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Nick und Franky waren endlich so richtig auf Sylt angekommen und genossen die zahlreichen Facetten der Insel. Ruhe und Entspannung war in ihrem Leben eingekehrt, als Carlos ihnen einen Strich durch die Rechnung machte. Okay, Nick war selbst schuld. Immerhin hatte ein Anruf von ihm dafür gesorgt, dass Carlos sich mit Wohnmobil und Surfequipment auf den Weg nach Sylt machte. Was nach seiner Ankunft passieren würde, war ziemlich logisch. Natürlich würde aus einem ganz normalen Besuch eine dieser typisch unnormalen Schnapsideen werden. Es war klar, dass die Freunde dem Drang nach Freiheit und Abenteuerlust nicht standhalten würden. Sie starteten das Wohnmobil und los ging die Fahrt. Raus aus Westerland, weg aus ihrer neuen Heimat und auf in die unbekannte Zukunft. Betanken brauchten sie das Wohnmobil für diese Tour nicht. Die drei Freunde waren so verrückt, dass sie ihre Tour hier auf Sylt machten. Ihre Reise führte sie von Westerland nach List. Sie entfernten sich tatsächlich kaum zwanzig Kilometer von ihrer Wohnung und landeten auf dem Campingplatz am Ellenbogen, wo ihr Leben mal wieder so richtig durchgeschüttelt wurde. Dass die drei Freunde bereits am ersten Tag eine sehr merkwürdige Begegnung mit ihren Campingnachbarn haben würden, konnten sie sich in ihren kühnsten Träumen nicht vorstellen. Was erwartete sie? Wer würde aus dem benachbarten Wohnmobil steigen? Was waren es für Menschen, mit denen sie die nächsten Wochen Tür an Tür verbringen mussten? Auf geht’s! Genießt das neue Abenteuer der drei Freunde und vor allem, genießt die tolle Insel Sylt mit allen ihren schönen Seiten.
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Inhaltsverzeichnis
Die Mütter kommen
Die Tour auf Sylt
Von Ben Bertram
Alle Rechte vorbehalten!
Nachdruck, Vervielfältigung und Veröffentlichung - auch auszugsweise - nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors!
Im Buch vorkommende Personen und die Handlung dieser Geschichten sind frei erfunden und jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist zufällig und nicht beabsichtigt.
Text Copyright © Ben Bertram, 2016
Impressum:
Text:
Ben Bertram
Alsterdorfer Straße 514
22337 Hamburg
E-Mail: [email protected]
Covergestaltung:
Ben Bertram
Motivbild:
© Ben Bertram
Korrektorat / Lektorat:
Monika Dress-Smolik / Bartel
Nachdem Franky uns über die Windverhältnisse aufgeklärt hatte, waren wir im Bilde.
Für die nächsten Tage war hier am Brandenburger Strand in Westerland Flaute angesagt, und somit hatte es sich mit weiteren Bildern zunächst erledigt. Blöd daran war, dass Franky noch dringend Surfbilder für weitere Aufträge von Fachzeitschriften benötigte und versprochen hatte, diese innerhalb der nächsten drei Wochen zu liefern. Manchmal war es gar nicht so einfach, seine Versprechen einzuhalten. Schon gar nicht, wenn man als freiberuflicher Fotograf von Wind und Wetter abhängig war.
Franky war fast schon penetrant penibel, und wenn er einer Agentur Bilder versprochen hatte, wollte er auch den vereinbarten Zeitpunkt einhalten. Wahrscheinlich hätte jede Agentur der Welt Verständnis dafür gehabt, dass er ohne Wind natürlich auch keine Surfbilder machen konnte. Doch Franky hatte sich, als er sich dazu entschloss, endlich seinen Traum wahr zu machen und Fotograf zu werden, fest vorgenommen, sich unbedingt an Vereinbarungen zu halten. Komme, was wolle. So war sein Motto und bisher hatte er es auch immer einhalten können.
Ich kannte ihn nun schon eine ganze Weile und fand seine Einstellung mehr als löblich.
Wahrscheinlich würde sich meine Verlegerin riesig freuen, wenn ich mich ebenso eisern an meine Abgabetermine der Manuskripte halten würde, waren meine Gedanken und ich schmunzelte in mich hinein.
Ich war etwas anders als Franky. Aber es gab einfach diese Tage, an denen ich es nicht hinbekam, gute Sätze zu formulieren. Dann saß ich drei Stunden an meinem Notebook und anschließend durfte ich meine prosaischen Ergüsse wieder komplett löschen. Es lohnte sich nicht, diese Sätze aufzubewahren. Sie waren einfach nur Schrott!
Manchmal ging ich nicht an mein Handy, wenn ich sah, dass die Nummer meines Verlages auf dem Display erschien. Den Trick, mit unterdrückter Nummer anzurufen, hatte ich auch inzwischen durchschaut. Zwei Mal war ich darauf reingefallen, und von nun an ließ ich das Handy bei solchen Anrufen einfach klingeln und wartete darauf, was mir meine Mailbox anschließend erzählte.
Aber mir war klar, dass ich in naher Zukunft abliefern musste. Mein Verlag brauchte eine weitere Fortsetzung meiner Männertour, und auch die Leser warten bereits gespannt darauf, was noch alles passieren würde.
Meine Ausrede, dass ich Künstler sei und nur schreiben konnte, wenn mir danach war, wenn ich Ideen im Kopf hatte, zog leider nicht mehr. Der Verlag wusste zu genau, dass mein kleines schwarzes Buch voller Ideen war. Dass ich mich nur hinsetzen musste, um die notierten Sachen in lustige Geschichten zu verpacken.
Als wir mit unserem heutigen Frühstück fertig waren und die letzten Kaffeereste vernichtet hatten, erschrak ich.
Franky hatte mich gefragt, ob ich wüsste, wann unsere Mütter ankommen würden. Ein Blick auf den Kalender bestätigte meine Vermutung. In zwei Tagen wollten sie da sein.
„Wie wollen wir es mit den Wohnungen machen?“ Ich sah Franky an und verstand seine Frage nicht.
Was sollten wir schon mit unseren Wohnungen machen? Wir wohnten Tür an Tür und es waren unsere. Wollte er, um Geld zu verdienen, eine vermieten und wir beide ziehen dann zusammen?
Finanziell war es nicht notwendig und mir gefiel es eigentlich sehr gut, wie es gerade war. Außerdem lebte Carlos ja derzeit bei mir und zu dritt in einer Wohnung musste ja nun wirklich nicht sein. Auch das Surfequipment von Carlos lag in der Wohnung und auf dem Balkon, wo es reichlich Platz in Anspruch nahm.
Vor allem hatte ich Carlos versprochen, dass er, solange er wollte, bei mir wohnen konnte. Immerhin war Carlos auch wegen Franky hier. Er wollte schließlich Bilder von ihm machen, während Carlos auf dem Wasser war und surfte. Welcher Sportfotograf hatte schon die Möglichkeit, einen Surfprofi immer dann zur Verfügung zu haben, wenn man ihn brauchte?
Erst als Franky seine Frage nochmals wiederholte, begriff ich sie endlich und erinnerte mich daran, dass wir angeboten hatten, unsere Mütter bei uns schlafen zu lassen.
Sie wollten ihren Urlaub auf Sylt verbringen und hier gemeinsam die Insel unsicher machen. Dass der Termin bereits so nah am heutigen Tag war, hatte ich mit großem Erfolg verdrängt und ganz ehrlich, so spontan hatte ich jetzt auch keine Lösung parat.
Im Gegensatz zu mir, hatte Franky gleich zwei Lösungen im Angebot.
„Entweder lebte jeder mit seiner Mutter vierzehn Tage zusammen oder aber einer von uns zieht beim anderen ein.“ Stolz sah Franky mich an, nachdem er seine Ideen verraten hatte.
Für Carlos war die zweite Variante natürlich am angenehmsten. Ein Schlafsofa war vorhanden und für eine absehbare Zeit von zwei Wochen, konnte man damit gut leben.
Meinen Vorschlag, Carlos mit unseren Müttern zusammen in eine Wohnung zu stecken, lehnte er komischerweise energisch ab.
Wir entschieden uns jedoch weder für die erste, noch für die zweite Variante.
Carlos war es, der eine andere Idee hatte und diese einfach mal rausposaunte.
„Sagt mal, was haltet ihr davon, wenn ihr euren Müttern die Wohnungen komplett überlasst?“
„Und wir nehmen uns ein Hotel? Willst du das bezahlen? Zu dieser Jahreszeit kosten die Hotels oder die Wohnungen hier auf Sylt richtig viel Geld! Mensch Carlos, es ist Hauptsaison.“ Dieses war allerdings die letzte Widerrede von Franky zum Vorschlag von Carlos. Hätte er vorher, so wie ich es getan hatte, das Funkeln in den Augen von Carlos gesehen, wäre er nie auf die Idee gekommen, ihn zu unterbrechen. Ich war gespannt und wartete bereits darauf, die Idee zu hören.
Endlich hatte Franky sich wieder abreagiert und Carlos konnte uns genauer von seiner Idee erzählen.
„Ist doch alles ganz einfach. Ich muss für die Tour trainieren, unser Windfinder, wie wir Franky nannten, da in seinem Handy ständig in einer App nach den Windverhältnissen Ausschau hielt, braucht Fotos und der Schreiberling muss tüchtig an seinem neuen Buch arbeiten.“ Ein breites Grinsen legte sich auf die Lippen von Carlos.
„Fotos machen ist auch Arbeit!“ Schon wieder mischte Franky sich ein.
„Kennst du den Spruch: Einfach mal die Fresse halten?“ Carlos sah Franky mit einem noch breiteren Grinsen an und sprach weiter.
„Wo bitte geht es besser, als auf einer Männertour? Und zwar auf einer Männertour mal so ganz anders? Wir packen die Sachen, gehen einkaufen und hauen ab.“
„Geile Idee!“, rief ich, während Franky mit einem „Wohin?“ meinen Satz ergänzte.
„Muss ich denn alles alleine entscheiden?“ Seinem Blick nach zu urteilen, hatte Carlos jedoch schon einen Plan parat. Zumindest hatte er garantiert die eine oder andere Idee. Da war ich mir supersicher.
„Ich hätte da drei Vorschläge im Angebot.“ Carlos hatte sich inzwischen einen frischen Kaffee eingegossen und stand im Türrahmen.
„Dann lass mal rüberwachsen“, sagte ich, da ich schon neugierig war.
„Meine Vorschläge wären Norderney, Dänemark oder Sylt.“ Erwartungsvoll sah Carlos uns an.
„Nach Norderney habe ich keine Lust. Da musste ich als Kind immer im zweiten Teil der Sommerferien mit meinen Großeltern hin. Es war so sterbenslangweilig, dass ich mir geschworen habe, dort nie wieder hinzufahren.“ Dank Frankys Kindheitserlebnissen war der erste Ort ziemlich schnell abgehakt.
„Sag mal, dass wir auf Sylt sind, weißt du schon?“ Ich konnte mir die Frage nicht verkneifen, weil ich mich schon reichlich über diesen Vorschlag in der Aufzählung von Carlos wunderte.
„Klar weiß ich, wo wir sind. Aber wir sind in Westerland und oben am Ellenbogen sind fast immer coole Bedingungen zum Surfen. Außerdem gibt es dort einen schönen Campingplatz, auf dem wir mit unserem Wohnmobil stehen könnten. Es ist nicht weit zum Wasser und meistens sind auch viele andere Surfer dort.“ Sein Gesichtsausdruck verriet, dass er sich selbst für den Ellenbogen entschieden hatte. Zumindest empfand ich es so.
„In Dänemark war ich lange nicht mehr. Da würde ich gerne mal wieder hin. Eine Männertour auf Sylt zu machen, wenn man sowie auf Sylt lebt, ist doch echter Schwachsinn!“ Franky gab jetzt auch seinen Senf dazu, machte dabei aber einen entscheidenden Fehler in seinem Satz. Er benutze ein Wort, dass Carlos und mich auf Anhieb neugierig machte. Ein Wort, durch das wir für unsere anstehende Tour keine andere Auswahlmöglichkeit mehr sahen. Wir wussten nun, wohin wir wollten.
Schwachsinnig. Franky hätte dieses Wort lieber weglassen sollen. Schwachsinnige Sachen durchzuziehen, war genau unser Ding. Nur ein Blick genügte und wir waren uns einig. Jetzt musste es nur noch einer von uns Franky beibringen.
Da Carlos beim Geldstückwerfen immer Zahl nahm, griff ich in meine Tasche und holte einen Euro heraus. Ich warf ihn hoch, fing ihn mit der rechten Hand auf und klatschte ihn mit einer schnellen Drehung auf meinen linken Handrücken.
Nachdem ich meine rechte Hand wieder hochgenommen hatte, hörte ich das Lachen von Carlos. Mir war, ohne nachsehen zu müssen, klar, wer gewonnen hatte und so steckte ich den Euro direkt wieder in meine Hosentasche.
Ich war es, der Franky von einer Männertour auf Sylt überzeugen musste. Während ich damit begann, stand Carlos auf und verschwand in Richtung Kühlschrank.
„Ja aber …“
„Kein ja aber. Außerdem fahren wir schon nur wegen dir nicht nach Norderney“, log ich. Allerdings gibt es doch dieses ungeschriebene Gesetz, dass Notlügen erlaubt waren. Auf eine großartige Diskussionsarie hatte ich außerdem nur wenig Lust.
Carlos kam genau zum richtigen Zeitpunkt vom Kühlschrank zurück. Passend zum Anlass hatte er drei geöffnete Bierflaschen in der Hand und hielt sie uns entgegen.
Auch Franky griff sofort zu, und als ich gerade einen netten Spruch zum Anstoßen aussprechen wollte, war er schneller.
„Auf die Tour. Auf Sylt und darauf, dass wir viel Spaß haben werden! Natürlich auch darauf, dass wir dort erfolgreich sein werden.“ Franky hielt seine Flasche in die Mitte.
„Und darauf, dass wir uns auf dem Weg nicht verfahren ...“ Weiter kam ich nicht, da wir alle lachen mussten.
Jeder, der unser Vorhaben schwachsinnig nannte, hatte ja irgendwie auch recht. Trotzdem, es passte einfach perfekt zu uns. Carlos und ich hatten schon viel zusammen erlebt und immer hatten wir Spaß dabei. Sehr viel Spaß sogar!
Carlos legte sofort los, nachdem er seine leere Bierflasche auf den Tisch gestellt hatte. Er tat alles Notwendige, um das Wohnmobil in zwei Tagen startklar zu haben.
Am Telefon beichteten Franky und ich unseren Müttern, dass wir zwar auf der Insel sind, uns während ihrer Anwesenheit aber auf Männertour befinden würden.
Nach der ersten Enttäuschung freuten sich unsere Mütter dann doch. Nicht darüber, dass wir nicht da waren. Aber sie fanden es cool, eine Wohnung für sich alleine zu haben.
Außerdem hatten die beiden sowieso fast alle Tage verplant. Sie wollten zusammen die Insel erkunden, Ausflüge machen und ganz viele Freunde besuchen.
Tja, so waren unsere Mütter eben.
Ähnlich „bekloppt“ wie wir. Zum Glück, denn einige Menschen schaffen es tatsächlich, sich ihr Leben mit Langeweile zu versauen.
Das Wohnmobil stand heute Morgen startklar vorm Hauseingang. Wir schleppten die letzten Taschen hinunter und verstauten sie im hinteren Bereich.
Ich hatte es schon lange nicht mehr von innen gesehen und wahrscheinlich deshalb ein komisches Gefühl, als ich es betrat.
Immerhin wartete eine Tour in dem Fahrzeug auf mich, in dem sich mein Leben vor einigen Jahren komplett verändert hatte.
Es sollte damals nur eine kurze Auszeit werden und dann änderte sich durch die Tour alles. Aus meinem alten, normalen Leben wurde ein neuer Lebensabschnitt. Ein Abschnitt, der schöner war als zuvor. Dass sich mein Leben vor kurzer Zeit nochmals verändert hatte, war ein weiteres Geschenk an mich. Doch alles was passiert war, passierte nur, weil ich es zuließ. Ich hatte gelernt, dass Veränderungen wichtig waren und es nichts Schlimmeres gab, als sich über einen Zustand zu ärgern und nichts dagegen zu unternehmen. Natürlich hatte ich auch so manches Mal große Angst. Doch immer dann, wenn ich dachte, ich würde es nicht schaffen, bekam ich ein Zeichen. Ich ließ mich einfach treiben und habe es nicht bereut. So viele tolle Dinge hätte ich nicht erleben dürfen, wenn ich auf meine Ängste gehört hätte. Ich war glücklich mit meinem Leben und ich war stolz auf mich. Stolz darauf, ein solches zu führen. Besser gesagt, es so durchzuziehen, wie ich es wollte.
Es gab Menschen, die konnten meine Einstellung nicht verstehen. Menschen, die sich fragten, wie ich ein risikofreies Leben mit einem sicheren Job aufgeben konnte. Dabei war es so simpel. Es war eine so einfache Antwort, die ich diesen Menschen entgegen brachte.
Ich hatte nur ein Leben, und früher hatte ich viel zu viel Zeit damit verbracht, Dinge zu tun, die mir keinen Spaß gemacht haben. Dinge, die ich nicht wollte und sie trotzdem getan hatte. Ich musste damals feststellen, dass ich mich immer häufiger über mich ärgerte. Sich über sein eigenes Spiegelbild zu ärgern, kann doch aber nun wirklich nicht der Sinn des Lebens sein.
Ein früherer Arbeitskollege hatte mir einmal eine Frage gestellt. Eine Frage, die ganz einfach zu beantworten war und die mich anschließend lange beschäftigt hatte.
Er fragte mich damals, während wir bei einem Tee in seinem Büro saßen:
„Wenn wir heute nicht hier bei der Arbeit wären. Oder besser, wenn es unsere Firma, die wie viele andere Firmen auch, Heizkostenabrechnungen erstellt, nicht geben würde, ginge es der Menschheit dann schlechter?“
Meine Antwort konnte natürlich nur „Nein!“ lauten. In diesem Moment wurde mir klar, dass meine tägliche Arbeit keinen tieferen Sinn hatte. Ein Arzt kann sagen, er hat Menschen geheilt. Eine Hörgeräteakustikerin hilft Menschen dabei, wieder ein normales Leben führen zu können. Ein Physiotherapeut befreit Menschen von Schmerzen.
Und was machte ich?
Ohne meine Firma wäre es nicht schlechter auf dieser Welt. Nein, schlechter ganz bestimmt nicht. Aber mit meiner Firma war es auch nicht besser auf dieser Welt. Ich hinterließ mit meiner täglichen Arbeit nichts, was die Menschheit zufriedener machte.
Es gab lediglich zwei Möglichkeiten für mich. Ich konnte so weitermachen und mich darüber ärgern. Oder eben die Konsequenz daraus ziehen.
Die Konsequenz hieß „Ich mach mein Ding!“, und ich habe es nie bereut.
Zwei Ziele hatte ich mit meinem Schritt erreicht. Ich war glücklich mit meinem Leben und ich habe einigen Menschen schöne Stunden mit meinen Büchern bereiten können.
Als ich aus meinen Gedanken aufwachte, waren wir schon einige Minuten unterwegs. Meine Freunde hatten mich träumen lassen. Vielleicht, weil sie selbst am Träumen waren oder aber, weil sie mich kannten und daher wussten, dass ich diesen Moment jetzt für mich brauchte.
Der Bahnhof von Westerland lag auf der rechten Seite. Wir fuhren vorbei an den großen grünen Figuren, die den Bahnhofsplatz schmückten. Mit großer Vorfreude fuhren wir weiter, dem Ellenbogen entgegen. Doch kurz bevor wir Westerland verließen, trat Carlos relativ stark auf die Bremse.
Während ich, durch den Gurt gehalten, nur eine kurze ruckartige Bewegung machte, purzelte Franky, der hinten im Wohnmobil dabei war, Sachen zu ordnen, durch die Gegend. Wir konnten sein Fluchen nur leise hören, weil es von der Musik und unserem lauten Lachen übertönt wurde.
Erst jetzt, als die Beifahrertür geöffnet wurde, sah ich den Grund für die Bremsaktion von Carlos. Meine kleine achtjährige Freundin Lina, die ich am Westerländer Strand kennengelernt hatte, war da. Zusammen mit ihrer Oma Christa stand sie vor meiner offenen Tür und sah mich an.
„Verreist du?“ Ihr Blick war ein Gemisch aus Neugier und Enttäuschung.
„So halb.“ Ich lächelte und hatte irgendwie ein schlechtes Gewissen, obwohl ich es gar nicht hätte haben müssen.
„Wie kann man so halb verreisen?“, wollte Lina wissen. In diesem Augenblick bemerkte ich, wie blöd meine Antwort war und vor allem sah ich, welch traurigen Gesichtsausdruck die Kleine hatte.
„Wir bleiben auf Sylt und fahren für zwei Wochen zum Ellenbogen nach List. Dort machen wir so eine Art Männertour, aber irgendwie ganz anders.“
Natürlich verstand Lina auch diesen Satz nicht, und ich nahm mir vor, ab jetzt etwas kindgerechter zu antworten. Doch noch, bevor ich es machen konnte, erntete ich von Carlos neben einem Grinsen noch ein „Merkst du selbst?“
Ich erzählte Lina, dass unsere Mütter für zwei Wochen die Wohnungen von Franky und mir brauchten und wir daher mit dem Wohnmobil für diese Zeit nach List fuhren. Als ich es gerade fertig ausgesprochen hatte, ärgerte ich mich schon über mich selbst. Ich hatte von unseren Müttern erzählt und nun etwas Angst, dass es falsch war. Immerhin hatte Lina keine Mutter mehr und lebte alleine mit ihrer Oma zusammen.
Doch zum Glück schien es Lina nicht zu beschäftigen. Viel mehr hatte ich ihre Neugier geweckt.
„Cool, in einem Wohnmobil habe ich noch nie übernachtet. Das macht bestimmt ganz viel Spaß!“ Ihre Augen leuchteten vor Freude.
„Ja, macht es. Aber wir müssen dort auch viel arbeiten. Carlos muss fürs Surfen trainieren, Franky ganz viele Fotos machen und ich werde schreiben.“
„Das ist doch nicht arbeiten“, bekam ich zur Antwort und alle, sogar Franky, der noch immer hinten im Wohnmobil war, mussten lachen.
„Nun lass die Jungs ihre Männertour mal starten. Wir müssen auch weiter.“ Christa nahm ihre Enkelin an die Hand und wollte weitergehen.
„Darf ich irgendwann auch mal mit auf Männertour?“, wollte Lina wissen.
„Dafür bist du noch zu klein. Außerdem ist es dann ja keine Männertour mehr“, sagte Christa mit einem Lachen und startete einen weiteren Versuch, Lina zum Gehen zu bewegen.
„Du Nick?“ Erwartungsvoll wurde ich von Lina angesehen.
„Na kleine Maus, was gibt es noch?“
„Aber dann sehen wir uns ja die nächsten Tage gar nicht jeden Morgen am Strand.“ Aus ihren strahlenden Augen waren inzwischen traurige geworden.
„Das werden wir, aber wenn ich wieder zurück bin. Zwei Wochen gehen doch ganz schnell vorbei.“ Mir fehlte die kleine Maus jetzt schon und ein unschönes Gefühl machte sich in mir breit.
„Versprochen?“
„Logisch ist das versprochen. Ich möchte doch nicht auf dich und unsere Treffen verzichten.“ Es war die Wahrheit!
„Okay.“ Noch immer traurig sah Lina mich an, und ich hatte, ohne es haben zu müssen, ein schlechtes Gewissen dabei.
Immerhin hatten wir uns die letzten Wochen, eigentlich seit meinem Umzug nach Sylt, fast täglich gesehen. Wenn wir uns mal verpasst hatten, habe ich mir schon Gedanken gemacht, was mit ihr war, und immer wenn wir uns trafen, hatte ich das Gefühl, sie bereits eine Ewigkeit zu kennen. Es war wie ein imaginäres Band, das uns aneinander fesselte. An einigen Tagen hatte ich etwas, was sich wohl am ehesten mit Vatergefühl beschreiben ließ. Klar war es Blödsinn, aber was sollte ich gegen meine Gedanken und Gefühle machen? Sie waren einfach da.
Tja, und jetzt fuhr ich weg. Nur für zwei Wochen. Aber mein schlechtes Gewissen, was ich schon seit einigen Tagen mit mir herumtrug, wurde jetzt noch verstärkt. In diesem Moment, als ich in ihre traurigen Augen blickte, hätte ich meine Tasche aus dem Wohnmobil holen können. Am liebsten wäre ich direkt mit ihr zum Strand gelaufen. Zu ihrem Kunstwerk, das eigentlich schon fast zu unserem Kunstwerk geworden war und das wir jeden Tag zusammen pflegten.
Es ging nicht. Das war mir klar. Ich hatte mein Leben. Ich wollte mein Leben auch mit meinen Freunden genießen und daher mussten wir los. Dem Ellenbogen und unseren nächsten Abenteuern entgegen.
Hinter uns begann ein lautes Hupkonzert. So richtig gut war der Platz, den Carlos zum Anhalten ausgesucht hatte, nicht. Hinzu kam, dass Urlauber bekanntlich nie Zeit hatten und immer auf dem schnellsten Weg von A nach B wollten. Irgendwie eine merkwürdige Angewohnheit. Auf der Anreise konnte ich es ja noch verstehen. Aber so mitten im Urlaub? Nun ja, es war halt so, und bevor das Konzert der hupenden Autofahrer noch lauter wurde, verabschiedeten wir uns.
Im Seitenspiegel konnte ich sehen, wie Lina hinter uns herwinkte und ein sehr trauriges Gesicht machte. Nach wenigen gefahrenen Metern rief ich,
„Stopp!“ und war über die Lautstärke meines Ausrufes selbst überrascht.
Carlos bremste ein weiteres Mal sehr scharf, und während der Wagen hinter uns, zum Glück kurz vor unserer Stoßstange, zum Stehen kam, wurde Franky erneut quer durch den Wagen geschleudert.
Während Carlos sich das Fluchen aus dem hinteren Teil des Wohnmobils anhören durfte, sprang ich aus dem Wagen.
Der Typ hinter uns, der eben noch fluchend neben seinem Wagen stand, hielt seine Klappe und stieg schnell wieder in sein knallgelbes Angeberauto ein.
Wahrscheinlich hatte er Angst davor, für seine Pöbelei von mir eine zu fangen. Doch ich hatte ihn gar nicht wirklich wahrgenommen, geschweige denn Lust, mich mit einem dusseligen Seidenschalschnösel anzulegen.
Ich lief zu Lina und Christa. Allerdings war ich jetzt schlauer und flüsterte Christa meinen Vorschlag zunächst leise ins Ohr.
Erst als sie nickte, beugte ich mich zu Lina hinab und stellte ihr eine Frage.
Ihre Antwort war ein lautes Kreischen, während sie mich dabei ganz fest in den Arm nahm. Mit einem Kuss auf ihre Stirn und einer Umarmung für Christa verabschiedete ich mich ein weiteres Mal bei den beiden.
Als ich mich beim Einsteigen nochmal umdrehte, sah ich Lina wieder winken. Allerdings lächelte sie jetzt und zwar von einem Ohr zum anderen.
„Können wir? Oder muss ich dann gleich wieder auf die Bremse treten?“ Carlos sah mich blöd grinsend an.
„Wir können.“ Erleichtert sagte ich diese beiden Worte.
Aus dem hinteren Bereich hörte ich eine durchgehende Schimpftirade und sah Carlos verständnislos an.
„Ich denke, wir fahren auf Tour? Sollte Franky da nicht gut drauf sein?“ Ich unterstütze meine Frage mit einem Achselzucken.
„Psst ... Nicht so laut. Er sortiert noch immer seine Objektive und ich sollte jetzt lieber ganz vorsichtig fahren. Wenn die Dinger nochmal purzeln, dreht er wahrscheinlich durch.“
Während Carlos und ich Faxen machten, sahen wir uns an. Gerade noch rechtzeitig sah Carlos die rote Ampel und den davor stehenden roten BMW.
Er bremste und wir kamen zum Glück gefühlte drei Zentimeter vor dem Wagen zum Stehen.
Als Carlos ganz tief durchatmete und Franky die übelsten Schimpfworte benutzte, die ich jemals aus seinem Mund gehört hatte, musste ich mich zusammennehmen, um nicht laut loszulachen.
Leider schaffte ich es nur ganz kurz.
Doch meine Befürchtung war unnötig. Anstatt blöde Sprüche zu ernten, wurde ich beim Lachen von meinen Freunden unterstützt. Ja, sogar Franky lachte und das, obwohl er nun auch den Rest der Fahrt seine Objektive sortieren durfte.
Endlich waren wir da. Wobei das Wort endlich bei einer Fahrt von knapp zwanzig Minuten schon reichlich merkwürdig klang.
Während ich die Standgebühr bezahlte, suchten Carlos und Franky einen wirklich netten Platz für uns aus. Wir konnten das Meer sehen, und nur ein anderes Wohnmobil stand neben uns. Da wir uns an das hinterste Ende vom Campingplatz verzogen hatten und in einer kleinen Biegung standen, hatten wir hier so richtig Ruhe. Diese Stelle bot Platz für maximal drei Wohnmobile und mit etwas Geschick konnte man das sofort ändern.
Da der andere Camper bereits relativ schräg geparkt hatte, taten wir es ihm gleich, und schon gab es, für ein eventuell drittes Wohnmobil, keinen Platz mehr.
„Clever parken ist halb gewonnen.“ Carlos freute sich über sein schräges Parken und noch viel mehr darüber, dass wir zusammen mit unseren Nachbarn eine Bucht für uns alleine hatten.
Bereits kurze Zeit später hatte Carlos die Windsurfbretter bereit gemacht. Wir brauchten nur noch in die Neoprenanzüge springen und schon ging es los.
Franky und ich hatten schon eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr gesurft und doch ging es von Anfang an verhältnismäßig gut.
Fast drei Stunden verbrachten wir auf dem Wasser. Als wir dabei waren, unser Material zurück zum Wohnmobil zu bringen, erkannten wir, dass unsere Nachbarn jetzt ebenfalls zuhause waren und vor ihrem Wohnmobil saßen.
Kuchen stand auch auf dem Tisch und ein leckerer Kaffeeduft kroch ganz langsam in unsere Nasen hinein.
„Wie cool“, sagte ich.
„Was?“ Franky hatte nicht geschnallt, was ich meinte.
„Na, was wird Nick wohl meinen? Ach Franky, du musst noch so viel lernen.“
Carlos lachte und begrüßte unsere Nachbarn mit einem freundlichen
„Hola, Mädels. Alles gut? Wie lieb von Euch, ein Kaffee ist jetzt echt genau das Richtige. Drei Stunden auf dem Meer sind schon anstrengend und ein wenig kalt wird einem dabei ja auch. Nur mit Milch bitte.“
Schon saß Carlos am Tisch der beiden Mädels, und noch bevor eine der Frauen etwas sagen konnte, griff er nach dem auf dem Campingtisch stehenden Kuchen.
„Ich darf doch?“ Die Frage war albern, da er das Stück schon in seiner Hand hielt und ein Teil davon, garantiert noch vor der Antwort, in seinem Mund verschwinden würde. Trotzdem bekam er eine, sogar eine sehr gute.
„Wenn du magst. Darf ich eventuell auch noch für dich angeln gehen und dir heute Abend einen Fisch grillen? Sag nur rechtzeitig Bescheid, ich muss mir dann noch schnell eine Angel kaufen. Mache ich aber natürlich gerne für dich. Ich muss nur wissen, was für Fisch du gerne isst. Ich will ja nicht mit ’ner Scholle ankommen, wenn du einen Hering essen möchtest.“
„Nicht schlecht die Antwort“ dachte ich und freute mich darüber, so witzige Campingnachbarinnen zu haben. Franky sah ebenfalls erstaunt zu den Mädels. Nur Carlos brauchte nicht zu überlegen, wie es weitergehen sollte. Er haute spontan eine Antwort raus.
„Oh, wie lieb von dir. Aber eine Angel brauchst du dir nicht extra kaufen. Du kannst dir meine leihen.“
„Das würdest du machen?“ Ironische Worte drangen an mein Ohr.
„Ja klar. Für eine solch schöne Frau, wie du es bist, doch immer.“ Carlos lief zur Höchstform auf.
„Und sonst alles ok? Oder kann ich dir noch was Gutes tun?“ Das Spielchen ging weiter und ich sah wartenderweise zu meinem Freund.
„Kaffee. Aber das hatte ich ja eigentlich schon erwähnt.“ Carlos deutete zum leeren Becher, der vor ihm auf dem Tisch stand.
„Aber natürlich, wie unaufmerksam von mir. Warte, geht gleich los.“
Carlos sah zu Franky und grinste. Irgendwie standen Franky und ich etwas blöde daneben, waren aber so erstaunt von Carlos Frechheit, dass uns noch nichts eingefallen war, was wir hätten sagen können. Das Zuhören machte einfach Spaß. Carlos hatte eine gute Gegnerin gegenübersitzen, die sich jetzt zur Seite drehte und ins Wohnmobil rief:
„Hey Horst, hier sitzt ein junger Mann und will ’nen Kaffee. Kannst du ihm mal einen bringen? Mach mal, sonst werde ich den Typen gar nicht mehr los.“ Mit einem ernsten Blick sagte sie diese Sätze.
Nicht nur Carlos blickte plötzlich verwirrt aus der Wäsche. Besser gesagt, aus seinem Neoprenanzug. Auch Franky und ich sahen, nennen wir es mal netterweise, leicht bedröppelt aus der Wäsche.
Irgendwie hatten wir alle drei nicht wirklich damit gerechnet, dass sich ein Mann im Wohnmobil befinden könnte.
Ich dachte, die beiden Mädels würden alleine in ihrem Wohnmobil hausen, und genau den gleichen Gedanken hatte Franky auch. Carlos sowieso, sonst hätte er diese Show garantiert nicht abgezogen.
Franky hatte sich bereits auf den Weg zu unserer Behausung gemacht, und auch Carlos war im Begriff aufzustehen. Er sagte dabei:
„Sorry, ich muss auch los. Das mit dem Kaffee, ja äh … Also, es war nur Spaß. Ein Witz sozusagen. Gar nicht ernst gemeint. Und der Kuchen … Echt lecker! Danke nochmal …“
Selten hatte ich Carlos so sprachlos und stotternd erlebt. Wobei selten? Noch nie passte besser.
Ich hätte gerne einfach losgelacht, war mir aber nicht sicher, ob es gepasst hätte. Immerhin konnte Horst ja auch ein Zwei-Meter-Bulle sein, der in seiner Freizeit nichts anderes als Sport machte. Nicht Surfen oder Fußball, sondern Krafttraining oder irgendwelche Kampfsportarten. Vielleicht war er ja auch irgendein Verrückter, der gleich total sauer mit einer Baseballkeule aus dem Wohnmobil gesprungen kam.
Es gab allerdings auch noch die berechtigte Variante, dass sich neben Horst auch noch Peter im Wohnmobil befand und Peter die gleichen Hobbys und Ansichten wie Horst hatte. Würden wir eventuell gleich ordentlich was auf die Fresse bekommen?
Sollte es tatsächlich eine ganz andere Männertour werden? Eine Tour, bei der wir unsere Sachen direkt am ersten Tag wieder einpacken konnten? Auf Nachbarschaftsstreit hatte ich nun echt keinen Bock und darauf, eine Keule über den Schädel gezogen zu bekommen, erst recht nicht.
Ich fand die Kombination zwei Mädels und Horst schon merkwürdig. Oder Horst lässt die Mädels für sich laufen. Also, er Lude und die Girls seine Nutten?
Nein, diesen Gedanken hatte ich direkt wieder verworfen. Die beiden Mädels waren zwar sehr schön, sahen aber so gar nicht billig aus. Auf mich machten sie nicht den Eindruck, dass sie im horizontalen Gewerbe arbeiten würden.
Wobei, wenn ich in meiner Heimatstadt Hamburg über den Kiez ging, waren dort auch viele Frauen schöne Frauen. Wenn ich sie dort nicht in ihrer Anschaffarbeitskleidung gesehen hätte, sondern irgendwo in der City in normalen Klamotten, hätte ich sie auch nicht für Nutten gehalten.
Wie sagte Franky immer so schön: „Wenn sie hässlich wären, hätten sie einen normalen Job.“ Er hatte recht. Dass unsere beiden Camping-Mädels schöne Frauen waren, musste nicht wirklich auch heißen, dass sie keine Bordsteinschwalben waren.
Allerdings wäre es mal eine neue Erfahrung, die ich gemacht hätte. Nein, ich hätte sogar neue Erfahrungen gemacht. Ich hätte zum ersten Mal Nutten kennengelernt und einen Urlaub bereits am ersten Tag abgebrochen. Doch wollte ich das? Nein, ich konnte gut und gerne auf beides verzichten!
Zusammen mit meinen verrückten Freunden hatte ich nun wirklich schon viel erlebt, und keines meiner, besser gesagt, unserer Erlebnisse wollte ich missen. Es waren nicht alle Sachen wirklich toll gewesen. Und stolz war ich auch nicht auf alles. Aber es gehörte zu mir und meinem Leben dazu. Ohne diese Dinge wäre ich nicht der Nick, der ich war, und wahrscheinlich wäre ich dann jetzt auch nicht hier gewesen.
Ob es in diesem Moment vielleicht sogar besser gewesen wäre, nicht hier zu sein, wusste ich noch immer nicht genau. Was mich komischerweise, trotz der merkwürdigen und ungeklärten Situation, nicht daran hinderte, zu lachen.
„Warum lachst du so blöd?“ Das Mädel, das eben nach Horst gerufen hatte, sah mich ziemlich ernst an.
„Nur so. Ich musste gerade an was denken.“ Noch immer war ich am Lachen.
„Aha, an was denn?“ Fragend wurde ich angesehen. Allerdings nicht nur von dem Mädel, sondern gleich von vier fragenden Gesichtern.
„Nichts Weltbewegendes. Es hat nur was mit Kaffee zu tun.“
„Nun sag schon.“ Erneut wurde ich aufgefordert, meine Gedanken auszuspucken.
„An einen Witz.“ Mehr sagte ich nicht.
„Dann mal los!“ Jetzt sprach das andere Mädel. Angesehen wurde ich trotzdem weiterhin von den gleichen vier Gesichtern. Lediglich die Gesichtsausdrücke hatten sich etwas verändert. Inzwischen waren es neugierige Blicke geworden.
„Sagt eine Frau zur anderen: Wo bekomme ich denn jetzt eine niedrigere Dose für unseren Kaffee her? Ich habe gelesen, Kaffee in hohen Dosen ist nicht so gesund.“ Ich sah die anderen fragend an. Klar war der Witz sehr platt und trotzdem musste ich wieder lachen. Nur kurz lachte ich alleine. Dann konnte ich plötzlich ein weiteres Lachen vernehmen. Doch das Lachen kam weder von den beiden Mädels noch von meinen Freunden. Was mich allerdings auch ziemlich verwundert hätte, da es sich um ein weibliches Lachen handelte. Carlos und Franky waren also aus dem Spiel, was mich dazu brachte, leicht irritiert zur Tür des Wohnmobils zu gucken.
Genau in diesem Moment kam eine dritte, ebenso schöne Frau wie die anderen beiden Mädels, heraus. In ihren Händen hielt sie ein Tablett mit sechs Kaffeebechern, Milch und Zucker.
„Darf ich bei diesem schönen Wetter im Garten servieren?“ Vor dem Tisch war sie stehengeblieben.
„Ja, Sie dürfen. Es wäre schön, den Kaffee im Garten kredenzt zu bekommen.“ Ich musste über die Szene lachen und sah Carlos an, während sich die beiden Frauen unterhielten.
„Für Ihre Gäste habe ich auch gleich Kaffee mitgebracht. Soll ich für die Herren auch eindecken?“ Ohne ihr Gesicht zu verziehen, sprach die junge Dame, die das Tablett in den Händen hielt, weiter.
„Gerne Fräulein. Die Jünglinge dürfen selbstverständlich gerne Platz nehmen. Und ein Kuchengedeck für die Herren wäre eine gute Idee.“
„Moment gnädige Frau, ich eile.“ Horst verschwand wieder im Wohnmobil. Die beiden anderen Frauen verzogen noch immer keine Miene. Ganz im Gegensatz zu uns. Wir amüsierten uns prächtig und freuten uns bereits auf die Fortsetzung des Schauspiels.
Mit drei Plastikgabeln und Papptellern, vornehm auf einem weiteren kleinen Tablett, kam Horst nach kurzer Zeit wieder zurück zu uns. Als der Tisch fertig gedeckt war und sie sich setzen wollte, bekam sie die nächste Aufgabe.
„Was ist mit Servietten? Sollen wir etwa unsere schöne Kaffeetafel ohne Servietten genießen?“ Kopfschüttelnd und mit einem gespielten Entsetzen sprach eine der anderen Mädels.
„Aber die Küchenrolle, äh …ich meine natürlich die Servietten sind aus.“ Ein Achselzucken bekräftigte ihre Worte.
„Dann lassen Sie sich gefälligst etwas einfallen. Oder meinen Sie, ich bezahle Ihnen für diese Unfähigkeit etwa auch noch Gehalt?“
„Entschuldigen Sie, gnädige Frau. Es wird nicht wieder vorkommen. Ich werde sehen, was ich machen kann.“ Wieder verschwand Horst im Wohnmobil und kam einen Augenblick später mit einer Rolle Klopapier zurück. Nachdem sie die Rolle mitten auf dem Tisch platziert hatte, sah sie zufrieden in die Runde.
„Geht doch!“
„Vielen Dank für ihr Lob, gnädige Frau.“ Jetzt machte sie sogar einen Knicks.
„Wenn es angebracht ist, lobe ich gerne.“
Mit einer einladenden Handbewegung wurden wir zu Tisch gebeten.
„So die Herren, alles genehm?“
„Sehr schön. Danke übrigens, und falls eine der Damen daran interessiert ist, mein Name ist Nick. Ich bin begeistert von Ihrer Gastfreundlichkeit und freue mich über die wahrscheinlich längste Serviette der Welt.“ Mein Blick ging zu Franky.
„Yeah, vielen Dank für die Einladung! Mich dürft ihr Frank nennen.“ Frank? Ich wunderte mich darüber, dass Franky sich vorgestellt hatte. Noch bevor ich etwas sagen konnte, ergriff Carlos das Wort:
„Nun, eigentlich hört er nur auf Franky oder auf Windfinder. Solltet ihr kein Interesse an meinem Namen haben, dann schnell die Ohren zuhalten. Ich bin Carlos.“
Alle drei Mädels hielten sich demonstrativ die Ohren zu, allerdings nur zum Spaß, und so konnte Horst das Wort ergreifen.
„Dann mache ich gleich mal weiter. Ich bin Manu und immer dann, wenn Bine lustig sein will, nennt sie mich Horst.“
„Tja, da kennt ihr wohl schon meinen Namen, und somit kann ich mit dem Kaffeetrinken starten.“ Bine griff zum Kaffeebecher und sah ihre Freundin erwartungsvoll an.
„Ist ja gut. Bine würde jetzt Nullsieben sagen, mein richtiger Name ist aber Juli. Und bevor Ihr fragt, ja genau wie der Monat. Solltet Ihr weiter fragen, nein ich weiß nicht, durch was meine Eltern auf die Idee gekommen sind. Sie fanden ihn einfach gut.“
„Wir haben nicht gefragt.“ Ich konnte meine Klappe mal wieder nicht halten, war mir dabei aber gar nicht so sicher, ob Juli meinen Satz lustig fand. Doch zumindest die anderen Mädels grinsten und meine Freunde lachten sowieso. Ich hatte also einen Teilerfolg errungen.
Juli wirkte irgendwie genervt. Oder war unnahbar das bessere Wort? Ihre Freundinnen waren viel lockerer und mein erster Eindruck war, dass Juli so gar nicht zu uns passte.
Was mir jedoch in diesem Moment ziemlich egal war, bei Kaffee und Kuchen in der Sonne sitzend.
Auch ihr miesepetriger Gesichtsausdruck passte rein gar nicht zum Augenblick. Es war toll, hier mit den Mädels zu hocken, und als Nachbarn hätten wir weitaus schlimmere Menschen erwischen können.
Mein Fokus war sowieso auf Manu gerichtet. Wie würde Karsten, mein ehemaliger Kumpel, so schön sagen: „Manu wäre genau mein Beuteschema“. Sie war die Sportlichste von allen und hatte extrem niedliche Grübchen. Ihr Lachen war ansteckend und sie hatte eine total süße Nase. Am liebsten hätte ich ihre Nase gestupst. Leider saß sie jedoch am anderen Ende vom Tisch, und ich hätte dafür aufstehen müssen, wonach mir jetzt so gar nicht war
Carlos war in Surfgespräche vertieft. Bine hing gefesselt an seinen Lippen und hörte beeindruckt zu.
Beim Thema Wind und Wellen mischte sich Franky mit ein und hielt einen sehr langen Monolog über die Windverhältnisse hier auf der Insel. Spätestens in diesem Moment dürfte auch den drei Mädels klar geworden sein, weshalb Franky von Carlos als „Windfinder“ vorgestellt wurde.
Als ich genug gehört hatte, fragte ich, ob es noch mehr Kaffee geben würde, und nachdem ich von Bine den kurzen Hinweis bekam, dass alles in der Küche im Wohnmobil zu finden sei, machte ich mich auf den Weg dorthin.
Alle Achtung, war ich platt. So lange auf dem Wasser gewesen zu sein, hatte mich ganz schön fertiggemacht. Trotzdem kam ich kurze Zeit später mit sechs gefüllten Bechern zurück und sah das Grinsen auf Carlos Lippen, denn Franky war noch immer dabei, über den Wind zu philosophieren.
„Ich unterbreche ja nur ungern, aber hier ist frischer Kaffee für euch.“
„Ja ... danke. ..., und wenn der Wind dann in Böen und aus Nord-West mit Stärke Acht kommt …“ Bine unterbrach ihn.
„Dann ist es nicht windstill!“ Sie ergänzte seinen Satz und lachte.
„Lass ihn doch mal ausreden. Es ist gerade total interessant!“ Manu sah Bine an, und ich überlegte, ob es ein Witz sein sollte oder tatsächlich ernst gemeint war.
Franky erzählte weiter und tatsächlich hörte Manu aufmerksam zu. Erstaunt blickte Carlos zu mir. Ich erwiderte seinen Blick und zuckte ein wenig verwundert mit meinen Schultern.
„Ich gehe mal unter die Dusche. Bis später.“ Ich stand auf und machte mich auf den Weg zum Wohnmobil. Meine Freunde hatten jeweils eine Frau an der Seite, die sich ihre Surf- und Windgeschichten total aufmerksam anhörten. Sie waren derart fasziniert, als würde ihnen gerade jemand etwas über das eben entdeckte neueste Weltwunder berichten.
Und ich? Neben mir saß eine eingebildete Tussi, die zum Lachen garantiert in den Keller ging und da das Wohnmobil keinen Keller hatte, die nächsten Tage höchstwahrscheinlich gar nicht Lachen würde.
Voll eingeseift, mit dem letzten Rest aus Frankys Duschgel, stand ich unter der Dusche. Leider hatte ich mein Duschzeug vergessen und musste seinen letzten Vorrat plündern.
Carlos hatte seine Duschsachen entweder noch nicht ausgepackt oder auch vergessen. Ich vermutete, dass es das Zweite war, da er damals bei unserer Männertour auch nie Duschgel dabei hatte und abwechselnd das von Anton oder mir benutzt hatte.
Ich rasierte meinen Kopf, was auch nötig war, da ich es die letzten drei Tage versäumt hatte. Die Haare waren bestimmt schon zwei Millimeter lang und ich fühlte mich bereits wie ein Hippy. Sie waren aus meiner Sicht so lang, dass ich bei einem AC/DC-Konzert beim Headbanging-Wettbewerb große Chancen auf den ersten Platz gehabt hätte ...
Die Hälfte der Rasur hatte ich geschafft, als ich durch eine höhere Gewalt daran gehindert wurde, weiterzumachen.
Passend zu meiner Laune passierte nämlich genau das, was passieren musste. Wenn ich vor meiner Duschaktion auch nur ein klein wenig nachgedacht hätte, wäre ich von ganz alleine darauf gekommen. Doch zum Nachdenken war ich nicht in der Lage, und auch jetzt hatte ich Carlos oder Franky im Verdacht.
„Dreht den Hahn wieder auf, Ihr Vollpfosten! Wer von euch beiden auch immer meint, witzig sein zu müssen: Das ist nicht witzig! Der Gag ist einfach nur dämlich! Los, macht jetzt!“
Fünf grinsende Gesichter standen einen kurzen Augenblick später vor der Duschkabine. Sogar Griesgram-Tussi Juli hatte in diesem Augenblick ein lachendes Gesicht.
„Um dein Lieblingswort zu nutzen, sag ich einfach mal Weltklasse“! Wer von uns beiden war eigentlich schon auf ’ner Männertour? Was bist du nur für ein Honk? Ganz ehrlich, sogar ich weiß, dass Wassertanks aufgefüllt werden müssen, bevor da Wasser rauskommen kann. Was für ein Idiot! Siehst aber gut aus!“ Franky lachte und Bine ergänzte:
„Aber unten ohne steht dir auch sehr gut.“
Ein Handtuch hatte ich mir natürlich nicht neben die Dusche gelegt. Carlos war so nett und warf mir eins zu. Abtrocknen brauchte ich mich nicht. Ich war inzwischen getrocknet.
Es war nicht mein Tag, und deshalb stellte ich auch spontan die nächste blöde Frage.
„Was soll ich mit dem Handtuch?