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Ein Schiff von radikalen Umweltschützern rammt im Nordmeer ein dänisches Schiff und versenkt es mitsamt Mannschaft. In einer dramatischen Rettungsaktion versuchen Kurt Austin und die NUMA-Crew die Seeleute zu bergen. Da tauchen feindselig gesonnene Eskimos vom Stamm der Kiolyas auf – und mit ihnen ihr Anführer Toonook, ein Genforscher, der aus purer Geldgier Lachse in Monster verwandeln will. Der Ernst der Lage wird schlagartig klar, als das Numa-Boot explodiert. Knapp dem Tod entronnen, sind Kurt und seine Leute entschlossen, den Eskimos das Handwerk zu legen ...
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Seitenzahl: 563
Kurt Austin, der Leiter eines Spezialeinsatzteams der NUMA (National Underwater & Marine Agency), und sein Partner Joe Zavala halten sich mit ihrer Crew in der Barentssee auf, um dort ein neues U-Boot zu testen, als ein Hilferuf sie erreicht. Bei den Färöer-Inseln im Nordmeer hat es einen Zwischenfall gegeben: Ein Schiff radikaler Umweltschützer hat ein dänisches Boot gerammt und versenkt. Die Mannschaft ist noch an Bord – in einem luftdichten Raum. Russland stellt Transportflugzeuge zur Verfügung, so dass Kurt und Joe mitsamt ihrem U-Boot tatsächlich rechtzeitig vor Ort sind und die Dänen lebend bergen. Dabei werden sie auf die Oceanus Corporation aufmerksam, eine Organisation, die riesige, offenbar illegale Fischzucht-Farmen unterhält. Als Schutztruppe hat man Eskimos vom Stamm der Kiolya angeheuert. Deren Anführer, der albinohafte Toonook, ist ein ebenso wahnsinniger wie gefährlicher Genforscher. Sein unfassbarer Plan ist es, Lachse in piranhaähnliche Raubfische zu verwandeln, die dann die internationalen Fischbestände dezimieren sollen. Er strebt ein weltweites Fischmonopol an. Da Kurt seine Absichten durchschaut und das Unternehmen gefährdet, werden Anschläge auf sein Leben verübt. Doch umso furchtloser nimmt er den Kampf gegen die skrupellose Verbrecherbande auf …
Clive Cussler ist Stammgast auf der Bestsellerliste der New York Times, seit er 1973 seinen ersten Helden Dirk Pitt erfand. Ansonsten fahndet er nach verschollenen Flugzeugen und leitet Suchexpeditionen nach berühmten Schiffswracks. Cussler genießt Weltruf als Sammler von klassischen Automobilen. Er lebt in der Wüste von Arizona und in den Bergen Colorados.
Paul Kemprecos, Co-Autor von Clive Cussler, war bereits als Journalist, Kolumnist und Herausgeber tätig. Der leidenschaftliche Taucher schrieb mehrere Unterwasser-Kriminalromane und lebt in Massachusetts, U.S.A.
Westlich der Britischen Inseln, 1515
Diego Aguirrez erwachte aus unruhigem Schlaf und hatte den Eindruck, eine Ratte sei ihm über das Gesicht gehuscht. Auf seiner breiten Stirn stand kalter Schweiß, sein Herz hämmerte wie wild, und eine unbestimmte Panik nagte hungrig an seinen Eingeweiden. Er lauschte auf das gedämpfte Schnarchen seiner schlafenden Mannschaft und das Glucksen und Plätschern kleiner Wellen, die an den hölzernen Rumpf schlugen. Alles wirkte normal, und dennoch konnte er sich nicht des bedrückenden Gefühls erwehren, dass irgendwo im Schatten eine unsichtbare Gefahr lauerte.
Er rollte sich leise aus der Hängematte, wickelte sich eine dicke Wolldecke um die muskulösen Schultern und stieg die Kajütstreppe zum nebelverhangenen Deck hinauf. Im diffusen Mondschein glänzte die stabil gebaute Karavelle, als wäre sie aus Spinnweben zusammengesetzt. Aguirrez hielt auf eine Gestalt zu, die neben einer gelb schimmernden Öllampe kauerte.
»Guten Abend, Kapitän«, begrüßte ihn der Mann.
»Guten Abend«, erwiderte Aguirrez zufrieden, weil der Posten wach und auf der Hut war. »Alles in Ordnung?«
»Ja, Sir. Allerdings haben wir immer noch keinen Wind.«
Aguirrez blickte zu den gespenstischen Masten und Segeln empor. »Bald kommt eine Brise auf. Ich kann es riechen.«
»Aye, Kapitän«, sagte der Mann und unterdrückte ein Gähnen.
»Geh nach unten, und schlaf ein wenig. Ich löse dich ab.«
»Es ist noch nicht an der Zeit. Meine Wache endet erst, wenn das Stundenglas abgelaufen ist.«
Der Kapitän nahm die Sanduhr, die neben der Lampe stand, und drehte sie um. »So«, sagte er. »Jetzt ist es an der Zeit.«
Der Mann bedankte sich und schlurfte ins Mannschaftsquartier, während der Kapitän auf dem hohen quadratischen Achterkastell Position bezog. Er blickte nach Süden und starrte in die dunstigen Nebelschwaden, die wie Dampf aus der spiegelglatten See aufstiegen. Bei Sonnenaufgang befand er sich immer noch auf seinem Posten. Seine olivschwarzen Augen waren inzwischen rot gerändert und brannten vor Müdigkeit, und die Decke hatte sich mit Feuchtigkeit voll gesogen, doch Aguirrez blieb eigensinnig wie immer, ignorierte die Unannehmlichkeiten und lief wie ein Tiger im Käfig auf und ab.
Der Kapitän war Baske, kam also aus der zerklüfteten Bergregion zwischen Spanien und Frankreich, und seine durch Jahre auf See geschärften Instinkte funktionierten verlässlich. Die Basken galten als die besten Seeleute der Welt, und Männer wie Aguirrez stießen häufig in Regionen vor, die von furchtsameren Zeitgenossen als Reich der Seeschlangen und Mahlströme angesehen wurden. Der Kapitän hatte die für seine Volksgruppe typischen dichten Augenbrauen, große abstehende Ohren, eine lange gerade Nase und ein Kinn wie ein Felsvorsprung. In ferner Zukunft würden manche Wissenschaftler behaupten, die Basken mit ihren prägnanten Gesichtszügen stammten in direkter Linie von den Cromagnonmenschen ab.
Im grauen Licht des frühen Morgens tauchten nun die Matrosen gähnend an Deck auf, reckten sich und gingen dann an die Arbeit. Der Kapitän ließ sich immer noch nicht ablösen, und etwas später wurde seine Ausdauer belohnt. Aus blutunterlaufenen Augen erspähte er einen Lichtpunkt im dichten Dunst. Das schnelle nervöse Flackern hielt nur einen kurzen Moment an, aber es erfüllte Aguirrez mit einer seltsamen Mischung aus Erleichterung und Angst.
Sein Herzschlag beschleunigte sich. Aguirrez nahm das Messingfernrohr, das an einer Schnur um seinen Hals hing, zog es zu voller Länge auseinander und schaute hindurch. Zuerst sah er nur eine einheitlich graue Wand, wo die Nebelbank mit dem Wasser verschmolz. Er wischte sich mit dem Ärmel über die Augen, blinzelte mehrmals, um den Blick zu klären, und hob das Fernrohr erneut. Auch diesmal sah er nichts. Vielleicht hatte er sich alles nur eingebildet.
Plötzlich aber bemerkte er eine Bewegung. Aus den Dunstschwaden stach wie der Schnabel eines Raubvogels ein spitzer Bug hervor. Dann kam das Schiff vollständig in Sicht. Der schmale schwarze Rumpf schoss voran, glitt ein paar Sekunden und bekam sogleich einen neuen Schub. Dicht dahinter folgten zwei weitere Schiffe und sausten wie riesige Wasserinsekten über die glatte Oberfläche. Aguirrez fluchte leise.
Kriegsgaleeren.
Das Sonnenlicht spiegelte sich in den nassen Ruderblättern, die in gleichmäßigem Rhythmus ins Wasser eintauchten und den Abstand zwischen den drei schlanken Kampfschiffen und der Karavelle zusehends verringerten.
Der Kapitän nahm die Neuankömmlinge mit dem Blick des geübten Schiffbauers ruhig in Augenschein und bewunderte die klaren zweckbetonten Linien. Diese regelrechten Windhunde der Meere, die kurzfristig sehr hohe Geschwindigkeiten erreichten, waren ursprünglich in Venedig entwickelt worden und fanden mittlerweile bei einem Dutzend Staaten Europas Verwendung.
Jede Galeere wurde durch hundertfünfzig Ruder angetrieben, pro Seite aufgeteilt in drei Reihen zu je fünfundzwanzig. Das flache, gerade Profil war mit seiner Stromlinienform der Zeit weit voraus und schwang sich am Heck elegant zur überhängenden Kapitänskajüte auf. Der Bug war nach vorn verlängert, fungierte aber nicht mehr wie in früheren Zeiten als Rammsporn, sondern als Artillerieplattform.
An dem einzelnen Mast in der Nähe des Achterschiffs hing ein kleines dreieckiges Lateinsegel, aber die Schnelligkeit und Wendigkeit der Galeere basierte allein auf menschlicher Muskelkraft. Das spanische Strafsystem sorgte für einen stetigen Nachschub an Häftlingen, die bis zu ihrem Tod die neun Meter langen Riemen bedienen mussten. Von der corsia aus, einem schmalen, längsschiffs verlaufenden Mittelgang, zwangen brutale Aufseher die Ruderer mit Drohungen und Peitschenhieben zum Gehorsam.
Aguirrez wusste, dass die gegen sein Schiff aufgebotene Feuerkraft beträchtlich sein würde. Die Galeeren waren fast doppelt so lang wie seine rundliche, vierundzwanzig Meter messende Karavelle und verfügten normalerweise über jeweils fünfzig Arkebusen, einschüssige Vorderlader mit glattem Innenlauf. Die schwerste Waffe, ein gusseiserner Mörser namens Bombarde, war auf der Bugplattform untergebracht. Diese Position an der rechten Vorderseite ging noch auf die früher bei Seegefechten übliche Taktik zurück, den Gegner frontal zu rammen.
Während die Galeere an das robuste griechische Gefährt erinnerte, mit dem Odysseus von Circe zu Polyphem gereist war, gehörte der Karavelle die Zukunft. Sie war für ihre Zeit schnell und wendig, konnte alle Gewässer der Erde befahren und vereinte die Takelage der südlichen Länder mit dem stabilen Rumpf der nördlichen Gefilde, der aus stumpf aufeinander stoßenden Planken bestand. Gelenkt wurde die Karavelle mit einem modernen Rudergestänge, und die einfach zu handhabenden Lateinsegel, übernommen von der arabischen Dau, verschafften ihr große Vorteile gegenüber jedem anderen zeitgenössischen Segler, sobald sie dicht am Wind fuhr.
Leider hingen diese so wunderbar effizienten Segel gegenwärtig schlaff an den beiden Masten, und solange kein Windhauch die Leinwand blähte, handelte es sich lediglich um nutzlose Stofffetzen. Die in eine Flaute geratene Karavelle war wie ein Flaschenschiff an Ort und Stelle gefangen.
Aguirrez musterte das reglose Tuch und verfluchte die Elemente, die sich gegen ihn verschworen hatten. Es war kurzsichtig und arrogant gewesen, nicht weit draußen auf See zu bleiben, sondern alle Vorahnungen zu ignorieren. Mit ihrem geringen Freibord waren die Galeeren nicht für offene Gewässer geeignet und hätten der Karavelle nur schwerlich folgen können. Doch er hatte eine direktere Route gewählt und war bis dicht an die Küste gesegelt, weil ihn bei günstigem Wind kein anderes Schiff einholen konnte. Er hatte weder mit einer Flaute gerechnet noch damit, dass die Galeeren ihn so mühelos finden würden.
Aber für Selbstvorwürfe und Vermutungen war auch später noch Zeit genug. Er schleuderte die Decke von sich, als wäre es das Cape eines Matadors, stieg aufs Deck hinunter und brüllte Befehle. Die laute Stimme des Kapitäns versetzte die Männer von vorn bis achtern in rege Betriebsamkeit. Innerhalb weniger Sekunden glich das Deck einem aufgeschreckten Ameisenhügel.
»Lasst die Boote zu Wasser!« Aguirrez deutete auf die nahenden Kriegsschiffe. »Haltet euch ran, Jungs, oder die Henker werden mit uns ein paar Tage und Nächte zu tun haben.«
Sie machten sich mit rasender Geschwindigkeit an die Arbeit. Alle an Bord wussten, dass ihnen die Qualen der Folter und ein Tod auf dem Scheiterhaufen bevorstanden, falls die Feinde sie zu fassen bekamen. Binnen einiger Minuten lagen alle drei Beiboote im Wasser und waren mit den stärksten Ruderern bemannt. Die Schlepptaue spannten sich, doch die Karavelle rührte sich hartnäckig nicht vom Fleck. Aguirrez schrie seine Männer an, sie sollten sich mehr ins Zeug legen. Mit allen nur denkbaren Flüchen appellierte er an ihre Baskenehre, und die Luft über seinem Kopf schien beinahe Funken zu schlagen.
»Zuuuuu-gleich!«, rief der Kapitän mit loderndem Blick. »Ihr rudert wie ein Haufen spanischer Huren.«
Die Riemen verwandelten das ruhige Wasser in weißen Schaum. Das Schiff erbebte knarrend und setzte sich endlich langsam in Bewegung. Aguirrez feuerte die Leute weiter an, rannte zurück zum Heck, stützte sich auf die Reling und hob die Linse ans Auge. Auf der Bugplattform der vorderen Galeere entdeckte er einen hoch gewachsenen schlanken Mann, der ihn ebenfalls mit einem Fernrohr musterte.
»El Brasero«, flüsterte Aguirrez mit unverhohlener Verachtung.
Ignatius Martinez sah, dass Aguirrez ihn beobachtete, und schürzte die dicken, lüsternen Lippen zu einem triumphierenden Grinsen. In seinen tief liegenden gelben Augen brannte ein fanatisches, mitleidloses Feuer. Die lange, aristokratische Nase hob sich, als sei ihr ein übler Geruch begegnet.
»Kapitän Blackthorne«, wandte er sich blasiert an den rotbärtigen Mann, der neben ihm stand. »Teilen Sie den Ruderern mit, dass sie frei sein werden, falls wir unsere Beute erwischen.«
Der Kapitän zuckte die Achseln und führte den Befehl aus, obwohl er wusste, dass Martinez nicht die Absicht hatte, dieses Versprechen zu halten. Es war bloß ein grausamer Betrug.
El Brasero war das spanische Wort für Kohlenpfanne. Martinez hatte sich diesen Spitznamen dadurch verdient, dass er mit Inbrunst Ketzer beim Autodafé, einem öffentlichen Spektakel, rösten ließ. Am quemerdo, der Stätte der Verbrennung, war er ein vertrauter Gast, und er nutzte alle Mittel, darunter auch Bestechungsgelder, um sicherzustellen, dass ihm die Ehre zuteil wurde, den Scheiterhaufen zu entzünden. Wenngleich sein offizieller Titel Öffentlicher Ankläger und Ratgeber der Inquisition lautete, hatte er seine Vorgesetzten davon überzeugen können, ihn zum leitenden Inquisitor des Baskenlandes zu ernennen. Es war ein überaus profitables Amt. Die Inquisition beschlagnahmte unverzüglich den gesamten Besitz eines Angeklagten und finanzierte damit ihre Gefängnisse und Folterkammern, ihre Geheimpolizei und Truppen sowie die Verwaltung. Auch die Inquisitoren wurden reich.
Die Basken hatten sowohl die Kunst der Navigation als auch den Schiffbau zu ungeahnter Bravour verfeinert. Aguirrez war schon Dutzende Male zu geheimen Fischgründen jenseits der Westlichen See gesegelt, um dort Wale oder Dorsche zu fangen, und da Basken von Natur aus als geschäftstüchtig galten, hatte er – so wie viele seiner Landsleute – mit dem Verkauf ein Vermögen gemacht. Seine stets ausgelastete Werft am Nervion baute Schiffe aller Typen und Größen. Die Inquisition und ihre Exzesse waren Aguirrez durchaus ein Begriff, doch er hatte so viel mit seinen diversen Unternehmungen und den raren Stunden in Gesellschaft seiner wunderschönen Frau und der beiden Kinder zu tun, dass er kaum einen Gedanken daran verschwendete. Bei der Rückkehr von einer seiner Fahrten erfuhr er schließlich am eigenen Leib, dass Martinez und die Inquisition bösartige Mächte waren, die man nicht unterschätzen durfte.
Als die schwer mit Fisch beladenen Schiffe eines Tages am Kai festmachten, um ihren Fang zu löschen, wartete bereits eine wütende Menge auf sie. Die Leute riefen nach Aguirrez und baten ihn um Hilfe. Wie sich herausstellte, hatte die Inquisition mehrere ortsansässige Frauen verhaftet und der Hexerei bezichtigt. Auch seine Frau zählte zu den Opfern. Sie und die anderen waren für schuldig befunden worden und sollten bald vom Gefängnis zur Hinrichtungsstätte gebracht werden.
Aguirrez beruhigte die Menge und reiste sofort in die Provinzhauptstadt, doch obwohl er einigen Einfluss besaß, stieß sein Gnadengesuch auf taube Ohren. Die Beamten sagten, sie könnten nichts tun, denn dies sei keine Angelegenheit des Staates, sondern eine der Kirche. Hinter vorgehaltener Hand gaben einige von ihnen zu, dass sie selbst um Leben und Besitz fürchten müssten, falls sie sich gegen die Anweisungen des Heiligen Offiziums stellten. »El Brasero«, flüsterten sie voller Angst.
Daraufhin schritt Aguirrez zur Tat und rief hundert seiner Männer zusammen. Sie überfielen den bewachten Transport, der die angeblichen Hexen zum Scheiterhaufen befördern sollte, und befreiten die Gefangenen, ohne einen einzigen Schuss abzugeben. Schon als er seine Frau wieder in die Arme schloss, wusste der Kapitän, dass El Brasero die Festnahmen und Hexenprozesse inszeniert hatte, um ihn und seinen Besitz in die gierigen Finger zu bekommen.
Aguirrez vermutete, dass die Inquisition noch aus einem anderen Grund auf ihn aufmerksam geworden war. Im Vorjahr hatte ein Ältestenrat die heiligsten Reliquien des Baskenlandes in seine Obhut gegeben. Eines zukünftigen Tages sollten sie dazu dienen, die Basken zu einem Unabhängigkeitskampf gegen Spanien zu mobilisieren. Vorläufig lagen sie in einer Truhe, die in einer geheimen Kammer von Aguirrez’ prunkvollem Haus versteckt war. Vielleicht hatte Martinez von den Artefakten erfahren, denn er verfügte in der Region über zahlreiche Informanten. Ihm würde sogleich klar sein, dass man mit geheiligten Relikten dem Fanatismus Vorschub zu leisten vermochte; immerhin hatte der Heilige Gral die blutigen Kreuzzüge eingeleitet. Was auch immer die Basken vereinen konnte – die Inquisition musste es als Bedrohung empfinden.
Martinez reagierte anfangs nicht auf die Befreiung der Frauen, doch Aguirrez war kein Narr. Er wusste, dass der Inquisitor erst zuschlagen würde, wenn er jeden auch noch so kleinen belastenden Beweis gesammelt hatte. Der Kapitän nutzte die Zeit, um Vorkehrungen zu treffen. Als Erstes schickte er die schnellste Karavelle seiner Flotte nach San Sebastián, als müsse sie dort repariert werden. Dann investierte er beträchtliche Summen in den Aufbau eines eigenen Spionagenetzes, das bis in die Umgebung des Anklägers reichte, und versprach die größte Belohnung demjenigen, der ihn rechtzeitig vor der Verhaftung warnen würde. Danach widmete er sich wieder den üblichen Geschäften und wartete ab, entfernte sich jedoch nie weit von zu Hause, wo er ständig von Wachen umgeben war, allesamt erfahrene Kämpfer.
Mehrere Monate vergingen ohne jeden Zwischenfall. Dann kam eines Nachts einer seiner Spione – ein Mann, der direkt im Büro der Inquisition arbeitete – atemlos zu Aguirrez’ Villa galoppiert und hämmerte an die Tür. Martinez war mit einem Trupp Soldaten aufgebrochen, um den Kapitän festzunehmen. Aguirrez bezahlte den Informanten und machte sich an die Ausführung des längst vorbereiteten Plans. Zunächst verabschiedete er sich von Frau und Kindern und versprach, so bald wie möglich am vereinbarten Treffpunkt in Portugal zu ihnen zu stoßen. Während seine Familie mit dem Großteil ihres Vermögens auf einem Bauernkarren entkam, fuhr gleichzeitig eine zweite Gruppe los, deren einziger Zweck es war, die Soldaten abzulenken und sich eine Weile quer durch die Landschaft verfolgen zu lassen. Aguirrez brach in Begleitung seiner bewaffneten Eskorte zur Küste auf. Im Schutz der Dunkelheit verließ die Karavelle den Hafen, hisste die Segel und steuerte nach Norden.
Als am nächsten Tag die Sonne aufging, kamen aus dem Morgennebel plötzlich mehrere Kampfgaleeren zum Vorschein und versuchten, der Karavelle den Weg abzuschneiden. Dank seiner überragenden Segelkünste konnte Aguirrez den Verfolgern entwischen und ließ sich von der steifen Brise entlang der französischen Küste in Richtung Norden tragen. Er setzte einen Kurs nach Dänemark, wo er nach Westen abbiegen und auf Island, Grönland und das Große Land dahinter zusteuern wollte. Dann aber verebbte vor den Britischen Inseln der Wind, und das Schiff verlor immer mehr an Fahrt, bis Aguirrez und seine Männer schließlich in einer totalen Flaute festsaßen …
Nun, im Angesicht der drei todbringenden Galeeren, war Aguirrez zwar entschlossen, notfalls bis zum Ende zu kämpfen, wollte zuvor aber nichts unversucht lassen, um am Leben zu bleiben. Er befahl seinen Schützen, sich kampfbereit zu machen. Bei der Bewaffnung der Karavelle hatte er zugunsten von Geschwindigkeit und Wendigkeit auf einen Teil der möglichen Panzerung und Feuerkraft verzichtet.
Die gewöhnliche Arkebuse war ein unhandlicher Vorderlader mit Luntenschloss, der auf eine tragbare Stütze aufgelegt und von zwei Männern bedient werden musste. Die Mannschaft der Karavelle war mit einer kleineren und leichteren Version ausgestattet, die sich jeweils von nur einer Person handhaben ließ. Zudem handelte es sich bei den Matrosen um ausgezeichnete Schützen, die jede Kugel ins Ziel lenken würden. Als Artillerie hatte Aguirrez zwei Bronzekanonen an Bord, die auf ihren fahrbaren Lafetten frei umherbewegt werden konnten. Die Geschützmannschaften hatten den Umgang damit gründlich geübt, so dass das Laden, Zielen und Feuern inzwischen mit der Präzision eines Uhrwerks und schneller als auf den meisten anderen Schiffen vonstatten ging.
Die Ruderer waren bereits sichtlich erschöpft, und das Schiff glich einer Fliege, die durch Sirup krabbelte. Die Galeeren befanden sich beinahe in Feuerreichweite. Bald würden ihre Scharfschützen die Matrosen mit Leichtigkeit abschießen können. Aguirrez entschied, die Leute trotzdem an ihren Plätzen zu belassen, denn solange die Karavelle sich bewegte, blieb ihm ein minimaler Handlungsspielraum. Er schrie den Männern zu, sie sollten sich weiter anstrengen, und wollte sich gerade den Schützen zuwenden, als seine geschärften Sinne eine leichte Temperaturveränderung wahrnahmen, was normalerweise auf eine bevorstehende Brise hindeutete. Das kleinere Lateinsegel flatterte kurz wie die Schwinge eines verletzten Vogels. Dann war alles wieder still.
Als der Kapitän die Meeresoberfläche nach einer Windkräuselung absuchte, hörte er das unverkennbare Grollen einer Bombarde. Der großkalibrige Mörser war in eine stationäre Lafette eingehängt und konnte weder horizontal noch vertikal ausgerichtet werden. Die Ladung platschte etwa hundert Meter neben dem Heck der Karavelle ins Wasser. Aguirrez lachte. Ein direkter Treffer war mit einer Bombarde fast unmöglich, nicht einmal bei einem so langsamen Ziel wie der Karavelle.
Die drei Galeeren fuhren nun Seite an Seite. Noch während die Wolke aus Pulverdampf über dem Wasser schwebte, erhöhten die beiden flankierenden Schiffe ihr Tempo, überholten das mittlere Boot und setzten sich genau hinter das Heck des Gegners. Das Manöver war eine Finte, denn gleich darauf wendeten beide Galeeren nach links, und eine übernahm die Führung. Ihre Bestückung konzentrierte sich auf den rechten vorderen Bereich, und sobald sie die Karavelle passierten, konnten sie das Deck und die Takelage mit leichten und mittelschweren Waffen unter Beschuss nehmen.
Aguirrez hatte mit dieser Taktik gerechnet, beide Kanonen dicht nebeneinander auf der Backbordseite platziert und ihre Mündungen mit schwarzem Stoff verhängt. Der Feind würde annehmen, dass die Karavelle ebenfalls nur über wirkungslose Bombarden verfügte und ihre Flanken daher nahezu ungeschützt wären.
Der Kapitän suchte mit dem Fernrohr die gegnerische Artillerieplattform ab und fluchte unwillkürlich, als er dort einen seiner früheren Matrosen entdeckte, der ihn auf vielen Fahrten begleitet hatte. Der Mann kannte den Kurs, auf dem Aguirrez in die Westliche See gelangen wollte. Höchstwahrscheinlich bedrohte die Inquisition seine Familie, um ihn gefügig zu machen.
Aguirrez überprüfte die Richthöhe der beiden Kanonen. Dann zog er das schwarze Tuch beiseite und visierte durch die Schießscharten einen imaginären Punkt auf See an. Da die Karavelle bisher keine Gegenwehr geleistet hatte, wagte die erste Galeere sich dicht heran – und Aguirrez gab den Feuerbefehl. Beide Kanonen donnerten los. Der erste Schuss war übereilt und riss der Galeere den Rammsporn weg, aber die zweite Kugel schlug mitten in die Artillerieplattform ein.
Der Bug explodierte in einem Feuerball. Wasser drang in den aufgerissenen Rumpf ein, noch zusätzlich verstärkt durch die schnelle Vorwärtsbewegung der Galeere. Das Schiff glitt unter die Oberfläche und sank binnen weniger Augenblicke. Aguirrez verspürte Mitleid mit den Ruderern, die an ihre Bänke gekettet waren und nicht fliehen konnten, doch verglichen mit den Wochen und Monaten voller Leiden würde ihr Tod eine gnädige Erlösung sein.
Die Besatzung der zweiten Galeere sah das Schicksal ihrer Kameraden und vollführte ein Manöver, das die berühmte Wendigkeit der Triremen eindrucksvoll zur Schau stellte: Das Schiff drehte sofort von der Karavelle ab und kehrte im Bogen zu Martinez zurück, der sich vorsichtig im Hintergrund gehalten hatte.
Aguirrez vermutete, dass die Galeeren sich trennen, sein Schiff außerhalb der Kanonenreichweite beidseits weiträumig umrunden und dann die ungeschützten Ruderboote angreifen würden. Und als hätte Martinez seine Gedanken gelesen, beschrieb jede der beiden Galeeren einen weiten Halbkreis um die Karavelle – wie wachsame Hyänen, die ihre Beute belauerten.
Der Kapitän vernahm einen Knall über seinem Kopf, hervorgerufen durch ein kurzes Flattern des Großsegels. Er hielt den Atem an und fragte sich, ob auch dies nur ein vereinzelter Hauch bleiben würde. Dann flatterte das Segel abermals, blähte sich, und die Masten knarrten. Er lief zum Bug, beugte sich über die Reling und rief den Männern an Deck zu, sie sollten die Ruderer zurück an Bord holen.
Zu spät.
Die Galeeren hatten ihren lang gestreckten Rundkurs unverzüglich verlassen und hielten nun wieder direkt auf die Karavelle zu. Das rechte Schiff schwenkte herum und präsentierte seine Breitseite, so dass die Scharfschützen das wehrlose Beiboot anvisieren konnten. Eine vernichtende Salve brach über die Ruderer herein.
Ermutigt versuchte die zweite Galeere das gleiche Manöver an Backbord. Die Schützen der Karavelle hatten den ersten Schreck überwunden und konzentrierten ihr Feuer auf die Artillerieplattform, auf der Aguirrez den Inquisitor gesehen hatte. El Brasero verbarg sich zweifellos hinter dickem Holz, doch er würde die Botschaft verstehen.
Die Salve traf die Plattform wie eine Faust aus Blei. Sobald einer der Schützen gefeuert hatte, nahm er die nächste Waffe und schoss erneut, während hinter ihm die Matrosen fieberhaft nachluden. Auf diese Weise dauerte der tödliche Geschosshagel permanent an. Die Galeere hielt dem schließlich nicht länger stand und drehte ab. Ihr Rumpf war an vielen Stellen zersplittert, und einige Riemen hingen in Fetzen.
Die Besatzung der Karavelle holte daraufhin die Kameraden an Bord. Das erste Boot hatte es schlimm erwischt; die Hälfte der Ruderer war tot. Aguirrez schrie seinen Kanonieren neue Befehle zu, lief zum Ruder und packte das Steuerrad. Die Mannschaften schoben die schweren Kanonen zu den Schießscharten am Bug. Andere Matrosen stellten die Takelage neu ein, um die auffrischende Brise bestmöglich auszunutzen.
Die Karavelle nahm Fahrt auf, und in ihrem Kielwasser brach sich die Gischt. Der Kapitän hielt auf die Galeere zu, die ihnen so blutige Verluste beigebracht hatte. Das Schiff versuchte zu fliehen, aber Aguirrez manövrierte es mit Leichtigkeit aus, bis der Abstand nur noch fünfzig Meter betrug. Die Arkebusiere des Gegners schossen auf den Verfolger, richteten aber kaum Schaden an.
Die Kanonen spuckten Feuer und Rauch. Beide Kugeln trafen die überdachte Kapitänskajüte am Heck und zerlegten sie in tausend kleine Fetzen. Wenig später waren die Geschütze wieder geladen und auf die Wasserlinie der Galeere ausgerichtet. Sie rissen zwei große Löcher in den Rumpf. Das mit Männern und Ausrüstung schwer beladene Schiff sank sehr schnell, und zurück blieben nur ein paar Luftblasen, hölzerne Wrackteile und einige glücklose Schwimmer.
Der Kapitän wandte sich der dritten Galeere zu.
Martinez hatte nach dem eindrucksvollen Beschuss seines Schiffes sofort wie ein verschrecktes Kaninchen die Flucht ergriffen und befand sich mittlerweile weit im Süden. Die flinke Karavelle wendete und nahm die Verfolgung auf. Die Aussicht, El Braseros Feuer zu löschen, spornte Aguirrez zusätzlich an.
Es sollte nicht sein. Die Brise war immer noch nicht allzu kräftig, so dass es der Karavelle nicht gelingen würde, die fliehende Galeere einzuholen. Dort hatte man die beschädigten Riemen längst ausgetauscht, und die Sträflinge ruderten um ihr Leben. Schon bald war die Galeere nur noch ein dunkler Punkt auf dem Ozean.
Der Kapitän hätte Martinez bis ans Ende der Welt gehetzt, aber er sah Segel am Horizont und vermutete, es könne sich womöglich um Verstärkungen des Feindes handeln. Der Arm der Inquisition reichte weit. Aguirrez dachte an das Versprechen, das er seiner Frau und den Kindern gegeben hatte, und an seine Verantwortung gegenüber dem baskischen Volk. Widerwillig ließ er wenden und setzte einen nördlichen Kurs nach Dänemark. Er machte sich keine Illusionen über seinen Feind. Martinez mochte ein Feigling sein, doch er war geduldig und ausdauernd.
Ihr nächstes Zusammentreffen war nur eine Frage der Zeit.
Deutschland, 1935
Es war kurz nach Mitternacht, irgendwo auf dem flachen Land zwischen Hamburg und der Nordsee. Hunde fingen an zu heulen und starrten mit heraushängenden Zungen und zitternden Flanken verängstigt in den schwarzen mondlosen Himmel. Ihr scharfes Gehör hatte ein Geräusch vernommen, das den Menschen dort unten verborgen blieb: das leise Surren der Maschinen des riesigen silberhäutigen Torpedos, der sich hoch oben durch die dichte Wolkendecke schob.
An der Unterseite des rund zweihundertvierzig Meter langen Luftschiffs hingen in stromlinienförmigen Motorgondeln vier Maybach-Zwölfzylinder, ein Paar auf jeder Seite. Die übergroßen Fenster der weit vorn angebrachten Steuergondel waren erleuchtet. Die lange schmale Kabine war wie das Ruderhaus eines Schiffs aufgebaut, einschließlich Kompass und Speichenrädern für die Seiten- und Höhensteuerung.
Neben dem Steuermann stand breitbeinig, kerzengerade und mit hinter dem Rücken verschränkten Armen Kapitän Heinrich Braun in seiner makellosen dunkelblauen Uniform mit der hohen Schirmmütze. Trotz der Heizung war Kälte in die Kabine eingedrungen, und so trug er unter seiner Jacke einen dicken Rollkragenpullover. Brauns selbstbewusstes Profil wirkte wie aus Granit gemeißelt. Seine stocksteife Haltung, das militärisch kurze silbrige Haar und das leicht nach oben gereckte vorspringende Kinn gemahnten an seine Zeit als preußischer Marineoffizier.
Er überprüfte den Kompasskurs und wandte sich dann einem beleibten Mann mittleren Alters zu, dessen buschiger, nach oben gezwirbelter Schnurrbart ihn wie ein gutmütiges Walross aussehen ließ.
»So, Herr Lutz, die erste Etappe unserer historischen Reise haben wir soeben erfolgreich bewältigt.« Braun sprach in einem sehr gewählten, anachronistischen Tonfall. »Wir halten konstant eine Geschwindigkeit von einhundertzwanzig Kilometern pro Stunde. Ungeachtet des leichten Gegenwinds liegt unser Treibstoffverbrauch exakt auf dem vorausberechneten Wert. Mein Kompliment, Herr Professor.«
Hermann Lutz mochte äußerlich dem Zapfer in einem Münchener Bierkeller ähneln, doch er war einer der erfahrensten Luftfahrtingenieure Europas. Im Anschluss an seine Pensionierung hatte Braun in einem Buch vorgeschlagen, quer über den Pol eine Luftschifflinie nach Nordamerika einzurichten. Während der Lesereise war er mit Lutz zusammengetroffen, der sich zu jener Zeit bemühte, Investoren für eine Polarexpedition zu gewinnen. Die beiden Männer einte der feste Glaube, dass Luftschiffe sich nutzbringend auf die internationale Zusammenarbeit auswirken könnten.
Lutz’ blaue Augen funkelten aufgeregt. »Und ich gratuliere Ihnen, Kapitän Braun. Gemeinsam wird es uns gelingen, den glorreichen Gedanken des Weltfriedens zu fördern.«
»Ich bin sicher, Sie meinen den glorreichen Gedanken an die Größe Deutschlands«, spottete Gerhardt Heinz, ein kleiner, schmächtiger Mann, der hinter den anderen gestanden und jedes Wort mitgehört hatte. Mit theatralischer Geste zündete er sich eine Zigarette an.
»Herr Heinz, haben Sie etwa vergessen, dass sich über unseren Köpfen Tausende Kubikmeter leicht entzündlichen Wasserstoffs befinden?«, fragte Braun ihn frostig. »Rauchen ist nur in dem eigens ausgewiesenen Bereich der Mannschaftsunterkünfte gestattet.«
Heinz murmelte etwas Unverständliches und drückte die Zigarette mit den Fingern aus. Um nicht als Unterlegener dazustehen, reckte er sich wie ein eingebildeter Gockel. Sein Kopf war vollständig kahl geschoren, und wegen seiner Kurzsichtigkeit trug er ein Pincenez zur Schau. Das blasse Haupt saß auf schmalen Schultern, und obwohl er einschüchternd wirken wollte, fiel das Ergebnis eher grotesk aus.
Lutz fand, dass Heinz mit seinem engen schwarzen Ledermantel einer Made glich, die aus der Puppe schaute, behielt den Gedanken aber wohlweislich für sich. Heinz’ Anwesenheit war der Preis, den Braun und er hatten zahlen müssen, um diese Fahrt überhaupt zu ermöglichen. Das und der Name des Luftschiffs: Nietzsche, nach dem deutschen Philosophen. Deutschland mühte sich, dem finanziellen und psychologischen Joch des Versailler Vertrags zu entrinnen. Als Lutz vorgeschlagen hatte, mit einem Luftschiff zum Nordpol zu reisen, war das öffentliche Echo sehr positiv ausgefallen, aber das Projekt geriet ins Stocken.
Eine Gruppe von Industriellen trat in aller Stille mit einem neuen Vorschlag an ihn heran: Sie würden mit Unterstützung des Militärs eine geheime Luftschiffreise zum Nordpol finanzieren. Falls die Mission ein Erfolg war, wollte man sie der Öffentlichkeit präsentieren, und die Alliierten sähen sich vollendeten Tatsachen gegenüber, die eindeutig die Überlegenheit der deutschen Luftfahrttechnik demonstrierten. Einen Fehlschlag würde man geheim halten, um keinen Makel davonzutragen. Der Bau des Luftschiffs, als dessen Vorbild Lutz sich die gewaltige Graf Zeppelin nahm, fand hinter verschlossenen Türen statt. Ferner gehörte zu der Abmachung, dass Heinz als Interessenvertreter der Industriellen an der Expedition teilnehmen würde.
»Kapitän, könnten Sie uns den derzeitigen Stand bitte etwas genauer erläutern?«, fragte Lutz.
Braun ging zu einem Kartentisch. »Das hier ist unsere Position. Wir werden dem Kurs folgen, den die Norge und die Italia nach Spitzbergen genommen haben. Von dort aus stoßen wir dann zum Pol vor. Ich rechne damit, dass die letzte Etappe etwa fünfzehn Stunden dauern wird, aber das hängt vom Wetter ab.«
»Hoffentlich haben wir mehr Glück als die Italiener«, sagte Heinz und spielte damit auf frühere Luftschifffahrten zum Pol an. 1926 hatten der norwegische Forscher Amundsen und ein italienischer Ingenieur namens Umberto Nobile in dem lenkbaren Luftschiff Norge den Pol erreicht und umkreist. Nobiles zweite Expedition im Schwesterschiff Italia war angeblich am Pol gelandet, strandete jedoch auf dem Rückweg. Im Verlauf der Rettungsaktion ging Amundsen bei einem Flug verloren und galt seitdem als verschollen. Nobile und einige seiner Männer konnten am Ende geborgen werden.
»Das ist keine Frage des Glücks«, erwiderte Lutz. »Unser Luftschiff wurde speziell für diese Mission konstruiert, und zwar unter Berücksichtigung der von den anderen begangenen Fehler. Es ist stabiler, wesentlich wetterfester und mit zusätzlichen Kommunikationssystemen ausgestattet. Durch die Verwendung von Blaugas haben wir das Schiff stets besser unter Kontrolle, denn wir müssen keinen Wasserstoff als Ballast ablassen. Unsere Steuerung lässt sich enteisen, und die Maschinen sind auf den Betrieb bei arktischen Minustemperaturen ausgelegt. Es ist das schnellste Luftschiff aller Zeiten, und zahlreiche Flugzeuge und Schiffe halten sich zur Verfügung, um uns sofort zu helfen, falls es Probleme gibt. Unsere meteorologischen Messinstrumente sind unübertroffen.«
»Ich habe zu Ihnen und dem Schiff absolutes Vertrauen«, sagte Heinz mit öligem Lächeln. Er neigte von Natur aus dazu, sich bei anderen anzubiedern.
»Gut. Wir sollten alle etwas schlafen, bevor wir Spitzbergen erreichen. Dort nehmen wir Treibstoff auf und setzen unsere Reise zum Pol fort.«
Der Flug nach Spitzbergen verlief ohne Zwischenfälle. Die über Funk benachrichtigte Betankungsmannschaft stand schon bereit, und innerhalb weniger Stunden befand die Nietzsche sich auf dem Weg nach Norden und passierte Franz-Joseph-Land.
Im trübgrauen Meer unter ihnen trieben Eisschollen, die allmählich immer größer wurden und schließlich eine weitgehend geschlossene Decke bildeten, nur hier und da durchbrochen von dunklen Wasserrinnen. In der Nähe des Pols verwandelte sich das Eis in eine riesige, monotone Fläche. Aus dreihundert Metern Höhe wirkte die blauweiße Oberfläche vollkommen eben, doch frühere Forscher hatten am Boden auf schmerzvolle Weise erfahren müssen, dass sie kreuz und quer von Graten und Hügeln durchzogen war.
»Gute Neuigkeiten«, verkündete Braun fröhlich. »Wir befinden uns bei fünfundachtzig Grad Nord und erreichen bald unser Ziel. Die Wetterbedingungen sind ideal. Kein Wind. Klarer Himmel.«
Die Spannung wuchs, und sogar diejenigen, die dienstfrei hatten, drängten sich in die Steuergondel und schauten zu den großen Fenstern hinaus, als hofften sie, einen hohen gestreiften Pfahl zu entdecken, der den Punkt bei neunzig Grad nördlicher Breite markierte.
»Kapitän«, rief einer der Beobachter. »Ich glaube, da unten ist etwas auf dem Eis.«
Braun nahm die betreffende Stelle durch sein Fernglas in Augenschein.
»Höchst interessant.« Er reichte den Feldstecher an Lutz weiter.
»Das ist ein Boot«, sagte der Professor.
Braun nickte zustimmend und befahl dem Steuermann, den Kurs zu ändern.
»Was machen Sie da?«, fragte Heinz.
Braun gab ihm das Fernglas. »Sehen Sie selbst«, erwiderte er wortkarg.
Heinz nahm umständlich das Pincenez ab und blickte durch das Okular. »Ich sehe nichts«, erklärte er kategorisch.
Die Antwort überraschte den Kapitän nicht. Dieser Mann war stockblind. »Gleichwohl liegt dort ein Boot auf dem Eis.«
»Was hat denn ein Boot hier verloren?«, fragte Heinz blinzelnd. »Ich habe von keiner anderen Expedition zum Pol gehört. Nehmen Sie sofort wieder den ursprünglichen Kurs auf!«
»Mit welcher Begründung, Herr Heinz?«, fragte Braun und hob das Kinn sogar noch ein weiteres Stück. Sein eisiger Tonfall verriet, dass die Antwort ihn ohnehin nicht interessierte.
»Unsere Mission lautet, den Nordpol anzufliegen«, sagte Heinz.
Kapitän Braun starrte ihn an, als würde er Heinz am liebsten aus der Kabine werfen und zusehen, wie der kleine Mann auf dem Packeis aufschlug.
Lutz erkannte die Brisanz der Situation und mischte sich ein. »Herr Heinz, Sie haben natürlich Recht, mein Freund. Aber ich glaube, es gehört ferner zu unseren Aufgaben, alle Vorkommnisse zu untersuchen, die uns oder der nächsten Expedition dienlich sein könnten.«
»Außerdem sind wir genau wie jedes Schiff auf See dazu verpflichtet, anderen aus der Not zu helfen«, fügte Braun hinzu.
»Falls diese Leute uns sehen, werden sie das über Funk weitermelden und unsere Mission gefährden«, versuchte Heinz es mit einem anderen Einwand.
»Sofern sie nicht blind und taub sind, haben sie uns längst bemerkt«, sagte Braun. »Und was macht es schon, wenn sie unsere Anwesenheit irgendwo melden? Unser Schiff trägt keinerlei Hoheitszeichen, nur den Namen.«
Heinz musste sich geschlagen geben. In aller Ruhe zündete er sich eine Zigarette an und paffte den Rauch übertrieben deutlich in die Luft. Die Herausforderung war an den Kapitän gerichtet.
Braun ignorierte die trotzige Geste und erteilte den Befehl zur Landung. Der Steuermann betätigte das Höhenruder, und das mächtige Luftschiff glitt auf einer langen flachen Bahn hinunter aufs Packeis.
Färöer-Inseln, Gegenwart
Das einsame Schiff, das auf die Färöer-Inseln zusteuerte, sah wie der Verlierer einer Partie Paintball aus. Der Rumpf der fünfzig Meter langen Sea Sentinel war von vorn bis achtern mit einem schwindelerregend psychedelischen Durcheinander aus allen Farben des Regenbogens überzogen, so dass zur Abrundung der Karnevalsstimmung eine Dampforgel und eine Horde Clowns gar nicht weiter aufgefallen wären. Doch der flüchtige Eindruck trog, und schon viele hatten zu ihrem Leidwesen feststellen müssen, dass die Sea Sentinel auf ihre Weise genauso gefährlich war wie die Kriegsschiffe auf den Seiten von Jane’s Fighting Ships.
Hinter der Sea Sentinel lag eine Reise von hundertachtzig Seemeilen, die bei den Shetland-Inseln vor der Küste Schottlands begonnen hatte. In den Gewässern der Färöer wurde das Schiff nun von einer kleinen Flotte aus Fischkuttern und Jachten empfangen, allesamt gemietet von internationalen Presseorganisationen. Auch der dänische Kreuzer Leif Eriksson war vor Ort, und am bewölkten Himmel kreiste ein Helikopter.
Es nieselte, was dem typischen Sommerwetter der Färöer entsprach, einem Archipel aus achtzehn Felseninseln, gelegen im nordöstlichen Atlantik auf halber Strecke zwischen Dänemark und Island. Die 45 000 Einwohner stammen mehrheitlich von den Wikingern ab, die dort im neunten Jahrhundert gesiedelt hatten, und obwohl die Inseln zum Königreich Dänemark gehören, sprechen die Einheimischen eine abgewandelte Form des Altnordischen. In den hoch aufragenden Klippen, die sich wie Bollwerke aus dem Meer erheben, nisten viele Millionen Vögel.
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