Der Bergpfarrer Classic 91 – Heimatroman - Toni Waidacher - E-Book

Der Bergpfarrer Classic 91 – Heimatroman E-Book

Toni Waidacher

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Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 10 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Unter anderem gingen auch mehrere Spielfilme im ZDF mit Millionen Zuschauern daraus hervor. Sein größtes Lebenswerk ist die Romanserie, die er geschaffen hat. Seit Jahrzehnten entwickelt er die Romanfigur, die ihm ans Herz gewachsen ist, kontinuierlich weiter. "Der Bergpfarrer" wurde nicht von ungefähr in zwei erfolgreichen TV-Spielfilmen im ZDF zur Hauptsendezeit ausgestrahlt mit jeweils 6 Millionen erreichten Zuschauern. Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. In Spannungsreihen wie "Irrlicht" und "Gaslicht" erzählt er von überrealen Phänomenen, markiert er als Suchender Diesseits und Jenseits mit bewundernswerter Eleganz. Die Konzertbesucher saßen in freudiger Erwartung auf ihren Plätzen. Die Halle war ausverkauft, und vor dem Eingang warteten immer noch viele Leute, die hofften, vielleicht doch noch eingelassen zu werden. Indes war dies ganz und gar unmöglich, denn schon seit Wochen gab es keine Eintrittskarten mehr zu kaufen. Das Gastspiel des Stardirigenten Andreas Tennhaff war ein einzigartiges Erlebnis, das sich kein Freund klassischer Musik entgehen lassen wollte. Zu den glücklichen Besitzern einer Eintrittskarte gehörten drei Besucher aus St. Johann. Sebastian Trenker war von dem Ehepaar Wiesinger eingeladen worden, mit ihnen einen schönen Abend zu verbringen. Am Nachmittag waren sie nach München gefahren, hatten später in einem netten Restaurant zu Abend gegessen und saßen nun in der zweiten Reihe, wo sie auf den Beginn des Konzerts warteten. Dem Programm, das jeder Konzertbesucher beim Einlaß erhalten hatte, war zu entnehmen, daß Andreas Tennhaff, ein gebürtiger Deutscher mit holländischen Vorfahren, Werke großer Komponisten dirigieren würde, sowie die Namen einiger bekannter Solisten, die man eigens für diesen Abend verpflichtet hatte. Tosender Applaus brandete auf, als der Maestro die Bühne betrat und zum Pult ging. Er verbeugte sich vor dem Publikum, wandte sich dann den Musikern zu und nahm den Taktstock auf. Andreas Tennhaff war einer der jüngsten Dirigenten der Welt. Mit noch nicht einmal dreißig Jahren hatte er schon die berühmtesten Orchester geleitet, Gastspiele zumeist, und war in den großen Konzerthäusern der Welt zu Hause. Er galt als Ausnahmetalent, wie es wohl nur alle hundert Jahre geboren wurde. Das sympathische Gesicht wirkte angespannt, als der junge Mann den Taktstock hob, doch gleich darauf entspannte sich seine Miene, und Beethovens Violinenromanze erklang. Sebastian Trenker warf einen Blick auf Elena Wiesinger. Die Tierärztin saß ganz verzückt auf ihrem Platz und lauschte mit geschlossenen Augen. Ihr Mann hielt ihre Hand, und sie gab ihm mit leisem Druck zu verstehen, wie dankbar sie Toni war, daß er diesen Abend möglich gemacht hatte. Händels Feuerwerkmusik folgte, dann Stücke von Vivaldi, Mozart und Haydn, immer wieder mit tosendem Beifall belohnt. In der Pause erfrischten sich die Konzertbesucher im Foyer.

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Der Bergpfarrer Classic – 91 –

Die Vergangenheit schweigt

Toni Waidacher

Die Konzertbesucher saßen in freudiger Erwartung auf ihren Plätzen. Die Halle war ausverkauft, und vor dem Eingang warteten immer noch viele Leute, die hofften, vielleicht doch noch eingelassen zu werden. Indes war dies ganz und gar unmöglich, denn schon seit Wochen gab es keine Eintrittskarten mehr zu kaufen. Das Gastspiel des Stardirigenten Andreas Tennhaff war ein einzigartiges Erlebnis, das sich kein Freund klassischer Musik entgehen lassen wollte.

Zu den glücklichen Besitzern einer Eintrittskarte gehörten drei Besucher aus St. Johann. Sebastian Trenker war von dem Ehepaar Wiesinger eingeladen worden, mit ihnen einen schönen Abend zu verbringen. Am Nachmittag waren sie nach München gefahren, hatten später in einem netten Restaurant zu Abend gegessen und saßen nun in der zweiten Reihe, wo sie auf den Beginn des Konzerts warteten.

Dem Programm, das jeder Konzertbesucher beim Einlaß erhalten hatte, war zu entnehmen, daß Andreas Tennhaff, ein gebürtiger Deutscher mit holländischen Vorfahren, Werke großer Komponisten dirigieren würde, sowie die Namen einiger bekannter Solisten, die man eigens für diesen Abend verpflichtet hatte. Tosender Applaus brandete auf, als der Maestro die Bühne betrat und zum Pult ging. Er verbeugte sich vor dem Publikum, wandte sich dann den Musikern zu und nahm den Taktstock auf.

Andreas Tennhaff war einer der jüngsten Dirigenten der Welt. Mit noch nicht einmal dreißig Jahren hatte er schon die berühmtesten Orchester geleitet, Gastspiele zumeist, und war in den großen Konzerthäusern der Welt zu Hause. Er galt als Ausnahmetalent, wie es wohl nur alle hundert Jahre geboren wurde. Das sympathische Gesicht wirkte angespannt, als der junge Mann den Taktstock hob, doch gleich darauf entspannte sich seine Miene, und Beethovens Violinenromanze erklang.

Sebastian Trenker warf einen Blick auf Elena Wiesinger. Die Tierärztin saß ganz verzückt auf ihrem Platz und lauschte mit geschlossenen Augen. Ihr Mann hielt ihre Hand, und sie gab ihm mit leisem Druck zu verstehen, wie dankbar sie Toni war, daß er diesen Abend möglich gemacht hatte.

Händels Feuerwerkmusik folgte, dann Stücke von Vivaldi, Mozart und Haydn, immer wieder mit tosendem Beifall belohnt.

In der Pause erfrischten sich die Konzertbesucher im Foyer. Man trank Sekt, aß kleine Schnittchen und unterhielt sich über den ersten Teil der Veranstaltung, die allgemein als gelungen beurteilt wurde.

»Ich möcht’ mich noch mal ganz herzlich bei euch bedanken«, sagte Sebastian Trenker, an das Ehepaar Wiesinger gewandt. »Leider kommt man viel zu selten an solch einen Kunstgenuß.«

»Da haben S’ wirklich recht, Hochwürden«, pflichtete Elena ihm bei. »Dabei gibt’s so viele schöne Sachen, die man unternehmen könnt’, wenn einem die Zeit dazu bliebe.«

»Ja, ich bin auch froh, daß es endlich mal geklappt hat«, nickte Dr. Wiesinger. »Vor allem, daß Elena und ich an diesem Wochenende vom Notdienst verschont geblieben sind.«

Manchmal war es wirklich wie verhext. Entweder war es Elena, die als Tierärztin den Notdienst zu versehen hatte, und wenn es bei ihr mal nicht der Fall war, dann traf es ihren Mann, als Humanmediziner. Doch an diesem Wochenende hatten sie beide endlich mal Glück gehabt. Die Karten hatte Dr. Wiesinger schon vor Monaten ergattern können, was ihm nur durch Beziehung zu seinem alten Lehrer und Doktorvater, Professor Dr. Bernhard, gelungen war. Der wollte eigentlich selbst in das Konzert gehen, war aber durch eine Vortragsreise in den Vereinigten Staaten, die sich mit dem Auftritt des Stardirigenten in München überschnitt, verhindert.

Das Klingelzeichen rief die Besucher in den Saal zurück. Vorgesehen waren noch Werke berühmter Komponisten wie Mendelssohn-Barthol­dy, Schumann und Tschaikowsky. Ein Kunstgenuß in höchster Vollendung.

Ein zweites Mal ertönte die Klingel, die Musiker stimmen ihre Instrumente, und dann geschah... nichts.

Zuerst waren es die Orchestermitglieder, die sich fragende Blicke zuwarfen, dann war Getuschel zu hören, ratlose Gesichter zu sehen. Die gespannten Zuhörer spürten, daß da etwas nicht stimmte, etwas in der Luft lag. Längst hätte Andreas Tennhaff die Bühne wieder betreten müssen, um den zweiten Teil des Konzerts zu leiten.

Vier, fünf Minuten vergingen, Unruhe machte sich breit, dann endlich sah man die große, schlanke Gestalt des jungen Dirigenten durch die hintere Bühnentür treten, und das Publikum begrüßte ihn mit dem ihm gebührenden Applaus.

Andreas verbeugte sich, wandte sich zu seinem Orchester um und hob den Taktstock, doch kaum hatte das Scherzo aus Mendelssohn-Bartholdys »Ein Sommernachtstraum« begonnen, da brach der Dirigent zusammen und stürzte auf die Bühne.

Ein erschreckter Aufschrei ging durch das Publikum. Der Konzertmeister ließ sein Instrument fallen und sprang auf, zwei, drei andere Musiker mit ihm. Von hinten kamen ein paar Leute herbeigelaufen. Sie bückten sich über den leblos Daliegenden, jemand rief nach einem Arzt.

Dr. Wiesinger war gleich aufgesprungen, als er den Dirigenten fallen sah. Jetzt glaubte er zu wissen, was ihn vorhin schon geraume Zeit beschäftigt hatte.

Jedesmal, wenn Andreas Tennhaff sich umdrehte, um den Applaus der Zuhörer entgegenzunehmen, hatte Toni den Eindruck gehabt, in das Gesicht eines kranken Mannes zu blicken.

Das eines Schwerkranken!

Das war nicht der erschöpfte Ausdruck, hervorgerufen durch die Anspannung und Konzentration, die die Arbeit am Pult hervorgerufen haben konnte. Die Miene schien vor Schmerz versteinert, als habe der Mann Mühe, sich überhaupt auf den Beinen zu halten.

Doch jetzt wollte sich Toni Wiesinger darüber weiter keine Gedanken machen. Er drängte nach vorne.

»Lassen Sie mich durch, ich bin Arzt«, rief er.

Andreas Tennhaff lag auf dem Bühnenboden. Seine Augen waren geschlossen. Jemand hatte seine Jacke ausgezogen und dem Bewußtlosen unter den Kopf gelegt. Dr. Wiesinger band ihm die Fliege ab und öffnete das Hemd. Der Dirigent atmete flach, seine Stirn war schweißnaß. Der Arzt nahm den Puls und lauschte auf die Herztöne, soweit das ohne Instrumente möglich war.

Im Zuschauerraum saßen die Leute wie gebannt und schauten

zur Bühne hinauf. Sebastian war aufgestanden. Niemand hinderte ihn daran, als er sich einen Weg durch die Menge bahnte, die sich inzwischen vor dem bewußtlosen Dirigenten versammelt hatte. Der Geistliche beugte sich zu Toni hinunter.

»Wie schaut’s aus, Doktor?« fragte er.

Der Arzt sah ihn kurz an.

»Kreislaufversagen, vermute ich«, lautete die Antwort. »Wir müssen einen Notarzt rufen. Zu dumm, daß ich meine Tasche net dabei hab’.«

Einer der Verantwortlichen des Hauses sorgte dafür, daß der Notarzt verständigt wurde. Inzwischen ordnete Toni Wiesinger an, daß Andreas Tennhaff in seine Garderobe gebracht wurde. Unmittelbare Lebensgefahr bestand nicht. Mit Hilfe ein paar kräftiger Männer trugen sie den Dirigenten hinter die Bühne, während der Direktor der Philharmonie vor das Publikum trat. Er bedauerte den jähen Abbruch der Veranstaltung und bat die Leute, nach Hause zu gehen.

*

Sebastian war einer der Männer, die geholfen hatten, Andreas nach hinten zu bringen. Er blieb auch als einziger in der Garderobe, während Toni Wiesinger alle anderen hinauskomplimentierte.

»Außer dem Notarzt hat hier niemand etwas zu suchen«, hatte der Arzt energisch entschieden, als immer mehr Menschen versuchten, in den engen Raum zu drängen.

Der Dirigent war auf eine Liege gebettet worden, die eigentlich dazu diente, daß der Maestro sich in der Konzertpause darauf ausruhen konnte. Sebastian Trenker beugte sich über den Mann und wischte ihm den Schweiß von der Stirn.

In diesem Moment schlug Andreas Tennhaff die Augen auf.

»Wo bin ich?« fragte er und wollte sich aufrichten.

Sebastian drückte ihn sanft zurück, der Dirigent sah ihn befremdet an. Offenbar irritierte ihn der Priesterkragen, den der Geistliche trug.

»Wer sind Sie? Was ist geschehen?«

»Ich bin Pfarrer Trenker. Sie hatten einen Schwächeanfall, Herr Tennhaff«, erklärte der Bergpfarrer.

»Bloß ein Schwächeanfall?« fragte er ungläubig. »Es muß doch wohl ein wenig mehr gewesen sein, wenn man gleich einen Priester gerufen hat...«

Sebastian Trenker schmunzelte.

»Wir sind net nur dann zur Stelle, wenn einem Menschen das letzte Stündlein geschlagen hat«, versicherte er. »Ich saß im Publikum, als Sie zusammenbrachen.«

Der Arzt schob sich ins Blickfeld.

»Ich bin Doktor Wiesinger«, stellte er sich vor. »Herr Tennhaff, hatten sie schon öfter solche Schwächeanfälle wie heut’ abend?«

»Nein..., allerdings fühle ich mich seit einiger Zeit mitunter sehr erschöpft. Aber das ist auch kein Wunder bei so einer nervenaufreibenden Tournee, wie ich sie hinter mir habe. Na ja, und heute abend...«

Es klopfte an der Garderobentür, der Notarzt war eingetroffen. Dr. Wiesinger besprach sich mit dem Kollegen, und Andreas bekam eine Spritze.

»Damit Ihr Kreislauf wieder in Schwung kommt«, erklärte der Arzt aus St. Johann.

»Es geht mir eigentlich schon wieder ganz gut«, sagte der Dirigent. »Schade, ich vermute, daß Brinkhoff die Leute nach Hause geschickt hat?«

»Wenn Sie damit den Direktor der Philharmonie meinen, dann stimmt Ihre Vermutung«, nickte Sebastian.

»Bedauerlich. Jetzt hätte ich das Konzert fortsetzen können. Die Spritze wirkt Wunder.«

»Das Konzert hätten S’ auf keinen Fall fortsetzen können«, widersprach Toni Wiesinger.

Er schaute Andreas Tennhaff, der sich inzwischen aufgerichtet hatte, fragend an.

»Was war eigentlich vorhin, vor der Pause?« wollte er wissen. »Sie sind erst sehr spät auf die Bühne zurückgekommen. Das ist allen aufgefallen. Haben S’ da vielleicht schon gespürt, daß etwas net in Ordnung sein könnt’?«

In der Tat hatte der Dirigent schon während des ersten Teils der Aufführung gespürt, daß es ihm nicht gut ging. Vor seinen Augen flimmerte es, und er hatte Mühe, sich auf das Konzert zu konzentrieren. Während der Pause hatte es einen ersten Zusammenbruch gegeben. Andreas war für Minuten bewußtlos gewesen und erst durch die Bemühungen der Garderobiere, die weitere Leute zur Hilfe gerufen hatte, wieder zu sich gekommen.

»Schon da hätten S’ net wieder auf die Bühne gedurft«, verwundert über so viel Leichtsinn schüttelte der Arzt den Kopf.

»Was sollte ich machen? Die Leute haben viel Geld für die Eintrittskarten bezahlt. Ich wollte sie nicht enttäuschen.«

Es klopfte erneut. Als Sebastian öffnete, starrte ihn ein kleiner, fahrig wirkender Mann an.

»Lassen Sie mich rein«, sagte er ernst. »Ich muß wissen, wie es dem Maestro geht.«

»Das ist Alexander Merkow«, erklärte Andreas. »Mein Agent.«

Der Bergpfarrer ließ ihn eintreten.

»Himmel, was machst du denn für Sachen?« rief der kleine Mann, der einen taubenblauen zerknitterten Anzug trug.

»Ihr Schützling hatte einen Zusammenbruch«, erklärte Toni Wiesinger. »Er braucht jetzt unbedingt Ruhe. Wenn Sie meine Meinung hören wollen, dann muß Herr Tennhaff wenigstens sechs Wochen pausieren.«

Der Musikagent sah den Arzt an, wie jemanden, der den Verstand verloren hatte.

»Sechs Wochen? Wie stellen Sie sich das vor?« rief er, wild gestikulierend. »Es gibt Verträge, an die wir gebunden sind. Nächste Woche müssen wir in St. Petersburg sein!«

»Sie müssen net auf mich hören. Aber wenn S’ so weitermachen, dann wird’s keine nächste Woche geben«, antwortete Dr. Wiesinger, drastischer, als er es eigentlich beabsichtigt hatte. »Dieser Mann befindet sich in einem absoluten Erschöpfungszustand. Zwei Zusammenbrüche an einem Abend, sind zwei zuviel. Ich kann Ihnen nur raten, meine Worte ernst zu nehmen.«

Andreas Tennhaff biß sich auf die Lippe.

»Ist es wirklich so schlimm?«

»Schlimm, aber net aussichtslos«, meinte Toni. »Ich rate Ihnen jedenfalls dringend, sich in die Hände eines Spezialisten zu begeben. Das hier, heute abend, war ein Warnschuß vor den Bug. Nehmen S’ das Signal sehr ernst!«

Alexander Merkow sah vom Arzt zum Geistlichen und schließlich den jungen Dirigenten an.

»Dann haben wir wohl keine andere Wahl, was?«

»Ich kann Ihnen einen Spezialisten empfehlen«, schlug Toni Wiesinger vor. »Lassen S’ sich von ihm untersuchen und machen S’ anschließend Urlaub. Am besten dort, wo Sie niemand kennt und Sie Ihre Ruhe haben.

Der Arzt, den ich meine, ist mein Doktorvater gewesen. Er kommt morgen aus den Staaten zurück. Wenn Sie’s möchten, dann mach’ ich einen Termin für Sie aus. Sie könnten dann schon übermorgen zu ihm gehen.«

Andreas Tennhaff nickte.

»Vermutlich haben Sie recht, Doktor«, sah er ein. »Bitte, machen Sie diesen Termin für mich.«

Er schaute seinen Agenten an.

»Wo ich allerdings Urlaub machen soll, wo mich niemand kennt, das weiß ich beim besten Willen nicht.«

Alexander Merkow hob hilflos die Arme.

»Ich auch nicht. Wir haben ja schon Mühe, unbemerkt ins Hotel zu kommen.«

»Da hätt’ ich einen Vorschlag«, ließ sich Sebastian Trenker vernehmen. »Kommen S’ zu uns, nach

St. Johann. Das ist ein kleiner

Ort, und dafür, daß die Leute Sie in Ruhe lassen, werd’ ich schon sorgen.«

*

Dr. Elena Wiesinger hatte im ­Foyer gewartet. Natürlich bedauerte sie es, daß dieser Abend, der so schön begonnen hatte, ein jähes Ende fand. Aber sie verstand nur zu gut, daß ihr Mann den Dirigenten nicht wieder auf die Bühne lassen wollte.

»Zum Glück ist es noch mal einigermaßen glimpflich verlaufen«, sagte der Arzt, während er seiner Frau in den Mantel half. »Es hätte schlimmer kommen können.«

»Der Herr Tennhaff hatte wirklich Glück, daß ein Arzt anwesend war«, nickte Sebastian. »Net auszudenken, was geschehen wäre, wenn niemand so schnell geholfen hätte. Ich hatte den Eindruck, daß die Leute recht kopflos waren.«

»In der Tat«, stimmte Toni Wiesinger zu. »Beinahe jeder hat einen Führerschein und, um den zu erlangen, einen Erste-Hilfe-Kurs besucht. Doch kaum einer ist in der Lage, in solch einer Situation schnell und effektiv zu handeln. Einen kühlen Kopf bewahren und den Notarzt rufen, das ist es, worauf es ankommt, wenn man net selbst helfen kann. Ich plädiere seit Jahren dafür, daß die Leute ihre Kenntnisse in Erster-Hilfe auffrischen sollen.«

Er sah seine Frau und den Geistlichen an.

»Was machen wir denn jetzt mit dem angebrochenen Abend?«

»Das Beste wird’s sein, wir fahren nach Haus«, sagte Sebastian. »Und hoffen, daß es wieder mal eine Gelegenheit gibt, ein Konzert zu besuchen, ohne daß es zu so einem Zwischenfall kommt.«

Offenbar waren sie die letzten aus dem Publikum, an der Tür stand ein Angestellter des Hauses, um sie hinauszulassen. Gerade wollten sie gehen, als Alexander Merkow angelaufen kam.

»Hochwürden, Herr Doktor – einen Augenblick, bitte«, rief der Musikagent.

Etwas außer Atem blieb er vor ihnen stehen.

»Doktor Wiesinger, erst einmal herzlichen Dank, für Ihre schnelle Hilfe«, sagte er. »Herr Tennhaff ist bereit, Ihre Worte zu beherzigen und dankt Ihnen, daß Sie sich bereit erklärt haben, den Termin mit Professor Bernhard auszumachen.«

Er wandte sich Sebastian Trenker zu.

»Sie, Hochwürden, haben ein Angebot gemacht, das mein Schützling gerne in Anspruch nehmen würde«, fuhr er fort. »Sehen Sie, Andreas ist ein Mann der Öffentlichkeit, wohin wir kommen, ist er von Menschen umringt, die ihn sehen und anfassen möchten und Autogramme verlangen. Journalisten umlagern ihn, stellen Fragen auch intimster Art. Wenn es Ihnen möglich ist, dann wären wir Ihnen dankbar, wenn Andreas für einige Zeit zu Ihnen kommen dürfte.«

Der gute Hirte von St. Johann nickte.

»Das Angebot steht«, antwortete er. »Wenn es ihm nix ausmacht, kann Herr Tennhaff bei mir im Pfarrhaus wohnen. Meine Haushälterin freut sich ohnehin immer, wenn Gäste da sind«

»Mir fällt ein Stein vom Herzen«, freute sich Alexander Merkow. »Ich weiß zwar noch nicht, wie ich das mit den Verträgen hinbekomme, aber die Gesundheit geht ja nun mal vor. Dann bleiben wir also in Verbindung?«

»Ja. Doktor Wiesinger wird gleich morgen mit dem Professor sprechen und Ihnen dann Bescheid geben. Zu Hause bereiten wir alles für die Ankunft vor. Werden Sie auch mitkommen?«

Der Agent schüttelte den Kopf.

»Das wird nicht gehen«, bedauerte er. »Andreas ist zwar mein wichtigster Schützling, aber nicht der einzige. Es wartet viel Arbeit auf mich. Vor allem muß ich sehen, daß ich für das Konzert in St. Petersburg Ersatz beschaffe.«