Das Wunder von Sylt - Ben Bertram - E-Book

Das Wunder von Sylt E-Book

Ben Bertram

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Beschreibung

Der Winter hatte längst einen Mantel aus Schnee über meine Insel gelegt und sie in eine weiße Wunderwelt verwandelt. Eiszapfen, Schneemänner und gefrorene Gewässer sorgten dafür, dass Sylt aussah, als würde meine Heimat komplett aus Zuckerguss und Glitzerkristallen bestehen. Während Sylt bereits für den Winterzauber gerüstet war, fiel ich immer häufiger zurück in meine Vergangenheit. Meine Gedanken kreisten um meine Schwester, von der ich vor fast genau einem Jahr getrennt wurde. Mein größter Wunsch war daher, Silly noch ein einziges Mal treffen zu können. Als ich gemeinsam mit Ben über das Thema Wünsche sprach, war für mich die Chance gekommen, meine Wünsche wahr werden zu lassen. Aufgeregt wartete ich darauf, ob mein vierbeiniger Freund Milo und ich unsere größten Träume erleben durften. Doch es gab noch etwas, worauf ich gespannt war. Hatte Ben wirklich mit seiner Aussage recht, als er sagte: „Wer an Wunder glaubt, dem werden sie geschehen.“ Ob es sowas auch für uns Hunde gibt? Für mich? Was ich mir wünsche und ob es sich auch erfüllt, wollt ihr wissen? Na, das kann ich nicht hier schon verraten! Allerdings sag ich euch: Haltet an euren Träumen fest! Aber lest doch einfach selbst …

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Inhaltsverzeichnis

Klaar Kiming

Wrum

Unser Gast

Träumerei

Morgen kommt Besuch

Schnee

Flocken fangen

Nikolaustag

Gespräche

Schlafbesuch

Unser Abend

Bauchklatscher

Lichterspiele

Der Bart

Traumfee

Er ist nicht da!

Enttäuscht

Eingeschneit

Jetzt ich!

Frische Spuren

Ausgetrickst

Wärme und Liebe

Sternenklare Nacht

Geheimnisse

Heimlichkeiten

Vorfreude

Vergessen

Tannenbaum

Würstchen

Bescherung

Heiligabend

Mein Traum

Schlaflos

Syltzauber trifft WeihnachtsStern

„Das Wunder von Sylt“

Jake, Sylter Inselhund -

Von Ben Bertram

Alle Rechte vorbehalten!

Nachdruck, Vervielfältigung und Veröffentlichung - auch auszugsweise - nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors!

Im Buch vorkommende Personen und die Handlung dieser Geschichten sind frei erfunden und jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist zufällig und nicht beabsichtigt.

Text Copyright © Ben Bertram, 2017

Impressum:

Text:

Ben Bertram

Alsterdorfer Straße 514

22337 Hamburg

E-Mail: [email protected]

Covergestaltung:

Ben Bertram

Motivbild:

© Ben Bertram

Korrektorat / Lektorat:

Daniela Awiszus / Iris Orwat

Klaar Kiming

Als wir heute Morgen an der Promenade liefen, fiel mein Blick auf die leeren Fahnenmaste. Trist war es ohne die bunten Banner, die uns sonst am Wegesrand begleiteten und jetzt im tiefen Winter nicht gehisst wurden.

„Heute liegt aber wirklich Schnee in der Luft.“ Ben hatte diese Worte zuletzt häufiger gesagt, doch bisher war noch nie etwas passiert.

Ich hatte allerdings auch keinen Schimmer, was hätte passieren sollen. Ich kannte weder den Ausdruck, noch hatte ich eine Idee, was er bedeuten mochte. Wahrscheinlich hatte er etwas mit dieser Jahreszeit zu tun. Mit der Kälte, die sich täglich über uns legte, wenn wir uns an der frischen Luft aufhielten.

Trotzdem sah ich häufig in den Himmel und suchte nach dem Zeugs, das angeblich „in der Luft hing“. Gesehen hatte ich es bisher allerdings nicht.

Noch hatte ich mich nicht an den Winter gewöhnt. Nicht an die jetzige Jahreszeit, die mein Herrchen manchmal als „Winterzauber“ bezeichnete.

Zauber? Wo bitteschön soll hier ein Zauber sein? Zauberer gibt es nur im Märchen. Im echten Leben werden keine Wünsche erfüllt, und Wunder gibt es ebenfalls nicht.

Missmutig stapfte ich hinter Ben her und war in meinen Gedanken versunken.

Während mein Herrchen von der Winterzauberwelt sprach, hatte ich zuletzt manchmal komische, fast negative Gedanken. Ich ärgerte mich zwar meistens darüber, konnte mich allerdings nicht gegen sie wehren. Doch zum Glück waren es immer nur kurze Momente. Augenblicke, die Ben erkannte, und mich fragte, ob …

„Na, Kleiner, bist du mal wieder im Winterblues verschwunden?“ Ben hatte meine Gedanken unterbrochen und lachte.

Darüber, dass er genau die Worte aussprach, an die ich gedachte hatte, wunderte ich mich nicht mehr. Häufig war es so, da uns etwas ganz Besonderes verband.

Dann kehrte ich nochmals zurück in meine Gedankenwelt von eben. Schon jetzt war alles Negative aus meinem Kopf verschwunden. Zum Glück. Immerhin war mir selbst klar, dass gerade ich an Wunder glauben musste. Ohne ein solches Wunder wäre ich niemals bei dem tollsten Menschen der Welt gelandet, und so wollte ich mich bemühen, meinen Lebenszauber komplett zurückzugewinnen.

Dann ging mein Blick wieder zu einem der leeren Fahnenmaste. Dort oben hing noch vor gar nicht langer Zeit meine Lieblingsfahne. In gelb, rot und blau leuchtete sie, und mir gefiel die Farbzusammenstellung, obwohl es bei der Fahne eigentlich weniger um die Farben ging.

Klaar Kiming. Leise sprach ich diese Worte und sah meinen Menschen dabei an.

Bereits an meinen ersten Tagen auf der Insel hatte Ben mir diese Worte mitgegeben. Falsch, er hatte sie mir vorgelesen, da sie auf vielen Fahnen verewigt waren. Allerdings standen die beiden Worte nicht alleine darauf. Mit ihnen zusammen waren dort noch weitere zu finden.

Zu finden und zu lesen. Daher lernte ich sehr schnell, was hier im hohen Norden, hier auf dieser wunderschönen Insel, hier in meiner neuen Heimat Sylt, angesagt war.

Nach welchem „Gesetz“ hier gelebt wurde.

Okay, es war wahrscheinlich nicht im herkömmlichen Sinne ein Gesetz. Allerdings etwas, womit schon damals die friesischen Kapitäne ihre Gefühle ausdrückten.

Rüm Hart, Klaar Kiming. So steht es komplett auf den Fahnen. Selbstverständlich konnte ich zunächst nichts damit anfangen. Woher sollte ich diese Ausdrücke auch kennen? Zypern war mein Geburtsland, und dort kannte niemand diese Worte, geschweige denn deren Bedeutung.

Selbst, nachdem mir mein Herrchen die Worte übersetzt hatte, fiel es mir schwer, etwas mit ihrer Bedeutung anzufangen.

„Weites Herz und klarer Horizont“, so beschrieb Ben sie mir, und ich weiß noch ganz genau, dass ich ihn lediglich fragend angesehen hatte.

Heute war es anders. Ich hatte inzwischen nicht nur verstanden, was mir mein Lieblingsmensch mitteilen wollte. Nein, ich hatte mir diese Worte im wahrsten Sinne zu Herzen genommen und mir meinen eigenen Leitsatz für das Leben daraus gebastelt.

Mein Herz hatte sich hier auf Sylt geöffnet. Dank Ben, unserem Vertrauen und unserer Liebe, war aus meinem verschlossenen, kleinen Herzen ein geöffnetes geworden. Ein weites Herz!

Dank der Freundschaft zu Ben war es mir möglich geworden, endlich den Sinn des Lebens zu erkennen. Ich hatte nicht nur ein Herrchen, sondern auch die Freude am Leben gefunden. Endlich war es mir möglich, positive Dinge zu genießen, und es gab Momente, in denen ich mich auf die Zukunft freute. Ja, ich hatte einen klaren Horizont im Blick und war glücklich darüber.

Je mehr Freude ich am Leben verspürte, und je glücklicher ich wurde, umso mehr stieg allerdings auch ein anderer Wunsch in mir auf. Ich wollte mein Glück teilen. Verspürte den Drang, andere an meiner Freude teilhaben zu lassen. Wollte geben, da ich selbst so viel bekam.

Auch hier war Ben mein Vorbild gewesen. Häufig dachte ich an den Tag zurück, an dem wir in das Sylter Tierheim gefahren waren, um dort eine große Futterspende abzugeben.

Es war der Tag, an dem ich nicht nur Milo wiedergesehen und besser kennengelernt hatte, der inzwischen zu meinem besten vierbeinigen Freund wurde. Nein, dieser Tag war es auch, an dem ich beschlossen hatte, meine Freude zu teilen. Zum Glück hatte ich es so gemacht, da ich durch mein Tun lernen durfte, dass Freude sich verdoppelt, wenn man sie teilt.

Doch ich konnte es nur machen, weil Ben mir half. Er unterstützte mich, und so holten wir mehrmals in der Woche Milo im Tierheim ab und starteten gemeinsame Unternehmungen. Zusammen mit Ben und meinem besten Hundefreund lernte ich die Insel immer besser kennen und wusste schon häufig, bevor wir am Zielort angekommen waren, wohin uns die Autofahrt führen würde.

Auch heute war ein solcher Tag. Schon um 9:30 Uhr hatten wir Milo, den großen, kräftigen, schwarzen Labrador, aus dem Tierheim abgeholt. Wir wollten zusammen nach List fahren und dort an einem meiner Lieblingsstrände spazieren gehen. Falsch. Ben wollte einen Spaziergang machen. Milo und ich wollten ausgiebig toben.

Als wir auf dem Parkplatz am Lister Hafen ankamen, hüpften wir sofort aus dem Wagen. Ohne an die Leine zu müssen, durften Milo und ich zum Strandabschnitt gehen. Ben hatte den Wagen fast direkt dort geparkt und daher auf die Leinen verzichtet. Er wusste genau, dass er sich in diesen Momenten auf uns verlassen konnte.

Außerdem hatten wir bereits Winter, und die Insel war endlich nicht mehr so voll, wie sie es noch vor einigen Wochen gewesen war.

Wir hatten zwar noch nicht den kalendarischen Winter, der würde erst in ungefähr drei Wochen kommen, hatte Ben mir zumindest erzählt, allerdings fand ich es jetzt schon häufig kalt und war der Meinung, dass dieser offizielle Winteranfang gerne wegbleiben konnte.

Ein kleines Stückchen waren wir bereits den holprigen Weg gegangen, als wir Bens Ruf hörten. Ungefähr auf der Höhe des Hauses, in dem die Naturgewalten nachgestellt wurden, gab mein Herrchen uns frei. Wir durften uns von ihm entfernen, wussten allerdings, dass wir bei einem Ruf oder seinem Pfiff sofort bei ihm antreten mussten.

Allerdings gab es keinen Grund dafür, und so konnten wir ausgiebig und ungestört unserem Spieltrieb frönen.

Ben saß auf einem großen Stein und sah uns zu. In der Hand hielt er sein schwarzes Notizbuch, und manchmal konnte ich erkennen, wie er etwas hinein schrieb. Was es war, wusste ich selbstverständlich nicht. Allerdings ging ich davon aus, dass es bestimmt für eines seiner Bücher gedacht war und legte sofort den nächsten Sprint ein.

Los, Milo, fang mich. Du kriegst mich nicht. Laut rief ich die Worte und war schnell einige Meter von meinem Freund entfernt.

Ich hab dich gleich. Auch Milo war losgelaufen und näherte sich mir mit großen Schritten. Doch immer, wenn er ziemlich nah an mir dran war, schlug ich einen Haken, und verschaffte mir so erneut einen Vorsprung. Vielleicht war mein schwarzer Freund etwas schneller, ich dafür um einiges wendiger und nutze es natürlich aus.

Eine ganze Weile später hatte mich Milo noch immer nicht erwischt. Als ich ihm, nachdem ich einen meiner flinken Haken geschlagen hatte, ins Gesicht sehen konnte, sah ich seine Erschöpfung. Deutlich war sie in seinen Augen zu erkennen, und auch sein Laufstil war nicht mehr so wie noch vor einigen Minuten.

Nach meinem nächsten Bogen lief ich daher in Bens Richtung und ließ mich in den Sand fallen. Wenige Sekunden später tat Milo es mir gleich. Allerdings erinnerte mich sein Fallenlassen eher an ein Plumpsen. Amüsiert darüber sah ich zu Ben, der mir prompt ein Augenzwinkern schenkte. Ja, wir verstanden uns fast immer ohne Worte. Was gut war, da Milo unsere Gedanken nicht mitbekommen sollte. Viel zu lange war er fast durchgehend in dem blöden Zwinger im Tierheim gewesen. Natürlich mit wenig Bewegung und kaum Spaziergängen.

„Möchtet ihr ein Leckerli?“

Sag mal, mein Lieblingsherrchen, hast du noch mehr solch blöder Fragen auf Lager? Kopfschüttelnd sah ich zu Ben. Ganz ehrlich - seine Frage war echt überflüssig.

„Wenn Jake nicht möchte, heißt es ja nicht, dass du nicht willst. Wie ist es mit dir, Milo?“ Mit diesem dusseligen Ich-mach-auf-blöd-Lächeln strich Ben über Milos bulligen Kopf.

Nerv nicht. Rück die Sticks raus und alles ist gut. Mit schrägem Kopf und schiefem Blick sah ich Ben an. Auch, wenn ich mich bemühte, gelang es mir nicht, ernst zu bleiben.

„Dann will ich mal nicht so sein. Der ist für dich, Milo, und dieser fantastische, leckerhafte und wohlriechende Stick, der ist für … ja, der ist für den kleinen … also, dieser Stick ist für …“

Immer die gleiche Arie ist langweilig. Gib her das Teil. Angenervt sah ich zu meinem Herrchen.

„Der kleine Jake bekommt diesen leckerhaften Stick.“ Endlich hatte Ben sein albernes Programm abgespult und mir das Leckerli zwischen die Zähne gesteckt.

Wrum

Lange waren wir nicht mehr in List am Strand geblieben. Sogar Milo und mir war kalt geworden, da am heutigen Tag zwar die Sonne schien, der Wettergott uns allerdings lediglich zwei Grad zur Verfügung gestellt hatte.

Am Auto angekommen, hüpften wir schnell hinein und freuten uns darauf, dass sich gleich eine wohlige Wärme im Fahrzeug ausbreiten würde.

Auch auf dem Rückweg waren die Straßen leer, und so kamen wir zügig voran. Meiner Meinung nach sogar viel zu schnell, da Milo und ich noch einiges zu bereden hatten und wir bereits in wenigen Minuten am Tierheim ankamen. Heute war einer dieser Tage, an denen ich mir wünschte, dass mein großer Freund bei uns lebte. Dass wir ihn nicht nur zu Spaziergängen abholten und ich, wann immer mir danach war, mit ihm plaudern konnte.

Wir sind ja leider schon gleich da. Hoffentlich holt ihr mich morgen auch wieder ab. Milo sah mich an, und ich erkannte an seinem Blick, dass ihm der Abschied schwerfiel.

Das machen wir bestimmt. Auch, wenn ich es nicht genau wusste, ging ich davon aus.

Ich freue mich auf dich, Kleiner. Genau, wie Ben es häufig tat, nannte mich Milo auch manchmal so. Es störte mich allerdings nicht, da ich ja tatsächlich eine ganze Ecke kleiner als mein Freund war.

Kleiner und schmaler. Dafür wendiger und flinker. Dachte ich, kam allerdings nicht dazu, es - in nette Worte verpackt - auszusprechen.

Schuld daran war mein Herrchen. Ja, tatsächlich lag es an Ben, und dass, obwohl er gar nichts gesagt hatte. Nein, er hatte sich nicht in unser Gespräch eingemischt. Alles, was er getan hatte, war rechts abzubiegen.

Rechts abzubiegen war eigentlich nichts Besonderes. Häufig taten wir es und doch war es in diesem Augenblick überraschend für mich. Nein, für uns, da Milo mich mit fragenden Augen ansah.

Hätten wir nicht geradeaus gemusst? Diese Straße führt doch zu unserem Zuhause, dachte ich, während ich aus dem Fenster sah. Eigentlich war mein Herrchen nicht für solche Fehler gemacht. Selten vergaß er etwas, und Milo zurück ins Tierheim zu fahren, hatte er bisher noch nie vergessen.

Hat sich dein Herrchen verfahren? Irritiert sprach Milo zu mir.

Psssst. Langgezogen sagte ich dieses Wort. Ganz leise tat ich es. Nur in der Lautstärke, dass es gerade noch so für Milo zu hören war.

Wrum soll ich leise sein? Milo hatte mich zwar verstanden, allerdings nicht kapiert, warum ich ihn aufgefordert hatte zu schweigen.

Kannst du nicht endlich, wie jeder normale Hund, das Wort „Warum“ aussprechen? Obwohl wir jetzt lieber hätten leise sein sollen, sagte ich diesen langen Satz. Dieses „Wrum“ war einfach schrecklich. Allerdings war es mir bis heute nicht gelungen, Milo diese blöde Betonung abzugewöhnen. Erst dann sprach ich weiter. Weil Ben dich gerade nicht auf dem Zettel hat und wir … Ich wurde unterbrochen.

Nicht auf dem Zettel? Auf welchem Zettel?

Pssssssst! Ich zog das Wort noch weiter in die Länge und sah Milo mahnend an.

Wrum soll ich denn nun schon wieder still sein? Der große Schwarze hatte nichts kapiert.

Damit Ben nicht bemerkt, dass du noch im Auto bist. Nicht auf dem Zettel haben bedeutet übrigens, dass er jetzt nicht an dich denkt. Nicht auf dem Zettel ist das Gleiche, wie nicht auf dem Plan haben. Ich war mir sehr sicher, dass Milo es jetzt geschnallt hatte. Erleichtert legte ich mich hin und schnaufte durch.

Welchen Plan meinst du? Haben wir einen? Davon hat mir niemand etwas gesagt.

Nur kurz hatte ich die Idee, eine Antwort zu geben. Doch ich entschied mich fürs Schweigen. Jede weitere Erklärung von mir hätte dafür gesorgt, dass Milo die nächste Frage stellte. Was wiederum bedeutete, dass Ben irgendwann seinen Fehler bemerkt hätte und wir zum Tierheim gefahren wären.

Tatsächlich schaffte nicht nur ich es, meine kleine Hundeschnauze zu halten. Auch Milo war den Rest der Fahrt leise, und so endete unser Ausflug direkt vor der Hauseingangstür. Ja, wir hatten den perfekten Parkplatz ergattert, und Ben war auch bereits ausgestiegen.

Gleich würde er bemerken, dass einer zu viel an Bord war. Dass er vergessen hatte, meinen schwarzen Freund abzuliefern. Allerdings trug ich noch eine stille Hoffnung in mir. Da mein Herrchen den perfekten Parkplatz gefunden und außerdem bestimmt total Bock auf einen Kaffee hatte, würden wir Milo erst noch mit nach oben nehmen. Mit in unsere vier Wände, in denen er bisher noch nie gewesen war.

„Aussteigen. Los, ihr zwei Rabauken, wir sind da.“ Tatsächlich sprach Ben in der Mehrzahl. Allem Anschein nach, war ihm kein Fehler unterlaufen, als er Milo zu uns mit genommen hatte. Doch warum war es so? Also, warum durfte mein Freund heute mit zu mir? Oder wie es Milo ausgedrückt hätte:

Wrum darf ich hier sein?

Wrum darf ich hier sein? Milo sah mich an und konnte natürlich nicht verstehen, weshalb ich in diesem Augenblick in schallendes Gelächter ausbrach.

Erst, als ich mich wieder einigermaßen beruhigt hatte, gelang es mir zu antworten.

Ich weiß es nicht. Ben hat mir nichts davon erzählt. Auch, wenn Milo es nur schwer glauben konnte, war es die Wahrheit.

Dann stiegen wir aus und folgten Ben ins Treppenhaus. Schnell hatten wir die Stufen nach oben hinter uns gebracht und standen jetzt vor der noch verschlossenen Wohnungstür. Klar war sie verschlossen. Immerhin waren Milo und ich vorgelaufen und mussten daher auf unseren zweibeinigen Bandenchef warten. Auf den Rudelführer, den wir beide nicht nur akzeptierten, sondern auch liebten. Natürlich liebten wir ihn auf eine unterschiedliche Art und Weise. Meine Liebe war tiefer. Doch ich erkannte in Milos Augen, dass es nicht nur dankenswerte, sondern auch häufig liebevolle Blicke waren, die er meinem Herrchen schenkte.

Allerdings kannte ich keinerlei Eifersucht.

Unser Gast

Auch Ben war endlich alle Treppenstufen rauf gegangen und an der Haustür angekommen. Da er den Schlüssel bereits in der Hand hielt, öffnete er die Tür sofort und gab ihr mit seiner Fußspitze einen sanften Stoß.

Während ich sofort in die Wohnung lief, blieb Milo vor der Tür stehen. Es wirkte fast, als würde die Türschwelle ein unüberwindbares Hindernis für ihn sein. Fragend sah er zunächst zu Ben, der sich noch immer im Treppenhaus befand, und anschließend zu mir. Immer wieder wechselte seine Blickrichtung. Ein ängstlicher Ausdruck war in seinen Augen zu erkennen. Einer, der mir verriet, dass Milo sich unsicher fühlte. Es schien, als würde er gleich Neuland betreten. Oder wirkte er doch so, als wäre ihm unbehaglich? Vielleicht erinnerte ihn diese Situation an seine Vergangenheit? An damals, als auch er noch bei Menschen lebte?

Ich hatte keine Ahnung und war mir nicht sicher, ob ich Milo einfach danach fragen durfte. Konnte ich ihn darauf ansprechen? Klar, ich war sein Freund, allerdings gab es auch zwischen Freunden manchmal Momente, die man nicht greifen konnte. In denen man Zweifel hatte, wie man am besten reagieren sollte.

Zum Glück wurde ich von Ben gerettet. Ja, Ben war es, der die für mich unbehagliche Stille durchbrach.

„Magst du mit uns in die Wohnung kommen? Schau sie dir an, und vielleicht gefällt es dir ja ein wenig bei uns.“ Während mein Herrchen sprach, strich er sanft über Milos großen Kopf.

Da mein schwarzer Freund noch immer keine Anzeichen machte, sich in Bewegung zu setzen, tat ich es. Langsam ging ich auf Milo zu und stupste ihm, als ich nahe genug bei ihm war, mit meiner Nase gegen die Brust. Anschließend sah ich Milo in die Augen und sagte:

Komm rein, mein Bester. Ich zeige dir, wo ich wohne, und ein Leckerli gibt es ganz bestimmt auch.

Dann drehte ich mich wieder um und ging langsam durch den Flur in Richtung Wohnzimmer. Als ich dort ankam, drehte ich mich erneut herum. Ich wollte nachsehen, ob Milo mir gefolgt war, und rammte ihm meine Nase dabei versehentlich in die Hüfte.

Wrum machst du das? Irritiert wurde ich angesehen.

Ich wollte sehen, wo du bist. Freudig darüber, dass Milo mir ins Wohnzimmer gefolgt war und jetzt direkt vor mir stand, lächelte ich ihn an.

Hier bin ich.

Ich weiß. Ein Nicken begleitete meine Worte.

Wrum fragst du dann?

Weil ich … Dann brach ich meinen Satz ab. Es war nicht wichtig, die Zeit jetzt mit solch überflüssigen Gesprächen zu verplempern. Milo war bei mir. Ich hatte Besuch von einem Freund. Zum ersten Mal überhaupt hatte ich Besuch und freute mich darüber, dass Ben es möglich gemacht hatte. Aber nicht nur das. Noch mehr freute ich mich darüber, dass Milo seinen Mut zusammengenommen und die für ihn schweren Schritte in unsere Wohnung gemacht hatte. Ich wusste nicht, weshalb es so für ihn war. Allerdings wusste ich, dass ich es herausfinden würde. Zwar noch nicht jetzt sofort, aber ganz bestimmt in den nächsten Stunden. Spätestens jedoch bei einem unserer erneuten Treffen.

Ben hatte sich direkt nach unserer Ankunft an seinen Schreibtisch gesetzt. Natürlich nicht, ohne sich vorher einen Kaffee zu kochen. Von diesem Moment an hatte er uns dann allerdings in Ruhe gelassen. Er schien zu wissen, dass es ein besonderer Augenblick und eine außergewöhnliche Situation für Milo und mich war.

Zunächst hatte ich Milo einfach zugesehen, wie er mit seiner riesigen Nase alles erschnupperte. Wie er sich auf diese Weise ein Bild von meinem Zuhause verschaffte. Doch inzwischen hatte ich mich zu meinem Freund gesellt und erklärte ihm, was Bens und was meine Sachen waren.

Auf dem Kissen schlafe ich immer. Wir waren im Schlafzimmer angekommen, und ich deutete auf das Bettchen, das sich direkt neben dem von Ben befand.

Neben meinen Menschen habe ich früher auch immer geschlafen. Das war echt schön. Wehmütig seufzte Milo auf.

Obwohl ich voller Neugier steckte, verkniff ich mir meine Fragen. Einiges wusste ich ja bereits über ihn. Ich fand allerdings, dass er mir die anderen Dinge lieber von sich aus erzählen sollte. Ihn zu bedrängen, hielt ich für falsch.

Als wir wieder im Wohnzimmer angekommen waren, hatte Ben uns längst ein cooles Leckerli bereit gelegt. Schnell und schmatzend, zumindest war es bei Milo so, vernichteten wir unsere Zwischenmahlzeit und legen eine chillige Auszeit ein. Während es sich mein Gast vor der Couch gemütlich gemacht hatte, lag ich auf meiner Sofaecke.

Weißt du, Jake, ich hatte vorhin echt Schiss, die Wohnung zu betreten. Ich fühlte mich wie damals, als ich noch eigene Menschen hatte und auch in einer solchen Wohnung leben durfte. Eigentlich hatte ich mir geschworen, nie wieder eine Menschenbehausung zu betreten. Aber ihr seid wichtig für mich, und ich war mir sicher, dass ich mich hier wohlfühlen würde. Dass ihr es auch verstehen würdet, wenn ich traurig wäre, oder vielleicht sogar hätte weinen müssen.

Milo stoppte seine Worte, da einige kleine Kullertränchen aus seinen Augen liefen. Auch ich hielt meine sonst so vorlaute Klappe. Für Späße war jetzt nicht der Augenblick, und außerdem spürte ich, dass Milo gleich weitererzählen würde.

Ein eigenes Körbchen hatte ich dort auch. Meins lag genauso am Bett meiner Menschen wie dein Kissen. Morgens wurde ich sofort gestreichelt, und manchmal habe ich sogar, direkt nach dem Aufstehen, ein Leckerli bekommen.

---ENDE DER LESEPROBE---