5,99 €
Seit dem Tod seiner Mutter ist Lachlan Buttar auf sich allein gestellt und reist ziellos und entwurzelt umher. Erst als Foster und Javi anbieten, ihn auf ihrer Farm aufzunehmen, kann er endlich ein richtiges Zuhause finden. Dort lernt Lachlan auch Abe Armitage kennen, einen weiteren Hilfsarbeiter, zu dem er sich sofort hingezogen fühlt. Doch sie haben kaum Zeit, ihre aufkeimenden Gefühle füreinander zu vertiefen, denn Lachlan ist Zeuge eines Verbrechens geworden und es gibt Menschen, die ihn für immer zum Schweigen bringen wollen. Wird er mit Abe an seiner Seite in der Lage sein, sich seinen Verfolgern zu stellen, oder wird diese Bedrohung jegliche Chance auf Glück für ihn auslöschen?
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 320
Deutsche Erstausgabe (ePub) Oktober 2019
Für die Originalausgabe:
© 2017 by Andrew Grey
Titel der amerikanischen Originalausgabe:
»Growing his dream«
Originalverlag:
Published by Arrangement with Dreamspinner Press LLC, 5032 Capital Circle SW, Ste 2, PMB# 279, Tallahassee, FL 32305-7886 USA
Für die deutschsprachige Ausgabe:
© 2019 by Cursed Verlag
Inh. Julia Schwenk
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,
des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung
durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,
Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit
Genehmigung des Verlages.
Bildrechte Umschlagillustration
vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock
Satz & Layout: Cursed Verlag
Covergestaltung: Hannelore Nistor
Druckerei: CPI Deutschland
ISBN-13: 978-3-95823-781-0
Besuchen Sie uns im Internet:
www.cursed-verlag.de
Aus dem Englischen von Tasha N. Brooks
Liebe Leserin, lieber Leser,
vielen Dank, dass Sie dieses eBook gekauft haben! Damit unterstützen Sie vor allem den Autor des Buches und zeigen Ihre Wertschätzung gegenüber seiner Arbeit. Außerdem schaffen Sie dadurch die Grundlage für viele weitere Romane des Autors und aus unserem Verlag, mit denen wir Sie auch in Zukunft erfreuen möchten.
Vielen Dank!
Ihr Cursed-Team
Klappentext:
Seit dem Tod seiner Mutter ist Lachlan Buttar auf sich allein gestellt und reist ziellos und entwurzelt umher. Erst als Foster und Javi anbieten, ihn auf ihrer Farm aufzunehmen, kann er endlich ein richtiges Zuhause finden. Dort lernt Lachlan auch Abe Armitage kennen, einen weiteren Hilfsarbeiter, zu dem er sich sofort hingezogen fühlt. Doch sie haben kaum Zeit, ihre aufkeimenden Gefühle füreinander zu vertiefen, denn Lachlan ist Zeuge eines Verbrechens geworden und es gibt Menschen, die ihn für immer zum Schweigen bringen wollen. Wird er mit Abe an seiner Seite in der Lage sein, sich seinen Verfolgern zu stellen, oder wird diese Bedrohung jegliche Chance auf Glück für ihn auslöschen?
Lachlan Buttars Füße taten jetzt schon weh. Er war seit einer Stunde unterwegs und ihm ging langsam die Luft aus. Bei jedem Schritt drückten seine Schuhe die Seiten seines Fußes, wenn er ihn nicht ein wenig zur Seite neigte, aber das sorgte nach einiger Zeit dafür, dass sein Knöchel schmerzte.
Die leeren Felder mit den Stoppeln der letzten Maisernte auf beiden Seiten der Straße boten keinen besonders schönen Ausblick. Er blieb an einer Kreuzung stehen, sah zuerst geradeaus und dann nach links und rechts, während er versuchte, sich zu entscheiden, in welche Richtung er gehen sollte. Nicht, dass es sonderlich wichtig gewesen wäre.
Sein Ziel war es, Grand Rapids zu erreichen. Vielleicht konnte er dort Arbeit finden und versuchen herauszufinden, was er jetzt tun würde. Er wusste, dass die Stadt im Osten lag und in diese Richtung war er unterwegs.
April konnte eine großartige Jahreszeit sein, aber dieser Tag gehörte nicht dazu. Er überquerte die Kreuzung und ging weiter. Stehen zu bleiben, würde ihn seinem Ziel nicht näher bringen, egal, wie sehr ihm die Füße wehtaten. Sie waren egal, alles war egal. Es war nicht so, dass er bessere Schuhe hatte, die er tragen konnte. Diese waren die einzigen, die er besaß und sie waren nicht einmal neu gewesen, als er sie bekommen hatte. Der Asphalt breitete sich unendlich weit vor ihm aus. Um sich von den Schmerzen beim Gehen abzulenken, versuchte Lachlan, an einen besseren April zu denken, etwas, das seine Laune hob und ihm positive Gedanken bescherte.
Vor zwei Jahren, in einer scheinbar völlig anderen Zeit, hatte seine Mutter ihn mit in den Urlaub genommen. Sie hatte irgendeinen Wettbewerb gewonnen, zumindest hatte sie ihm das erzählt. Daher hatte sie ihn von der Schule befreit, sie waren in ein Flugzeug gestiegen und nach Orlando geflogen, wo sie vier Tage in den Freizeitparks verbracht hatten. Irgendwo in seinem Rucksack hatte er die dunkelblaue Micky-Maus-Kappe gestopft, die sie ihm gekauft hatte, während sie dort gewesen waren. Auf dieser Reise hatte er alles Vorstellbare erleben dürfen und er konnte sich nicht erinnern, jemals glücklicher gewesen zu sein.
Nun, zumindest waren es die letzten glücklichen Momente, an die er sich erinnern konnte. Nachdem sie nach Hause gekommen waren, hatte sie ihm die Wahrheit gesagt. Es gab keinen Wettbewerb und die Reise war eine Art Farce gewesen, ein letztes glückliches Zwischenspiel, bevor sie ihm die Nachrichten unterbreitete, die sein Leben für immer verändern würden und die letztendlich dazu geführt hatten, dass er eine Landstraße entlanglief, während die Wolken über ihm schwerer und schwerer wurden. Nicht mehr lange und er würde den kleinen pinken Regenschirm hervorholen müssen, den er in seinen Rucksack gepackt hatte. Er hatte seiner Mutter gehört und er hatte ihn nicht zurücklassen wollen.
Lachlans Schritte wurden immer qualvoller, während er weiterging. Der Schmerz, den er versucht hatte zu ignorieren, wurde unerträglich. Er setzte sich auf einen alten Baumstumpf und atmete erleichtert auf, als der stechende Schmerz zu einem dumpfen Pochen wurde und langsam nachließ. Er wagte es nicht, seinen rechten Schuh auszuziehen, um seinen Fuß zu reiben, damit es besser wurde. Vermutlich war er geschwollen und es wäre die Hölle, den Schuh wieder anzuziehen. Normalerweise hatte er keine Probleme mit seinen Füßen, aber diese Schuhe waren... nun, vielleicht wäre er barfuß besser dran. Lachlan stand wieder auf und ging weiter, einen Schritt nach dem anderen, und nach einer Weile schmerzten seine Füße in den Second-Hand-Schuhen, die vermutlich eine Nummer zu klein waren, nicht mehr so sehr.
Ihm war bewusst, dass er noch Meilen vor sich hatte und beschleunigte deshalb sein Tempo. Wenn er schneller lief, würde er viel früher dort ankommen, wo er hinmusste. Natürlich begann es in diesem Moment zu regnen. Nicht nur ein leichtes Nieseln, sondern ein heftiger Frühlingsregen. Lachlan holte den Schirm heraus, öffnete ihn und hielt den kleinen Schutz direkt über seinem Kopf, während er weiterging. Der Regenschirm hielt seinen Oberkörper ziemlich gut trocken, aber die untere Hälfte seiner Hosenbeine waren bald nass und seine Schuhe und Socken weichten durch.
Der Schmerz in seinem Fuß kam einige Minuten später umso schlimmer zurück und Lachlan sah sich nach irgendeinem Unterstand um. Vor ihm lagen ein paar Gebäude und er ging, ohne viel nachzudenken auf sie zu.
Er näherte sich einem Farmhaus, das mit seiner abblätternden weißen Farbe in diesem Regen ebenso trostlos aussah wie Lachlan sich fühlte, aber er war verzweifelt, also bog er von der Hauptstraße ab und ging die Einfahrt hinauf. Er machte drei Schritte und ein Hund – groß, schwarz und lautstark bellend – raste um das Haus herum und direkt auf ihn zu. Lachlan machte kehrt und ging so schnell er konnte zur Straße zurück. Glücklicherweise blieb der Hund am Ende der Einfahrt stehen und bellte sich die Seele aus dem Leib, knurrte und sah ihm nach. Also setzte Lachlan seinen Weg fort.
Er überquerte eine weitere Kreuzung, die Feuchtigkeit schien in seinen Körper zu kriechen, tiefer in seine Kleidung zu dringen und die Hitze auszulöschen. Elend gesellte sich zu seinen Schmerzen, aber er hatte keine Wahl – er musste weitergehen. An einer Ecke kam er an einer Art kleinem Stand vorbei und Lachlan fragte sich, ob er abgeschlossen war. Er versuchte es an der Tür, aber sie ließ sich nicht öffnen. Gott, wenn er nur hineinkriechen könnte, dann hätte er Schutz vor dem Regen und könnte sich eine Weile ausruhen. Fehlanzeige.
An der nächsten Einfahrt blieb er stehen und fragte sich, ob sich ein weiterer Hund auf ihn stürzen würde. Er sah keinen. Er konnte nur Kühe erkennen, die dicht beieinander unter einem Vordach standen, schwarz-weiße Tiere, die Schutz vor dem Regen suchten.
Lachlan ging die Einfahrt hinauf, zog seinen schmerzenden Fuß halb hinter sich her und blieb damit an einem Stein hängen. Er verlor das Gleichgewicht, versuchte sich zu fangen und es gelang ihm halbwegs, zumindest fiel er nicht auf die Nase. Allerdings landete er in einem Graben, seine Füße und Beine in eiskaltem Wasser. »Verdammt«, fluchte er, während sich seine Misere verschlimmerte. Lachlan stand auf und stöhnte. Der Regenschirm, sein einziger Schutz, war verbogen und zerrissen. Er versuchte, ihn zu reparieren, aber das machte die Sache nur schlimmer und die Stangen brachen einfach auseinander.
Er wollte weinen, aber stattdessen schloss er den Schirm und warf ihn zu Boden. Er wusste nicht, was er tun sollte.
»Junger Mann!«, rief jemand. »Hast du dich verletzt?« Eine ältere Dame kam langsam mit einem großen schwarzen Regenschirm auf ihn zu.
Er sah an sich hinab und erkannte, dass er nicht verletzt war, sondern nur fror. »Nur nass, denke ich.«
Sie kam näher und musterte ihn. »Komm besser mit mir nach drinnen. Hier draußen holst du dir den Tod. Das wird vor morgen nicht aufhören.« Sie drehte sich um und sah die Straße in beide Richtungen hinunter. »Bist du von der Stadt hergelaufen?«
»Ja, Ma'am.« Lachlan sah auf seine durchnässten Schuhe hinab und wackelte, in dem Versuch, sie aufzuwärmen, mit seinen Zehen. Es war vergeblich und er begann zu zittern.
»An einem Tag wie heute? Bist du nicht ganz richtig im Kopf?« Sie musterte ihn von oben bis unten. »Du wirkst nicht verrückt.« Sie kam noch näher und sah ihn aus ihren braunen Augen an. »Du hast definitiv nicht diesen Blick und ich sollte es wissen. Ich habe in meinem Leben eine Menge Verrückte gesehen.«
Lachlan hätte vielleicht gelächelt, wenn er nicht nass und durchgefroren gewesen wäre und sein Fuß nicht vor Schmerzen gepocht hätte. Der Gedanke, einen weiteren Schritt zu gehen, war unerträglich.
»Komm mit, Liebling. Lass uns reingehen.« Sie deutete zum Haus und Lachlan setzte einen Fuß vor den anderen, wobei er versuchte, nicht bei jedem Schritt zusammenzuzucken. »Was ist passiert?«
»Es sind die Schuhe, glaube ich–« Lachlan machte den Mund wieder zu. Niemand musste seine rührselige Geschichte hören. Er richtete sich auf, ignorierte den Schmerz und ging zu der Stelle, wo er sie zuerst entdeckt hatte. Lachlan hielt ihr die Tür auf und nachdem sie hineingegangen war, folgte er ihr. Er blieb in der Dreckschleuse stehen, tropfte den ganzen Boden voll und wollte nicht weitergehen.
»Katie, was ist los?«, fragte eine weitere Frau. Sie trug eine hellblaue Bluse und Jeans, eine Schürze und ihr Haar zeigte die ersten Spuren von Grau. Lachlan vermutete, dass sie irgendwie verwandt waren.
»Ich habe einen begossenen Pudel gefunden. Der Junge ist von der Stadt hergelaufen. Ich bin nicht sicher, wo er hinwollte, aber so nass wie er ist, ist sein nächster Halt das Krankenhaus, wenn er sich nicht aufwärmt.«
Die andere Frau sah ihn an. »Okay. Ich werde ein paar von Fosters Klamotten holen, damit er sich etwas Trockenes anziehen kann. Wärm du ein wenig Suppe auf. Er muss auch von innen warm werden.«
»Wo ist Foster?«
»Er ist mit Abe im Stall und bereitet das Melken vor, denke ich. Javi ist in die Stadt gefahren. Er wollte die Ackerfräse von der Reparatur abholen.« Sie verließ den Raum und Katie hängte ihren Regenschirm auf.
»Los, zieh diese Schuhe und Socken aus.« Sie ging in das angrenzende Badezimmer und gab ihm ein Handtuch. »Trockne dich ab so gut du kannst. Ich werde anfangen, dir etwas Heißes aufzuwärmen.«
Mit einem Lächeln deutete sie in die Richtung, in die die andere Frau verschwunden war. »Das war Harriet, meine Schwiegertochter. Sie wird dir trockene Klamotten bringen. Ich bin Katie. Nenn mich einfach Grandma Katie, das machen alle.«
»Ich heiße Lachlan.«
»Habe ich dich nicht vor ein paar Wochen in der Kirche gesehen?« Grandma Katie öffnete den Kühlschrank und holte eine Plastikschüssel heraus. Sie öffnete sie und ihm stieg der verlockende Duft von Essen in die Nase.
»Ja, Ma'am, das kann sein. Ich bin eine Weile beim Pastor untergekommen und er hat mich mitgenommen.« Lachlan trocknete sich die Haare und das Gesicht ab, als Harriet mit einem kleinen Kleiderbündel zurückkam.
»Zieh dir das an und komm dann zu uns. Wir geben dir was zu essen und du kannst uns erzählen, wieso du an so einem Tag hier draußen rumläufst.«
»Danke.« Lachlan nahm die Kleider und ging ins Badezimmer. Er schloss die Tür und streifte seine nassen Sachen ab. Sobald er etwas Trockenes anhatte, fühlte er sich sofort besser und die knochentiefe Müdigkeit, die sich ausgebreitet hatte, überkam ihn. Aber das Atmen fiel ihm leichter und seine Lungen taten nicht länger weh. Das war eine große Verbesserung, auch wenn seine Füße noch immer höllisch schmerzten. Saubere, trockene Socken halfen ihm auch. Während er im Badezimmer war, wusch er sich die Hände und das Gesicht, damit er sich etwas frischer fühlte.
Lachlan legte seine nassen Klamotten zusammen, die Harriet ihm abnahm, als er das Badezimmer verließ. Sie wandte sich ab und hielt mit einem Strumpf in der Hand inne. »Blutest du?«
»Es muss an meinen Schuhen liegen. Ich–«
Harriet eilte aus dem Raum und kehrte einige Sekunden später zurück. »Setz dich hin und zieh die Socken aus.« Lachlan gehorchte und sie machte missbilligende Geräusche, während sie sich seine Füße ansah.
»Die gute Salbe ist oben im Schrank«, sagte Grandma Katie.
»Ich hole sie. Du bleibst hier.« Schnell verließ sie den Raum und Lachlan saß still. Er hatte ein wenig Angst, sich zu bewegen. Die beiden Frauen waren ein Wirbelwind aus Fürsorglichkeit und Sorge, etwas, das er seit einiger Zeit nicht erlebt hatte und er wollte nichts tun, was sie aus dem Konzept brachte. Als Harriet zurückkehrte, behandelte sie seine Füße und zog ihm die Socken wieder an. »Du musst dich eine Weile ausruhen. Deine Füße sehen furchtbar aus. Wo hast du diese Schuhe her?« Harriet ging zu ihnen hinüber und hob sie vom Boden der Dreckschleuse auf, um sie zu mustern.
»Aus dem Altkleidercontainer der Kirche«, gab Lachlan zu und spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg.
Grandma Katie brachte eine Schüssel mit dampfender Suppe zu ihm hinüber und stellte sie mit einem riesigen Glas Apfelsaft und einem Teller mit Brot vor ihm ab. »Iss auf, junger Mann.«
Das musste sie Lachlan nicht zweimal erzählen. Er nahm den Löffel und begann, die Nudelsuppe mit Rindfleisch zu essen als wäre sie Himmelsbrot. Verdammt, vielleicht war sie das auch und die beiden Frauen waren verkleidete Engel. »Danke.« Er nahm einen Bissen des selbstgemachten Brots und hätte beinahe gestöhnt. »Das ist richtig gut.«
»Iss langsam, Liebling. Es gibt mehr und niemand wird es dir wegnehmen.« Grandma Katie setzte sich ihm gegenüber an den abgenutzten Tisch. »Wie lange ist es her, dass du etwas gegessen hast?«
»Einen Tag, glaube ich.«
Harriet stellte Grandma Katie eine Tasse hin und setzte sich dann ebenfalls. »Vielleicht erzählst du uns lieber, was passiert ist.«
Lachlan nickte, während er einen weiteren Löffel Suppe aß, die Hitze wärmte ihn, während das herzhafte Essen seinen Magen füllte. »Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.«
»Wie alt bist du?«, fragte Grandma Katie. »Müssen wir Pflegestellen oder den Staat kontaktieren oder so?«
»Siebzehn. Ich werde in zwei Wochen achtzehn. Sie werden nichts tun, weil ich zu alt für das System sein werde, sobald ich volljährig bin.«
»Gehst du zur Schule?«
Lachlan zuckte die Schultern. »Früher, aber jetzt nicht mehr, denke ich.« Dass er gegangen war, hatte alles verändert. Er aß weiter und wurde nach ein paar Minuten langsamer, als sich der unbändige Hunger beruhigte, der an ihm nagte. »Meine Mom und ich haben in Ravenna gelebt. Wir sind vor ein paar Jahren dorthin gezogen. Es ging uns gut. Sie hat dort bei einer Bank gearbeitet...«
»Was ist mit ihr passiert?«
Er schluckte, seine Kehle war mit einem Mal trocken. »Sie ist an Krebs gestorben und ich hatte kein Geld. Wir hatten eine nette Wohnung über einem der Geschäfte, aber ich konnte mir die Miete nicht leisten und musste raus. Ich habe so viel mitgenommen wie ich konnte, aber das meiste unserer Sachen wurde einfach...« Es hatte keinen Sinn, wegen all dem emotional zu werden, denn er konnte nichts daran ändern. Alles war weg. Nicht, dass sie vorher sonderlich viel gehabt hatten.
»Was ist mit deinem Vater?«, fragte Harriet.
Lachlan zuckte erneut mit den Schultern. Solange er sich erinnern konnte, waren seine Mom und er allein gewesen. Er aß seine Suppe auf und biss von dem Brot ab.
»Warst du deshalb unterwegs? Wohin wolltest du gehen?«
»Ich hatte keinen Ort, an den ich gehen konnte. Ich dachte, wenn ich es in die Stadt schaffen würde... Grand Rapids ist nicht so weit weg, vielleicht hätte ich dort einen Job finden können, um genug Geld für den Lebensunterhalt zu verdienen. Aber wie ihr seht, habe ich die Dinge nicht besonders gut durchdacht.« Er wollte gerade weitererzählen, als sich die Hintertür öffnete und zwei Männer hereinkamen, die älter waren als er.
»Was ist los?«, fragte der größere von beiden mit einer Aura der Autorität.
»Foster«, sagte Harriet. »Das ist Lachlan...«
»Lachlan Buttar.«
»Er war bei diesem Wetter zu Fuß nach GR unterwegs«, sagte Grandma in einem Tonfall, der keine Diskussion zuließ. »Das ist mein Enkelsohn, Foster.« Sie wandte sich an den anderen Mann. »Abe ist unsere Vollzeitaushilfe.« Sie stand auf, während Lachlan die beiden mit einem Lächeln begrüßte. »Seid ihr mit dem Melken fertig?«
»Ja«, grummelte Foster. »Bob hat angerufen. Sie haben den Milchpreis wieder gesenkt. Er wird gerade so weit erhöht, dass wir vorankommen können und sinkt dann wieder.« Foster setzte sich und hielt ihm eine Hand hin. »Freut mich.«
Ein dritter Mann kam herein und stellte die Taschen, die er trug, auf die Arbeitsfläche. Er kam herüber, um Katie und Harriet zu umarmen, bevor er seine Arme von hinten um Fosters Hals legte. Als er Lachlan bemerkte, lächelte er. »Hi. Ich bin Javi.«
»Er ist Fosters Partner«, erklärte Grandma Katie.
Lachlan fragte sich, ob die Bezeichnung Partner das bedeutete, was er glaubte und hoffte.
Javi setzte sich neben Foster und Abe saß neben Harriet. »Weshalb warst du unterwegs?« Javi musterte ihn und sah dann Harriet an. »Wieso trägt er Fosters Sachen?« Offensichtlich entging Javi nichts.
Bevor Harriet antworten konnte, ergriff Grandma Katie das Wort. »Er war durchnässt vom Regen und ist Hals über Kopf im Graben gelandet. Ich wollte ihn nicht erfrieren lassen.« Niemand widersprach ihr. »Ich habe ihn vor ein paar Wochen in der Kirche gesehen«, fügte sie nachdrücklich hinzu.
»Ich bin eine Weile beim Pastor untergekommen.« Lachlan sah, dass Abe ihn anstarrte und er rutschte nervös auf seinem Stuhl umher.
»Ich habe dich auch dort gesehen«, sagte Abe sanft und schüttelte den Kopf.
Lachlan wollte unter den Tisch kriechen und vor Scham sterben. Wenn Abe in der Kirche gewesen war, hatte er vermutlich den schlimmsten und schamvollsten Tag in Lachlans Leben mitbekommen und Lachlan wollte nichts anderes, als ihn hinter sich zu lassen. Aber seine Demütigung würde für immer bleiben.
Abe wandte den Blick nicht ab und Lachlan wünschte sich, irgendwo anders zu sein. Sein Magen flatterte und seine Haut erwärmte sich unter dem aufmerksamen Blick aus Abes intensiven, himmelblauen Augen.
»Hier. Esst.« Grandma Katie stellte Suppenteller vor Foster und Abe. Dann nahm sie Lachlans Teller und kam mit einem für Javi und einer zweiten Portion für ihn zurück.
Lachlan bedankte sich bei ihr. Auf keinen Fall würde er eine extra große Mahlzeit ablehnen. Er hatte keine Ahnung, wann er wieder die Gelegenheit zum Essen bekommen würde, wenn er von hier weg war.
»Wie kommt die Planung des Gartens voran?«, fragte Foster Javi.
»Nun, ich denke, wir haben sie soweit fertig. Jetzt wo die Ackerfräse repariert ist, kann ich alles umgraben und dachte, wir könnten das Erdbeerbeet vergrößern. Ich kann das angrenzende Stück dieses Jahr umgraben und die Pflanzen werden bis zum nächsten Jahr im Prinzip von selbst wachsen. Ich würde gern mehr machen, aber uns geht der Platz aus.«
»Wenn wir uns nicht noch ernsthafter mit dem Gemüseanbau beschäftigen wollen, kommen wir, glaube ich, an unsere Grenzen.« Foster aß seine Suppe und Lachlan tat dasselbe, wobei er zuhörte, aber nichts sagte. Er warf kurze Blicke zu Abe, der sie manchmal erwiderte.
Gott, Abe war... Lachlan wusste nicht, wie er es beschreiben sollte. Er hatte ein nettes Lächeln, obwohl er eine kleine Lücke zwischen den Schneidezähnen hatte. Sein dunkelblondes Haar war lang und hing ihm ein wenig in die Augen. Er strich sich immer wieder die Locken aus dem Gesicht, aber sie fielen sofort zurück an ihren vorherigen Platz. Durch die Bewegung bekam Lachlan jedoch einen guten Blick auf Abes muskulöse Arme, besonders dort, wo sein Hemd die Muskeln umschmeichelte. Lachlan versuchte eine Beschreibung für Abe zu finden und entschied sich für auf eine raue Art gut aussehend. Sobald ihm die Worte durch den Kopf gingen, lief er rot an und wandte sich ab. Er sollte so nicht von anderen Männern denken. Das war ihm eindeutig klar gemacht worden.
Lachlan aß seine Suppe auf und sah aus dem Fenster. Es regnete in Strömen und der Gedanke, bei diesem Wetter wieder nach draußen zu gehen, ließ ihn bis auf die Knochen frieren, aber er hatte keine andere Wahl. Diese Leute waren nett zu ihm gewesen, hatten ihm die Gelegenheit gegeben, sich aufzuwärmen und ihm zu essen gegeben. Das war mehr, als er von irgendjemandem erwarten durfte. Er seufzte. »Ich sollte gehen.«
»Unsinn«, sagte Grandma Katie, während sie sich zum Fenster drehte, um hinaus zu sehen. »Es regnet immer noch und ist viel zu kalt.« Sie wandte sich an Foster. »Er hat sich die Füße verletzt und sie haben geblutet, als er seine Schuhe ausgezogen hat.«
»Ich will niemandem zur Last fallen«, sagte Lachlan leise.
Abe wandte sich an Foster und biss sich auf die Unterlippe.
»Wir haben mehr Arbeit als wir schaffen und Foster, du hast vorhin gesagt, dass wir uns für ein oder zwei Wochen eine Aushilfe suchen müssen, damit wir sicher sein können, dass alles für die Aussaat bereit ist.« Javi musterte Lachlan von oben bis unten. »Hast du schon mal auf einer Farm gearbeitet?«
»Sowas wie Kühe melken?« Lachlan schüttelte den Kopf. »Ich habe Gras gemäht und Blumenbeete von Unkraut befreit. Ich habe mich um die Gärten von unseren beiden Nachbarn gekümmert, bevor meine Mom und ich hierhergezogen sind. Ich kann fast alles machen.« In ihm erwachte ein Funken der Hoffnung zum Leben. »Was für Arbeit muss erledigt werden?«
»Ein paar Zäune müssen repariert werden und ich brauche jemanden, der die Geräteschuppen und den Gemüsestand an der Straße aufräumt. Grandma Katie könnte ein bisschen Hilfe im Keller brauchen, der neu organisiert werden muss.« Foster zählte weitere Dinge auf, während Lachlan versuchte, alles zu behalten. Dann wandte er sich an Javi und lächelte, bevor er sich wieder zu ihm drehte. »Glaubst du, das sind Dinge, die du tun kannst?«
»Ja.« Zumindest würde er ein Dach über seinem Kopf und etwas zu essen haben.
»Gut. Im Gegenzug bekommst du eine Unterkunft und etwas zu essen. Wir fangen morgen an. Der Regen soll aufhören und wenn die Sonne scheint, wird der Boden abtrocknen und wir können alle Frühlingsaufräumarbeiten erledigen und das Anpflanzen vorbereiten.« Foster schob seinen leeren Teller weg. »Ich will außerdem den Bereich zwischen dem Stall und dem Geräteschuppen freimachen.«
»Du meinst den Friedhof?«, fragte Abe.
»Ja. Wir müssen alles ausräumen. Dann werden wir alle brauchbaren Teile aussortieren und ich werde den Sperrmüll beauftragen, den Rest abzuholen. Es hat noch Schrottwert.«
»Was hast du mit dem Platz vor?«, fragte Harriet.
»Ich spiele schon seit einer Weile mit dem Gedanken. Grandma und Javi haben Käse hergestellt, um ihn auf dem Markt zu verkaufen und wir sind beliebt. Ich dachte, wir sollten das ausbauen und dort unsere eigene Molkerei eröffnen, um Eis und Käse und einige andere Produkte aus unserer eigenen Milch herzustellen. Wenn die Preise niedrig bleiben, können wir dennoch Geld verdienen, indem wir unsere Produkte aufwerten. Für das Eis werde ich eine Möglichkeit finden müssen, einen Gefrierschrank auf den Markt zu bringen, aber wir haben Zeit, uns etwas zu überlegen. Wir haben Strom.«
»Das ist eine Menge Arbeit«, bemerkte Harriet.
»Vielleicht.« Javi nahm Fosters Hand und jeder Zweifel über die Art ihrer Beziehung löste sich sofort in Luft auf. Zum ersten Mal seit Wochen entspannte sich Lachlan. Foster und Javi waren wie er und niemand schien sich daran zu stören oder wütend zu werden. »Aber wir brauchen ein weiteres ganzjähriges Geschäft.«
»Javi wird für die Molkerei zuständig sein, sobald sie gebaut ist und läuft. Ich habe ein bisschen recherchiert und es ist erstaunlich leicht, damit anzufangen. Wir werden ein getrenntes Gebäude bauen müssen, um sie unterzubringen, die richtigen Maschinen anschaffen und uns einer Inspektion unterziehen. Aber das ist kein Problem, da das von denselben Menschen durchgeführt wird, die wir bereits kennen.«
»Wie viel wird das kosten?«, fragte Harriet.
»Etwa die Hälfte unserer Ersparnisse, aber wir haben das Geld beiseitegelegt, damit wir die Farm erweitern können. Ich hatte ursprünglich an mehr Land und eine größere Herde gedacht. Aber wir können einen Teil dafür nutzen, sowie mehr Ackerland und einige zusätzliche Milchkühe, um die Molkerei zu unterstützen. Das Gute ist, dass wir es mit der Zeit vergrößern können. Wir fangen einfach an und sehen, wie es weitergeht. Wenn es nicht funktioniert, können wir den zusätzlichen Platz nutzen, um das Milchgeschäft auszubauen.«
»Du hast also gründlich darüber nachgedacht?«, fragte Harriet. Wenn Lachlan sie richtig einschätzte, war sie von diesem Plan nicht ganz überzeugt.
»Offensichtlich«, sagte Grandma Katie. »Wir haben alle dafür gearbeitet, das Unternehmen zu stabilisieren und Foster hat es geschafft. Gemüse wird uns nur bis zu einem bestimmten Punkt bringen und ich denke, solange wir nur natürliche, hochwertige Zutaten benutzen, könnte diese Molkerei richtig gut werden.« Sie wandte sich an Foster. »Meine Mutter hat früher hervorragendes Pfirsicheis gemacht. Ich erinnere mich, wie sie es gemacht hat. Wenn du das wirklich tun willst, könnten Javi und ich ein paar Rezepte kreieren, die die Leute von den Socken hauen werden. Eis, so wie es früher war, und nicht mit all dem künstlichen Zeug, das heute reingemischt wird.«
»Lasst uns später ein bisschen mehr darüber sprechen«, sagte Harriet und die anderen ließen das Thema fallen.
Lachlans Fuß schmerzte unter dem Tisch und als die anderen aufgegessen hatten, stand er auf, aber er war nicht sicher, wohin er gehen sollte.
»Komm mit mir«, sagte Grandma Katie und führte ihn ins Wohnzimmer. Sie setzte sich in einen Sessel und deutete zum Sofa, während sie den Fernseher einschaltete. »Setz dich und leg die Füße hoch. Hier gibt es nicht oft Zeit, um sich auszuruhen.« Sie nahm das Strickzeug, das neben dem Stuhl lag und machte sich an die Arbeit; ihre Finger bewegten sich und die Nadeln klickten leise.
Lachlan saß still und versuchte, so unsichtbar und so wenig wie möglich im Weg zu sein. Es war ziemlich deutlich gemacht worden, dass er es nicht wert war, bei anderen Menschen zu sein. Immerhin war er obdachlos, ohne Familie und siebzehn. Im Prinzip nutzlos für alle, wie ihm letzte Woche in der Kirche unmissverständlich gezeigt worden war. Lachlan wusste zu schätzen, was Grandma Katie und Harriet für ihn getan hatten und er hatte vor, sich dafür zu revanchieren.
»Lachlan«, sagte Harriet, als sie hereinkam und sich neben ihn setzte. »Probier diese Schuhe an und schau, ob sie passen. Ich habe sie für Foster gekauft, aber er sagt, dass sie ein bisschen zu klein sind.«
Sie gab ihm die Sportschuhe und Lachlan zog sie vorsichtig an. Er seufzte. Sie passten tatsächlich und waren bequem. Seine Füße taten immer noch ziemlich weh, aber als er aufstand, rieben sie nicht unangenehm und verletzten ihn nicht noch mehr. »Danke.« Lachlan setzte sich wieder hin, aber er fühlte sich seltsam, wenn er nichts machte.
Foster schob seinen Kopf durch die Tür. »Mom, ich gehe raus in den Stall. Ruf mich, wenn ihr etwas braucht.«
»Alles klar. Geht Javi mit dir?«
Foster nickte.
»Braucht ihr Hilfe?«, fragte Lachlan.
»Nun...«
»Er bleibt hier sitzen und leistet mir Gesellschaft«, sagte Grandma Katie. Sie wandte sich an Lachlan. »Du musst diese Füße schonen. Sie haben geblutet und wenn sie nicht verheilen, werden sie sich entzünden.«
»Grandma hat recht, wie immer. Ruh dich aus. Morgen wird es genug zu tun geben, wenn es nicht mehr wie aus Eimern schüttet.« Er wandte sich an seine Mutter. »Wenn du Zeit hast, bring Lachlan nach oben und zeig ihm das Gästezimmer.«
»Ich kümmere mich darum«, sagte Grandma Katie, ohne ihr Stricken zu unterbrechen.
Foster verließ den Raum und Harriet ließ sie ebenfalls allein. Lachlan hörte über die Geräusche des Fernsehers hinweg, wie sie in der Küche arbeitete. Nach einer Weile hörten Grandma Katies Nadeln auf, sich zu bewegen und von ihrem Sessel drang leises Schnarchen zu ihm hinüber. Er lehnte sich zurück und schloss die Augen. Er wollte nicht einschlafen, aber ihm war warm und er war satt und er hatte eine Unterkunft für die Nacht. Das reichte aus, um ihn in den Schlaf zu wiegen.
Foster saß mit einer Kaffeetasse vor sich in der Küche.
»Der Stall ist zu und alles ist bereit für morgen«, sagte Abe Armitage und setzte sich zu Foster. Das Melken war erledigt, die Kühe waren vor dem Wetter geschützt und Abe war vollkommen erledigt. Wetter wie dieses kostete immer mehr Energie als schönere Tage.
»Gehst du nach Hause?«
Abe nickte, stand jedoch nicht auf.
»Abe hat mir etwas erzählt, das du dir anhören musst«, sagte Javi leise, als er hereinkam.
»Was ist los?«, fragte Harriet, als sie in die Küche kam und Foster zuckte mit den Schultern, während sie und Javi sich hinsetzten.
»Nun, ich war letzten Sonntag in der Kirche.« Abe schüttelte den Kopf. »Ich gehe normalerweise nicht, weil sie... nun, sie vertreten mich nicht, aber mein Dad hat mir gesagt, dass ich gehen muss und er genug davon hat, dass ich die Messe verpasse. Ich glaube, er denkt, dass sie mich verändern oder so. Jedenfalls, am Ende der Messe stand Pastor Felder vorne und hat gesagt, dass ein Mitglied der Gemeinde in Not war.«
»Wir haben viele, die in Not sind«, sagte Harriet.
»Das ist anders«, mischte sich Javi ein und sie schwieg.
»Der Pastor hat Lachlan vor die gesamte Gemeinde geholt und gesagt, dass er ein paar Wochen bei seiner Familie untergekommen ist und dass er ein Zuhause brauchte. Er stand da vorne mit einer alten Baseballkappe in der Hand und hat sie hin und her gedreht. Es war alles sehr wie in einem Roman von Dickens.«
»Als wüsstest du, was das bedeutet«, neckte Foster ihn.
»Ich habe Eine Weihnachtsgeschichte mal in der Schule gelesen – ich weiß, wer Dickens war.« Abe verdrehte die Augen. »Die Sache ist, niemand hat sich gemeldet. Er stand einfach nur da, sah aus, als würde er verschwinden wollen und es war offensichtlich, dass der Pastor, arrogant wie er ist, Lachlan einfach aus seinem Haus haben wollte.« Abe schauderte. Er war kein Fan von Menschen, die für ihn Heuchler waren.
»Und jetzt war er im Regen unterwegs...«
»Ohne einen Ort, an den er gehen konnte.« Harriet beendete Fosters Satz für ihn. »Er hat gesagt, dass er bald achtzehn sein wird.«
»Ja. Ich kann mir nicht vorstellen, zu versuchen, mich in seinem Alter ohne ein Zuhause und ganz allein herumzuschlagen.«
Abe sah in Fosters Augen, dass seine Gedanken bereits auf Höchstgeschwindigkeit liefen.
»Mom, kannst du dich darum kümmern, dass er wieder zur Schule gehen kann? Er muss kurz vor dem Abschluss sein und den braucht er. Lachlan kann hier auf der Farm helfen und wir werden ihm ein Taschengeld geben und dafür sorgen, dass er alles hat, was er braucht.«
Aus diesem Grund hielt Abe so viel von Foster. Er dachte immer an andere Menschen und was sie brauchten. Foster hatte Abe vor einem Jahr einen Job auf der Farm angeboten, als er und sein Vater nicht miteinander gesprochen hatten. Das taten sie noch immer kaum und sie tolerierten sich im besten Fall. Abe fragte seinen Vater nicht nach seiner Bibeltreue und sein Vater sprach nicht mit Abe über die Tatsache, dass er Männer Frauen vorzog.
»Ich glaube nicht, dass ich jemals jemanden gesehen habe, der so elend aussah wie er an diesem Sonntag.« Abe versuchte, sich vorzustellen, wie er sich dort vorne gefühlt hätte, und die einzigen Worte, die ihm einfielen, waren nackt und vollständig entblößt.
»Er hat gesagt, dass seine Mutter vor nicht langer Zeit an Krebs gestorben ist.«
»Himmel«, flüsterte Abe, stand auf und ging zur Tür, um einen Blick in den anderen Raum zu werfen. Lachlans Augen waren geschlossen und ohne die Sorge und Angst, die sein Gesicht eine Stunde zuvor gezeichnet hatten, sah er so friedlich aus.
»Geht's ihm gut?«, fragte Harriet.
»Ja. Er schläft.«
»Er ist den ganzen Morgen vom Haus des Pastors hergelaufen und trug Schuhe, die nicht passten, und eine Jacke, die ihn kaum vor der Kälte schützen konnte. Er wollte weg und es gab niemanden, der ihn aufhalten konnte«, sagte Javi. »Ich weiß, wie sich das anfühlt. Ich bin einen weiten Weg gelaufen, um hierher zurückzukommen.« Foster nahm Javis Hand und Abe spürte einen Stich der Eifersucht. Nicht, dass er sich jemals zwischen die beiden drängen wollte, aber Abe wollte, was Foster und Javi hatten – einander und eine Familie, die sie unterstützte und sich um sie sorgte. »Wir werden ihm helfen.«
»Ich weiß, Liebling«, flüsterte Foster und lehnte seinen Kopf näher zu Javi.
»Ich weiß, wie es sich anfühlt, allein zu sein.« Der Schmerz in Javis Ton war greifbar und Foster stand auf, nahm Javis Hand und führte ihn aus dem Raum.
Abe sah auf die Tischplatte, während er zuhörte, wie sie die Treppe hinaufgingen. »Ich sollte nach Hause gehen.«
Er war hier ein bisschen das fünfte Rad am Wagen. Foster hatte ihm einen Job gegeben und ihm geholfen, weil sein Vater ihn nicht unterstützte, obwohl Abe ohnehin nicht daran interessiert war, für ihn zu arbeiten.
Harriet tätschelte seine Hand. »Ich weiß, dass es zwischen deinem Vater und dir gerade nicht gut läuft. Im Grunde ist er ein guter Mann. Rutland Armitage hat uns viel ausgeholfen und wir haben ihm geholfen. So machen wir das hier. Dein Dad ist im Moment nur verwirrt darüber, was er für richtig hält. Foster und sein Vater hatten einige Zeit lang ähnliche Meinungsverschiedenheiten.«
»Ja, aber...«
Sie drückte seine Hand. »Dir ist klar, dass eine Menge davon nicht damit zu tun hat, dass du schwul bist. Es ist, weil du erwachsen wirst und deinen eigenen Weg findest. Väter wollen immer, dass ihre Söhne in ihre Fußstapfen treten und manchmal verstehen sie nicht, warum ihre Söhne nicht genauso denken wie sie. Gib ihm einfach eine Chance.«
»Die Dinge sind jetzt anders. Seit Mom letztes Jahr gestorben ist, ist er ein anderer Mann. Immer hart und sturköpfig. Er hat sich der Kirche verschrieben, was keine schlechte Sache ist, nehme ich an. Es gibt ihm etwas zu tun, außer den ganzen Tag in einem leeren Haus zu sitzen. Aber er hört sich diesen ganzen Fegefeuer-Mist an und dann will er, dass ich mitkomme, aber das kann ich nicht. Werde ich nicht. Es war nicht einfach, mit meinem Dad aufzuwachsen. Mom war sein Herz und ich glaube, dass sie ihn im Zaum gehalten hat. Ohne sie...«
»Gib ihm Zeit und sei der Mensch, der du bist. Das ist alles, was du tun kannst.«
Abe nickte und bedankte sich bei ihr. Er schob den Stuhl zurück und stand auf. »Wir sehen uns morgen Früh.«
Sie nickte und trank einen Schluck ihres Kaffees.
Abe wandte sich zur Tür und hielt inne, bevor er um den Tisch herum ins Wohnzimmer ging. Lachlan schlief noch immer, seine Augenlider flatterten und eines seiner Beine zitterte ein wenig. Er war vermutlich die schönste und unschuldigste Person, die Abe jemals gesehen hatte und nur daran zu denken, was er durchgemacht hatte, brach ihm ein wenig das Herz. Nachdem er einige Minuten lang beobachtet hatte, wie sich Lachlans Brust hob und senkte, drehte er um und machte einen Halt in der Dreckschleuse, um seine Regenkleidung zu holen, bevor er nach draußen ging.
Der Regen hatte ein wenig nachgelassen. Abe stieg in den Escort Sedan, den sein Dad ihm zum Schulabschluss geschenkt hatte und fuhr den kurzen Weg nach Hause. Früher einmal war der Milchbetrieb seines Vaters so groß gewesen wie Fosters. Aber jetzt, da die Kräfte seines Vaters nachließen, war die Herde nicht mehr so groß.
Abe parkte an seinem üblichen Platz neben der Hintertür und stieg aus.
»Fertig für heute?«, wollte sein Vater wissen, während er die Tür zur Melkscheune schloss. Er sah älter aus als Abe ihn in Erinnerung hatte.
»Ja. Brauchst du Hilfe?«
»Glaubst du, ich bin zu alt, um meine Arbeit zu machen?«, fragte sein Vater herausfordernd. »Ich habe heute alles erledigt, ganz ohne deine Hilfe.« Sein Vater stapfte auf das Haus zu.
»Ich habe einen Job.«
»Bei dem du dich um die Herde eines anderen kümmerst.« Sein Vater blieb stehen und wirbelte herum, sodass Wassertropfen von seinem Kopf in alle Richtungen spritzten. »Du verbringst deine Tage damit, für jemand anderen zu arbeiten, statt hier zu Hause zu sein.«
»Deinetwegen. Ich bin gerne dort. Sie behandeln mich gut. Und sieh dir diesen Hof doch mal an.« Er deutete mit einer Hand um sie herum. »Du hast dich nicht mehr darum gekümmert, seit Mom gestorben ist und ich soll hier rumsitzen und zusehen, wie du ihn zu Grunde gehen lässt? Du machst deinen Job nicht, also werde ich dafür sorgen, dass ich mir eine Zukunft aufbaue. Außerdem hilft Randy dir.« Er sah sich um. »Wo ist er eigentlich?« Sein älterer Bruder war alles, was sich sein Vater wünschen konnte: ein perfekter Ja-Sager, der nie Staub aufwirbelte und wusste, wie man Befehle befolgte. »Wieso hilft er dir nicht?«
»Er ist in die Stadt gefahren und ich habe mich ums Melken gekümmert. Außerdem ist mit der Farm alles in Ordnung. Sie ist so, wie sie es seit langer Zeit ist und für uns funktioniert es. Der Farm geht es gut. Ich mache mir Sorgen um dich.«
»Dad...«
»Unchristliche...«
»Stopp!« Abe hatte genug gehört. Hier draußen mit seinem Dad zu streiten würde ihm nicht guttun. »Dein Bibeltrip ist okay für dich, aber erwarte nicht, dass ich mitmache.«
Sein Dad kam zu ihm hinüber, der Regen nahm an Intensität zu und lief in Strömen an ihnen hinab, während sie sich stritten. »Deine Mutter wäre so enttäuscht, wenn sie davon wüsste.«
Abe ballte die Hände zu Fäusten. »Sie wusste es, Dad. Ich habe es ihr gesagt, bevor sie gestorben ist. Es hat sie nicht gestört. Sie hat meine Hand gehalten und gesagt, dass es in Ordnung war.« Tränen liefen seine Wangen hinab, vermischten sich mit dem Regen und blieben unsichtbar. »Was immer du für Probleme hast, es sind allein deine. Mom hat mich so geliebt, wie ich bin.« Er ging zum Haus und streckte seine Hand nach der Hintertür aus. »Das ist eine ganze Menge mehr, als ich von dir sagen kann.«