Das Haus Zamis 98 - Logan Dee - E-Book

Das Haus Zamis 98 E-Book

Logan Dee

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Beschreibung

Noch sechs Stunden Frist!
Kaum hatte ich das Café verlassen und war auf den Bürgersteig getreten, spürte ich die Veränderung. Ein Wispern und Raunen hing in der Luft. Und doch wusste ich, dass es nur für meine Ohren bestimmt war. Die Passanten, die um mich herum ihren Besorgungen nachgingen, störten sich nicht daran.
Auch nicht an den Schatten. Die Schatten versteckten sich hinter den Menschen. Ich nahm sie nur aus den Augenwinkeln wahr. Immer dann, wenn ich genau hinschaute, duckten sie sich wieder weg, als wollten sie ein Fangspiel veranstalten.
Etwas Feuchtes benetzte meinen kahlen Kopf. Im ersten Moment glaubte ich, dass es regnete, und wischte mir mit der Hand über den Schädel.
Die übrigen Fußgänger spannten ihre Schirme auf. Für sie war es normaler Regen.
Nur ich sah, dass es Blut war!

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Seitenzahl: 136

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Inhalt

Cover

Was bisher geschah

DAS HÖLLISCHE KIND

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

mystery-press

Vorschau

Impressum

Coco Zamis ist das jüngste von insgesamt sieben Kindern der Eltern Michael und Thekla Zamis, die in einer Villa im mondänen Wiener Stadtteil Hietzing leben. Schon früh spürt Coco, dass dem Einfluss und der hohen gesellschaftlichen Stellung ihrer Familie ein dunkles Geheimnis zugrundeliegt. Die Zamis sind Teil der Schwarzen Familie, eines Zusammenschlusses von Vampiren, Werwölfen, Ghoulen und anderen unheimlichen Geschöpfen, die zumeist in Tarngestalt unter den Menschen leben. Die grausamen Rituale der Dämonen verabscheuend, versucht Coco den Menschen, die in die Fänge der Schwarzen Familie geraten, zu helfen. Ihr Vater sieht mit Entsetzen, wie sie den Ruf der Zamis-Sippe zu ruinieren droht. So lernt sie während der Ausbildung auf dem Schloss ihres Patenonkels ihre erste große Liebe Rupert Schwinger kennen. Auf einem Sabbat soll Coco zur echten Hexe geweiht werden. Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie der Dämonen, hält um Cocos Hand an, doch sie lehnt ab. Asmodi kocht vor Wut und verwandelt Rupert Schwinger in ein Ungeheuer.

Seitdem lässt das Oberhaupt keine Gelegenheit aus, gegen die Zamis-Sippe zu intrigieren. Michael Zamis sucht indes Verbündete unter den Oppositionsdämonen, die sich Asmodis Sturz auf die Fahnen geschrieben haben. Sein Unternehmen scheitert, und er wird von Asmodi zur Strafe in eine krötenartige Kreatur verwandelt. Während eines Schwarzen Sabbats wird Asmodi von Thekla Zamis vorgeführt. Aus Angst vor seiner Rache flüchten die Zamis aus Wien. Während Thekla verzweifelt versucht, Verbündete zu gewinnen, sind ihnen die Verfolger dicht auf den Fersen. Am Ende kehren alle ohne Ergebnisse zurück nach Wien. Der Grund: Michael Zamis hat sich in seiner Freakgestalt ebenfalls auf den Weg dorthin gemacht. Schließlich erlöst Asmodi Michael Zamis von seinem Freak-Dasein. Im Gegenzug soll Coco Asmodis missratenen Sohn Dorian Hunter töten. Es gelingt Coco, Dorian zu becircen – doch anstatt den Auftrag sofort auszuführen, verliebt sie sich in ihn. Zur Strafe verwandelt Asmodi Dorian Hunter in einen seelenlosen Zombie, der fortan als Hüter des Hauses in der Villa Zamis sein Dasein fristet.

In Wien übernimmt Coco ein geheimnisvolles Café. Sie beschließt, es als neutralen Ort zu etablieren, in dem Menschen und Dämonen gleichermaßen einkehren. Zugleich stellt Coco fest, dass sie von Dorian Hunter schwanger ist.

Das Café Zamis erhält Besuch von Osiris' Todesboten. Sie überbringen die Nachricht, dass Coco innerhalb einer Woche sterben wird. Ebenso erhalten ihr Vater Michael und Skarabäus Toth die Drohung. Alle drei bitten Asmodi um Hilfe, müssen dafür jedoch das für sie jeweils Wertvollste als Pfand hinterlegen. So wird Coco ihr ungeborenes Kind entrissen.

Unterdessen verschwindet Cocos Bruder Volkart. Er hat sich auf die Suche nach seinem tot geglaubten Zwillingsbruder Demian begeben ...

DAS HÖLLISCHE KIND

von Logan Dee

Noch sechs Stunden Frist (Coco)

»Du hast Lilian auf dem Gewissen!«

Der Satz der Callas hing wie ein Todesurteil in der Luft. Sowohl was Lilian betraf, als auch mich, die Angeklagte.

Im Café herrschte Stille. Betretene Stille. Karl hatte sich hinter seine geliebte Theke wie hinter einen Schutzwall zurückgezogen. Die Kippe im Mund, polierte er stoisch seine Gläser blank, obwohl die bereits um die Wette glänzten. Tschick hatte ebenfalls ein Glas in der Hand. Er schaute hinein, als würde er darin die Zukunft lesen. Es war halb leer, und anscheinend überlegte er, ob er das schal gewordene Bier noch trinken sollte oder nicht. Außer uns war niemand im Café. Kein Gast, und Vindobene hatte es vorgezogen, sich unsichtbar zu machen. Ich hatte keine Ahnung, wo er steckte. Wahrscheinlich wäre ich vor ein paar Monaten noch in die Luft gegangen und hätte mich furchtbar über die Callas aufgeregt. Vielleicht wäre ich ihr sogar an die Gurgel gesprungen. Und hinterher hätten wir wieder Frieden geschlossen.

1. Kapitel

Aber ich war reifer geworden. Ich hatte mich verändert. Ob zu meinem Vor- oder Nachteil, das war mir noch nicht ganz klar. Manchmal vermisste ich meine Unbekümmertheit. Meine Spontaneität.

Jetzt zum Beispiel.

Ich sah von einem zum anderen und analysierte die Situation. Die Callas hatte den ersten Zug gemacht. Sie war die angreifende Dame. Karl und Tschick standen hinter ihr, waren aber nicht mehr als Bauern, die ihr keinen wirkungsvollen Beistand leisten würden.

Auf keinen Fall würden sie sich opfern. Vielleicht wechselten sie sogar die Seite, wenn meine Argumente sie überzeugten.

Die Augen der Callas funkelten mich zornig an. Es missfiel, dass ich nicht gleich in die Defensive ging.

»Karl, bist du so lieb und machst mir einen großen Braunen?«, bat ich.

Karl nickte, legte Glas und Tuch beiseite und begab sich zu seiner Espressomaschine. Fast hatte ich den Eindruck, dass er froh war, auch dahinter verschwinden zu können.

Ich gewann etwas Zeit, während der Automat wie ein Drache fauchte und ächzte und spuckte. Dennoch wusste ich nicht, wie die Unterredung enden würde. Ich fühlte mich mies.

Auf der einen Seite übernahm ich sehr wohl die Verantwortung für das, was mit Lilian geschehen war. Auf der anderen Seite fühlte ich mich von den dreien einfach ungerecht behandelt. Anstatt sich zu freuen, dass wenigstens ich glimpflich davongekommen war, empfingen sie mich wie eine Mörderin. Und das in meinem eigenen Café!

Ich hatte ihnen erzählt, was passiert war. Irgendwo auf offener Straße in der Weidegasse im III. Wiener Gemeindebezirk war ich wieder in unsere Gegenwart gelangt. An dem Ort, wo sich fast sechshundert Jahre zuvor, im Jahr 1421, die Gänseweide, der Wiener Richtplatz, befunden hatte.

Mit letzter Kraft hatte ich mich ins Café geschleppt und mich in mein Refugium verkrochen. Meine Unterschenkel waren vom Spanischen Stiefel ziemlich zerschunden, wenn auch nicht gebrochen. Mein kahl rasierter Kopf war von der Rasur noch immer stellenweise mit Blutschorf bedeckt. Meine Haut war teilweise angesengt, die heißen Eisenfesseln hatten meine Füße verletzt.

Die Heilzauber, die ich wirkte, funktionierten nicht so schnell, wie ich erhofft hatte. Es musste damit zusammenhängen, dass die Verletzungen mir in der Vergangenheit zugefügt worden waren. Allmählich spürte ich Linderung, doch es würde wahrscheinlich noch Tage dauern, bis alle Wunden verheilt und alle Narben verblasst sein würden.

Ich hatte mich schließlich gewaschen, umgezogen und so weit zurechtgemacht, dass ich als einigermaßen präsentabel durchging.

Zumindest stand ich nicht mehr im Büßerhemd vor ihnen. Den Fetzen hatte ich als Erstes entsorgt. Geblieben war das Gefühl, noch immer nach Schwefel zu stinken.

»Was ist? Warum antwortest du mir nicht?«

Langsam wandte ich meinen Blick wieder der Callas zu. Mir wurde bewusst, dass ich noch immer viel zu wenig über sie wusste. Nicht mehr als über Tschick. Ab und zu hatten sie Andeutungen gemacht. Sie gehörten wie Karl einfach zum Café, waren so etwas wie ewige Stammgäste, und wie Karl waren sie auf eine geheimnisvolle Art mit dem Ort verbunden. Viel mehr hatte ich bisher nicht herausgefunden.

Die Callas hielt meinem Blick stand. Äußerlich präsentierte sie sich mir als verlebte Frau mit auftoupierten wasserstoffblonden Haaren. Wie sie so dasaß auf ihrem Barhocker, hätte sie auch eine in die Jahre gekommene Bordsteinschwalbe abgeben können. Aber ich wusste, dass mehr dahintersteckte. Sie war etwas Besonderes, und sie hütete ihr Geheimnis gut.

»Ich habe Lilian nicht auf dem Gewissen«, entgegnete ich endlich. »Wir konnten nicht anders. Wir hatten keine Wahl. Vindobene und ich kamen nicht an Lilian heran. Wir haben sie aus den Augen verloren. Ihr Wahnsinn hat ihr Schicksal bestimmt.«

Nie hätte ich gedacht, dass ich nach meiner glücklichen Rückkehr in die Gegenwart gezwungen sein würde, mich zu verteidigen. Dabei hatte ich den dreien detailliert erzählt, was vorgefallen war. Umso enttäuschter war ich über die Reaktion.

»Wie ich sehe, ist es euch egal, ob ich wieder hier bin oder nicht«, sagte ich schließlich. »Dann kann ich ja gleich wieder gehen ...«

Natürlich hatte ich nicht vor, das Café zu verlassen. Aber ich drehte mich auf dem Absatz um, in der Absicht, mich erneut in mein Refugium zu verkriechen.

»Halt!« Der Ruf der Callas hatte etwas Bestimmendes, und ich ließ mich tatsächlich bewegen, mich ihr erneut zuzuwenden.

»Ich glaube dir«, sagte sie. »Aber es wäre uns gegenüber nur fair, wenn Vindobene deine Worte bestätigte.«

»Du glaubst diesem windigen Dämon mehr als mir?«

»Nein, aber ich bin sicher, er wird mich nicht anlügen.« Zum ersten Mal lächelte sie. Einmal mehr fragte ich mich, welche Kräfte sie besaß, von denen ich nichts wusste.

Tschick löste sich von dem Anblick seines Glases und schaute mich ebenfalls an. »Natürlich glauben wir dir, Pupperl. Ich bin froh, dass du wieder hier bist. Du gehörst hierher, ins Café, genau wie wir.«

»Vielen Dank«, erwiderte ich spöttisch. »Schön, dass du mir als Gast die Welt erklärst.«

Der alte Mann kicherte und entblößte vom Rauchen gelbbraun verfärbte Zahnreihen.

»Hast ja recht, Pupperl, du bist der Boss. Wollte dir auch nicht reinreden. Freu mich einfach, dass du wieder da bist. Nur dein Eislaufplatz gefällt mir nicht.«

Ich musste tatsächlich einen Augenblick überlegen, was er damit meinte. Meinen kahl geschorenen Kopf! Ich musste lachen, aber diesmal aus vollem Herzen. Irgendwie war plötzlich das Eis gebrochen. Die Spannung, die zwischen den anderen und mir geherrscht hatte, löste sich. Selbst Karl rang sich ein Lächeln ab.

»Die Haare wachsen wieder nach«, beruhigte ich Tschick.

Wenn dazu noch genügend Zeit ist, setzte ich in Gedanken hinzu. Immerhin blieben mir mal gerade noch sechs Stunden, um mir etwas gegen die Todesboten zu überlegen.

»Und wo ist der Angstscheißer jetzt hingerannt?«

Diesmal verstand ich ihn sofort. Er meinte Vindobene.

Ich zuckte die Schultern. »Er wird schon wieder auftauchen.« Und an die Callas gewandt: »Er wird euch meinen Bericht bestätigen. Übrigens ging es ihm zwischenzeitlich ganz schön schlecht.«

»Verdient hat er's, der Dadalatsch!«1

»Außerdem habe ich auch noch einige Fragen an ihn. Ich wusste nicht, dass Vindobene in der Zeit reisen kann.«

Es gab noch mehr, das ich nicht wusste. Wie ging es zu, dass Vindobene nach dem Verschwinden des Todesboten aus der Zwischendimension freigekommen war?

Wie auch immer: Er würde mir einiges zu erklären haben. Vielleicht aber auch nicht. Dämonen wie Vindobene erwiesen sich als Meister im Verschweigen und Drumherumreden, sobald man versuchte, ihnen ihre Geheimnisse zu entlocken. Wichtig war, dass ich wieder in der Gegenwart weilte.

Während ich mir erzählen ließ, was in den letzten Tagen im Café passiert war, servierte mir Karl den großen Braunen. Ich schüttete aus dem kleinen Kännchen Kaffeeobers dazu und sog genießerisch das Aroma ein. Dabei war mir durchaus bewusst, dass es vielleicht der letzte große Braune meines Lebens war, den ich zu mir nahm.

»Und was hast du jetzt vor, Pupperl? Willst du hier rumhängen, bis dich die Schwarzen Männer holen kommen?«

Abermals zuckte ich mit den Schultern. Tschick hatte recht. Ich besaß keinen Vorwand, auch nur eine Minute Zeit zu verlieren.

Ich nahm einen weiteren vorsichtigen Schluck. Das Gebräu war mörderisch heiß. »Haben eigentlich mein Vater oder Toth nach mir gefragt?«

»Die haben sich nicht einmal blicken lassen. Einen Rabenvater hast du«, schimpfte die Callas ehrlich empört. Sie schien wieder auf meiner Seite zu sein.

Im Grunde musste sie froh sein. Vindobene hatte in Kauf genommen, dass Lilian restlos dem Wahnsinn verfiel. Ich vermutete, dass jeder Mensch solch einen Sprung durch die Epochen mit seinem Verstand bezahlte. Ursprünglich hatte die Callas mit Vindobene in die Vergangenheit reisen wollen, um mir beizustehen. Das hatte ich inzwischen herausbekommen. Doch hatte sich Lilian in letzter Sekunde dazwischengedrängt. Allerdings stellte sich dann die nächste Frage: War die Callas ein normaler Mensch?

Ich unterbrach den Gedankengang und konzentrierte mich wieder auf die Gegenwart: »Rabenvater hin oder her. Mich wundert, dass sich keiner nach mir erkundigt hat. Durch den Pakt wussten sie, dass ich in Gefahr schwebte. Sie müssen es gespürt haben.«

»Sie waren wahrscheinlich ganz froh, dich los zu sein«, gab die Callas zu bedenken. »Immerhin waren die Todesboten mit dir beschäftigt. Also hatten sie ihre Ruhe.«

»Da hast du auch wieder recht. Allerdings gebietet der Pakt, dass wir uns gegenseitig beistehen. Auch wenn sie mir nicht in die Vergangenheit folgen konnten, so hätten sie wenigstens Interesse zeigen können.«

Plötzlich wusste ich, was ich als Nächstes tun würde. »Ich fahre zu Toth«, verkündete ich. »Er wird mir einiges erklären müssen!

Kaum hatte ich das Café verlassen und war auf den Bürgersteig getreten, spürte ich die Veränderung. Ein Wispern und Raunen hing in der Luft. Und doch wusste ich, dass es nur für meine Ohren bestimmt war. Die Passanten, die um mich herum ihren Besorgungen nachgingen, störten sich nicht daran.

Auch nicht an den Schatten. Die Schatten versteckten sich hinter den Menschen. Ich nahm sie nur aus den Augenwinkeln wahr. Immer dann, wenn ich genau hinschaute, duckten sie sich wieder weg, als wollten sie ein Fangspiel veranstalten.

Etwas Feuchtes benetzte meinen kahlen Kopf. Im ersten Moment glaubte ich, dass es regnete. Ich wischte mir mit der Hand über den Schädel. Es war Blut. Die übrigen Fußgänger spannten ihre Schirme auf. Für sie war es normaler Regen. Nur ich sah es als Blut!

Innerhalb von wenigen Minuten war alles in ein Meer aus Rot getaucht: der Bürgersteig, die Häuser, die Menschen.

Ich ahnte, wer dahintersteckte: die Todesboten. Auf diese Weise teilten sie mir mit, dass sie mich nach wie vor im Visier hatten. Sie spielten mit mir Katz und Maus. Und sie demonstrierten, dass sie jederzeit zuschlagen konnten.

Ich durfte mich keine Minute lang sicher fühlen.

Ich hatte nicht vor, mich durch derartigen Schabernack ins Bockshorn jagen zu lassen. Und dennoch spürte ich, wie mein ohnehin schon fadenscheiniges Nervenkostüm weitere Risse bekam.

Eigentlich hatte ich direkt Skarabäus Toth aufsuchen wollen. Doch jetzt war ich mir nicht mehr so sicher, ob das eine so gute Idee war. Erst musste ich die Schatten abschütteln. Unwillkürlich beschleunigte ich meine Schritte.

Das vielstimmige Lachen im Kopf schwoll an. Ich fühlte mich an das Geschnatter von Gänsescharen erinnert. Es fiel mir immer schwerer, überhaupt noch einen klaren Gedanken zu fassen. Dazu gesellten sich Stimmen, kreischend und flüsternd, krächzend und schmeichelnd. Sie sprachen durcheinander, schienen aber alle dasselbe von mir zu wollen: Gib auf, Coco! Kehr um! Es hat keinen Zweck! Du wirst sterben! Vor deinem Schicksal kannst du nicht davonlaufen ...

Ich erreichte eine U-Bahn-Station, lief die Treppen hinab und tauchte in der Menge unter. Doch die Schatten ließen sich nicht abschütteln. Im Gegenteil. Je mehr Menschen mich umgaben, umso zahlreicher waren auch die Schatten, die sich hinter ihnen versteckten. Auch die Stimmen im Kopf wurden nicht etwa leiser. Sie schwollen immer mehr an, wurden drängender, direkter, unverschämter ...

Fast ohne mein Zutun ließ ich mich im Strom der Menschen mittreiben, automatisch setzte ich einen Fuß vor den anderen. Rasch verlor ich die Orientierung. Ich wusste weder, wohin ich trieb, noch wie ich hier rauskam. Schließlich fand ich mich auf einem Bahnsteig wieder. Er war überfüllt von wartenden Menschen. Und von Schatten!

Ich hatte den Eindruck, dass es immer mehr wurden. Sie versteckten sich in allen möglichen Winkeln und Nischen. Sogar in den Abfalleimern. Und sie waren immer gerade dort, wo ich nicht hinsah.

Ein Vibrieren verriet, dass sich eine U-Bahn näherte. Was würde passieren, wenn ich einstieg? Würden die Schatten mir folgen? Saß ich dann nicht erst recht in der Falle?

Während ich noch um einen Entschluss rang, fuhr die Bahn ein. Zischend öffneten sich die Türen, Fahrgäste strömten heraus, andere warteten ungeduldig, endlich einsteigen zu können. Der Lärm übertönte für eine Weile die Stimmen im Kopf.

Erneut versuchte ich einen klaren Gedanken zu fassen. Jemand rempelte mich an; gleichzeitig erhielt ich von hinten einen Ellenbogenstoß. Ehe ich mich versah, befand ich mich mitten in der Menge, die in die U-Bahn drängte.

Ich versuchte, mich daraus zu befreien. Da begriff ich, dass die Rempelei und der Stoß kein Zufall gewesen waren. Die Schatten zeigten sich mir nun offen. Sie hatten die Umrisse von Menschen, waren aber zweidimensional. Sicherlich besaßen sie keine großen Kräfte, aber in der Vielzahl bedeuteten sie doch eine Gefahr für mich. Außerdem waren sie imstande, mich zu berühren, das hatten sie bewiesen.

Nun prasselten ihre Schläge von allen Seiten auf mich nieder. Sie trieben mich immer näher auf eine der Bahntüren zu.

Ich versuchte, mich in den schnelleren Zeitablauf zu versetzen. Es misslang. Als ob die Stimmen im Kopf jeden vernünftigen Gedanken auslöschten.

Erneut konzentrierte ich mich. Da bekam ich einen weiteren Hieb in den Rücken. Er war so heftig, dass ich nach vorne fiel.

Direkt auf die geöffnete Tür zu.

»Coco! Nicht!«

Wie aus einer anderen Dimension vernahm ich die Stimme. Irgendwie kam sie mir bekannt vor. Gleichzeitig packte mich jemand von hinten und zog mich von der Bahnsteigkante zurück.