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Als kleiner Junge hatte ich einen Traum. Ich wollte Musiker werden, in einer berühmten Band spielen und ein Star sein. Und wisst ihr was? Ich habe ihn mir erfüllt und bin stolz darauf. Mein Name war Joshua Richter, und ich durfte fünfundzwanzig Jahre lang Keyboarder der erfolgreichen Band „Mitch and the Pirates“ sein. Falsch! Zu der Zeit, die mir am meisten bedeutete, hörten wir auf den Namen Strandpiraten. Inzwischen nenne ich mich Jannik und habe mich von meinem Traum, der längst zum Alptraum geworden war, verabschiedet. Die Jubiläumstour sollte in Hamburg mit einem Paukenschlag enden, und ich war es, der für diesen gesorgt hatte. Doch was macht man, wenn ein Traum zerplatzt? Wenn man sich in seinem Leben nicht mehr wohlfühlt und zu einer Person geworden ist, mit der man sich selbst nicht mehr identifizieren kann? Es gibt zwei Möglichkeiten. Man kann weitermachen oder flüchten. Ich habe mich für die Flucht entschieden und dafür, ein neues Leben zu beginnen. Endlich war ich frei und erkannte schnell, dass wahrer Reichtum nichts mit Geld zu tun hatte!
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Inhaltsverzeichnis
~ Zimmer mit Ausblick ~
~ Mein letzter Gig ~
~ Jetzt oder nie! ~
~ Flucht in die Freiheit ~
~ Der Tag beginnt ~
~ Neue Heimat ~
~ So ist es wohl ~
~ Meeresmelodie ~
~ Falsche Überschrift ~
~ Joshua and me ~
~ Klopfgeist und Co. ~
~ Okay mit Oke ~
~ Wunderfinder ~
~ Auf uns ~
~ Gequirlte Scheiße ~
~ Schreien befreit ~
~ Heiße Dusche und mehr ~
~ Vier Frauen ~
~ Lieblingsort ~
~ Ortsbesichtigung ~
~ Karl-Heinz ~
~ Hannas Bilder ~
~ Die richtige Entscheidung ~
~ Klavier im Herzen ~
~ Ein Tag für mich ~
~ Chopin ~
~ Blätterwald ~
~ Mein Name ist Jannik ~
~ Gestrandet auf Sylt ~
Gestrandet auf Sylt
Heimathafen Sylt -
(Band 1)
Von Ben Bertram
Alle Rechte vorbehalten!
Nachdruck, Vervielfältigung und Veröffentlichung - auch auszugsweise - nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors!
Im Buch vorkommende Personen und die Handlung dieser Geschichten sind frei erfunden und jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist zufällig und nicht beabsichtigt.
Text Copyright © Ben Bertram, 2020
Impressum:
Text:
Ben Bertram
Stellauer Straße 30 B
25563 Wrist
E-Mail: [email protected]
Covergestaltung:
Ben Bertram
Motivbild:
© Ben Bertram
Foto:
Elina Bartel
Korrektorat / Lektorat:
M. Dress / D. Awiszus
Es hätte mich wahrlich schlechter treffen können.
Während ich auf meiner schmalen Fensterbank saß, konnte ich meinen Blick auf das Meer richten. Genauer gesagt, auf die Nordsee, die heute sehr aufgewühlt war. Ich dachte dabei an einen Werbespot. An die Frage, wie du das Meer gemacht hättest? Und ich musste zugeben, dass meine Antwort auf die Frage, ob ich das Meer rau gemacht hätte, ein fettes Ja sein musste.
Dann stellte ich mir eine weitere Frage.
Wenn die ruhige Wattseite heute schon so rau ist, wie muss es dann an der Westküste sein? Ich war gespannt und freute mich darauf, sie mir ganz bald anzusehen.
Sämtliche Variationen von Blautönen präsentierten sich mir, und es war nicht ganz so einfach, die Horizontlinie zu erkennen. Nein, nicht wegen der stürmischen See, sondern weil das Meer in einem fast identischen Blau schimmerte, wie es auch der prachtvolle Himmel tat, und diese Farbenpracht daher nahezu ineinander überging.
Schaumkronen tanzten auf kleinen Wellen vor der wundervoll anmutigen Wattseite, während ich die warme Sonne in meinem Gesicht spürte. Okay, die Wärme war dem geschlossenen Fenster geschuldet, da wir uns im Monat Februar befanden und es hier auf der Insel trotz Sonnenscheins klirrend kalt war.
Dann stand ich auf. Allerdings lediglich, um das Fenster zu öffnen. Ich konnte nicht anders, ein innerer Drang forderte mich dazu auf, die kalte Luft zu spüren. Ich wollte das nordische Klima einatmen und mich innerlich säubern. Als ich das Fenster komplett geöffnet hatte, setzte ich mich erneut auf die Fensterbank, und ich wusste bereits jetzt, dass dieser Platz mein absoluter Lieblingsplatz werden würde. Na ja, vielleicht nicht auf der kompletten Insel, aber zumindest hier in meinen neuen vier Wänden. Von der Insel selbst hatte ich noch nicht viel gesehen. Wie auch? Immerhin war ich erst seit drei Tagen hier, und es war nicht ganz einfach für mich, sofort ein Heimatgefühl aufzubauen.
Wie sollte das auch funktionieren? Noch vor einer Woche wusste ich lediglich, dass es Sylt gab. Vielleicht auch etwas mehr. Aber den Drang, hier Urlaub zu machen oder auch nur einen Tagesausflug, hatte ich niemals verspürt. Sylt war in meinen Augen die Insel der Schickimicki-Fraktion, und genau diese Menschen waren noch nie in meinem Leben vertreten. Also, sie waren es schon, aber ich ließ keinen von ihnen in meinen kleinen Tanzkreis hinein.
Ich liebte die Einsamkeit und genoss es daher sehr, ein Schattendasein zu führen. Ruhm und Rummel lagen mir nicht, und genau deshalb war es auch dazu gekommen, dass ich die Flucht angetreten hatte. Weg von den Schulterklopfern, fort von kreischenden Mädchen, die viel zu häufig irgendwelche Selfies mit mir machen wollten. Ich ertrug es nicht mehr, Autogramme zu geben, und noch weniger, irgendwelchen Smalltalk mit ach so wichtigen Menschen zu führen.
Als eine kreischende Möwe an mir vorbeiflog, hielt ich kurz inne.
„Und dann bin ich ausgerechnet hier gelandet!“, sagte ich zu mir selbst und lachte höhnisch auf. Es war tatsächlich lustig, dass ich mich ausgerechnet auf der Insel befand, die für ihren elitären Kram bekannt war.
Lustig? Nein, es war obskur! Ich, der den Trubel und die Oberflächlichkeit hasste, war auf diesem geltungssüchtigen Eiland gestrandet.
Allerdings nicht wirklich freiwillig.
Falsch! Freiwillig schon, aber der Grund meiner Entscheidung war eine reine Notmaßnahme. Ich musste weg aus Hamburg, raus aus der Weltstadt und fort aus dem Scheinwerferlicht. Zeit für längere Suchaktionen hatte ich situationsgeschuldet nicht, und so gab ich einige kurze Suchbegriffe im Internet ein. Mir ging es darum, sofort eine Bleibe zu finden. Es sollte eine WG sein, und kennen durfte mich in meiner neuen Heimat ebenfalls niemand. Dann gab es noch ein wichtiges Kriterium. Ich konnte meine Bleibe nur in bar bezahlen.
Ach ja, und ich wollte im Norden leben, bestenfalls an einer Küste, und das Zimmer sollte möbliert sein.
Heraus kamen bei meiner Suche fünf Objekte. Zwei konnte ich direkt streichen, da ich sie mir mit anderen Künstlern hätte teilen müssen - die Gefahr, erkannt zu werden, war einfach zu groß.
Da genau drei WGs übrigblieben, nahm ich einen Würfel. Die Zahlen eins und sechs standen für Sylt und …
Na ja, ich verrate wohl nicht zu viel, dass eine dieser Zahlen, genauer gesagt, die höchste Zahl des Würfels, vor mir lag und mich frech angrinste.
Jetzt war ich hier, saß auf meiner Fensterbank und hatte zwei der drei WG-Mitbewohner noch gar nicht gesehen. Aber genau das war es ja auch, was ich wollte. Ruhe, Einsamkeit und einen Weg, wie ich zu mir selbst zurückfinden konnte. Viel zu lange war ich nicht der Mensch gewesen, nach dem ich mich sehnte. Es ging um Erfolg, um Tourneen und vor allem darum, den Wünschen unseres Managements nachzukommen.
Auch jetzt fragte ich mich wieder, wie unser Bandleader und Sänger Mitch Bentley, der eigentlich Michael Sauertafel hieß, mit dem Hype um seine Person so fantastisch leben konnte. Ich hingegen war in der Band lediglich der Keyboarder und fand das Leben bereits so anstrengend genug. Aber gut, Menschen sind halt unterschiedlich, und ich wettete darauf, dass sich Michael, besser gesagt, Mitch, niemals Gedanken um die anderen Bandmitglieder machte.
Es wäre ihm schnurzegal, was mit uns anderen geschah. Wenn er sich aus dem Staub gemacht hätte, wären seine Gedanken lediglich bei sich selbst und seinem neuen Lebensabschnitt gewesen. Allerdings bestand die Möglichkeit des Abhauens bei ihm auch nicht, da er viel zu geil auf den Medientrubel und die One-Night-Stands mit irgendwelchen Groupies war. Niemals hätte er auf dieses Leben freiwillig verzichtet.
Ja, Mitch und ich hätten unterschiedlicher nicht sein können!
Zwanzig Jahre gab es uns inzwischen. Unsere Band, die wir damals als sechzehnjährige Halbstarke im Keller von Michaels Eltern gegründet hatten. Wir waren gut und hatten zugegebenermaßen eine große Portion Glück. Bereits nach fünf Jahren spielten wir in kleineren Hamburger Clubs und durften schnell auch über die Stadtgrenze hinaus einige Gigs bestreiten.
Passend zu unserem zehnjährigen Jubiläum enterten wir die größeren Hallen. Bis zu fünftausend Zuschauer waren dabei und trugen uns mit ihrem Applaus auf Händen. Aus dem Radio waren wir schon damals nicht mehr wegzudenken, und es begann die Zeit, in der wir unsere Termine in die Hand eines Managers legen mussten, da wir nicht in der Lage waren, alles selbst zu koordinieren. Es wuchs uns über den Kopf, und ich war schon damals dafür, nach dem alten Lieblingssatz meines Opas zu leben. Schuster bleib bei deinen Leisten, lautete er, und meiner Meinung nach wäre dieser Weg der Beste gewesen.
Während meine Bandmitglieder, die früher einmal meine Freunde waren, nach immer Größerem strebten, wurde mir der Trubel schnell zu viel. Doch ich konnte die Jungs nicht einfach im Stich lassen. Immerhin hatten wir uns im Keller von Mitchs Eltern das Indianerversprechen gegeben, den größtmöglichen Erfolg erreichen zu wollen. Und zwar zusammen!
Abzuspringen war demnach nicht erlaubt und Freunde im Stich zu lassen sowieso nicht.
Letztes Jahr startete unsere Tournee zum zwanzigsten Jubiläum. Ich war dagegen, da mir die Hallen zu groß, der Stress zu stark und die Zeiten zu lang waren. Außerdem gab es noch einen Grund. Das Jubiläum war erst in diesem Jahr. Leider waren die Hallen jedoch schon besetzt. Zudem waren andere Bands auf Tour, und sich gegenseitig die Fans zu klauen, war kein guter Plan. So empfand es zumindest unser Management, und da Geld die Welt regierte, mussten wir uns fügen.
Okay, zumindest die letzten unserer Jubiläumskonzerte fanden im richtigen Jahr statt, der krönende Abschluss sogar vor fast 13.000 Zuschauern in unserer Heimatstadt Hamburg.
In meiner ehemaligen Heimatstadt, dachte ich, stand auf und schloss das Fenster. Mir war kalt, und ich hatte Kaffeedurst.
Schnell machte ich mich auf den Weg in die Gemeinschaftsküche und durchsuchte die Schränke. Zum Glück wurde ich fündig und konnte damit beginnen, mir ein Heißgetränk zuzubereiten. Mit einem dampfenden Becher in der Hand ging ich zurück und setzte mich einen kurzen Augenblick später in den großen alten Ohrensessel, der sich in meinem Zimmer befand.
Von hier aus konnte ich aus dem Fenster sehen und kleine Schäfchenwolken bei ihrem Flug über die Insel Sylt beobachten.
Dann schloss ich meine Augen, und meine Gedanken landeten in der Vergangenheit. Woran ich dachte, war gar nicht so lange her, und doch schien dieser Moment bereits Lichtjahre von mir entfernt zu sein.
Der Ausdruck Lichtjahre passte perfekt zu meinem Gefühl.
Zu diesem Gemütszustand von mir, der mich schon einige Jahre begleitete, und keinen Grund sah, wieder von mir abzulassen. Zunächst sehnte ich mich einfach zurück zu unseren Anfangszeiten. Ich wollte wieder in kleinen Clubs spielen und am liebsten unter unserem alten Bandnamen. Damals, als wir noch die Strandpiraten waren, fühlte sich die Welt vollkommener und positiver an.
Leider war inzwischen nicht nur das positive Gefühl verschwunden. Nein, unsere Band wurde umbenannt, und wir hatten uns nicht dagegen gewehrt. Dass Mitch geil auf die Namensänderung war, konnte ich sogar verstehen. Welcher Sänger hätte schon was dagegen gehabt, wenn sein Name zum Programm wurde. Von heute auf morgen hießen wir Mitch and the Pirates, was leider auch dafür gesorgt hatte, dass unser ehemaliger Freund Michael den Boden unter den Füssen verloren hatte. Er war ab diesem Moment komplett abgehoben und fühlte sich wie eine Mischung aus Robbie Williams und Michael Jackson. Zumindest bei einer der beiden Popgrößen war ja zumindest der Vorname identisch...
Da es keine Möglichkeit gab, „back to the roots“ zu gehen, reifte mein Entschluss, die Band zu verlassen, immer weiter.
Doch was sollte ich sagen? Mir fehlte einfach der Mut dazu. Leider nicht nur der. Zudem hinderten mich auch fiese Knebelverträge daran, auszusteigen. Ich war gefangen im Ruhm. In einer Welt, die mir fremd war, und auch in einem Musikzirkus, der längst nicht das hielt, was er nach außen versprach.
Als ich eine Auszeit forderte, wurde ich ausgelacht.
Ja, einfach nur ausgelacht. Man zeigte mir einen Passus im Vertrag. Mir wurde darin nicht nur meine Klamottenwahl vorgeschrieben, sondern ebenfalls auch die Tage, die ich für mich verplanen durfte. Warum ich den Scheiß damals unterschrieben hatte?
Weil ich zu blöd für die Welt war!
Aber auch, weil ich meine Freunde nicht im Stich lassen wollte. Ich konnte ihnen doch nicht die Chance auf Erfolg und Reichtum nehmen. Sie waren mir wichtig.
Leider wichtiger, als ich mir damals selbst war!
Am ersten Tag unserer Jubiläumstournee war ich kurz vor dem Konzert in Bremen zusammengebrochen.
Einfach umgekippt!
Doch anstatt der dringend notwendigen Erholungspause bekam ich irgendwelche Präparate gespritzt. Was es für welche waren? Woher soll ich das wissen? Unser Tourarzt zog mehrere Spritzen auf, drückte mir das Zeug in die Venen und verabreichte mir zusätzlich einige Pillen. Tatsächlich half es, und ich konnte das Konzert spielen.
Nicht nur die Tournee ging weiter, auch meine Spritzen- und Pillenkur stand vor jedem Konzert auf dem Programm.
Dann kam Hamburg …
Okay, auf dieses Konzert wollte ich nicht verzichten. In meiner Heimatstadt vor so vielen Menschen zu spielen, war natürlich geil, und ich freute mich darauf, nach dem Gig mit vielen Freunden eine nette Aftershowparty zu erleben. Sie sollte der krönende Abschluss werden.
Doch dazu kam es nicht …!
Auch vor dem letzten Gig unserer Tour hatte ich wieder Aufbauspritzen bekommen.
Dann ging es los, und die Menge tobte vom ersten Ton an. Wir wurden gefeiert und unsere Lieder lauthals mitgesungen. Mitch war in seinem Element und versetzte die Konzertbesucher in eine Art Ekstase.
Fast zwei Stunden hatten wir unser Bestes gegeben, als wir von der Bühne gingen, um uns einen Sonderapplaus und die Rufe nach Zugaben zu ergaunern.
Wir standen still, nein, fast andächtig, in unserem kleinen Pausenraum und erfrischten uns mit Getränken. Während die Menge immer lauter tobte, stieg unser Adrenalinspiegel stetig an. Dann bekamen wir ein Zeichen, und es ging weiter.
Doch nicht wie immer!
Hier in Hamburg sollte etwas Besonderes geschehen. Mitch lief, zusammen mit unserem Gitarristen Claas, auf die andere Seite der Arena und ging durch einen Notausgang in die Halle hinein.
Erst als sie sich bereits im Innenraum befanden, wurde ein Lichtkegel auf sie gerichtet. Vier Bodyguards, die eigentlich lediglich zum Security-Team gehörten, begleiteten meine Bandmitglieder. Sie hatten ein Seil gespannt, damit niemand zu nah an die Stars des Abends herankam. Während Claas an seiner Gitarre zupfte, öffnete Mitch seine Lippen.
Gemeinsam mit den restlichen Bandmitgliedern stand ich auf der abgedunkelten Bühne. Wir hatten uns heimlich zu unseren Instrumenten geschlichen und warteten darauf, dass wir in wenigen Minuten wieder alle zusammen auf der Bühne standen.
Erst wenn Mitch und Claas wieder auf den Brettern, die die Welt bedeuteten, standen, sollten die Scheinwerfer auch wieder auf uns leuchten. Eine grandiose Pyrotechnik würde das Ganze begleiten. Oder nannte man es vielleicht abrunden?
Alles war perfekt geplant, und ich sollte es sein, der mit einem coolen Solo am Klavier unseren neuesten Hit erklingen ließ. Wir hatten ihn extra als Zugabe aufbewahrt, da unsere Tournee einen unvergesslichen Abschluss bekommen sollte. Die Fans ahnten natürlich, welches Lied als letztes kam. Immerhin fehlte der Song, der es in die deutschen Charts bis auf den ersten Platz geschafft hatte.
Von meiner dunklen Ecke aus konnte ich alles gut beobachten. King Mitch war in seinem Element, und ich fragte mich, ob außer mir tatsächlich niemand mitbekam, dass er lediglich vom Band zu hören war. Sein Bad in der Menge zu genießen und live zu singen, konnte er nicht. Playback war in diesem Moment angesagt, und ich grinste in dem Moment, als ich mir wünschte, dass es einen kurzen Stromausfall geben sollte.
Es wäre ein Einfaches für mich gewesen, einige Schritte nach hinten zu machen, und den entscheidenden Hebel umzulegen. Doch ich war noch nie ein Arschloch gewesen und wollte auch jetzt nicht damit beginnen. Oder doch? Immerhin juckte es mich ordentlich in den Fingern.
Doch jetzt war es zu spät. Unsere Bandmitglieder hatten gleich die wenigen Stufen erreicht, die hinauf zur Bühne führten. Alles war angerichtet, und genau aus diesem Grund hing mein Blick an Klaus, der für das Feuerwerk verantwortlich war. Er war es, der diesen einen Schalter umlegen durfte. In wenigen Minuten würde es soweit sein.
In meinem Kopf rotierte es.
Tausende Male hatte ich schon davon geträumt, einen Abgang zu machen. Mit meinem Opa hatte ich bereits vor einigen Jahren darüber gesprochen, und seitdem hatte mich dieses Vorhaben nie wieder so ganz losgelassen.
Ich hätte es längst getan, wenn ich nur den richtigen Augenblick dafür gefunden hätte. Es gab immer etwas, warum ich mein Vorhaben nicht durchziehen konnte.
Irgendwas ist immer!
Es gab diese drei Worte inzwischen sogar als Song von uns. Ich hatte ihn geschrieben, und alle fanden den Text geil. Dass ich die Zeilen über mich selbst geschrieben hatte, war niemandem aufgefallen. Also niemandem außer meinem Opa, der mich besser kannte als alle anderen Menschen zusammen.
Stopp! Hatte es nicht mal ein Schild im Zuschauerraum gegeben? Vorne in der ersten Reihe wurde es hochgehalten. Eine Frau mit dunklen Locken hielt das Pappschild in ihren Händen, und ich hatte es deutlich lesen können.
Irgendwas ist immer!
Aber DU musst für DICH entscheiden!
So hatte es in schwarzer Schrift, die perfekt zu den Haaren der Frau passte, auf der Pappe gestanden. Natürlich konnte es sich nur um einen Zufall gehandelt haben. Immerhin kannte ich die Frau nicht und sie mich dementsprechend natürlich ebenfalls nicht.
Warum mir diese Szene in diesem Augenblick durch den Kopf ging? Keine Ahnung! Wahrscheinlich war es ein Zeichen. Meine wirren Gedanken hatten nach etwas gesucht, was mein Vorhaben unterstützte. Da es nicht viele Dinge davon gab, war halt dieses Schild präsent und deutete mir den Weg.
Die Halle tobte vor Begeisterung, und mein Kopf stieg mit ein. Der einzige Unterschied war, dass sich die Zuschauer und meine grauen Zellen für unterschiedliche Dinge begeisterten.
Während sich die notgeilen Weiber auf Mitch stürzten und die Sicherheitskräfte große Mühe hatten, ihn zu beschützen, stürzten immer mehr verrückte Gedanken auf mich ein.
Immer mehr? Nein, es war lediglich einer, der immer wieder neu und jedes Mal intensiver durch meinen Kopf schoss. Doch er schoss nicht nur hindurch, sondern ließ gleichzeitig immer mehr Wunschstückchen in mir zurück. Der Wunsch, den ich schon lange in mir trug, wurde größer und ich im gleichen Maße mutiger.
„Es muss nicht immer was sein. Ich kann es auch einfach so machen!“, sagte ich zu mir selbst und ließ meinen Blick zur großen, schweren Tür wandern.