Das letzte Raumschiff - Michael Coney - E-Book

Das letzte Raumschiff E-Book

Michael Coney

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Beschreibung

Das Ende ist nahe!

Am 28. März 3256 wird unsere Sonne zur Nova, das besagen jedenfalls die Hochrechnungen. Bis dahin sind es zwar noch tausend Jahre, aber eine Menge vorausdenkender und wohlhabender Leute wollen Raumfahrtprogramme durchsetzen, damit ihre Nachkommen im Kälteschlaf zu den Sternen evakuiert werden können. Nur Wenige können sich das leisten – damit die gesamte Menschheit dafür schuftet, dass diese kleine Gruppe Auserwählter gerettet werden kann, wird sie von den Mächtigen konstant belogen. Matt ist der Pilot des letzten Shuttles, das von der Erde zu einem im Orbit wartenden Sternenschiff aufbricht, doch niemand weiß, dass es wirklich das letzte Schiff ist. Er verfügt über mentale Kräfte, mit denen er Kontakt zu seinem Ich in der Zukunft aufnehmen kann. Er lebt dann in einer ganz anderen Welt – haben die Menschen die Evakuierung zu den Sternen also überstanden?

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MICHAEL CONEY

DAS LETZTE RAUMSCHIFF

Roman

Das Buch

Am 28. März 3256 wird unsere Sonne zur Nova, das besagen jedenfalls die Hochrechnungen. Bis dahin sind es zwar noch tausend Jahre, aber eine Menge vorausdenkender und wohlhabender Leute wollen Raumfahrtprogramme durchsetzen, damit ihre Nachkommen im Kälteschlaf zu den Sternen evakuiert werden können. Nur Wenige können sich das leisten – damit die gesamte Menschheit dafür schuftet, dass diese kleine Gruppe Auserwählter gerettet werden kann, wird sie von den Mächtigen konstant belogen. Matt ist der Pilot des letzten Shuttles, das von der Erde zu einem im Orbit wartenden Sternenschiff aufbricht, doch niemand weiß, dass es wirklich das letzte Schiff ist. Er verfügt über mentale Kräfte, mit denen er Kontakt zu seinem Ich in der Zukunft aufnehmen kann. Er lebt dann in einer ganz anderen Welt – haben die Menschen die Evakuierung zu den Sternen also überstanden?

Der Autor

Titel der Originalausgabe

THE ULTIMATE JUNGLE

Aus dem Englischen von Hans Maeter

Überarbeitete Neuausgabe

Copyright © 1979 by Michael Coney

Copyright © 2015 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

1. Kapitel

Als ich die Station verließ, stand die Sonne dicht über dem Horizont, also nahm ich die Küstenstraße nach Hause. Etwa zwei Meilen entfernt, wo die Straße einen Bogen um den Klippenrand macht, stand ein Mensch mit erhobenem Arm. Der Ozean war jetzt in Sichtweite, die Sonne stand dunkelrot und tief über dem Wasser und schoss ihre Lichtspeere auf mich ab, so dass der Anhalter als rätselhafte Silhouette erschien. Es war unmöglich zu erkennen, ob er ein Mann war oder eine Frau, ob alt oder jung, ob es ein Typ war, der die Polster verdrecken oder mich in eine endlose, sinnlose Konversation verstricken würde. Ohne meine Motive zu analysieren, hielt ich ein ganzes Stück hinter ihm, so dass er oder sie ein paar Schritte auf mich zulaufen musste, mit der Sonne im Gesicht, so dass ich rasch weiterfahren konnte, wenn es notwendig sein sollte.

Es war ein Mann. Er wirkte sauber. Ich beugte mich zur Seite und öffnete die Tür.

»Ich kann Sie bis zum Templeton Hotel mitnehmen.« Das lag ungefähr sieben Kilometer entfernt.

Er grunzte etwas, stieg ein und schloss die Tür, ohne ein Wort zu sagen.

Die Straße von der Station zum Templeton Hotel ist sehr schön, und mir genügte es, die Landschaft zu genießen. Während der letzten zwei Wochen oder so war es zu einer verstärkten Sonnenaktivität gekommen, und heute war die Sonne von fünf oder sechs Flecken umgeben, die zu dieser Tageszeit klar als winzige rote Sterne zu erkennen waren, als losgetrennte Flammen. Sie glitzerten am Horizont und verdunkelten die Venus. Ich warf meinem Begleiter einen raschen Blick zu; auch er sah aufs Meer hinaus, sein Gesicht wirkte angespannt und war von den Strahlen der untergehenden Sonne gerötet. Ich schätzte ihn auf etwa vierzig; seine Kleidung war sauber, aber abgetragen, wie die eines erfolglosen Vertreters.

»Wagen liegengeblieben?«, fragte ich ihn.

Er blickte mich an, sah dann wieder fort. Er murmelte etwas über einen Stabilisator, und ich erkannte plötzlich, dass er wütend war, so rasend wütend, dass er mit niemand sprechen wollte, nicht einmal mit einem Kerl, der ihm einen Gefallen getan hatte. Wahrscheinlich zuallerletzt mit einem Kerl, der ihm einen Gefallen getan hatte. Ich fühlte mich beunruhigt in der Gegenwart von so viel Wut – die Knöchel seiner auf den Knien verschränkten Hände waren weiß –, fast bis zu dem Punkt, dass ich ein schlechtes Gewissen hatte, weil mein Fahrzeug sich in erstklassigem Zustand befand.

Ohne mir dessen bewusst zu werden, sagte ich etwas, das ihn das Leben kosten sollte.

Ich sagte: »Hören Sie, ich halte nur auf einen Drink beim Templeton. Dann fahre ich weiter nach Walthurst. Sie könnten vom Hotel aus eine Garage anrufen und dann mit mir nach Walthurst weiterfahren, falls Ihnen das etwas nützt.«

Er besiegelte sein Schicksal, indem er »danke« sagte.

Sonst wurde nichts mehr gesprochen, und schließlich bog ich auf den Parkplatz des Hotels ein und schaltete das Triebwerk ab. Der Hovercar sank zu Boden, und der Mann stieg aus und lief sofort auf die nächste Visiphon-Zelle zu. Ich zuckte die Achseln und ging zur Bar. Wenn der Knabe wollte, dass ich ihn für einen ignoranten Bastard hielt, so war das seine Sache. Vielleicht würde er diesen Eindruck korrigieren, indem er mich zu einem Drink einlud; doch bis dahin hatte ich Besseres zu tun, als ihm zuzusehen, wie er auf die Wählknöpfe einstach. Ich trat in die Bar.

Sie war gedrängt voll. Ich erkannte ein paar Leute von der Station: Phil Ernst war da, und Jaqsinthe Sak. Und noch weitere saßen herum, die ich nicht persönlich kannte: Techniker, Büropersonal. Und auch eine Anzahl von Ätherikern in ihrer losen, verblichenen Kleidung und Sandalen. Ich ging allen aus dem Weg und setzte mich in eine ruhige Ecke, da ich keine Lust hatte, zu fachsimpeln oder über Politik zu diskutieren. Das Erste war langweilig, das Zweite gefährlich…

Ich bestellte mir einen Wodka-Martini und begann mich zu entspannen, sobald ich das Glas in meiner Hand spürte. Ich glaube, dass mein Reisegefährte für meine innere Unruhe verantwortlich war; etwas von seiner Anspannung war während der letzten Kilometer auf mich abgefärbt. Der Kerl begann mir leid zu tun. Er hatte den Tag damit verbracht, Hotels und Motels und vielleicht auch die Station für irgendwelche industriellen Reinigungsmittel zu interessieren, hatte gerade genug Bestellungen eingesammelt, um sich, seine Frau und seine Kinder wieder einen Tag lang ernähren zu können, und jetzt war sein gottverdammter Hovercar auf irgendeiner gottverlassenen Seitenstraße zusammengebrochen, und er brauchte ihn morgen wieder, um mehr Reinigungsmittel verkaufen zu können. Wirklich Pech.

»Hören Sie, werden Sie lange bleiben?« Er stand neben mir.

»Nicht lange«, antwortete ich, während mein Mitgefühl verdampfte.

»Dann werde ich im Wagen warten«, sagte er, wandte sich um und drängte sich durch eine Gruppe von Ätherikern.

Ich starrte ihm nach, mein ruhiger Entspannungs-Drink war mir verdorben. Der Bastard hatte mich unter einen Zwang gestellt.

Ich beschloss, mir noch einen Drink zu genehmigen, wie ich es gewohnt war, und ihn mit der gewohnten Ruhe zu trinken, als ob kein ungeduldiger Fremder in meinem Wagen wartete. Das tat ich, und etwa zwanzig Minuten später schlenderte ich auf den Parkplatz hinaus und zog die kühle Abendluft in die Nase. Die Tür meines Hovercar stand offen; zunächst nahm ich an, dass mein Passagier rücksichtsvollerweise seinen Aphrohale-Rauch hinausließe, doch dann sah ich die reglose, dunkle Gestalt ausgestreckt auf dem schwarzen Bitumen liegen.

Ich bin nicht an den Tod gewöhnt. Als ich nach einer zögernden, ängstlichen Untersuchung erkannt hatte, dass der Mann tot war, wusste ich nicht, was ich tun sollte. Mein Körper übernahm die Herrschaft über meinen Verstand, und ich übergab mich heftig, doch das löste nichts.

Samantha begrüßte mich an der Tür. »Du kommst spät, Matt.« Während ich hineintrat, beobachtete sie mich noch immer. »Was ist passiert? Du siehst schrecklich aus.«

»Da war ein toter Mann auf dem Parkplatz des Templeton Hotels.«

Sie gab einen konventionellen Laut des Erschreckens von sich. »Haben sie nicht rechtzeitig einen Medimann holen können?«

»Er … er ist getötet worden.« Ich schluckte, als ich wieder das entsetzliche Gesicht vor mir sah. »Man hat ihn totgeschlagen, Samantha. Ich hatte ihn ein Stück mitgenommen. Es waren eine Menge Ätheriker da.«

Sie nahm meinen Arm und führte mich ins Wohnzimmer. »Hol dir einen Drink und erzähl uns alles darüber!«, sagte sie. »Dann wirst du dich besser fühlen.«

Mom und Dad saßen beim Fenster, und Ma saß vor der gegenüberliegenden Wand, wie Gegner. Ich hatte nicht die geringste Lust, die Ereignisse unseren Eltern zu erzählen, und ich war sicher, dass ich mich danach nicht besser fühlen würde, doch jetzt blieb mir keine andere Wahl mehr. »Was ist da mit einem Toten?«, rief Dad. Trotz aller Fortschritte in der Medizin war die Vorstellung des Todes noch immer ganz vorn im Bewusstsein alter Menschen.

Ich erklärte: der Anhalter, der Visiphon-Anruf, die beiden Drinks, die Entdeckung.

»Diese verdammten Ätheriker«, sagte Mom giftig.

»Ich hoffe, dass wir in Waltham nicht auch Ärger bekommen«, sagte Dad. »Es breitet sich vom Osten her aus, müsst ihr wissen. Heute haben sie im 3-V wieder Unruhen gezeigt. Wir sollten uns dieser Gefahr nicht aussetzen, Matt. Vielleicht müssen wir von hier fortziehen.«

Ma erwachte zum Leben. »Ich muss mit deinem Vater darüber sprechen, sobald er nach Hause kommt«, sagte sie ernst zu Samantha.

Samantha sagte zu mir: »Hat er irgendetwas getan, das die Ätheriker provoziert haben könnte? Ich meine, die Sache kommt einem so sinnlos vor, Matt.«

Sie blickten mich an, warteten auf eine Antwort. Schließlich sagte ich: »Er saß im Wagen, und der Wagen hat das Emblem der Station an den Seiten. Sie dachten, er sei ein Materialist … Ich glaube, sie dachten, er sei ich.«

»Wir müssen geschützt werden«, sagte Ma entschieden. »Ich werde deinen Vater bitten, einen Kordon um das Haus zu ziehen.«

Wenn immer Ma von ihrem Mann, Admiral Franklin S. Laker, sprach, wandte sie sich ausschließlich an Samantha, als ob mein Gehörsinn nicht gut genug entwickelt wäre, um seinen Namen zu erfassen.

Samantha, Gott segne sie, sagte: »Ich bin sicher, dass Matt uns eine Wache organisieren kann.«

»Dein Vater ist noch in seinem Büro.« Damit wies Ma tadelnd auf die Tatsache hin, dass ich die Gewohnheit hatte, früh Schluss zu machen. »Ich werde ihn sofort anrufen.« Sie segelte durch das Zimmer auf das Visiphon zu, und Sekunden später erschien das eindrucksvolle Gesicht von Admiral Franklin S. Laker auf dem Bildschirm. Er hörte ernst zu, als seine Frau ihm den Hergang der Tragödie schilderte. Ich wurde nicht aufgefordert, meine Ansichten zu äußern.

Schließlich sagte er: »Das ist sehr ernst. Wir befürchten seit einiger Zeit, dass Aktivisten nach Westen vordringen, seit es in der City für sie zu heiß geworden ist. Wenn die Situation sich verschlimmert, müssen wir vielleicht alles Personal und dessen Familien in den Stations-Bezirk verlegen. Zu dieser Maßnahme ist man bereits bei zwei Stationen der nördlichen Region gezwungen worden. Das bedeutet, im wahrsten Sinne des Worts in einem Belagerungszustand leben zu müssen. Aber …« Er seufzte, raschelte mit einigen Papieren auf seinem Schreibtisch, bellte jemandem einen Befehl zu, der sich außerhalb des Bildes befand, und war verschwunden.

Irgendwie erschien der Raum langweilig und fade ohne seine Gegenwart. Wir blickten einander bedrückt an, obwohl ich dabei Zeit fand, für den Umstand dankbar zu sein, ein Mädchen mit einem Vater in einer so hohen Stellung geheiratet zu haben. Ich hatte oft das Gefühl gehabt, dass meine Karriere vom Admiral unauffällig gefördert worden war. Das war nur natürlich. Ein Mann musste den Seinen helfen, und der Admiral vergötterte Samantha.

Und diese Familienbande sicherten uns allen einen Platz im Sternenschiff Endeavour, wenn die Große Reise begann.

Nach dem Abendessen saßen wir in der Himmelskuppel. Der Admiral war jetzt bei uns, und Mom und Dad waren zu Bett gegangen. Ich glaube, sie fühlten sich unbehaglich in Gegenwart des Admirals, der immer wieder deutlich durchblicken ließ, dass er und Ma uns einen Gefallen damit taten, wenn sie bei uns wohnen durften.

Ich kann mich noch an den Tag erinnern, als das Euthanasie-Gesetz erlassen und die Rentenzahlungen für alle Menschen über sechzig eingestellt wurden. Mom und Dad hatten damals in einem kleinen Apartment am Südrand von Waltham gewohnt; plötzlich konnten sie es nicht mehr bezahlen und zogen zu Samantha und mir. Überall in der Stadt gingen alte Menschen zu den Kammern der Ruhe. Manchmal hatte ein Hauswirt Mitleid mit einer alten Dame und vergaß, die Miete zu kassieren, aber es musste ja auch noch Essen gekauft werden. Oder Medikamente. Alte Bürger versuchten, einen Job zu bekommen, aber sie waren zu alt, um auf Baustellen arbeiten zu können, und zu langsam, um eine Kasse zu bedienen, und zu senil, um wieder in einem Büro zu arbeiten. Für eine Weile existierten sie wie die Hascher, saßen im Schatten der zerfallenden Brücken und bettelten – doch dann wurden die Schmerzen zu groß, und sie konnten sich die Medikamente nicht mehr leisten, oder der Winter setzte ein, und sie konnten sich kein Heizmaterial kaufen, und die Kleidung … Also gingen sie zu den Kammern der Ruhe und unterschrieben das Formular …

Oder ihre Familien nahmen sie bei sich auf. Die Kinder zahlten zurück, was sie ihren Eltern schuldeten, und gaben den alten Leuten Obdach und Nahrung. Die dann oft zu Tyrannen wurden … Weil man sie nicht vor die Tür setzen konnte, ganz gleich, wie unerträglich sie sich in die Eheangelegenheiten ihrer Kinder einmischten, wie autokratisch sie sich aufführten und die Herrschaft über den Haushalt an sich rissen; man konnte sie auf keinen Fall vor die Tür setzen, weil man sie damit getötet hätte …

Nur wenige Ehen überstanden die Belastung. Samantha beklagte sich nur selten über Mom und Dad, und dafür war ich dankbar, weil die alten Menschen recht irritierend sein konnten. Ich glaube jedoch, dass sie vom Admiral und Ma dominiert wurden.

Ja, der Admiral und Ma taten uns einen Gefallen, dass sie bei uns wohnten. Der Admiral hatte ein Gehalt, das doppelt so hoch war wie das meine, und Ma hatte bis vor kurzem als Erster Verbindungs-Offizier auf der Station gearbeitet und dabei auch mehr verdient als ich. Samantha arbeitete nicht. Bei meinem Einkommen und dem Betrag, den der Admiral zum Haushaltsgeld beisteuerte, konnte sie es sich leisten, zu Hause zu bleiben und sich um Mom und Dad zu kümmern, die allein nicht mehr gut zurechtkamen.

So waren wir eine enge und untereinander verknüpfte Gemeinschaft, und wenn Samanthas Eltern beschlossen hätten, für sich zu leben, wäre unsere finanzielle Situation ziemlich prekär geworden. Es war die Art Situation, die viele Gehaltsempfänger veranlasst hatte, angesichts des Drucks und der Verantwortung ihr Heim zu verlassen. Ich jedoch war entschlossen zu bleiben. Ich liebte meine Frau, ich hatte noch immer ein Gefühl der Verbundenheit für meine Eltern, und ich wollte meines Tickets für die Große Reise sicher sein …

Es war dunkel in der Himmelskuppel, und wir konnten die glitzernde Form des Sternenschiffs Endeavour direkt über uns erkennen, winzig in der großen Entfernung, doch hell sogar gegen die Sterne dieser klaren Nacht. Ich konnte das Gesicht des Admirals erkennen, der mir gegenüber saß, sich im Sessel zurückgelehnt hatte und nachdenklich zu dem Objekt seines Kommandos hinaufblickte. Es war zu Zeiten wie diesen, dass ich eine Art Verständnis für den Mann empfand. Ich wusste, was er fühlte, begriff den Stolz, die Liebe sogar, die ihn erfüllten, wenn er zu der gigantischen, die Erde umkreisenden Maschine emporblickte, die uns alle zu den Sternen tragen würde.

Es war schade, dass diese Stimmung zerrissen werden musste. Besonders an jenem Abend. Samantha und ich hielten uns an den Händen wie ein junges Liebespaar, während wir zurückgelehnt in unseren Sesseln saßen und zum Himmel emporblickten. Als sie nach einer Weile aufstand, um unsere Gläser aufzufüllen, stellte ich fest, dass mein Genick steif geworden war. Ich setzte mich auf, rieb mir den Nacken, und die Stimmung zerriss.

»Was, was?«, grunzte der Admiral, als er aus seiner Trance erwachte.

»Ich glaube, es ist Zeit für die Nachrichten, Frank«, sagte Ma.

»Schalte ein, Matt!«, sagte der Admiral.

Vielleicht war mein unterbewusster Widerstand gegen diesen Befehl schuld daran, dass ich einen Kanal wählte, der berüchtigt war wegen seiner Sympathien für die Ätheriker. Der 3-V-Alkoven strahlte auf, und in der Ecke unseres Raums saß eine Frau hinter einem Schreibtisch. Sie war dunkel gekleidet und von den Insignien des Populär-Wissenschaftlers umgeben: den Spielzeug-Molekülen, dem beweglichen Modell des Sonnensystems, den vergrößerten Aufnahmen der Sonnenoberfläche. Sie wirkte äußerst ernst, und ich brauchte keinen Ansager dazu, um zu wissen, dass sie eine ganze Reihe akademischer Titel besaß. Sie wirkte wie der Prototyp dieser Experten, die schreckliche Enthüllungen von sich geben, die wir jedoch glücklicherweise zehn Minuten später wieder vergessen.

Die Erklärung dieser Frau habe ich jedoch nicht vergessen. Sie hielt einen Computer-Ausdruck wie eine heilige Pergamentrolle in beiden Händen und sagte nach einigen unwichtigen Einleitungsworten, die nur dazu angelegt waren, ihre Distanz zu allen politischen Anliegen zu dokumentieren: »Ich muss unterstreichen, dass die vom Computer hervorgebrachte Information auf einer großen Menge von Daten basiert, die von Wissenschaftlern der ganzen Welt während eines erheblichen Zeitraums gesammelt und ausgewertet wurden und für sich genommen nicht immer gesichert erscheinen. Der Unsicherheits-Spielraum ist also groß. Ich persönlich hätte das Programm, dessen Ergebnis dies ist, nicht zu Grunde gelegt« – sie hob die Papierrolle –, »da ich diese Resultate zum großen Teil für bedeutungslos, irreführend und, wenn falsch ausgelegt, für geeignet halte, Unruhe zu erzeugen. Doch die Arbeit ist getan worden, und die Ergebnisse liegen vor, und ich halte es deshalb für meine Pflicht, Sie mit ihnen vertraut zu machen. Wenn ich es nicht täte« – sie lächelte ein frostiges Lächeln –, »würde ein anderer es tun. Und Ihnen vielleicht nicht die Wahrheit sagen.

Diesem Computer ist die Frage nach der Zukunft der Menschheit gestellt worden, unter Berücksichtigung vieler Faktoren, darunter der Bevölkerungszunahme, der derzeitig zu beobachtenden Instabilität der Sonne, der landwirtschaftlichen Produktion, des Raum-Auswanderungsprogramms der Materialisten, der kürzlich bewiesenen Resultate der Ätheriker, dem Vorkommen erwiesener Geistesschwäche, der Selbstmord-Rate, der Verbrechens-Rate, des nachweislichen Anstiegs der Ozeane … Und vieler anderer Faktoren. Jedes Faktors, den Sie sich ausdenken könnten. Und vieler, von denen Sie nicht einmal etwas ahnen und von denen Sie hoffentlich nie etwas erfahren.

Und der Computer hat seine Antwort darauf gegeben.

Die Menschheit wird am 28. März des Jahres 3256 um 6 Uhr GMT aufhören zu existieren.«

2. Kapitel

Der Admiral eröffnete die Sitzung.

Wir waren zwei gleich starke Gruppen, wenn man den Admiral ausklammerte, der als Vorsitzender fungierte. Sechs Ätheriker saßen an der einen Seite des Tisches, nachlässig wie üblich gekleidet. Sechs Materialisten, ich eingeschlossen, saßen ihnen gegenüber; wir trugen die Uniform der Welt-Auswanderungskommission, und ich denke, dass wir etwas eindrucksvoller aussahen als unsere Gegenüber. Der Admiral sprach.

»Dies ist das sechzehnte einer fortlaufenden Reihe von Treffen, bei denen wir versucht haben, zu einem gemeinsamen Verständnis der Ziele und Bestrebungen beider Gruppierungen zu gelangen. Ich möchte hoffen, dass diese Besprechungen einen Sinn haben, und muss Sie daran erinnern, dass wir nicht globale Politik diskutieren. Wir versuchen lediglich, einander auf einer regionalen Basis zu verstehen und regionale Probleme zu lösen, wo und wann sie auftauchen mögen.« Er schwieg und notierte etwas.

Die Diskussion war eröffnet.

Ernst, der neben mir saß, wandte sich an die Ätheriker. »Vielleicht können Sie mir sagen, was, zum Teufel, diese Weltuntergangs-Panikmache soll, die Sie gestern gebracht haben. Selbst Sie sollten wissen, was für eine Wirkung eine so absolut dumme Erklärung auslösen muss.«

Ein Mann antwortete ihm, ein alter, bärtiger Mann, der wie Vater Zeit aussah. »Niemand hat gesagt, dass die Welt morgen untergehen wird. Das Datum war der 28. März 3256. Das ist in mehr als 1200 Jahren.«

»Sie sind ein verschlagener alter Bastard, Boniface.« Widerwillige Bewunderung schwang in der Stimme von Annabel Foo, der Materialistin, mit. »Wir alle wissen, dass Sie mit dieser Erklärung ein doppeltes Ziel verfolgten. Einmal wollten Sie diese Besprechung damit torpedieren, weil Ihnen klar war, dass wir aus diesem idiotischen Mord beim Templeton Hotel Kapital schlagen würden. Zweitens wussten Sie natürlich, dass diese Sache aufregend genug ist, um weltweit verbreitet zu werden, was, wie ich gehört habe, bereits geschehen ist. Und Sie wussten, dass sie die Leute erschüttern würde. Sie haben der Menschheit klipp und klar gesagt, wann sie sterben wird. Es spielt dabei überhaupt keine Rolle, wie weit in der Zukunft das liegen mag. Plötzlich sind alle Dinge endlich. Plötzlich erscheinen alle langfristigen Projekte unsinnig, selbst Projekte, die kurz vor ihrer Realisierung stehen, wie die Große Reise. Aus allem fällt der Boden heraus. Die Religion gewinnt wieder an Boden.« Die kleine Orientalin unterstrich ihre Punkte durch scharfes Klopfen mit einem Schreibstift auf die Tischplatte. »Und genau das ist die Atmosphäre, in der ihr Ätheriker blüht und gedeiht.«

»Dies ist keine regionale Angelegenheit«, assistierte Ernst. »Um Himmels willen, seht ihr denn nicht, was ihr angerichtet habt?«

Eine Frau, die neben dem alten Boniface saß, ein Neuzugang im Team der Ätheriker, antwortete. Als sie ihre tiefschwarze Haarmähne aus dem Gesicht schüttelte, sah ich strahlend grüne Augen.

»Wir haben diese Besprechung torpediert und die Menschen aufgerüttelt«, sagte sie ruhig. »Natürlich wissen wir, was wir getan haben. Wir haben die Menschen gezwungen, Fragen zu stellen, und wir selbst haben ein paar Fragen, die Sie im Lauf der kommenden Tage zu hören kriegen werden. Fragen wie: Was ist das Durchschnittsalter der Auswanderer aus dieser Region? Ich meine die Menschen, die ihr endgültig für die Reise ausgewählt habt.«

Admiral Franklin S. Laker sagte: »Das gehört nicht hierher.«

Grünauge sagte: »Halten Sie Ihre Ausreden für Ihr nächstes 3-V-Interview bereit, Admiral. Die Antwort lautet: 47. Das heißt: sie sind siebenundvierzig Jahre alt, verstehen Sie? Diese Emigranten, für die wir alle unsere Ressourcen aufbrauchen, um sie zu den Sternen zu schicken, diese abenteuerlustigen, jungen Paare, die unsere Art auf fernen Planeten verbreiten sollen, haben ein Durchschnittsalter von siebenundvierzig Jahren! Das ist ziemlich viel für fruchtbares Vögeln und reichen Kindersegen, finden Sie nicht auch?«

»Boniface! Schicken Sie diese Frau hinaus!«

»Bevor ich gehe, werde ich Ihnen den Grund für diese Anomalie sagen, Admiral. Es liegt daran, dass die Welt von alten, reichen Leuten regiert wird, also sind es die alten, reichen Leute, die sich retten wollen. Sie klammern sich an ihre Macht und ihr Geld und benutzen beides, um die Welt zu kaufen. Und dann berauben sie die Welt ihrer Ressourcen und bauen sich eine Flotte von Fluchtschiffen. Und wenn es kracht, liegen sie alle bequem im Tiefschlaf und sind auf dem Weg zu einem sicheren, neuen Planeten.«

Dies schien mir eine gute Gelegenheit zu sein, um meine Beziehung zu Admiral Franklin S. Laker weiter zu festigen. Ich sagte: »Das ist doch blanker Unsinn. Es besteht keinerlei akute Gefahr. Der Computer hat festgestellt, dass wir noch 1200 Jahre vor uns haben. Und auch das ist nur eine Schätzung. Es könnten genausogut 12000 sein. Oder …« Ich zögerte.

Sie lächelte mich an, diese wunderschöne Ätherikerin, und es lag keine Bosheit in ihrem Lächeln. »Ja? Oder es könnten nur zwölf Jahre sein.«

»Blödsinn«, sagte jemand laut.

»Jeder Faktor ist sorgsam analysiert worden«, fuhr sie gelassen fort. »Dann wurde der Computer darauf programmiert, jeden davon im Licht aller anderen zu untersuchen. Interessanterweise war ein bedeutender Faktor, der dabei zutage trat, das Ergebnis selbst – vorausgesetzt nämlich, man verkündete es öffentlich. Das ursprünglich errechnete Datum für das Ende der Menschheit war irgendwann im Jahre 3509. Allgemeines Wissen um jenes Datum reduzierte es auf 3433; und wenn dieses Datum allgemein bekannt würde, müsste es ebenfalls obsolet werden und würde sich weiter reduzieren auf 3382. Und so weiter, bis das Datum sich schließlich bei 3256 stabilisierte – immer unter der Annahme, dass die Menschen dieses Datum erführen. Also spielt die Tatsache, dass wir dieses Datum bekanntgemacht haben, letztlich keine Rolle mehr.«

Irgendjemand, der rechts von mir saß, lachte. »Das ist genau die Art verschrobener Logik, die ich von einem Ätheriker erwartet habe.«

»Es war die Logik des Computers, nicht die meine«, sagte sie ruhig. »Desselben Computers übrigens, der Admiral Laker und seinen Leuten vor einigen Jahren ein paar interessante Voraussagen gemacht hat.«

»Was, zum Teufel, wollen Sie damit sagen?«, bellte mein Schwiegervater.

»Wollen Sie etwa bestreiten, dass Ihr Department im Jahr ’65 den Computer darauf programmiert hat, eine Vorausberechnung zu erstellen, die auf den Ergebnissen einer vierzigjährigen intensiven Sonnenbeobachtung basierte? Erinnern Sie sich an diese Studie, Admiral? Sie sollten sich erinnern, da Sie von Anfang an dabei waren. Die Ergebnisse sind nie veröffentlicht worden, ich halte es jedoch für sehr aufschlussreich, dass die Welt-Auswanderungskommission zur gleichen Zeit geschaffen wurde, als die Studie abgeschlossen war.«

Sie beugte sich vor, und ihre Augen glänzten. »Sagen Sie uns, Admiral: Wann wird die Sonne explodieren?«

»Woher, zum Teufel, soll ich das wissen? Seien Sie doch nicht albern, junge Frau.«

»Aber in Ihrem Kopf tragen Sie eine Reihe von Wahrscheinlichkeitsrechnungen mit sich herum, und Sie werden nie fähig sein, sie zu vergessen. Besonders nicht den unwahrscheinlichen erstmöglichen Zeitpunkt. Jedenfalls nicht, bis Sie in sicherer Entfernung von der Sonne sind …«

Die Frau hieß Fern Angelus, und im Verlauf weniger Minuten war es ihr gelungen, uns Materialisten aufeinander misstrauisch werden zu lassen. Ich blickte ein paar Mal verstohlen den Admiral an, fragte mich, was er denken mochte, und was die anderen dachten. Fern Angelus war Psychophysikerin, doch anscheinend auch eine verdammt gute Psychologin.

Wir erholten uns natürlich rasch und setzten zum Gegenangriff an. Aber wir kämpften nervös und kamen immer wieder auf die Frage zurück, die uns alle bedrückte: Auf welche Art wird das Ende der Menschheit kommen?

»Das Datum beruht lediglich auf einem Durchschnittswert aller möglichen Katastrophen«, erklärte Fern geduldig.

Aber wie konnte eine solche Voraussage den Faktor der Großen Reise berücksichtigen?

»Vielleicht ist die Große Reise dazu verdammt, niemals das Sonnensystem zu verlassen?«, sagte Fern Angelus bissig.

Jeder Vorwand, dass man sich bei diesem Treffen allein mit regionalen Angelegenheiten befasste, entfiel jetzt natürlich. Die Ätheriker nahmen ihren Vorteil wahr, indem sie auf breiter Front vorrückten.

»Vielleicht, Admiral, könnten Sie uns erklären, wie Sie die Situation auf der Erde sehen, nachdem Sie abgereist sind.« Es war Alfredo Boniface, der das sagte. »Sie lassen einen Planeten zurück, der seiner wichtigsten Ressourcen beraubt wurde, und ein demoralisiertes Volk. Sie werden Aufruhr und Hunger und die allmähliche Rückkehr zu einer primitiven Lebensweise hinter sich lassen. Ist es das, was Sie wollen?«

Fern Angelus beobachtete mich mit ihren glitzernden Augen. Ich wollte dem Admiral zu Hilfe kommen, doch ihr Blick demoralisierte mich.

Der Admiral erwiderte: »Wir handeln zum Wohl der Menschheit. Es ist von Anfang an unsere Bestimmung gewesen, unsere Spezies unter den Sternen zu verbreiten. Dafür müssen eben Opfer gebracht werden.«

»Warum verschieben Sie die Reise nicht um ein paar Jahre?«, schlug Boniface vor. »Unsere Wissenschaftler stehen kurz vor einem Durchbruch. Bei den Rettungsplänen der Ätheriker gibt es nichts Selbstsüchtiges. Es können so viele Menschen emigrieren, wie fort wollen.«

»Wohin emigrieren?« Der Admiral lachte trocken. »Zur Astral-Ebene? In den Äther? Nach Transsylvanien? Mein Gott, Mann, halten Sie mir doch ein wenig Intelligenz zugute. Sie haben nicht einen Wissenschaftler, der diesen Namen verdient. Das ist doch das ganze Rückgrat Ihrer Organisation, wenn ich recht verstanden habe. Sie glauben an Gespenster, an Medien, an Geisterstimmen, all diesen Unsinn. Damit kommen Sie nicht weiter. Nein, wenn die Menschheit weiterkommen soll, muss sie nach draußen gehen. Zu den Sternen.« Er war ein aufgeblasener Narr, aber er hatte Recht, glaube ich.

»Wenn Sie gehen, wird unsere Arbeit in dem Chaos untergehen, das unvermeidlich darauf folgen wird.« Boniface konnte ebenfalls aufgeblasen sein, wenn er das wollte.

Der Admiral gewann schließlich seine Selbstbeherrschung zurück. »Wir sind nicht hier, um solche Dinge zu diskutieren. Verdammt, Sie wissen ganz genau, dass ich nicht die Weltpolitik beeinflussen kann. Ich schlage vor, dass wir uns wieder regionalen Angelegenheiten zuwenden. Was beabsichtigen die Ätheriker mit diesen Aktivisten zu tun, die umhergehen und Menschen umbringen?«

Und damit kam die Besprechung auf ihr gewohntes Niveau, und die detaillierten Diskussionen setzten ein.

Während der ganzen Zeit beobachtete Fern mich ausdauernd, nachdenklich.

Für mich ist Schönheit eine Frage der Funktion. Ich kann nichts Schönes am Museum von Waltham entdecken, in seiner für viel Geld erhaltenen Fassade aus echten Ziegelsteinen aus dem neunzehnten Jahrhundert, seinen Bogenfenstern und den in Stein gehauenen Verzierungen, obwohl viele Menschen es für schön halten. Und historisches Porzellan mit seinen komplizierten Dekorationsmustern lässt mich völlig kalt. Aber zeigt mir einen Brontomek, gigantisch und funktionell, der auf seinen riesigen Ballonreifen über Landwirtschaftsflächen rollt, auf einem zehn Meter breiten Streifen Super-Reis aberntet, während er gleichzeitig den Boden pulverisiert, düngt und den Samen für die Winterbestellung ausstreut; und dabei ständig tödliche Laserstrahlen nach fliehenden Nagern und anderen Schädlingen ausschickt – zeigen Sie mir dieses Ungetüm einer Maschine, und ich sage Ihnen dann, was ich unter Schönheit verstehe.

Deshalb sollte die innere Befriedigung verständlich sein, die ich allmorgendlich beim Anblick des Shuttles Grasshopper empfinde, das sich hoch gegen den Himmel abhebt. Es steht genau in der Mitte der Station und lässt die Gebäude, die sich immer noch im Bau befinden, zwergenhaft erscheinen; es steht breitbeinig über dem Hibernations-Gebäude, das sechs Stockwerke hoch ist. Der Grasshopper ist ein silberner Pfeil, dessen Heck sich in vier schlanke Beine teilt; er trägt hellgrüne Markierungen, von der sich die Initialen unserer Kommission in dunklerem Grün abheben. Um die stählernen Füße wachsen Büsche, Koniferen und Fuchsien und ein paar Rosen, die vom Personal der Station gepflanzt wurden.

Ich sehe Menschen auf dem Gelände umhergehen, und es hat mich immer wieder überrascht, dass sie den Blumen mehr Beachtung schenken als dem Grasshopper. Ihre Blicke bewegen sich in der Horizontalen oder leicht nach unten, bleiben auf den hellen Blüten ruhen oder auf einem attraktiven Angehörigen des anderen Geschlechts. Sie blicken niemals auf. Manchmal denke ich, sie würden überhaupt nicht merken, dass der Grasshopper nicht mehr da wäre, wenn man nur drei Meter seiner amputierten Beine zurückließe. Die riesige, schlanke, wunderbare Maschinerie, der Grund für unser aller Anwesenheit hier, hat keinerlei Bedeutung für sie.

»Alle Kapitäne lieben ihre Schiffe, so wie Sie«, sagte mir einmal ein Mann, der irgendetwas Grünes, das neben einem der Füße des Grasshoppers wuchs, mit unendlicher Sorgfalt beschnitt. »Für mich ist ein Shuttle nicht mehr als ein Mittel zum Zweck.« Er grinste. »Ich hoffe, Sie damit nicht beleidigt zu haben, aber Schönheit, wirkliche Schönheit, darf keinerlei praktischen Wert haben.«

An diesem Tag, zwei Tage nach dem Treffen mit den Ätherikern, bemerkte ich eine neue Facette in der bekannten Landschaft von rechteckigen Gebäuden, Lastwagen, schwarz bitumierten Flächen und dem geschnittenen Rasen, der sauber getrimmten Zedernhecke und dem hohen Maschendrahtzaun. Eine Gruppe Männer hob ein Loch aus; in ihrer Nähe lag ein dicker, kantiger Metallpfosten mit seitlichen Auswüchsen.

»Es ist ein Laser-Zaun«, erklärte mir der Vormann. »Wir installieren ihn um das ganze Gelände herum, gleich hinter dem Maschendrahtzaun.«

»Warum?«

Jaqsinthe Sak, die gerade vorbeikam, überhörte meine Frage und sagte: »Du warst doch bei der Besprechung, Matt. Kannst du dir den Grund dann nicht denken?«

»Du meinst … wir könnten möglicherweise belagert werden?«

»Irgendjemand scheint das zu befürchten … Wie läuft die Arbeit im Shuttle?«

Ich blickte an der schlanken Gestalt des Grasshoppers hinauf. Männer arbeiteten an den Heckdüsen und bauten den Lastenaufzug um, damit er die riesigen Hibernations-Waben heben konnte. Die Männer wirkten winzig und verwundbar, wie sie so an der Unterseite der riesigen Struktur hingen und wie Moskitos mit ihren Laser-Schneidern hineinstachen. »Wir haben noch einige Monate Arbeit. Aber die Arbeit läuft nach Plan, glaube ich.«

Jaqsinthe sagte: »Ich habe das Gefühl, dass der Plan abgeändert werden muss.«

Ein Lastwagen rumpelte vorbei, setzte zurück ans Hibernations-Gebäude. Ein Gabelstapler begann Kisten mit Bauteilen herauszuheben. Ein Mann lehnte an der Wand und hakte die ausgeladenen Kisten auf einer Liste ab. Überall, wohin ich blickte, sah ich Szenen ordentlicher, disziplinierter Aktivität.

»Mir würde es ganz und gar nicht passen, irgendwelche Pläne abändern zu müssen. Jesus, das würde die Produktion aller Fabriken der Welt durcheinanderbringen.«

»Weißt du, was sie in Areal Sechs bauen?« Sie deutete auf eine Fläche, die etwa eine halbe Meile entfernt war und wo Module aufeinandergetürmt wurden. »Das ist ein Unterkunfts-Block, für den Fall, dass wir alle hierher ziehen müssen.«

Ich sagte nachdenklich: »Die Ätheriker mögen nicht ganz unrecht haben, wenn sie behaupten, dass die Zivilisation zusammenbrechen wird, nachdem wir fort sind. Es ist nicht nur eine Frage der Erschöpfung von Ressourcen. Ich habe gestern Abend mit einem Ökonomisten gesprochen – einem Materialisten. Weißt du, er hat mir ein wenig Angst gemacht. Er sagte, dass die Wirtschaft der gesamten Erde während der letzten acht Jahre eine Blütezeit erlebt hat; die Arbeitslosenzahlen waren auf dem niedrigsten Stand der ganzen Geschichte, es wurden riesige Investitionen in neue Maschinen und Ausrüstungen vorgenommen, und der Lebensstandard war auf ein bis dahin unerreichtes Niveau angestiegen. Trotz einer galoppierenden Inflation liefen sämtliche Industrien in allen Ländern der Erde auf Höchsttouren.«

»Das ist doch gut, denke ich.«

»Ja, aber sieh dir doch einmal an, was sie produzieren. Fünfundsiebzig Prozent von allem, was hergestellt, aus der Erde geholt, verarbeitet und auf irgendeine Weise erzeugt wird, fließt ins Projekt ›Sternen-Saat‹ der Großen Reise. Wenn dieser einzige Kunde nicht mehr da ist, wenn die Große Reise beginnt, was dann? Ohne Rücksicht darauf, wie viele Ressourcen erschöpft worden sind, was geschieht, wenn all diese Produktionskapazität überflüssig wird? Die Fließbänder werden abgeschaltet, die Menschen verlieren ihre Arbeit, die gesamte Wirtschaft bricht zusammen. Völlig und endgültig.«

Wir blickten einander eine Weile schweigend an, während die Arbeit auf der Station um uns herum geräuschvoll weiterging.

3. Kapitel

Es war ein abgelegenes Hotel, und es standen nur ein paar Hovercars auf dem Parkplatz. Als ich mit der Geschwindigkeit herunterging und anhielt, wurde der Regen nicht mehr gegen die Windschutzscheibe gepeitscht, sondern trommelte jetzt geräuschvoll auf das Dach. Ich öffnete die Tür, sprang rasch hinaus und schlug sie hinter mir wieder zu, dann sprintete ich in den Schutz des Gebäudes. Nachdem ich unter dem Dach der Veranda eine kurze Pause eingelegt hatte, um mich zu sammeln und wieder zu Atem zu kommen, trat ich in die Bar.

Ich sah sie sofort. Sie saß allein in einer Ecke, in der Nähe einer Kamin-Imitation, die reichlich mit Messing verziert war. Sie trug ein kurzes grünes Kleid aus irgendeinem weichen Material, und ich fragte mich, ob es meinetwegen war, dass sie an diesem Abend auf ihre Ätheriker-Kleidung verzichtet hatte. Als ich auf sie zutrat, blickte sie auf und lächelte, und ich spürte ein schweres Klopfen irgendwo im unteren Teil meiner Brust. Ich setzte mich und fühlte eine seltsame Atemnot; wir blickten einander an und sahen dann rasch fort.

»Sie sind also gekommen«, sagte sie.

»Ja«, sagte ich.

Und der Barkeeper kam zu uns herübergewandert und wollte wissen, was wir trinken wollten.

Als er wieder gegangen war, sagte ich: »Ich hatte nicht geglaubt, dass Sie hier sein würden.«

Sie blickte mich an, und ein Gefühl der Wärme begann sich in meinem Bauch auszubreiten; ich sah ihre grünen Augen vor mir, die ein wenig schräg standen, so dass sie beinahe orientalisch wirkten. Sie strich ihr Haar zurück und blickte mich weiter an; mein Blick glitt zu ihrem großzügigen Mund, ihrem energischen Kinn, den ziemlich kleinen festen Brüsten, den perfekt geformten Beinen. Ich versuchte zu rationalisieren, was ich sah: sie war eine Angehörige des anderen Geschlechts, ein weibliches Mitglied der menschlichen Rasse im zeugungsfähigen Alter, wurde jedoch durch den Gesellschafts-Kodex an offenen sexuellen Angeboten gehindert. Meine politischen Ansichten standen den ihren diametral gegenüber, und soweit ich es beurteilen konnte, hatten wir keinerlei gemeinsame Interessen, folglich konnte der einzige Grund für meine Anwesenheit hier nur der mächtige Zeugungstrieb sein, den ich in ihrer Gegenwart spürte. Ich wollte mit ihr kopulieren. Das war ein seltsamer Wunsch, wenn man es aus dieser Sicht betrachtete, da er die menschliche Rasse um keinen Schritt weiterbrächte.

Sie sagte: »Ich ahnte, dass Sie verstehen würden. Keinem der anderen würde ich das zutrauen, aber Sie wirken irgendwie anders. Sie sehen nicht aus wie ein Materialist. Jetzt weiß ich, dass Sie verstehen, weil Sie hergekommen sind.«

»Das ist nicht der Grund für mein Hiersein, Fern.«

»Bitte, komplizieren Sie die Dinge nicht, Matt. Nicht gerade jetzt. Sie und ich, wir stellen die einzige Chance dar, sehen Sie das nicht? Wir sind die einzige Chance, etwas wie wirkliches Verstehen aus diesem Chaos herauszufiltern.«

Der Barkeeper brachte die Getränke, nahm das Geld dafür und ging wieder.

Fern Angelus sagte: »Ich möchte, dass Sie zu mir kommen.«

Ich versuchte, mich nicht zu fragen, was sie vorhatte.

»Ich habe ein paar … Modelle vorbereitet«, fuhr sie fort. »Ich möchte Ihnen zeigen, was wir erreicht haben. Wenn wir es Ihnen klarmachen können, werden Ihre Freunde Ihnen vielleicht folgen. Die Materialisten machen einen entsetzlichen Fehler, Matt. Boniface hat Recht, wissen Sie. Ihr plündert die Erde aus, um eure selbstsüchtigen Ziele durchzusetzen …«

In diesem Ton sprach sie weiter über Politik und Experimente und Ressourcen, während ich auf ihre Augen blickte, auf ihren Mund, ihren Busen. Während sie sprach, bewegte sie sich lebhaft; ihre Bewegungen waren elegant wie die einer Tänzerin; sie kreuzte häufig die Beine, schlug sie wieder auseinander, und ich bemühte mich, nicht auf die weichen Innenseiten ihrer Schenkel zu starren, auf das kleine Dreieck weichen Stoffes, das hin und wieder hervorblitzte …

Sie sprach und erklärte und propagierte, und einmal ging sie zur Toilette, und ihr Anblick, als sie durch den Raum schritt, war beinahe unerträglich. Als sie zurückkehrte, betrachtete ich sie mit aller Offenheit, blickte auf ihre sehnigen schlanken Beine und ihren Körper, der ausschließlich für den Sex geschaffen war, nicht für all diesen politischen Unsinn. Was für eine Verschwendung! Mein Gott, was für eine Verschwendung! Sie setzte sich, lächelte leicht und sagte: »Wollen wir jetzt gehen?«

Als wir ihre kleine Wohnung erreichten, hatte die sexuelle Frustration mich in einen Zustand versetzt, den man fast katatonisch nennen konnte. Ich schlurfte hinter ihr her, starrte wie in Trance auf ihr Haar, ihren Hintern, ihre Beine, während sie die Tür aufschloss und die Lampen einschaltete, mich schließlich ins Wohnzimmer winkte. Es war ein kleiner Raum, typisch für die Wohnung eines Singles. Es gab keine alten Leute hier. Fern Angelus’ Eltern waren entweder noch im arbeitsfähigen Alter, oder reich, oder tot. Die Wohnung war sauber und aufgeräumt; nichts sagte viel über die Persönlichkeit dieser Frau aus. Hatte ich surrealistische Kunst erwartet, erotische Statuen? Ich weiß es nicht. Ich sah ein Zimmer.

Ein paar Dinge waren bereitgestellt: eine Reihe von 3-V-Projektoren und ein eigenartig geformtes Kabinett. Ich trat darauf zu. Es schien aus einer Anzahl von Metallkästen zu bestehen, die zusammengeschweißt worden waren, und aus denen Drähte sprossen. Auf der rechten Seite befand sich ein eingebauter Käfig, in dem eine kleine weiße Maus hockte und sich das Gesicht putzte. In der Nähe des Käfigs sah ich eine größere, mit einem durchsichtigen Material abgedichtete Zelle. Das ganze Gerät war etwa zwei Meter hoch.

»Wozu ist das gut?«, fragte ich und vergaß den Sex für einen Moment.

»Zuerst will ich Ihnen das 3-V zeigen.«

Sie bedeutete mir durch eine Handbewegung, mich auf das Chesterfield zu setzen, dann schaltete sie die Lichter aus und den Projektor an. Ein wenig betont setzte sie sich ein Stück von mir entfernt in einen Sessel. Das Bild erschien.

Wir blickten in einen holzgetäfelten Raum. Das Bild war verkleinert, doch ich erkannte, dass es sich um einen sehr großen Raum handelte; die Decke musste fünf Meter hoch sein. Die Wandtäfelung war antik, der Teppich alt, jedoch zweifellos von guter Qualität. Eine Wand wurde völlig von einem Regal mit ledergebundenen Büchern eingenommen; die gegenüberliegende bestand anscheinend aus Fenstern, war jedoch in voller Länge von dunkelroten Vorhängen verdeckt. Am anderen Ende war ein Kamin aus Natursteinen und vier Sessel, deren Bezüge aus braunem Leder bestanden. Drei Männer und ein Mädchen saßen auf ihnen; kleine Gestalten bei der reduzierten Dimension. Das Mädchen war Fern Angelus; sie blickte auf ihre Uhr. Die Sessel waren so angeordnet, dass sie einander an den Endpunkten eines imaginären Kreuzes gegenüberstanden; im Zentrum dieses Kreuzes stand ein quadratischer Walnusstisch. Ein kleiner Stapel eleganter Zeitschriften lag darauf.

»Der Ort liegt etwa sechs Kilometer von hier entfernt«, erklärte Fern. »Das sind drei unserer Psychophysiker. Passen Sie bitte genau auf …«

Abgesehen von Fern Angelus hatte ich noch nie einen Psychophysiker in Fleisch und Blut vor mir gesehen; sie sahen nicht anders aus als andere Menschen, schienen jedoch eine unerschöpfliche Trink-Kapazität zu besitzen. Wir blickten einige Minuten lang schweigend in den Alkoven; ich sah nichts Außergewöhnliches – abgesehen von der Häufigkeit, mit der sie ihre Gläser nachfüllten. Sie sprachen über Phänomene und Rahmen physikalischer Referenz und über Zeitschleifen, und für mich war das alles Unsinn. Ich sagte es ganz offen.

»Ich habe nicht erwartet, dass Sie von einer Sekunde zur anderen das Ergebnis einer lebenslangen Gehirnwäsche abwerfen könnten«, antwortete Fern beißend.

Angemessen zerknirscht konzentrierte ich mich wieder auf den 3-V-Alkoven.

Als endlich etwas passierte, kam es so unerwartet, dass ich den Grund dafür nicht erkennen konnte. Plötzlich waren alle auf den Beinen und wischten verspritzte Flüssigkeit von ihrer Kleidung, und die Zeitschriften waren über den Boden verstreut. Gläser lagen auf dem Teppich, und ihr ausgelaufener Inhalt machte farbige Flecken in seinem Flor.

Die Bild-Fern sagte: »Das war mindestens zehn Minuten zu früh.«

Ich fragte die wirkliche Fern: »Was ist passiert?«

Sie drückte auf einen Schaltknopf, und die Puppen im Alkoven wurden zu manischer Aktivität galvanisiert. Innerhalb weniger Sekunden saßen sie wieder in ihren Sesseln, und das Tableau erstarrte.

»Sehen Sie es sich noch einmal an«, sagte Fern. »Achten Sie auf den Tisch!«

Dieses Mal ließ sie die Szene in Zeitlupe ablaufen. Die Psychophysiker ließen ihre Arme in langsamen Gesten durch die Luft schweben und unterhielten sich in tiefen Stöhnlauten. Ich konzentrierte mich auf den Tisch, der zwischen ihnen stand.

Diesmal sah ich, was geschah. Es ist schwer zu beschreiben, doch ich hatte den Eindruck, dass der Tisch plötzlich zu rotieren begann. Die Zeitschriften wurden in alle Richtungen fortgeschleudert, wie durch Zentrifugalkraft abgeschossen. Sie flogen zwischen den Wissenschaftlern zu Boden, die sich jetzt langsam auf die Füße erhoben und die Gläser abwehrten, die ebenfalls durch die Luft gesegelt kamen.

Es ist schwer für einen Menschen, sein gewohntes Denkschema zu verändern, um das Unmögliche begreifen zu können. Deshalb sagte ich: »Also hat jemand an den Tisch gestoßen! Na und?«

Wir sahen wieder die Säuberungszeremonie, jetzt in Zeitlupe, und diesmal ließ Fern die Szene weiterlaufen. Nach einer Weile beugte sich einer der Männer über den Tisch, hob ihn auf und trug ihn fort. Die Kamera fuhr näher heran und zeigte eine Nahaufnahme des Teppichs.

Da war eine kreisförmige Einkerbung im Flor, die etwa dem Kreuzungspunkt der Diagonalen zwischen den Tischbeinen entsprach. Es schien, als ob der Tisch wirklich rotiert hätte.

Fern schaltete das Gerät ab, und die kleinen Menschen verblassten.

»Okay«, sagte ich. »Sie können es mir erklären.«

»Wenn Sie mir versprechen, Ihren Unglauben nur für ein paar Sekunden zu unterdrücken«, sagte sie und machte uns Drinks. »Also: Was Sie eben gesehen haben, war ein Effekt, dessen Ursache eine uralte und wohlbekannte Erklärung findet.« Sie blickte in mein Gesicht; ich gab mir alle Mühe, keinerlei Empfindung zu verraten. Befriedigt fuhr sie fort: »Die alten Völker hatten eine handliche Erklärung dafür, dass ein Objekt seine Position im Raum-Zeit-Kontinuum verändern konnte, ohne dass ein Mensch dabei nachhalf. Heutzutage sind wir etwas genauer bei der Beurteilung dieses Phänomens. Wir wissen zum Beispiel, dass der gesamte Raum-Zeit-Komplex eine unendliche Zahl divergierender Welten enthält, von denen jede fortlaufende der unseren eine Nuance weniger ähnelt, je weiter sie in die Zukunft versetzt ist – oder je weiter sie in der Vergangenheit abzweigte. In jedem Bruchteil einer Sekunde, überall auf der Erde, zweigt ein anderes Raum-Zeit-Kontinuum ab – und wir gehen mit ihm. Wir oder jemand, der uns sehr ähnlich ist …