Die Mär vom Drachen und dem Magier: Sammelband - Anne Wockenfuß - E-Book
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Die Mär vom Drachen und dem Magier: Sammelband E-Book

Anne Wockenfuß

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Beschreibung

Ein scheinbar bedeutungsloser Moment in Kalils Kindheit, sichert ihm die Treue des weißen Drachen - dem Fürst aller Drachen. Ein schreckliches Ereignis bindet das Schicksal Khalfanis fest an den Fürsten der Magier. Und plötzlich stehen sich zwei leidgeprüfte Seelen gegenüber, die eigentlich Feinde sein sollten... Dieses Buch erzählt die Geschichte zweier Personen, die verzweifelt versuchen, ihr vorherbestimmtes Schicksal zu ändern

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Anne Wockenfuß

Die Mär vom Drachen und dem Magier: Sammelband

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1: Der Junge und das Monster

Kapitel 2: Begegnung

Kapitel 3: Unterwegs

Kapitel 4: Im Schott

Kapitel 5: Die Wüstenwinde

Kapitel 6: Der kleine Dieb

Kapitel 7: Der Dieb und der Pharao

Kapitel 8: Der rote Magier

Kapitel 9: Die Mär vom Drachen und dem Magier

Kapitel 10: „... denn er weiß nicht, was er tut!“

Kapitel 11: „... wenn du stirbst, wirst du wieder als Südwind frei sein.“

Kapitel 12: Im Dunkeln liegt der Weg derer...

Kapitel 13: ... denen im finsteren Chaos das Leben geschenkt wurde

Kapitel 14: Die Zeit steht still

Kapitel 15: Sethos, der Sohn des Wüstenwindes

Kapitel 16: Nun, der Urgott

Kapitel 17: Rotauge stirbt

Kapitel 18: Gefangen

Kapitel 19: Der Fürst der Drachen

Kapitel 20: Gebrochen

Kapitel 21: Die Bürde des Pharaos

Kapitel 22: Invaded

Kapitel 23: Zar Alexander lädt ein...

Kapitel 24: Der Namenlose

Kapitel 25: Licht und Schatten

Kapitel 26: Jaoon Kahan (Wohin soll ich nun gehen?)

Kapitel 27: Die Mär vom Dieb und dem Pharao

Kapitel 28: „Ihr werdet wieder gemeinsam über den Wolken fliegen!“

Quellennachweis

Impressum

Kapitel 1: Der Junge und das Monster

Der kleine Junge war gerade einmal fünf Jahre alt, als er so allein durch den riesigen dunklen Wald tapste. Mama und Papa hatten immer gesagt, dass er nur in Begleitung eines Erwachsenen in den Wald durfte, da hier wilde Monster leben würden. Monster, die noch nicht gezähmt waren und Menschen fraßen. Aber dem Knaben war das gerade so ziemlich egal.

Mama hatte ihm erlaubt, spielen zu gehen. ALLEIN spielen zu gehen. Und das musste man doch ausnutzen! Endlich konnte der Knabe einmal auf eigene Faust den ach so bösen und dunklen Wald erkunden!

Mit leuchtenden violetten Augen sah sich der Bub immer wieder um. Der Wald war so schön und überhaupt nicht furchteinflößend! So viele Blumen, die er noch nie gesehen hatte. Schmetterlinge und Bienen huschten von einer Blüte zur nächsten. Klar, da hinten am Rande des Sichtfeldes waren tiefe Schatten, aber selbst diese wirkten überhaupt nicht bedrohlich. Hier und da knackte mal ein Zweig, aber der Knabe war sich sicher, dass da nichts Schlimmes auf ihn lauerte. Er konnte sich nicht vorstellen, warum ein Monster ihm etwas antun wollen würde, wenn er nichts getan hat. Der Kleine wollte ja nichts jagen oder gar töten. Nein! Er war nur begierig darauf herauszufinden, was so gruselig an diesem Wald sein sollte.

Mit der Zeit bekam der kleine Junge Durst. Ratlos blickte er sich um. Hatte er doch das Wasser zum Trinken zu Hause vergessen! Ihm fiel eine Episode ein, als er und sein Papa letzte Woche zusammen wandern gewesen waren. Da hatte sein Papa nämlich einen kleinen Wasserlauf gesucht und auch gefunden, so dass sie daraus trinken und ihren Durst stillen konnten.

Nur… wo und vor allem wie sollte er hier im Wald auf die Schnelle Wasser finden?

Eher ratlos stapfte der Knabe über eine Lichtung. Die Sonne schien so schön warm und plötzlich sah er Pusteblumen! Vergessen war der Durst und der Junge rannte zu den Pusteblumen. Er spielte mit ihnen und berührte dabei aus Versehen eine andere Pflanze. Die Frucht dieser Pflanze explodierte mit einem kleinen „Plopp“. Es war Springkraut. Der Knabe war so fasziniert davon, dass er sich nun ausgiebig mit dem „Explodieren“ der Früchte beschäftigte und dabei jedes Mal laut auflachte, wenn es „Plopp“ machte.

Allerdings meldete sich nach einiger Zeit wieder der Durst und das immer stärker. So begab sich der Knabe schweren Herzens und mit einem theatralischen Seufzen erneut auf die Suche nach Wasser, nach dem er sich bei den „ploppenden“ Blumen verabschiedet hatte.

Einige Zeit später fand der Kleine tatsächlich einen ganz kleinen Bach. Und wie er es bei seinem Papa gesehen hatte, stellte er sich breitbeinig über das Wasser, beugte sich nach vorn, um mit seinen Händen Wasser zu schöpfen und… Platsch! Der Knabe hatte das Gleichgewicht verloren und lag nun mit seinem ganzen Körper im Wasser. Laut japste er auf und kämpfte sich ans Ufer. Toll! Mama würde böse mit ihm werden.

Plötzlich horchte er auf. Der Knabe hörte ein Lachen. Es war kein menschliches Lachen. Es waren merkwürdige Töne, die er noch nie gehört hatte, aber es war definitiv und unverkennbar ein Lachen. Vor Nässe triefend richtete sich der Junge auf und blickte sich suchend um. Neben einem kleinen Baumstumpf sah er eine kleine braune Fellkugel, die irgendwie komisch aussah. Der Körper glich einem Welpen von einem Höllenhund mit übergroßen Pranken. Der Kopf glich dem eines kleines Kätzchens und auf dem Rücken konnte man kleine skelettierte Flügel erkennen. Ein kleiner aber prächtiger Löwenschweif komplettierte das Bild.

„Ich finde das gar nicht lustig!“, sagte der Kleine fest mit seiner kindlichen Stimme. Die Fellkugel hörte auf zu lachen und blickte mit seinen großen gelben Augen den Jungen an.

„Ich hätte ertrinken können!“, erklärte dieser nun bestimmt.

Schweigen. Dann brach die Fellkugel wieder in helles Lachen aus. Der Knabe zog eine Schnute. „Hey…“, murrte er, doch das Fellknäuel lachte weiter.

„Na warte!“, rief der Junge da aus und stürmte auf das Hunde-Katzen-Ding zu. Dieses sprang auf und rannte immer noch lachend und neckend davon. Es entwickelte sich eine spielerische Jagd. Mal rauften sich die beiden, mal lagen sie Luft holend nebeneinander und dann jagten sie sich gegenseitig. Zwei Kinder hatten sich gefunden.

Dieses kindliche Spielen und gegenseitige Jagen ließ die beiden immer tiefer in den Wald vordringen. Sie nahmen dabei keinerlei Notiz von ihrer Umgebung und schließlich stolperten sie regelrecht auf eine Lichtung. Keine einzige Pflanze wuchs auf dieser. Die Bäume, welche die Lichtung regelrecht umschlossen, waren so dicht und dunkel, dass sie keinen Feind durchließen. In mitten dieser freien Fläche lag ein kleiner, aber tiefer See, aus dem ein großer, flacher Felsen ragte. Auf der gesamten Lichtung lagen verschiedene Felsbrocken in allerlei Formen, Größen und Varianten verstreut. Und auf diesen Felsen aalten und sonnten sich Drachen von unterschiedlichen Formen und Farben in der untergehenden Sonne. Sämtliche Kreaturen blickten fast schon gelangweilt auf, als die beiden Kinder auf die Lichtung stolperten und erstarrten, als sie in dem einen Kind einen Menschenjungen erkannten.

Der Knabe kam schlitternd zum Stehen, als er die Wesen sah. Das Fellknäuel dagegen rannte wie Schutz suchend zu einem dunkelgrünen Drachen, mit tiefschwarzen Augen und zwei Hörnern auf dem Kopf. Dem Jungen blieb der Mund offen stehen. Das war nicht fair! Da lachte das Fellknäuel wieder und lockte den Knaben. Dieser grinste spitzbübisch auf und marschierte nun mit festem Schritt auf den Drachen zu, dabei alles um sich herum vergessend.

Auf den großen flachen Felsen im See lag ein schneeweißer Drache mit Augen so blau wie ein Meer aus Eis. Diese Augen ruhten wachsam auf der Umgebung und schienen alles zu sehen.

Als der Junge sich dem grünen Drachen näherte, erhob sich der Weiße in die Lüfte und stellte sich mit einem leisen Brummen zwischen seinem Artgenossen und dem Knaben. Dieser blieb verblüfft stehen und legte seinen Kopf tief in den Nacken, um zu dem Riesen hoch zu blicken. Der Weiße ließ sich auf die Vorderbeine nieder und neigte sein Haupt hinab, bis es auf Augenhöhe des Kindes war.

„Was willst du hier, kleiner Mensch?“, fragte der Drache leise. Dabei blickten eisblauen Augen direkt in die violetten Augen des Jungen. Dieser schluckte leicht und verlor sich in den blauen Tiefen dieser Kreatur.

„Wir haben gespielt…“, murmelte der Knabe zögerlich.

Ein leises Grinsen huschte über die Züge des Drachen.

„Wie heißt du?“, fragte er weiter.

„Ich bin Kalil!“, antwortete nun das Kind fest.

„Riu, Riu!“, kam es da vom kleinen Fellknäuel wie gegurrt, was sich noch immer hinter dem grünen Drachen versteckte.

Kalil und der Weiße blickten zu dem kleinen Höllengreif rüber und der Knabe grinste breit. Dann blickte der Weiße wieder zu den Jungen.

„Du musst wieder nach Hause gehen. Die Sonne geht unter und deine Eltern werden dich bestimmt schon vermissen.“

Kalil blickte erneut in die Augen des Drachen.

„Darf ich dich anfassen?“, fragte er stattdessen.

Der Weiße neigte sein Haupt noch tiefer. Ganz langsam hob Kalil seine rechte Hand und legte sie zögerlich auf die Stirn des weißen Drachens. Dieser schloss seine Augen, als diese sanfte, warme Hand ihn berührte. Er spürte den Jungen, atmete seinen Geruch tief ein und wusste, diesen Menschen würde er nie vergessen. Kalil ließ seine Hand wieder sinken.

„Darf ich wieder kommen?“, fragte er nun und der Weiße nickte. Da lachte Kalil strahlend auf.

„Bis morgen, Riu!!“, rief er dem Fellknäuel winkend zu und machte sich auf den Heimweg. Er hatte einen Drachen angefasst! Das musste er unbedingt Mama und Papa erzählen…

***

Der Jüngling blickte sich mit seinen großen smaragdgrünen Kinderaugen in seinem Schlafgemach um. Diese Nacht würde die Letzte sein, die er hier verbringen würde. Für eine sehr lange Zeit. Sein Vater war der große Akhenaten. Dieser war der Pharao über Ägypten. Und sein Vater hatte sich in den Kopf gesetzt, dass er später ein weiser, gerechter und weltoffener Herrscher sein sollte. Denn nur ein Herrscher, der die Welt gesehen hat, könne sein Volk sicher in die Zukunft führen. Noch immer fragte der Knabe sich, warum sein Papa auf die doch wirklich dumme Idee gekommen ist, dass er auch Pharao werden würde. Was, wenn er etwas anderes werden wollte? Zum Beispiel ein Gott oder ein Krieger oder noch besser Priester!

Khalfani ließ sich seufzend auf sein großes weiches Bett fallen. Bis vor etwa zwei Wochen hatte er nichts von der Bürde eines Herrschersohnes zu spüren bekommen. Doch vor zwei Wochen ist er zehn Jahre alt geworden und da hatte ihm sein Vater eröffnet, dass er nun unter dem Decknamen Sir Richard Wellington auf ein Internat für Herrschersöhne nach England gehen würde. Dort würde er alles beigebracht bekommen – angefangen über Allgemeinwissen bis hin zu Kriegstaktiken. Khalfani blickte an die Decke. Er sollte alleine in die große Welt. Er war noch nie weit weg von zu Hause gewesen und nun sollte er auf einmal für so lange Zeit in ein ihm komplett fremdes Land… Khalfani verstand es nicht.

Ein leises Maunzen ließ den Knaben sich auf die Seite drehen und er blickte in die goldenen Augen einer kleinen Straßenkatze, die sich irgendwie in die Palastmauern verirrt zu haben schien. Khalfani musste grinsen, als er sich einen Bindfaden angelte und mit diesen die kleine Katze provozierte. Als das Kätzchen den sich bewegenden Bindfaden entdeckte, erstarrte es und fixierte diesen. Es legte sich flach auf den Boden, drückte die Hinterpfoten fest auf die Erde, die Schwanzspitze wackelte leicht, aber hektisch hin und her und die Schnurrhaare waren ganz weit nach vorne aufgestellt. Die Ohren der Katze waren gespitzt und die Augen weit geöffnet. Die Pupillen waren so groß, dass sie das Gold der Augen verdeckten. Und da funkelte es in den Iriden auf und die Katze sprang los. In dem Moment zog Khalfani an dem Faden und das Tier sprang schlitternd ins Leere, um gleich darauf dem Ende des Fadens hinter herzujagen. Khalfani lachte kindlich auf und schon war er im Spiel mit dem Kätzchen vertieft.

So fand Mahad, ein treuer Diener Akhenatens und Beschützer Khalfanis, den Kleinen vor. Eine Weile beobachtete er den Jungen, der so unbekümmert und vergnügt mit dem Kätzchen spielte. Er hielt es nicht für richtig, den Prinzen wegzuschicken, aber die Umstände erlaubten nichts anderes. Um Khalfani vor seinen Feinden zu schützen, musste er das Land verlassen. Und der Knabe hatte viele Feinde!

Laut räusperte sich Mahad, um sich Gehör zu verschaffen. Khalfani hielt in seinem Spiel abrupt inne und die Katze suchte ihr Heil in der Flucht.

„Du solltest doch deine Habseligkeiten packen, mein Prinz!“, ermahnte er den kleinen Jungen sanft. Dieser blickte betrübt zu Boden, Tränen unterdrückend.

„Ich will nicht weg von hier!“

„Du musst aber... zu deinem eigenen Wohl! Glaub mir, wenn du älter bist, wirst du es verstehen...“, nahm Mahad den Prinzen in dem Arm und erlaubte ihm Tränen zu weinen.

Als sich Khalfani nach einer Weile beruhigt hatte, packten sie gemeinsam die Habseligkeiten zusammen, die der Knabe mitnehmen würde. Dann zog sich Mahad mit den Worten zurück, dass Khalfani sich auf einen frühen Aufbruch gefasst machen müsse.

Es war Vollmond. Mahad stand auf dem Balkon in seinem Gemach. Er lehnte sich auf die Brüstung, während er leicht irritiert den Mond betrachtete. Dieser war blutrot. Sollte das ein Omen sein?

„Was bedrückt dich, Mensch?“, trat aus dem Nichts ein menschenähnliches Wesen an ihn heran. Auch wenn es wie ein Mensch aussah, der sich zum Spaß in ein Gewand eines Zauberers geworfen hatte, so konnte man doch an den Augen erkennen, dass es eine Kreatur... ein Monster war. Dieses Wesen gehörte zu den Magiern, selber noch sehr jung für seine Art und dennoch ein Fürst unter den Kreaturen. Er hieß Baniti und stand immer an der Seite Akhenatens, obwohl er diesen nie diente. Niemand wusste, was das eigentlich für eine Verbindung zwischen den beiden war, doch wollte auch Niemand wissen, was passieren würde, wenn man Akhenaten im Beisein des Magiers angriff. Mahad blickte auf.

„Der Mond ist blutrot... Ich mache mir Sorgen um den Prinzen.“

Baniti schnaubte leise verächtlich. Dies veranlasste Mahad den Magier direkt zu Fragen.

„Warum stehst du immer an seiner Seite? Es ist doch offensichtlich, dass du Akhenaten nicht leiden kannst!“

Der Fürst der Magier blickte Mahad an. Wohl zum ersten Mal überhaupt blickte dieses Wesen einem Menschen direkt in die Augen.

„Akhenaten hat viele von uns vernichtet, um seine Macht zu festigen. Seine „Symbole“ seiner Macht wurden aus dem Blut der Unseren gefertigt. Ich habe ihm einen Handel vorgeschlagen. Er lässt uns „Monster“, wie ihr Menschen uns nennt, in Frieden. Kein Vernichten, kein Versklaven – einfach nur ein nebeneinander existieren und ich bleibe immer an seiner Seite, leihe ihm meine Macht.“

Mahad schluckte schwer und wandte seinen Blick ab. Ungern erinnerte er sich an die Zeit, als so viele Menschen und auch Monster vernichtet wurden, um das Land zu einigen und die Herrschaft Akhenatens zu festigen. Auch er, Mahad, hatte in dieser Zeit einen Kindheitsgefährten verloren – ebenfalls einen Magier. Jedoch war er auch erstaunt, weil er von diesem Pakt zwischen dem Pharao und dem Magier nichts wusste.

„Er hat mich eben gebeten, immer an der Seite seines Sohnes zu sein und über ihn zu wachen...“, murmelte da Baniti.

Mahad blickte auf.

„Und wirst du?“ Der Magier trat nun auch an die Balkonbrüstung.

„Ich soll den Sohn meines Feindes schützen?“, war die Gegenfrage. Mahad konnte nicht mehr darauf antworten. Sein Blick war auf die Tormauern gefallen und er erstarrte vor Entsetzen. Der Putsch hatte begonnen. Vor den Toren des Palastes waren Feinde des Pharaos, die ihn stürzen und sein gesamtes Blut auslöschen wollten.

„Tu, was du willst! Nur lasse ich nicht zu, dass ein kleiner unschuldiger Junge für die Verbrechen seines Vaters zahlen muss, welche dieser lange vor der Geburt des Jungen beging!“, und damit ließ er den Magier stehen und eilte in das Schlafgemach seines Pharaos.

„Akhenaten!“, rief Mahad, als er ohne zu Zögern die großen Türen zum Schlafgemach des Pharaos aufstieß. In Mitten des großen Raumes stand er. Aufrecht und doch gebrochen.

„Ich habe es bereits bemerkt...“, antwortete der Pharao leise. Mahad blieb wie angewurzelt stehen. Auch Baniti war ins Schlafgemach geeilt und verharrte nun neben Mahad. Sie sahen Tränen auf dem Gesicht des alten Mannes.

„Ich habe so viel geopfert... so viel Blut vergossen und so viel Unrecht getan, um meinem Volk eine bessere und sichere Zukunft zu bringen... Und nun erhebt sich mein Volk gegen mich! Wir Herrscher sind doch nur Marionetten des einfachen Volkes...“, sprach der Pharao unter Tränen. „Ich flehe euch an! Rettet meinen Sohn und bringt ihn in Sicherheit! Er soll nicht für das büßen, was ich verbrochen habe!“, sank der große Herrscher vor Mahad und dem Magier auf die Knie und flehte. Die Augen Banitis verengten sich.

Die Tür von Khalfanis Schlafgemach wurde brutal aufgerissen und der kleine Prinz fuhr aus dem Schlaf – seine Augen schreckgeweitet. In der Tür stand Papas Magier und Mahad war schon im Zimmer und holte die gepackten Sachen. Mahads Blick fiel auf den Pharao und das kleine Straßenkätzchen, was neben Khalfani saß und ihn auch verblüfft musterte. In dem Moment war Mahad klar, dass dieses Kätzchen schon länger ein Weggefährte des Prinzen war.

„Zieh dich an, mein Prinz! Wir müssen aufbrechen...“, sprach er nun sanft und ruhig. Khalfani nickte halb verschlafen und kleidete sich an. Dann legte er seinem Kätzchen eine Art Geschirr an und nahm es an die Leine. Er wollte nicht, dass das Kätzchen verloren ging. Mahad lächelte, als er dies sah. Dann marschierten die Drei los. Zügig, aber ohne Hast.

Khalfani trug sein Kätzchen im Arm. Verwirrt runzelte er die Stirn, als sie vor einer Geheimtür standen. Warum verließen sie den Palast durch eine Geheimtür und nicht normal durch das Haupttor? In dem Moment, als die Drei in den Geheimgang traten, knallte und prasselte es am Haupttor. Stimmen wurden laut. Wütende Stimmen. Stimmen voller Hass. Und sie verlangten nach seinem Papa. Langsam fing Khalfani an zu ahnen und seine Augen weiteten sich vor Entsetzen. Da schloss sich auch schon die Geheimtür. Der Magier machte mit seinem Zepter etwas Licht und trat voran, gefolgt von dem Prinzen und Mahad.

Der kleine Prinz wusste nicht, wie lange sie schon wanderten. Doch über ihn war immer wieder ein Poltern und Prasseln zu hören. Es machte ihm Angst. Sein Kätzchen lief mittlerweile neben ihm. Instinktiv hatte Khalfani nach einem Zipfel vom Mantel Banitis gegriffen. Er wollte diesen nicht verlieren. Der Magier duldete es schweigend, was Mahad wiederum verwunderte.

„Duhuuuuuu... Baniti?“, fragte da plötzlich Khalfani. Der Magier blieb stehen.

„Was wollten die Menschen von meinem Papa?“ Tiefes Schweigen.

„Ich weiß es nicht...“, murmelte der Magier leise.

„Du lügst!“, war die bestimmte Antwort des Prinzen. Baniti drehte sich nun zu Khalfani um und ging auf die Knie, um mit seinem Gesicht auf gleicher Höhe mit dem Gesicht des kleinen Prinzen zu sein

„Bist du stark genug, um die Wahrheit zu verkraften?“, fragte er leise. Khalfani starrte in die Augen des Magiers. Er ahnte etwas, nur konnte er dieses Gefühl nicht zuordnen, da er noch nie in seinem Leben mit Hass, Leid, Verrat und Schmerz konfrontiert worden war.

„Diese Menschen verlangten nach deinem Vater, um ihn zu stürzen. Sie sind der Meinung, dass dein Vater ein schlechter Herrscher ist und dem Volk nur Leid bringt. Sie wollen ihn stürzen und töten. Und sie wollen alles von ihm töten. Auch dich! Damit keiner von seinem Blut je wieder auf den Thron kommt.“

Khalfani starrte den Magier an. Irgendwie begriff er die Worte. Irgendwie wusste er auch, was das bedeuten sollte. Aber etwas in ihm verweigerte sich, es zu realisieren. Der Magier erhob sich wieder und setzte sich in Bewegung. Khalfani und Mahad folgten.

Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichten die Drei und das Kätzchen auf einem Hügel das Ende des Ganges. Tief atmeten sie die frische Nachtluft ein. Im Osten begann es schon zu dämmern. Khalfani blickte sich langsam um. Er war hier noch nie gewesen... Da blickte er nach Westen und auf die Stadt, in deren Mitte der große Palast des Pharaos thronte. Doch dieser Palast stand in Flammen!

„Papa...“, hauchte Khalfani matt, als er fassungslos auf die Knie sank. Sein Heim verbrannte da gerade...

Emotionslos starrte Baniti auf die Flammen und Mahad biss sich auf die Lippen. Das durfte nicht sein! Plötzlich ertönte hinter ihnen Hufgetrappel. Einer der engsten Vertrauten und Offizier des Pharaos, Issa, kam mit zwei leeren Pferden und einer Eskorte von etwa zehn Mann im gestreckten Galopp angeritten. Aufbäumend parierten sie ihre Pferde, als sie Mahad erreichten.

„Was ist passiert?“, fragte Mahad leicht besorgt, da dies definitiv nicht zum Plan gehörte. Issa neigte leicht sein Haupt zur Begrüßung.

„Es ist schrecklich! Der Putsch ging von Akhenatens Bruder aus. Dieser hat alles vernichtet und zerstört. Er hat den Pharao durch die Gassen der Stadt fast zu Tode geschleift. Halbtot hat er ihn dann auf den Scheiterhaufen verbrannt. Der Palast wurde ebenfalls in Flammen gelegt. Alle, die treu zu Akhenaten standen, wurden brutal vernichtet. Auf Khalfanis Kopf ist ein hohes Kopfgeld ausgesetzt. Er will den Kopf des Knaben auf einem Silbertablett gebracht bekommen!“

Fassungsloses Schweigen folgte. Der kleine Prinz hatte alles gehört. Und während er auf die Flammen seines Palastes starrte, begriff und verstand er nach und nach die Worte, die Issa gesagt hatte.

„Am allerbesten wäre es, wenn wir den Prinzen zu Pferd sofort auf das nächste Schiff schaffen, was ihn nach England bringt. Dort kann er in Ruhe seiner Ausbildung nachgehen und sich auf den Tag vorbereiten, wenn er wieder zurück kommt und die Verräter bestraft. – Nur so können wir den Prinzen schützen!“, sprach Issa nach einer Weile weiter.

„Wie sicher ist er denn? Wer weiß noch davon, dass er nach England geht?“, fragte Mahad besorgt. Da grinste Issa.

„Verzeiht, Mahad. Aber es war alles geplant. Denn Akhenaten ahnte es schon lange, dass sein Bruder gegen ihn intrigierte. Nur konnte er es ihm nie nachweisen. Also bat er mich die Flucht Khalfanis vorzubereiten. Dir wurde es nur so gesagt, damit du den Prinzen schonend darauf vorbereiten konntest. – Niemand wird wissen, unter welchen Namen der Prinz in England leben wird. Niemand, außer du, ich, der Magier und der Prinz selber! Selbst meine Leute hier wissen es nicht!“ Mahad atmete tief durch.

„Was wirst du nun machen?“, fragte Mahad den Magier, als er sich auf das Pferd schwang. Der junge Fürst der Magier antwortete nicht. Dieser trat an den kleinen Prinzen ran und drückte dessen Schulter, während er weiter in die Flammen starrte.

Baniti war schockiert gewesen, als er die Tränen beim Pharao gesehen hatte. Er hatte diesen wohl komplett falsch eingeschätzt gehabt. Und nun der kleine Prinz. Er zitterte am ganzen Körper, weinte hemmungslos und war sich leider viel zu sehr bewusst, was das hier alles bedeutete.

Baniti wusste, der Prinz brauchte nun jemanden, der ihn führte, damit er nicht noch den letzten Funken Menschlichkeit verlor. Denn der Magier spürte es in der Aura Khalfanis, dass dieser so eben gestorben war. Innerlich zerbrochen und um viele Jahre gealtert. Khalfani war mit zehn Jahren Pharao, musste sein Volk regieren und es blieb ihm nichts anderes übrig, als sein Volk in Stich zu lassen und zu fliehen.

„Wir müssen aufbrechen, mein Prinz...“, raunte der Magier leise.

Kapitel 2: Begegnung

Ein kräftiger Schecke näherte sich vorsichtig einem Seitenarm des Nils. Das Ufer war komplett mit Sträuchern und Geäst zugewachsen. Und dennoch schien der Reiter nicht das erste Mal hier zu sein. Denn zielstrebig ritt er das Pferd auf eine scheinbar undurchdringliche Stelle zu. Kurz vor dem Gebüsch zügelte er den Schecken und er hob leicht seinen Umhang. Ein kleiner Dämonengreif sprang vom Pferd und huschte in das Gestrüpp. Violette Augen folgten dem Wesen. Nach einer geraumen Zeit sprang das Fellknäuel wieder aus dem Gestrüpp. Mit einem lauten Gurren signalisierte es, dass die Luft rein war und niemand ihr Versteck gefunden oder in Beschlag genommen hatte. Vorsichtig ritt der Reiter durch das Gestrüpp, dabei keine Spur hinterlassend. Von außen sah es nicht so aus, als ob hier wer je durchgekommen wäre.

Das Pferd trat auf eine relativ große ellipsenförmige Lichtung, die mit Gras bewachsen war. Auch zwei große alte Bäume standen da, die Schatten spendeten. Ein Baum ließ sogar einen Ast bis tief ins Wasser wachsen. Der Reiter atmete erleichtert auf. Er sprang aus dem Sattel, sattelte das Pferd ab und entkleidete sich selber. Zusammen mit Riu, dem kleinen Dämonengreif, und seinem Schecken sprang Kalil ins kühle Nass, um sich abzukühlen und zu reinigen.

Nach einer Weile trat er wieder ans Ufer und legte sich in die Sonne, während sein Pferd anfing zu grasen. Auch Riu legte sich neben den jungen Mann und genoss die Sonne. Er fing leise an zu sirren. Es hörte sich fast so an wie das Schnurren einer Katze.

Kalil musste lächeln, als er hörte, wie Riu wieder fröhlich vor sich hin sang. Mit einem tiefen Seufzen schloss er seine Augen.

Wie oft hatte er seine Vergangenheit Revue passieren lassen und wie oft musste er leider feststellen, dass, wenn er die Augen wieder öffnete, sich nichts verändert hatte. Er war gefangen im Zwielicht dieses Landes...

Stolz hatte Kalil einst seinen Eltern erzählt gehabt, dass er einen Drachen angefasst hatte. Sein Vater beschloss daraufhin am nächsten Tag mitzugehen, weil er wissen wollte, was das für „Freunde“ waren, die sein Sohn gefunden hatte. Kalil hatte etwas Angst gehabt, dass sein Papa ihm das Spielen bei den Drachen verbieten würde, weil dieser eine weiße Drache ja so groß war.

Kaum hatten die beiden die Lichtung betreten gehabt, blieb sein Vater wie angewurzelt stehen und Riu sprang Kalil vor Freude an. Fast schon ungläubig hatte sein Papa das beobachtet und da ging es wie ein Ruck durch den Körper des Mannes. Kalil musste seinem Vater auf dieser Lichtung hoch und heilig versprechen, dass er niemanden von den Drachen und der Lichtung erzählen würde, dann durfte er jeden Tag zum Spielen hier herkommen. Kalil schwor es mit tiefster Inbrunst!

So vergingen die Jahre. Wie oft hatte Papa ihn von der Lichtung wütend abgeholt, wenn Kalil mal nicht seine Aufgaben erledigt hatte. Oder wie oft hatte ein Drache ihn nach Hause gebracht, wenn Kalil wieder zu spät war oder sich verletzt hatte. Es war ein friedliches Miteinander. Und seine Mama hatte ihn oft Leckereien für die Kreaturen mitgegeben.

Dann kam der Tag vor nun sechs Jahren. Kalil war zehn geworden, da wurde sein Papa auf der Straße zwischen der Stadt und seinem Dorf überfallen und getötet. Man hatte ihn gefoltert, um an Informationen zu gelange, ob er nicht doch irgendwo noch etwas Wertvolles hätte. Und dabei entlockten sie ihm das Geheimnis über die Lichtung der Drachen.

Jeder Räuber, Dieb, Monstertrainer und Erwachsener wusste, dass Drachen wertvoll waren. Ganz besonders dieser große weiße Drache mit den eisblauen Augen. Denn wenn man diesen gefangen und gezähmt bekäme, wäre man unbesiegbar!

Kalils Vater war den Wunden erlegen.

Und dann kam dieser eine Abend, als Mama einen Monstertrainer empfing. Kalil hatte durch Zufall das Gespräch zwischen seiner Mama und diesem Trainer mitangehört. Er hatte nicht alles verstanden, jedoch wusste er instinktiv, dass seine Freunde in Gefahr waren. So schlich sich der Kleine leise aus dem Elternhaus und rannte auf geradem Weg zur Lichtung. Schon von weitem hörte er Menschenstimmen und das Brüllen von Drachen. Blinde Angst um seine Freunde trieben den Jungen immer schneller voran. Und mit jedem Schritt wurde etwas in Kalil reifer und erwachsener.

Plötzlich war der grüne Drache neben ihm, hinter dem sich einst Riu versteckt hatte.

„Spring auf!“, knurrte dieser auffordernd.

Kalil griff auch sofort nach einem Horn des Drachen, um aufzuspringen. Kaum hatte er es ergriffen, warf der Drache ihn mit einer Kopfbewegung vollends auf den Rücken. Kalil klammerte sich nun an den Hörnern fest und legte sich ganz flach auf den Hals des Drachens, um ihn so wenig wie möglich zu behindern. Mit kraftvollen Flügelschlägen stieß sich dieser in die Luft und schoss wie ein Pfeil über die Bäume dahin.

Zwei Atemzüge später waren sie auf der Lichtung. Ein Großteil der Drachen war geflüchtet, doch eine Handvoll lag verletzt am Boden. Und schützend vor ihnen stand hoch aufgebäumt der weiße Drache. Er brüllte trompetend und schoss immer wieder Lichtblitze gegen die angreifenden Monster der Monstertrainer. Kalil sah ein Schlachtfeld vor sich und er war entsetzt. Da erblickte er seinen kleinen Freund Riu zwischen den Hinterbeinen des weißen Drachens.

„Riu!“, schrie da Kalil erleichtert, während sein Drache einige Kreise um den Weißen zog, damit Riu aufspringen konnte. Es war ein gewagtes und sehr riskantes Manöver. Doch die Menschen und Monster hielten für einen Moment in ihren Angriffen inne, als sie den kleinen Jungen auf den Drachenrücken sahen. Und schon war der Drache mit Riu und dem Jungen wieder weit oben in den Lüften.

Kalil starrte runter zu dem Weißen, der ihnen nachblickte. Violette und blaue Augen trafen sich. Kalil wusste, wenn er hier eingreifen und seinen Freunden helfen würde, würde sein Leben nicht mehr so sein wie es einmal war. Er würde alles verlieren, denn die Menschen, welche die Drachen fangen wollten, waren Untergebene des Königs und wer sich gegen den König stellte, war ein Verräter!

„Bitte vergib mir, Mama!“, rief Kalil unter Tränen und wandte sich dann an Riu. Er wusste, was für Fähigkeiten sein kleiner Freund hatte. Im täglichen Spiel hatte Riu diese Fähigkeiten nach und nach alle angewandt, um gegen Kalil nicht zu verlieren.

„Riu... du musst die Drachen schützen!“, bat Kalil seinen kleinen Freund. Riu nickte und sprang auch schon vom Drachen in die Tiefe – seine Flügel weit gespreizt. Und während er hinunterflog, schlug er mit seinen Flügeln und aus diesen löste sich feiner Staub, der sich in viele kleine Dämonengreife verwandelte und sich so eine riesige schützende Wand zwischen den Drachen und den Menschen aufbaute.

Der grüne Drache stürzte sich nun mit Kalil in die Tiefe und kam kurz vor dem Boden hinter der Wand vor dem Weißen zum Stehen.

„Kannst du einen tragen?“, fragte da Kalil leise. Der Drache nickte. Und plötzlich waren neben Kalil noch drei weitere Drachen.

„Was?“ Kalil schaute sich verblüfft um. Wo kamen die Drachen her?

„Ich habe deine Gedanken mit den unseren verbunden, damit jeder von uns weiß, was du möchtest“, lächelte da leise der weiße Drache nachsichtig. Kalil war begeistert und strahlte zurück. Alle Drachen griffen nun nach ihren verletzten Kameraden und flogen hoch in den Himmel, geschützt von Rius Wand. Der kleine Dämonengreif war zwischenzeitlich wieder auf den Grünen und in Kalils Arme gesprungen.

„Los!“, feuerte der Junge den Drachen unter sich an, der seine gesamte Kraft aufwenden musste, um in die Lüfte zu steigen.

Da gab ein Monstertrainer seinem Magier den Befehl zum Angriff. Eine Blitzkugel kam angeflogen und traf Kalil in dem Rücken. Dieser schrie vor Schmerzen gellend auf und während er vom Drachen in die Tiefe fiel, wurde er bewusstlos.

Kalil lag in Ketten, als er wieder zu sich kam. Er hörte im Nachbarzimmer Stimmen, die miteinander lautstark diskutierten. Eine der Stimmen war die von seiner Mama. Man wollte den Knaben in die Kerker werfen und zur Strafe versklaven.

Kalil weinte bitterlich vor Entsetzen. Er verstand nicht, warum man ihn denn so hart bestrafen wollte. Er hatte doch nur seine Freunde beschützt. Da vernahm er Worte wie Lustsklave und seine Mutter schrie gepeinigt auf, als plötzlich Riu auftauchte und ihn befreite. Seit diesem Tag waren die beiden auf der Flucht.

Die Jahre gingen ins Land und aus dem kleinen Jungen wurde ein gewitzter Dieb und Landstreicher. Kalil musste sein Land verlassen und auf der Flucht vor seinen Häschern landete er irgendwann in Ägypten. Im Land am Nil. Doch hier musste er im tiefsten Zwielicht leben. Der Pharao, der hier über das Land regierte, knechtete seine Bevölkerung, die Monster, einfach alles. Fremde wurden nicht geduldet. Kalil war gezwungen hier im Wüstenland als Dieb zu leben. Er musste sich alles, was er brauchte zusammenstehlen. Seine Eltern hatten ihn zur Ehrlichkeit erzogen und so tat es ihm jedes Mal weh, wenn er stehlen musste. Riu hatte sich schließlich darauf spezialisiert, diesen Part des Lebensmittel stehlen für Kalil zu übernehmen. Ja, Riu war seit dieser einen Nacht der treue Begleiter an Kalils Seite geworden.

Nach und nach baute sich Kalil Verstecke auf, wo er sich für mehrere Tage zurückziehen konnte, so wie auch jetzt. Er wusste nicht, was aus seiner Mama geworden war. Ob es ihr gut ging?

Leise Tränen liefen über Kalils Gesicht, als er schließlich in der warmen Sonne einschlief.

Ein zweiter Reiter näherte sich dem Ort, an dem Kalil schlief. Der Reiter saß auf einem edlen schwarzen Hengst. Das Sattelzeug war aus edlem Leder und mit Silber und Gold beschlagen. Rubine funkelten sowohl an dem Zaum als auch am Sattel. Der Reiter trug die Kleidung eines Beduinen. Alles aus edlem Stoff. Um die Hüfte trug er eine rote Schärpe, in der ein goldener Dolch steckte. Der Griff des Dolches war mit Opalen und Rubinen verziert. Auf der Klinge selber waren filigran die Worte „Blut ist schwerer als Wasser“ eingraviert. Der Reiter wurde von einem Magier begleitet, der neben dem Pferd her schwebte.

Müde hielt der Beduine sein Pferd an. Seine smaragdgrüne Augen musterten das Unterholz vor sich. Nichts war zu erkennen, dass hier ein menschliches Wesen war. Und dennoch wirkte irgendetwas an dem Gebüsch nicht natürlich. Eine leise Handbewegung und der Magier verschwand in dem Gebüsch. Es dauerte nicht lange, da kam der Fürst der Magier leicht lächelnd aus dem Gebüsch hervor.

„Es ist alles in Ordnung.“

Der Reiter runzelte die Stirn und ritt an. Mit wenigen Schritten war er durch das Unterholz und hielt auf der grünen Fläche vor dem Fluss. Sein Blick glitt zum Schecken, der dort zu seiner linken Hand friedlich graste. Dann fiel sein Blick zu seiner rechten Hand auf den halbnackten Jungen, der dort unter dem Baum schlief. Neben ihm lag ein kleines Fellknäuel. Der Beduine stutzte und verengte sogar leicht verblüfft seine Augen.

Ein Dämonengreif? Dämonengreife zählten als sehr scheu. Umso erstaunter war er, so ein Wesen neben einem Menschen liegen zu sehen, ja gar sich an den Menschen kuschelnd.

Der Reiter kam zum Schluss, dass von dem Jüngling keine Gefahr ausging und stieg ab. Er ließ sein Pferd erst einmal stehen und trat an Kalil ran. Dieser und Riu schliefen tief und fest. Stumme Tränen liefen jedoch über die Wangen von dem Jungen und der Beduine wandte sich nachdenklich ab.

Der Kleine schien ja schon einiges erlebt zu haben!

Leise machte er sich nun daran sein Pferd abzusatteln. Anschließend entfachte er ein kleines Lagerfeuer und bereitete sich etwas zu Essen.

Es dauerte nicht lange, da kam Leben in den Jüngling. Kalil hatte Hunger. Großen Hunger. Und da stieg ihm plötzlich Bratenduft in die Nase. Instinktiv drehte er sich auf die Seite und blickte zu der fremden Person, die an einem Lagerfeuer saß und Essen zubereitete. Lange blickte Kalil zu der Person, bis er endlich realisierte, dass er nicht alleine war. Schwungvoll sprang er auf und stand dann auf den Beinen. Sofort griff er zu seinem Dolch. Auch Riu war hochgeschreckt und stellte sich leise knurrend neben Kalil.

Der Fremde hatte alles beobachtet und rührte sich nicht. Lange blickten sie sich an. Kalil war misstrauisch. Wer war der Fremde und was wollte er hier? War er auf der Jagd nach ihm? So viele Gedanken schossen durch seinen Kopf und dennoch fühlte sich Kalil so unendlich hilflos, weil er nicht wusste, was er machen sollte.

Der Fremde blickte in die Augen des Jüngeren und er las zu seinem Erstaunen das Dilemma: Angst, Panik, Kampflust, Widerstand, Misstrauen und absolute Hilflosigkeit.

„Ich habe etwas zu essen gemacht. Wollt ihr auch etwas haben?“, fragte er daher sanft und versuchte über Riu an den Jüngeren heranzukommen.

Kalils Augen verengten sich.

„Nein, danke!“, antwortete er kalt. Doch Riu jauchzte vor Freude auf und war auch schon prompt bei dem Beduinen, der ihm etwas zu essen gab. Kalil war verblüfft und geschockt, dass Riu so vertrauensselig zu dem Fremden ging. Da tauchte plötzlich der Fürst der Magier in Kalils Blickfeld auf. Kalil stutzte und blickte zwischen den Fremden und den Magier hin und her.

„Ihr gehört zusammen?“, fragte er leise. Der Beduine nickte leicht.

„Mein Freund und Beschützer...“, sagte er sanft. Kalil musterte den Magier genau und er stellte fest, dass das Wesen wohl sein eigener Herr war. Keine Ketten, Bannsprüche oder Halsbänder, die ihn zum Sklaven des Menschen machte. Und wenn Kalil eines gelernt hatte in den letzten Jahren, dann dass man Menschen blind vertrauen konnte, die mit Monstern befreundet waren.

Kalil schluckte schwer, als er nun seinen Dolch friedlich ablegte und ans Feuer trat.

„Setz dich...“, murmelte der Fremde leise auffordernd.

„Wie heißt du?“, fragte er weiter, als Kalil sich gesetzt hatte und dankbar etwas von der Mahlzeit entgegennahm.

„Ich heiße Kalil. Das hier ist Riu. Ein eigentlich sehr misstrauischer Gesell...“, grinste der Jüngling vorsichtig. Der Fremde lachte warm auf.

„Ja, Dämonengreife sind eigentlich sehr scheu. Du bist der erste, den ich bis jetzt gesehen habe, der mit einem Dämonengreif befreundet ist. Ich bin Sharif. Und das hier ist Baniti. Du kannst sagen der Magier ist mein engster Vertrauter und Mentor.“

Kalil nickte leicht und entspannte sich langsam.

„Riu kenne ich seit meinem fünften Lebensjahr.“

Sharif lächelte warm. Schweigend aßen die Vier nun die gekochte Mahlzeit. Als sie fertig waren, wurde Kalil wieder müde und er legte sich auf den Rücken.

„Du bist nicht von hier?“, fragte da Sharif interessiert.

„Nein“, kam es nur einsilbig von dem Kleineren.

„Dir gefällt das Thema nicht, hm?“ Kalil drehte seinen Kopf leicht und blickte zu Sharif.

„Was willst du von mir?“

„Wissen, wer du bist und was du machst.“ Sharif war ernst geworden, aber nicht bedrohlich.

Kalil schaute lange in Sharifs Augen. Dieser schien nicht das zu sein, was er vorgab zu sein. Aber es schien auch keine Gefahr von ihm auszugehen... Leise seufzend antwortete er deshalb.

„Ich bin auf der Flucht. In meinem Land gelte ich als Verräter am König. Im Laufe der Zeit hat es mich hierher verschlagen und auf Grund des aktuellen Herrschers muss ich mich versteckt halten. Habe mir also auf meinen Streifzügen eine Reihe an Verstecken errichtet, wo ich mich immer wieder zurückziehen und auch gefahrlos mal einige Tage verbringen kann.“

„Was hast du gemacht?“, wollte Sharif nun neugierig wissen.

Kalil kamen wieder die Tränen. Er schloss seine Augen.

„Ich habe Freunden von mir geholfen, damit sie nicht in die Gefangenschaft geraten...“

Die Stimme des kleinen Diebes war von Tränen erstickt.

„Deine Freunde sind Wesen wie ich und Riu?“, fragte da plötzlich Baniti behutsam. Kalil nickte und Sharif blickte eine Weile zu Boden.

„Wie überlebst du hier?“, wollte der Beduine dann plötzlich wissen.

„Ich bin ein Dieb. Ich steh auf unterster Stufe. Der Pharao lässt alles Fremde töten oder versklaven. Ich reise durch das Land, in der Hoffnung, dass irgendwann ein neuer Pharao die Macht übernimmt und ich endlich wieder aus dem Zwielicht austreten kann. Ich hasse es, stehlen zu müssen. Riu nimmt mir mittlerweile die Aufgabe ab“, antwortete Kalil ehrlich und vertrauensvoll. Er wusste nicht warum, aber er fühlte sich zu Sharif hingezogen, vertraute ihm. Dieser nickte leicht. Da kam ihm eine Idee.

„Kalil? Du reist durch das Land? Kennst du da auch die Wüste und Wege, wie man ohne großes Aufsehen von einem Punkt zum nächsten kommt?“

Kalil blickte auf.

„Wo willst du hin?“, fragte er nur dagegen.

„Ich muss in die Stadt des Pharaos...“, antwortete Sharif, dabei den Kleinen scharf beobachtend. „Wenn möglich, ohne entdeckt oder gesehen zu werden!“

Kalil stutzte. Er sah Sharif nun durchdringend an. Es gingen seit einiger Zeit Gerüchte um, dass der wahre Pharao wieder im Lande sei und seinen Thron zurückfordern wolle. Sollte Sharif etwa...?

„Du gehörst zu den Leuten, die den wahren Pharao unterstützen?“, fragte Kalil misstrauisch.

Sharif lächelte leicht.

„Ich werde dich natürlich bezahlen für deine Dienste“, erwiderte er nur, ohne auf die Frage einzugehen und hielt ein Säckchen voller Goldstücke hoch.

Kalils Augen weiteten sich ungläubig. Das war viel Geld! Damit konnte er locker mindestens ein halbes Jahr auskommen ohne etwas stehlen zu müssen! So blickte der Kleine fragend zu Riu. Dieser sprang vor Begeisterung auf und ab. Kalils Gesicht wurde immer sanfter und wärmer und endlich strahlte er über das ganze Gesicht, als er das Angebot annahm.

„Da machen wir morgen los!“, schlug Sharif vor, der ganz genau sah, dass Kalil noch etwas Erholung brauchte. Dieser nickte nur dankbar und legte sich wieder schlafen.

Kapitel 3: Unterwegs

Sharif konnte nicht schlafen. Der Himmel war sternenklar und der Mond schien hell. Der Beduine beobachtete Kalil, wie dieser schlief. Dessen Gesicht war entspannt, aber Leid geprüft. Was hatte der Kleine bereits alles gesehen?

Er hörte Riu summen. Das kleine Fellknäuel unterhielt sich mit seinem Magier. Wahrscheinlich wollte Baniti alles über Kalil wissen. Verständlich, da jeder Fremder eine tödliche Gefahr für Sharif bedeuten konnte.

Seufzend erhob sich der Beduine und trat an das Wasser. Sein Blick ging in den Himmel zu den Sternen. Man sagt, dass die großen Könige der Vergangenheit da oben sind und über einen wachen. Ob sein Vater auch da oben war?

Nie würde Sharif die Nacht vergessen, als seine heile Welt zusammengebrochen war und er seine Familie und sein Heim verlor. Damals war er noch Khalfani, der Sohn des Pharaos. Man hatte ihn zu dem nächsten Schiff eskortiert, damit er nach England gebracht werden sollte. Tatsächlich jedoch landete Khalfani in Spanien bei einer Adelsfamilie, die mit seinem Vater befreundet war. Sie hatte den Knaben aufgenommen, um diesen erst einmal aus der Schusslinie zu halten.

Als Khalfani ihnen erzählte, was in der Nacht passiert war, waren sie geschockt. Sie sorgten dafür, dass er eine komplett neue Identität bekam, damit er gefahrlos aufwachsen konnte. Und so wurde er zu Sharif – einen arabischen Fürstensohn.

Er besuchte die besten Schulen, bekam den besten Unterricht und lernte alles, was ein Mitglied des europäischen Hochadels wissen und beherrschen musste. Jedoch bestanden seine Pflegeeltern auch darauf, dass er zusätzlich die höfische Ausbildung eines Pharao-Sohnes bekam. Sie ließen da extra einen alten Priester und Gelehrten aus Ägypten holen.

Nach und nach erfuhr Sharif, wie weise es von seinem Vater war, so viele verschiedene Fährten zulegen. Denn man hatte wirklich in England und Frankreich nach ihm Ausschau gehalten. Irgendwann hatte Sharif erfahren, dass sein Onkel, der seinen Vater verraten hatte, selber einen Putsch zum Opfer fiel. Er wurde gestürzt von dem Menschen, der ihn zu dem Putsch gegen seinem Vater angestachelt hatte. Seitdem ging es wohl bergab mit Ägypten. Das Land hatte sich komplett von der Außenwelt abgeschirmt, die Bevölkerung litt Hunger und stöhnte unter der brutalen Knechtschaft. All das, was sein Vater aufgebaut hatte, war dahin und zerstört.

Endlich, endlich war Sharif mit seiner Ausbildung fertig und nun machte er sich auf den Weg, sich den Thron zurückzuholen. An seiner Seite der Fürst der Magier. Mit dessen Hilfe hatte er Kontakt zu Mahad und Issa aufgenommen gehabt. Sie haben alles vorbereitet für die Rückkehr des Pharaos Khalfani. Nur musste dieser jetzt möglichst ungesehen in die Residenzstadt des aktuellen Herrschers kommen.

Und hier nun traf er auf Kalil. Es musste ein Geschenk Ras sein, dass dieser den Jüngling ihn über den Weg laufen lassen hat.

Tränen der Hilflosigkeit liefen über Sharifs Wangen. Da kam Riu und leckte ihn wie beruhigend über die Hand. Sharif nahm das Fellknäuel in die Arme und drückte das Gesicht in das plüschige Fell. Er brach weinend zusammen.

Der junge Mann hatte all die Jahre keine Träne geweint und jetzt, wo er seiner Heimat so nah war, brach der ganze Schmerz durch. Er sank auf die Knie, während er sich wie ein Ertrinkender an Riu festhielt und laut weinte. Der Magier stand neben den jungen Mann und schwieg hilflos. Er wusste nicht, was er machen sollte.

Kalil wurde durch das Weinen wach. Er beobachtete eine Weile Sharif und kam zum Schluss, dass der Ältere wohl ganz allein auf der Welt war und jemanden brauchte, an dem er sich für einen Moment anlehnen konnte.

Langsam erhob sich Kalil und trat an Sharif heran. Vor diesem ging er auf die Knie und nahm ihn in den Arm. Sharif schlang seine Arme um den Jüngeren und grub sein Gesicht in dessen Schulter. Die Tränen wollten kein Ende nehmen. Das Weinen wurde immer lauter und verzweifelter. Er vermisste seinen Vater. Er wollte nicht diese schwere Bürde tragen. Unbewusst stammelte er immer wieder „Vater“ und Kalil ahnte, dass der Ältere seinen Vater wohl verloren hatte. Er verstand ihn sehr gut und hielt ihn einfach nur fest.

Irgendwann beruhigte sich Sharif wieder und er löste sich peinlich berührt von Kalil.

„Verzeih...“ raunte er. Doch der Jüngere schüttelte nur den Kopf.

„Es ist ok. Es braucht dir nicht peinlich zu sein. Es ist ganz normal. Lass uns schlafen. Es kommen anstrengende Tage auf uns zu.“

Sharif nickte leicht und legte sich hin. Das Weinen hatte ihn so erschöpft, dass er schon eingeschlafen war, kaum, dass er lag. Kalil blickte zu den Älteren und wartete, bis dieser fest schlief. Dann wandte er sich an den Magier.

„Er hat seinen Vater verloren?“

Baniti nickte nur.

„Verstehe... – Könntest du bitte Wache halten?“, fragte Kalil den Magier und dieser nickte erneut. Und mit Riu im Arm legte er sich dann auch selber wieder hin und schlief ein.

Die Sonne war seit einer geraumen Zeit aufgegangen, als Kalil langsam wach wurde. Er hatte schon lange nicht mehr so gut geschlafen. Genüsslich streckte er sich und genoss das Vogelgezwitscher und das Rauschen des Flusses. Langsam döste der Kleine wieder ein, da platschte es plötzlich in sein Gesicht.

Riu war im Fluss baden gewesen und als er gesehen hatte, dass Kalil sich bewegte, kam er angerannt und sprang triefend vor Wasser in dessen Gesicht. Kalil fuhr hoch und schnappte nach Luft. Er war jetzt definitiv hellwach! Und während er sich noch verwirrt umschaute, hörte er das vergnügte Lachen von Riu, was sich entfernte. Kalil schaltete sofort und jagte nun dem Fellknäuel hinterher, das sein Heil im Fluss suchte. Als beide, Monster und Mensch, die Fluten des Flusses erreichten, entspann sich eine wilde Wasserschlacht.

Sharif hatte die Pferde bereits versorgt und gesattelt. Nun saß er an einem Lagerfeuer, über dem er Kaffee kochte. Er hatte Kalil schlafen lassen, um selber noch etwas für sich zu bleiben. Zuerst war Sharif total geschockt gewesen, als die triefnasse Fellkugel mit einer Herzenslust mitten in Kalils Gesicht landete. Er hatte schon zu viel gesehen, wie Menschen mit Monstern umgingen und daher hatte er mit allem gerechnet, nur nicht mit dem kindlichen Spiel, das sich zwischen dem Jüngeren und dem Greif entspann.

Die beiden verhielten sich wie Brüder und spätestens jetzt glaubte Sharif auch, dass sie wohl von klein auf zusammen waren. Er hatte noch nie so eine Vertrautheit zwischen Monster und Mensch gesehen. Fantastischer machte dies alles, dass das Monster ein Dämonengreif war.

Ein Dämonengreif ist ein kleines keckes Wesen, das scheinbar immer kindlich blieb und gerne Streiche spielte, aber auch sehr scheu war. Diese Greife gingen sehr selten Freundschaften mit anderen Wesen ein, die nicht zur gleichen Spezies gehörten.

Sharif wurde nicht schlau aus den beiden und ganz besonders Kalil war für ihn ein Mysterium. Der Kleine wirkte so kindlich naiv, zerbrechlich und vertrauensselig, dass es eigentlich unglaublich war, dass er in dieser Wildnis so ohne weiteres überlebte. Und dennoch straften seine Spannkraft, sein Instinkt, sein Reaktionsvermögen und sein Misstrauen dem ganzen als Lüge.

Kalil schien sehr vorsichtig zu sein und hasste Gewalt und dennoch war er bereit, ohne Kompromisse Gewalt bis zum äußersten anzuwenden.

Sharif beobachtete die beiden nachdenklich und langsam wurde sein Blick wärmer und sanfter, je länger er ihnen beim Spielen zuschaute.

Jedes Mal, wenn Kalil aufhören und den Fluss verlassen wollte, fing Riu wieder an zu provozieren und es entspannte sich erneut eine wilde Wasserschlacht. Sharif fing leicht an zu lächeln und je länger er dieses Gespann beobachtete, desto amüsierter wurde er bis er irgendwann schließlich warm auflachte.

Kalil und Riu hielten verdutzt inne, als sie das warme Lachen hörten und der Greif plusterte sich auf. Niemand, außer Kalil natürlich, durfte über ihn lachen. Blitzschnell und ohne nachzudenken, formte er also eine Wasserkugel und schoss sie auf Sharif. Die Wasserkugel traf ins Schwarze! Sharifs Lachen erstickte in dem Wasserschwall, der sich über seinen Körper erstreckte.

Kalil erstarrte vor Entsetzen. Er selber hatte zu oft erlebt, wie Menschen mit Monstern umgingen und rechnete mit allem, nur nicht mit dem, was nun folgte.

Sharif war durch die Wucht des Aufpralls von dem Wasser hintenüber geflogen. Verblüfft über den Angriff, rappelte er sich auf und musterte den kleinen aufgeblasenen Greif im Wasser, der schon erneut mit seiner Magie eine Wasserkugel formte. Ein diabolisches Grinsen zuckte über Sharifs Gesicht, als er seinem Magier mit einer Handbewegung bedeutete, Riu eine Lektion zu erteilen.

Kalil war blass geworden, als er die Handbewegung Sharifs sah. Er ging in Deckung, als er sah wie der Magier sich zum Kampf bereit machte.

Dann jedoch sah er das belustigte und schelmische Funkeln in Sharifs Augen und Kalil tauchte grinsend unter Wasser. Zu rechten Zeit, denn der Magier wandte seine Magie an und setzte Riu mit einer Wasserwand unter Wasser. Als das Wasser sich wieder beruhigte, fiepte der kleine Greif kläglich und suchte Schutz bei den sich vor Lachen krümmenden Kalil. Als Riu seinen Freund lachen sah, plusterte er sich erneut auf und verschwand schmollend. Die Wasserattacke hat sein Ego verletzt. Dies veranlasste Kalil nur noch mehr zu lachen. Mit letzter Kraft hievte er sich ans Ufer, wo er vor Lachen auf dem Rücken liegen blieb. Er konnte nicht mehr.

„Ich hoffe, die Attacke war nicht zu heftig für den Kleinen...“, blickte Sharif besorgt dem schmollenden Monster nach. Kalil lachte noch mehr, als er nur mit dem Kopf schüttelte.

„Keine Sorge!“, brachte er irgendwie raus.

Die Sonne stand schon relativ hoch, als zwei Reiter sich durch den heißen Wüstensand kämpften. Es waren Sharif und Kalil, die direkt nach der Wasserschlacht aufgebrochen waren, da die Wasserattacke auf Sharif den Kaffee vernichtet hatte. Es war kurz vor Mittag und es war glühend heiß.

„Wie lange willst du noch reiten?“, fragte da Sharif, der ziemlich mit dem Wüstenklima zu kämpfen hatte. Zu lange war er aus der Heimat weg gewesen und leider erst seit wenigen Tagen wieder da. Er musste sich erst wieder an die Hitze gewöhnen.

Kalil blickte zur Sonne. Er litt ebenfalls unter de glühenden Strahlen. Eigentlich war es ein Wagnis, bei der Mittagshitze durch das vor ihnen liegende Dünenmeer zu reiten. Aber wenn sie jetzt Rast machen würden, würden sie nicht lebend zur nächsten Wasserstelle kommen.

„Wir halten nicht vor Sonnenuntergang an!“, meinte er und trieb sein Pferd etwas zügiger an. Jedoch darauf bedacht, das Pferd nicht zu überanstrengen. Sharif blickte zu Kalil und zögerte kurz wegen dieser Aussage.

„Du hast dich meiner Führung anvertraut, also musst du mir nun zwangsläufig folgen, wenn du überleben willst!“, grinste dieser frech. Ein belustigtes Lächeln huschte über das Gesicht des Älteren und er schüttelte leicht ungläubig seinen Kopf, als er sein Pferd nun auch etwas mehr antrieb.

So ritten sie schweigend nebeneinander und die Hitze wurde immer drückender. Und als Sharif der Meinung war, er konnte es beim besten Willen nicht mehr aushalten, nahm die Hitze langsam ab. Die Sonne neigte sich gen Westen. Kalil seufzte erleichtert darüber auf. Auch weil sie das Dünenmeer fast passiert hatten. Dann konnten sie kurz Pause machen, die Pferde tränken und noch einmal eine Stunde im zügigen Trab. Dann waren sie an der letzten Wasserstelle vor der großen Salzseefläche... dem Schott.

„Würdest du mir bitte eine Frage beantworten?“, begann da plötzlich Kalil. Sharif blickte zu dem Jüngeren.

„Im welchen Zusammenhang stehst du zu den wahren Pharao, von dem jeder spricht, dass er wieder im Land ist und sich seinen Thron zurückholen will?“

Sharif blickte nachdenklich vor sich hin.

„Warum willst du das wissen?“

„Damit ich weiß, was mich unter Umständen für Gefahren erwarten werden, wenn wir uns der Stadt nähern...“, wich Kalil aus. Der Beduine blickte zu seinem Führer und seine Augen verengten sich misstrauisch. Der Kleine war nicht ganz ehrlich.

„Was weißt du von diesem Pharao?“, fragte er nun.

„Hm...“ Kalil blickte in den Himmel.

„Ich weiß nur das, was ich so von Hörensagen mitbekommen habe. Das Volk erzählt sich, dass der Bruder des Pharao diesen verraten habe und gegen ihn geputscht hat. Bei dem Putsch wurde alles vernichtet und getötet, was zu dem Pharao gehörte oder ihn treu ergeben war. Es heißt, eine Handvoll treuer Ergebener habe den Sohn des Pharaos rechtzeitig aus dem Land gebracht. Allerdings hat der Pharao wohl selber alles von langer Hand geplant gehabt, weil er seinen Bruder der Intrige verdächtigte. Keiner weiß genau, wo der Sohn des Pharaos hingebracht wurde. Khalfani... Der Sohn des Pharaos heißt Khalfani.

Allerdings hat niemand ihn gefunden. Wahrscheinlich hat er einen anderen Namen bekommen. Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall wurde der Bruder des Pharaos kein Jahr später ebenfalls gestürzt und hingerichtet. Der jetzige Herrscher über dieses Land ist grausam, brutal und machthungrig. Ich habe viele Menschen leiden sehen und es tat mir weh, dass ich nicht helfen konnte. Sie sehnen sich alle nach ihren Prinzen. Ihre Hoffnung lebt, so lange nicht die Kunde kommt, dass Khalfani ergriffen und hingerichtet wurde.

Und nun gehen Gerüchte um. Es wurde wohl des Öfteren ein kleiner Botenvogel gesichtet, der einem Krieger namens Issa gehört. Issa war wohl einer der Treuen, die den Prinzen zur Flucht verholfen haben. Khalfani soll wieder im Lande sein und will seinen Thron zurückerobern.“

„Wie stehst du zu den Gerüchten? Und dem Pharao Khalfani?“

Kalil blickte ruckartig zu Sharif. Er nannte Khalfani Pharao?!

„Du gehörst zu diesen Menschen? Du gehörst zu diesen Leuten, die Khalfani wieder auf den Thron bringen wollen?“

Sharif zuckte unmerklich zusammen.

„Wie kommst du darauf?“

„Du hast ihn Pharao genannt. Also ist er für dich der Pharao und...“ Sharif unterbrach Kalil mit einer Handbewegung.

„Es reicht. Sprich nicht weiter. Du sollst nicht wegen mir unnötig in Gefahr kommen, falls etwas schief gehen sollte. Ja, ich gehöre dazu. Und damit alles klappt, muss ich ungesehen in die Stadt, damit die Feinde sich nicht vorbereiten können und es so wenig wie möglich Blutvergießen geben wird.“

Kalil nickte. Er wusste nun woran er war.

Erleichtert atmete Kalil auf, als sie das Dünenmeer passiert hatten. Er stieg von seinem Pferd und gab ihm Wasser. Sharif folgte seinem Beispiel und tränkte ebenfalls sein Pferd. Da trat Kalil an Sharif und deutete in Richtung eines dunklen Streifen am Horizont.

„Wenn du da hinter zu den dunklen Schatten blickst. Dort ist eine Wasserstelle mit Pflanzenwuchs. Diese müssen wir heute noch erreichen. Dann ist bis morgen erst einmal Pause.“

Sharif nickte leicht. Und schon schwangen sich die beiden wieder in die Sättel.

Die beiden brauchten ihre Pferde nicht anzuspornen. Sie schienen das Wasser und das Gras zu wittern, denn sie fielen von sich aus in eine schnellere Gangart.

Während sie so dahin jagten, neigte sich die Sonne immer mehr dem Horizont zu und eine frische Brise kam auf, die Pferd und Reiter ins Gesicht und durch die Haare wehte. Die Brise wirkte belebend und die Pferde erhöhten noch einmal wie automatisch das Tempo. Es war eine Lust auf den Rücken der Tiere zu sitzen und den Sand unter sich einfach nur dahinfliegen zu sehen. Es dauerte auch nicht allzu lange, da sprießten schon die ersten Gräser vereinzelnd aus dem Sand. Und eine kleine Weile später preschten die Pferde vergnügt wiehernd mitsamt Reitern in den kleinen See, der von einer unterirdischen Quelle genährt wurde.

Als sich Pferd und Reiter soweit abgekühlt hatten, sattelten die beiden ihre Tiere ab und legten das Lederzeug zum Trocknen in die letzten Strahlen der untergehenden Sonne. Die Pferde begannen sofort zu grasen.

Kalil beobachtete die Pferde eine Weile, da trat Sharif neben ihn.

„Du hast Angst davor, wenn Khalfani wieder Pharao wird?“

Der Jüngere blickte leicht unsicher zu Boden.

„Ich weiß nicht, was sich ändern wird und wie es mein jetziges Leben verändern wird. Ich bin seit sechs Jahren auf der Flucht, immer im Zwielicht. Ich möchte zur Ruhe kommen und wieder ein normales Leben führen.“

Sharif nickte leicht.

„Gib die Hoffnung nicht auf. Es wird mit Sicherheit eine Lösung geben... auch für dich!“

Kalil blickte auf und sah den zuversichtlichen Blick.

„Danke...“, lächelte er warm und wandte sich dann ab.

Die Sonne war untergegangen und beide saßen am Lagerfeuer, während Sharif wieder eine Mahlzeit zubereitete. Kalil blickte in die Flamme und stutzte plötzlich. Sharifs Magier und Riu spannten sich an und starrten nach Norden. Kalil blickte nun ebenfalls gespannt nach Norden.

Sharif erstarrte. Angst kroch langsam seinen Rücken hoch. Er hatte seinen Magier noch nie so angespannt erlebt. Die Luft knisterte regelrecht vor Spannung.

Da waren plötzlich am Horizont mehrere Lichtblitze zu sehen. Eine Weile noch lauschten und starrten alle gespannt nach Norden. Dann entspannte sich der Magier langsam wieder und ließ sich neben Sharif nieder. Dieser atmete nun auch die Luft wieder aus und werkelte weiter. Eher zufällig blickte er zu Kalil und Riu und hielt in seiner Bewegung inne.

Riu war gespannt ein Stück in die Wüste gelaufen und verharrte dort. Es schien, als ob er lauschen würde. Auch Kalil erhob sich plötzlich. Dessen gesamter Körper war gespannt wie eine Feder. Langsam trat er neben Riu und lauschte ebenfalls.

Und plötzlich kam Wind auf und stieß in das Lagerfeuer. Funken stiegen hoch in die Nacht hinauf. Und da... da war auf einmal ein tiefes Heulen zu hören. Ein Heulen, das eher einen trompetenden Brüllen gleichkam.

„Ein Drache...“, murmelte der Magier. Sharif blickte verblüfft zu Baniti.

Auch Kalil und Riu hörten das Heulen. Und Kalil liefen die Tränen.

„Der weiße Drache weint...“, raunte er leise. Riu fiepte bestätigend.

Kapitel 4: Im Schott

Die Sonne ging so eben auf, als Kalil sich schon daran machte, eine Mahlzeit und Kaffee am Lagerfeuer zuzubereiten. Er hatte die ganze Nacht nicht schlafen können. Zuviel ging ihm durch den Kopf. Zu einem die heutige Passage über den Schott, dann die Sache, dass Sharif zum Pharao Khalfani gehörte und ganz zum Schluss das gestrige Weinen des weißen Drachen

Der Drache hatte lange geweint gehabt. Kalil fragte sich, was da wohl passiert war. Ganz in Gedanken versunken, bemerkte er gar nicht, wie Sharif wach geworden war und neben ihn trat. „Alles in Ordnung?“, fragte der Beduine plötzlich leise.

Kalil zuckte erschrocken zusammen und blinzelte. Er hatte geweint.

„Alles in Ordnung. Ich hoffe, der Kaffee schmeckt...“, grinste er schief. „Wir werden heute so lange reiten, bis wir die Mitte des Schotts erreicht haben – und dies, wenn möglich vor dem Einbruch der Dunkelheit.“

Sharif blickte auf, als Kalil dies sagte.

„Schott? Du meinst die große Salzseefläche?!“

Kalil grinste über die Fassungslosigkeit in Sharifs Stimme.

„Ja. Wir reiten über den Schott. In der Mitte ist eine feste Insel, wo wir die Nacht verbringen können. Und morgen geht es dann direkt weiter.“

Sharif musterte Kalil erneut. Und schon wieder wurde er aus dem Kleinen nicht schlau. Kalil wirkte überhaupt nicht Risikobereit und wollte hier nun über den Schott, wo jeder Schritt das Todesurteil bedeuten konnte! Er sprach darüber so, als ob er ein kleines Rinnsal überqueren wollte.

„Du weißt schon über die Gefahren des Salzsees Bescheid?“, fragte er daher skeptisch. Kalil lachte leise und blickte mit seinen warmen violetten Augen direkt in Sharifs Smaragde.

„Keine Sorge. Ich bin nicht das erste Mal auf dem Salzsee. Ich durchquere ihn regelmäßig. Er ist gefährlich, keine Frage. Gerade nach Unwettern oder Sandstürmen, aber ich habe ein erprobtes Pferd, was genügend Erfahrung auf den Salzsee hat und außerdem kann ich die Anzeichen mittlerweile gut deuten.“

Kalil wirkte so zuversichtlich, dass Sharif gar nichts anderes übrig blieb, als den Kleinen zu vertrauen. Mit eher gemischten Gefühlen erhob er sich und ging zu seinem Pferd. Kalil lachte fröhlich auf. Das würde bestimmt lustig werden!

Sie hatten die Wasserstelle noch keine halbe Stunde hinter sich gelassen, da zögerte Kalil das erste Mal.

„Was ist los?“, fragte Sharif. Kalil blickte sich scharf um. Sein Pferd hatte gezögert. Normalerweise war hier ein so breiter fester Pfad, dass fünf Pferde nebeneinander laufen konnten.

„Der Pfad ist weg...“, meinte er leise. Was war hier bloß passiert?

„Was?!“ Fassungslosigkeit sprach aus Sharifs ganzem Gesicht.

„Warte hier kurz!“, befahl Kalil leise und trieb seinen Schecken an, dabei die Zügel dem Pferd auf den Hals legend. Das Pferd tänzelte hin und her. Immer wieder versuchte es einen Huf auf die Fläche abzusetzen, doch der Huf versank. Irgendwann verlor der Schecke die Geduld und er schlug gefrustet mit einem Vorderhuf auf die Fläche – da es ja auch diesen Pfad kannte.

Brackwasser, Sand, Salz und stinkender Schlamm spritzte auf und plötzlich „klack“. Das Pferd stutzte. Auch Kalil hatte es gehört. Schien der Pfad etwa in Ordnung zu sein? Kalil ließ sein Pferd die gesamte Breite des Pfades abprüfen. Ja, der Pfad war in Ordnung. Nur muss irgendwo weiter auf dem Schott draußen irgendwas passiert sein, dass hier der Pfad etwa zehn Zentimeter abgesunken war. Irgendetwas muss die Oberfläche des Salzsees schwer beschädigt haben! Kalil wandte sich an Sharif.

„Du kannst kommen. Alles in Ordnung.“ Und dann ritt er an. Sprachlos hatte Sharif die ganze Zeit den Kleinen und sein Tier beobachtet. Ungläubig schüttelte er schließlich den Kopf, als er sein Pferd in Bewegung setzte und Kalil folgte.