David Knackmann. Zwei Fantasy-Bücher in einem! - Tino Hemmann - E-Book

David Knackmann. Zwei Fantasy-Bücher in einem! E-Book

Tino Hemmann

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Beschreibung

David Knackmann ist ein außergewöhnliches Fantasy-Abenteuer für alle von 8 bis 108. Der Doppel-Band wartet mit allerlei Überraschungen auf. Nicht ein Ende hat das Buch, nein drei! Es wird gezaubert ohne Rücksicht auf Verluste, es tauchen Wesen auf, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat. Herzlich willkommen in einer neuen fantastischen Welt! --- Band 1: David Knackmann und der Fluch des Kristalls --- Es soll ein stinknormaler Tag im stinknormalen Leben des zehnjährigen Neustädter Jungen David Knackmann werden. Doch dann kommt alles ganz anders! David klaut während eines Rundgangs in einem Besucherbergwerk einen Amethyst. Kurz darauf wird die Höhle dunkel, der Junge stürzt in einen tiefen Schacht. Als er schließlich erwacht, glaubt er kaum, was um ihn geschieht. David findet sich in einer fremden Fantasy-Welt wieder, lernt Zwerge kennen, Drachen, sprechende Nashornsoldaten und eine (be-)zaubernde Prinzessin namens Röschen. David ist im Gutbösereich gelandet! Bald erfährt er, dass der Diebstahl des Kristalls, der mittlerweile vom bösen König Krator vereinnahmt wird, das gesamte Gleichgewicht zwischen Gut und Böse durcheinander gebracht hat. David beschließt, die entführte Prinzessin zu befreien, den Kristall zu finden, die Mugiels zu retten, um ein Tor in die eigene Zukunft zu öffnen. Doch der Schreiber macht ihm immer wieder einen Strich durch die Rechnung! --- Band 2: David Knackmann und die Rettung von König Benny --- Jahre sind vergangen. David wird ins Gutböse Reich zurückgerufen! Prinzessin Röschen ist in größter Gefahr! Gemeinsam mit der kleinen, nervenden Schwester Susi und dem besten Freund Benny verlässt David heimlich Neustadt und gelangt auf einem äußerst komplizierten Weg in das Fantasyland. Kaum dort gelandet, wird er von Taarasaaramaara und dessen Pampanenkriegern gefangen genommen und, wie Susi, im Turm eingesperrt. Benny hingegen wird auf merkwürdige Art und Weise zum König über das Reich ernannt. Die meisten Freunde von David versteckten sich in der Stadt Ganzunten, während Taarasaaramaara von Ganzoben das Reich unterdrückt. Gegen einen Zauberer hilft nur Zauberei! David muss das Zaubern erlernen, um den aussichtslosen Auftrag zu erfüllen: Er muss König Benny befreien und die kleine Schwester retten. Gerade als sich David in die pubertierende Prinzessin Röschen verliebt, wird das Mädchen eine Geisel von Taarasaaramaara. Nur wenige Stunden verbleiben David, um das Orikel in Mongodongodoria zu finden, eine Flüssigkeit, die Taarasaaramaara entzaubern kann.

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Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Illustrationen: Copyright by Andrä Martyna

www.dreamlandworks.com

eISBN: 978-3-86901-580-4

Copyright (2008) Tino Hemmann

Copyright der ersten Auflage von Teil 1 (2003)

„Das Gutböse Reich“ Tino Hemmann

Alle Rechte beim Autor.

www.tino-hemmann.de

Tino Hemmann

David Knackmannund der Fluch des Kristalls

Der erste Teil einer fantastischen Reise

Engelsdorfer Verlag

Inhalt

Die Höhle

Raruro und der Nebü Tabok

Die Reise mit einem Ug

Der Drache Plumbum

Prinzessin Röschen

Im Vulkanschloss

Das Geheimnis des Amethysts

Klarawellen und Zombiander

Nützliche Dinge

Pusch

Das Alte Wußlon

Die Reise nach Kauderwulsch

Von Schneewittchen und anderen Dingen

Das verrückte Haus

Der Verborgene Raum

Zuppzupp

Der Schwarzewolkensee

Schlacht-Pläne

Das Schwarze Schloss

Das schlechte Ende

Der 100. Soldat

Krieg und Schlüsselchen

Mit Liebe und mit Küssen

Abschied

Das bessere Ende

Die Höhle

David sah sich interessiert um. Die Erwachsenen drängten sich um diesen Mann, der wunderliche Dinge über das Bergwerk erzählen konnte. Doch dem fast zehnjährigen David war es egal, dass er weder etwas hören, noch den Höhlenmenschen sehen konnte. Der Junge interessierte sich ausschließlich für die Tropfsteine, die im Scheinwerferlicht glitzerten. Und für all die wunderschönen Kristalle, die in kleinen Kämmerchen lagen, die man in die Höhlenwände geschlagen hatte.

David hatte einen dummen Gedanken. Er überlegte, ob er nicht hinter den Erwachsenen zurückbleiben sollte, um dann in Ruhe einen Kristall stehlen zu können, der gut in seine Mineraliensammlung passen würde. Seine Freunde würden gewiss darüber staunen!

An den Wänden leuchteten elektrische Lampen. Das Licht reichte gerade, um auf dem glatten Boden nicht auszurutschen.

„David, kommst du?“

„Ja, Mami, ich will mir hier nur etwas ansehen!“, rief der Junge und betrachtete ein paar Kristalle. „Quarz“ las er von einem kleinen Schildchen ab. David wollte seinen Plan in die Tat umsetzen! Die Stimmen der Erwachsenen wurden leiser. David schlich ein paar Schritte zurück und stand plötzlich vor einer Kammer, in der ein Amethyst lag. Die Kammer wurde von einer kleinen Lampe beleuchtet. Der Kristall glänzte wunderschön. Hinter dem Gitter, durch das Davids Hand passte, lag ein winziger, alter Zettel: „Amethyst, gefunden 1822“.

David fror. Mami hielt seine Jacke in der Hand und so trug er lediglich das dünne, blaue T-Shirt und die Jeans. Noch einmal blickte er um sich, denn er wollte ganz sicher sein, dass er nicht beobachtet wurde. „Das ist nicht Klauen“, flüsterte der Junge, um sich Mut zu machen. „Schließlich gehören die Berge allen Menschen, auch mir!“ Vorsichtig streckte er seine Hand nach dem violetten Kristall aus. Von den Erwachsenen war nichts mehr zu hören. Schon berührten seine Fingerspitzen den kalten, schönen Stein!

Seit drei Jahren besuchte David die Schule. Jetzt endlich waren wieder Ferien, und Mami und Papi verschleppten ihn ausgerechnet in die Berge! Nicht ans Meer, wohin all die anderen Kinder verreisen durften. Jeden Tag musste David wandern und klettern. Schon nach einer Woche schmerzten ihm die Füße schrecklich. Außerdem gab es hier nur wenige Kinder, mit denen er spielen konnte. Meistens waren es alte Leute, die sich im Sommer in die Berge zurückzogen! „Lasst uns in diese Höhle fahren! Für den Jungen“, hatte Mami gesagt, während David seine Frühstückscornflakes in den Mund stopfte. „Schließlich hat der Junge Ferien.“

Papi hatte nachgegeben, obwohl für diesen Tag ein zehn Kilometer langer Spaziergang zu einem Aussichtsturm auf seinem Plan stand. Papi hatte für jeden Tag einen Wander-Plan.

Die Kühle des Kristalls fühlte sich angenehm an. Langsam nahm sie Besitz von Davids Fingern, der Hand, den Arm … Er dachte keine Sekunde an seine Angst, entdeckt zu werden. Trotzdem war ihm unheimlich zumute. Ein letztes Mal sah er sich um. Dann griff er zu!

Als der violette Kristall in seine Hosentasche wanderte, ging schlagartig das Licht aus und die Höhle versank in einer bedrückenden Finsternis.

Davids Herz schlug wild. Er war nicht sehr mutig, im Gegenteil – wenn sich ein Junge aus der siebten Klasse näherte und „Na, du Baby?“ zu ihm sagte, dann bekam er Angst und seine Knie wurden weich. Und ebenso erging es ihm in diesem Moment.

„Mami?“, fragte eine leise Stimme. „Mami? Kannst du mich hören? Mami … wo bist du?“

Seine Hände berührten die kalten, feuchten Wände des Höhlenganges. Stolpernd tastete er sich vorwärts. Dann nahm er all seine Kraft zusammen und schrie so laut er konnte: „Mami! Ihr habt mich vergessen!“

David lauschte dem Schall seiner Stimme. – Keine Antwort. Unwillkürlich traten Tränen in seine Augen und liefen über die Wangen.

Nun war der Moment gekommen, dass er sich im Schneidersitz demonstrativ auf den feuchtkalten Boden setzte, das Gesicht in den Handflächen vergrub und schluchzte. Hätte er doch niemals diese blöde Idee gehabt, einen Amethyst zu klauen!

David dachte angestrengt nach. Was sollte er tun, wenn er sich verlaufen würde? Papi hatte es ihm genau erklärt. Erst sollte er jemanden suchen, dem er vertrauen konnte. Der sollte ihn dann zur Polizei bringen. Und der Polizei sollte er seinen Namen sagen und wo er wohnt. „Mein Name ist David Knackmann“, sagte er laut vor sich hin. „Ich wohne in Neustadt, im Lilienweg 27. Unsere Telefonnummer lautet: Vorwahl Neustadt, dann die Eins, die Drei, die Zwei, die Neun und die Acht.“ Er hatte sich alles so gut gemerkt. Und nun? Papis Plan war für die Katz! Erstens fand er niemanden, der ihn zur Polizei bringen konnte. Zweitens gab es hier unten, tief im Bergwerk keine Polizei. Und außerdem war es überall oberschrecklich dunkel, kalt und nass!

Er schluchzte noch einmal laut auf, zog so viel Luft durch die Nase, wie es nur ging, dann lauschte er in die Dunkelheit und ließ die Luft wieder raus. Da knirschte etwas in der Nähe.

Was für ein seltsames Geräusch, dachte David und hörte noch einen anderen Ton. Ein Geräusch, das er kannte.

Es klang, wie ein tropfender Wasserhahn.

In der Höhle kann es aber keinen Wasserhahn geben, dachte David. Vielleicht eine Pfütze, in die es von der Höhlendecke tropfte? Vorsichtig stand er auf und wischte die Hände an der Hose ab.

Diese grausige Dunkelheit! Langsam tastete sich der Junge vorwärts – in die Richtung, in der die Erwachsenen verschwunden waren.

Plötzlich verlor er den Boden unter den Füßen! Er konnte nicht sehen, wo er hintrat. Er rutschte auf dem glatten Boden aus!

David versuchte, auf den Beinen zu bleiben, doch es gelang ihm nicht. Er brüllte: „Oh Scheiße!“, landete auf dem Hosenboden und rutschte auf dem Boden weg. Immer steiler wurde der Schacht, fast wie auf einer Sommerrodelbahn, ging es abwärts mit dem Jungen. David versuchte, sich irgendwo festzuhalten. Es gelang ihm nicht. Schneller und immer schneller rutschte er, erst auf dem Po, dann auf dem Bauch, dann wieder auf dem Po!

„Mami! Hilf mir!“, schrie David, doch niemand hörte ihn. Ein lautes „Aaahhh!“ hallte durch das Bergwerk. Es ging nach rechts, dann nach links, die Felswände rauschten an David vorbei. Die rasante Fahrt war nicht zu bremsen. Plötzlich stieß Davids Stirn gegen einen harten Felsvorsprung, worauf er in eine tiefe Ohnmacht fiel, während sein Körper ungebremst in die Tiefe raste.

Raruro und der Nebü Tabok

Als David erwachte und erst das linke, dann das rechte Auge öffnete, sah er die Sonne und einen roten Himmel. David lag umgeben von einem blau schimmernden Gras auf dem Rücken. Kopf und Po schmerzten.

Der Junge versuchte sich zu bewegen und rollte vom Rücken auf den Bauch.

In diesem Moment huschte etwas an ihm vorbei. David blickte erschrocken um sich. Nichts war zu sehen.

Dann schon wieder ein Huschen! Diesmal auf der anderen Seite. Instinktiv streckte David den Arm aus, und seine Hand hielt beim nächsten Huschen ein seltsames Etwas fest.

David schaute nach, was er da ergriffen hatte und traute seinen Augen nicht.

„Wer … was bist denn du?“, stotterte er fragend.

Ängstliche Augen blickten David an. Was er da hielt, war ein winziger Mann, kaum vierzig Zentimeter hoch. Das Männlein hatte keine Nase, dafür aber riesige Augen! Es leuchtete ein wenig und war gerade mal mit einer Badehose bekleidet.

Dieser kleine Mann schaute ihn ebenso erschrocken an, wie er das Männlein. „Und, was bist du?“, fragte das merkwürdige Wesen mit seiner hohen Stimme.

„Ich bin David“, flüsterte David und verschwieg lieber seinen Nachnamen. So ein dummer Nachname – Knackmann! Wie oft schon wurde er gehänselt: ‘Knackmann – Kackmann!’ Auch wenn Papi immer sagte: „Sei stolz auf deinen Namen! Er ist selten und bürgt für Qualität! Schau mich an!“

„Und wer bist du?“

Der Winzling antwortete nicht auf Davids Frage. „Ein David? Er ist ein David!“, rief er stattdessen, und seine Stimme überschlug sich fast. „Lauf, lauf um dein Leben, David!“, schrie das Männlein mit der Piepselstimme. „Aber lass mich bitte vorher los, du David!“

„Mein Name ist David und nicht: ‘Er ist ein David’. Du hast mir nicht verraten, was du für einer bist“, meinte der Junge, setzte sich aufrecht hin und nahm das Männlein, das mit Beinen, Ohren und Armen zappelte, zwischen die Hände.

„Große Gefahr“, jammerte das Männlein. „Du siehst doch, ich bin ein Gutzwerg. Nur ein Gutzwerg.“ Es schaute David mit großen hellblauen Augen an.

„Hast du vielleicht einen Namen?“ David ließ den Zwerg nicht los.

Der Gutzwerg setzte sich auf Davids Knie und keuchte. „Selbstverständlich hab ich einen. Und zwar einen sehr schönen Namen. Ich heiße Raruro.“

„Das ist dein Name? Raruro? Das ist aber ein sehr merkwürdiger Name. Und was – bitte schön – ist ein Gutzwerg?“ David hatte längst bemerkt, dass noch viele andere Gutzwerge durch das Gras flüchteten. Überall wimmelte es, und hin und wieder fiel ein Gutzwerg hin, schimpfte, rappelte sich auf und rannte weiter.

„Auch du musst laufen! Schnell, David!“, rief Raruro erneut. „Lauf, David, lauf!“

„Warum willst du weglaufen, Raruro?“ Der Gutzwerg sah David merkwürdig an. „Warum, warum … was bist du für ein David, dass du es nicht weißt? Gutzwerge laufen immer weg. Es ist der Sinn unseres Lebens, wegzulaufen. – Nun sag schon, bist du gut oder böse, David?“

David schluckte. „Wie meinst du das, gut oder böse? – Ich denke, ich bin ganz gut, auch wenn Papi manchmal das Gegenteil behauptet! Bestimmt meint er das nicht so. Er sagt oft Sachen, die er nicht so meint, musst du wissen.“

„Du bist gut? Das ist sehr schön, David. Er ist gut, der David! – Bitte lass mich gehen, David! Wenn du gut bist, lässt du mich gehen!“, flehte der Zwerg erneut.

David überlegte. Dann sagte er: „Du musst mir erst verraten, ob es hier so Große wie mich gibt!“

„Große? So wie du?“

„Ja. Große, so wie ich. Menschen, verstehst du? Und sag mir, wo ich sie finden kann!“

„Große Menschen? Überall gibt es sie. Überall findest du sie. – Bitte lass mich nun gehen, ich bin gut, und ich will dir wirklich nicht weh tun!“

David lachte lauthals, stand auf und hielt den Gutzwerg über sich. „Du willst mir weh tun? Gerade du! Hast du vergessen, dass ich viel größer und stärker bin?“

Der Gutzwerg begann zu zittern, blickte hinab zum Boden und wurde kalkweiß im Gesicht. „Nicht so hoch, David, nicht so hoch. Bitte lass mich wieder runter, mir wird sonst ganz schlecht! Ich verzaubere dich in einen Grashalm!“

Der Junge wurde etwas unsicher, ließ den Zwerg etwas sinken und fragte: „Ich glaube nicht, dass du zaubern kannst!“

Raruro verzog das Gesicht. „Okay, du hast mich durchschaut. Ich kann nicht zaubern. Aber mein großer Bruder, der kann …“

„Großer Bruder! Dass ich nicht lache! Hör auf zu lügen“, unterbrach David den Zwerg. „Wo finde ich sie, die großen Menschen? Los, sag es mir!“ Er hielt den Gutzwerg noch etwas höher.

„Bitte nicht“, bettelte der. „Geh in diese Richtung!“ Der Kopf des Zwerges zeigte zu einem Berg am Horizont. „Da wirst du sie finden, die Großen!“

David kniete sich nieder und stellte Raruro auf den Boden ins Gras. „Leb wohl, Raruro, du kannst jetzt weiter weglaufen!“ Der Junge lachte.

„Ich danke dir, David“, meinte der Gutzwerg und schon war er wie ein Blitz verschwunden und rannte den anderen Zwergen hinterher.

David stand wieder auf und blickte sich um. Weit und breit war nur die große Wiese zu sehen. Hier wuchsen ulkige Blumen mit bunten Stängeln und roten Blüten. Auch der Himmel wurde immer roter und ringsum war wieder Ruhe eingekehrt.

Der Junge dachte angestrengt nach. Was war nur geschehen? Warum taten ihm Kopf und Po so weh? Und wo war seine Mami geblieben?

Na so ein Traum, dachte David, kniff sich in den Arm und schrie auf. Sofort zeigte sich ein kleiner blauer Fleck. Und wehgetan hatte es auch. Sollte er tatsächlich nicht träumen? – Unmöglich! Gutzwerge gab es nicht. Nicht mal im Traum!

„Träume nicht immer herum, David. Such dir eine sinnvolle Beschäftigung. Du hast damit angefangen, Fußball zu spielen, und du hast bald wieder aufgehört damit. Dann hast du angefangen, beim Schulchor mitzusingen. Aber auch damit hast du wieder aufgehört. Jetzt willst du bei dieser Theatergruppe mitmachen … Wie lange wird dir das gefallen, David?“

„Bitte, Papi hör auf damit!“

David blickte hinauf in diese dunkelrote Sonne und kniff ein Auge zu. Wie ein Soldat lief er los, immer auf den Hügel zu, der sich am Horizont erhob. Im Takt der Schritte sprach er laut mit sich selbst: „Gut! Wir sind in die Ferien gefahren. Links zwo, drei … Wir sind viel Spazieren gegangen. Links zwo, drei … Wir haben eine Höhle angesehen. Links zwo, drei … Ich habe einen Kristall geklaut. Links zwo, drei … Dann ist das Licht ausgegangen. Links zwo, drei … Dann bin ich hingefallen! Links …“ Er blieb wie von der Tarantel gestochen stehen. Augenblicklich fuhr seine Hand in die Hosentasche. Zwischen seinen Fingern leuchtete der gestohlene Amethyst.

„Ich kann nicht hier sein!“, rief der Junge ganz, ganz laut aus. „Ich liege irgendwo in der Höhle und träume! Dieses Land gibt es nicht! Ich weiß ja nicht einmal, wie dieses Land heißt!“

„Es heißt, Gutbösereich!“

David hörte sogleich zu atmen auf, schwieg und schluckte ganz tief. Er wagte es nicht, sich umzudrehen. Wer hatte das gesagt?

„Ich habe gaaar nichts gehört“, flüsterte der Junge.

„Nun gut, David“, meinte eine tiefe, brummende Stimme. Und anschließend schrie die Stimme so laut, dass David sich die Ohren zuhalten musste und es fast zwei Minuten durch das fremde Land hallte: „Du bist im Gutbösereich, David!“

Nachdem die zwei Minuten vergangen waren, fragte David mit flüsternder Stimme: „Was werde ich sehen, wenn ich mich jetzt umdrehe?“ Ein wenig wagte er wieder zu atmen.

Die tiefe Stimme antwortete: „Mich!“

„Dich?“ Der Junge flüsterte. „Was bist du?“

„Ich?“, fragte die tiefe Stimme. „Was soll ich schon sein? Ich bin gut! Wo denkst du hin? Selbstverständlich bin ich gut!“

Ganz langsam und bedächtig drehte sich David um. Seine Nase berührte fast den ledernen Gürtel eines großen, starken Mannes. Auf der Gürtelschnalle entdeckte er eine in der Sonne blitzende Blume.

Vorsichtig hob David seinen Kopf und blickte hinauf. Der große Mann sah aus wie ein Krieger, er trug eine glänzende, metallische Uniform und einen merkwürdigen Motorradhelm, durch den David nur die Augen des Mannes sah.

„Das Gutbösereich?“, fragte David und kniff die Augen zu. Von einem solchen Land hatte er noch nie gehört. Er kannte Deutschland und die Türkei, da war er mal im Urlaub. Und Amerika kannte er aus dem Fernsehen. Er kannte Mittelerde aus dem Kino, das Wunderland von Alice aus dem Buch und Peter Pans Nimmerland von der DVD. Aber ein Gutbösereich kannte er nicht!

Langsam öffnete der Junge seine Augen. Nun entdeckte er auch das Schwert am Gürtel dieses Ritters, das fast so groß war, wie David. Und der Maß immerhin einen Meter und zweiundfünfzig Zentimeter. „David, du musst mehr essen, sonst wirst du nie groß. Isst du in der Schule dein Mittag immer auf?“

„Ja, Papi …“

„Das Gutbösereich“, wiederholte der Mann, nun zum dritten Mal.

„Was bist du noch, außer Gut? Bist du ein Mensch?“

Der Ritter kniete sich vor David.

„Ein Mensch? Bist du etwa ein Mensch, David?“

David nickte zögernd.

Vorsichtig berührte der Ritter Davids Schulter. „Ich habe noch nie einen Menschen gesehen. Wenngleich es viele Legenden um euch gibt.“

„Du hast noch nie …“ David staunte. „Was sind denn Legenden?“

Der Ritter zögerte kurz, bevor er auf eine andere Frage antwortete: „Ich bin einer der beiden Nebü. Man nennt mich Tabok. Was ist das in deiner Hand?“

David wurde rot. „Das? Das … das …“, stotterte er.

„Ja, das! Was verbirgst du da vor meinen Blicken?“

David öffnete die Hand. Auf der Handfläche glitzerte der gestohlene Amethyst.

Ringsum wurde es noch stiller, selbst der Wind schwieg, die Blätter hörten zu Rascheln auf, das Gras bewegte sich nicht mehr. Sogleich erhob sich Tabok, hielt sich für einen Moment die Augen zu und erstarrte. „Du? Du hast ihn? Du brachtest den Kristall in unser Reich?“

Wieder bekam David weiche, zittrige Knie. „Hm …“

„Den Kristall! Du hast den Kristall! Also sind die Legenden wahr!“

Dieser Nebü Tabok sprach in Rätseln. „Die Legenden? Du redest schon wieder von Legenden. Was soll das?“

„David, du bist in Gefahr! Lass uns hier verschwinden, schnell! Ich bring dich ins Schloss!“

David wurde ganz schwindlig.

„Ins Schloss? In welches Schloss? Was für Legenden? Was sind die Nebü? Was ist mit dem Kristall?“

Tabok legte einen großen Finger auf Davids Mund. „Schweige, Mensch David! Rede nicht darüber! Das Böse kann dich hören, es ist in den Menschen! Schweige, David! Du hast dem Gutzwerg nichts davon erzählt?“

„Du weißt von der Begegnung mit dem Gutzwerg? – Nein, ich hab niemandem was erzählt!“ David hatte Angst.

„Niemandem? Und was hast du dann?“, fragte Tabok

„Was ich habe?“ Der Junge rieb sich den Bauch. „Ich habe Hunger und Durst“, stellte er plötzlich fest.

„Auch das noch. Tatsächlich, du bist ein echter Mensch, David. Menschen haben immer Hunger und Durst.“

Die Reise mit einem Ug

Tabok legte die Hände zu einem Trichter an seinen Mund und gab einen schrillen, hohen Laut von sich.

„Was machst du da“, wollte David wissen, der sich die Finger in die Ohren steckte.

„Ich rufe ein Ug!“

„Ein was rufst du?“, fragte der Junge erstaunt.

„Ich rufe ein Ug, erzähl mir bitte nicht, dass du nicht weißt, was ein Ug ist!“

„Du hast ein Pferd?“

„Was ist ein Pferd?“

„Nein, was ist ein Ug?“

„Es wird gleich da sein, dann wirst du wissen, was ein Ug ist.“

David blickte sich aufgeregt um. Es war kein Ug zu sehen. Doch plötzlich wackelte der Boden ein wenig und ein merkwürdiges Tier kroch heraus, spuckte zunächst etwas Erde aus, schüttelte sich heftig, sodass der Menschenjunge in Deckung gehen musste und baute sich schließlich vor Tabok auf. Dort, wo das Ug aus dem Boden gekrochen war, blieb ein großer Trichter zurück.

Schnell trat David ein paar Schritte zurück, denn das Ug kam auf ihn zu und wollte ihn beschnuppern. Das Wesen war viel höher als der Nebü Tabok und es hatte sechs Beine mit schaufelartigen Füßen daran! Trotzdem das Ug gerade eben aus dem Boden kam, hatte es schneeweißes Fell und roch etwas unangenehm, fast wie ein Löwe.

„Es riecht wie ein Löwe“, stellte David fest.

„Na und? Du riechst wie ein Mensch“, antwortete das Ug zu Davids Erstaunen. „Meinst du, das ist angenehmer?“

„Es kann ja sprechen!“

„Natürlich kann ES sprechen“, sagte das Ug mit vorwurfsvoller Stimme. „Wo hast du den denn aufgegabelt?“, wandte es sich fragend an Tabok.

Der schwang sich mit einem Sprung auf das Tier, beugte sich zu David hinunter, griff nach dessen Hosensaum und zog den Jungen mit einem Ruck hinauf. David saß vor dem Ritter.

„Halte dich gut an seinem Fell fest“, meinte Tabok zu David. Dann wandte er sich an das merkwürdige Reittier: „Ug, bring uns zum Vulkanschloss!“

Das Ug drehte seinen Kopf ganz weit nach hinten und blickte David tief in die Augen.

„Was ist?“, fragte David erschrocken. An den beißenden Geruch hatte er sich schon ein wenig gewöhnt.

„Eins sei dir gesagt, Mensch: Gekitzelt wird nicht! – Verstanden?“

„Verstanden“, murmelte David.

Das Ug zog seinen rechten Mundwinkel ganz nach unten. „Na hoffentlich hat er’s begriffen. – Mensch! Dass ausgerechnet mir das passieren muss! Der Tag fing so gut an.“

David drehte sich ein wenig zu Tabok um und schaute ihn fragend an.

„Du musst wissen, das Ug ist unheimlich kitzlig. Und wenn man es im Lauf krabbelt, dann kann es einen abwerfen. Es wäre dann untröstlich und du steckst ganz tief im Boden fest. Sonst sind Ugs immer gut und hilfsbereit. Es wird dir ganz bestimmt nicht wehtun.“

Der Junge nickte wieder.

„Pack einfach kräftig zu, auch ich halte dich fest!“

„Achtung, da oben, es geht los!“, rief das Ug. Augenblicklich begann es mit seinen riesigen Pfoten zu scharren und grub sich samt seiner Last in den Boden ein. Um David herum wirbelte die Erde und sogleich wurde es dunkel. Er hörte das ständige Scharren und Schnaufen des Ugs. Seine Hände verkrampften sich im Fell des merkwürdigen Tieres.

Ganz plötzlich hielt das Ug an und David versuchte, etwas zu erkennen. Er befand sich in einer kleinen Höhle, und hinter ihm verlor sich eine kurze Röhre im Nichts. „Wie macht es das?“, fragte der Junge.

Tabok beugte sich zum Ohr des Jungen hinunter. „Du willst wissen, wie das Ug das macht? Dann frag es doch selbst!“

„Ug, wie machst du das? Wir bewegen uns durch die Erde und doch bin ich kein bisschen schmutzig. Und Luft bekomme ich auch. Und vor und hinter uns ist alles zu. Wie geht das?“

„Warte, warte, warte, Mensch! Du kannst mich nicht einfach so während der Fahrt anquatschen. Was denkst du, wo du bist?“

„Ich wollte ja nur …“

„Es muss nur schnell gehen, dann funktioniert es. Ich wurde geboren, um dies zu tun. Wie – warum – was – weshalb! Immer nur Fragen. Typisch Mensch! – Wie heißt du, Mensch?“

„Jetzt stellst du ja selbst eine Frage! – David. Ich heiße David. David Knackmann, wenn du es genau wissen willst.“

„Merkwürdiger Name. David Knackmann. Wer denkt sich denn so was aus? Sag mal, kannst du bitte deine Füße stillhalten? Deine Fersen haben mich schon zweimal gekitzelt, Mensch David. Wir mussten anhalten, dass ich nicht mit einem anderen Ug zusammenstoße. Das andere Ug kam von links, also hatte es Vorfahrt. Wer von links kommt, hat immer Vorfahrt.“

„Bei uns haben die Vorfahrt, die von rechts kommen“, widersprach der Junge und wunderte sich erneut.

„Menschen“, raunte das Ug und drehte den Hals wieder so, dass es David ins Gesicht sehen konnte. „Was muss das für ein Chaos sein, wenn die Vorfahrt haben, die von rechts kommen!“ Es blies die Backen ein wenig auf und steckte seine kurze, rosa Zunge David entgegen, die fast dessen Nase berührt hätte.

„Aber, es ist doch egal …“

„Was meinst du mit egal?“

„Es ist völlig egal, wer Vorfahrt hat.“

„Egal?“ Das Ug zog seine Stirn in Falten. „Egal? Puh, dass ich nicht lache. Egal ist, ob oben die Sonne scheint oder nicht!“ Und es lachte absichtlich, was eher wie ein Husten klang und David und Tabok wurden mächtig durchgeschüttelt.

„Natürlich ist es egal“, beharrte der Junge auf seiner Meinung. „Hauptsache, alle machen das Gleiche!“

„Nichts ist egal, Mensch David! Links hat Vorfahrt. Punkt – fertig – aus! Und ein Ug hat immer Recht. Könnten wir jetzt endlich weiterfahren?“ Es drehte sich wieder nach vorn und schimpfte noch ein bisschen. „Erst sagt er ich stinke, dann kitzelt er mich ständig und dann will er mir erklären, was egal ist! – Menschen! Hoffentlich kommen nicht noch mehr von denen.“

Tabok musste lachen. „He, Ug, beeil dich – der Mensch hat Hunger und Durst!“

„Wenigstens ein vernünftiger, dieser Nebü. Krabbelt mich auch nicht ständig und will mir nicht erklären, was egal wäre … Au!“ David hatte dem Ug in den Hals gekniffen und lachte laut. Endlich schwieg das weiße Wesen und setzte die unterirdische Reise fort.

Nach einiger Zeit wurde es wieder sehr wacklig. Da schoss das Ug aus dem Boden, spuckte etwas Erde aus, hustete ein wenig und schüttelte sich und seine Reiter so, dass David fast heruntergefallen wäre.

Der Drache Plumbum

Tabok schwang sich vom Ug und hob David hinunter. Sie befanden sich in einem dunklen Wald. Doch hatten die Bäume hier grüne Stämme und rote Blätter.

Wieder hielt sich David den Po, der mehr und mehr in Mitleidenschaft gezogen wurde. Der Junge näherte sich dem Ug von vorn. „Wo bist du denn am kitzligsten?“, fragte er hinterlistig.

„An den mittleren Schaufeln“, antwortete das Ug. „Das weiß doch jeder.“

Sogleich nahm David eine der mittleren Fußschaufeln in Beschlag und krabbelte sie kräftig durch. Das Ug lachte und kicherte und sprang in die Höhe. Auch Tabok lächelte, doch wohl eher, weil er diesen Menschenjungen mit seinen plötzlichen Einfällen so komisch fand.

Als das Ug sich endlich beruhigt hatte, näherte sich sein Kopf Davids Ohr und es flüsterte: „Ich wusste nicht mehr, wie schön dieses Krabbeln und Kitzeln ist. Danke David, bist doch ein Guter! Aber tu das niemals während der Fahrt! Hörst du? Niemals, Mensch David!“ Es bewegte den Kopf am Gesicht des Jungen entlang und David spürte das feine, weiche Fell, das sich an seiner Wange flauschig anfühlte. Und das genoss er.

„Auf Wiedersehen, Mensch David! Man sieht sich!“

Schon verschwand das Ug im Boden. Nur eine Staubwolke blieb zurück.

Der Junge blickte sich um. Ein Schloss war nirgends zu sehen. „Wo sind wir jetzt?“, wollte er wissen und griff mit einer Hand an seinen Allerwertesten. „Oh je, meine Hose ist zerrissen, bestimmt von der Höhle. Mami wird nicht begeistert sein. Und Papi erst! Er wird sagen: ‘Als ich so alt war, wie du jetzt, David, da hatte ich nur eine einzige Hose, und mein Papi’ – also Papis Papi – ‘hätte mich windelweich gehauen, wenn sie ein Loch gehabt hätte.’ – Weißt du“, meinte David zu Tabok, „mein Papi war bestimmt ein Wunderkind. Der konnte alles! Wirklich! Der hat nie einen Fehler gemacht und war immer lieb!“

„Du hast doch auch nur eine einzige Hose“, meinte Tabok. „Wie dein Papi damals.“ Sie liefen nebeneinander auf einem Waldweg.

Der Junge zuckte mit den Schultern. „Seine ist aber nie kaputt gegangen. Wo ist das Schloss? Und was ist ein Nebü?“

Tabok lächelte erneut. „Das Ug hat wohl Recht. Immerzu fragt ihr Menschen. Zuerst hast du gefragt, wo wir jetzt sind. Wir sind im Wald der Vorfahren. Das Schloss finden wir auf der Vulkanlichtung. Und ein Nebü ist einer, der für Ordnung sorgen soll. Wenigstens war es früher so. Als dann überall Ordnung war, wurden die Nebüs nicht mehr gebraucht. Und als dann wieder keine Ordnung mehr war, da gab es zu wenige Nebüs. Jetzt gibt es nur noch zwei von uns. Mich, den guten Tabok und auf der anderen Seite den bösen Tobak. Du musst dich vor ihm hüten, denn er sieht mir sehr ähnlich.“

„Der Wald der Vorfahren?“, fragte David weiter. „Was ist das für ein Wald? Es ist so still hier, ich kann keine Vögel hören, es gibt keinen Wind und …“

„David, wenn der Vollmond auftaucht, dann treffen sich all die verblichenen Geister und Gestalten in diesem Wald. Und die können dir ganz schön zu schaffen machen.“

„Gibt es einen Vulkan auf der Vulkanlichtung? So richtig mit Feuer und Lava? Wer wohnt in diesem Schloss? – Sag jetzt nicht Dornröschen!“

„Nein, nein, nein! Du wirst schon sehen, warum die Lichtung so heißt. Aber ein Röschen gibt es dort. Woher weißt du von ihr? Im Vulkanschloss wohnt die Gute Königin. Mit ihrer Tochter und ein paar Bediensteten und Soldaten.“

„Und was ist mit dem Kristall?“, fragte David, ohne darüber nachzudenken.

Sofort blieb Tabok stehen und blickte sich um. „Ich hatte gesagt, du sollst …“ Eine Staubwolke wirbelte auf, für einen Moment verschwand der Nebü, löste sich einfach so vor Davids Augen auf und tauchte hinter einem Baum wieder auf. „Wusste ich’s doch!“, rief er. „Komm her, David!“

„Wie hast du das gemacht?“, fragte David erstaunt und lief schnell zu Tabok.

„Was gemacht? – Ach so, ich kann mich etwas schneller bewegen, als deine Augen die Bewegung wahrnehmen können. Deshalb kommt es dir so vor, als wenn ich verschwinde. – Schau mal, wen ich hier habe!“ Tabok zog eine merkwürdige, drachenartige Gestalt hinter dem Baum hervor.

Das Wesen war nicht gerade klein, leuchtete rot und besaß riesige Flügel, die fast durchsichtig wirkten. Der Mund am langen Schädel grinste hämisch. Es stand auf riesigen gelben Greifern. Und am Ende der Greifer bohrten sich spitze, scharfe Krallen in den Boden. Seine Augen leuchteten in einem giftigen Grün, es zappelte und zuckte, doch Taboks Griff war unglaublich stark. So sehr das Wesen auch kämpfte, es konnte nicht entfliehen. Es kreischte stattdessen mit einem ohrenbetäubenden, schrillen Pfeifkonzert.

„Was ist das“, schrie David.

„Was ist das?“, fragte das Wesen und äffte Davids Stimme nach.

„Das ist Plumbum“, meinte Tabok und zog das Wesen mit sich.

„Das ist Plumbum“, äffte das Wesen Tabok mit dessen Stimme nach.

„Sei still!“, forderte David und wandte sich an Tabok: „Hat es uns belauscht?“

„Mit Sicherheit. Du solltest wissen, Plumbum ist ein höriger Diener von Krator, dem Bösen König. Dem bösesten König, den du dir vorstellen kannst. Hinterhältig ist er und gemein. Einer, der immerzu das Gleichgewicht stören will.“

„Krator? – Das Gleichgewicht?“ David war nun völlig durcheinander.

„Das Gleichgewicht zwischen Gut und Böse. – Was hast du gehört, Plumbum?“

„Ich höre nichts, ich sage nichts, ich sage nichts, ich höre nichts“, erwiderte Plumbum und wühlte mit seinen scharfen Krallen den Boden auf.

„Nun gut, wir können dich auf keinen Fall fliegen lassen. – David, halte bitte kurz Plumbum, ich muss einen Strick suchen, damit wir den Drachen festbinden können.“

David legte beide Arme um den langen dünnen Hals des merkwürdigen Wesens. Doch kaum hatte Tabok es losgelassen, da rollte das Wesen seine Flügel aus und begann wild zu flattern. Noch bevor sich Tabok rühren konnte, schwebte es ein paar Meter über dem Boden. Und David konnte es beim besten Willen nicht halten. Er fiel rücklings auf den Boden, rappelte sich jedoch sofort wieder auf. Das Drachentier vollzog einige Kreise und beobachtete dabei den Jungen ganz genau. Und David ahnte wohl, was gleich passieren würde! Das unheimliche Geschöpf stürzte sich auf den Jungen, packte ihn mit scharfen Krallen und erhob sich flatternd in die Lüfte!

David schlug um sich, traf aber nur die Luft. Er zappelte und wackelte, doch Plumbum schien das nichts auszumachen. Der Drache verfügte über große Kräfte. Seine Krallen bohrten sich in Davids Sachen und dann in seine Haut. Es schmerzte und der Junge schrie vor Angst. „Hilfe, Tabok! Es will mit mir flüchten!“

„Halte dich an seinen Greifern fest, David!“, rief Tabok zurück und war plötzlich verschwunden.

„Tabok!“, schrie David, der sich kaum noch halten konnte. „Wo bist du!?“ Plumbum flatterte wie verrückt, doch er kam nicht so recht von der Stelle weg, schließlich wog David ein paar Kilogramm.

Wie aus dem Nichts tauchten vier pelzige, fliegende Tiere auf, die Plumbum sofort umkreisten. Scheinbar hatte Tabok aus dem Schloss blitzschnell Hilfe geholt. Ob das so gut war? Plumbum ließ den Jungen sogleich los, und David klammerte an den Krallenfüßen des Tieres. Obwohl es schrecklich wackelte, David die Hände sehr weh taten und er sich kaum noch halten konnte und immer mehr abrutschte, erkannte der Junge, dass es sich um kleine fliegende Saurier handeln musste. So etwas kannte er aus dem Fernsehen, angeblich waren die ja ausgestorben.

Diese Luftpolizisten kniffen und knufften Plumbum so lange, bis der sich von ihnen ziehen ließ. Zudem bliesen die Flugsaurier ununterbrochen dicken schwarzen Qualm aus ihren großen Nasenlöchern, dass auch David ganz toll Husten und Röcheln musste. Davids Kraft ließ nach, seine Hände ließ Plumbum los und mit einem lauten „Aaahhh“ stürzte der Menschenjunge in die Tiefe.

Zum Glück landete David in einem kleinen See mit lauwarmem Wasser. Er tauchte kurz unter, dann wieder auf und dann schwamm David mit kräftigen Zügen an das Ufer des klaren Sees. Zum Glück konnte er schwimmen. Und als er an Land kroch, noch immer prustend und hustend, hätte er mit der Nasenspitze fast einen Fuß mit kleinen Zehen berührt, der in netten goldenen Schuhchen steckte.

Prinzessin Röschen

David hob seinen Kopf ein wenig. Über den Füßen sah er zwei helle Waden. Und an den Knien darüber, erblickte er den Saum eines gelben Kleidchens und weiter oben zwei verschränkte Arme, dann einen Hals und dann ein argwöhnisch dreinblickendes Mädchengesicht, umgeben von langen, goldblonden, lockigen Haaren.

Der Junge erhob sich ganz vorsichtig. Das Mädchen hatte seine Größe und vielleicht auch sein Alter.

„Bist du ein Mensch?“, fragte David leise, der mit den Schuhen im Wasser stand und überall tropfte.

„Ein Mensch?“ Das Mädchen hob ihre Nase etwas höher. „Seh’ ich etwa aus, wie ein schnöder, gewöhnlicher Mensch?“

David nickte und zog mit den Hacken die Turnschuhe aus. „Du schaust aus, wie die eingebildeten Weiber aus meiner Klasse. Und die behaupten schließlich auch, Menschen zu sein.“

„Ich“, betonte das Mädchen und nahm das Näschen noch etwas höher, „bin die Prinzessin!“ Dann ging das merkwürdige Mädchen vier Schritte rückwärts, einen nach links, zwei vorwärts und einen nach rechts. Grinsend leerte David seine Schuhe, zog nun auch die Strümpfe von den Füßen und wrang sie aus. Er stellte sich barfuß neben die Prinzessin und folgte zögernd ihren Schritten, wobei sie ein Stück des Gartens durchquerten. Und während sie tanzten, begann die Prinzessin zu trällern:

„Wunderschön und auch von Adel,

immer jung und ohne Tadel,

scheine heller als die Sonne,

und mein Antlitz ist die Wonne!

Ich bin traumhaft – klingelingeling.

Weil ich die Prinzessin bin!

Schnöde Weiber voller Neid,

greifen an mein Seidenkleid,

staunen über meine Beine,

keine Haut ist so wie meine!

Ich bin traumhaft – klingelingeling.

Weil ich die Prinzessin bin!

Nicht ein Böser wird es wagen,

mich zu jagen und zu schlagen!

Denn dann kommen die Soldaten,

die mich schützen und beraten.

Ich bin traumhaft – klingelingeling.

Weil ich die Prinzessin bin!

Ich bin traumhaft – klingelingeling.

Und eines Tages bin ich Königin.“

David grinste das Mädchen an. Er riss sich los und hielt sich die Stirn. Dann ergriff er ´die zarten Hände der Prinzessin und begann, sich mit ihr im Kreis zu drehen. Dabei rief er laut:

„So ein Blödsinn, den ich höre!

Du bist auch nur eine Göre,

eingebildet und verzogen.

Das ist wirklich nicht gelogen.

Du bist traumhaft? Klingelingeling?

Du bist eine Angeberin!“

„Pah! Puh!“ Die Prinzessin schubste David von sich, der auf den Rücken ins Gras fiel. „Wie sollst du meine Anwesenheit zu schätzen wissen? Du bist ja nur ein Mensch! Und noch dazu ein Junge und ein Kind. Ich aber bin eine Prinzessin!“

„Eine Prinzessin also!“ David wischte sich mit dem Handrücken die Nase ab. „Eine ordentliche Prinzessin schubst einen wehrlosen Jungen aber nicht einfach so ins Gras. Du erinnerst mich eher an Nathalie aus meiner Klasse. Die sieht genauso eingebildet aus und strebt immerzu. Die Lehrer können sie gut leiden. Aber leider nur die Lehrer.“

„Ich denke“, sie hob das Näschen etwas höher, „deine Nathalie kann bestimmt nicht das!“ Die Prinzessin hob eine Hand, und ehe David etwas dagegen tun konnte, zog sich seine Hose mit einem Ruck von allein aus und zappelte hoch oben in der Luft. Sogleich hielt er mit beiden Händen krampfhaft die Unterhose fest, während er aufstand und hüpfte, um die Hose zu erreichen.

Die Prinzessin lachte hinterhältig.

„Nicht die Unterhose! Nicht die Unterhose!“ David flehte und trat einen Schritt zurück.

Die Prinzessin lachte noch mehr, hob wieder die Hand und Davids blaues T-Shirt zog sich ganz allein aus und tanzte gemeinsam mit seiner Hose weit über ihm.

Nun blieb dem Jungen nichts weiter übrig, als schnell das Weite zu suchen. Während er davon flitzte, hörte er ihr schallendes Lachen. Er rannte einmal um den See und lief letztendlich der Prinzessin, die plötzlich wieder vor ihm stand, genau in die Arme, worauf beide ins Gras fielen.

David drehte sich mit aller Kraft, so dass die angebliche Prinzessin nun unter ihm lag und nahm das Mädchen in die Zange. „Das war wirklich ganz, ganz gemein von dir“, schimpfte der Junge. „Dass du mir die Hose weggenommen hast! Immerhin bin ich ein Junge und du ein Mädchen.“

„Glaubst du nun, dass ich eine Prinzessin bin?“, fragte das Mädchen, noch immer lachend, kroch unter David hervor und erhob sich wieder.

„Ich glaub’s dir ja. Aber gib mir jetzt bitte, bitte meine Sachen wieder. – Und … kannst du sie vielleicht vorher trocken zaubern?“

„Natürlich kann ich das“, sprach das märchenhafte Geschöpf grinsend. Und bevor David einmal Luft holen konnte, hatte er seine trockenen Sachen wieder an, dazu die Strümpfe und die Schuhe.

„Das ist genial“, staunte David. „Vielleicht bist du gar nicht so eingebildet wie Nathalie. Kannst du auch etwas zu Essen und zu Trinken zaubern? Kannst du mir das Zaubern vielleicht beibringen? Und kannst du …“

„Das Essen brauche ich nicht zu zaubern, die Tafel ist bestimmt schon gedeckt. Und Zaubern lernt man ausschließlich in der Zauberschule.“

„Etwa in Hogwarts?“

„Was soll denn ein Hogwarts sein? Du redest über merkwürdige Dinge, Mensch David. Nun komm schon mit, bevor ich es mir anders überlege und dich von den Nashornsoldaten in den Turm sperren lasse.“ Die Prinzessin nahm ihn einfach an die Hand und zog ihn mit sich. „Merkst du etwas?“, fragte sie.

„Was soll ich denn merken?“

„Du bist in den See der Heilung gefallen. Dir kann jetzt nichts mehr wehtun.“

Nun stellte auch David fest, dass ihm der Po nicht schmerzte.

„Was kannst du noch so?“, fragte der Junge, während sie einen schmalen Weg entlang liefen, zu dessen Seiten sich hohe, bunte Blumenraine erhoben, in denen unzählige Schmetterlinge flatterten.

„Na ja, ich lerne noch!“

„Ist das so eine Art Schule?“

„Nein, das macht meine Mutter, die Gute Königin.“

Sie kamen an ein Tor, vor dem ein aufrecht stehendes Nashorn Wache schob, das David mit untersuchenden Blicken musterte. Es hatte ein golden leuchtendes Horn auf der Nase, ansonsten sah es aus, wie die im Zoo.

„Er darf mit rein“, meinte die Prinzessin. „Das ist ein guter Mensch!“

Das Soldaten-Nashorn grunzte, öffnete das Tor und schloss es sofort wieder, nachdem die beiden Kinder hindurchgegangen waren.

David blieb erstaunt stehen. Vor sich sah er nun ein riesiges, felsiges Schloss, das tatsächlich wie ein Vulkan aussah und oben etwas Feuer spie.

„Das Vulkanschloss“, raunte er. „Ob Tabok schon hier angekommen ist?“

„Ja, ja! Der ist schon da! – Warte, David!“

„Du weißt meinen Namen?“

„Aber David, ich bin die Prinzessin. Ich habe schon über dich gelacht, als du mit dem Ug Spaß gemacht hast. Weißt du, ich habe sehr selten Spaß. Dreh dich um!“ David drehte sich um. Dann fühlte er, wie sich etwas an seinem Hosenboden zu schaffen machte.

„Was ist das?“

„Die Hose wird geflickt. Halt still, sonst stechen dich die Nadeln!“

David kniff die Pobacken zusammen und wagte kaum zu atmen. Die Prinzessin setzte schon wieder ihr hinterhältiges Grinsen auf. Genau in diesem Moment piekste eine Nadel zu und David jaulte auf.

„Oh Entschuldigung, war aus Versehen! So, fertig!“

David griff an seine Hose, die Löcher und Risse waren tatsächlich verschwunden. „Meine Mami könnte dich bestimmt gut gebrauchen.“

„Deine Mami?“

„Schon gut, Prinzessin. Und wie heißt du?“

„Ich bin die Gute Prinzessin.“

„Gute Prinzessin?“ David verzog sein Gesicht. „Das ist doch kein Name. Du hast bestimmt einen richtigen Namen. Oder?“

„Nein, habe ich nicht! Nur meine Mutter, die Gute Königin, ruft mich manchmal Röschen. Weil ich so schön, wie eine blühende Rose bin.“

„Röschen?“ Nun lachte David. „Du bist Röschen? Hast du irgendwann mal einhundert Jahre geschlafen?“

„Ich? Nein! So lange habe ich nie geschlafen. Warum sollte ich das?“

„Bei uns gibt es das Märchen von einem Dornröschen …, hätte ja sein können, dass du das warst. – Röschen … wie das klingt.“

Die Prinzessin knuffte David in die Seite. „Los komm jetzt, die Königin wartet bestimmt schon!“

„Ich komm ja schon, Röschen!“ David lachte wieder, dann folgte er der Prinzessin auf einem schmalen Weg, der sich aufteilte und in einer anderen Richtung zu einem hohen Turm führte.

Sie betraten das Schloss und das Menschenkind David blickte sich ehrfurchtsvoll um. Die Räume waren riesig, überall standen diese merkwürdigen Nashörner, Diener der Königin.

Beide rannten durch die langen Gänge und die Prinzessin lachte dabei. Bis sie in einen Raum kamen, der noch größer, schöner und prunkvoller war als die anderen Räume. Ein Saal mit gigantischen Ausmaßen, voller goldener Reliefs und Statuen. Und in der Mitte dieses Saals stand eine unglaublich lange Tafel. Und am Ende dieser unglaublich langen Tafel, saß die unglaublich schöne Gute Königin.

David näherte sich ihr und kam sich schäbig vor, in seiner schmutzigen Jeans und mit seinem ausgewaschenen T-Shirt.

Im Vulkanschloss

Die Gute Königin erhob sich. „Ich habe auf euch gewartet, Kinderchen!“ Sie nahm ihre Prinzessinnentochter an die Hand. „Kindchen, du sollst deinen Gast nicht immerzu ärgern! Ihm die Sachen wegzuzaubern, gehört sich nicht!“

David wurde rot. Sie hatte es gesehen! „Och, das war nicht so schlimm“, sagte er.

„Schlimm nicht, aber vielleicht peinlich. Komm her, Menschenkind!“ Die Gute Königin streckte ihre Hand aus und ergriff die von David. „Wir hatten bisher nie einen Menschen zu Gast in unserem Schloss. Ich freue mich, David. Auch wenn du das Gleichgewicht gehörig durcheinander gebracht hast – willst du der Königin die Hand reichen, dann solltest du dich ehrfurchtsvoll vor ihr verbeugen! Habt ihr Menschen das nicht gelernt?“

„Mami darf ich immer drücken, wenn wir uns sehen.“

„So, so – Drücken! Und wie geht dieses Drücken?“

„Ganz einfach“, meinte David. „Ich umarme Mami und sie umarmt mich. Und dann geben wir uns einen Kuss.“

Die Königin ließ ihre Prinzessinnentochter los. „Zeig mir das Drücken, David!“ David schaute der Guten Königin blinzelnd ins Gesicht. Nun erst bemerkte er, dass diese Königin seiner Mutter unglaublich ähnlich war. Deshalb zögerte er nicht lange, umarmte die Königin, drückte sie ganz fest an sich und gab ihr einen Kuss auf die Wange.

„Findest du das wirklich?“, fragte die Königin.

„Was finde ich?“

„Dass ich deiner Mami ähnlich bin?“

David nickte. Die Gute Königin konnte seine Gedanken lesen!

„Ab sofort wird die Königin gedrückt und geküsst, wenn man sie begrüßt! Keine altmodischen Verbeugungen mehr!“, befahl die Königin.

Der Nashornsolat grinste.

„Das gilt natürlich nicht für euch Soldaten!“

David warf einen Blick auf den leeren Tisch und rieb sich den Bauch. „Hab ich einen Hunger!“

„Oh“, meinte die Königin verlegen, „wie vergesslich von mir!“ Sie fuhr mit der Hand durch die Luft. Da funkelten ein paar Sterne durch den Saal und deckten den Tisch mit den leckersten Speisen.

David dachte gerade: Schade, dass kein rosa Wackelpudding mit Vanillesoße dabei ist, da erschien noch ein kleines Sternchen und stellte eine große silberne Schüssel mit rosa Wackelpudding und Vanillesoße auf den Tisch.

David setzte sich und begann unter den erstaunten Blicken der Königin, die leckeren Speisen in sich hineinzustopfen und alles mit Limonade herunterzuspülen. „Ganz lecker“, meinte er mit vollem Mund und leuchtenden Augen. Es war ihm egal, dass er von der Königin und Prinzessin Röschen beobachtet wurde. „Mami sagt, ich bin in der Wachstumsphase. Da muss man viel essen“, rechtfertigte sich der Junge mit vollem Mund.

Aber irgendwann war auch Davids Bauch voll und man setzte sich auf sehr bequeme Sessel vor einen dunklen Kamin. Die Prinzessin erhielt die Befugnis, das Feuer im Kamin anzufachen. So fuhr sie mit der Hand durch die Luft, entzündete jedoch zunächst den Schwanz eines ausgestopften Tieres, das auf dem Boden lag, was ihr sehr peinlich war. David fand es lustig. Beim zweiten Versuch entzündete sich endlich das Feuer im Kamin.

Tabok gesellte sich zu der Runde und nahm ehrfurchtsvoll Platz.

„Habt ihr diesen Plumbum gefangen?“, war die erste Frage, die aus David heraussprudelte.

„Nein, Mensch David“, erwiderte der Nebü Tabok, „kaum hatte er dich fallen lassen, da flüchtete er bereits durch die Luft! Selbst unsere besten Drachen waren nicht in der Lage, ihn aufzuhalten.“

„Das waren Drachen?“, fragte David erstaunt.

„Was dachtest du denn?“

„Dinosaurier! In einem Land vor unserer Zeit sahen die Dinosaurier genau so aus wie eure Drachen.“ Und weil alle fragend drein blickten, setzte er hinzu: „Das ist ein animierter Film.“

„Ach, ein animierter Film!“, rief Prinzessin Röschen. „Und, was ist das?“

„Das ist etwas, was man erst im Kino und später im Fernsehen anschauen kann. Oder auf DVD.“

„Ach ein Film“, meinte nun die Gute Königin, „natürlich – man kann ihn sich in der DVD anschauen!“ Sie lachte gekünstelt.

David runzelte die Stirn, außerdem musste er gerade jetzt aufstoßen. Kein Wunder nach dem reichlichen Essen. Er entschuldigte sich ordentlich, errötete aber trotzdem. Prinzessin Röschen kicherte.

Nach einer kurzen Pause sagte Tabok: „Kinder, bitte nehmt die Sache ernst! Krator weiß wahrscheinlich darüber Bescheid, dass David den Kristall gebracht hat!“

Es entstand betretenes Schweigen, das von David nach einem Weilchen unterbrochen wurde. „Was ist dieser Krator für einer? Und was soll das mit dem Kristall?“

Alle schauten David an. „Stell dir das Hässlichste vor, was du dir vorstellen kannst, David“, sagte die Prinzessin. David stellte sich den Mathematiklehrer Herrn Menge aus der Schule vor. Den konnte niemand leiden, weil er immer Unmengen von Hausaufgaben aufgab. Und schön sah der wirklich nicht aus. Eher alt und faltig.

„Ich sage dir, der böse König Krator ist noch viel, viel hässlicher.“

„Noch hässlicher? Aber bestimmt nicht so gemein. Herr Menge hat mir eine Sechs gegeben, nur weil ich im Unterricht gepopelt habe. Und meine Nase hat wirklich schrecklich gekrabbelt.“

„Wenn Krator dich beim Popeln erwischt, dann gibt er dir eine Sieben!“, rief Prinzessin Röschen.

„Nein, eine Acht!“, rief die Gute Königin.

„Ach was, eine Neun!“, rief Tabok und schlug mit der Hand auf den Tisch.

„Oder eine Eins“, brummelte das Nashorn an der Tür. Alle drehten sich zu ihm um und runzelten die Stirn.

Röschen fand die Sprache als erste wieder. „Immer, wenn Krator etwas Böses tut, dann wächst ihm …“

„… die Nase?“, fragte David sogleich und alle lächelten verbissen.

„Wie kommst du auf die Nase?“

„Wie bei Pinocchio, wenn er gelogen hat. Was soll ihm denn sonst wachsen?“ Er sah an sich hinab und wurde schon wieder rot.

Prinzessin Röschen schüttelte den Kopf. „Nicht, was du denkst. Immer, wenn Krator etwas Böses tut, dann wächst ihm ein Furunkel auf der Stirn.“

„Und was ist mit dem Kristall“, lenkte David mit einer Frage ab. „Was hat es damit auf sich?“

Die Königin griff zu einem Glas und trank.

Tabok schnäuzte sich kräftig die Nase.

Prinzessin Röschen fragte ablenkend: „David, willst du noch was Süßes naschen?“

Der Junge aber sprang von seinem Sessel hoch und schrie, dass es durch das ganze Schloss hallte: „ICH WILL JETZT WISSEN, WAS MIT DEM KRISTALL LOS IST!“

Das Geheimnis des Amethysts

Alles wurde still und blieb stehen, selbst das Feuer im Kamin hörte auf zu flackern.

„Nun gut“, sagte die Gute Königin nach einem kräftigen Luftholen. „Seit tausend Jahren ist im Gutbösereich das Gleichgewicht zwischen Gut und Böse hergestellt!“

„Es gab im Streit um die Übermacht keinen Gewinner und natürlich auch keinen Verlierer!“, setzte Tabok fort.

„Und man erzählte sich die Legende von einem Menschen“, ergänzte die Prinzessin. Alle drei starrten Löcher in David. „Einem jungen Menschen. Einem Kind.“

Der tippte sich gegen die Brust. „Meint ihr etwa mich?“

„Zweifellos scheinst du ein Mensch zu sein. Die Legende besagt, dass eines Tages ein Mensch ins Gutbösereich kommen und das Gleichgewicht durcheinander bringen wird. Angeblich soll er einen Kristall bei sich haben, der das Gute in sich birgt, weil er traumhaft schön ist, aber auch das Böse, weil er von eben diesem Menschen gestohlen wurde.“

„David!“ Prinzessin Röschen erhob sich aus ihrem Sessel, die Hände gefaltet. „Sag bitte, dass du den Amethyst nicht gestohlen hast!“ Es wurde mucksmäuschenstill im Saal. Alle, auch das Nashorn an der Tür, blickten David abwartend an.

Der ließ die rechte Hand in die Hosentasche gleiten, nahm den Amethyst heraus und legte ihn auf den Tisch. Dann flüsterte er: „Entschuldigung! Ich hab ihn geklaut. Ich geb’s ja zu!“

Der Kristall flackerte für einen Moment auf und strahlte dann mit einem mächtig blendenden Licht. Kaum hatte dieses Licht seine absolute Helligkeit erreicht, da verlosch es schlagartig wieder und aus dem Inneren des Kristalls krochen violettschwarze Nebel-Wolken über den Tisch.

Die Gute Königin berührte ihre Stirn und täuschte eine Ohnmacht vor.

Die Prinzessin seufzte tief und hielt sich die Hände vors Gesicht.

Tabok schlug knallend mit der Hand auf den Tisch, dass die Kristallgläser klirrten.

Selbst das Soldaten-Nashorn an der Tür versteckte sich eilig hinter einem hohen Schrank.

„Ich wusste doch nicht …“ David setzte sich, wie er es in solchen Fällen gewöhnt war, im Schneidersitz hin, vergrub das Gesicht in den Händen, versuchte ein wenig zu weinen und dicke Tränen herauszupressen, um Mitleid zu erzeugen. Und wie fast immer, gelang es ihm auch in diesem bedrückenden Moment.

„Natürlich wusstest du das nicht. Bestimmt hättest du den Kristall später zurückgebracht“, schützte ihn die Königin.

„Dazu ist es nun zu spät“, schlussfolgerte Tabok. „Wir müssen einen Plan schmieden, wie wir das Unheil von unserem Gutbösereich abhalten können.“

„Und was für ein Plan soll das sein?“, fragte David.

Doch Tabok zuckte mit den Schultern.

„Warum eigentlich laufen die Gutzwerge ständig weg?“, fragte David zur Überraschung der Anwesenden.

„Das war ein sehr merkwürdiger Übergang, David. Wir machen uns darüber Gedanken, wie wir unser Reich retten können, und du stellst uns eine typische Menschenfrage“, stellte Tabok fest.

„Vielleicht hängt es ja miteinander zusammen?“

Prinzessin Röschen rückte ein wenig dichter an David heran und flüsterte ihm ins Ohr: „Es gibt Gutzwerge und Böszwerge. Die Böszwerge versuchen schon seit aller Zeit, die Gutzwerge zu fangen. Deshalb laufen die Gutzwerge immer wieder davon.“

„Und wenn die bösen Zwerge einen guten gefangen haben, was machen sie dann mit ihm?“, fragte David zurück, während seine Augenlider zuckten.

„Sie bekommen etwas von ihm, doch keiner weiß was. Dann lassen sie ihn wieder laufen, damit sie ihn später erneut fangen können“, hauchte die Prinzessin in Davids Ohr. „Ach so ist das!“ Genau genommen verstand David aber kein Wort. „Und die Zwerge arbeiten nicht in kleinen Bergwerken und sammeln keine Kristalle, Gold oder Silber? Und die haben auch keine Zipfelmützen, wie bei Schneewittchen?“

Röschen tippte mit ihrem Zeigefinger gegen Davids Stirn. „Du spinnst ja, David!“

„Nun, liebe Freunde“, die Königin erhob sich. „Es bleibt uns nichts anderes übrig, als den Allwissenden Quader zu fragen, was wir tun sollen!“

„Den Allwissenden Quader“, wunderte sich David. „Ich dachte immer, es wäre eine KUGEL, die alles Wissen der Welt in sich trägt. Wenigstens war es in den Filmen so, die ich gesehen habe.“

Die Königin und Tabok lachten laut. „Eine Kugel! Als würde es eine Allwissende Kugel geben. So ein Blödsinn. Was sind das nur für merkwürdige Filme, die ihr Menschen habt?“

„Und wo finden wir den Allwissenden Quader?“, wagte David zu fragen.

Sogleich setzte sich die Königin wieder. „Das … Das ist nicht so einfach!“

Prinzessin Röschen kniete sich vor David nieder und ergriff seine Hände. „Den Allwissenden Quader kann man nicht fragen“,raunte sie, „weil man niemals zu ihm gelangt. Er wird von drei Kreaturen bewacht, im Verborgenen Raum, im Verborgenen Haus, in der Verborgenen Stadt, im Verborgenen Land. Deshalb konnte bislang niemand dem Allwissenden Quader eine Frage stellen.“

„Das klingt aber wirklich ziemlich kompliziert“, stellte David fest und kratzte sich am Kopf. „Warum sagt die Königin, dass ich den Allwissenden Quader fragen soll, wenn das nicht geht? Weiß denn überhaupt jemand, wo man das Verborgene Land finden kann?“

Die Gute Königin hüstelte verlegen. „Nein! Ich denke … eher nicht!“

Tabok hüstelte leicht, als wüsste er einen Rat. „Es heißt, das Alte Wußlon hat die Verborgene Stadt einmal betreten. Man erzählt es sich wenigstens!“

„Das Alte Wußlon?“ David wunderte sich schon lange über nichts mehr. „Und wo findet man dieses Ding? Ist das Alte Wußlon auch verborgen?“

„Nein! Das Alte Wußlon lebt längst nicht mehr. Ein böser Nebü hat es vor vielen Jahren zur Strecke gebracht. Warum er es tat, kann ich dir leider nicht sagen.“

„Und kann man jemanden fragen, wenn es nicht mehr lebt?“ Davids Stimme klang ungehalten. „Außerdem müssen wir uns ein bisschen beeilen, weil in zwei Wochen die Schule wieder losgeht, und dann …“

Die Gute Königin beseitigte diese Angst. „David, mach dir darüber keine Gedanken! Notfalls schreibe ich dir eine Entschuldigung!“

„Das wäre dann auch dringend notwendig. Meine Klassenlehrerin nimmt das sehr genau!“

Tabok erhob sich. „Hast du denn alles schon wieder vergessen, David? Im Wald der Vorfahren können wir das Alte Wußlon finden und befragen. Noch zwei Nächte, dann wird Vollmond sein. Es gibt da zwar noch ein paar kleine Problemchen, die bekommen wir aber sicherlich in den Griff.“

„Ein paar kleine Problemchen?“, fragte David. „Na, prima!“

Nun erhob sich auch die Gute Königin von ihrem Sessel, gähnte absichtlich laut und meinte: „So, Kinderchen, wir sollten ins Bett gehen und schlafen, damit wir wieder zu Kräften kommen! Den hier …“, sie nahm den Kristall in die Hand, „… lasse ich von zehn Soldaten bewachen!“

„Wie heißen diese Nashörner bei euch?“, fragte David und zeigte auf die Wache an der Tür.

„Die Soldaten? Die nennen wir Nashörner. Siehst du, sie haben statt der Nase ein goldenes Horn.“

David schüttelte seinen Kopf. In diesem Land war alles anders. Aber ausgerechnet die Nashörner hießen Nashörner. Das sollte doch verstehen, wer wollte. Wo war er da nur hineingeraten? Jedenfalls ließ er sich sein Zimmer zeigen, das am Ende eines langen Ganges lag, ziemlich weit oben im Vulkanschloss, wo es sehr warm war. Der Junge musste jedoch keine Angst haben. Direkt neben seinem, befand sich das Zimmer von Prinzessin Röschen.

Klarawellen und Zombiander

In der Nacht träumte David einen merkwürdigen Traum. Er sah viele Lichter in einem Besucher-Bergwerk. Polizisten und Helfer suchten etwas. Er sah auch Mami und Papi. Mami weinte und Papi versuchte Mami zu trösten.

Dann sah David im Traum, dass ein Hund an einem Schacht ganz toll bellte. Und ein Feuerwehrmann wurde abgeseilt. Als man ihn lange Zeit später wieder hinaufzog, hielt er einen menschlichen Körper in den Armen. Es wurde viel gerufen und gerannt. Man brachte ein gerettetes Kind zu einem Krankenwagen. Und der fuhr mit Blaulicht und Sirene ins Krankenhaus nach Neustadt. Das Kind wurde in ein Bett gelegt. Es schien ganz fest zu schlafen. Jemand versuchte, es zu wecken.

„David! – David!“

David schreckte hoch. Draußen war es schon hell. Es war aber niemand im Zimmer. Wer hatte ihn nur geweckt?

„Komm her, David! Du musst dich waschen und die Zähne putzen!“