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Amsu, ein junger despotischer Herrscher aus Ägypten, besitzt die Fähigkeit über die Dunkelheit der Kuk zu gebieten. Auf Grund eines wahnsinnigen Temperamentsausbruchs seinerseits wird er verflucht und in einen Gegenstand weggesperrt. Dieser Gegenstand wird in alle Welt verteilt - und findet den Weg zu Levi. Levi ist ein ruhiger und sanftmütiger Schüler, der immer sehr gute Leistungen mit nach Hause bringt und unter schlimmen Mobbing seiner Mitschüler leidet. Als Levi und Amsu aufeinandertreffen, prallen Welten und auch zwei Sturköpfe sondergleichen aufeinander, die eigentlich dasselbe wollen: wahre Freunde und Verständnis.
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Inhaltsverzeichnis
Impressum
Prolog:
Der Lärm des aufbegehrenden Volkes war einfach nur nervtötend! Er
hatte Kopfschmerzen und die letzte Nacht nicht geschlafen. Musste er
doch seinen Beratern begreiflich machen, wer hier das Sagen hatte.
Langsam schritt er mit wallendem Umhang durch die Gänge des Palastes.
Seine Schritte hallten durch die Dunkelheit.
Dunkelheit... Welch Ironie, wenn man bedachte, dass er der Sohn Ras
sein sollte und doch die Dunkelheit liebte. Sich nur in ihr wirklich
wohlfühlte! Er verachtete Ra aus tiefstem Herzen und der Sonnengott
wusste dies. Der Pharao machte auch keinen Hehl daraus.
Während er in Richtung der Empore ging, von der er zu seinem Volk
reden konnte, überlegte er, wer von seinen Vorgängern der Meinung war,
dass Ra unfehlbar war und dass ein Pharao ein Sohn des Sonnengottes
war. Humbug!
Sein Hohepriester wäre ein tausend Mal besserer Pharao als er selbst und
dessen Vater war eindeutig Seth! Sein Hohepriester... das war auch so
ein Ding für sich. Dieser sollte sein engster Vertrauter und Berater sein!
Und was machte der? Er hinterging ihn, befreite Gefangene, missachtete
Befehle und zettelte sogar eine Revolte gegen ihn an!
Ja, er wusste, dass keiner mit seiner Art und Weise der Führung
einverstanden war, auch nicht damit, dass er eigentlich dem Gott Anubis
huldigte. Er wusste, dass man ihn hasste, auch wegen seiner skrupellosen
Vorgehensweise den Grabräubern gegenüber! Er forderte sich Respekt
ein – notfalls mit Gewalt!
Der Pharao betrat die Empore und die Menge verstummte. Jeder
Anwesende verneigte sich tief und warf seinen Körper in den Dreck.
„
Pöbel...“, huschte es abfällig über seine Lippen. Sein scharfes Auge
glitt über das Pack und nur ein Einziger stand aufrecht und hatte seinen
Blick stolz erhoben. Ungewöhnliche eisigblaue Augen bohrten sich tief in
die noch beängstigenderen Rubine des Pharaos. Dieser lächelte abfällig.
„Hohepriester Jahi, hast du noch etwas zu sagen, bevor du Anubis
gegenübertrittst?“, rief der Herrscher über Ober- und Unterägypten
spöttelnd.
„Mein Pharao, ich habe tatsächlich letzte Worte für dich... wenn du dich
traust, dich zu mir hinab zu lassen und persönlich das Urteil zu
vollstrecken!“, antwortete Jahi resolut. Der Pharao hob eine Augenbraue.
„
Glaubst du wirklich, dass ich zögern werde? Aber bitte, so soll es sein!
Ich werde das Urteil persönlich vollstrecken!“ Er wandte sich ab und
verließ wieder die Empore.
Nur wenige Minuten später betrat er den großen Vorplatz. Das Volk
machte sofort Platz und der Pharao näherte sich dem Todgeweihten –
seinem Hohepriester Jahi. Schließlich standen sie sich gegenüber. Aug in
Aug. Minimal runzelte er die Stirn, als er bemerkte, dass Jahi nicht in
Ketten lag.
„
Sprich!“, verlangte er gebieterisch; sich unantastbar fühlend.
Jahi neigte minimal spottend sein Haupt. „Dann lausche gut meinen
Worten, Amsu....“, und der Priester fing leise mit melodischer Stimme an
zu singen:
„Der Leichnam wird zu Grabe getragen und der Körper zerfällt zu Sand,
wird zu Staub...
Selbst das glänzendste Gold, selbst das schärfste Schwert ist eingehüllt
im Mantel der Zeit.
Wehe dem Pharao, wenn für seinen Körper sogar der Name fehlt...“
Amsus Augen weiteten sich vor Entsetzen. Dies war nicht nur eine
Drohung! Es klang wie eine Prophezeiung... ein Wunsch, dass Amsu
namen- und somit ehrlos in das Reich der Toten übergehen sollte.
„Was erdreistest du dich!“, zischte er leise und gefährlich. Jahi hatte die
Angst in den Augen des Pharaos gesehen und dennoch sang er leise
weiter:
„Die Zeit ist ein Schlachtfeld der Seelen
Ich weine das Lied des Kampfes, das Lied eines Freundes.
Zu dem Ort weit entfernt, wo sich die Seelen treffen... Führe ihn.“
Amsu wich einen Schritt zurück. Dies war eindeutig ein Gebet, ein
Segenswunsch für eine verstorbene Seele! Jahi wollte seinen Tod!
Noch ehe er sich dessen wirklich bewusst war, zückte Amsu seinen Dolch
und stieß ihn bis zum Heft in das Herz seines einstigen Vertrauten. „Möge
Ammit dein elendes Herz fressen!“, zischte Amsu und drehte den Dolch
einmal herum – zerfetzte das Herz Jahis.
„Mögen die Götter deiner Seele gnädig sein...“, erwiderte der
Hohepriester nur leise und seine Augen leuchteten triumphierend auf, als
sein letzter Atemzug verschied.
In dem Moment, wie Amsu den Dolch aus Jahis Brust zog und der Körper
des Priesters leblos zu Boden fiel, wurde der Pharao von dem wütenden
Volk gepackt und niedergerissen.
*
**
Amsu lag auf seinen Knien und stützte sich mit den Händen ab. Seine
Augen brannten vor Wut und Hass, als Anubis zu ihm trat.
„
Ich werde dein Herz nicht wiegen, junger Pharao. Dein Hohepriester
hat vorgesprochen und um Gnade für deine Seele gebeten. Der Rat der
Alten, der aus Aton, Seth, Osiris, Sachmet, Horus und Apophis besteht,
hat dem zugestimmt. Deine Seele wird eingeschlossen werden. Und soll
erst wieder freikommen, wenn du deine Lektion begriffen hast und ein
würdiger Pharao bist!“
Amsu zitterte vor unterdrückter Wut und... Angst, vor dem was nun auf
ihn zukommen würde!
„
Jahi, ich verfluche dich!“, zischte er leise zur Antwort.
*
**
Seine Schritte hallten dumpf durch die langen, dunklen Gänge. Wie lange
er schon hier gefangen war, konnte er nicht sagen. Er hatte sich mit
seiner Situation abgefunden. Leise seufzte er, als er vor einer Wand aus
Hieroglyphen stehen blieb. Sie zeigte sein Gericht und seine
Begnadigung. Er schnaubte leise. Als ob man das hier als Begnadigung
bezeichnen konnte! Lieber wäre er von Ammit verschlungen worden als
das hier! Eingesperrt und verdammt bis in alle Ewigkeit in der Dunkelheit
zu leben!
Langsam wanderte er die Wand der Hieroglyphen entlang und blieb
wieder stehen.
„
Pert Kertu...“, murmelte er leise und nachdenklich. Immer wieder
musste er daran denken, wie Jahi ihn quasi verflucht – und dennoch für
seine Seele gebetet hatte.
Amsu hob fast schon verzweifelt seinen Blick und suchte wohl zum
millionsten Mal irgendwo einen Ausgang aus diesem Verlies aus Mauern
und Steinen, was eher an die Grabkammer eines Pharaos erinnerte.
Wütend ballte er seine Fäuste und schrie gefrustet auf.
Kapitel 1:
Levi war ein ruhiger und stiller Junge, dessen Leidenschaft den Spielen
und dem alten Ägypten gehörte. In der Schule wurde er auf Grund seiner
geringen Körpergröße und seiner sehr guten Schulnoten geschnitten und
zum Teil wirklich böse gemobbt. Doch hatte der Kleine sich mit der Zeit
damit arrangiert. Ja, er war einsam. Ja, er sehnte sich nach Freunden, die
ihn so nahmen, wie er war. Doch hatte er die Hoffnung längst
aufgegeben. Und vor allem hatte er sehr früh begriffen, wie wertvoll das
Leben ist.
Mit neun Jahren wurde er von seinen damaligen sogenannten Freunden
vor ein Auto geschmissen. Es glich nach wie vor einem Wunder, dass Levi
dies nicht nur überlebte, sondern keinerlei Schäden – bis auf die Narben –
zurückbehalten hatte.
So lebte er stoisch in den Tag hinein und absolvierte seine Schule ohne zu
Klagen.
Seine Eltern arbeiteten viel und waren kaum da, so war Levi schließlich
zu seinem Großvater gezogen, damit er nicht mehr alleine leben musste.
Ab und an half er auch im Laden seines Großvaters – der unter anderem
auch Spiele verkaufte – aus.
Zweimal im Jahr räumte sein Opa das Lager aus und bot dann wahre
Schätzchen für einen Spottpreis an. So wie auch heute.
Levi hatte schon die letzten Tage immer wieder Kartons aus dem Lager in
den Laden gebracht. Als er heute von der Schule kam, war er erstaunt,
wie viel da schon verkauft worden war. So legte er seinen Rucksack erst
einmal beiseite und marschierte wieder ins Lager, um nach Dingen zu
stöbern, die sein Großvater verkaufen konnte, während dieser weiterhin
im Laden blieb.
Alwin lächelte warm, als sein Enkel von der Schule kam. Und sofort sah
er wieder diesen bedrückten Ausdruck in dessen Augen. Leise seufzte er.
Wann würde es endlich besser werden? Gab es denn wirklich niemanden
da draußen, der Levi so nahm wie er war und ein echter Freund für den
Kleinen sein konnte? Bedrückt folgte er mit dem Blick seinem Enkel ins
Lager, bevor er sich wieder daran machte, die Kunden zu bedienen.
Levi hatte bereits zwei weitere Kisten gefüllt und langsam gab es nichts
mehr hier in dem Lager, was annähernd interessant war. Da war ihm
plötzlich so, als ob er in den Augenwinkeln etwas aufleuchten gesehen
hätte. Sofort drehte der Junge sich der Stelle zu und kramte etwas
zwischen den Sachen. Da stockte er. Sein Blick war auf eine goldene Lade
gestoßen, die nur so von Hieroglyphen übersät war. An der Frontseite
war ein großes Horusauge abgebildet. Und wieder schien es so, als ob das
Horusauge kurz aufleuchtete. Levi runzelte die Stirn und öffnete die
Lade. Verblüfft hielt er den Atem an. In der Lade waren unzählige kleine
Teile aus purem Gold, Silber und auch einige, die aus Edelsteinen
geschnitzt zu sein schienen.
„
Das ist ja ein Vermögen wert...“, murmelte der Kleine und nahm nach
und nach eins der Teile in die Hand. Schnell erkannte er, dass es ein
Puzzle zu sein schien.
Dann entdeckte er das größte Puzzleteil. Auf diesem war das Horusauge
abgebildet. Fasziniert strich Levi mit den Fingern darüber und das Teil
schien anzufangen zu singen...
~
Amsu stockte. Was war das eben gewesen? Misstrauisch blickte er sich
um. Er spürte die Veränderung. Irgendwas war gerade eben passiert. ~
~
Horus spürte das leise Beben. Sollte es endlich soweit sein? Ungläubig
wandte er sich ab, um zu gehen, als Seth plötzlich vor ihm stand. Sie
blickten sich schweigend in die Augen. Und da wusste Horus, dass die
Zeit endlich gekommen war. „Wirst du an seiner Seite sein? Er braucht
jede Hilfe, die er bekommen kann“, bat der Falke leise. Seth verzog seine
Lippen. „Frag das den Schakal... Ihm schenkt er sein ganzes Vertrauen.
Aber ja, ich werde ein wachsames Auge über ihn halten – wenn IHR ihm
endlich sagt, dass er NICHT Ras Sohn ist!“, grollte der Gott des Chaos
und der Fruchtbarkeit. ~
„Großvater?“, rief Levi leise, als er nach und nach die drei Kisten in den
Laden trug. „Großvater, ich hab da was im Lager gefunden...“, und er
stellte schließlich die goldene Lade auf die Theke. „Was ist das?“, wollte
der Junge nun genau wissen.
Alwin hob eine Augenbraue und erblasste unmerklich. Diese Lade
existierte noch? Tief atmete er durch.
„Auf einer meiner Expeditionen nach Ägypten stießen wir auf eine
dreiseitige Pyramide. Die Steine und Wände waren komplett schwarz.
Und die Pyramide lag unter der Erde. Es gab viele Wege und Tunnel, die
allerdings alle in eine einzige Kammer führten. In dieser Kammer stand
die Waage der Ma'at und ein Altar. Auf diesem Altar stand diese Lade.
An den Wänden und der Decke der Kammer waren sämtliche
Auslegungen des Totenbuches verzeichnet. Und auf dem Altar erklärte
die Inschrift, dass dies hier ein Gefängnis eines jungen Pharaos sei, der
sich den Göttern widersetzt und sein Volk in Angst und Schrecken
versetzt hatte“, erklärte Alwin ruhig, dabei immer wieder die goldene
Lade musternd. „Allerdings war die Lade nicht vollständig. Als wir sie
fanden, waren nur die goldenen Teile enthalten. Die silbernen Teile
wurden in China in einer baugleichen Pyramide entdeckt und die
Edelsteine in einem Tempel der Azteken.“
Levi lauschte gespannt den Ausführungen seines Großvaters und blickte
dann ebenfalls zur Lade. Er öffnete sie und nahm wieder einige Teile in
die Hand. „Das hier ist ein Puzzle. Wo soll das ein Gefängnis sein?“, wollte
er neugierig wissen.
„Nun... die alten Ägypter waren sehr mystisch. Wenn dieses Puzzle ein
Gefängnis sein soll, dann wird in das Gold höchstwahrscheinlich das Blut
und das Herz des Pharaos mit eingearbeitet worden sein. Die alten
Ägypter glaubten, dass die Seele eines Menschen im Herz und Blut des
Menschen zu finden ist. Und wenn man jemand versklaven wollte, dann
griff man nach dem Herzen. Auch wird beim Totengericht das Herz
gewogen – das die Seele trägt. Wenn das Puzzle nun zusammengesetzt
wird, wird der Pharao der Sklave oder Diener von dem, der das Puzzle
gelöst hat. So war die Meinung der Ägypter“, erklärte Alwin weiter.
„Außerdem wollte man wohl ganz sicher sein, dass der Pharao definitiv
bis in alle Ewigkeit gefangen ist, wenn man bedenkt, dass die Teile über
die ganze Welt verteilt waren.“
„Hm...“, brummte Levi leise, während er immer wieder die Teile durch
seine Finger gleiten ließ. „Könnte etwas passieren, wenn ich das Puzzle
löse? Ist es gefährlich?“
Alwin seufzte leicht. Ahnte er doch, dass sein Enkel quasi schon
entschieden hatte, das Puzzle zu lösen.
„Levi, ich weiß es nicht. Nicht jedes Teil aus Ägypten, wo Fluch drauf
steht ist tatsächlich mit einem Fluch belastet. Allerdings... sind die Flüche
der alten Ägypter alle an das Totengericht angelehnt. Das heißt, wenn du
es ehrlich meinst, kein Falsch in dir trägst, ist dein Herz und deine Seele
rein und ein Fluch wird dir nicht schaden. - Du möchtest das Puzzle
haben?“ Levi nickte. „Ja, bitte gib es mir“, bat der Junge und sein
Großvater atmete tief durch. Hoffentlich ging das gut! „Dann alles Gute
zum Geburtstag, Levi!“ Und der Kleine strahlte über das ganze Gesicht,
als er dankend seinen Großvater umarmte. Dann schnappte er sich seinen
Rucksack und die goldene Lade, um in sein Zimmer zu gehen.
Am Abend seines 14. Geburtstags begann Levi mit der Aufgabe das Puzzle
zu lösen.
*
**
Gefrustet und Tränen verschmiert betrat Levi stürmisch den Laden,
schlug die Tür hinter sich zu und raste an seinem Großvater vorbei.
Dieser hatte aufgeblickt und war erschrocken über den Anblick seines
Enkels. Die Hose war zerfetzt, das Hemd aufgerissen und
blutverschmiert, sein linkes Auge zierte ein Veilchen und... weiter konnte
Alwin nichts mehr erkennen, da Levi schon an ihm vorbeigerauscht war.
Es knallten noch zwei Türen und dann konnte er das bitterliche,
verzweifelte Weinen des Jungen hören. Gepeinigt schloss er die Augen,
atmete tief durch und ging zur Ladentür, um diese über die Mittagszeit zu
schließen.
Langsam ging Alwin in die Küche und begann Pudding zu kochen – das
Rezept gegen schlechte Laune und Trübsal. Er hatte in den letzten
Monaten beobachtet, dass es mit den Übergriffen auf Levi immer
schlimmer geworden war. Doch dieser hatte die Zähne
zusammengebissen. Heute war Zeugnisausgabe gewesen... und dies
schienen wohl einige zum Anlass genommen zu haben, ihren Frust an
Levi auszulassen. Der Kleine schien wirklich heftige Prügel kassiert zu
haben. Den Göttern sei Dank, waren jetzt sechs Wochen Ferien und dann
würde Levi in die Oberstufe gehen. Da würden die Klassen neu
zusammengewürfelt werden... und hoffentlich hatte der Kleine diesmal
endlich Glück!
Nach einer halben Stunde brachte Alwin den Pudding zu Levi. Doch
dieser hatte seine Tür verschlossen. „Levi... Ich habe Pudding. Ich stell
ihn dir vor die Tür“, sprach der Großvater leise. Nichts regte sich aus dem
Zimmer, außer ein vereinzeltes Schniefen. Alwin seufzte und ging wieder
in die Küche, um sich selber eine Schüssel Pudding zu genehmigen.
Als Levi sein Zimmer betreten und die Tür hinter sich zugeschlagen hatte,
brach alles aus ihm heraus. Er warf sich aufs Bett und fing an bitterlich
zu weinen. Immer wieder schlug er mit der Faust auf das Kopfkissen,
während er seine Verzweiflung, seine Hilflosigkeit, seine Wut und seine
Angst in das Kissen schrie. Er konnte und wollte nicht mehr! Was hatte er
den anderen getan? Was hatte er falsch gemacht? Warum ließ man ihn
nicht einfach in Frieden?
Man hatte ihn nach der Zeugnisausgabe abgefangen. Sie sagten, jetzt
würde er seine Lektion erteilt bekommen...
Irgendwann beruhigte Levi sich wieder. Er erhob sich und schloss die Tür
ab. Er wollte heute einfach nur noch seine Ruhe haben. Dann trat er
langsam zu seinem Schreibtisch und blickte auf das Puzzle. Er saß nun
seit zwei Jahren daran...
Automatisch griff er wieder zu dem Horusauge – wie so oft in letzter
Zeit, wenn er einen Halt und Trost brauchte -. „Wirst du mir einen
Wunsch erfüllen, wenn ich dich löse?“, murmelte Levi selbstironisch und
setzte sich auf den Schreibtischstuhl. Zögernd griff er nach einem Teil
und musterte es genau. Wie viele er wohl heute erfolgreich platzieren
könnte? Die letzten Tage waren es immer zwischen zwei oder drei Teile
gewesen – oder mal gar nichts.
Nachdenklich betrachtete er nun das Puzzle. Immer wieder schniefte er
auf. Dass sein Großvater an die Tür klopfte, hörte er nicht. Zu sehr war er
in dem Mustern und Analysieren des bereits fertigen Teiles des Puzzles
vertieft. Und da setzte er das Puzzleteil ein und... es passte. Levi blinzelte
verwirrt. Er griff nach dem nächsten Teil... und es passte. Nun richtete
sich der junge Mann langsam auf und seine Augen begannen zu strahlen.
Sollte er heute... endlich...?
Es war so, als ob seine Hand geführt werden würde... denn immer griff er
gezielt nach dem richtigen Puzzleteil. Atemlos beobachtete Levi
fasziniert, wie sich das Puzzle mit einem Schlag formte. Die Konturen
einer geflügelten Sphinx nahmen immer mehr Gestalt an. „Wow...“,
entfuhr es Levi fasziniert, als er mal kurz innehielt und sein Werk
musterte. Es war nicht nur eine Sphinx, sondern zwei Sphinxen, die sich
gegenüber saßen.
Langsam erhob er sich und streckte seine Glieder. Er ging zur Tür und
schloss sie auf. Mit einem Lächeln entdeckte er den Pudding, den sein
Großvater vor die Tür gestellt hatte. Mit der Süßigkeit bewaffnet lief er
wieder zu seinem Schreibtisch und aß regelrecht heißhungrig alles auf.
Der Pudding war einfach nur köstlich! Dann stellte er die Schüssel
beiseite und musterte wieder die beiden halbfertigen Sphinxen. Sie
wirkten schön, kraftvoll und so mystisch durch das Zusammenspiel von
Silber, Gold und den verschiedenen geschnitzten Edelsteinen.
Sofort griff er wie automatisch ohne hinzuschauen nach einem weiteren
Teil. Natürlich passte es! Die Atmung des Jungen wurde immer ruhiger
und sein Puls verlangsamte sich. Es schien, dass mit jedem Puzzleteil, das
passte, er eingehüllt wurde... in etwas, was ihm Wärme, Sicherheit und
Geborgenheit versprach. Es war eine Präsenz und Stärke, die ihn an die
Hand zu nehmen schien.
Und schließlich hielt Levi das letzte Teil in der Hand. Das Horusauge,
geschnitzt aus einem zartblau-violetten Saphir. Tief atmete er durch.
Mit einem leisen Klick setzte er das Horusauge als Verbindungsstück
zwischen den beiden Sphinxen ein. Nun wirkte es so, als ob die Bestien
über das Horusauge wachen würden.
Da glühte das Auge gleißend auf.
Schwarze Schatten tauchten auf und umhüllten den Körper des
Jugendlichen. Ließen keinen Laut nach außen dringen.
Ungeduldig wanderte Amsu durch die Gänge seines Gefängnisses.
Irgendetwas war im Gange. Er spürte es. Irgendetwas würde passieren.
Er hatte bereits in der letzten Zeit immer wieder mal eine Art Impuls
gespürt. Doch diesmal war es anders. Diesmal schien ein Singen, ein
Frohlocken durch die Gänge zu schweben. Sollte es endlich soweit sein?
Sollte er endlich hier herauskommen? Sollte er frei sein? Konnte er
endlich Rache nehmen? Rache an Jahi und an diesen elenden Göttern!
Und plötzlich öffnete sich direkt vor dem Pharao eine Tür, die vorher ganz
bestimmt nicht da gewesen war! Amsu sah das Licht und ein diabolisches
Grinsen huschte über seine Lippen. Er beschwor die ureigene Magie des
Kuk, der Urfinsternis, und nahm Besitz von dem Körper! Hatte er doch
die Seelenkammern erkannt. Rücksichtslos bannte er mit seiner dunklen
Magie die Seele seines Gefäßes in dessen Kammer und...
.
.. schlug die Augen auf. Mit einer herrischen Handbewegung bannte er
die Magie und runzelte die Stirn. Warum schmerzte ihn das linke
Jochbein? Auch seine Hände und Knie brannten. Mit scharfem Blick
schaute er sich um und... stellte mit Entsetzen fest, dass er NICHT mehr
in seinem Palast... ja noch nicht einmal mehr in Ägypten war!
„
Was...“, entfuhr es ihm fast schon panisch und sein Verstand drohte
zu streiken, als er die Eindrücke und Informationen in sich aufsaugte. Wo
war er hier?!
Levi schrie vor Schmerzen auf, als er spürte wie er sich irgendwie von
seinem Körper zu lösen schien und mit brachialer Gewalt irgendwohin
gezogen wurde und... sich plötzlich in einem Raum wieder fand?!
„
Was...“, entfuhr es ihm verwirrt, da fiel sein Blick auf die Tür des
Raumes, welche sich gerade schloss. „NEIN!“, rief er laut und stürmte zur
Tür, um sie wieder aufzureißen, doch sie blieb verschlossen. Nichts
rührte sich. Und da kroch langsam Panik in Levi hoch. Er rüttelte an der
Tür. Trommelte mit den Fäusten dagegen. „Aufmachen! Lasst mich hier
raus!“, rief er immer wieder. Doch nichts geschah. Hektisch blickte er
sich um. Der Raum war hell und gemütlich. Ein großes Fenster, was eine
Waldlandschaft zeigte, war zu sehen. Und eine Kuschelecke und Spiele...
sehr viele Spiele. Wenn Levi Zeit hatte, würde er sich das später mal
genauer anschauen, aber im Moment musste er hier raus. So griff er
kurzerhand nach einem Stuhl und versuchte mit diesem die Tür
einzuschlagen.
Amsu war erschlagen von all dem, was er hier in diesem Zimmer vorfand
und sah. Er trat ans Fenster und als er hinaus blickte, war es endgültig zu
viel für ihn. Das Horusauge des Puzzles leuchtete wieder auf und schon
wurde der Pharao regelrecht aus dem Körper gezogen. Er wehrte sich
nicht dagegen. Er war wie gelähmt von den Eindrücken...
Plötzlich öffnete sich die Tür wie von selbst. Verblüfft ließ Levi den Stuhl
keuchend fallen, da tauchte auf einmal ein gleißendes Licht auf und er
verspürte einen Sog. Panisch versuchte er sich um zu blicken... und da
traf für wenige Bruchteile einer Sekunde glühendes rubinrot auf sanftes
rehbraun...
Amsu bekam einen kurzen Einblick in die Seele von Levi...
Levi verspürte grenzenloses Vertrauen, Wärme, Geborgenheit und
Stärke...
Und da war er plötzlich wieder der Herr über seinen Körper. Zitternd und
mit vor Panik geweiteten Augen brach Levi keuchend auf die Knie. Was
war gerade eben passiert?
Kapitel 2:
Amsu stand inmitten seines Verlieses. Die Tür hinter ihm war
geschlossen, aber sie war noch da. Und er wusste, er konnte die Tür
jederzeit öffnen, wenn er es wollte. Schließlich beherrschte er die dunkle
Magie der Urfinsternis und deren Schatten! Auch einer der Gründe,
warum er so verhasst war. Nur Jahi hatte zu ihm gehalten und ihm den
Rücken gestärkt... bis zu dem einen Tag...
Amsu seufzte. Er verbat es sich an die Vergangenheit zu denken, denn er
hatte aktuell ein ganz anderes Problem. Er war gefangen in einem Gefäß.
War von diesem Gefäß abhängig und er war nicht mehr in seinem Palast
und auch nicht in Ägypten! Wo war er? Und warum war so vieles da
gewesen, was er nicht kannte... noch nie gesehen hatte?
Alles war mit Stein bebaut worden. Kein Platz für Natur. Kein Sandkorn!
Und es war Nacht gewesen... Doch er hatte keine Sterne sehen können.
Wo also war er und vor allem... Wie LANGE war er schon eingesperrt
gewesen?
Amsu schnippte mit den Fingern und vor ihm tauchte ein Thron auf. Der
Pharao ließ sich auf diesem nieder und begann nachzudenken über das,
was er gesehen hatte...
Levi lag lange auf seinen Knien und versuchte sein Herz zu beruhigen. Er
versuchte die Panik nieder zu kämpfen und langsam glitt sein Blick zu
den beiden Sphinxen, die noch immer auf dem Tisch lagen.
Was war das gerade eben gewesen?
Er hatte es regelrecht gespürt, als er plötzlich die Kontrolle über seinen
Körper verloren hatte. Ja, quasi nur noch zugesehen hatte und... er wurde
von seinem Körper weggezogen. Es war wie eine Tür, die vor ihm stand
und sich immer weiter entfernte. Und dann stand er plötzlich in diesem
Raum... mit eben verschlossener Tür!
Levis Kopf schwirrte. Und endlich ließ das Zittern nach. Langsam erhob
er sich. Er fühlte sich matt und ausgelaugt und noch immer konnte er es
nicht begreifen.
Er trat an den Tisch und griff nach dem ungewöhnlichen Puzzle. Er strich
über das Horusauge und schon wurde er wieder ruhiger. Ob er sich das
alles eingebildet hatte? Schließlich wurde er ja die letzten Wochen
psychisch ziemlich fertig gemacht und dann heute, als man ihn
zusammengeschlagen hatte. Vielleicht war das alles einfach zu viel?
Ja, das musste es sein. Er hatte sich das alles nur eingebildet!
Langsam schälte er sich aus seinen Klamotten. Für eine Dusche hatte er
jetzt keinen Nerv mehr. Dann legte er sich ins Bett – die Sphinxen neben
sich auf dem Kopfkissen.
Levi beobachtete sie, doch nichts geschah. Als er sie zusammengesetzt
hatte, wurde plötzlich alles dunkel um ihn herum. Er bekam kaum Luft...
Und ja, die Sphinxen hatten geleuchtet!
Tief seufzte er und grübelte immer noch, ob er sich das nur alles
eingebildet hatte oder ob es real war...
Im Morgengrauen endlich schlief er ein – das Puzzle im Arm.
Amsu wurde plötzlich aus seinen Gedanken gerissen. Das Gefäß, in dem
er wohl momentan lebte, war eingeschlafen. Zumindest schien die Magie
des Puzzles ihm das zu vermitteln. Er biss sich auf die Unterlippe. Was
sollte er tun? Er könnte ohne Probleme den Körper übernehmen und die
andere Seele einfach einsperren... vielleicht sogar im Laufe der Zeit zu
einem Sklaven abrichten. Nur stand er vor dem Problem, dass er nicht
wusste, in welchem Land und in welcher Zeit er lebte. Er brauchte die
Sprache und auch die Erinnerungen und Gedanken seines Gefäßes, um
überleben zu können. Und an die kam er leider nur, wenn er mit der
Seele des anderen kommunizierte und dieser ihn freiwillig in die
Gedanken ließ...
Der Pharao haderte mit sich. Er war es von klein auf gewohnt alles zu
bekommen, was er wollte... so wusste er jetzt nicht, wie er sich verhalten
sollte. Denn es war keineswegs selbstverständlich, dass die andere Seele
mit ihm kooperieren würde, nachdem er vorhin so brachial vorgegangen
war.
Ja.. er hatte die Angst und Verwirrung, die Panik und das Unverständnis
in diesen so sanften rehbraunen Augen gesehen, als sie sich beim
Seelentausch kurz begegneten.
Schließlich gab er sich einen Ruck und erhob sich. Er spürte die dunkle
Schattenmagie und er musste zugeben, es war ein berauschendes Gefühl.
Endlich fühlte er sich wieder vollkommen!
Langsam trat er zur Tür und öffnete sie behutsam. Ihm gegenüber sah er
auf die verschlossene Tür der anderen Seele. Langsam trat er ran und
öffnete sie behutsam und äußerst vorsichtig.
Was er nun zu sehen bekam, ließ ihn den Atem stocken!
Der Raum war so hell und strahlte reines Licht aus. Er sah überall Spiele,
ein großes Fenster und... in einer gemütlich wirkenden Sitz- und
Kuschelecke eine kleine zusammengekauerte Gestalt, die leise weinte.
Ein merkwürdiges Gefühl kroch in dem Pharao hoch. Und zwar der
Wunsch, diese Seele vor allem Übel zu beschützen.
Und so räusperte er sich leise und klopfte behutsam gegen die Tür.
Als Levi eingeschlafen war, verfolgten ihn die Bilder des Tages. Die
Jugendlichen jagten ihn durch die halbe Stadt, bis sie ihn packen konnten
und zuschlugen. Verzweifelt schrie er um Hilfe und plötzlich wurde alles
hell um ihn und er fand sich in dem Raum wieder, in dem er vorhin
eingesperrt war. Doch diesmal war das Gefühl anders. Levi wusste, dass
die Tür nicht verschlossen war.
Noch immer weinend verkroch er sich in der Kuschelecke. Er verstand
nicht, warum man ihn gejagt und verprügelt hatte. Er hatte doch nichts
gemacht. War allem Ärger aus dem Weg gegangen!
Nur langsam konnte er sich beruhigen und dennoch liefen seine Tränen
weiter.
Da klopfte es fast schon zaghaft an der Tür.
Levi verspannte sich am ganzen Körper, fuhr hoch und wirbelte herum.
Gehetzt blickte er nun zur Tür und zu dem jungen Mann, der dort stand!
Sofort sprang der Kleine auf die Beine, wischte sich mit seinem Arm die
Tränen aus dem Gesicht und wich sicherheitshalber einen Schritt zurück.
„Wer bist du?