Gestrandet, um zu bleiben - Ben Bertram - E-Book
SONDERANGEBOT

Gestrandet, um zu bleiben E-Book

Ben Bertram

0,0
3,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 3,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Sylt hatte mich wieder. Oder musste es heißen, dass ich meine Lieblingsinsel wieder um mich herum hatte? Ganz ehrlich, es war mir egal. Ich spürte die Weite der Insel und fühlte mich frei. Sogar mein Kopf war wieder in der Lage, klare Gedanken zu fassen, und so konnte ich meinen Urlaub mit Lea genießen. Zumindest fast, da ich häufig an Josh denken musste. Der Keyboarder meiner Lieblingsband war noch immer verschwunden, und die Lügenpresse hatte bereits die verrücktesten Vermutungen gedruckt. Ich war mir zwar sicher, dass er lediglich abgetaucht war. Trotzdem war ich in Sorge, da man nie wusste, wie Menschen in Notsituationen reagierten. Als wir in Keitum die nette ältere Dame Hanna kennenlernten und sie uns zu Karl-Heinz einlud, glaubte ich, nicht richtig zu sehen. War das etwa … „Rosa, reiß dich zusammen!“, sagte meine beste Freundin zu mir, und ich bemühte mich, ihrem Wunsch nachzukommen. Doch der verrückte Gedanke ließ mich nicht los.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

*** Der Hindenburgdamm ***

*** Ankunft in Westerland ***

*** Endlich in List ***

*** Nostalgisches Sylt ***

*** Museumszimmer ***

*** Lea und mein Traum ***

*** Burkhardts Katze ***

*** Wahre Nostalgie ***

*** Das Klavier ***

*** Lieblingsort Keitum ***

*** Teestube & Zeitungsschock ***

*** Mein Chaosabend ***

*** Fragen über Fragen ***

*** Klara und mein Chef ***

*** Gerammt, zumindest fast! ***

*** Duell auf Sylt ***

*** Verratende Stille ***

*** Freiheit & Glitzerstaub ***

*** Schnee am Meer ***

*** Eine Klage? ***

*** Schmierpresse ***

*** Lösungsorientiert ***

*** Frauengespräch ***

*** Kaffee & Co. ***

*** Das Zettelchen ***

*** Autopanne ***

*** That's life ***

*** Bennet ***

*** Leas Date ***

*** Zeit für mich ***

*** Spurlos verschwunden ***

*** Meine Sorgen ***

*** Hanna ***

*** Schockverliebt ***

*** Ankerplatz Sylt ***

*** Gekommen, um zu bleiben ***

Gestrandet, um zu bleiben!

Ankerplatz Sylt -

(Band 2)

Von Ben Bertram

Alle Rechte vorbehalten!

Nachdruck, Vervielfältigung und Veröffentlichung - auch auszugsweise - nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors!

Im Buch vorkommende Personen und die Handlung dieser Geschichten sind frei erfunden und jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist zufällig und nicht beabsichtigt.

Text Copyright © Ben Bertram, 2020

Impressum:

Text:

Ben Bertram

Dorfstraße 4

25551 Schlotfeld

E-Mail: [email protected]

Covergestaltung:

Ben Bertram

Motivbild:

© Ben Bertram

Foto:

Elina Bartel

Korrektorat / Lektorat:

M. Dress / D. Awiszus

*** Der Hindenburgdamm ***

Die Durchsage vor der Abfahrt war längst verhallt.

Trotzdem standen wir noch immer auf den Gleisen in Niebüll und warteten darauf, dass sich der Autozug in Bewegung setzte. Durch die Fensterscheibe schien die Februarsonne in angenehmer Wärme und sorgte dafür, dass ich mich fast wie auf der Fahrt in den Sommerurlaub fühlte. Ja, Sylt empfing uns mit blauem Himmel, wodurch der Sekt aus unseren Piccolo-Flaschen noch um einiges mehr mundete.

Während meine beste Freundin Lea damit beschäftigt war, ihr Handy mit dem Autoradio zu koppeln, sah ich aus dem Fenster. Klar hätte ich lieber auf die Nordsee geblickt, aber auch so flogen meine Gedanken dorthin, wo sie der Meinung waren hinzugehören. Steuern konnte ich sie nicht, da mich derzeit einfach zu viele Dinge beschäftigten.

Die Fragen kannte ich. Entschlüsse hatte ich längst gefasst. und ich war auch der Meinung, dass der richtige Moment gekommen war, mein Leben grundlegend zu ändern. Doch spielte auch der Mut mit? War er endlich stärker als die Angst? Immerhin hatten mich diese blöden Ängste in den letzten Jahren häufig bei der Umsetzung meiner Träume und Wünsche gehindert.

Doch jetzt hatte ich ein deutliches Zeichen erhalten. Nur ein Zeichen? Nein, eigentlich sogar gleich mehrere.

Mein Knie hat mir deutlich gemacht, dass die Gesundheit das wichtigste Gut überhaupt ist. Dann war da mein Chef, der mir gekündigt hatte und um dessen Kündigung sich meine Freundin Klara kümmerte, die zum Glück eine fantastische Anwältin war. Dank ihr konnte ich mit Lea in den Urlaub fahren und ganz in Ruhe abwarten, was sie alles für mich herausschlagen würde.

Tja, und dann war da noch Josh …

„Sag mal, Rosa, redest du jetzt die ganze Überfahrt nicht mit mir?“ Ich sah zur Seite und erkannte in den Augen meiner Freundin, dass sie auf Antworten von mir wartete.

„Witzvogel. Die ganze Überfahrt ist ja wohl lustig. Schließlich stehen wir noch immer in Niebüll und warten darauf, dass es losgeht“, antwortete ich und grinste, da Lea mal wieder maßlos übertrieben hatte.

„Wir stehen wo?“ Lachen erfüllte den Wagen.

„In Niebüll, du …“ Weiter kam ich nicht, da ich etwas Nasses auf meiner Hand spürte. Erschrocken sah ich in meinen Schoß, wo sich auch meine Hand befand.

„Ups, hast du etwa gekleckert? Dann zittert deine Hand wohl, da ja beim Stehen normalerweise nichts überschwappen kann.“ Wieder erklang ihr Lachen. Ich hingegen richtete meinen Blick aus dem Fenster und erkannte, dass wir bereits von der Nordsee umgeben waren. Das Wasser glitzerte im Sonnenschein, und die Welt wirkte bunt und schön.

„Hast du ein Taschentuch für mich?“, fragte ich und deutete auf das Malheur zwischen meinen Beinen.

„Nö. Aber eine Zewa-Rolle“, antwortete Lea und drückte mir diese in die Hand. Während ich zunächst meine Hand vom Sekt befreite, kümmerte ich mich anschließend um meine Jeans. Es sah aus, als hätte ich mich eingenässt, und leider fühlte es sich auch so an.

„Also, liebe Rosa, wo bist du eben gewesen?“

„Neben dir im Auto“, gab ich zur Antwort, obwohl ich natürlich ganz genau wusste, dass meine Freundin auf meine Gedankenwelt angespielt hatte. Es war schon krass, dass ich tatsächlich so tief in diese Welt eingetaucht war, dass ich fünfzehn Minuten Fahrtzeit nicht bekommen hatte. Also eine Fahrt, bei der man oben auf dem Autozug immer durchgeruckelt wurde.

Leas Blick genügte, damit ich mit der Wahrheit herausrückte.

„Weißt du, Lea, ich war natürlich bei meinem kaputten Knie und auch bei meinem idiotischen Chef, der …“. Weiter kam ich nicht.

„Bei deinem Ex-Chef“, wurde ich verbessert.

„Na ja, noch ist er es ja irgendwie“, sagte ich schmunzelnd. Dann sprach ich weiter: „Irgendwie bin ich mir nicht sicher, ob ich mutig genug für die anstehenden Schritte bin. Ich bin jetzt schon 27 Jahre alt, und da kann man doch nicht komplett neu beginnen.“ Ich sah meine Freundin an.

„Schon 27 Jahre? Bist du bekloppt? In dem Alter studieren noch viele Menschen oder machen eine zweite Ausbildung. Dein Knie wird auch bald wieder vollkommen fit sein, und dann startest du durch. Hey, die Welt steht dir offener denn je. Außerdem kümmert sich Hamburgs beste Anwältin um deine Belange.“ Lea legte ihre Hand auf die meine und sah mich beruhigend an.

„Ja, aber …“

„Kein Aber!“, unterbrach mich Lea schroff. Dann sagte sie: „Und was hast du noch gedacht?“

„Nichts“, tüddelte ich und ärgerte mich sofort nach der Antwort darüber.

„Versuch‘s nochmal“, maßregelte mich meine Freundin.

„An Josh. Also … daran, wo er wohl ist und wieviel Wahrheit in dem Text über ihn steckt.“ Nach meinen Worten musste ich an das Abschlusskonzert von Mitch and the Pirates denken. Daran, dass es mit einem Paukenschlag in der Heimatstadt der Jungs enden sollte. Es war die Tour zu ihrem zwanzigjährigen Musik-Jubiläum, und wir waren in Hamburg live dabei gewesen. Einen Paukenschlag hatte es definitiv gegeben. Allerdings einen, von dem nicht mal die Bandmitglieder des Keyboarders etwas ahnten. Joshua Richter, der von allen nur Josh oder der Richter genannt wurde, verschwand während der Zugaben von der Bühne. Er verließ die Arena, schnappte sich ein Taxi und verabschiedete sich in die Dunkelheit.

Woher ich das mit dem Taxi wusste? Ich hatte es gesehen, und es machte mich traurig, dass er seinen Lebenstraum einfach wegwarf.

„Er ist wahrscheinlich einfach nur in einen neuen Lebensabschnitt gestartet. So, wie du es jetzt auch machen wirst“, wiegelte Lea ab.

„Meinst du wirklich?“

„Ja!“, sagte meine Freundin und wir schwiegen einige Augenblicke zusammen.

„Drama um den Keyboarder von Mitch and the Pirates! Entführung oder Verbrechen? Die Polizei rätselt.“ Ich wiederholte die Überschrift, die wir beide vor nicht mal einer Stunde beim Warten auf die Autoverladung gelesen hatten.

„Soll die Schmierpresse etwa schreiben, dass sich Herr Richter eine Auszeit nimmt? Oder vielleicht sogar, dass er keine Lust mehr auf den bekloppten Bandleader Mitch hat? Mal ehrlich, Rosa, solche Überschriften verkaufen sich doch nicht. Außerdem, vielleicht war das alles auch abgesprochen. PR kann schließlich jede Band gebrauchen.“ Meine beste Freundin zuckte mit den Schultern und sah mich an.

„Bei so was macht Josh nicht mit“, war meine Antwort, und sie kam voller Überzeugung.

„Dein Josh ist auch nur ein Mensch aus der Show-Branche.“ Nach Leas Worten seufzte ich auf und kümmerte mich abermals um meine versaute Hose. Ich rieb auf ihr herum, obwohl ich wusste, dass es keinen Sinn machte.

Aber es mir lieber, als mich weiter über Josh und sein Verschwinden zu unterhalten.

*** Ankunft in Westerland ***

Die letzten Minuten der Fahrt saßen Lea und ich einfach einträchtig nebeneinander und freuten uns auf Sylt. Wir schwiegen und das Schönste dabei war, dass ich ausschließlich positive Gedanken in mir trug. Ich sah uns schon in der Alten Backstube sitzen und Pfannkuchen essen. Dazu gab es eine Rhabarberschorle und einen leckeren Cappuccino für jeden.

Ja, ich hatte die Bilder bereits in meinem Kopf und freute mich, als Lea nach unserem Halt im Bahnhof Westerland den Zündschlüssel umdrehte.

Leider hielt meine Freude nur kurz an …

„Bärbel springt nicht an“, sagte Lea und blieb dabei so ruhig, dass ich es ihr nicht glaubte.

„Damit macht man keine Witze. Los, schmeiß den Wagen an, die hinter uns werden langsam nervös“, antwortete ich, ohne mich zu ihr umzudrehen. Auf ihre Bärbel war immer Verlass. Warum sollte uns das Auto ausgerechnet auf dem Autozug im Stich lassen?

„Ich mach keinen Witz. Ganz im Gegenteil“, rief Lea nun etwas beunruhigter. Dann strich sie mit der Hand zärtlich über das Lenkrad und flüsterte dabei: „Komm schon. Fahr uns vom Zug, danach kannst du dir eine Pause nehmen. Aber bitte nimm sie nicht jetzt.“

Jetzt begriff ich, dass meine Freundin keinen Scherz mit mir machen wollte. Ihre langjährige treue Begleiterin wollte tatsächlich nicht anspringen und zwar an einem Ort, der unpassender nicht sein konnte. Gleich würde ein Hupkonzert starten, und ich war mir auch sicher, dass die ersten Menschen anfangen würden zu motzen.

Auch wenn die meisten Insassen der sich hinter uns befindlichen Fahrzeuge in den Urlaub fuhren, so hatten sie trotzdem keine Zeit. Warum es so war? Keine Ahnung, aber ich hatte schon sehr häufig gestresste und genervte Urlauber getroffen. Nicht mal an roten Ampeln blieben sie als Fußgänger stehen, und in der Schlange beim Bäcker wurde ebenfalls geflucht, manchmal sogar vorgedrängelt.

„Versuch es einfach nochmal“, sagte ich und wusste, dass mein Tipp natürlich albern war. Selbstverständlich hatte Lea bereits diverse Male ausprobiert, ihre Bärbel anspringen zu lassen.

„Lustig!“, bekam ich zur Antwort. Dann ging es los. Ein Chor aus gefühlten tausend Hupen spielte uns ein Lied. Leider einen Song, den ich eben so bescheuert fand wie die für mich nervige Volksmusik. Einige der Idioten drückten dauerhaft auf die Mitte ihres Lenkrads, andere betätigten den Knopf immer wieder aufs Neue.

Was schlimmer war?

Beides war nicht nur dämlich, sondern auch überflüssig, da das Gehupe selbstverständlich nichts an der Situation änderte.

Dafür hatte sich inzwischen etwas anderes geändert. Wir hatten freie Sicht nach vorne und auch wenn wir lediglich auf Westerland sehen konnten, empfand ich es toll, endlich mal der Erste auf einem Zug sein.

„Schau mal, Lea, so ist der Blick nach vorne viel cooler“, sagte ich voller Euphorie und leider auch, ohne vorher über meine Worte nachzudenken.

„Hast du keine anderen Sorgen? Echt mal, Frau Schwarz, nach einem freien Blick ist mir gerade so gar nicht zumute.

„Ach, Süße, es nützt doch nichts. Wir können es nicht ändern.“

„Doch, können wir“, meinte Lea, und ich sah sie erstaunt an, da ich keine Idee hatte, wie wir es ändern sollten. Bärbel wollte nicht und keine von uns hatte auch nur den geringsten Schimmer von Autos und ihren Macken.

„Wie denn?“, fragte ich daher erstaunt nach.

„Wir steigen jetzt aus und schieben Bärbel vom Zug.“

„Genau.“ Ich prustete lachend los und freute mich darüber, dass Lea ihren Humor wiedergefunden hatte. Doch ich lachte nur kurz, da Lea tatsächlich die Tür öffnete und im Begriff war auszusteigen. Fragend sah ich sie an, dann hörte ich sie sagen:

„Mach schon, eine andere Chance haben wir nicht.“

„Echt jetzt?“, fragte ich und brauchte auf keine Antwort zu warten, da mir ihr Blick die Ernsthaftigkeit ihres Tuns deutlich präsentierte. Was hatte ich also für eine Chance? Keine! Daher öffnete ich die Beifahrertür und verließ ebenfalls den Wagen.

Ich hatte bereits tief durchgeatmet, um mich auf den bevorstehenden Schiebewahn vorzubereiten, als ich Leas Stimme vernahm.

„Geht das mit deinem Knie?“

„Es muss gehen“, antwortete ich knapp.

„Lass es lieber. Ich habe Angst um dich.“ Nach ihren Worten kam Lea zu mir und sah mich an.

„Ich versuche es einfach. Wir testen es jetzt, vielleicht …“ Weiter kam ich nicht, da uns eine Männerstimme unterbrach.

„Na ihr Hübschis, gibt’s Probleme?“, fragte uns ein Mann, der eine orangene Weste trug und mit großer Sicherheit zum Personal gehörte.

„Probleme? Quatsch! Wir genießen lediglich die tolle Aussicht und trinken einen Piccolo“, antwortete Lea, und ich befürchtete, dass wir gleich einen Einlauf bekamen. Immerhin waren wir es, die die Entladung blockierten und dabei waren, den Fahrplan durcheinanderzubringen.

„Tatsächlich? Dann kann ich ja wieder gehen. Aber ihr seid dafür verantwortlich, dass der Krach aufhört.“ Der Typ deutete auf die hupenden Autos hinter uns. Dann sprach er weiter: „Viel Erfolg dabei.“ Nach dem letzten Satz drehte er sich um und machte einen Schritt von uns weg.

„Äh … Stopp … Halt doch mal kurz an.“ Ich rief ihm hinterher und er tat uns den Gefallen. Wahrscheinlich wäre er sowieso nicht viel weiter gegangen, da es sein Job war, dass von uns angerichtete Chaos aufzulösen.

„Wollt ihr mich zum Sekt einladen?“, fragte er frech grinsend.

„Wenn du Bärbel vom Autozug bekommst, können wir darüber reden“, mischte sich meine Freundin ein.

„Bärbel?“ Wir wurden fragend angesehen.

„So heißt mein Töfftöff, ist aber auch egal. Also, Deal?“ Ganz bestimmt konnte er Leas Dackelblick nicht widerstehen.

„Deal“, kam als Antwort. Danach sah er sich den Wagen an und schwieg.

Ich wollte gerade etwas zur Seite gehen, damit er mit seiner Muskelkraft den Wagen in Bewegung setzten konnte, als er zu Lea ging.

„Gib mir mal den Schlüssel.“

„Warum? Bärbel springt nicht an.“ Trotz ihrer Antwort drückte sie dem Mann in der orangenen Weste den Schlüssel in die Hand. Dann fragte sie, „Und jetzt?“

„Jetzt versuche ich, den Wagen zu starten.“ Leichte Überheblichkeit klang in seinen Worten.

„Auf die Idee sind wir auch schon gekommen. Glaub mir, auch Frauen können Autos starten. Bärbel ist kaputt, daher musst du sie leider schieben.“ Normalerweise lag bei Lea in solchen Sätzen immer eine große Portion Ironie. Jetzt nicht, was dafür sprach, dass meine Freundin echt angefressen war.

Der Typ ignorierte Lea, setzte sich dafür hinter das Lenkrad, steckte den Schlüssel ins Zündschloss und drehte diesen anschließend um.

„Als wenn Bärbel jetzt anspringen würde“, sagte ich und grinste. Aber nicht lange, da wir plötzlich das wohltuende Geräusch eines laufenden Motors vernahmen.

„Echt jetzt?“, fragte mich Lea leise, und ich musste über die Enttäuschung in ihren Worten grinsen. Eigentlich hätte sie sich darüber freuen müssen, dass Bärbel wieder funktionierte. Doch sie schien dem Typen in der orangenen Weste seinen Erfolg nicht zu gönnen.

„Dann Attacke. Auf geht’s, die hinter euch sind schon ungeduldig“, sagte unser Helfer, während er aus dem Fahrzeug stieg. Dann grinste er schelmisch und stieg über eine kleine Leiter vom Zug.

„Danke, du hast einen bei uns gut“, rief Lea ihm hinterher.

„Ich weiß“, kam zur Antwort. Dann war er verschwunden.

Als die Autos erneut in ein Hupkonzert einstiegen, setzten wir uns in den Wagen und fuhren vom Zug.

Den Start auf Sylt hatten wir uns definitiv ein wenig anders vorgestellt. Aber so konnte es dafür nur besser werden.

Wir lächelten und machten uns auf den Weg.

*** Endlich in List ***

Bei der Ferienvermietung hatten wir uns bereits den Schlüssel für unser Feriendomizil abgeholt, und so befanden wir uns jetzt in einer kleinen Nebenstraße in List und saßen freudig im Auto.

Wir hatten unsere Blicke auf eines der Häuser einer kleinen Siedlung gerichtet und konnten noch immer nicht verstehen, warum wir dieses wunderschöne Haus so günstig bekommen hatten. Es war ein sehr altes Häuschen, das perfekt gepflegt war und schon von weitem dazu einlud, hinein zu gehen und sich wohl zu fühlen.

Der alte Backstein war super erhalten, und die Fensterläden waren mit Schnitzereien verziert. Der kleine Vorgarten war top gepflegt, und ich war mir sicher, dass in ihm bereits im frühen Frühling die ersten wunderschönen Blümchen strahlten.

„Wow“, rief ich und Lea stimmte mir nickend zu.

Anschließend saßen wir noch eine kurze Zeit andächtig im Wagen und freuten uns über unsere Entscheidung, als Ferienort dieses Mal List auszuwählen.

„Dann los“, sagte Lea in die Stille hinein, und selbstverständlich kam ich ihrem Wunsch nach. Zunächst nur mit einer kleinen Tasche in der Hand machten wir uns auf den Weg zur Tür. Ich schloss sie auf und drückte die Haustür nach innen. Was wir sahen, überbot unsere Erwartungen nochmals um eine riesige Prozentzahl.

Es war einfach fantastisch. Nein, es war das Schönste, was ich jemals gesehen hatte.

„Wir sind hier doch falsch“, flüsterte ich andächtig und schaffte es dabei nicht, meinen Blick auf Lea zu richten.

„Wie in einem Traum. Nein, wie damals, als die Menschen noch Wert auf Gemütlichkeit und schöne Dinge legten. Weißt du, Rosa, hier ist nichts von der Stange. Alles scheinen Unikate zu sein, und ich kann gar nicht glauben, dass man ein solch tolles Zuhause aufgibt, um es in die Hände einer Ferienvermietung zu geben.“ Dann schwieg Lea.

„Du hast recht. Hier muss man doch selbst wohnen. Eine solche Einrichtung möchte man doch täglich um sich haben. Ich hätte große Angst, dass Gäste nicht behutsam mit meinen Sachen umgehen“, sagte ich und Lea ergänzte:

„Oder, dass irgendwelche Idioten Sachen mitgehen lassen.“

Nachdem wir noch einen weiteren Augenblick die Atmosphäre aufgesaugt hatten, entschieden wir uns, nicht sofort das weitere Haus zu inspizieren. Wir wollten es uns für später aufbewahren und zunächst am Lister Hafen ein Fischbrötchen verspeisen.

Keine zwei Minuten später saßen wir wieder im Auto, warfen einen Blick auf unser Häuschen, und schon ging die Fahrt in Bärbel los. Nein, Leas treue Begleiterin hatte keine neuen Macken gehabt. Sie lief wie ein Uhrwerk und tat so, als hätte ihren Aussetzer auf dem Autozug niemals gegeben.

Ein Brötchen hatte uns nicht gereicht. Wir hatten unsere Bismarckbrötchen schon gegessen und machten uns daher erneut auf den Weg zu Gosch, um uns ein Krabbenbrötchen zu genehmigen. Klar waren die Dinger wirklich extrem teuer, und eigentlich waren wir auch nicht bereit, so viel Geld für ein normales Brötchen mit kleinen Meeresbewohnern darin und etwas Cocktailsoße darauf auszugeben. Allerdings nur eigentlich, und so saßen wir jetzt auf einer der blauen Bänke am Lister Hafen und sahen auf die Nordsee.

Eine Fähre, aus Dänemark kommend, fuhr an uns vorbei und steuerte ihren Anlegeplatz an. Die weiße Fähre mit den blauen Verzierungen passte sich nahtlos in das Farbenspiel des Tages ein. Das Meer glitzerte dank der sich auf ihm spiegelnden Sonnenstrahlen und der blaue Himmel mitsamt seinen kleinen weißen Schäfchenwolken sorgte für den passenden Hintergrund. Es war ein Anblick, der auf Postkarten gehörte, aber auch als Ölgemälde in jedes friesische Haus gepasst hätte.

„Echt lecker“, murmelte ich und konzentrierte mich darauf, keine der Krabben auf den Boden fallen zu lassen. Es wäre nicht nur zu teuer, sondern auch viel zu schade gewesen. Immerhin hatten wir unsere Leckerbissen auf dem Weg zur Bank mit Erfolg vor den Möwen verteidigt, da wäre es fast eine Sünde gewesen, einige der Krabben zu verlieren.

„Oh ja“, antwortete Lea knapp. Dann biss sie wieder von ihrem Brötchen ab und haute, noch bevor sie ihn hinuntergeschluckt hatte, ein schmatzendes „Fuck“ heraus.

Zu fragen, wofür das Schimpfwort gedacht war, brauchte ich nicht. Meine Augen hatten die Bescherung längst erfasst, und daher musste ich grinsen, als ich einige mit Cocktailsoße verzierte Tierchen zwischen Leas Füßen liegen sah.

„Hey, das Füttern von Möwen ist verboten“, murmelte ich ebenfalls schmatzend und bemühte mich, meine Hände stillzuhalten. Jetzt auch Krabben zu verlieren, wäre nach meinem ironischen Satz natürlich megapeinlich gewesen.

Ich schaffte es, nichts zu verlieren.

---ENDE DER LESEPROBE---