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Ein alter Freund mit nur einem Ziel: das Ende von Juan Cabrillo und der Oregon!
Die
Manticora, ein Frachter, der im Auftrag der CIA arbeitet, wird im Atlantik beschossen und versenkt. Wenig später dreht die komplette Besatzung eines schwer bewaffneten Atom-U-Boots durch und bringt es selbst zum Sinken. Juan Cabrillo und die Crew der
Oregon sollen letzteren Vorfall untersuchen – und sie erkennen schnell, dass sich bei beiden Vorfällen mit der
Portland ein Schiff in der Nähe befand, dass der
Oregon auffällig ähnlich war. Es gibt einen Verräter bei der CIA, und er kennt die Crew der
Oregon viel zu gut. Plötzlich sind Juan Cabrillo und seine Gefährten nicht mehr die Jäger – sie sind die Gejagten!
Jeder Band ein Bestseller und einzeln lesbar. Lassen Sie sich die anderen Abenteuer von Juan Cabrillo nicht entgehen!
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Seitenzahl: 553
Autoren
Clive Cussler konnte bereits dreißig aufeinanderfolgende New-York-Times-Bestseller landen, seit er 1973 seinen ersten Helden Dirk Pitt erfand, und ist auch auf der deutschen Spiegel-Bestsellerliste ein Dauergast. 1979 gründete er die reale NUMA, um das maritime Erbe durch die Entdeckung, Erforschung und Konservierung von Schiffswracks zu bewahren. Er lebt in der Wüste von Arizona und in den Bergen Colorados.
Boyd Morrison arbeitete als Ingenieur für die NASA und Microsoft, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Außerdem ist er professioneller Schauspieler und Jeopardy!-Meister. Er lebt mit seiner Frau in Seattle.
Die Juan-Cabrillo-Romane:
Der goldene Buddha
Der Todesschrein
Todesfracht
Schlangenjagd
Seuchenschiff
Kaperfahrt
Teuflischer Sog
Killerwelle
Tarnfahrt
Piranha
Schattenfracht
Im Auge des Taifuns
Der Colossus-Code
Das Portland-Projekt
Weitere Bände in Vorbereitung
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Clive Cussler
& Boyd Morrison
Das Portland-Projekt
Ein Juan-Cabrillo-Roman
Deutsch von Michael Kubiak
Die englische Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel »Final Option (Juan Cabrillo 14)« bei G. P. Putnam’s Sons, New York.
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By arrangement with Peter Lampack Agency, Inc., 551 Fifth Avenue, Suite 1613, New York, NY 10176-0187 USA
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2020 by Blanvalet Verlag
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkterstr. 28, 81673 München
Redaktion: Jörn Rauser
Umschlaggestaltung: © Johannes Wiebel | punchdesign, unter Verwendung von Motiven von Shutterstock.com (iurii; Lukas Urwyler; Kitsana1980; sakkmesterke; commons; wolf versus sheep; David Aleksandrowicz)
HK · Herstellung: sam
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
ISBN: 978-3-641-25063-8V005
www.blanvalet.de
THECORPORATION
Juan Cabrillo – Chairman der Corporation und Kapitän der Oregon
Max Hanley – Präsident der Corporation, Juans Stellvertreter und Chefingenieur der Oregon
Linda Ross – Vizepräsidentin des operativen Bereichs der Corporation und ehemalige Angehörige der U. S. Navy
Eddie Seng – Direktor der Abteilung für landgestützte Operationen innerhalb der Corporation und ehemaliger Agent der CIA
Eric Stone – Erster Steuermann der Oregon und ehemaliger Angehöriger der U. S. Navy
Max »Murph« Murphy – Leitender Waffenoffizier auf der Oregon und ehemaliger Waffenkonstrukteur der U. S. Army
Franklin »Linc« Lincoln – Aktiver Agent der Corporation und ehemaliger U. S. Navy SEAL
Marion Macdougal »Macd« Lawless – Aktiver Agent der Corporation und ehemaliger U. S. Army Ranger
Raven Malloy – Aktive Agentin der Corporation und ehemalige Ermittlerin der U. S. Army Military Police
George »Gomez« Adams – Hubschrauberpilot und für die Steuerung der Drohnen auf der Oregon zuständig
Hali Kasim – Leitender Funkoffizier auf der Oregon
Dr. Julia Huxley – Chefin der Sanitätsstation auf der Oregon
Kevin Nixon – Chef des sogenannten »Magic Shop« – der Requisitenkammer für verdeckte Operationen – auf der Oregon
Maurice – Chefsteward auf der Oregon
Chuck »Tiny« Gunderson – Starrflügler-Pilot der Corporation
Cape HATTERAS 1921
Hans Schultz – Kapitän des Unterseeboots Bremen
Istvan Horváth – Ungarischer Wissenschaftler
CREWDERUSSKANSASCITY
Michael Bradley – U. S. Navy SEAL
Jeremy Noland – Sanitäter
Carlos Jiménez – U. S. Navy SEAL
RIODEJANEIRO
Ricardo Ferreira – Technologielieferant für alle Bereiche des Organisierten Verbrechens
Luis Machado – CIA-Agent
Diego Lopez – CIA-Agent
Jessica Belasco – CIA-Agentin
BUENOSAIRES
Colonel Sanchez – Argentinischer Militäroffizier
SAOPAULO
Matheus Aguilar – Hafenmeister
CREWDERPORTLAND
Zachariah Tate – Commander
Pavel Durchenko – Erster Offizier
Abdel Farduk – Chefingenieur
Li Quon – Schiffsexperte
CENTRALINTELLIGENCEAGENCY
Langston Overholt IV – Verbindungsmann der Corporation zur CIA
Catherine Ballard – Leitende Agentin
Jeff Conolly – Fahrer und Leibwächter
Jack Perry – Leitender Agent auf der Manticora
CREWDERDEEPWATER
Rashonda Jefferson – Kapitänin
Amelia Vargas – Chilenische Bootslenkerin
Mary Harper – Leitende Wissenschaftlerin
SCHIFFEUNDUNTERSEEBOOTE
OREGON – Flaggschiff der Corporation
PORTLAND – Nachbau der Oregon
CARROLL A. DEERING – Fünfmast-Frachtsegler
BREMEN – U-Boot aus dem Ersten Weltkrieg
MANTICORA – Frachtschiff der CIA
USSKANSASCITY – Atomgetriebenes Angriffs-U-Boot der Los-Angeles-Klasse
DRAGÄO – Brasilianische Luxusjacht
AVIGNON – Französisches Frachtschiff
WUZONG – Chinesisches diesel-elektrisches Angriffs-U-Boot des Typs 039A
ABTAO – Chilenisches Flugkörper-Schnellboot
DEEPWATER – Forschungsschiff der NUMA
BAROSSO – Brasilianisches Kriegsschiff
DREISSIG MEILEN NORDÖSTLICH VON CAPE HATTERAS, NORTH CAROLINA
30. JANUAR 1921
Durch sein Periskop beobachtete Kapitän Hans Schultz das Chaos an Bord des Schoners Carroll A. Deering und lächelte. Vor dem Gebirge grauer Sturmwolken, das sich in der Ferne auftürmte, war der weiße Rumpf des eleganten Fünfmasters leicht zu erkennen. Die Mannschaft des Frachtseglers rannte in einem Zustand kopfloser Panik wild auf dem Deck umher.
Schultz beschrieb den Männern im Kommandostand seines Unterseeboots, der Bremen, was er sah.
»Ein Mann reißt sich büschelweise die Haare aus, als rupfe er ein Huhn. Ein anderer hat den Mund weit aufgerissen und stößt offenbar laute Schreie aus, während er vollkommen planlos auf dem Schiffsdeck herumrennt. Zwei Mannschaftsmitglieder werfen Papiere – Aktenordner, soweit ich erkennen kann – und dann auch noch alle möglichen Gegenstände über Bord.«
»Welche Art von Gegenständen sind das?«, fragte der Wissenschaftler Istvan Horváth. Obwohl er gebürtiger Ungar war, sprach er doch fließend Deutsch, wenn auch mit einem deutlichen Akzent. Er konnte immer wieder nur staunen, welche Wirkung seine Erfindung – er hatte sie Irrsinnswaffe genannt – entwickelte.
Per Knopfdruck löste sie Wahnzustände aus.
»Gepäckstücke wie Koffer und Taschen. Kleidung. Bücher. Teile der Schiffsausrüstung.«
»Faszinierend.«
Schultz’ Aufmerksamkeit wurde von zwei Männern gefesselt, die sich an den Rettungsbooten zu schaffen machten. Sie hatten lange Messer in den Händen, mit denen sie die Halteseile der Davits durchsäbelten.
»Sie schneiden gerade ein Rettungsboot los«, berichtete Schultz.
»Und steigen sie nicht ein?«, fragte Horváth.
»Nein. Sieht eher so aus, als ob … Ja, es ist kieloben im Wasser gelandet. Jetzt nehmen sie sich das zweite Boot vor und – wie es scheint – wollen sie offenbar auch dies abwerfen.« Er blickte vom Periskop zu Horváth, einem Mann von schmächtiger Statur mit einer Hornbrille und beginnender Glatze, der Eintragungen in einem Notizbuch mit Ledereinband machte.
»Auch wenn es diesmal etwas länger gedauert hat, bis die Wirkung zu beobachten war«, sagte Horváth mit einer Mischung aus Verwunderung und verhaltenem Stolz, »das Ergebnis ist immer das gleiche. Ich vermute, dass der unterschiedliche Ablauf des Geschehens auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass das Schiff einen Rumpf aus Holz hat.«
»Dann werden wir uns in Zukunft nur noch an Schiffe mit stählernem Rumpf heranmachen«, sagte Schultz. »In Periskoptiefe treibe ich mich nur höchst ungern für längere Zeit in einem Gebiet herum, das von der Küstenwache kontrolliert wird.«
Sie hatten eine reiche Auswahl an Zielen entlang der Ostküste der Vereinigten Staaten, einer der am stärksten frequentierten Seestraßen der Welt, daher konnten sie es sich leisten, wählerisch zu sein. Die Deering war das vierte Schiff, das sie während der letzten drei Wochen angegriffen hatten. Als Handels-U-Boot konstruiert und gebaut, um während des Ersten Weltkriegs Versorgungsgüter durch die englische Seeblockade zu schmuggeln, hatte sich der Aufgabenbereich der Bremen bereits während ihrer Jungfernfahrt grundlegend verändert. Offiziell war sie für verschollen erklärt worden, damit sie als geheimer Prüfstand für eine experimentelle Kriegswaffentechnologie benutzt werden konnte, die Deutschland gewiss zum Sieg verholfen hätte, wäre sie rechtzeitig perfektioniert worden.
Als aber die Mittelmächte zur Kapitulation gezwungen wurden, war die Wahnsinnswaffe noch nicht einsatzbereit. Daher gingen Schultz und Horváth einen Pakt ein. Sie stahlen die Bremen und verschwanden mitsamt ihrer Mannschaft, die sich diesem Pakt anschloss, sowie der mittlerweile einsatzfähigen Waffe von der Bildfläche, um ihr neues Ziel, möglichst schnell möglichst reich zu werden, zu verwirklichen. Seit drei Jahren funktionierte ihr Plan erfolgreicher, als sie es sich in ihren kühnsten Träumen ausgemalt hatten, und diese Expedition war die bisher lukrativste. Die Bremen verfügte über ausreichend viel Laderaum, um siebenhundert Tonnen Frachtgut zu transportieren. Aber bei dieser Mission hatten sie offenbar das Glück gepachtet, denn ihre Laderäume waren schon frühzeitig prall gefüllt und sie mussten vorzeitig zu ihrer Basis zurückkehren, um ihre Beute auszuladen.
Schultz blickte wieder durch das Periskop. Das zweite Rettungsboot der Carroll A. Deering stürzte unbemannt ins Wasser. Dann schwang sich ein Mannschaftsmitglied über die Reling und sprang hinter dem Boot her. Da das Schiff unter vollen Segeln vor dem Wind lief, blieb der Mann schnell zurück.
»Da geht der Erste über Bord«, sagte Schultz.
»Mit Schwimmweste?«
»Nein.«
Einer nach dem anderen, als wäre es ihnen von einer unsichtbaren Stimme befohlen worden, sprangen die Mannschaftsmitglieder des Frachtseglers in die eisigen Fluten des winterlichen Ozeans. Dabei zählte Schultz sie an den Fingern ab. Der Letzte, der das Schiff verließ, war ein Mann Mitte sechzig mit weißem Haar und einem Bart. Er zögerte keinen Moment, während er über die Reling stieg und sich in die Tiefe stürzte.
»Das musste der Kapitän sein. Willis Wormell, wie unser Kontaktmann in Barbados verlauten ließ.«
»Damit wären insgesamt zwölf Mann über Bord gegangen«, sagte Horváth. »Laut der Personalliste befindet sich jetzt niemand mehr auf dem Schiff.«
»Ausgezeichnet«, sagte Schultz. Er vollführte eine letzte Dreihundertsechzig-Grad-Drehung mit dem Periskop. Mehrere Haifischflossen umkreisten die Männer, die in diesem Augenblick mit den Wellen kämpften. Schultz bezweifelte, dass viel von ihren Leichen übrig bliebe. Kein Schiff war am Horizont zu sehen, wahrscheinlich weil jeder halbwegs vernünftige Kapitän dem Unwetter weiträumig auszuweichen versuchte.
Nachdem er sich vergewissert hatte, dass sie auf weiter Flur allein waren, zog er das Periskop ein.
»Wir tauchen auf«, sagte er zu seinem Ersten Offizier. »Und Sie, Herr Horváth, können Ihre Wahnsinnswaffe jetzt ausschalten.«
Horvath nickte und legte einige Schalter um, bis sämtliche Lichter auf der Kontrolltafel des Waffensystems erloschen waren.
Sobald das U-Boot die Wasseroberfläche durchstoßen hatte, kletterte Schultz im Kommandoturm nach oben und öffnete das Turmluk. Tief atmete er die reine Seeluft ein. Es war eine willkommene Abwechslung von dem penetranten Aroma aus Dieseltreibstoff und körperlichen Ausdünstungen, das am Ende einer langen Tauchfahrt jeden Winkel des Bootsinneren ausfüllte.
Durch sein Fernglas inspizierte er ein weiteres Mal das Deck der Carroll A. Deering. Soweit er erkennen konnte, war niemand auf dem Schiff zurückgeblieben. Er gab den Befehl, mit der Bremen neben dem Frachtsegler längsseits zu gehen. Trotz der Sturmwolken, die sich am Horizont auftürmten, war die See einigermaßen ruhig, und es wehte nur eine leichte Brise, die den Fünfmaster anschob.
Als sie neben der Deering lag, passte die Bremen ihre Geschwindigkeit an. Schultz’ Mannschaft spannte in einem Ritual, das in häufiger Praxis einstudiert worden war, Leinen von Schiff zu Schiff und gelangte über Strickleitern an Bord des Frachtseglers.
Um die Zeit zu sparen, die es dauern würde, die Segel einzuholen, befahl Schultz seinen Männern, beide Anker zu werfen. Danach sank die Geschwindigkeit der führerlos dahintreibenden Deering abrupt auf Null, und eine Gangway wurde herabgelassen, die beide Schiffe miteinander verband.
Mit Horváth im Schlepptau gelangte Schultz auf das verwaiste Schiff. Dort begab er sich zuerst auf die Kommandobrücke. Er fand das Logbuch des Schiffes und verstaute es in der Innentasche seines Cabans. Er betrachtete es als Souvenir, so wie auch die Logbücher aller anderen Schiffe, die er schon aufgebracht hatte.
Sie stiegen in die Messe hinunter, wo noch halbvolle Teller auf der langen Tafel standen.
»Der kritische Moment muss während ihrer Mahlzeit eingetreten sein«, stellte Horváth fest.
»Ich lasse einige Männer die Vorratskammer nach frischer Verpflegung durchsuchen«, sagte Schultz. Die Bremen befand sich seit gut einem Monat auf See, und die Dosenbohnen und die in Essig eingelegte Rote Bete wurden allmählich alt, was ihrem Geschmack nicht zugutekam. Ihm lief bei dem Gedanken an eine frische Orange das Wasser im Mund zusammen.
Als sie den Lagerraum betraten, verzog sich Schultz’ Gesicht beim Anblick ihrer Beute zu einem breiten Grinsen.
Die Deering hatte Schmuggelgut geladen: fünfhundert Fässer Rum aus Barbados, die für Norfolk in Virginia bestimmt waren. Der Preis für Alkohol war während der Prohibition in schwindelerregende Höhen gestiegen, womit die Ladung des Schoners einen Wert von einer Million Dollar bekommen haben dürfte.
Nachdem sie den Weg vom Laderaum über die Treppen zur Gangway mit Brettern abgedeckt hatten, begann die Mannschaft damit, die Fässer auf die Bremen hinüberzurollen.
Die schweren Fässer zu bewegen, war mühsam und härteste Knochenarbeit, aber jeder Matrose hatte Dollarzeichen in den Augen, die sie alle Mühsal vergessen ließen. Sie schufteten klaglos und waren schon dabei, die letzten Fässer über die Gangway zur Bremen zu balancieren, als sich der Erste Offizier, der auf der Kommandobrücke postiert war, bei Schultz bemerkbar machte.
»Herr Kapitän! Am Horizont ist ein Schiff in Sicht gekommen, das auf uns zuhält.«
Schultz stürmte die Treppe zu ihm hinauf. Der Erste Offizier reichte ihm das Fernglas.
Das fremde Schiff sah wie ein Kutter der Küstenwache aus. Da er sich der Deering von der anderen Seite näherte, hatte dessen Besatzung das tief im Wasser liegende U-Boot noch nicht bemerkt.
»Treffen Sie alle notwendigen Vorbereitungen zum Verlassen der Deering«, befahl Schultz. »Und sorgen Sie auch dafür, dass die Anker eingeholt werden, bevor Sie zur Bremen zurückkehren.«
»Jawohl.«
Da sie die Segel noch gesetzt hatte, würde die Deering ihre Fahrt fortsetzen, sodass die Mannschaft auf dem Kutter keine Veranlassung hätte, dem ungewöhnlichen Anblick eines im freien Wasser still daliegenden Schiffes auf den Grund zu gehen.
Seine Männer führten die Anweisungen schnell und buchstabengetreu aus, und Schultz war der Letzte, der von Bord ging, während die Deering wieder Fahrt aufnahm. Horváth stand im Kommandoturm der Bremen und erwartete ihn.
»Dies könnte eine günstige Gelegenheit sein, die Wirksamkeit der Waffe auf ein Kriegsschiff zu testen«, sagte der Ungar voller Hoffnung.
»Wir haben unser Glück schon jetzt erheblich herausgefordert«, erwiderte Schultz. »Wir sollten nun lieber nach Hause zurückkehren und uns über unsere fette Beute freuen.«
Enttäuscht verzog Horváth das Gesicht, widersprach jedoch nicht und nickte.
Sobald das Turmluk geschlossen war und Schultz seinen Platz im Kommandostand wieder eingenommen hatte, befahl er, den Tauchvorgang einzuleiten. Er fuhr das Periskop aus und beobachtete, wie sich der Kutter der Küstenwache näherte, abrupt beidrehte und dann auf nördlichen Kurs ging.
Schultz drehte das Periskop, bis er die weißen Lettern der Worte Carroll A. Deering, Bath auf dem schwarzen Heckspiegel des Frachtseglers lesen konnte. Wahrscheinlich würde der aufkommende Sturm das Schiff in Stücke reißen, aber selbst wenn es nicht dazu kommen sollte, gäbe es nicht den geringsten Hinweis, dass der Segler jemals mit einem Unterseeboot zusammengetroffen war. Die verschollene Mannschaft der Carroll A. Deering würde für immer ein Geheimnis bleiben, das der Ozean niemals preisgäbe.
Schultz fuhr das Periskop ein und sagte zu seinem Ersten Offizier: »Gehen Sie auf südlichen Kurs zurück zur Basis.«
Dieser Befehl wurde mit heiseren Freudenrufen der Mannschaft belohnt, aber Schultz dachte schon jetzt darüber nach, wohin sie sich wenden könnten, nachdem sie ihre augenblickliche Ladung an den Meistbietenden verkauft hätten. Bei der enormen Reichweite der Bremen – zwanzigtausend Meilen – könnte es so gut wie jede Position auf den Ozeanen sein.
Die ganze Erde war ihr Jagdrevier.
ATLANTISCHER OZEAN
GEGENWART
Jack Perry war einigermaßen fassungslos, als der Frachter näher kam und nach und nach sein Gesichtsfeld ausfüllte. Er fragte sich nicht nur, wie er die einige Tausend Meilen lange Reise von Südafrika geschafft hatte, sondern auch, wie es ihm gelungen sein mochte, sich über Wasser zu halten.
Dank der Abendsonne am Himmel hinter ihm konnte Perry sich einen guten Überblick über das heruntergekommene Schiff verschaffen. Der Rumpf, von dem die Farbe in großen Flocken abblätterte, wies so viele verschiedene hässliche Grünschattierungen auf, dass er wie eine Collage aus Avocados in den unterschiedlichen Stadien der Fäulnis aussah. Lücken in der Deckreling waren mit rostigen Kettenabschnitten geflickt worden, und die fünf Deckkräne vermittelten den Eindruck, als würden sie jeden Augenblick zusammenbrechen. Die Fenster der Kommandobrücke auf dem schmutzig weißen Deckaufbau, der sich auf dem hinteren Drittel des Schiffes befand, starrten derart vor Schmutz, dass Perry nicht einmal erkennen konnte, wer – oder wie viele Personen – sich auf der Kommandobrücke aufhielten.
Der Anblick der Portland, wie der altersschwache Dampfer hieß, rief ein angewidertes Kopfschütteln bei ihm hervor. Die Gründe zu kennen, weshalb seine Auftraggeber in Virginia diesem baufälligen Schiff eine derart heikle Mission anvertrauten, blieb offenbar ausschließlich Leuten oberhalb seiner Gehaltsklasse vorbehalten. Wenn die Fracht ohne Zwischenfälle sicher auf sein Containerschiff umgeladen wäre, würde er dieses heimliche Rendezvous um einiges erleichtert beenden.
Die Manticora konnte man auch nicht unbedingt als Aushängeschild für die Schiffsklasse bezeichnen, der sie angehörte, aber sie war sicherlich fünfzig Jahre jünger und moderner als die Portland. Die Kommandobrücke, auf der sich Perry zu diesem Zeitpunkt aufhielt, befand sich weiter vorn in Bugnähe, und die Ausmaße des Schiffes waren geringer. Als Containerschiff für kleinere Häfen konstruiert, verfügte die Manticora über zwei Kräne, die erst kürzlich generalüberholt worden waren.
Perry wandte sich an den Kapitän und sagte auf Spanisch: »Benutzen Sie auf jeden Fall unsere Kräne, wenn die Container umgeladen werden.«
»Si, señor«, erwiderte der Kapitän, während er die Portland voller Abscheu betrachtete. »Diesen Kränen dort würde ich nicht einmal ein Federbett anvertrauen.«
»Wie lange wird das Umladen voraussichtlich dauern?«
Der Kapitän warf einen Blick auf die Uhr an der Wand der Kommandobrücke. Die Digitalziffern zeigten 14:17 Uhr an. »Sobald Sie Ihre Verhandlungen mit dem Kapitän der Portland abgeschlossen haben, sollten wir nicht mehr als eine Stunde brauchen, um die vier Container herüberzuholen und zu sichern.«
»Und wann werden wir in Nicaragua eintreffen?«
»Da auf unserer Route bisher nicht mit Schlechtwetterphasen zu rechnen ist, die uns aufhalten würden, dürfte die Überfahrt keine Woche dauern.«
»Gut. Dann sollten wir zusehen, dass wir die Angelegenheit hinter uns bringen.«
Perry verließ die Kommandobrücke und stieg über eine Strickleiter in das Rettungsboot hinunter, das zu Wasser gelassen worden war. Die Portland lag nun etwa zweihundert Meter von der Steuerbordseite der Manticora entfernt reglos im Wasser. Perry war sich nicht ganz sicher, aber er glaubte wahrnehmen zu können, dass der altersschwache Seelenverkäufer leichte Schlagseite hatte. Er hatte nicht das geringste Bedürfnis, das andere Schiff zu betreten, aber er musste die Fracht an Ort und Stelle überprüfen, um sicherzugehen, dass sie erhielten, was sie bestellt hatten.
Als das Rettungsboot die Portland erreichte, kletterte er an Bord und wurde von einem Mann Mitte fünfzig begrüßt. Das schüttere graue Haar hatte er zu einem Pferdeschwanz zusammengerafft, und sein beträchtlicher Bauch drohte die Knöpfe seines Hawaiihemdes zu sprengen. Seine Khakihose war voller Schmierfettspuren, seine Schuhe glänzten von Schmieröl, und außerdem schien er sich seit einigen Tagen nicht rasiert zu haben.
Der Mann streckte ihm eine Hand entgegen und lächelte. »Chester Knight ist mein Name. Ich bin der Chef auf diesem edlen Schiff.« Mit seinem Neuengland-Akzent klang er, als gehörte er zur Elite der Schwertfischangler von Gloucester.
Perry schreckte beinahe zurück, weil er nicht wollte, dass seine saubere Kleidung auch nur in die Nähe dieses Mannes geriet. Aber dann ergriff er seine Hand trotzdem. Der Händedruck des Mannes war überraschend kräftig.
»Jack Perry. Kann ich einen Blick auf die Fracht werfen?«
»Sie wollen wohl keine Zeit mit sinnlosem Geschwätz vergeuden, oder?«, meinte Knight. »Okay, dann kommen Sie mit.«
Er führte Perry zu vier Frachtcontainern, die auf dem Hauptdeck der Portland aufgereiht standen. Knight nickte einem Matrosen auffordernd zu, der daraufhin den ersten Container öffnete. Er war zu zwei Dritteln mit Kisten gefüllt, die laut Aufschrift Präzisionsflansche der Firma Stellenbosch enthielten.
»Es ist alles genau so da, wie Sie es bestellt haben«, sagte Knight. Er reichte Perry ein Stemmeisen. »Sie können selbst nachschauen.«
»Das werde ich«, entgegnete Perry. Er kletterte auf den Kistenstapel und hebelte eine der Kisten auf.
Darin lagen, sorgfältig in Styropor verpackt, ein Dutzend Vektor R5 Sturmgewehre aus südafrikanischer Produktion. Perry öffnete eine zweite Kiste und vergewisserte sich, dass sie den gleichen Inhalt hatte.
Dann sprang er von dem Kistenstapel herunter und ließ den Kapitän und seinen Matrosen den nächsten Container öffnen. Dieser enthielt automatische Granatwerfer des Typs Denel Y3.
In den letzten beiden Containern befanden sich noch andere Waffen, deren Lieferung ihnen zugesagt worden war.
»Damit steht Ihnen ausreichend Hardware zur Verfügung, um einen eigenen Krieg anzuzetteln«, stellte Knight fest.
Tatsächlich war das Arsenal für die nicaraguanischen Rebellen bestimmt, die den Sturz der korrupten sozialistischen Regierung betrieben, die nur wenig gegen die Aktivitäten der Drogenkartelle unternahm und nicht selten sogar mit ihnen gemeinsame Sache machte.
»Was mit den Waffen geschieht, braucht Sie nicht zu interessieren«, sagte Perry knapp.
»Das tut es auch nicht. Jedenfalls nicht, solange bezahlt wird, was man uns schuldet.«
»Gibt es auf diesem Schiff einen Ort, an dem wir unser Geschäft abschließen können?«
»Mein Büro eignet sich dafür ideal«, sagte Knight. Er winkte Perry, ihm in den Deckaufbau zu folgen.
Das Innere des Schiffes sah noch schlimmer aus als sein Äußeres. Rissiges Linoleum bedeckte den Boden, die Wände waren schmuddelig, und flackernde Neonröhren verströmten einen tristen, fahlen Lichtschein.
Knight hinkte leicht, als er vor seinem Gast herging, außerdem hustete und keuchte er vor Anstrengung, während sie eine Treppe hinaufstiegen. Perry fragte sich unwillkürlich, wer wohl als Erster das Zeitliche segnen würde, Knight oder die Portland.
Sie betraten das Büro des Kapitäns, und Perry wurde von einem durchdringenden Gestank regelrecht überfallen, der ihn wie eine Keule traf und fast von den Füßen holte.
Knight bemerkte seinen Gesichtsausdruck und schloss die Nasszellentür. »Ich sollte endlich mal die Toilette reparieren lassen.« Er deutete auf den wackligen Stahlrohrsessel vor seinem Schreibtisch. »Nehmen Sie Platz.«
Perry ließ sich vorsichtig auf der Kante der Sitzfläche nieder. Seine Kleidung würde er wohl sofort nach seiner Rückkehr auf die Manticora über Bord werfen müssen.
Knight ließ sich in seinen Sessel fallen und legte den rechten Fuß auf die Schreibtischplatte. Er zog das Hosenbein hoch und entblößte eine verschrammte Beinprothese, die seinen Unterschenkel ersetzte. Er kratzte sich dort, wo der Beinstumpf dicht unterhalb seines Knies in der Prothese steckte, und erklärte grinsend: »Irgendwann erwische ich den weißen Wal, der mir dies hier beschert hat.«
»Kapitän, können wir diese Transaktion nun vielleicht abschließen?«, fragte Perry. »Wir haben einen Zeitplan, an den wir uns halten müssen.«
»Natürlich. Und ich habe nichts dagegen, so schnell wie möglich ausgezahlt zu werden.«
Perry holte sein Smartphone hervor. »Wenn Sie mir die Kontonummer nennen, lasse ich den Betrag sofort überweisen.«
»Wir haben kein Wifi an Bord der Portland.«
»Ich bin mit dem Router auf der Manticora verbunden.«
»Irgendwann werden wir uns auch so was anschaffen.« Knight angelte einen Notizzettel von der Tischplatte und las eine längere Zahlenfolge vor.
Für einen kurzen Moment schoss Perry die Frage durch den Kopf, ob er es schaffen würde, die Überweisung von zehn Millionen Dollar nur vorzutäuschen, aber dann verwarf er den Gedanken und tippte die notwendigen Anweisungen ein. Als die Überweisung ausgeführt worden war, informierte er Knight entsprechend. Der grauhaarige Kapitän griff nach dem Telefon auf seinem Schreibtisch und rief den Funkraum an, um sich die Bestätigung geben zu lassen.
Nach einer längeren Wartezeit lächelte er und nickte zufrieden, ehe er die Verbindung unterbrach.
»Sieht so aus, als hätten wir da etwas ganz gut verkauft«, sagte Knight. Perry war erleichtert, dass er keinerlei Anstalten machte, die Aktion mit einem Handschlag zu besiegeln.
»Dann gebe ich dem Kapitän der Manticora Bescheid, dass wir mit dem Umladen der Container anfangen können.«
»Klingt gut. Begleiten Sie mich auf die Kommandobrücke, um das Manöver zu beobachten.«
»Gerne.«
Sie stiegen zur Kommandobrücke hinauf, wo sie von drei Matrosen erwartet wurden. Die Brücke erschien genauso abstoßend wie das restliche Schiff. Leere Getränkedosen und Zigarettenstummel bedeckten den Boden. Die Glasfenster einiger Anzeigeinstrumente waren gesprungen. Außerdem war eines der Brückenfenster aus dem Rahmen gesprengt worden und wurde durch eine Kombination aus Sperrholz und Reparaturklebeband ersetzt.
Einer der Matrosen sagte: »Der Kapitän der Manticora bat um Erlaubnis, längsseits zu gehen, damit sie mit ihren Kränen die Container anheben können.«
»Erlaubnis verweigert«, sagte Knight, nun vollkommen akzentfrei.
Perrys Kopf fuhr herum. »Was soll das heißen?«
»Dass wir jetzt bekommen haben, weshalb wir hierhergekommen sind.«
»Wollen Sie etwa aus dem Geschäft aussteigen?«, fragte Perry geschockt.
»Warum nicht? Das Geld liegt ja sicher auf unserem Konto. Wir haben mit den Waffen Besseres vor, als sie von Ihnen in Ihrem lächerlichen Privatkrieg in Nicaragua einsetzen zu lassen.«
Perrys Kinn sackte nach unten. »Woher wissen Sie …?«
»Wir haben überall unsere Leute.«
»Sie machen einen großen Fehler. An Bord unseres Schiffes hält sich ein Einsatzkommando bereit, um die Portland zu kapern für den Fall, dass Sie versuchen sollten, uns übers Ohr zu hauen. Sie können nicht ernsthaft annehmen, uns mit diesem Schrotthaufen von einem Schiff zu entkommen.«
Knight deutete mit einem Kopfnicken auf die Manticora. »Glauben Sie wirklich, dass Sie uns mit diesem Eimer da einholen können?«
»Ohne Probleme«, erwiderte Perry wutschnaubend.
»In diesem Fall«, sagte Knight und erhob die Stimme, als spreche er in ein Mikrofon. »Waffenoffizier, zerstören Sie die Brücke.«
Ungläubig verfolgte Perry, wie Stahlplatten im Rumpf und an Deck zur Seite glitten und den Blick auf eine sechsläufige Gatling Gun freigaben, wie sie auf Kriegsschiffen zur Abwehr von Marschflugkörpern eingesetzt wurden. Das Laufbündel begann zu rotieren und überschüttete die wehrlose Manticora mit einem mörderischen Kugelhagel. Als das schneidende Kreissägengeräusch über das Schiff hallte, presste Perry die Hände auf die Ohren.
Die Sprengpatronen bohrten sich in den Deckaufbau des Schiffes und fraßen sich durch Glas, Stahl und Fleisch. Die Brücke wurde innerhalb von Sekunden in ein Schlachthaus verwandelt. Niemand konnte dieses Inferno überlebt haben.
Die Manticora begann zu treiben, und die Matrosen in dem Rettungsboot, das Perry zur Portland übergesetzt hatte, verzogen sich schleunigst auf die andere Seite des getroffenen Frachtschiffs, wo sie Deckung zu finden hofften.
Kommandosoldaten erschienen auf dem Hauptdeck der Manticora, automatische Waffen in den Händen. Sie gingen auf die Knie hinunter und brachten die Sturmgewehre in Anschlag. Einer der Männer stellte einen RPG-Werfer auf.
»Nun, das können wir nicht zulassen«, sagte Knight. »Erledigen Sie die Kerle.«
Die Gatling Gun schwang herum und beharkte das Deck. Die Kommandosoldaten hatten nicht den Hauch einer Chance. Die Projektile waren derart wirkungsvoll, dass von den Männern nicht mehr übrig blieb als eine formlose, blutige Masse.
Perry spürte ein Würgen in der Kehle, als müsste er sich jeden Moment übergeben. Er starrte Knight ungläubig an. »Wir hatten eine unmissverständliche Übereinkunft. Ist Ihnen klar, mit wem Sie es zu tun haben?«
Knight zuckte die Achseln, als habe er soeben nicht mehr als ein lästiges Insekt verscheucht. »Bestellen Sie Ihren Chefs, dass wir sie nicht mehr brauchen. Wir haben mittlerweile erheblich solventere Kunden.«
Mit einer unglaublichen Kraft – für jemanden, dem ein Bein fehlte – packte Knight seinen Gast bei den Schultern und schob ihn auf die Brückennock hinaus. Als sie die Reling an ihrem Ende erreichten, warf Knight ihn über das Geländer, als entledige er sich einer Puppe. Perry stürzte fünf Stockwerke tief in den Ozean.
Als er nach Luft schnappend wieder auftauchte, konnte er beobachten, wie die Gatling Gun der Portland hinter den Rumpfplatten verschwand. Die Maschinen des Frachters nahmen summend ihren Betrieb wieder auf, und das Schiff drehte sich, bis sein Bug auf die Manticora ausgerichtet war. Eine andere Rumpfplatte glitt zur Seite, und zum Vorschein kam eine Kanone mit dem Kaliber eines Hauptgeschützes auf einem Zerstörer. Die Kanone zielte auf das Frachtschiff und feuerte in schneller Folge fünf Schüsse ab. Die panzerbrechenden Projektile sprengten in Höhe der Wasserlinie riesige Löcher in den Rumpf.
Als Wasser durch die Öffnungen strömte, legte sich die Manticora augenblicklich auf die Seite. Die restlichen Mannschaftsmitglieder tauchten mit Schwimmwesten bekleidet auf dem Deck auf und sprangen über Bord.
Knight stand auf der Brückennock der Portland und beobachtete das Geschehen mit sichtlichem Vergnügen. Er blickte zu Perry hinunter und winkte ihm fröhlich, ehe er auf die Kommandobrücke zurückkehrte.
Die Platte, hinter der die Kanone verborgen war, schloss sich wieder. Die Portland wendete und startete wie von einem Katapult abgefeuert durch. Ihre Geschwindigkeit erschien genauso unglaublich wie gerade noch ihre verborgene Bewaffnung, aber Perry konnte nicht leugnen, alles mit eigenen Augen gesehen zu haben.
Sekunden später kenterte die Manticora. Wasser ergoss sich schäumend von ihrem Kiel über den Rumpf. Es dauerte nur Minuten, ehe sie vollends von den Fluten verschlungen wurde und auf den Grund des Ozeans sank. Das Rettungsboot folgte einem Zickzack-Kurs und sammelte die Überlebenden auf.
Während er wassertretend darauf wartete, aufgefischt zu werden, zerbrach sich Perry den Kopf darüber, wie er dieses Desaster seinem Vorgesetzten bei der CIA servieren sollte.
VOR DER KÜSTE BRASILIENS
Michael Bradley saß in der Kantine der Kansas City auf einer Sitzbank, während Jeremy Noland, der Sanitäter des U-Boots, seine Ohren untersuchte. Der würzige Duft von gebratenem Speck, der zum Frühstück der Mannschaft gehörte, hing noch immer in der Luft. Wie zahlreiche U-Boote der Los-Angeles-Klasse hatte die KC weder einen regulären Bordarzt noch verfügte sie über eine separate Krankenstation, aber Noland kam mit allem zurecht, solange es sich nicht um umfangreichere chirurgische Eingriffe handelte. Bradley trommelte mit den Fingerspitzen auf der blauen Polsterauflage des Tisches, während er auf eine Diagnose wartete.
Der Navy SEAL litt seit einigen Tagen an Schmerzen und starkem Hörverlust in beiden Ohren, hatte es jedoch vermieden, sich bei Noland zu melden, weil er damit rechnete, dass es ihn seine Teilnahme an dem unmittelbar bevorstehenden gemeinsamen Manöver mit der brasilianischen Marine kosten werde. Als er an diesem Morgen aber aufwachte, konnte er nichts von dem verstehen, was der CO sagte, und wurde trotz seines Protestes dazu verdonnert, sich untersuchen zu lassen.
»Wie lautet die schlechte Nachricht?«, fragte Bradley. Als er seine eigene Stimme hörte, kam es ihm vor, als spräche er in ein dickes Federkissen hinein.
Noland, ein hagerer Typ mit dünnem blondem Haar, richtete sich auf, trat zurück und runzelte die Stirn. Sein Mund bewegte sich zwar, aber alles, was Bradley hören konnte, waren bis zur Unkenntlichkeit verzerrte Vokale, wie sie auch die vollkommen unverständliche Lehrerin Miss Othmar, deren Stimme von einer Posaune imitiert wurde, in der Peanuts-Serie von sich gab.
»Ich habe nicht das Geringste mitbekommen.«
Noland fischte einen Notizblock und einen Kugelschreiber aus seiner Hemdtasche und schrieb etwas auf. Danach reichte er Bradley den Notizblock.
Ich glaube, Sie haben eine akute beidseitige Mittelohrentzündung. Eine massive Infektion. Dadurch hat sich der mittlere Bereich des Ohrs mit Eiterflüssigkeit gefüllt. Sie hätten viel eher zu mir kommen sollen.
»Ja, ja«, sagte Bradley und ärgerte sich mehr über sich selbst als über Nolands Antwort. »Was lässt sich denn dagegen tun?«
Noland griff wieder zum Notizblock und schrieb.
Antibiotika-Injektion, danach Antibiotika oral. Viel Flüssigkeit trinken. Bettruhe.
Bradley war wie vor den Kopf gestoßen. Die Enttäuschung war ihm deutlich anzusehen.
»Und wie lange?«
Drei Tage. Es hängt davon ab, wie lange es dauert, bis sich Ihr Hörvermögen normalisiert hat.
»Drei Tage! Das Manöver beginnt morgen. Ich muss noch Vorbereitungen für eine Operation treffen.«
Tut mir leid, Kumpel. Ihre Trommelfelle stehen ziemlich unter Druck und können jeden Moment platzen. Dann fallen Sie womöglich für einige Wochen aus.
Bradley schlug mit der Faust auf den Tisch. Zum ersten Mal sollte er das SEAL Delivery Vehicle lenken. Wahrscheinlich ergäbe sich für ihn sogar die Möglichkeit, einen der beiden Torpedos abzufeuern. Das SDV war im Dry Deck Shelter verstaut, das in der Nähe des Kommandoturms auf dem Rumpf der Kansas City befestigt war.
Er war an dem Tag dabei gewesen, als das Modul, dessen Außenmaße einem Reisebus entsprachen, von einem C-17-Frachtflugzeug angeliefert worden war, um wenig später auf der KC installiert zu werden. Der mittlere Abschnitt wurde mit einem Luk hinter dem Kommandoturm verbunden. Dieses Luk erlaubte den Zugang zur Luftschleuse des DDS, der sogenannten Transferkammer. Am Bugende befand sich eine Dekompressionszelle für Angehörige der Special Forces, die von Missionen in extremer Wassertiefe zurückkehrten. Auf der Heckseite der Luftschleuse gab es eine Art Hangar, der mit Wasser gefüllt war und das knapp sechs Meter lange SDV beherbergte – im Grunde ein innendruckfreies Mini-U-Boot. Das Mark 9 war die jüngste Version, und Bradley hatte einen Monat lang trainiert, es unter realistischen Einsatzbedingungen zu bedienen. Nun müsste er sich diese Mission wegen einer lächerlichen Kinderkrankheit abschminken.
»Na wunderbar«, knurrte er sarkastisch. »Dann geben Sie mir die Antibiotika.«
Noland reichte ihm einen zweiten Notizblock mitsamt Schreibstift.
Ihre Gesprächspartner müssen sich darauf verewigen, wenn Sie verstehen wollen, was sie Ihnen mitteilen. Dann deutete Noland zur Tür und vollführte eine Geste, als drücke er auf den Kolben einer Injektionsspritze …
Bradley nickte, und Noland ließ ihn für einen Augenblick mit der trüben Aussicht allein, seinem CO offenbaren zu müssen, dass er für die geplante Operation nicht zur Verfügung stünde.
Eine Minute später sah Bradley zwei Männer durch den Korridor vor der Kantine rennen. Er konnte nicht erkennen, ob sie nur herumalberten oder ob ein Notfall vorlag. Falls die Mannschaftsmitglieder sich auf ihre Gefechtspositionen begeben mussten, hätte er aber zumindest einen Alarm hören müssen, auch wenn er nicht verstanden hätte, was über die Lautsprecheranlage verkündet wurde.
Er entschied, dass wohl kein Grund zur Sorge bestand, bis ein dritter Mann vorbeirannte. Bradley konnte nur einen kurzen Blick auf ihn erhaschen, aber es sah aus, als sei die Kleidung des Matrosen mit Blutspritzern übersät.
Bradley machte Anstalten, auf den Korridor hinauszugehen, um nachzuschauen, was da los war, als Noland in die Kantine zurückkehrte.
»Was passiert da im Boot?«, fragte Bradley. »Ich habe gerade drei Männer vorbeirennen sehen. Und ich könnte schwören, dass einer von ihnen blutete.«
Noland stand mit glasigen Augen reglos da. Er schien regelrecht durch Bradley hindurchzublicken. Die Injektionsspritze baumelte zwischen seinen Fingern.
»Noland! Was ist mit Ihnen los?«
Die Augen des Sanitäters füllten sich wieder mit Leben, als begriffe er erst in diesem Moment, dass ihn jemand ansprach. Seine Lippen zitterten, und in seinen Augen lag ein Ausdruck des Entsetzens. Er rief etwas, aber Bradley konnte kein Wort verstehen.
»Warten Sie! Haben Sie vergessen, dass ich nicht richtig hören kann? Regen Sie sich ab!«
Bradley hob beide Hände in einer, wie er annahm, beschwichtigenden Geste, aber damit brachte er Noland erst recht in Rage.
Er holte mit der Injektionsnadel wie mit einem Dolch aus und versuchte, Bradley damit zu erwischen. Bradley maß eins fünfundachtzig und hatte eine Statur wie ein Linebacker, daher hatte er nicht die geringste Mühe, den schmächtigen Sanitäter lässig beiseitezuwischen.
Noland flog über den Tisch, sprang jedoch sofort wieder auf die Füße, die Injektionsspritze noch immer wie eine Stichwaffe in der Hand.
Nolands plötzliche Verwandlung von einem umgänglichen Sanitätsoffizier in einen rasenden Irren war für Bradley ein absolutes Rätsel.
»Was stimmt mit Ihnen nicht, Mann?«
Noland rief noch einmal etwas und ruderte dann wild mit den Armen, als wollte er seiner Aussage, wie auch immer sie lauten mochte, besonderen Nachdruck verleihen. Bradley schüttelte den Kopf.
»Beruhigen Sie sich, Noland! Mein Gott! Ich …«
Noland wartete jedoch nicht, bis Bradley den Satz beendet hatte, sondern warf sich ihm wieder entgegen und fuchtelte mit der Injektionsnadel in der Luft herum, als ob er sich verzweifelt bemühte, einen tollwütigen Hund abzuwehren.
Bradley fing Nolands Handgelenk auf und drehte ihn herum, bis er einen Arm um den Hals des Sanitäters schlingen konnte. Er umklammerte den Unterarm der Hand, in der sich die Injektionsspritze befand, aber Noland machte keinerlei Anstalten, seine Absicht aufzugeben. Bradley müsste ihm wahrscheinlich das Handgelenk brechen, damit er die Spritze fallen ließ.
Stattdessen übte er auf Nolands Hals seitlich höheren Druck aus, bis der Matrose kraftlos zusammensackte. Bradley bettete ihn auf den Boden und machte sich auf die Suche nach jemandem, der ihm helfen könnte, Noland sicher unter Kontrolle zu bringen, ehe er aus seiner Ohnmacht wieder aufwachte.
Als er auf den Korridor hinaustrat, fand er dort nicht nur keine Unterstützung, sondern musste glauben, in einem Irrenhaus gelandet zu sein.
In beiden Richtungen waren Matrosen zu sehen, die mit einer Intensität gegeneinander kämpften, wie man sie nur im Käfigring der Ultimate Fighting Championship beobachten konnte.
Doch viele der Duellanten erschienen, als wären sie vor Angst vollständig von Sinnen. Zwei Männer lagen ineinander verkrallt auf dem Boden und weinten haltlos. Einer wanderte wie in Trance durch den Flur. Ein anderer hämmerte seinen Kopf so heftig gegen eine Lukentür, dass die Haut auf seiner Stirn aufplatzte und Blut über sein Gesicht strömte.
Trotz seines intensiven Trainings, das ihn auf nahezu jede Ausnahmesituation vorbereitet hatte, erstarrte Bradley, da er auf Anhieb nicht wusste, was er jetzt tun sollte. Bisher hatte er noch nie so etwas simuliert wie das, was er soeben erlebte. Er fragte sich, ob irgendein Nervengas oder Strahlungsleck dieses irrationale Verhalten bei der U-Boot-Besatzung ausgelöst haben könnte. Doch dann verwarf er diese Möglichkeit, weil er diese Auswirkungen bei sich nicht feststellen konnte. Gewiss war er nicht der Einzige, der gegen das – was immer dieses Chaos auslöste – immun war.
Er müsste sich irgendwie zum Kommandostand durchkämpfen und den Kapitän suchen. Vielleicht beschränkte sich dieses seltsame Verhalten ja nur auf diejenigen, die sich im unteren Teil des U-Boots befanden.
Bradley rannte durch den schmalen Korridor und wehrte gelegentliche Attacken seiner durchdrehenden Mannschaftsgefährten ab. Dann eilte er die Treppe am Ende des Korridors hinauf und gelangte zum Kommandostand. Dessen Besatzung war offenbar geflüchtet, sodass einige der Stationen verwaist waren. Zwei Männer lagen, wie es aussah, schwer verletzt auf dem Deck. Einer der beiden war der Erste Offizier, in dessen Hinterkopf eine tödliche Wunde klaffte.
Der Kapitän saß in seinem Sessel und hatte das Gesicht in den Händen vergraben.
Bradley ging zu ihm hinüber, legte eine Hand auf seine Schulter und schüttelte ihn.
»Captain! Wir müssen auftauchen! Die Mannschaft wurde mit irgendetwas infiziert!«
Bradley hatte den Kapitän, der normalerweise stoische Ruhe ausstrahlte, noch nie zuvor derart fassungslos erlebt, aber in diesem Moment rann ein nicht versiegender Tränenstrom über die Wangen des Mannes. Seine Augen starrten genauso ins Leere, wie er es bei Noland gesehen hatte.
Bradley versetzte dem Kapitän eine kräftige Ohrfeige, die ihn jedoch gar nicht aus seiner Trance herausholte. Stattdessen kippte er aus dem Sessel auf das Deck und begann zu schreien.
Der Kommandostand war das reinste Tollhaus. Nur ein einziger Mann ließ sich nicht davon abhalten, seine Aufgabe wahrzunehmen. Es war der Soldat, der eins der beiden Steuerhörner bediente, mit denen das U-Boot gelenkt wurde. In seinem Gesicht lag ein schwachsinniger Ausdruck, und er drückte das Horn bis an den Anschlag nach vorn.
Bradley warf einen Blick auf den Tiefenmesser. Er zeigte zwölfhundert Fuß mit rasender Tendenz weiter abwärts an. Nicht mehr lange, und sie erreichten eine Tiefe, in der das Boot durch den enormen Wasserdruck zerquetscht würde.
Bradley zerrte den Matrosen aus seinem Sessel und schmetterte seinen Kopf gegen die Instrumententafel, um ihn außer Gefecht zu setzen. Dann schwang er sich in den Sessel des Steuerstandes und zog beide Hörner zurück. Er hatte noch nie zuvor ein U-Boot der Los-Angeles-Klasse gelenkt, aber das Prinzip musste das gleiche sein wie bei dem SEAL Delivery Vehicle, dessen Bedienung er intensiv trainiert hatte.
Das U-Boot stoppte den Tauchvorgang bei vierzehnhundert Fuß und begann aufzusteigen. Bradley hätte Ballast ausgeblasen, wenn er gewusst hätte, wie, aber den falschen Schalter zu betätigen, hätte leicht bewirken können, dass das Boot auf den Grund des Ozeans sank, anstatt zu seiner Oberfläche aufzusteigen. Momentan waren sie mit Höchstgeschwindigkeit unterwegs. Darüber, wie dieses Tempo zu drosseln wäre, könnte er sich später noch Gedanken machen.
Er atmete um einiges befreiter, als sie bei neunhundert Fuß die maximale Operationstiefe der Kansas City erreichten. Sie befanden sich in Höhe des Amazonas-Deltas vor der Küste Brasiliens, waren jedoch vom Festlandsockel weit entfernt, weil sie bisher noch nicht auf dem Grund des Ozeans aufgesetzt hatten.
Bradley plante, die brasilianische Marine so bald wie möglich um Hilfe anzufunken. Die SEAL-Mission hätte bei diesem Kriegsspiel darin bestanden, die Verteidigungslinie der Brasilianer zu durchbrechen und eine Marinebasis an der Amazonasmündung zu infiltrieren.
Als der Tiefenmesser fünfhundert Fuß anzeigte, kam ein Soldat mit Kopfhörer auf den Ohren in den Kommandostand, und den Bewegungen seines Mundes nach zu urteilen redete er wirres Zeug. Er packte Bradley am Arm und versuchte, ihn aus dem Sessel zu ziehen. Bradley wehrte sich und stieß den Mann zurück. Sein vordringliches Ziel war, die KC an die Wasseroberfläche zu manövrieren.
Der Soldat brach nun in heftiges Schluchzen aus. Er stolperte auf eine Instrumententafel zu und betätigte einen Schalter.
Bradley sprang aus dem Sessel und stürzte sich auf den Matrosen in dem Glauben, er habe irgendetwas in die Wege geleitet, wodurch das U-Boot in Gefahr geraten könnte, wie zum Beispiel das Abfeuern eines Torpedos bei geschlossenem Torpedorohr.
Aber was der Matrose getan hatte, wurde ihm erst klar, als er durch den Eiterpfropf in seinen Ohren das leise Auf- und Absteigen einer Warnsirene hören konnte. Der Schalter hatte den Kollisionsalarm aktiviert. Nun begriff Bradley auch, weshalb der Matrose einen Kopfhörer trug. Er war einer der Sonartechniker.
Bradley konnte zwar nicht hören, was der Seemann in diesem Augenblick rief, aber das war auch gar nicht nötig. Er las es von den Lippen des Mannes ab.
Bereit halten für Kollision!
Der Mann stieß weitere Rufe aus und verließ taumelnd den Kommandostand, während sich Bradley im Laufschritt zum Sonarraum begab. Der erste Monitor zeigte, was da auf sie zukam.
Auf ihrem Kurs ragte eine massive Felswand auf – sie steuerten geradewegs auf die Kante des Kontinentalsockels zu.
Eilends kehrte er zu den Tauchkontrollen zurück und riss das Ruder herum. Das U-Boot begann schon seinen Kurs zu ändern, aber es reagierte viel zu langsam.
Die Kansas City wurde nach Backbord geworfen, als sie gegen die Felswand prallten. Bradley wurde gegen die Trennwand geschleudert und landete auf seinem rechten Arm. Ein stechender Schmerz schoss in seine Schulter hinauf. Er brauchte das Knacken gar nicht zu hören, um zu wissen, dass der Arm gebrochen war.
Warnlichter tauchten den Kommandostand in ein flackerndes Licht. Bradley spürte, wie das U-Boot, begleitet von einem durchdringenden Knirschen, stoppte, nachdem es an der Felswand entlanggeschrammt war. Er konnte nicht feststellen, ob sich der Maschinenraum bereits mit Wasser füllte, aber für ihn fühlte es sich an, als drehte sich die Schraube schon nicht mehr.
Mithilfe seines unversehrten linken Arms stemmte sich Bradley auf die Füße. Als er aufrecht stand, stoppte die Kansas City vollends. Der Tiefenmesser, der bei zweihundert Fuß angehalten hatte, signalisierte, dass das U-Boot wieder sank. Es neigte sich nach Backbord, während es auf dem steilen Felshang abwärts rutschte.
Bradley wappnete sich innerlich für das Ende, überzeugt davon, dass der Rumpf unter dem wachsenden Druck implodieren würde. Aber dann lief plötzlich ein heftiger Ruck durch das Boot, und es stoppte mit nach unten gerichtetem Bug. Der Tiefenmesser zeigte dreihundertfünfundzwanzig Fuß. Sie mussten auf einem Felsvorsprung gelandet und zum Stillstand gekommen sein.
Bradley suchte sich einen Weg zum Funkraum. Wenn es ihm gelänge, das Langwellenradio zu aktivieren, könnte er der Navy die Lage der Kansas City schildern, ihre Position melden und ein Rettungskommando anfordern.
Dann stieg ihm ein Geruch in die Nase, bei dem es ihm kalt den Rücken hinunterlief. Es war das salzige Aroma von Meerwasser.
Er legte eine Hand auf die Instrumententafel und spürte ein Rumpeln, das den Schiffskörper vibrieren ließ. Sie nahmen Wasser auf. Und zwar beängstigend schnell.
Bradley wandte sich zum Bug um und sah, wie die See schäumend eindrang und Männer und Trümmer der Schiffseinrichtung vor sich herschob. Es würde nur Minuten dauern, bis das U-Boot vollständig überflutet wurde.
Seine Mannschaftskameraden waren ausnahmslos dem Tod geweiht. Es gab nichts mehr, was er für sie noch hätte tun können. Seine einzige Chance, die Katastrophe zu überleben, bot ihm zu diesem Zeitpunkt noch das SEAL Delivery Vehicle. Falls er es schaffte, das Dry Deck Shelter zu erreichen, könnte er das Mini-U-Boot benutzen, um zur Wasseroberfläche zu gelangen und nicht zu ertrinken.
Er rannte zu dem mittschiffs gelegenen Luk, über dem das Modul installiert war. Ehe er es erreichte, wurde er jedoch von einem seiner SEAL-Mitstreiter, Carlos Jiménez, angegriffen. Jiménez kam von der Seite, rammte Bradley gegen die Trennwand und versuchte, ihm ein Kampfmesser ins Auge zu stoßen. Bradley nahm den Kopf im letzten Moment zur Seite, und so traf die Klinge auf Stahl, anstatt sich in sein Gehirn zu bohren.
Es widerstrebte ihm zutiefst, aber für ihn ging es um Leben und Tod, daher hielt sich Bradley nicht zurück, sondern verpasste Jiménez einen Kopfstoß ins Gesicht und brach ihm das Nasenbein.
Jiménez taumelte rückwärts und versank in dem ansteigenden Wasser.
Bradley rannte weiter, bis er das Luk erreichte, durch das die Kansas City mit dem Dry Deck Shelter verbunden war. Es war unendlich mühsam, sich mit nur einem Arm hochzuziehen, aber die unerträgliche Vorstellung, in dem zum Untergang verurteilten U-Boot gefangen zu sein, verlieh ihm zusätzliche Kräfte.
Er drehte das Verschlussrad der Luke und stieß sie auf. Die Transferkammer, die als Luftschleuse zwischen dem U-Boot und dem Abschnitt diente, in dem das SEAL Delivery Vehicle auf seinen Einsatz wartete, war beleuchtet, weil sie vom Stromnetz des U-Boots versorgt wurde.
Bradley kletterte hinauf und schloss die Luke der Transferkammer hinter sich. Mit einem Gurt verriegelte er sie für den Fall, dass Jiménez ihm noch zu folgen versuchte. Er kam sich vor, als ermordete er einen Freund, aber er hatte keine andere Wahl.
Ehe er die Luftschleuse drehen konnte, um sie mit Wasser zu füllen und ihren Innendruck dem Innendruck im Abteil, in dem sich das SDV befand, anzugleichen, müsste Bradley einen der Druckluftbehälter in die Dekompressionskammer schaffen. Danach würde er noch einige Minuten brauchen, um das SDV aus seinem Schutzbehälter herauszuholen. In dieser Wassertiefe würde er kaum so lange die Luft anhalten können, um das zu schaffen, zumal er durch seinen gebrochenen Arm behindert wurde.
Auch wenn die Luke geschlossen war, drang Wasser in die Transferkammer ein. Aber es war kein Leck. Irgendjemand im U-Boot, möglicherweise sogar Jiménez, hatte per Fernbedienung die Luftschleuse des Dry Deck Shelters geöffnet, sodass sie geflutet wurde.
In einem Anflug von Panik schlängelte sich Bradley in die Dekompressionskammer und zog deren Lukentür hinter sich zu. Er begann, den Drucklufttank, den Atemschlauch und den Regulator miteinander zu verbinden, hielt dann aber abrupt inne, als er begriff, was für einen fatalen Fehler er gemacht hatte.
Er schaute durch das kleine Sichtfenster der Tür und stellte fest, dass der Wasserspiegel die Decke der Luftschleuse fast erreicht hatte.
Die Luke noch einmal zu öffnen, war unmöglich. Die Wassermassen lasteten mittlerweile mit einigen tausend Pfund auf der Stahltür.
Er saß in der Falle.
Bradley ließ die Tauchausrüstung auf den Boden fallen und sank auf die Sitzbank herab. Er hatte keine Ahnung, wie groß der Luftvorrat war, der ihm noch zur Verfügung stand. Selbst die zusätzliche Menge an Atemluft in den Sauerstoffflaschen würde nicht ausreichen, um ihn lange genug am Leben zu erhalten, bis jemand erschien, um ihn zu retten.
Niedergeschlagen saß er für einige Minuten auf der Bank, bis ihm der Notizblock und der Schreibstift einfielen, die Noland ihm in die Hemdtasche gesteckt hatte. Bradley holte beides hervor und begann mit der linken Hand unbeholfen zu schreiben. Ehe er erstickte, war es seine Pflicht, wenigstens zu notieren, was seinen Mannschaftskameraden während der letzten Fahrt der Kansas City zugestoßen war.
VITÓRIA, BRASILIEN
Juan Cabrillo genoss die Einsamkeit, in der er seine Bahnen schwamm. Sie bot ihm die Gelegenheit, seinen Geist für eine Weile auszuschalten und sich auf die rhythmischen Bewegungen seiner Arme und Beine sowie auf seinen Atem zu konzentrieren, was seine ganz persönliche Form der Meditation darstellte. Er brauchte keine andere Entscheidung zu treffen, als welchen Schwimmstils er sich jeweils bediente. In diesem Augenblick war es der Butterfly-Stil, bei dem er seine breiten Schultern und die Spannweite seiner Arme nutzte, um seinen Körper aus dem Wasser zu katapultieren und vorwärts zu ziehen. Während er unter Wasser einen Salto ausführte und sich mit den Füßen von der Beckenwand abstieß, zählte er seine neunzehnte olympische Bahn – und damit fast zweitausend zurückgelegte Schwimmmeter.
Juan trug eine Schwimmbrille, um seine Augen vor dem Salzwasser zu schützen. Das zwei Bahnen breite Becken diente als Ballasttank seines Schiffes, der Oregon, daher war es gewöhnlich mit Seewasser gefüllt. Eine Kombination aus Leuchtstoffröhren und Glühlampen schuf die Simulation eines sonnigen Tages, und die Wände und der Boden des Beckens waren mit weißen Marmorfliesen bedeckt, auf denen sich schnell grüner Algenbewuchs bildete, wenn das Seewasser bis zu seinem Rand reichte.
An diesem Nachmittag hatte er das Becken für sich allein. Der größte Teil der Schiffscrew verbrachte die Freizeit in Vitória, einer vergleichsweise kleinen, aber vor touristischem Leben sprühenden Stadt, etwa fünfhundertdreißig Kilometer nordöstlich von Rio de Janeiro. Obgleich die Stadt über zahlreiche paradiesische Strände verfügte, machte es Juan nichts aus, an Bord zu bleiben, um sich auszuruhen, ein umfangreiches Sportprogramm zu absolvieren und einige wichtige Arbeiten zu erledigen. Außerdem freute er sich schon auf einen Braten aus bestem brasilianischem Rindfleisch und eine Flasche trockenen Cabernet Sauvignon später am Abend in einem Jazzclub mit Zigarren-Bar.
Er und die Mannschaft hatten sich nach ihrer letzten Mission, einer zwei Wochen dauernden Jagd auf ein Kommando ISIS-Terroristen, die in den Vereinigten Staaten eine Serie von Attentaten planten, eine Pause und ein wenig Zerstreuung verdient. Juan und sein Team hatten die Truppe auf einem Frachtschiff mit Kurs auf Lateinamerika geschnappt, von wo aus die Terroristen über die mexikanische Grenze in die USA eindringen wollten, um eine blutige Spur quer über den Kontinent zu legen. Vitória war die nächstliegende Stadt, in der die Oregon die sechs Syrer in die Obhut der CIA übergeben konnte.
Juan Cabrillo war früher selbst CIA-Agent gewesen. Nachdem er sich vor allem bei Geheimoperationen hervorgetan hatte, hatte er von der ausufernden Bürokratie, mit der er sich ständig herumschlagen musste, die Nase endgültig voll und quittierte trotz vielversprechender Karriereaussichten den Dienst, um die Corporation zu gründen. Diese war eine verdeckt arbeitende Organisation, geschaffen, um Operationen durchzuführen, von denen die amerikanische Regierung jederzeit überzeugend dementieren konnte, dass sie sie in Auftrag gegeben oder an ihnen mitgewirkt hatte. Als Basis für diese Missionen nutzten sie die Oregon, die – in ihrem ersten Leben ein vernachlässigter Trampdampfer kurz vor seiner letzten Fahrt zur Abwrackwerft – eigens für diesen Zweck ausgewählt und umgebaut worden war. Prominente Persönlichkeiten zu befreien, die entführt wurden, um Lösegelder zu erpressen, terroristische Netzwerke zu infiltrieren, wichtige Geheiminformationen aus Kriege anzettelnden Nationen zu beschaffen und Drohungen gegen die Vereinigten Staaten zu vereiteln, das machte den wesentlichen Teil der Aufgaben aus, die der Corporation seit ihrer Gründung übertragen wurden.
Letztlich war die Corporation nichts anderes als ein seegestütztes Söldnerunternehmen, das für seine weltweiten Einsätze entsprechende Honorare berechnete, mit denen es sich finanzierte und sich den Luxus einer vollständigen Unabhängigkeit leisten konnte. Allerdings ließ sich Juan Cabrillo bei der Auswahl und Annahme von Aufträgen aus dem privatwirtschaftlichen Bereich ausschließlich von der Maxime leiten, dass stets die Interessen Amerikas gewahrt wurden. Für feindlich gesonnene ausländische Mächte tätig zu werden, war für Juan und seine Truppe absolut undenkbar. Es war eine gefährliche Arbeit, und im Laufe der Jahre hatten sie auch schon den Verlust einiger Mitglieder ihres Teams zu beklagen. Die Arbeit war aber auch sehr profitabel. Jedes Teammitglied war an der Corporation finanziell beteiligt und konnte damit rechnen, sich mit einem dicken finanziellen Polster im Rücken zur Ruhe setzen zu können. Und das nicht erst im Rentenalter, sondern erheblich früher.
Als er für den nächsten Atemzug auftauchte, hörte Juan, wie sein Name von den weißen Fliesen widerhallte. Die Stimme, die ihn rief, befand sich am anderen Ende des Beckens, daher wendete er, schaltete auf den schnelleren Freistil um und steigerte schlagartig das Tempo. Er wusste, wenn jemand sein Schwimmtraining unterbrach, dann musste er einen dringenden Grund haben.
Als Juan das Ende der Bahn erreichte, schnellte er aus dem Wasser fast in die Arme Max Hanleys, der am Beckenrand bereitstand und ihm ein Badetuch reichte.
»Du weißt, das Schwimmen wäre einfacher, wenn du diese Dinger nicht tragen würdest«, sagte Max und deutete auf die Gewichtsgurte an Juans Handgelenken und auf die Badehose aus grobem Gewebe, die er trug, um den Widerstand im Wasser zu erhöhen.
Juan streifte die Bleigurte ab und ergriff das Badetuch. »In meinem Alter muss ich mir das Steak, das ich mir zum Dinner leiste, redlich verdienen«, sagte er, während er sich abtrocknete.
Max Hanley, der mehr als dreißig Jahre älter war als Juan, betrachtete Juans schlanke, athletische Gestalt mit einer Mischung aus Neid und gelindem Spott. »Hätte ich solche Bauchmuskeln gehabt, als ich in deinem Alter war, hätte mich meine zweite Frau vielleicht gar nicht verlassen.«
»Es hat dich jedenfalls nicht daran gehindert, eine neue Frau zu finden und ein drittes Mal zu heiraten.«
Max zuckte die Achseln und tätschelte seine beachtliche Leibesfülle. »Diese Ex legt bei ihren Männern mehr Wert auf komfortable Rundungen als auf Windschnittigkeit. Glaub mir, ich habe Fotos von ihrem Neuen gesehen.«
Während Juan – hochgewachsen, blond und von einem Leben in der Sonne und im Wasser braun gebrannt – der Inbegriff des kalifornischen Surfers war, hatte sich bei Max, einem Vietnamveteran, der blassgraue Teint seiner irischen Vorfahren erhalten. Die helle Deckenbeleuchtung spiegelte sich in dem kahlen Fleck inmitten eines Rings rötlich grauen Haars auf seinem Scheitel, und seine roten Wangen waren von einem Muster aus Falten gezeichnet, die Zeit, raue Witterung und ein stets zu einem freundlichen Lächeln aufgelegtes Gemüt in ihnen hinterlassen hatten.
Das Einzige, worum Juan seinen Freund und Mitstreiter beneidete, war die Tatsache, dass er noch beide Beine besaß. Juan wischte mit dem Badetuch über seinen rechten Oberschenkel und weiter hinab über die Titanprothese, die dicht unter dem Knie begann. Der Unterschenkel, den sie ersetzte, war von dem Geschütz eines schon vor längerer Zeit versunkenen chinesischen Zerstörers abgerissen worden. Mittlerweile hatte sich Juan an diesen künstlichen Beinersatz derart gewöhnt, dass er sich in seiner Bewegungsfreiheit so gut wie gar nicht mehr von ihm eingeschränkt fühlte. Aber der ständig unterschwellig pochende Phantomschmerz im Beinstumpf sorgte dafür, dass er den Tag, an dem er sein Bein verlor, niemals vergaß.
»Und was führt dich hierher?«, fragte Juan, während er sich ein T-Shirt über den Kopf zog und in eine Trainingshose schlüpfte. »Ich weiß ziemlich sicher, dass es nicht die Absicht gewesen sein wird, eine Runde zu schwimmen.«
Max fand diese Vorstellung so lustig, dass er lachte und den Kopf schüttelte. »Ich habe mir mein Steak bereits damit verdient, dass ich die Treppe nach hier unten genommen habe.« Dann verflog das Lachen. »Leider bin ich mir ziemlich sicher, dass keiner von uns beiden heute Abend etwas essen wird. Wir haben gerade eine dringende Nachricht aus der CIA-Zentrale erhalten. Wir beide müssen sofort zurückrufen.«
»Das klingt nach Ärger.«
»Ich tippe eher auf einen neuen Job.«
Juan Cabrillo – von den jüngeren Mitgliedern seines Teams »Chairman« genannt – bekleidete die Position des Vorstands der Corporation und war zugleich Kapitän der Oregon. Max war der Präsident und Juans Stellvertreter. Gemeinsam hatten sie die Organisation gegründet, und Max war als leitender Ingenieur für den Bau und die Einrichtung der Oregon verantwortlich. Außerdem erfüllte er die Funktion eines Resonanzbodens für Juans Ideen und taktische Überlegungen. Sie waren die besten Freunde, wenn der Altersunterschied auch eher auf ein Verhältnis von Vater und Sohn schließen lassen konnte.
Nachdem sie den Ballasttank verlassen hatten, schloss und verriegelte Juan die wasserdichte Tür hinter sich. »Wir telefonieren aus meiner Kabine.« Diese erreichten sie eine Minute später.
Da alle Mannschaftsmitglieder auf der Oregon wohnten, stand jedem von ihnen eine Kabine sowie ein großzügiger Etat zu, um sie nach eigenem Geschmack einzurichten. Juan hatte sich für den klassischen 1940er-Stil von Rick’s Café Américain aus Casablanca entschieden. Im Vorraum, den er für Besprechungen im kleinen Kreis benutzte, standen ein Esstisch für vier Personen, ein Sofa und ein Sessel, während der Schlafraum unter anderem mit einem antiken Eichenschreibtisch und einem großen altertümlichen Safe möbliert war. Er enthielt die offiziellen Schiffsdokumente der Oregon inklusive Juans persönliche Waffen, einen Bargeldvorrat und Goldmünzen sowie ungeschliffene Diamanten als überall auf der Welt gültiges und nicht zurückverfolgbares Zahlungsmittel für unerwartete Ausgaben.
Die Einrichtung war absolut authentisch bis hin zu den altmodischen schwarzen Telefonen. Ein echter Picasso an der Wand des Vorraums war eines der Kunstwerke, die die Corporation im Lauf der Jahre als Kapitalanlage erworben hatte. Einige dieser Kunstwerke verschönten das Innere der Oregon, doch die meisten wurden zur Sicherheit in einem Banksafe aufbewahrt.
Juan und Max nahmen am Esstisch Platz, und Juan schaltete ein Tablet ein, um seinen CIA-Kontaktmann anzurufen. Was wie ein Fenster aussah, das eine ganze Wand des Vorraums einnahm, war in Wirklichkeit ein HD-Videoschirm. Auf ihm verblasste gerade das Stadtpanorama von Vitória und wurde durch Langston Overholt IV ersetzt, Juans ehemaligen Chef bei der CIA. Er war derjenige, der damals als Erster die Idee geäußert hatte, man sollte doch so etwas wie die Corporation gründen.
Overholt saß an seinem Büroschreibtisch vor Fenstern mit herabgelassenen Jalousien. Der CIA-Administrator hatte die Siebzig bereits deutlich überschritten, besetzte seinen Posten nach wie vor mit der patrizierhaften Würde eines Bankiers und erschien regelmäßig in einem dreiteiligen Anzug im Büro. Er stammte aus einer Familie, die zum alten Geldadel gehörte und deren Vorfahren seinerzeit Neuengland besiedelt hatten. Er war schon so lange für die CIA tätig, dass er genau wusste, in welchen Kellern die Leichen begraben waren, und zwar sowohl die echten als auch die sprichwörtlichen. Ihn geräuschlos seines Amtes zu entheben, war für seine politischen Gegner unmöglich, daher wurde ihm gestattet, weit über die Altersgrenze hinaus in beratender Funktion tätig zu sein. Wie üblich erschien Overholt hellwach, konzentriert und dank regelmäßiger Dauerläufe und Besuche in einem Racketball-Zentrum körperlich durch und durch fit.
Aber seine Miene war sorgenvoll.
»Es tut mir leid, Sie in Ihrem wohlverdienten Urlaub zu stören«, sagte er in seinem charakteristisch rauen Bariton. »Mir ist bewusst, dass Sie erst vor zwei Tagen von einer Mission zurückgekehrt sind, die Sie für uns erfolgreich abgeschlossen haben. Aber ich wusste auch, dass Sie sich zurzeit in dieser Gegend aufhalten, und dazu kommt noch, dass es nicht viele Leute gibt, denen ich im Augenblick trauen kann.«
Juan wechselte einen alarmierten Blick mit Max. Normalerweise hätte Overholt irgendeine launige Bemerkung über Juans nasse Haare und seine lässige Kleidung fallen lassen. Dieser Ernst, mit dem er sich jetzt präsentierte, passte nicht zu ihm.
»Gab es mit den Terroristen, die wir geschnappt haben, irgendwelche Probleme?«, fragte Juan.
Overholt schüttelte den Kopf. »Es ist viel schlimmer. So wie es sich momentan darstellt, haben wir im Direktorat für den operativen Bereich entweder eine undichte Stelle oder sogar einen Maulwurf.«
»Wie kommen Sie darauf?«, wollte Max wissen.
»Nicht weit von der Position im Atlantik entfernt, an der Sie Ihre Operation durchgeführt hatten, ging vor drei Tagen ein Schiff namens Manticora verloren. Ein Rettungsboot mit Überlebenden wurde heute Morgen von einem Flugzeug gesichtet, und ein Schiff ist schon unterwegs, um sie aufzufischen. Wir wissen noch nicht, wie sie versunken ist, aber die Manticora hatte bislang nicht gemeldet, dass ein mit ihr geplantes Rendezvous stattgefunden hat. Außerdem wird eine umfangreiche Schiffsladung an Waffen vermisst.«
Juan beugte sich vor. »Und Sie glauben, dies alles sei auf eine undichte Stelle in Langley zurückzuführen?«
»Wir werden die Überlebenden ausfragen, sobald sie geborgen wurden, aber es kann kein Zufall sein, dass während der vergangenen beiden Tage in derselben Gegend eine weitere Schiffskatastrophe stattgefunden haben muss.«
»Eine zweite?«, fragte Max.
»Es wurde noch nicht öffentlich gemeldet oder in den Nachrichten erwähnt, aber die Kansas City, ein Atom-U-Boot der Los-Angeles-Klasse, ist offenbar mit Mann und Maus gesunken. Sie operierte vor der brasilianischen Küste und hatte ein Navy-SEAL-Kommando an Bord, das eine als Navy-Übung getarnte CIA-Mission durchführen sollte. Wir suchen noch immer nach Hinweisen auf eine Havarie und wissen bisher nur, dass der Notfall-Peilsender nicht aktiviert wurde.«
»Es könnte doch eine Kommunikationspanne gewesen sein«, äußerte Juan eine Vermutung.
Overholt schüttelte den Kopf. »Das bezweifeln wir. Die verdeckte Operation sollte vor vierundzwanzig Stunden stattfinden. Unnötig zu erwähnen, dass es dazu nicht kam. Sämtliche Versuche, mit dem U-Boot Kontakt aufzunehmen, sind bisher gescheitert.«
»Ich weiß nicht, ob wir da eine große Hilfe sein können«, sagte Max. »Die Navy und die NUMA sind bei weitem besser ausgerüstet als wir, um den Meeresgrund abzusuchen.«
Overholt seufzte. »Leider habe ich mich bei Ihnen gemeldet, weil sich für uns heute noch eine dritte kritische Situation ergab. Sie ist der Grund, weshalb ich überzeugt bin, dass die beiden soeben geschilderten Vorfälle die Folge einer undichten Stelle sind.«
Juan und Max enthielten sich eines Kommentars, während Overholt seine Gedanken ordnete.