waren auf den Straßen. Tamerlan achtete nicht auf sie. Die Frauen mit ihren Schleiern glichen stummen Larven. Manchmal sah er unverschleierte Frauen und wandte das Gesicht ab. In dem Menschenstrom, der zum Basar drängte, fühlte sich Tamerlan wohl. Er wechselte auch nicht die Straßenseite, wenn ihm eine Milizstreife entgegenkam.
Aber dann, hinter der Brücke, schrien gellend die Larven auf, sie waren nicht stumm, sie schrien und drängten sich verängstigt zusammen. Eine Frau, sehr jung, ein Mädchen noch, hetzte den Ständen der Händler und den Werkstätten der Handwerker entgegen, gefolgt von einem dicken Usbeken, dessen Turbanenden sich während des Laufes lösten.
Der dicke Mann lief schnell. Er hielt ein Messer in der rechten Hand. Einen Augenblick lang dachte Tamerlan daran, ihm ein Bein zu stellen. Er überlegte zu lange. Der Mann war schon bei der Frau, packte sie am Haar und stieß das Messer in ihren Rücken. Einmal. Sie brach zusammen, ohne einen Schrei. Tamerlan trat heran. Die Frauen flohen kreischend.
Der dicke Mann stand teilnahmslos, das Messer in der Hand, die schlaff herabhing. Er stand und blickte auf die vor ihm liegende Frau. Seine Augen waren ausdruckslos und stumpf, er stand und starrte. »Sie hat das nackte Gesicht gezeigt«, sagte ein alter bärtiger Tadshike zu Tamerlan.
»Das tun schon viele«, sagte Tamerlan, »man kann sie nicht alle töten.«
»Aber sie war seine Frau.«
Andere widersprachen dem Alten. Eine Schande sei das, über zehn Jahre nach der Revolution, eine mittelalterliche Sitte. Einige Männer hatten einen Kreis um den Mörder gebildet, keiner von ihnen nahm ihm das Messer aus der Hand, sie umringten ihn nur und warteten auf die Miliz. Eine Greisin kniete nieder und streichelte das Gesicht der jungen Frau.
Tamerlan überquerte die Straße und stieg die Stufen zu der Medresse Kukeldasch hinauf. Bevor er in dem dunklen Eingang verschwand, drehte er sich um und sah, wie der dicke Usbeke von zwei Milizionären verhaftet wurde. Er leistete keinen Widerstand, gab das Messer hin und wurde abgeführt.
Einen Augenblick fühlte sich Tamerlan kraftlos und lehnte sich an die kühle Mauer. Er hatte Sawrija in jedem Jahr einige Male gesehen, aber immer nur für kurze Zeit, was wusste er schon von ihr? Was wusste er noch von ihr? Sie war kein Mädchen mehr, dem man Märchen erzählen konnte, sie war fünfzehn Jahre alt und heiratsfähig.
Tamerlan sah noch zu, wie die junge Frau weggebracht wurde, einige Männer legten sie auf einen zweirädrigen Wagen und deckten sie zu.
Wenig später stieg er die enge, steile Wendeltreppe hinauf, die auf das Dach der blau verzierten Medresse Kukeldasch führte. Aber kein Mensch war oben. Und heute hatte er den Mullah erwartet. Er trat an die Brüstung. Unter ihm lag der Platz der vier Wasser. Die Geräusche der Feilschenden drangen schwach herauf, aber das Leben pulsierte auf dem Basar. Blumen, getrocknete Früchte, Grippekugeln, Geschirr, Brotfladen, Schaffleisch und Vögel wurden angeboten, ein Kampf zweier Hähne wurde vorgeführt. In holzverschalten Nischen saßen die Wiegenbauer und Bettschnitzer, hobelten und pinselten und versuchten, einander zu überschreien und die Käufer anzulocken. Nur die Kupferschmiede hockten still und stolz vor ihren kleinen Feuern und konzentrierten sich ganz auf die Arbeit: aus einem Stück einen Krug anzufertigen.
Hinter sich vernahm Tamerlan ein Geräusch. Er wandte sich um. Ein beinamputierter Mann, der auf einem flachen Karren saß, befand sich auf dem Dach. Eine Weile sahen sich die beiden Männer an. Der Krüppel war von einem Alter, das man schwer bestimmen konnte, ein hagerer Mann mit eingefallenem Brustkorb, einer ledernen Haut und pockennarbigem Gesicht. Er war wie ein Bettler gekleidet, sein Chalat war zerlumpt, der Turban von schmutzigem Grau. In Buchara hatte Tamerlan Hunderte von Krüppeln gesehen, in der wundersamen Stadt erhofften sie Heilung und Trost.
»Du bist Tamerlan?«
Keine Antwort. Der Krüppel zeigte ihm die grüne, dünne Scherbe eines glasartigen Steins. Er war im Aufträge des Mullahs da.
»Ja.«
»Der Friede sei mit dir.«
»Wie heißt du?«
»Nenne mich Pulad Ikramow.«
»Warum will mich der Mullah nicht sprechen?«
»Er hat mich beauftragt.«
Tamerlan spürte Zorn in sich aufsteigen, und er hatte Mühe, nicht unhöflich zu werden. »Ich wollte ihn sprechen.«
»Du bist mit diesem Fremden gekommen ...«
»Ist er etwa verdächtig?«
»Ja. Und er ist dein Freund.«
»Das stimmt. Er hat mir in der Wüste das Leben gerettet. Und höre zu, Pulad Ikramow oder wie du heißen mögest: Georgi Urasarjew war Kadett und Offizier, er ist unter falschem Namen von Russland bis Taschkent gekommen, nicht fliehend, sondern kämpfend. Er will zu uns, er sucht uns, wo soll er denn hin? Dass ich noch lebe, verdanke ich ihm. Ich musste mein Pferd erschießen und hatte kein Wasser mehr, mitten in der Wüste ...«
»Das wissen wir schon, Tamerlan.«
»Na also. Stellt ihn auf die Probe.«
»Das werden wir. Er ist kein Russe?«
»Nein. Er ist in Usbekistan geboren, seine Eltern haben in Moskau gelebt, dort ist er aufgewachsen.«
»Du willst deine Schwester mitnehmen?«
»Sie gehört zu mir.«
»Soll sie mit dir in die Berge gehen?«
Wie ein Verhör, dachte Tamerlan unwillig. »Später vielleicht«, sagte er, »zuerst soll sie in Buchara bei guten Freunden bleiben.«
Der Krüppel nickte zustimmend. »Hier wohnt sie in einem Ui, die Leute sind einfach, aber sie sind gegen uns. Ihre Tochter spielt sogar Theater und hat den Schleier abgelegt. Willst du deine Schwester verheiraten? Oder verkaufen?«
»Davon kann keine Rede sein«, sagte Tamerlan barsch, »und es hat dich auch nicht zu interessieren. Werde ich den Mullah noch sehen?«
»Kaum.«
»Soll ich keine Antwort mit zurücknehmen?«
»Du wirst nicht allein reiten. Ihr brecht morgen Nacht auf.«
»Wohin?«
»Du wirst es erfahren.«
Tamerlan fragte nicht weiter. Er spürte, dass der Krüppel das Gespräch beenden wollte. Er ärgerte sich. Seit Jahren war er bei den Basmatschen in den Bergen, seit Jahren vertrauten ihm sogar Busruk Hodscha, Abdullah und Ibrahim Beg. Er hatte selber Gruppen in den Kampf geführt - dieser Bettler aber, der das Recht hatte, ihn auszufragen, misstraute ihm.
In den Wirren der Revolution, die in den turkestanischen Gebieten erst einige Jahre später als in Leningrad und Moskau siegte, waren Tamerlans Eltern - wohlhabende usbekische Geschäftsleute, die mit einflussreichen Russen verkehrt hatten - ums Leben gekommen. Tamerlan und seine kleine Schwester Sawrija wuchsen in einem Kinderheim auf. Die Jahre verflossen wie Tage, manchmal erinnerte er sich daran, wie er Sawrija persische Märchen erzählt hatte ...
Dann holten sie ihn. In einer Nacht verließ er das Heim, ein Onkel des Vaters brachte ihn in die Berge von Wuadil und Schachimardan. Du bist alt genug, um zu kämpfen, Tamerlan, räche Vater und Mutter, die Gläubigen werden ein eigenes Reich haben, einen muselmanischen Staat, die Engländer unterstützen uns dabei, in Turkestan werden die Bolschewiki nicht siegen.
Sie kämpften seit Jahren den Heiligen Krieg. Tamerlan war dabei, als sie in den Bergen eine Einheit der dritten Turkmenischen Brigade bis auf den letzten Mann vernichteten. Aber wie viele Kämpfer hatten sie selbst schon verloren? Der Onkel war gefallen, und manchmal schien es Tamerlan, als glaubten die Engländer nicht mehr an einen muselmanischen Staat, der ihnen den Weg nach Indien freihalten könnte.
Sawrija war überrascht gewesen, als er ihr sagte, sie würden nun zusammenbleiben. Überrascht und traurig. Da gab es einen Jungen in ihrem Alter: Ulug, der jüngste Sohn der Familie, in der sie lebte. Es wird ihr leid tun, ihn zu verlassen. Aber sie wird sich an alles gewöhnen. Aber ob sie wirklich wollte?
Er scheuchte den Gedanken zurück. Wollen. Er war nicht nur ihr Bruder, er vertrat den Vater, Sawrija musste gehorchen. Und seine Schwester würde gehorchen, sie war sanft, sie hatte ihm immer gehorcht.
Der Beinamputierte sah zu dem jungen Manne mit den ebenmäßigen Gesichtszügen auf. Tamerlan war von straffer, biegsamer Gestalt, seine Haut war so glatt, dass der Mann unwillkürlich mit den Fingerspitzen über die Narben des eigenen Gesichts tastete, über seine wimpernlosen Augen und den rissigen, grauen Mund. Dann legte er die rechte Hand auf das Herz und verneigte sich. Das Gespräch war beendet.
»Wo ist der Treffpunkt?«, fragte Tamerlan. »Und wann?«
»Zwei Stunden nach dem Abendgebet. Wie immer im Park der alten Moschee ... Deine Schwester und der Fremde aber ...«
»Was?«
»Sie sollen sich erst gegen Mitternacht dort einfinden, nicht eher. Sie sollen nicht erfahren, dass du früher an der gleichen Stelle sein wirst.«
»Gut.«
Der Bettler rollte seinen Karren bis an die Brüstung zurück und wartete, dass Tamerlan das Dach verließ.
Auf der Straße war es kühler und noch windiger geworden. Der Staub bedeckte schon den Blutfleck, der Staub und ein Zweig weißen Flieders. Die Miliz würde den Festgenommenen verhören. Aber der Mörder würde nur sagen können: »Sie hat die Gesetze des Scheriats verletzt, sie hat ihr Gesicht geöffnet und die Parandscha abgelegt. Eine Frau, die ihr Gesicht zeigt, muss sterben.«
In einer Tschaichana, einer kleinen Teestube unweit des Bossu, wie das tanzende Wässerchen genannt wurde, das den russischen Teil der Stadt von den usbekischen Lehmhäusern abgrenzte, traf sich Tamerlan mit Georgi Urasarjew. Sie begrüßten sich, hockten mit übergeschlagenen Beinen auf dem abgewetzten Teppich der Teestube und sahen zu, wie der grüne Tee aufgebrüht wurde. Beide beherrschten sich. Es war nicht üblich, sich sogleich Neuigkeiten mitzuteilen. Dann tranken sie. Tamerlan blickte auf Georgi, auf die Bewegungen, mit denen er die Piala, die flache Tassenschale, anfasste. Nicht wie ein Fremder, dachte er.
Dann fragte Georgi: »Nehmt ihr mich auf?«
Tamerlan nickte. Er sagte nicht, dass der Mullah misstrauisch war.
»Ich danke dir.«
»Ich bin es, der in deiner Schuld steht, du hast mir das Leben gerettet.«
»Du hättest das auch getan.«
Tamerlan dachte: Ich bin mir dessen nicht so sicher, ich muss vorsichtig sein und darf mich nicht unnötig in Gefahr bringen. Aber Georgi hat mich gerettet, ohne dass er gefragt hat, wer ich bin oder zu wem ich gehöre. Wir haben über vieles gesprochen, ich habe ihn auf die Probe gestellt, als wir zusammen auf seinem Kamel weitergeritten sind. »Dieses Land«, hatte Georgi gesagt, »wird sich nie von dem fernen Moskau aus beherrschen lassen ...«
»Du wirst mit Sawrija auf uns warten, Georgi, ich sage dir noch, wann und wo.«
»Auf uns? Wir reisen nicht allein?«
»Nein.«
»Ich habe mich mit deiner Schwester schon bekannt gemacht, die Leute sind gut, bei denen sie lebt, der Mann arbeitet in einer Seidenfabrik, ein Analphabet, die Frau ist bescheiden und Ulug, der Sohn, ein lustiger Bursche. Aber da ist Scharafat, die Tochter, die den Schleier nicht mehr trägt und sogar Theater spielt.«
»Sie raubt anderen Menschen die Seele«, sagte Tamerlan, »es wird für Sawrija höchste Zeit, dass sie dieses Haus verlässt.«
Georgi dachte: Ob er das alles glaubt? Die Muselmanen denken, dass ein Maler kein menschliches oder tierisches Wesen darstellen, dass ein Schauspieler keinen anderen Menschen spielen dürfe. Die Mullahs verbieten es, sagen, es sei unmenschlich, anderen Wesen Herz und Seele zu stehlen. Ob er das alles glaubt? Ich werde ihm nicht sagen, dass Ulug und Sawrija zusammen eine Schule besuchen, sonst würde er sie noch bestrafen. Oder weiß er das und schweigt dazu? Es müssen mehr Basmatschen in der Stadt sein, als wir vermutet haben. Was planen sie? Oder treffen sie sich nur hier, um ihren Gruppen in den Bergen zu Hilfe zu kommen? Georgi lächelte vor sich hin. Wenn du wüsstest, dass ich es gewesen bin, der im letzten Kischlak vor Taschkent die Ältesten und den Sowjet davon überzeugt hat, dir kein Pferd zu verkaufen, dass ich es gewesen bin, der die ledernen Wasserbeutel vertauscht hat, dass ich dir schon von Buchara aus auf den Fersen bin. Du bist mein Trumpf, Anatol wird sich wundern ... Aber noch habe ich keinen ihrer Führer gesehen, noch kann es für mich kritisch werden ...
Georgi Urasarjew wäre viel lieber in Moskau, aber was sollte er machen? Die Genossen hatten recht. Du bist in Taschkent geboren, du sprichst schneller usbekisch und tadshikisch als der Mullah in der Moschee, du bist hellbraun und schwarzhaarig, einen besseren Aufklärer können wir nicht schicken. Mein lieber Genosse, wenn die Sowjetmacht endgültig in Mittelasien siegen will, dann muss sie neunzehnhundertneunundzwanzig mit den Basmatschen fertig werden. Und nicht mit einer kleinen Gruppe, nein, der Kern, die Führung und die englischen Verbindungsleute müssen vernichtet werden, du kannst dein Studium später fortsetzen, du heißt jetzt Georgi Urasarjew, bist ein ehemaliger Offizier Koltschaks, hast deine Eltern verloren, also benimm dich wie ein Weißgardist, aber übertreibe nicht, deine Papiere sind echt, du brauchst nicht den Muselmanen zu spielen, das würden sie dir nicht glauben; aber sie müssen dir glauben, dass du aus vielerlei Gründen die Bolschewiki hasst, immerhin hat dein Vater durch sie sein Gut verloren und ist von ihnen erschossen worden ...
Georgi dachte: Hoffentlich ist dieser Tamerlan, dieser fanatische Jüngling, eine echte heiße Spur, die mich weiterführt. Anatol hat in der Zentrale nicht daran geglaubt, aber ich habe so ein Gefühl, auf der richtigen Fährte zu sein. Wissen möchte ich, ob sie in Taschkent noch etwas vorhaben, aber fragen kann ich nicht und darf ich nicht, Tamerlan muss fest zu mir halten, er ist mein wichtigster Bürge ...
Sie tranken Tee und aßen rundes Brot, das sie in Stücke rissen. Das Brot war noch warm. Graue Esel trippelten vorüber, auf ihnen saßen alte Männer mit spitz geschnittenen Bärten.