Der Bergpfarrer 126 – Heimatroman - Toni Waidacher - E-Book

Der Bergpfarrer 126 – Heimatroman E-Book

Toni Waidacher

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Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. »Ich möchte mich noch einmal recht herzlich bei Ihnen dafür bedanken, Frau Hoffmann, daß Sie meine Tante so aufopferungsvoll gepflegt haben«, sagte Hanna Bergmann. »Ich selbst habe leider nur sehr wenig Zeit für Tante Hedwig erübrigen können. « »Ich habe es gern getan«, antwortete Elke lächelnd. »Es war trotz ihrer Krankheit eine sehr schöne Zeit, die wir zusammen verbringen durften.« Die beiden Frauen saßen in Elkes kleiner Wohnung. Nach der gestrigen Beerdigung von Hedwig Brauer war ihre Nichte noch einmal zu Besuch gekommen, bevor sie am Nachmittag wieder zurück nach Würzburg fuhr. Hanna Bergmann nahm ein kleines Päckchen aus ihrer Handtasche und legte es auf den Tisch. »Das hier habe ich Ihnen mitgebracht. Es ist nur ein kleines Andenken, aber ich bin sicher, daß meine Tante gewollt hätte, daß Sie es bekommen.« Die Krankenschwester stieß einen leisen Schrei aus. »Aber, das wäre doch net nötig gewesen...«, sagte sie. »Doch, doch«, nickte die Besucherin nachdrücklich. »Mein Mann und ich wissen Ihre Arbeit zu schätzen, und das hier ist, wie gesagt, ein kleines Andenken und ein Zeichen unserer Wertschätzung. Bitte, machen Sie uns die Freude und nehmen Sie das Geschenk an.« »Also gut«, lächelte Elke. »Vielen Dank. Darf ich es gleich auspacken?« »Aber natürlich«, lachte Hanna Bergmann. »Was werden Sie jetzt übrigens anfangen? Haben Sie schon eine neue Arbeitsstelle?« Elke seufzte. »Leider net. Ich war ja schon eine ganze Zeit lang arbeitslos, ehe ich die Pflege Ihrer Tante übernommen habe. Jetzt stehe ich wieder auf der Straße. Die Einsparungen im Gesundheitswesen treffen mich da ganz besonders, obwohl es immer wieder heißt, es werden

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Der Bergpfarrer – 126 –

Gefallener Engel?

Toni Waidacher

»Ich möchte mich noch einmal recht herzlich bei Ihnen dafür bedanken, Frau Hoffmann, daß Sie meine Tante so aufopferungsvoll gepflegt haben«, sagte Hanna Bergmann. »Ich selbst habe leider nur sehr wenig Zeit für Tante Hedwig erübrigen können. «

»Ich habe es gern getan«, antwortete Elke lächelnd. »Es war trotz ihrer Krankheit eine sehr schöne Zeit, die wir zusammen verbringen durften.«

Die beiden Frauen saßen in Elkes kleiner Wohnung. Nach der gestrigen Beerdigung von Hedwig Brauer war ihre Nichte noch einmal zu Besuch gekommen, bevor sie am Nachmittag wieder zurück nach Würzburg fuhr.

Hanna Bergmann nahm ein kleines Päckchen aus ihrer Handtasche und legte es auf den Tisch.

»Das hier habe ich Ihnen mitgebracht. Es ist nur ein kleines Andenken, aber ich bin sicher, daß meine Tante gewollt hätte, daß Sie es bekommen.«

Die Krankenschwester stieß einen leisen Schrei aus.

»Aber, das wäre doch net nötig gewesen...«, sagte sie.

»Doch, doch«, nickte die Besucherin nachdrücklich. »Mein Mann und ich wissen Ihre Arbeit zu schätzen, und das hier ist, wie gesagt, ein kleines Andenken und ein Zeichen unserer Wertschätzung. Bitte, machen Sie uns die Freude und nehmen Sie das Geschenk an.«

»Also gut«, lächelte Elke. »Vielen Dank. Darf ich es gleich auspacken?«

»Aber natürlich«, lachte Hanna Bergmann. »Was werden Sie jetzt übrigens anfangen? Haben Sie schon eine neue Arbeitsstelle?«

Elke seufzte.

»Leider net. Ich war ja schon eine ganze Zeit lang arbeitslos, ehe ich die Pflege Ihrer Tante übernommen habe. Jetzt stehe ich wieder auf der Straße. Die Einsparungen im Gesundheitswesen treffen mich da ganz besonders, obwohl es immer wieder heißt, es werden Pflegekräfte gesucht. Allerdings bin ich nicht ganz unglücklich über meine Situation. Wissen Sie, ich hatte in den letzten drei Jahren keinen Urlaub, und das möchte ich erst einmal nachholen. Übermorgen fahre ich für drei Wochen in die Berge.«

»Ach, wie schön«, sagte Hanna Bergmann. »Dann wünsche ich Ihnen eine schöne Zeit, mit viel Sonne und Erholung.«

»Danke«, nickte Elke.

Während sie miteinander sprachen, hatte sie das Päckchen ausgewickelt. Es enthielt ein kleines Schmuckkästchen. Die Krankenschwester ahnte, was es enthielt. Sie öffnete das Kästchen und schaute gerührt auf den Inhalt.

»Tante Hedwig hat mir schon vor geraumer Zeit gesagt, daß Ihnen die Kette so gut gefällt. Ich denke, es ist in ihrem Sinne, wenn Sie sie bekommen und tragen.«

Unwillkürlich traten Elke Tränen in die Augen.

Es war ein Goldkettchen, mit einem Medaillon als Anhänger. Darin steckte ein Bildchen der Verstorbenen.

»Vielen, vielen Dank«, flüsterte die Krankenschwester.

Hanna Bergmann trank ihren Kaffee aus und erhob sich.

»So, jetzt muß ich mich leider verabschieden«, erklärte sie. »In zwei Stunden geht unser Zug, und Sie haben sicher auch noch eine Menge zu tun, wenn Sie übermorgen fahren.«

Elke brachte sie zur Tür.

»Ich wünsche Ihnen alles Gute«, sagte Hanna. »Nicht nur einen schönen Urlaub, auch daß Sie schnell wieder eine Arbeit finden.«

»Hoffen wir das beste«, nickte Elke und reichte ihr die Hand. »Auf Wiedersehen, und grüßen Sie Ihren Mann.«

»Werd’ ich tun«, versprach Hanna Bergmann und winkte ihr noch einmal zu, ehe sie die Treppe hinunterstieg.

Die Krankenschwester schloß die Tür und ging ins Wohnzimmer zurück. Sie räumte das Kaffeegeschirr in die Küche und setzte sich anschließend an den Tisch. Dort lag ein großer Zettel, auf dem sie alles das aufgeschrieben hatte, was sie mitnehmen wollte. Ein paar Sachen davon würde sie noch besorgen müssen; am Nachmittag vielleicht.

Ja, sinnierte sie, und eine neue Stelle brauche ich auch. Aber nicht sofort. Ich weiß ja schon gar net mehr, wie das ist, Urlaub zu haben.

Als sie durch den Flur zum Bad ging, fiel ihr Blick auf ihr Spiegelbild an der Garderobe. Elke blieb einen Moment stehen und schaute es kritisch an.

Sechsundzwanzig war sie jetzt. Sie trug das blonde Haar zu einer modischen Frisur, kurz geschnitten. Ihre blauen Augen schienen immer zu lachen – wenn ihr auch nicht immer dazu zumute war –, und ihre schlanke, wohlproportionierte Gestalt lenkte die Blicke der Männer auf sich. Doch trotz ihres hübschen Aussehens und ihres herzlichen Wesens war sie immer noch alleine. Zum einen mochte es wohl an ihrem Beruf liegen. Die Pflege der schwerkranken Hedwig Brauer hatte Zeit und Kraft gekostet. Elke hatte kaum Gelegenheit gehabt, auszugehen und jemanden kennenzulernen.

Andererseits war ihr auch gar nicht danach, denn wenn es auch schon zwei Jahre her war, so schien sie die Trennung von Peter Winter immer noch nicht überwunden zu haben.

Er war der Grund, warum sie nicht mehr im Krankenhaus arbeitete, sondern sich als private Pflegekraft verdingte.

Die alte Geschichte – der Arzt und die Krankenschwester. Nicht immer hatte sie ein Happy End, wie man an ihrem Beispiel sehen konnte.

Elke schob den Gedanken an Peter beiseite und schrieb ihre Liste fertig. Dann bereitete sie sich ein kleines Mittagessen zu. Später wollte sie einen gemütlichen Stadtbummel machen und die letzten Dinge besorgen, die sie für den Urlaub brauchte.

Und übermorgen, da saß sie in ihrem Auto und fuhr nach St. Johann. Einem kleinen Ort in den Bergen, in dem sie Ruhe und Erholung finden würde, wie der Mann im Reisebüro ihr versichert hatte.

*

Sebastian Trenker kam gerade ins Pfarrhaus, als Silke Brandtner hinaus wollte.

»Sind S’ schon wieder auf dem Sprung, Silke?« Der Geistliche schüttelte den Kopf. »Sie arbeiten zu viel!«

»Sagen S’ das mal Ihrem Amtsbruder«, lachte die Gemeindeschwester. »Pfarrer Eggensteiner ist der Ansicht, daß die vierzehn Stunden, die ich beinahe jeden Tag unterwegs bin, noch net genug sind.«

Sie trug eine große Tasche, die allerdings noch leer war.

»Ich will noch schnell einkaufen«, erklärte sie. »Der Kühlschrank von Frau Grassner ist so gut wie leer, und morgen komm’ ich net dazu. So ab und zu möcht’ der Stefan ja auch was von mir haben. Also, Hochwürden, bis heut’ abend.«

Stefan Brunner war Silkes Freund. Er arbeitete beim ›Landboten‹ in der Stadt. Sie hatten sich kennengelernt, als Silke seinerzeit ins Wachnertal gekommen war, um in Engelsbach ihre Stelle als Gemeindeschwester anzutreten. Jetzt brauchte sie erst einmal eine Bleibe und war zur Zeitung gefahren, um eine Anzeige aufzugeben.

Aus dem Kennenlernen wurde schnell die große Liebe, aber auch die konnte Silke nicht zu einer Wohnung oder wenigstens einem möbliertem Zimmer verhelfen. Pfarrer Trenker hatte deshalb wie immer unkonventionell gehandelt und die junge Frau kurzerhand bei sich einquartiert.

Ein Fehler, wie sich bald darauf herausstellte.

Bei der Zeitung gab es eine junge Frau, die in Stefan Brunner verliebt war. Als sie feststellte, daß er und Silke ein Paar waren, spann die Reporterin eine Intrige und schrieb einen Artikel, der einen Skandal auslöste. In ihm wurde Sebastian Trenker beschuldigt, gegen das Keuschheitsgelöbnis seiner Kirche verstoßen zu haben.

Natürlich griff Blasius Eggensteiner das sofort auf. Er und der Bergpfarrer kannten sich seit dem Priesterseminar. Schon damals hatte der junge Eggensteiner kein gutes Haar an Sebastian gelassen und legte ihm immer wieder Steine in den Weg. Irgendwann trennten sich dann ihre Wege, und der gute Hirte von St. Johann hörte viele Jahre nichts mehr von ihm.

Bis Blasius Eggensteiner dann überraschend die verwaiste Pfarrstelle in Engelsbach übernahm. Kaum im Wachnertal angekommen, versuchte er sofort wieder, seinen Amtsbruder beim Bischof anzuschwärzen und in Mißkredit zu bringen.

Indes kannte Ottfried Meerbauer den Bergpfarrer gut genug, um abwägen zu können, ob die Beschuldigungen der Wahrheit entsprachen oder völlig aus der Luft gegriffen waren.

Sebastian trat in den Flur und hängte seine Jacke an die Garderobe. Sophie Tappert kam aus der Küche.

»Kaffee ist fertig«, verkündete die Haushälterin.

»Schön. Ist mein Cousin auch da?«

»Er arbeitet im Garten.«

Der Geistliche nickte ihr zu und ging durch das Wohnzimmer auf die Terrasse hinaus. Andreas Trenker stand im Garten. Er hatte Sebastians Gärtnerschürze umgebunden und war damit beschäftigt, Äste und Laub zusammenzufegen.

»Mach’ mal Pause«, rief Sebastian ihm zu.

Andreas winkte und lud die letzten Zweige auf die Schubkarre.

»Bin eh gleich fertig.«

Er schob die Karre zum Kompost und leerte sie aus. Nachdem er sie und die Gartengeräte in den Schuppen geräumt hatte, setzte er sich zu seinem Cousin.

»Danke, Andreas«, sagte Sebastian. »Jetzt schaut’s wieder ordentlich aus. Ich bin in der letzten Zeit net dazu gekommen, hier Hand anzulegen.«

»Brauchst dich net zu bedanken«, meinte Andreas lächelnd. »Irgendwie muß ich mich ja dafür erkenntlich zeigen, daß du mich bei dir wohnen läßt.«

Seine Ähnlichkeit mit dem Bergpfarrer war unverkennbar. Andreas Trenker war der Sohn von Sebastians verstorbenem Onkel, dem Bruder seines Vaters. Über zwanzig Jahre hatte er in Kanada gelebt und war nun zurückgekommen.

Ohne zu ahnen, daß er hier eine Tochter hatte...

Dafür gab es ein um so herzlicheres Kennenlernen mit ihr und ein Wiedersehen mit der Heimat. Natürlich hätte Andreas auch auf dem Sonnenleitnerhof leben können, auf den Kathrin, seine Tochter, eingeheiratet hatte. Sein Schwiegersohn hatte es ihm angeboten. Doch der Heimkehrer hatte irgend etwas anderes vor, über das er allerdings nur bruchstückhaft mit der Sprache herausrückte. Sebastian wußte nur soviel, daß es etwas mit einer Frau zu tun hatte, die Andreas drüben in Kanada kennengelernt hatte. Diese Marion lebte in Hamburg, und er hatte sie dort zweimal besucht.

Allerdings war das zweite Mal anders abgelaufen, als Andreas es sich vorgestellt hatte. Er war mit der Absicht nach Hamburg gefahren, der Frau einen Heiratsantrag zu machen. Doch im letzten Moment fehlte ihm der Mut...

Natürlich redete Sebastian ihm gut zu. Sein Vorschlag war, die Frau nach St. Johann einzuladen. In der schönen Umgebung würde sie wohl kaum widerstehen können, wenn Andreas ihr den Antrag machte, so sein Argument.

»Hast’ deine Bekannte nun endlich angerufen?« fragte der Geistliche, als Andreas Platz genommen hatte.

Ein Strahlen ging über das Gesicht des Cousins.

»Hab’ ich«, nickte er.

»Und?«

»Sie kommt. Marion hat zugesagt. Allerdings erst in der nächsten Woche. Sie hat noch einiges zu arbeiten.«

»Das ist ja schön«, freute sich Sebastian. »Dann wollen wir mal sehen, ob wir bei der Ria ein Zimmer für sie bekommen können.«

Sophie Tappert kam und brachte Kaffee und Kuchen.

»Ah, Apfelkuchen«, freute sich Andreas. »Lecker.«

Morgen kommen ja auch Claudia und Max zurück«, sagte Sebastian. »Dann lernst du meine Schwägerin endlich kennen.«

»Wo wird Claudia eigentlich wohnen?« fragte Sophie Tappert. »Bisher hat sie sich noch gar net dazu geäußert.«

»Ich nehme mal an, daß sie sich darüber im Urlaub unterhalten und eine Entscheidung getroffen haben«, meinte Sebastian.

Es war ein herrlicher Sommertag. Die Sonne lachte über St. Johann, Kaffee und Kuchen schmeckten wie immer ausgezeichnet und nichts schien die herrliche Stimmung trüben zu können.

Sebastian war mit sich und dem Leben zufrieden. So wie alle am Tisch. Keiner konnte ahnen, daß es schon bald eine Reihe von Verwicklungen geben sollte, die diese Harmonie störte.

*

Silke Brandtner hob die volle Einkaufstasche aus dem Auto und schleppte sie zur Haustür. Die Gemeindeschwester hatte einen Schlüssel und öffnete.

»Ich bin’s, Frau Grassner«, rief sie in den Flur. »Komme gleich zu Ihnen.«

Sie brachte die Tasche in die Küche und packte sie aus. Nachdem auch das letzte Päckchen Butter im Kühlschrank lag, ging Silke in das Wohnzimmer am Ende des Flures.

»So, da bin ich«, sagte sie.

Elfriede Grassner saß in ihrem Rollstuhl, der am Fenster stand, und blickte in den Garten hinaus. Als die Gemeindeschwester eintrat, wendete sie den Kopf und lächelte.

»Ach, Silke, schön, daß Sie da sind.«

»Ich hab’ eingekauft und alles gleich in den Kühlschrank gelegt. Möchten S’ jetzt vielleicht einen Kaffee trinken? Ich hab’ Ihnen auch ein Stück Diätkuchen mitgebracht.«

Aber nur, wenn Sie auch einen Kaffee trinken.«

Silke schaute auf die Uhr.

»Aber wirklich nur einen«, sagte sie. »Um vier muß ich bei dem Herrn Brenner sein.«

Sie ging in die Küche zurück und kochte Kaffee. Koffeinfreien natürlich. Elfriede Grassner saß nicht nur wegen einer Lähmung im Rollstuhl, seit ein paar Wochen hatte sie auch noch Herzrhythmusstörungen, und der Arzt hatte ihr strikt den geliebten Bohnenkaffee verboten. Außerdem litt sie seit Jahren an Diabetes und mußte sich dementsprechend mit der Ernährung einschränken. Silke hatte bei Bäckermeister Terzing ein kleines Stück Rührkuchen gekauft, das mit wenig Zucker gebacken worden war. Sie legte es auf einen Teller, schenkte zwei Tassen Kaffee ein und brachte alles ins Wohnzimmer.

»Soll ich Sie in den Garten schieben?« fragte sie.

»Nein, nein«, wehrte die grauhaarige, alte Dame ab. »So ist’s schon recht. Wenn Sie vielleicht nur die Terrassentür öffnen könnten.«

»Natürlich«, nickte die Gemeindeschwester und öffnete die Tür.

»Sie haben viel um die Ohren, net wahr?« meinte Elfriede Grassner, während sie sich den Kuchen schmecken ließ.

»O ja, manchmal denk’ ich, man müßt’ sich zweiteilen können«, schmunzelte Silke.

»Früher hatte ich ja jemanden«, sagte die Frau im Rollstuhl. »Wissen Sie, eine Frau, die auch hier gewohnt hat. Leider ist sie dann irgendwann fortgezogen, und ich hab’ nie wieder jemanden gefunden.«

Silke nickte.

Das wäre natürlich die ideale Lösung. Wenn sich eine Frau fand, die bereit war, hier einzuziehen und Elfriede Grassner zu betreuen, wäre das auch für sie eine große Entlastung.

Nur leider – qualifizierte Pflegekräfte fand man nicht an jeder Straßenecke. Zudem mußte es jemand sein, zu dem die alte Frau Vertrauen haben konnte. Schließlich würden sie hier zusammenleben.

»Hat Ihr Neffe sich eigentlich mal wieder gemeldet?« erkundigte sich die Gemeindeschwester.

Elfriede Grassner winkte ab.

»Ach, der Christian«, sagte sie. »Nix als Kummer macht der einem. Bloß gut, daß seine Eltern das net mehr erleben müssen!«

Silke hatte diese Klage schon oft gehört. Christian Wille war der Sohn von Elfriede Grassners Schwester. Er lebte in der Kreisstadt und kümmerte sich nicht um seine Tante. Nur wenn ihn wieder einmal Geldsorgen plagten, ließ er sich bei ihr sehen.

»Es ist eine Schande«, fuhr die alte Dame fort. »Nix, was er angefangen hat, hat er auch zu Ende geführt. Dafür läßt er sich lieber mit irgendwelchen zwielichtigen Leuten ein.«

Silke stand auf und strich ihr über die Schulter.

»Ja, das ist schon schlimm«, sagte sie und blickte auf die Uhr. »So, jetzt wird’s aber Zeit. Ich messe gleich noch mal den Blutdruck und den Zucker bei Ihnen, und dann muß ich aber wirklich los.«

Eine Viertelstunde später verließ sie das Haus, das am Rande von Engelsbach stand. Es gab nur zwei weitere Einfamilienhäuser in unmittelbarer Nachbarschaft. Das Dorf begann erst in gut achthundert Metern Entfernung.

Die Gemeindeschwester mußte sich beeilen, um zu ihrem nächsten Patienten zu kommen, der sicher schon ungeduldig auf sie wartete. Sie würde sich entschuldigen müssen, aber sie konnte es auch nicht übers Herz bringen, die ihr anvertrauten Leute so mir nichts, dir nichts abzufertigen und zum nächsten zu fahren. Eine kleine Unterhaltung, ein bissel Ansprache, das mußte einfach sein.

Bevor sie Feierabend machen konnte, mußte sie noch mal herkommen und Elfriede Grassner für die Nacht fertig machen. Zwei weitere pflegebedürftige Personen gab es noch, die auf ihre Hilfe angewiesen waren. Mit Sicherheit würde es neun Uhr werden, ehe sie nach St. Johann zurückfahren konnte.