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Harpagon ist Witwer. Die Tochter Elise und der Sohn Cleante leiden unter Ihrem geizigen Vater, der nichts mehr liebt als sein Geld und alles dafür aufgeben würde. Diese bitterböse Komödie von Molière in fünf Akten und in Prosaform gehört zum unbestrittenen Kanon der Weltliteratur mit anhaltendem und vielfältigem Einfluss auf den lesenden Menschen und die Literaturgeschichte – bis heute. Spannend und unterhaltend, vielschichtig und tiefgründig, informativ und faszinierend sind die E-Books großer Schriftsteller, Philosophen und Autoren der einzigartigen Reihe "Weltliteratur erleben!".
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Seitenzahl: 117
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Jean Baptiste Molière
L'avare
Lustspiel in fünf Akten
Jean Baptiste Poquelin (1622 – 1673), der sich als Schauspieler und als Dichter Molière nannte und unter diesem Namen zu verdientem Weltruhm gelangte, war der Sohn eines Tapezierers und wurde 1622 in Paris geboren und am 15. Januar daselbst getauft, erhielt eine ausgezeichnete Jugendbildung und scheint dann die Rechte studiert und als Advokat in seiner Vaterstadt gewirkt zu haben. Gewiß ist, daß sein Vater inzwischen ein königlicher Tapezierkammerdiener geworden war und Fürsorge getroffen hatte, den Sohn als seinen Nachfolger zu sehen; des Vaters Hofamt war nämlich ein solches, in das man sich einkaufte, und das dann vom Vater auf den Sohn überzugehen pflegte. Der junge Poquelin war aber frühzeitig in Theaterkreise hineingeraten und schloß sich endlich unter dem Namen Molière einer in Paris 1645 konstituierten Schauspielergesellschaft an. Er ward bald der Führer und Leiter dieser Truppe, die wegen geringen Zuspruchs 1646 Paris verlassen mußte, um ihr Heil in den Provinzen Frankreichs zu suchen. Während der Dauer dieser Wanderzüge schrieb er seine ersten Theaterstücke: ein Trauerspiel, Lustspiele und kleinere Scherze, mit denen er im Herbst 1658 wieder in Paris einzog. Am 24. Oktober 1658 spielte die Gesellschaft Molières vor Ludwig XIV. und seinem Hof und erhielt infolgedessen den erbetenen Titel: "Troupe de Monsieur." Am 18. November 1659 errang Molière mit seiner gegen die litterarische Manieriertheit jener Zeit gerichteten Komödie "Die Gezierten" ("Le précieuses ridicules") als Dichter und als Theaterdirektor einen durchschlagenden Erfolg, und am 20. Januar 1661 ward das neue Theater im Palais Royal mit Stücken von ihm durch seine Truppe eröffnet. Seitdem war Molières Leben außerordentlich reich an Erfolgen aller Art, sein Ruhm als Dichter und als Schauspieler wuchs von Jahr zu Jahr, und sein Wohlstand mehrte sich dem entsprechend; aber es fehlte auch diesem äußerlich glänzenden Dasein nicht an Verbitterungen: Molière lebte seit 1662 in einer unglücklichen Ehe und hatte außerdem unter den abscheulichsten und albernsten Denunziationen seiner zahlreichen, durch die Satire seiner Lustspiele erstandenen und gereizten Feinde viel zu leiden. Oft schützte ihn die königliche Gunst Ludwigs XIV., am meisten gegen seine Ankläger in Sachen seines "Tartufe" (vergl. "Molières Tartufe. Eine litteraturgeschichtliche Studie." Von Franz Dingelstedt in dessen "Litter. Bilderbuch", Berlin 1878). Seit dem Jahr 1665 fort und fort brustleidend, blieb Molière dennoch schöpferisch thätig; als sein letztes Werk schrieb er das Lustspiel "Der eingebildete Kranke", das am 10. Februar 1673 auf dem Theater des Palais Royal zuerst gegeben wurde: es führt in der Person des Argan einen Gesunden vor, der den Tod fürchtet, während bei Molière selbst in der Behauptung, er sei gesund, die Einbildung lag. Am 17. Februar 1673 spielte Molière die Rolle des Argan zum vierten und letzten Male; noch in derselben Nacht starb er zufolge eines Blutsturzes im 52. Jahre seines Lebens.
Molière, den die Franzosen für den größten Lustspieldichter der Welt halten, gehört ohne Zweifel zu den bedeutendsten Lustspieldichtern aller Zeiten; er ist zwar kein großer Erfinder, denn er benutzte mit genialer Ungebundenheit Stoffe und Situationen aus Plautus und Terenz, aus älteren italienischen und spanischen Stücken, aus Rabelais u.s.w.; aber mit vollem Recht hätte er auch die Worte sagen können, die ihm von der Tradition zugeschrieben werden: "Ich brauche nicht länger den Plautus und Terenz zu studieren und Menanders Fragmente zu zerpflücken: meine Muster sind von nun an die Welt und das Leben." Dagegen ist er wahrhaft groß in der Charakteristik, und seine Charakterkomödien, allen voran "Der Tartufe", dann "Der Misanthrop", "Der Geizige", u.s.w, sind es, die seinen großen Ruhm vollkommen rechtfertigen. Der Unterschied zwischen Charakterlustspiel und Intriguenstück besteht nach Dingelstedts treffendem Ausspruch (a. a. O. Seite 30) darin, "daß dieses absichtlich die Fäden verwirrt, während das Charakterlustspiel die seinigen entwickelt. In jenem spielt der Zufall die Hauptrolle, in diesem die menschliche Natur; in jenem überstürzen sich die von außen herbeigezogenen Situationen, je bunter durcheinander, desto besser, in diesem geht die Handlung mit innerer Notwendigkeit hervor aus dem Konflikt der Charaktere unter sich, oder aus dem der Neigungen und Pflichten in jedem einzelnen." – Dieses Gesetz, bewußt oder unbewußt befolgt zu haben, ist ein Hauptverdienst Molières, über den im allgemeinen Goethe 1828 die denkwürdigsten Worte schrieb ("Französisches Schauspiel in Berlin"): "Wir ergreifen diese Gelegenheit, um unsere Herzens- und Glaubensmeinung auszusprechen, daß, wenn einmal Komödie fein soll, unter denen, welche sich darin übten und hervorthaten, Molière in die erste Klasse und an einen vorzüglichen Ort zu setzen sei. Denn was kann man mehr von einem Künstler sagen, als daß vorzügliches Naturell, sorgfältige Ausbildung und gewandte Ausführung bei ihm zur vollkommensten Harmonie gelangten! Dies Zeugnis geben ihm schon über ein Jahrhundert seine Stücke, die ja noch, obschon seiner persönlichen Darstellung entbehrend, die talentvollsten, geistreichsten Künstler aufregen, ihnen durch frische Lebendigung genugzuthun."
Die erste Sammlung von Molières Werken erschien 1675 in Paris, die beste ist die von Louis Moland (7 Bde. Paris 1863 – 1864) herausgegebene. Ins Deutsche übersetzten vortrefflich Wolf Graf Baudissin "Molières Lustspiele" (4 Bde. Leipzig 1865 – 1867; in Bd. I. eine umfangreiche Abhandlung: "Molière, sein Leben und seine Werk") und Adolf Laun "Molières Charakterkomödien" (3 Bde. Hildburghausen 1865). Über Molière vergl. die deutschen Werke von C. Humbert (Leipzig 1869), von F. Lotheißen (Frankfurt a. M. 1880) und von R. Mahrenholtz (Leipzig 1881).
Das vorliegende Lustspiel "Der Geizige" (L'avare), in ungebundener Rede geschrieben, wurde 1668 zuerst und zwar auf dem Theater des Palais Royal in Paris aufgeführt; Molière spielte den Harpagon. Der erste Druck des Stücks erschien 1669 in Paris. Es ist dem "Goldtopf" (Aulularia) des Plautus nachgebildet, nicht ohne dieser Komödie des Geizes im ganzen und im einzelnen vieles zu entlehnen; dennoch ist es ein voll aus dem Leben gegriffenes Stück von echt Molière'scher Selbständigkeit. Der Euclio bei Plautus ist nämlich ein Geizhals ganz gewöhnlicher Art, der soeben einen Schatz gefunden hat und dadurch in eine fieberhafte Aufregung gerät; Molières Harpagon dagegen ist ein ganz neues Charakter, dessen Vorbild ein Zeitgenosse des Dichters war: ein vornehmer, unter Standesvorurteilen lebender und dabei vom schmutzigsten Geiz ergriffener Mann. Über das Urbild des Harpagon macht Baudissin (a. a. O. Bd. III. S. IV.) folgende Mitteilung:
"Drei Jahre vor der ersten Aufführung des Avare waren der Lieutenant Criminel Tardieu (der in Paris das Urteil in höchster Instanz über alle Kriminalverbrechen sprach) und seine Frau Marie Ferrier in ihrem Hause ermordet worden, und der tragische Vorfall hatte Hof und Stadt, ja ganz Frankreich in die größte Aufregung versetzt. Die über allen Begriff ärmliche Lebensweise dieser vornehmen Virtuosen in der Kunst des Sparens, ihr schmutziger Geiz, ihre erfindungsreichen Listen und Notbehelfe, um sich den Anforderungen zu entziehen, die man ihrer Stellung wegen an sie machte, sowie ihr schamloser Wucher waren noch lange nach ihrem Tode das Stadtgespräch: niemand bedauerte ihr grausames Schicksal, aber alle Welt wiederholte die unzähligen Anekdoten, die über sie in Umlauf gekommen waren. Marie Ferrier hatte ihrem an sich schon reichen Gemahl eine Mitgift von dreihunderttausend Livres zugebracht, – eine Summe, die nach damaligem Geldwert ungefähr das Doppelte repräsentiert, – und konnte demnach für eine der reichsten Frauen von Paris gelten. "Sie ward sehr bald," so erzählt Tallement des Reaux, "die Fabel der ganzen Stadt, und der Lieutenant Criminel ist der würdige Gespons eines solchen Geizteufels. Sie hat eine stattliche Figur und schlägt die Laute mit Fertigkeit: nichts aber ist lächerlicher, als sie in ihrem alten abgetragenen Samtkleid, zugeschnitten, wie es vor zwanzig Jahren Mode war, mit einem eben so alten und vergilbten Kragen und verschossenen Bändern ihr Instrument spielen, oder gar zur Königin fahren zu sehn. Sie hat keine Kinder; demungeachtet halten ihre Mutter, die mit ihr zusammen wohnt, ihr Mann und sie keine andere Dienerschaft, als einen alten Kutscher. Ihre Karosse ist so baufällig und das Gespann so elend, daß sie kaum damit von der Stelle kommt. Die Mutter giebt in eigner Person den Hafer aus, und die Pferde fressen sich nie satt. Der Mann macht selbst die Thür auf, wenn geklingelt wird: ein paarmal, wenn eben ein Besuch gekommen war, hat er den Gast bitten müssen, die Pferde durch seinen Bedienten zur Tränke führen zu lassen, weil der Kutscher nicht zu Hand war. Mutter und Tochter haben lange Zeit von der Milch einer Ziege gelebt; Herr von Tardieu speist in irgend einer Kneipe, und zwar wenn er's einrichten kann, auf Kosten eines seiner Klienten: zum Abendbrot behilft er sich mit zwei Eiern. Es giebt wenig so reiche Leute in Paris: dabei ist er aber der schamloseste Wucherer, und hätte zwanzigmal verdient, gehängt zu werden. Ganz Paris hatte sein Ergötzen daran gehabt, wie einmal die Kutsche der Frau Lieutenant auf dem Pont Neuf umgeworfen worden war, und die Vorübergehenden die Dame in der bedenklichsten Positur mit den Füßen in der Luft und dem Kopf zu unterst erblickt hatten. Dabei war man denn gewahr geworden, daß sie zu ihrem Glück ein Paar aus verschiedenen auf weißem Atlas gedruckten Thesen zusammengenähte Hosen getragen hatte." Zu Racines Plaideurs ist die arme Babonnette, die sich so gut darauf versteht, wie man ein Haus führt, keine andere als Marie Ferrier, und auch Boileau hat in seiner zehnten Satire ein Portrait von den beiden Eheleuten geliefert." –
Molière macht diesen Charakter zum Mittelpunkt einer Familie und zeigt nun, wie der Geiz sogar die engen Bande des Familienlebens lockert, und wie ein Egoist, der nichts liebt als sein Geld, dahin gelangen muß, von all den Seinigen gehaßt zu werden. Daß Harpagon zum Liebhaber wird, verstärkt die Komik, und daß seine Angebetete die Geliebte seines eigenen Sohnes ist, die Verwicklung des Stücks.
B.
Harpagon
Cléanthe, sein Sohn
Elise, seine Tochter
Valère, Elisens Liebhaber
Marianne, Cléanthes Geliebte, in die auch Harpagon verliebt ist
Anselmé, Valères und Mariannens Vater
Frosine, eine Gelegenheitsmacherin
Simon, ein Mäkler
Jacques, Harpagons Koch und Kutscher
Frau Claude, Harpagons Haushälterin
La Fléche, Cléanthes Diener
Brind´avoine, Harpagons Lakai
La Merluche, Harpagons Lakai
Ein Kommissär und sein Schreiber
Scene: Paris, in Harpagons Hause
Erste Scene
Valère. Elise.
Valère.
Wie, meine teure Elise, ich sehe Euch nachdenklich und sorgenvoll, nachdem Ihr eben die Großmut hattet, mich Eurer Treue zu versichern? Muß ich Euch, – ach! – mitten in meiner Freude seufzen sehn? Ist's Euch leid, mich glücklich gemacht zu haben? Und bereut Ihr das Versprechen, zu dem meine Leidenschaft euch überredet hat? –
Elise.
Nein, Valère, ich kann nichts bereuen, was ich für Euch gethan habe; ich fühle mich durch eine zu sanfte Gewalt dazu hingezogen, und kann nicht einmal wünschen, daß dies alles nicht geschehen wäre. Aber wenn ich Euch die Wahrheit gestehn soll, unser bisheriger Erfolg beunruhigt mich, und ich fürchte zuweilen, ich liebe Euch mehr als ich sollte.
Valère.
Aber, geliebte Elise, was könnt Ihr von Eurer Güte gegen mich besorgen? –
Elise.
Ach, hunderterlei: den Zorn meines Vaters, die Vorwürfe der Familie, das Urteil der Welt: mehr aber als dies alles, Valère, die Wandelbarkeit Eures Herzens, und die schnöde Kälte, mit der ihr Männer so oft die zu warmen Äußerungen einer unschuldigen Neigung vergeltet.
Valère.
Um alles in der Welt, thut mir nicht das Unrecht an, mich nach andern zu beurteilen. Traut mir alles Mögliche zu, teure Elise, nur nicht, daß ich meine Pflicht gegen Euch vergessen könnte. Dazu liebe ich Euch zu sehr, und meine Liebe wird nur mit meinem Leben erlöschen! –
Elise.
Ach, Valère, das sagt jeder. Alle Männer gleichen sich in ihren Reden, und nur ihre Thaten unterscheiden sie.
Valère.
Wenn wir denn nur an unsern Thaten erkannt werden, so wartet wenigstens, bis Ihr mein Herz nach meinem Thun beurteilen könnt, und laßt Eure ungerechte Furcht, die nur auf einer melancholischen Voraussicht beruht, mir nicht Verbrechen andichten, die meiner Seele fern liegen. Erspart mir, ich bitte Euch, die tödlichen Dolchstiche eines kränkenden Verdachts, und gönnt mir Zeit, Euch durch tausend und aber tausend Beweise von der Aufrichtigkeit meiner Liebe zu überzeugen.
Elise.
Wie leicht läßt man sich überreden, wenn man liebt! Ja, Valère, ich halte Euch für unfähig, mich zu betrügen; ich glaube, daß Ihr mich wirklich liebt, und mir treu bleiben werdet, ich will nicht länger zweifeln, und meinen Kummer auf die Furcht vor dem Tadel beschränken, der mich treffen wird.
Valère.
Was aber habt Ihr zu fürchten? –
Elise.
Nichts, Valère, wenn die ganze Welt Euch mit meinen Augen ansähe; und ich finde in Eurem Wesen die beste Berechtigung für mich, zu handeln, wie ich's thue. Meine Herzenswahl wird gerechtfertigt durch Euer Verdienst, und stützt sich überdem auf eine Dankbarkeit, zu der der Himmel selbst mich gegen Euch verpflichtet hat. Jede Stunde denke ich an die entsetzliche Gefahr, in der wir uns zuerst einander begegneten; an die bewunderungswürdige Großmut, mit der Ihr Euer Leben wagtet, um das meinige den tobenden Wellen zu entreißen; an die zärtliche Sorgfalt, die Ihr mir erwies't, nachdem Ihr mich aus den Fluten gerettet, und an die fortdauernd dargebrachte Huldigung Eurer Liebe, die weder Zeit noch Schwierigkeiten erschüttern konnten, und die Euch dazu gebracht hat, Eltern und Heimat zu verlassen, und hier zu verweilen. Seid Ihr doch, um mich sehn zu können, so weit gegangen, einen Dienst im Hause meines Vaters anzunehmen! Das alles mußte einen unwiderstehlichen Eindruck auf mich machen, und ist in meinen Augen mehr als hinreichend, um das Versprechen zu rechtfertigen, das ich gestern eingegangen bin: aber es genügt vielleicht nicht für die übrige Welt, und ich bin nicht sicher, ob diese meine Gesinnungen billigen wird.
Valère.