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Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Dr. Daniel Norden kannte Anja Neudeck seit fünf Jahren, und er kannte sie als eine unkomplizierte Patientin. Mal eine Magenverstimmung, mal eine kleine Verletzung. Es war bisher nur eine Grippe gewesen, die sie tatsächlich mal für ein paar Tage ins Bett gezwungen hatte, aber sie bezeichnete sich selbst als einen Stehauf. Anja war vierunddreißig und eine attraktive Frau. Sie verstand sich zu kleiden, modisch und doch immer damenhaft. Sie hatte wunderschönes kupferfarbenes Haar, das keiner Nachhilfe bedurfte, graugrüne Augen, die immer einen rätselhaften Ausdruck hatten, aber seit einiger Zeit sehr melancholisch blickten. Dr. Norden wusste, was sie bedrückte. Sie war seit vierzehn Jahren mit Peter Neudeck verheiratet und hatte alles, was eine Frau sich wünschen konnte, nur kein Kind, und das wünschte sie sich sehnlichst. Sie hatte darüber nie so offen, ja fast entsagungsvoll gesprochen, wie an diesem Tag. Sie war zu Dr. Norden gekommen, Migräne vorschützend, aber sie wollte sich eigentlich nur aussprechen und seinen Rat einholen. »Unsere Ehe war bisher glücklich«, hatte sie angefangen, und diese Formulierung ließ ihn aufhorchen. Seine Augenbrauen schoben sich zusammen. »Wir haben uns Kinder gewünscht«, fuhr sie jedoch schnell fort, »aber es scheint keinerlei Aussicht zu bestehen, dass ich noch eines bekommen kann. Ich habe schon an ein Retortenbaby gedacht, aber da ist mein Mann überhaupt nicht ansprechbar.« Sie machte eine kleine Pause. »In letzter Zeit gibt es so manche Meinungsverschiedenheit zwischen uns«, fuhr sie leise fort. »Ich habe den Entschluss gefasst, mich scheiden zu lassen, um meinem Mann den Weg freizumachen zu einer anderen Frau, die ihm noch Kinder
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Dr. Daniel Norden kannte Anja Neudeck seit fünf Jahren, und er kannte sie als eine unkomplizierte Patientin. Mal eine Magenverstimmung, mal eine kleine Verletzung. Es war bisher nur eine Grippe gewesen, die sie tatsächlich mal für ein paar Tage ins Bett gezwungen hatte, aber sie bezeichnete sich selbst als einen Stehauf.
Anja war vierunddreißig und eine attraktive Frau.
Sie verstand sich zu kleiden, modisch und doch immer damenhaft. Sie hatte wunderschönes kupferfarbenes Haar, das keiner Nachhilfe bedurfte, graugrüne Augen, die immer einen rätselhaften Ausdruck hatten, aber seit einiger Zeit sehr melancholisch blickten.
Dr. Norden wusste, was sie bedrückte. Sie war seit vierzehn Jahren mit Peter Neudeck verheiratet und hatte alles, was eine Frau sich wünschen konnte, nur kein Kind, und das wünschte sie sich sehnlichst.
Sie hatte darüber nie so offen, ja fast entsagungsvoll gesprochen, wie an diesem Tag. Sie war zu Dr. Norden gekommen, Migräne vorschützend, aber sie wollte sich eigentlich nur aussprechen und seinen Rat einholen.
»Unsere Ehe war bisher glücklich«, hatte sie angefangen, und diese Formulierung ließ ihn aufhorchen. Seine Augenbrauen schoben sich zusammen.
»Wir haben uns Kinder gewünscht«, fuhr sie jedoch schnell fort, »aber es scheint keinerlei Aussicht zu bestehen, dass ich noch eines bekommen kann. Ich habe schon an ein Retortenbaby gedacht, aber da ist mein Mann überhaupt nicht ansprechbar.« Sie machte eine kleine Pause.
»In letzter Zeit gibt es so manche Meinungsverschiedenheit zwischen uns«, fuhr sie leise fort. »Ich habe den Entschluss gefasst, mich scheiden zu lassen, um meinem Mann den Weg freizumachen zu einer anderen Frau, die ihm noch Kinder schenken kann. Er ist sechsunddreißig und kann eine junge Frau heiraten.«
»Gibt es eine in seinem Leben?«, fragte Dr. Norden behutsam.
»Nein, er würde mich auch nicht heimlich hintergehen, und er ist absolut gegen eine Scheidung, aber ich weiß, dass er sich Kinder wünscht. Er ist der Meinung, dass ich mich mit unserem Betrieb übernommen habe und lieber eine Kur machen sollte. Aber Sie wissen doch, dass es für mich keine Chance gibt, ein Kind zu bekommen, Dr. Norden.«
»Ich stelle überhaupt keine Prognosen mehr, seit ich erlebt habe, dass eine Patientin nach sechzehnjähriger Ehe und nachdem sie schon ein Kind adoptiert hatten, doch noch im Alter von siebenunddreißig Jahren einen gesunden Sohn zur Welt brachte. Der Mensch ist nun mal das größte Wunder der Schöpfung, und ich zögere nicht einzugestehen, dass auch an ihm manche Wunder vollbracht werden. Warum wollen Sie kein Kind adoptieren?«
»Auch das habe ich reiflich überlegt, aber da bin ich nun wiederum mehr dagegen als Peter. Ich denke viel nach, Dr. Norden, das dürfen Sie mir glauben. Wenn sich solch ein Kind anders entwickelt, als man es sich vorgestellt hat, schiebt man es auf die Erbmasse. Es ist nicht das eigene Kind. Wenn man ein Kind geboren hat und es entwickelt sich anders, als man es erträumte, sucht man das bei sich selbst, aber es geht ja um das eigene Kind und man ist eher bereit, für alles eine Entschuldigung zu suchen.«
»Es gibt auch gesundheitliche und Entwicklungsstörungen, die keine Erbanlagen als Ursache haben, Frau Neudeck. Es gibt so viele Dinge, für die selbst Ärzte oder Psychologen im Dunkeln herumtappen. Aber abgesehen davon finde ich es sehr gut, wenn man sich vorher auch mit sich selbst auseinandersetzt, ob man nun ein eigenes Kind haben oder eines adoptieren will.«
»Ich würde so gern ein Kind haben, ein eigenes Kind«, flüsterte Anja. »Unsere Ehe könnte gar keine Zukunft haben ohne Kinder.«
»Und die Begründung?«, fragte Daniel Norden ruhig.
»Peter würde sich aus Pflichtgefühl nicht von mir trennen, und ich würde mir immer den Vorwurf machen, dass es so ist.«
»Ich denke, Ihr Mann liebt Sie, Frau Neudeck.«
»Und ich liebe ihn, Dr. Norden. Deswegen wünsche ich ihm ja ein größeres Glück.«
Sie war verzweifelt, das fühlte und sah Dr. Norden. Sie wollte sich in Entsagung retten. Doch bevor er etwas sagen konnte, stieß sie hervor: »Ich habe ja einen Beruf. Ich kann darüber hinwegkommen, und ich möchte auch nicht in Feindschaft mit Peter auseinandergehen.« Aber dann stürzten Tränen aus ihren Augen, und um ihre Fassung war es geschehen. Dr. Norden gelang es, sie zu beruhigen, tröstend auf sie einzureden, ihr zuzureden, sich doch in der Leitner-Klinik nochmals einer Kontrolluntersuchung zu unterziehen, weil Hormonveränderungen andere Voraussetzungen schaffen könnten.
»Peter sagt ja, dass ich mal eine Kur machen sollte«, murmelte sie, »aber es ist doch alles sinnlos.«
»Weil Sie von vornherein dieser Meinung sind, Frau Neudeck«, sagte Dr. Norden eindringlich.
Sie starrte vor sich hin. »Er fährt jetzt für drei Wochen nach Amerika und Asien, um Geschäftsverbindungen anzuknüpfen und andere zu vertiefen, und in dieser Zeit will ich eine Entscheidung treffen. Gut, ich werde mich nochmals einer Untersuchung unterziehen, damit mir kein Vorwurf gemacht werden kann, dass ich etwas versäumt hätte.«
»Das ist ein guter Entschluss«, sagte Dr. Norden.
*
Anja musste sich erst ablenken, bevor sie heimfuhr, obgleich sie ja wusste, dass Peter erst später kommen würde. Sie fuhr zur Modeschule. Hier hatte sie Peter kennengelernt, kurz vor ihrem Examen. Sie hatte nicht gewusst, dass er der Juniorchef eines großen Konfektionsunternehmens, das man auch Kleiderfabrik nannte, war. Als solcher war er hier auch nicht aufgetreten. Er war gekommen, um sich im Auftrag der Firma Berneu nach einer talentierten Modezeichnerin umzusehen. So hatte es geheißen. Anja hatte keine Ahnung gehabt, dass Berneu aus den Namen Bernhard und Neudeck zusammengesetzt war, denn Bernhard war Peters Vater. Und der war hellauf begeistert gewesen, als Peter ihm die grad knapp zwanzigjährige Anja dann präsentierte. Und gerade wegen ihres Schwiegervaters war es Anja bange, wenn sie an eine Trennung von Peter dachte, denn mit ihm verstand sie sich nach wie vor wundervoll, obgleich es mit Peter nun doch hin und wieder schon Differenzen gegeben hatte in ihrer Ehe.
Anja war mit großem Hallo begrüßt worden, als sie das Atelier der Modeschule betrat. Schon manches Modell hatte sie hier für den Konfektionsbetrieb angekauft, und damit hatte die Schülerin, die es entworfen hatte, von vornherein einen guten Start gehabt. Es war ja ganz selten, dass eine die Energie hatte, sich selbstständig zu machen, um dann auch noch erfolgreich zu sein. Aber die meisten dieser jungen Mädchen waren nicht nur creativ, sondern auch clever, um ihre Chancen zu nützen, und in der Firma Neudeck hatte noch jede einen guten Start gehabt, wenn auch nicht so wie Anja, die dann ja bald die Frau des Juniorchefs geworden war.
Allerdings hatte Peter seinen Berufsweg ganz anders begonnen als sein Vater, der mit einer soliden Schneiderlehre zu einem Modeschöpfer geworden war. Peter hatte Betriebswirtschaft studiert und Management. Von Mode verstand er gerade so viel, dass er recht genau sagen konnte, was zu welchem Typ passte, aber das Handwerkliche lag ihm gar nicht, und für die Kollektionen waren sein Vater und Anja zuständig.
Peter hatte durchaus nichts dagegen gehabt, dass Anja in der Firma mitbestimmte, aber ihm wäre es dann doch lieber gewesen, wenn Kinder gekommen wären und Anja sich ins Privatleben zurückgezogen hätte. Natürlich hätte sie immer Mitspracherecht behalten, denn sie wusste genau, welche Modelle erfolgreich umgesetzt wurden und hatte das richtige Gespür, was der anspruchsvollen Frau gefiel und was der jungen, spritzigen. Und auch was die Preise anbetraf, kannte Anja genau die Grenzen, und gerade deshalb brauchten sie um ihre Produktion nicht zu bangen.
Anja betrieb ihre eigene Meinungsforschung, und man konnte sich darauf verlassen. Man ging mit der Zeit, aber man ging bei »Berneu« auch kein allzu großes Risiko ein.
An diesem Tag entdeckte Anja wieder ein Talent, obgleich sie doch gar nicht in Stimmung gewesen war. Sie hatte ein paar Entwürfe gesehen und ein Kleid, das gerade auf eine Puppe drapiert wurde.
»Von wem ist das, Mona?«, fragte sie die Lehrerin, die sie sehr gut kannte.
»Ich habe schon geahnt, dass dir das gefallen würde, Anja«, meinte Mona Friedrich. »Ich hätte dir schon einen Tipp gegeben, wenn du nicht zufällig heute gekommen wärest. Raffaela Ferraro …«
»Italienerin?«, fragte Anja hastig.
»Deutsche Mutter. Eltern geschieden, Mutter wieder verheiratet. Stiefvater zahlt, wenn auch widerwillig. Willst du sie kennenlernen?«
»Sofort«, erwiderte Anja kurz.
»Raffaela«, rief Mona, aber jemand sagte, dass sie gerade nicht da wäre. Doch sie wurde geholt, und dann stand ein Mädchen vor Anja, dem sie sofort alle Sympathie schenkte. Zierlich war sie, und blauschwarzes Haar umrahmte ein zartes elfenbeinreines Gesicht, in dem große dunkle Augen brannten.
»Anja Neudeck möchte dich kennenlernen, Raffaela«, sagte Mona.
Ein Lächeln blühte um einen wunderschönen Mund auf. »Ich kenne Madame Neudeck schon«, sagte Raffaela, »von vielen Bildern. Sie entwirft wunderschöne Creationen.«
»Du auch, Raffaela«, sagte Anja, deutete auf die Zeichnungen und das fertige Kleid. Sie war es gewohnt, die Mädchen mit Du anzureden, und diese fühlten sich geehrt. Es gab ganz wenige Ausnahmen, und das waren jene Mädchen, die auch Anja instinktiv ablehnte, die nur karrieresüchtig waren und niemand anderen anerkannten.
Raffaela war errötet, aber ihre Augen leuchteten wie Sterne, als Anja sagte: »Wenn du deine Prüfung abgelegt hast, kannst du bei uns sofort eine gute Stellung bekommen.«
Raffaelas Augen wanderten zwischen Anja und Mona hin und her, noch ein wenig ungläubig. Doch Mona sagte: »Wenn Anja das sagt, gilt es, Raffaela.«
»Und du kannst auch in unserem Haus wohnen, wir haben genug Platz«, sagte Anja spontan, und da war Mona Friedrich doch ein wenig irritiert. Sie konnte ja nicht ahnen, was in Anja vor sich ging.
Dieses Mädchen ist ein Traum, dachte Anja. Sie wird Peter gefallen.
Sie ist jung und schön und sehr talentiert, und sie ist so rein wie eine Madonna. Ich kann sie mir an seiner Seite vorstellen. Es würde mir nicht weh tun, für sie den Platz zu räumen.
Wirklich nicht? Doch, es würde weh tun, aber sie wollte ihn glücklich sehen. Sie wollte sich nicht die Schuld geben, dass er, der doch noch so jung und vital war, ein einsames Leben führen würde, weil sie ihm kein Kind schenken konnte, und sich dies Tag für Tag zum Vorwurf machte.
»Raffaela hat morgen ihre Prüfung«, sagte Mona. »Das Kleid hast du ja schon fertig gesehen, Anja.«
»Sie wird mit Glanz bestehen«, erwiderte Anja, als sich Raffaela entfernte.
»Und ich bin froh, wenn du sie weiterhin unter die Fittiche nimmst, aber wird Peter einverstanden sein, dass sie bei euch wohnt?«
»Das überlässt er mir. Außerdem ist er ab Montag erst mal drei Wochen abwesend. Da können wir uns gleich aneinander gewöhnen, Mona.«
Mona war zehn Jahre älter als Anja, und sie hatte eine unglückliche Ehe hinter sich. Sie sah Anja nachdenklich an. »Stimmt bei euch noch alles?«, fragte sie stockend.
»Du weißt doch, was mir fehlt. Ein Kind, Mona, und ich werde nie eins haben.«
Monas Gesicht wurde ernst. »Raffaela ist zwanzig, Anja, und doch wohl ein bisschen über das Alter hinaus, um ein Ersatzkind in ihr zu sehen. Und du wärest noch viel zu jung, um die Mutterrolle bei ihr zu übernehmen.«
»Daran habe ich auch nicht gedacht, Mona. Vielleicht kann sie einmal meine Stellung einnehmen, wenn ich mich von der Firma trenne.« Und dann verabschiedete sie sich schnell, und Mona konnte Gedanken nachhängen, die alles andere als erbaulich waren.
Aber dann rief sie Raffaela zu sich. »Es ist doch eine schwerwiegende Entscheidung für dich, Raffaela«, sagte sie.
»Für mich? Für mich ist das ein Geschenk des Himmels, Frau Friedrich. Meint es Frau Neudeck wirklich ernst?«
»Selbstverständlich. Sie sagt nichts, was sie nicht ernst meint. Übermorgen gibt sie ein Essen für uns. Es freut mich sehr für dich, Raffaela, dass du gleich eine gute Stellung bekommst, sogar eine sehr gute.«
»Es macht mich verlegen, dass sie mir anbietet, bei ihr zu wohnen«, sagte Raffaela leise.
»Sie hat einen verdrängten Mutterkomplex, ja, das ist es. Sie hat leider keine Kinder.«
»Das tut mir sehr leid«, sagte Raffaela leise. »Gerade Frauen, die Kinder haben wollen, bekommen keine, und andere werfen sie weg. Da sind sie nur Ballast.«
Mona schrak zusammen.
»Bitte, sag ihr nicht, was ich dir eben gesagt habe. Es geht mir nicht aus dem Sinn, aber ich hätte es nicht sagen sollen.«
»Es ist gut, wenn ich das weiß. Ich möchte mich sehr herzlich bedanken, dass Sie mir geholfen haben, Frau Friedrich.«
»Dazu bin ich gar nicht gekommen. Das war Anja von sich aus, aber deshalb freut es mich umso mehr.«
*
Zu Anjas Überraschung war Peter schon da, als sie kam.
»Wo warst du denn?«, fragte er besorgt. »Ich habe überall herumtelefoniert.«
Von ihrem Besuch bei Dr. Norden wollte sie nichts sagen. »Ich war in der Modeschule, und ich habe doch tatsächlich eine neue, hochtalentierte Mitarbeiterin für uns entdeckt, Peter.«
»Das ist fein. Jetzt kannst du wenigstens wieder lächeln. Erzähl mir ein bisschen was, ich muss nämlich schon morgen weg.«
»Da muss ich doch erst deine Sachen alle in Ordnung bringen«, sagte sie hastig.
»Als ob bei dir etwas nicht in Ordnung wäre«, meinte er lächelnd. »Also erzähle, die Koffer sind schnell gepackt.«
Sie sah ihn an und spürte, wie sehr sie ihn liebte. Sein schmales Gesicht, diese dunklen Augen, überhaupt alles. Sie wusste, sie hätte nie einen anderen Mann lieben können.
Sie riss sich zusammen. »Sie heißt Raffaela Ferraro, ist zwanzig Jahre und bezaubernd, und wie ich schon sagte, hochtalentiert. Und ich habe ihr angeboten, bei uns zu wohnen.«
Seine Augenbrauen ruckten empor. »Warum das, Anja?«, fragte er.
»Weil ich sie gleich gemocht habe.«
Eine steile Falte bildete sich auf seiner Stirn. »Eine zwanzigjährige Tochter wäre wohl doch ein bisschen zu alt für eine so junge Mutter«, sagte er. »Wir können ein kleines Kind adoptieren, wenn du unbedingt eins haben willst, Anja. Und wenn es deswegen, gerade deswegen zwischen uns Spannungen gegeben hat, wenn ich jetzt ein paar Wochen fern bin, sollst du wissen, dass ich dich liebe, nur dich, und niemals eine andere Frau lieben könnte.«
Er ging auf sie zu und nahm sie in seine Arme, und sie konnte sich nicht wehren gegen seine Zärtlichkeiten, aber insgeheim war es für sie ein Abschied, wenn auch ein schmerzhafter, und dann vergaß sie doch plötzlich alles, was sie bedrückte, und sie fühlte sich zurückversetzt in jenen Tag, als er sie zum erstenmal so zärtlich geküsst hatte.
Wie unendlich glücklich war sie gewesen, wie unbeschwert. Sie hatte doch nicht eine Sekunde geglaubt, dass es zwischen ihnen mal Probleme geben würde. Aber hatte nicht sie diese geschaffen?
»Ich brauche kein Kind«, sagte Peter jetzt, »ich brauche nur dich, jeden Tag und für den Rest meines Lebens. Am liebsten wäre es mir, wenn du mitkommen würdest, Anja.«
»Das geht doch nicht. Wir können doch nicht beide zur gleichen Zeit weg«, sagte sie leise.
»Paps ist doch wirklich nicht so alt, dass er nicht mal einspringen könnte. Er hockt da nur in seinem Bauernhaus herum und zählt sein Viehzeug. Das hätte ich von ihm auch nicht gedacht. Mit sechzig Jahren, das wirst du bei mir nicht erleben, Anja.«
Was werde ich erleben, dachte sie. Vielleicht resigniert Paps, weil ich keine Kinder bekomme. Er wäre doch so gerne Opa. Und immer gab sie nur sich die Schuld an allem, was sich nicht so entwickelt hatte, wie sie es sich an jenem Tag vorstellte, als sie Peter Neudecks Frau wurde.
*
Es war ihr wehmütig ums Herz, als sie Peter anderntags zum Flughafen brachte. Nach dieser Nacht konnte sie es sich erst recht nicht vorstellen, ihn zu verlassen, ohne ihn zu leben. Und jetzt schien es ihr geradezu absurd, was sie sich da ausgedacht hatte.
Gewaltsam brachte sie sich auf andere Gedanken. Ihr fiel es jetzt ein, dass sie anlässlich Raffaelas bestandener Prüfung ein Essen geben wollte. Sie bestellte einen Tisch im Jagdschlössl, das für seine erstklassige Küche weithin bekannt war.
Sie wurde ruhiger, als sie überlegte. Peter war gut drei Wochen abwesend, und es war doch schön für sie, Raffaela dann im Hause zu haben. Finni würde bestimmt nichts dagegen haben. Aber sie musste ja noch mit ihr darüber sprechen, damit das Zimmer für Raffaela hergerichtet wurde.
Finchen machte erst mal große Augen. Sie war in diesem Hause schon in Ehren ergraut.