Der Irrgeist des Schlosses - Nataly von Eschstruth - E-Book

Der Irrgeist des Schlosses E-Book

Nataly von Eschstruth

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Beschreibung

Neue Deutsche Rechtschreibung Nataly von Eschstruth war eine deutsche Schriftstellerin und eine der populärsten und berühmtesten Erzählerinnen der Gründerzeit. Null Papier Verlag

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Nataly von Eschstruth

Der Irrgeist des Schlosses

Heimatroman

Nataly von Eschstruth

Der Irrgeist des Schlosses

Heimatroman

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected] 2. Auflage, ISBN 978-3-962810-65-8

null-papier.de/neu

Inhaltsverzeichnis

Wid­mung

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

21.

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie sich für ein E-Book aus mei­nem Ver­lag ent­schie­den ha­ben.

Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

Ihr Jür­gen Schul­ze

Klas­si­ker bei Null Pa­pier

Ali­ce im Wun­der­land

Anna Ka­re­ni­na

Der Graf von Mon­te Chri­sto

Die Schat­zin­sel

Ivan­hoe

Oli­ver Twist oder Der Weg ei­nes Für­sor­ge­zög­lings

Ro­bin­son Cru­soe

Das Got­tes­le­hen

Meis­ter­no­vel­len

Eine Weih­nachts­ge­schich­te

und wei­te­re …

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Widmung

Mei­ner lie­ben Freun­din Fräu­lein Na­ta­lie Kal­nass von Kal­nas­sy zur Erin­ne­rung an fröh­li­che, in ei­nem al­ten »Ge­s­pens­ter­schloss« ver­leb­te Stun­den

Die Ver­fas­se­rin

1.

Die Blü­te fiel, mir blieb der schar­fe Dorn, Noch im­mer aus der Wun­de quillt das Blut; Es sind das Weh, die Sehn­sucht und der Zorn Mein ein­zig Gut.

Gei­bel.

Es war im Juni. Blen­den­de Son­nenglut lag auf dem weit ge­dehn­ten Häu­ser­kom­plex der Ka­det­ten­an­stalt, flim­mernd, wie ein un­ab­seh­ba­res Strah­len­netz, wel­ches mit tau­send fei­nen Gold­ma­schen Him­mel und Erde um­spon­nen hält. Die jun­gen Gar­ten­an­la­gen stan­den matt und welk, ein­zel­ne Schmet­ter­lin­ge hin­gen an den Blu­men, und die Flie­gen blitz­ten wie über­mü­ti­ge Ge­dan­ken durch die Luft, eben­so bunt und schil­lernd wie der Son­nen­staub, in wel­chem sie sich tum­mel­ten. Hin­ter dem Haupt­ge­bäu­de dehn­te sich der Reit­platz aus, da war Schat­ten.

»Durch die Mit­te der Bahn chan­giert!« klang die Sum­me des un­ter­rich­ten­den Ka­val­le­rie­of­fi­ziers. Er ließ die Reit­peit­sche sin­ken, stemm­te die Arme in bei­de Sei­ten und ließ die er­hitz­ten Pfer­de an sich vor­über de­fi­lie­ren. Mit glü­hen­dem Ge­sicht führ­ten die jun­gen Rei­ter das Ma­nö­ver aus, mit fast pein­li­cher Ge­nau­ig­keit, und den­noch war kein ein­zi­ger bei der Sa­che. Zur Sei­te des Plat­zes näm­lich, dicht an der Bar­riè­re, stand ein klei­ner Kreis sehr ele­gan­ter Zuschau­er; die hohe, im­po­san­te Ge­stalt ei­nes Herrn mit dem Band des ei­ser­nen Kreu­zes im Knopf­loch, mit weißem Schnurr­bart und hel­len Hand­schu­hen, und ihm zur Sei­te die Frau Ma­jo­rin, sei­ne Ge­mah­lin, klein, kor­pu­lent, mit der Lor­gnet­te vor den Au­gen.

»Dag­mar!« wand­te sie sich plötz­lich mit stren­gem Blick zur Sei­te, »geh’ von dem Ge­län­der her­un­ter! Du bist nicht al­lein hier!«

Dag­mar war ein Back­fisch­chen, gra­zi­ös, ko­kett, von Kopf bis zu Fü­ßen rosa. Die klei­ne Nase mit ih­rem ke­cken, auf­wärts stre­ben­den Spitz­chen wand­te sich halb zur Sei­te. »Da un­ten sehe ich nichts, Tan­te!« rief sie mit leicht ge­fal­te­tem Münd­chen, »und Frie­da und Herr von San­gers ste­hen ja vor mir!« Und ohne nur die min­des­te No­tiz von dem miss­bil­li­gen­den Ge­sicht der Ma­jo­rin zu neh­men, rück­te sie sich noch über­mü­ti­ger auf ih­rem Sitz zu­recht und warf die wil­den Kraus­haa­re in den Na­cken zu­rück.

»Sa­gen Sie mir doch, Herr von San­gers, wer ist je­ner ent­setz­lich häss­li­che Mensch dort auf dem Schim­mel!« lach­te sie plötz­lich laut auf, ihre tief­dun­keln Au­gen zu dem jun­gen Küras­sier­of­fi­zier he­bend, wel­cher lä­chelnd mit dem Blick der Rich­tung folg­te, die ihm die klei­ne Hand un­ge­niert an­gab, »nein, das ist ja haar­sträu­bend! Wie eine Lei­che sieht er aus und hängt auf dem Pfer­de wie ein Ham­pel­mann! Ha­ha­ha! Fritz!« Und sie wand­te sich jäh zu ei­nem rot­wan­gi­gen, zehn­jäh­ri­gen Kna­ben zu­rück, wel­cher dicht hin­ter ihr stand: »Dass Du mir nie­mals solch einen Rit­ter von der trau­ri­gen Ge­stalt ab­gibst, sonst ver­leug­ne ich Dich bei Gott vor al­ler Welt!«

»Da kannst Du ru­hig sein, Dag­mar!« schüt­tel­te Fritz mit weg­wer­fen­dem Na­se­rümp­fen den Kopf, »ich glau­be, wir Bei­de rei­ten jetzt schon bes­ser wie all’ die Kerls da zu­sam­men!«

»Aber Kin­der, bit­te, me­na­giert Euch!« wand­te sich die Ma­jo­rin mit stra­fen­dem Bli­cke um, und auch Frie­da schüt­tel­te ganz ver­le­gen ihr acht­zehn­jäh­ri­ges Blond­köpf­chen und sag­te in ent­schul­di­gen­dem Flüs­ter­ton zu Herrn von San­gers: »Die bei­den Klei­nen sind gar zu wild, das kommt von dem ewi­gen Land­auf­ent­halt bei uns; ich bin recht ban­ge, wie Fritz sich hier ein­le­ben wird!«

Der schö­ne Of­fi­zier strich lä­chelnd sei­nen glän­zen­den Schnurr­bart. »Un­be­sorgt, mein gnä­di­ges Fräu­lein, las­sen Sie den klei­nen Vet­ter erst ein paar Mo­na­te bei uns sein, und Sie wer­den Ihre Freu­de er­le­ben, wel­che Wun­der das Ka­det­ten­korps be­wirkt. – Wie be­fah­len Sie, Fräu­lein Dag­mar?«

»Ich be­fahl, dass Sie mir nun end­lich sa­gen, wer je­nes jun­ge Scheu­sal auf dem Schim­mel ist!« klang es mit grau­sa­mer Be­to­nung von den fri­schen Lip­pen und Dag­mar zupf­te ko­kett an der dun­kel­ro­ten Rose, wel­che, weit­hin leuch­tend, in ih­rem Knopf­loch stak, »jetzt kommt er eben hier an­ge­rit­ten, der drit­te – hei­li­ger Lau­ren­ti­us, wenn er doch ein­mal her­un­ter­fie­le!« Und mit hel­lem Ge­läch­ter strich sie das schwe­re Haar aus der Stirn und häm­mer­te aus­ge­las­sen mit dem spit­zen Stie­fel­ha­cken ge­gen die höl­zer­ne Bar­riè­re.

»Bit­te, nicht so laut, Fräu­lein Dag­mar!« raun­te ihr San­gers mit leicht­ge­fal­te­ter Stirn zu, »Graf Ech­ters­loh ist un­ser zu­künf­ti­ger Molt­ke, klug, streb­sam, sehr brav und tüch­tig.«

»Aber häss­lich! Häss­lich über alle Be­grif­fe!« Laut und scharf klang die Stim­me Dag­mars über den Platz, ein spöt­ti­scher Aus­druck um­spiel­te ihre ro­ten Lip­pen, fest und groß haf­te­ten ihre Au­gen auf dem Ge­sicht des Ka­det­ten, ein fast her­aus­for­dernd trot­zig mo­quan­ter Blick, wel­cher je­doch den Zau­ber des pi­kan­ten Ge­sichts eher er­höh­te als ver­nich­te­te.

Wie von ei­nem Dolch ge­trof­fen schrak Graf Ech­ters­loh em­por, mo­men­tan ruh­te Auge in Auge, je­der Bluts­trop­fen wich aus sei­nen an und für sich schon sehr blei­chen, groß­ge­schnit­te­nen Zü­gen, starr wie das Ant­litz ei­nes To­ten schau­te er zu ihr her­über.

»In ab­ge­kürz­tem Tem­po Ga­lopp – Marsch!« klang das Kom­man­do des Of­fi­ziers dicht ne­ben ihm. Der Schim­mel zuckt auf, mit jä­her Be­we­gung setzt er sich in das ra­sche Tem­po sei­ner Vor­gän­ger, und Graf Ech­ters­loh, über­rascht, ver­wirrt, wie aus tie­fem Traum er­wa­chend, sucht schwan­kend die Balan­ce zu hal­ten – um­sonst, mit schnel­ler Wen­dung kün­digt der Schim­mel den Ge­hor­sam und sein Rei­ter fliegt vorn­über in schwe­rem Sturz aus dem Sat­tel.

»Nun ha­ben Sie ja Ihren Wil­len ge­habt, Fräu­lein Dag­mar«, flüs­ter­te San­gers zwi­schen den Zäh­nen, und ein fast fins­te­rer Blick streift die Klei­ne, wel­che mo­men­tan leicht er­blei­chend auf das her­ren­los da­hin­tra­ben­de Pferd starrt. »Das hät­te leicht recht schlimm ab­lau­fen kön­nen. Aber Gott sei Dank, un­ser bra­ver Se­lek­ta­ner scheint sich nicht er­heb­lich ver­letzt zu ha­ben! Sie schei­nen sehr viel Ge­wicht auf das Äu­ße­re zu le­gen, Fräu­lein von der Ropp, für Sie exis­tiert nur die Schön­heit?«

»Na­tür­lich!« Dag­mar warf ihr rei­zen­des Köpf­chen in den Na­cken: »Es gibt drei Din­ge auf der Welt, wel­che mir ver­hasst sind: Käl­te, Dun­kel­heit und häss­li­che Ge­sich­ter, und wenn Ihr Graf Ech­ters­loh auch ein wah­rer Aus­bund von Klug­heit und Geist wäre, er ist für mei­ne Be­grif­fe ein Mon­strum von Häss­lich­keit, und das ge­nügt, um ihn für mich aus dem Re­gis­ter der Exis­tie­ren­den zu strei­chen!«

»Du über­treibst, Dag­mar«, warf Frie­da mild ein, »es ist nur sei­ne auf­fal­lend blei­che Ge­sichts­far­be, wel­che ihn auf den ers­ten Blick un­schön er­schei­nen lässt, sei­ne ein­zel­nen Züge sind nicht häss­lich, im Ge­gen­teil, sie sind fast zu re­gel­mä­ßig aus­ge­prägt für das ha­ge­re Ge­sicht!«

»Ge­sicht! Wie kann man einen sol­chen To­ten­kopf nur Ge­sicht nen­nen!« zuck­te die Klei­ne ge­ring­schät­zend die Ach­seln, »wenn nicht sei­ne zwei großen Rä­d­erau­gen dar­in flamm­ten, wäre es eine Wachs­mas­ke, puh, und die­se Au­gen, ich fin­de sie schreck­lich, seht doch, wie er jetzt wie­der hier­her starrt, als ob er mich ver­schlin­gen woll­te!«

»Ist Graf Ech­ters­loh lei­dend?« frag­te Frie­da teil­neh­mend.

»Nein, mein gnä­di­ges Fräu­lein, aber zu über­trie­ben flei­ßig«, nick­te San­gers mit freund­li­chem Blick auf den Ge­nann­ten, »die jun­gen Leu­te prä­pa­rie­ren sich für das Of­fi­ziersex­amen, und ich hof­fe, dass die un­er­müd­li­chen Stu­di­en Ech­ters­lohs als­dann ihre glän­zen­den Früch­te tra­gen!« –

Ma­jor von der Ropp be­sich­tig­te mit viel In­ter­es­se die in­ne­re Ein­rich­tung der ge­wal­ti­gen. Ge­bäu­de; er schritt an der Sei­te des Kom­man­dan­ten, und es dreh­te sich die Un­ter­hal­tung der Her­ren haupt­säch­lich um den an­ge­mel­de­ten Ka­det­ten Fritz, wel­cher heu­te von sei­nem Vor­mund mit dem zu­künf­ti­gen Auf­ent­halt be­kannt ge­macht wur­de.

Dag­mar und Fritz von der Ropp wa­ren Ge­schwis­ter, früh ver­waist und bei dem On­kel Ma­jor auf ein­sa­mem Land­gut er­zo­gen, bei­de auf­ge­wach­sen in zü­gel­lo­ser Frei­heit, wel­che sich hart­nä­ckig ge­gen al­les sträub­te, was nur im min­des­ten ei­nem Zwan­ge ähn­lich sah.

»Nun sieh Dir mal an, Dag­mar, Ret­ti­ge, Brot und Bier gibts hier zum Abendes­sen!« raun­te Fritz ins Ohr der Schwes­ter, mit fast feind­se­li­gem Blick den ge­wal­ti­gen Saal über­flie­gend, in wel­chem, eng ge­deckt, Ta­fel an Ta­fel zu­sam­men­stand, »das ist ja scheuß­lich, das esse ich nicht, und wenn sie sich auf den Kopf stel­len!«

Dag­mar war neu­gie­rig an die lan­gen Ess­ti­sche ge­tre­ten. »Wer sitzt denn hier un­ten vor, Herr von San­gers?« rief sie über die Schul­ter.

»Ein Se­lek­ta­ner, um die jün­ge­ren zu über­wa­chen!« war die kur­ze Ant­wort.

»Von de­nen, die vor­hin rit­ten?«

»Ja!«

Ein jä­her Ge­dan­ke blitz­te durch das Köpf­chen der klei­nen Dame, eben­so über­mü­tig und keck wie all sei­ne tol­len Ge­schwis­ter. Un­be­merkt blieb sie ein paar Schrit­te zu­rück, lös­te schnell die Rose aus ih­rem Knopf­loch und leg­te sie heim­lich un­ter die ers­te bes­te Se­lek­ta­ner­ser­vi­et­te. »Der soll sich mal wun­dern, der die­ses Abendes­sen fin­det!« dach­te sie, »ich wet­te, er macht ein sen­ti­men­ta­les Ge­dicht dar­auf! Wenns nur nicht das Mon­strum ist, des­sen Ver­se wür­den ge­wiss eben­so häss­lich sein, wie sein Ge­sicht, pfui, wenn ich nur an den Men­schen den­ke!« Und Dag­mar dreh­te sich auf den Ha­cken um und zog das Näs­chen kraus; im nächs­ten Au­gen­blick gab es schon wie­der an­de­res zu se­hen und zu den­ken. Und als nach ei­ner hal­b­en Stun­de die Equi­pa­ge mit Ma­jors nach Ber­lin zu­rück­s­aus­te, da träum­te Dag­mar be­reits von dem Ver­gnü­gungs­re­gis­ter der nächs­ten Tage, und hat­te Rose und Ka­det­ten­korps längst ver­ges­sen.

Dro­ben an ei­nem Fens­ter des Korps­ge­bäu­des aber lehn­te ein blei­ches, schmerz­be­weg­tes Ant­litz und mur­mel­te mit zu­cken­den Lip­pen: »Häss­lich! Häss­lich über alle Be­grif­fe!« Und an den dun­keln Wim­pern zit­ter­te es feucht und roll­te lang­sam, fast un­be­wusst über die ein­ge­fal­le­ne Wan­ge. Eine rote Rose lag in sei­ner Hand und stets von neu­em kehr­te sein Blick zu ihr zu­rück, dann wars wie ein se­li­ges Auf­flam­men in dem erns­ten Ge­sicht und er nick­te lei­se und träu­mend vor sich hin, »und den­noch ist es ihre Rose, ich ken­ne sie ja aus Tau­sen­den her­aus! Wa­rum hat sie mir ge­ra­de die­se Blü­te auf den Tel­ler ge­legt? Aus Mit­leid! Es tut ihr leid, dass ich weiß, wie bit­ter häss­lich sie mich fin­det!« – Und der Mond­schein husch­te durch die Schei­be und küss­te die rote Blu­me in sei­ner Hand, da sah sie so mild und lieb­lich aus, und tat dem Auge nicht mehr so weh wie im hel­len Son­nen­brand auf dem Reit­platz drau­ßen.

»Wie kann ich Dich ewig so frisch und schön er­hal­ten, klei­ne Rose?!« flüs­ter­te der Jüng­ling, »dass Du nicht stirbst und ver­gehst wie Dei­ne Schwes­tern?« – –

»Bist Du schon fer­tig mit Dei­nen Ar­bei­ten, Ech­ters­loh?« frag­te je­mand hin­ter ihm.

Er schau­te wirr auf. »Ar­bei­ten? Ich ar­bei­te nicht!«

»Du woll­test ja Dei­ne Ma­the­ma­tik heu­te Abend noch vor­neh­men!« fuhr der An­de­re er­staunt fort. Wie geis­tes­ab­we­send starr­te ihn Ech­ters­loh an.

»Das hat ja Zeit! Ma­the­ma­tik? Was ist Ma­the­ma­tik? Zäh­le zu­sam­men wie viel Wun­der ein Ro­sen­kelch birgt, wie viel grau­sa­me Wor­te zwei rote Lip­pen sa­gen kön­nen, wie viel Elend schon ein häss­lich Ge­sicht in der Welt ge­stif­tet hat, dann hast Du die Ma­the­ma­tik, und wenn Du sie nicht hast, dann viel­leicht et­was An­de­res, den Wahn­sinn!« Und Ech­ters­loh lach­te gell auf, und schritt has­tig aus der Tür.

Mo­na­te ver­gin­gen.

»Ech­ters­loh ist ver­rückt ge­wor­den!« flüs­ter­ten sich die Ka­det­ten in die Ohren, wi­chen ihm scheu aus und nick­ten sich nur ver­ständ­nis­voll zu, wenn der jun­ge Mann, schwan­kend wie in tie­fem Traum, ein­sam ein­her­schritt, lei­se vor sich hin­lä­chelnd, oder die Stirn in schwe­re Fal­ten ge­legt, als grü­b­le er über Uner­gründ­li­ches. – Ech­ters­loh ar­bei­te­te nicht mehr, er sah sei­ne Bü­cher nicht mehr an, er lach­te ge­heim­nis­voll, wenn sei­ne Ka­me­ra­den frag­ten, was er oft so heim­lich an dem Fens­ter trei­be. »Ich fin­de mich sel­ber!« ant­wor­te­te er kurz.

Die Leh­rer schüt­tel­ten die Köp­fe und re­de­ten ihm ernst in das Ge­wis­sen: »Ar­bei­ten Sie, Ech­ters­loh, es sind nur noch we­ni­ge Wo­chen bis zu dem Ex­amen!« Aber der Graf hör­te nicht. San­gers nahm ihn bei Sei­te und be­schwor ihn, Auf­schluss über sein selt­sam ver­än­der­tes We­sen zu ge­ben. Er mein­te es gut mit ihm, er hat­te ihn auf­rich­tig lieb. Der jun­ge Mensch ward rot und ver­le­gen, re­de­te wir­res Zeug, und stot­ter­te mit angst­vol­lem Blick: »Ich kann nicht Of­fi­zier wer­den, ich weiß es jetzt!«

»Soll­te ihm der Sturz von dem Pfer­de ge­scha­det ha­ben, ist es mög­lich, dass der Un­glück­li­che eine Ge­hirn­er­schüt­te­rung er­lit­ten hat?« frag­te man den Arzt. Die­ser un­ter­such­te den ver­meint­lich Kran­ken, be­ob­ach­te­te ihn scharf und ent­geg­ne­te kopf­schüt­telnd: »Er ist eben­so ge­sund wie frü­her, aber den­noch scheint er an der fi­xen Idee zu lei­den, kein Of­fi­zier wer­den zu wol­len!«

Das Ex­amen kam; Ech­ters­loh, der Stolz des gan­zen Korps – fiel durch. Er lä­chel­te und at­me­te auf: »Ich muss heim!« rief er mit aus­ge­brei­te­ten Ar­men. Wo­hin? Zu sei­ner Stief­mut­ter in die Re­si­denz? Nim­mer­mehr! »Nach Cas­ga­ma­la, in das lie­be Rui­nen­schloss! Da ist’s still und ru­hig, da gibt es wei­te wun­der­li­che Gär­ten voll blü­hen­der Ro­sen, zer­fal­le­ne Säu­len und mo­dern­de Pracht, da bin ich ganz al­lein, nur das Mond­licht huscht durch die bun­ten Schei­ben und leuch­tet mir, da will ich ar­bei­ten!«

2.

Und Ne­bel­bil­der stei­gen, wohl aus der Erd’ her­vor. Und tan­zen lust’­gen Rei­gen in wun­der­li­chem Chor, Und blaue Fun­ken bren­nen, an je­dem Blatt und Reis, Und rote Lich­ter ren­nen, in ir­rem, wir­rem Kreis.

Aus dem Lied: Aus al­ten Mär­chen winkt es.

»Zum Teu­fel, Laub­mann, man sieht nicht die Hand vor Au­gen in die­ser Dun­kel­heit! Das ist ja ein Ge­hol­pe­re und Ge­sto­ße, als füh­ren wir auf ei­ner Wüs­te von Fels­blö­cken, an­statt auf kö­nig­li­cher Chaus­see! Wo sind wir ei­gent­lich? Ich glau­be, Al­ter, über­all an­ders, nur nicht auf dem rich­ti­gen Wege!«

»Auf dem Wege sind wir schon, Ew. Gna­den, aber ’s geht hier halt ein bis­sel übers Ge­röll, eh’ wir in die Hai­de kom­men, und da ist’s halt schon bes­ser, ein bis­sel vor­sich­tig zu fah­ren, denn wenn man in solch’ stock­dunk­ler Nacht lus­tig drauf los kut­schiert, dann könnt’s halt ein bis­sel um­kip­pen, Ew. Gna­den!«

Ein lei­ser Fluch war die Ant­wort, dann herrsch­te aber­mals Stil­le.

Erde und Him­mel ver­schwam­men im schwar­zen Dun­kel, kein Stern, kein Mond­strahl be­leuch­te­te den Weg, nur die letz­te, halb er­lo­sche­ne La­ter­ne, wel­che Laub­mann an die Deich­sel­spit­ze des leich­ten Ca­brio­lets ge­bun­den hat­te, warf hie und da einen un­si­chern Flacker­schein über den tief aus­ge­wa­sche­nen Feld­weg, des­sen stein­be­sä­e­te Fur­chen das Ge­fährt wie auf Mee­res­wo­gen schwan­ken ließ. Zu bei­den Sei­ten dehn­te sich fla­che Ebe­ne aus, sehr sel­ten un­ter­bro­chen durch eine ver­wil­der­te Brom­beer­he­cke, wel­che, wie ein schwar­zer Klum­pen, mit aben­teu­er­lichs­ten For­men im Ne­bel­meer auf­tauch­te.

Im Wa­gen blitzt ein Streich­holz auf, eine wei­ße, ring­ge­schmück­te Hand hebt es em­por, um eine neue Ci­gar­re in Brand zu ste­cken.

Es ist ein schö­nes Männer­ge­sicht, wel­ches die rote Flam­me mo­men­tan be­leuch­tet. Ein schwar­zes Bärt­chen kräu­selt sich keck auf der Ober­lip­pe, zwei große stol­ze Au­gen leuch­ten un­ter re­gel­mä­ßig ge­wölb­ten Brau­en, Wan­gen und Kinn sind halb ver­deckt durch den em­por­ge­schla­ge­nen Kra­gen ei­nes Of­fi­zier­pa­le­tots.

»Jetzt sind wir halt auf der Hai­de, Herr Graf«, wand­te sich Laub­mann von sei­nem ho­hen Kut­scher­sitz zu­rück, »nun braucht’s noch ein bis­sel Ge­duld, und wir sind wie­der auf der Chaus­see, dann ist’s halt noch ein’ Pfeif Ta­bak lang und wir se­hen Cas­ga­ma­la vor uns!«

Der jun­ge Of­fi­zier strich ein zwei­tes Streich­holz an und sah nach der Uhr.

»Drei­vier­tel auf elf schon! Wir kom­men nicht vor Mit­ter­nacht an, Al­ter!« ant­wor­te­te er un­ge­dul­dig, »hol’ der Sa­tan Eure ver­damm­ten Step­pen hier, die kaum einen Fahr­weg, ge­schwei­ge eine Ei­sen­bahn auf­zu­wei­sen ha­ben!«

»Bscht! – wenn der Herr Graf so gnä­dig sein woll­ten und lie­ber nicht so laut hier flu­chen!« wand­te sich der Kut­scher mit scheu­em Flüs­ter­ton zu­rück, »wir sind halt auf der Hai­de jetzt, Ew. Gna­den, und da muss man ein bis­sel vor­sich­tig sein, möch­te auch Ew. Gna­den gar nicht ra­ten, sich hier so scharf um­zu­schau­en; man sieht oft mehr, als man halt wünscht und ei’m lieb ist!«

Graf Ech­ters­loh lach­te laut auf. »Ich glau­be bei Gott, al­ter Maul­wurf, Er will mich ein bis­sel grau­lich ma­chen!« rief er, über­mü­tig die Arme auf die Bar­riè­re des Kut­scher­bockes le­gend, »es spukt wohl hier, Laub­mann, he?« Der Alte nick­te ge­heim­nis­voll.

»Und was für ein ge­spens­ti­ges We­sen hat sein Reich auf die­ser Hai­de auf­ge­schla­gen, wenn man fra­gen darf? Wenn es eine idea­le Fee voll Zau­ber und Schön­heit ist, soll sie mir je­der­zeit auf mei­nem Bo­den will­kom­men sein, der Frau Ve­nus er­las­se ich so­gar Steu­er und Miet­zins!« Sein hel­les La­chen hall­te laut über die Hai­de und weck­te fern über dem Moor ein paar me­lan­cho­li­sche Un­ken­stim­men, der Wind pfiff durch das strup­pi­ge Gins­ter­kraut und ra­schel­te in den lan­gen Schleh­dorn­zwei­gen, wel­che am Stra­ßen­hang in dich­ten Bü­schen wu­cher­ten.

Laub­mann zog den Man­tel hoch über die Ohren und schau­te nicht rechts noch links.

»Was es für ein Spuk ist, der hier um­geht, weiß halt kein Mensch zu sa­gen, Herr Graf«, mur­mel­te er fast grim­mig in den Bart, »aber sie nen­nen ihn den Irr­geist von Cas­ga­ma­la!«

»Alle Wet­ter! Irr­geist von Cas­ga­ma­la! Wenn der Trä­ger dem Na­men ent­spricht, so ist es we­nigs­tens ein poe­ti­sches Un­ge­heu­er, das et­was auf wohl­lau­ten­de Vi­si­ten­kar­ten gießt! Hm – und in wel­cher Wei­se macht sich be­sag­tes We­sen ohne Fleisch und Blut be­merk­lich?«

Der Alte schau­der­te un­ter dem Klang der leicht­fer­ti­gen Män­ner­stim­me ne­ben ihm.

»Der Irr­geist von Cas­ga­ma­la ist halt nur ein Licht, Ew. Gna­den!« flüs­ter­te er.

»Ein Licht?!«

Laub­mann be­jah­te. »Eine grell­ro­te Feu­er­flam­me, wel­che ur­plötz­lich vor ei­nem auf­taucht und Au­gen und Sin­ne blen­det; das Vieh ist ta­ge­lang wie im Du­sel hin­ter­her, wenn’s sie ge­se­hen hat, und die Men­schen – ja, die zit­tern halt an al­len Glie­dern, weil es stets ein Un­glück gibt, wenn sich der Geist bli­cken lässt!«

»Hol ihn der Hen­ker! Na, und?« Er fragt, »Laub­mann, hier auf der Hai­de trei­be sich der fre­che Ge­sel­le her­um?«

Der Ge­frag­te neig­te sich dicht zu dem Ohr sei­nes jun­gen Herrn. »Nicht al­lein hier, Herr Graf, über­all spukt er her­um! Im Schlos­se sel­ber, im Park, auf der Hai­de hier, und vor­nehm­lich bei recht dun­keln stür­mi­schen Näch­ten in der Nähe der Mar­mor­brü­che. Dort links, wir wer­den gleich hin­kom­men! Es war ei­gent­lich lan­ge Jah­re Ruhe, man kann­te den Irr­geist von Cas­ga­ma­la halt nur wie eine Sage im Dorf, denn seit der alte Herr Graf ge­stor­ben wa­ren und de­ren Frau Mut­ter sich nie mehr um das Schloss be­küm­mert hat, von der Re­si­denz aus, da ist al­les zer­fal­len und ver­mo­dert bei uns, und wenn nicht der lah­me Chri­stoph, der Kas­tel­lan, den die Frau Ex­zel­lenz-Grä­fin ins Schloss ge­setzt hat, hie und da in den Spinn­stu­ben die Ge­schich­te von dem ge­spens­ti­gen Lich­te er­zähl­te, dann hät­te halt kei­ne See­le mehr an den Spuk ge­dacht, Ew. Gna­den! Wie aber ei­nes schö­nen Ta­ges dero gnä­digs­ter Herr Bru­der aus dem Ka­det­ten­korps zu­rück­kam und sich in den al­ten zer­fal­le­nen Turm im Park ein­lo­gier­te, und kein Mensch aus dem son­der­ba­ren We­sen des Herrn Gra­fen klug wur­de, da fing ur­plötz­lich auch wie­der der Spuk an, und seit den sie­ben Jah­ren ist wohl kaum eine Wo­che oder höchs­tens ein Mo­nat ver­gan­gen, dass nicht die rote Flam­me über­all um­her­ge­huscht wäre!«

»Mein Bru­der De­si­der wohnt also nicht im Schlos­se selbst?« frag­te Graf Ech­ters­loh nach­denk­lich.

»Nein, Ew. Gna­den; wie schon ge­sagt, er kam ei­nes schö­nen Ta­ges an, such­te sich den al­ten Le­brecht, sei­nes Va­ters ehe­ma­li­gen Kam­mer­die­ner im Dor­fe auf, ließ sich das Schloss auf­schlie­ßen und durch­wan­der­te schwei­gend alle Zim­mer, dann streif­te er mit dem Le­brecht kreuz und quer durch den Park, ließ sich den al­ten Turm oder Kiosk, wie man’s heißt, öff­nen und blieb wohl eine halb Stun­de lang dar­in. Dann wur­den ein paar Zim­mer­leu­te aus dem Dor­fe ge­holt, die ha­ben einen Tag lang dar­in um­her ru­mort und hier­auf ist kei­ne Men­schen­see­le wie­der in den Park ge­kom­men. Der Graf hat ein Git­ter mit­ten durch ihn hin­ge­zo­gen, das die An­la­gen samt dem Kiosk von dem mo­der­nen Schloss­gar­ten trennt und da­hin­ter hat er nun ge­haust, Tag für Tag mit dem al­ten Le­brecht zu­sam­men, ohne dass ein Men­schen­au­ge mal bei ihm hät­te hin­ein schau­en dür­fen.«

»Selt­sam! Mein Stief­bru­der ist eben ver­rückt! Er hat­te das Un­glück im Ca­det­ten­corps von dem Pfer­de zu stür­zen und sich das Ge­hirn zu er­schüt­tern –«

»Hal­ten zu Gna­den, Herr Graf, er re­det aber ganz ver­nünf­tig und bei Sin­nen. Hie und da ist er mal ein paar Ar­bei­tern auf dem Fel­de be­geg­net, und die konn­ten gar nicht ge­nug rüh­men, wie gut und freund­lich Graf De­si­der mit ih­nen ge­spro­chen hat, ein bis­sel selt­sam ist er wohl schon, das mag sein, aber –«

»Un­sinn! Mein Bru­der ist un­heil­bar geis­tes­krank!« un­ter­brach Graf Lo­thar fast barsch, »das bes­te Zeug­nis da­für ist wohl sein gan­zes Ge­ba­ren, wel­ches mit ge­sun­dem Men­schen­ver­stand nichts mehr ge­mein hat. Mei­ne Mut­ter hat mir bis jetzt nur sehr flüch­ti­ge Mit­tei­lun­gen über ihn ge­macht, da der lie­bens­wür­di­ge Sohn in den gan­zen drei Mo­na­ten ih­rer An­we­sen­heit kaum fünf Mi­nu­ten Zeit für sie ge­habt hat. Er ist ver­schol­len und ver­ges­sen in sei­ner Ein­sam­keit, und ich hal­te es dar­um für mei­ne Pf­licht, mich sel­ber von dem gan­zen Stand der Din­ge zu über­zeu­gen. De­si­ders Un­zu­rech­nungs­fä­hig­keit macht mich zum Ma­jo­rats­herrn und Haupt der Fa­mi­lie!« Es lag ein schar­fer Klang in der Stim­me des schö­nen Of­fi­ziers und die Wor­te: »Mein Bru­der ist un­heil­bar geis­tes­krank« tru­gen den Cha­rak­ter ei­nes Be­feh­les, da gab es kein Wi­der­spre­chen mehr. »Be­wohnt mei­ne Mut­ter das gan­ze Schloss?« fuhr er nach kur­z­er Pau­se fort, den Rest der glim­men­den Ci­gar­re mit nach­läs­si­ger Hand­be­we­gung über den Wa­gen­schlag auf den Weg schlen­dernd: »Sie schrieb mir, dass das gan­ze Ge­bäu­de be­deu­ten­der Re­pa­ra­tu­ren be­dür­fe!«

»Das be­darfs halt schon, Ew. Gna­den, der lin­ke Schloss­flü­gel ist na­he­zu am Zu­sam­men­fal­len und wenn ihm nicht bald ein bis­sel auf­ge­hol­fen wird, dann dau­erts nicht lan­ge mehr, und er schaut eben­so wa­cke­lig drein, wie die al­ten Ge­mäu­er, die noch rings im Par­ke stehn! Die Frau Grä­fin Mut­ter be­wohnt den gan­zen Neu­bau und auf Wunsch der Com­tes­se Do­lo­res sind auch die ver­sie­gel­ten Zim­mer ge­öff­net, wel­che zu der Ka­pel­le füh­ren!«

Graf Lo­thar lach­te lei­se und iro­nisch auf: »Na­tür­lich, die Ka­pel­le, die hat mei­ne from­me Schwes­ter zu­erst aus­ge­fegt! Es gibt doch recht vie­le Hei­li­gen­bil­der und Bet­sche­mel dar­in und grau­si­ge Fe­ge­feu­er, wel­che die gläu­bi­gen See­len nach Mög­lich­keit ängs­ti­gen?«

Der alte Mann ver­stand nicht den fri­vo­len Spott in der Fra­ge des Gra­fen, er nick­te eif­rig mit dem Kopf und schi­en froh zu sein, das Ge­spräch auf ein we­ni­ger ge­fähr­li­ches The­ma ge­lenkt zu se­hen.

»Das will ich mei­nen, Ew. Gna­den, wie ein wah­res Schmuck­käst­chen schaut die klei­ne Kir­che aus. Rings an den Wän­den ver­gol­de­te Bil­der, Mär­ty­rer und edle Her­ren und Frau­en aus dem Ge­schlecht der Gra­fen von Ech­ters­loh mit vie­ler­lei Wap­pen und Waf­fen dar­um her, und ho­hen Denk­stei­nen von Mar­mor, im­mer da, wo der Sarg in der Gruft dar­un­ter steht. Nur ein ein­zi­ges Schild ist um­ge­kehrt und mit ei­nem schwar­zen Vor­hang be­deckt, da soll kein Mensch hin­ter schau­en, Ew. Gna­den, weils der Grab­stein der schö­nen Grä­fin Cas­ga ist!« fuhr er mit ge­dämpf­tem Flüs­ter­ton fort, »der Chris­ti­an hats aber doch ein­mal ge­tan, na – und da sah er eben – der Herr wis­sen doch –!«

»Gar nichts weiß ich, Al­ter! – am Ende gar mei­ne schö­ne Ahn­frau sel­ber?«

Laub­mann hob die Hand an den Mund und blick­te sich scheu um. »Gott be­hü­te, Ew. Gna­den, aber eine hohe Feu­er­flam­me, wel­che auf den schwar­zen Grund ge­malt ist, und über de­ren Spit­ze eine rote Rose schwebt, das ist eben der Irr­geist von Cas­ga­ma­la, und dar­um sind auch die Ro­sen und die Flam­men zum Schick­sal der Gra­fen von Ech­ters­loh ge­wor­den!«

Graf Lo­thar lach­te schal­lend auf. »Der Irr­geist von Cas­ga­ma­la! Gut, dass Du mich wie­der an den in­ter­essan­ten Ge­sel­len er­in­nerst, Laub­mann! Du sag­test vor­hin, wir sei­en nicht mehr weit von den Mar­mor­brü­chen ent­fernt, he? wie lan­ge dau­ert es noch, bis wir hin­kom­men?«

»Still, Herr Lieu­ten­ant, bei al­lem, was Ih­nen lieb ist, hier dicht zur Sei­te sind sie schon, wir fah­ren halt eben dar­an vor­über.« Der Alte leg­te wie be­schwö­rend sei­ne zit­tern­de Hand auf den Arm des jun­gen Of­fi­ziers, »trei­ben Sie kei­nen Scherz da­mit, Graf Lo­thar, erst wenn man den Scha­den hat, wird man klug, sag­t’s Sprich­wort!«

»Ha­sen­fuß Er!« spot­te­te Graf Ech­ters­loh mit lau­ter Stim­me, »eine Schan­de ist’s, dass solch ein al­ter Kerl noch an blöd­sin­ni­ge Am­men­mär­chen glaubt, mein Bru­der scheint Ihn an­ge­steckt zu ha­ben mit sei­ner Ver­rückt­heit! Auf­ge­passt, Mon­sieur Grau­kopf! Ich will Ihm be­wei­sen, dass der Irr­geist von Cas­ga­ma­la nur in den Köp­fen dum­mer Bau­ern spukt!« Und sich hoch im Wa­gen em­por­stel­lend, rief Graf Lo­thar mit über­mü­ti­ger Stim­me durch Wind und Hai­de­land in die schwar­ze Nacht hin­aus: »Irr­geist von Cas­ga­ma­la, En­gel oder Teu­fel, Flam­me oder Rose, sü­ßes Weib oder gräu­li­cher Un­hold, her­an zu mir und nei­ge Dich vor Dei­nem zu­künf­ti­gen Meis­ter, dem Er­ben und Ma­jo­rats­herrn von Cas­ga­ma­la, Gra­fen Lo­thar von Ech­ters­loh!«

Schau­er­lich hall­te es durch die Dun­kel­heit, der Wind saus­te um den Wa­gen und die Grä­ser am Wege ra­schel­ten auf, Laub­mann aber saß bleich wie der Tod auf sei­nem Kut­scher­bock und um­klam­mer­te mit zit­tern­den Hän­den die Zü­gel.

»Schläfst Du, Irr­geist von Cas­ga­ma­la?!« don­ner­te die Stim­me Lo­thars aber­mals durch den Sturm, »her­an. Du fre­cher Ge­sel­le – – ha! – – was ist das?!«

Wie ein Blitz stamm­te es ur­plötz­lich durch die Dun­kel­heit, dicht vor dem Wa­gen glüh­te ein grel­les Licht auf, fla­ckernd in blu­ti­gem Rot, und die gan­ze Ge­gend in blen­den­de Hel­le tau­chend, als stün­de der fri­vo­le Geis­ter­be­schwö­rer auf lo­hen­dem Feu­erthron. Ei­nen Au­gen­blick – dann schlug die Fins­ter­nis wie­der über ihm zu­sam­men.

Mit wahn­wit­zi­gem Auf­schrei war Laub­mann auf die Erde her­ab ge­sprun­gen, um das Ge­sicht auf dem Erd­bo­den zu ber­gen, Lo­thar aber stand starr, mit weit auf­ge­ris­se­nen Au­gen im Wa­gen, stumm, un­fä­hig sich zu rüh­ren; doch nur eine Se­kun­de lang, dann stieg der Ap­fel­schim­mel mit schnau­ben­den Nüs­tern pfeil­grad in die Luft und ras­te wie von Fu­ri­en ge­peitscht über das wei­te Feld … Nach we­nig Mi­nu­ten biegt der Weg scharf in die Chaus­see ein. Lo­thar neigt sich schwan­kend vor und hascht nach den Zü­geln … um­sonst – der Mond bricht jäh durch die Wol­ken – dort – kaum zwan­zig Schrit­te noch, ra­gen die Mar­mor­brü­che und sen­ken sich mit schwar­zer Un­tie­fe hin­ab – schnur­ge­ra­de auf sie zu don­nert das Ge­fährt, Fun­ken sprü­hen un­ter den Hu­fen des da­hin­stür­men­den Tie­res.

Schwin­del er­fasst den jun­gen Of­fi­zier, er schwingt sich über den Wa­gen­rand und will her­nie­der sprin­gen, da kra­chen auch schon die Rä­der an auf­ge­türm­tem Fels­ge­röll, schnau­fend bricht der Schim­mel in die Kniee und schleu­dert das leich­te Ge­fährt schmet­ternd ge­gen die schar­fen Mar­mor­blö­cke. – –

3.

Und suchst Du Dei­nen Trau­ten so geh zum Wal­des­grund, wo zwi­schen Moos und Stei­nen die ro­ten Nel­ken wei­nen, da liegt er to­des­wund!

Al­tes Lied.

Grä­fin Ech­ters­loh schlug das Ro­man­buch zu und warf es klat­schend auf den Tisch, ein är­ger­li­cher Blick streif­te die Uhr, wel­che so­eben mit zwölf lang­zit­tern­den Schlä­gen Mit­ter­nacht ver­kün­de­te.

»Es ist un­be­greif­lich, wo sie blei­ben!« klang es in har­ten, we­nig sym­pa­thi­schen Tö­nen von den blas­sen Lip­pen, wel­che sich knapp und schmal über die au­ßer­ge­wöhn­lich star­ken Vor­der­zäh­ne leg­ten, so knapp, dass das grel­le Weiß be­stän­dig her­vor­leuch­te­te und dem Ge­sicht der al­ten Dame einen un­ge­wöhn­lich schar­fen Aus­druck ver­lieh. »Eben schlägt es zwölf und der Zug kommt be­reits um sechs Uhr in Bier­ach an; ich fin­de es un­be­greif­lich rück­sichts­los von Lo­thar, uns so lan­ge war­ten zu las­sen, um so mehr als er weiß, wie sehr ich mich auf sei­ne An­kunft freue!« Mo­men­tan herrsch­te Schwei­gen, dann fuhr die Grä­fin im ge­reiz­ten Tone fort: »Nun? hält es kei­ne von Euch der Mühe wert, mir zu ant­wor­ten? Wie die Stock­fi­sche sitzt Ihr stun­den­lang am Tisch und küm­mert Euch viel dar­um, ob sich Eure Mut­ter ängs­tigt oder nicht! O Du ewi­ges Schick­sal, warum strafst Du mich mit lau­ter teil­nahm­lo­sen Kin­dern, die für nichts Sinn und In­ter­es­se ha­ben als für ihr ei­ge­nes lie­bes Ich.« Und Ex­cel­lenz warf den ge­wal­ti­gen Fä­cher, wel­chen sie ner­vös auf- und zu­ge­klappt, mit ei­nem Aus­druck tiefs­ter Ver­ach­tung zu dem Ro­man­ban­de auf den Tisch.

Com­tes­se Do­lo­res hob lang­sam ihr blas­ses Ge­sicht: »Was sol­len wir denn ant­wor­ten, Mut­ter? Du fragst seit drei Stun­den un­un­ter­bro­chen das­sel­be«, klang es in fast dump­fem Tone, »vor­hin schlug es elf, jetzt Mit­ter­nacht, es wird viel­leicht auch noch ein Uhr wer­den, bis der Bru­der kommt. Ab­war­ten und ge­dul­dig sein, das ist nun ein­mal die Be­stim­mung des Chris­ten, ob hier oder dort«, und Do­lo­res hob lang­sam die ma­ge­re Hand zum Him­mel und füg­te sal­bungs­voll hin­zu: »Wer be­har­ret bis ans Ende, der wird se­lig!«

Ein fast feind­se­li­ger Blick aus den hel­len Au­gen der Grä­fin streif­te die Spre­che­rin: »Amen!« per­si­flier­te sie, mit hohn­vol­ler Kopf­nei­gung, die Hän­de über der Brust kreu­zend, »dan­ke ge­hor­samst für den er­bau­li­chen Vor­trag, Hoch­wür­den! Es ist doch wirk­lich et­was wert, wenn man from­me Töch­ter hat!« fuhr sie mit schnei­den­dem Auf­la­chen fort, »man kann dann we­nigs­tens er­le­ben, dass das Ei der Hen­ne geist­tö­ten­de Wie­der­ho­lun­gen in der Un­ter­hal­tung re­pri­man­diert! O Him­mel, warum bin ich un­glück­li­ches Weib dazu ver­dammt, mein bi­schen Le­ben in die­ser Ein­öde zwi­schen Tu­gend­spie­geln und Ver­rück­ten zu ver­küm­mern. Ge­bet­bü­cher und Al­tar­de­cken, das ist die Au­gen­wei­de, wel­che mir hier ge­bo­ten wird, jede Mi­nu­te ist ver­geu­det, wel­che ich in die­sem le­ben­di­gen Gra­be aus­hal­ten muss, und wie kurz ist solch ein Men­schen­le­ben ver­flat­tert!«

»Und wie ernst ist die Stun­de, in wel­cher wir über die­ses nich­ti­ge Da­sein ab­rech­nen müs­sen!« Com­tes­se Do­lo­res ließ die schwarz­sammt­ne De­cke sin­ken, auf de­ren Mit­te sie mit Gold­fa­den Kreuz und Po­kal stick­te und rich­te­te ihr grau­es Auge scharf auf die Mut­ter: »Ich däch­te, Du hat­test Dein Le­ben ge­nos­sen, Mama; mehr viel­leicht, als Du ver­ant­wor­ten kannst!«

Die Grä­fin schnell­te von ih­rem Sitz em­por und ball­te die wei­ße Hand auf der Ses­sel­leh­ne. »Das wagst Du mir, mir, Dei­ner Mut­ter, zu sa­gen??!« rang es sich fast zi­schend von den schma­len Lip­pen. »Un­er­hört! Ver­lass die­ses Zim­mer, elen­de Ko­mö­di­an­tin, komm mir nicht wie­der un­ter die Au­gen, oder – beim ewi­gen Him­mel, ich ver­ges­se mich und leh­re Dich mit die­sen Hän­den die De­mut, wel­che ein Kind den El­tern schul­det! Du er­dreis­test Dich, mich zur Re­chen­schaft zu zie­hen, Du –«

»Ge­nug der Wor­te, Mut­ter, er­ei­fe­re Dich nicht!« schnitt die mo­no­to­ne Stim­me der Com­tes­se einen wei­te­ren Aus­bruch der Hef­tig­keit ab. Hoch und schmal stand ihre ha­ge­re Ge­stalt im Lam­pen­schein, um­flos­sen von ein­tö­nig grau­en Wol­len­fal­ten, schlicht und schmuck­los wie das Ge­wand ei­ner Non­ne. »Du zürnst mir als Toch­ter, ich ver­ge­be Dir als Jün­ge­rin des Herrn! Du zeihst mich der Pf­licht­ver­ges­sen­heit und wei­sest mich in die Schran­ken kind­li­cher De­mut, ich aber ent­geg­ne Dir, dass jetzt nur die Chris­tin zur Chris­tin, die Magd Got­tes zu ih­rer Glau­bens­schwes­ter spricht! Ich durch­schaue Dich, Mut­ter, und sehe die brei­ten Wege der Hof­fahrt und Ei­tel­keit, wel­che Du wan­delst, ich habe den ei­teln Tand und Flit­ter mit eig­nen Au­gen ge­se­hen, wel­cher un­ser Ver­mö­gen un­ter­gra­ben hat! Ich lern­te den Glanz ver­ach­ten, hin­ter des­sen grin­sen­der Lar­ve die ewi­ge Nacht lau­ert. Wo wan­der­ten die Bank­no­ten und Gold­rol­len hin in der Re­si­denz? Auf den Markt ver­gäng­li­chen Plun­ders, auf den grü­nen Tisch des Las­ters, wel­chen tücki­sche Freun­de auf das Par­quet der ele­gan­ten Welt scho­ben! Wer hat dort ge­ses­sen und Un­sum­men in den Pfuhl der Höl­le ge­streut? Du! – wer hat Pa­ri­ser Sam­met und Sei­de kom­men las­sen? Du! Wer hat sich sel­ber die Sch­lin­ge um den Hals ge­wor­fen und auf den Pfad ge­steu­ert, wel­cher in die­ser Ein­sam­keit hier en­de­te? Du! – und dar­um er­tra­ge auch Dein Schick­sal mit Ge­duld und Er­ge­bung und dan­ke dem ewi­gen Him­mel, dass er Dich nicht schwe­rer heim­ge­sucht hat! Du nennst mich ver­rückt und schein­hei­lig? Was bleibt mir an­ders üb­rig als der Him­mel, wenn mir mei­ne ei­ge­ne Mut­ter die ehr­li­che Exis­tenz in der Welt un­ter­gra­ben hat! Du hast Dei­ne Kin­der um ihr Le­ben be­tro­gen! Und Dir dies frei und rück­halts­los in das Ge­sicht zu sa­gen, das ist die ein­zi­ge Ra­che, die ih­nen da­für ge­blie­ben ist!« Es lag eine grau­sa­me Ruhe in der Stim­me der jun­gen Dame und der er­bar­mungs­lo­se Blick der Au­gen wirk­te wie läh­mend auf die Sin­ne der Grä­fin.

Mit ner­vös zu­cken­den Glie­dern sank sie in die Ses­sel­pols­ter zu­rück. »Sie mor­det mich mit ih­rem Wahn­sinn!« klang es er­schöpft von ih­ren Lip­pen. »Und das ist der Dank für all’ mei­ne Lie­be und Auf­op­fe­rung. Was ich ge­tan habe, tat ich für mei­ne Kin­der, um Euch mit dem vol­len Glanz Eu­res Na­mens in die Welt ein­zu­füh­ren, gab ich al­les da­hin, was ich be­saß, viel warf ich in die Wag­scha­le des Le­bens, in der Hoff­nung, viel da­für zu ge­win­nen; um mei­ne Töch­ter glän­zend zu ver­sor­gen, mach­te ich mich selbst zur Bett­le­rin und das ist der Dank, das Mit­leid, wel­ches ich ern­te!«

»Nein Mut­ter, ich ken­ne kein Mit­leid mehr!« er­wi­der­te Do­lo­res kalt, »we­nigs­tens nicht für Feig­heit. Wa­rum ver­suchst Du es, Dei­ne Schuld jetzt auf uns zu wäl­zen in der sinn­lo­ses­ten Wei­se, über wel­che je­der­mann nur la­chen kann? Je­sabell und mich hast Du in die Welt ge­führt, nach­dem un­se­re Finan­zen be­reits rui­niert wa­ren. Ich habe zwei Jah­re ge­tanzt, mei­ne arme Schwes­ter nur einen ein­zi­gen kur­z­en Win­ter, in wel­chem be­reits die zahl­lo­sen Rech­nun­gen und Dei­ne ge­reiz­te Stim­mung ein je­des Ver­gnü­gen ver­gäll­ten; Je­sabell ist jetzt acht­zehn Jah­re alt, un­ser Ver­mö­gen aber ha­ben die ers­ten zehn Jah­re Dei­ner Witt­wen­schaft ver­schlun­gen, in wel­chen wir noch ver­ges­sen in dem Stift er­zo­gen wur­den und es nur aus Dei­nen flüch­ti­gen Brie­fen er­fuh­ren, wie himm­lisch es sei, zu le­ben und zu ge­nie­ßen.« Eine lei­den­schaft­li­che Bit­ter­keit klang durch die mo­no­to­ne Stim­me des jun­gen Mäd­chens, die Grä­fin aber press­te mit schnei­den­dem La­chen die Hän­de ge­gen die Ohren.

»Ge­nug, Do­lo­res, ge­nug; warum musst Du ar­mes Kind in ei­nem Zeit­al­ter le­ben, wel­ches den öf­fent­li­chen Pran­ger ab­ge­schafft hat und den Kin­dern nur noch die Zun­ge ge­las­sen hat, um die ei­ge­ne Mut­ter zu gei­ßeln, o Lo­thar – Lo­thar, mein Lieb­ling, warum kommst Du mir nicht zu Hil­fe!« und Grä­fin Ech­ters­loh warf ihr Ge­sicht auf die Pols­ter und brach in kon­vul­si­vi­sches Schluch­zen aus.

Re­gungs­los stand Do­lo­res und blick­te auf sie her­ab, ein küh­les Lä­cheln neig­te ihre Mund­win­kel, dann setz­te sie sich ge­las­sen wie­der nie­der und fuhr fort, die Gold­fä­den durch den schwe­ren Sam­met zu ziehn. Ihr ge­gen­über aber er­hob sich has­tig eine jun­ge Dame und trat an den Ses­sel der Grä­fin.

»Mama, lie­be Mama, wei­ne doch nicht!« bat eine wei­che Stim­me, und Je­sabell neigt ihr ro­si­ges Ge­sicht­chen zu der Wan­ge der al­ten Dame, »dass es doch auch ewig zu sol­chen Sze­nen zwi­schen Euch bei­den kom­men muss, kein Tag ver­geht mehr, ohne dass Ihr Euch ver­un­ei­nigt.«

»Du hast es ja sel­ber ge­hört, Kind, wie Do­lo­res mich ge­reizt hat!« fuhr Ex­cel­lenz em­por.

»Ich konn­te sie nicht un­ter­bre­chen, Mama, weil ich über der Wirt­schafts­ab­rech­nung saß und alle mei­ne Ge­dan­ken zu­sam­men­hal­ten muss­te! Du kennst ja die stren­gen An­sich­ten der Schwes­ter und darfst nicht al­les so pein­lich auf­fas­sen, Ihr ver­steht Euch nun ein­mal nicht.«

»Das weiß Gott!« seufz­te Grä­fin Ech­ters­loh mit feind­se­li­gem Blick auf die be­we­gungs­lo­sen Züge ih­rer Äl­tes­ten.

»Und nun seid wie­der gut zu­sam­men und schmollt nicht Tage lang. Was soll Lo­thar sa­gen, wenn er Euch in sol­cher Stim­mung an­trifft, es ver­lei­det ihm ja von vorn­her­ein sei­nen gan­zen Auf­ent­halt hier!«

Die Grä­fin zog ein Fla­con aus der Ta­sche und netz­te sich die Schlä­fen mit Eau der Co­lo­gne »Was hast Du eben ge­tan, Je­sabell?« frag­te sie ru­hi­ger, »Wirt­schafts­rech­nung durch­ge­sehn, hör­te ich recht?«

Das rei­zen­de Ge­sicht­chen der Com­tes­se er­glüh­te bis lief un­ter die schwar­zen Haar­lo­cken.

»Ja, Mama, ich habe die Füh­rung des Haus­hal­tes sel­ber über­nom­men, seit die Mam­sell fort ist«, sag­te sie leicht­hin, »es lässt sich man­ches viel spar­sa­mer ein­rich­ten und au­ßer­dem macht es mir auch viel Ver­gnü­gen.«

Die Grä­fin seufz­te auf. »Du sel­ber die Wirt­schaft füh­ren? Mon Dieu, es ist ent­setz­lich – eine Com­tes­se Ech­ters­loh!« rief sie, den Fä­cher has­tig vor dem Ge­sicht auf und nie­der be­we­gend. »So weit muss­te es also kom­men! Und die Mam­sell? Was fällt der Per­son denn ein, uns zu ver­las­sen?«

»Sie hat seit ei­nem Jah­re kei­nen Lohn be­kom­men, Mama!« flüs­ter­te das jun­ge Mäd­chen mit ge­neig­tem Haupt, »und da sich doch schließ­lich je­der selbst der Nächs­te ist, so hat sie uns ge­kün­digt!«

»Na­tür­lich, was kann man auch an­ders von sol­chem Ge­sin­del er­war­ten!« Die Lip­pen der Ex­cel­lenz kräu­sel­ten sich ver­ächt­lich. »Von An­häng­lich­keit ist da kei­ne Rede, und wie viel Güte hat die Per­son von mir ge­nos­sen! Wenn ich al­lein be­den­ke, all die kost­ba­ren Toi­let­ten, die ich ihr in der Re­si­denz schenk­te, hier auf dem Lan­de wür­de ich sie ru­hig wei­ter ge­tra­gen ha­ben, bei Hofe war es nicht mög­lich. Was wür­de ich jetzt dar­um ge­ben, wenn ich mei­nen Sam­me­t­rock mit der fran­zö­si­schen Sti­cke­rei noch hät­te, da­mals schenk­te ich ihn fort, weil mei­ne Jung­fer einen klei­nen Fle­cken mit Ben­zin ge­rei­nigt hat­te und der Ge­ruch mir so un­be­schreib­lich odi­ös war«, und die Grä­fin über­flog mit schnel­lem Blick ihre fa­den­schei­ni­ge Sei­den­ro­be, wel­che mit un­ech­ten Spit­zen gar­niert war. »Nun, Gott sei Dank, Kin­der­chen, in vier­zehn Ta­gen ge­hen wie­der neue Zin­sen ein, und wenn Lo­thar kommt und hof­fent­lich dem ver­rück­ten Men­schen im Kiosk drü­ben den Ma­jo­rats­herrn ab­ge­winnt, dann hat es vollends ein Ende mit all un­se­rer Not, dann gießt For­tu­na noch ein­mal ihr Füll­horn über uns aus.«

»Gott soll mich be­wah­ren, je­mals die­ses Sün­den­geld zu be­rüh­ren!« klang es fros­tig von Do­lo­res her­über.

Ein spöt­ti­scher Sei­ten­blick war die ein­zi­ge Ant­wort der Mut­ter, Ex­cel­lenz war plötz­lich gu­ter Lau­ne.

»Rei­che mir ein­mal den Kar­ton von der Kom­mo­de, lie­be Je­sabell!« rief sie mit schar­fer Be­to­nung dem jun­gen Mäd­chen nach, wel­ches an den Flü­gel trat und ihn öff­ne­te. »Lass jetzt Dein Spie­len, ich wün­sche nach­her mit Dir Pa­ti­ence zu le­gen. Ah, da ist ja die Sen­dung, Ger­son wird hof­fent­lich auch Dei­ne Zufrie­den­heit er­wer­ben!« und Grä­fin Ech­ters­loh schlug die Sei­den­pa­pie­re aus­ein­an­der und ent­fal­te­te zwei köst­li­che Wei­ße Spit­zens­hawls. »Herr­lich! ex­cel­lent!« rief sie mit leuch­ten­den Au­gen, die glän­zen­den Fal­ten über dem dunklen Tisch­tep­pich zu­sam­men­raf­fend, so­dass sich die wei­ßen Sei­dendess­ins noch mehr her­vor­ho­ben, »und den­ke Dir, Lieb, bei­de Fi­chus zu­sam­men nur ein­hun­dertzwan­zig Mark, das ist doch ein Spott­preis, man darf es wirk­lich gar nicht bei an­dern Men­schen sa­gen.«