Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Neue Deutsche Rechtschreibung Nataly von Eschstruth war eine deutsche Schriftstellerin und eine der populärsten und berühmtesten Erzählerinnen der Gründerzeit. Null Papier Verlag
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 271
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Nataly von Eschstruth
Die Erlkönigin
Eine Heimatgeschichte
Nataly von Eschstruth
Die Erlkönigin
Eine Heimatgeschichte
Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected] 2. Auflage, ISBN 978-3-962810-77-1
null-papier.de/neu
Inhaltsverzeichnis
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
13.
14.
15.
Danke, dass Sie sich für ein E-Book aus meinem Verlag entschieden haben.
Sollten Sie Hilfe benötigen oder eine Frage haben, schreiben Sie mir.
Ihr Jürgen Schulze
Alice im Wunderland
Anna Karenina
Der Graf von Monte Christo
Die Schatzinsel
Ivanhoe
Oliver Twist oder Der Weg eines Fürsorgezöglings
Robinson Crusoe
Das Gotteslehen
Meisternovellen
Eine Weihnachtsgeschichte
und weitere …
Der Newsletter informiert Sie über:
die Neuerscheinungen aus dem Programm
Neuigkeiten über unsere Autoren
Videos, Lese- und Hörproben
attraktive Gewinnspiele, Aktionen und vieles mehr
https://null-papier.de/newsletter
Das Mondlicht glänzt auf der Großmutter weißem Scheitel. Droben in den Lindenzweigen duftet’s und blüht’s, surrt’s und summt’s, und streift die Blumensterne herab auf die lauschenden Blondköpfchen. Großmütterchen aber erzählt:
»Es war einmal ein Königssohn, der wusste nicht, was die Liebe war. Er lehnte an dem Marmorfenster seines Nordlandschlosses und blickte hinaus in die tanzenden Schneeflocken und fragte sie um Rat, aber die schüttelten die weißen Gesichtchen und stoben davon. Darauf blickte er empor zu den Wolken, die mit mächtigen Flügeln über die Schlosstürme flogen, seufzte tief auf und rief: ›Ihr Kinder des Sturmwinds, wisst ihr vielleicht, wo ich die Liebe finde?‹ Aber die Wolken waren düster und stumm, und zogen in wilder Hast zu ihrem Mutterhaus, dem klüftigen Gebirg, dessen Scheitel die Pfosten des Himmels trägt. ›Ich weiß, wo die Liebe ist!‹ sagte ein schüchterner Sonnenstrahl, sich durch das Gewölk stehlend, ›hier oben ist es zu kalt und einsam, hier wohnt nur die Melancholie mit ihren tränenfeuchten Wangen, und der Sturm entblättert die Rose, ehe sich ihr voller Kelch erschloss, die Liebe aber will Glut und Blüten, die Liebe will Licht und Zauberpracht. Komm! Folge mir zur Wiege der Poesie, atme den Duft der flüsternden Musenhaine, bekränze Dein Haupt mit ihrem Lorbeer, und küsse die Lippen, deren Seele ein Lied glühendsten Empfindens ist, blicke empor zu dem leuchtenden Himmelsdom, versinke in dem Auge, dessen Rätselnacht das Geheimnis des Glückes birgt, und Du hast die Liebe gefunden, die Liebe im Glanze des Lichts!‹ Da fasste Sehnsucht das Herz des nordischen Prinzen, er stürmte davon durch Schnee und Eis, und wanderte ohne Rast und Ruh, bis er das Land der Sonne fand! Aber die Glut blendete sein Auge, der Blütenduft betäubte ihn, und der Klang der Mandoline trieb ihm Tränen unverstandenen Wehes in die Augen, der Himmel blitzte und funkelte wie ein stolzes Auge, das kein Mitleid kennt, und die Lippen mit ihrem Hauch der Leidenschaft vergifteten sein Herzblut, wähnte er. Da lag er inmitten der paradiesischen Pracht, unter blühendem Gezweig und jubelnder Vogelschar wie ein Verschmachtender, welcher die Hände gegen die Brust presst und seufzt: ›nur einen Hauch der frischen Nordlandsluft!‹ Heimweh quälte ihn und trieb ihn aus dem Land des Glückes, in welchem er vergeblich nach Liebe gesucht! Da brauste von neuem der Sturm der Heimat um des Jünglings aufatmende Brust, da schäumte und donnerte das Meer um die einsamen Klippen, und dennoch sproßte an den Zweigen das erste teure Eichengrün! Aufjubelnd schlang der Königssohn die Arme um den deutschen Baum und breitete sich nach dem mächtigen Turmbau seines Vaterhauses aus, und wie er dann vorwärtsstürmend die knospenden Zweige auseinander biegt, da steht er plötzlich wie gebannt vor der schlanken Maid, welche ihm lautlosen Schrittes entgegentritt. Von ihrem Scheitel fließt eitel Sonnengold, ihr weißer Nacken leuchtet wie die Myrthenblüte des Südens und in den Augen strahlte ein tiefblauer Himmel lächelnder Unschuld. Der Königssohn aber fühlt es wie einen Schauer süßer Andacht durch seine Seele wehen, und wie er klopfenden Herzens näher tritt, tief und glückselig in dieses treue Auge schaut, da jubelt er voll wonnigen Entzückens: ›Ja, das bist Du, o Liebe!‹«
Großmutter schwieg. Mit glänzendem Blick lauschte die Enkelin, aber das kleine Blondköpfchen auf dem Schoß der Alten war leise herabgesunken, die seidenen Wimpern malten lange Schatten auf die rosigen Wangen und lautlos erhob sich die Erzählerin, um den kleinen Schläfer drinnen im Forsthaus auf weiche Kissen zu betten.
Im Schatten der Linde stand Norbert und blickte noch unverwandt nach der mondhellen Front des Försterhauses, in dessen Tür Großmutter soeben eintrat. »Ja, das bist Du, o Liebe!« klang es vor seinen Ohren, und er strich langsam mit der Hand die vollen Haarlocken aus der Stirn. Er hatte sie also gefunden!
»Norbert!« flüsterte ein frisches Stimmchen neben ihm, »gehst Du noch nicht mit uns herein? es ist schon spät, Vater wird gleich nach Hause kommen, und dann müssen wir Alle im Bettchen liegen.«
»Du bist auch noch ein kleines Mädchen, das zeitig zur Ruhe muss!« entgegnete der junge Mann mit dem Stolz eines Primaners, »ich bleibe noch auf und werde dem Onkel durch den Wald entgegen gehen; gute Nacht, Ännchen!«
Ännchen stellte sich auf die Fußspitzen und reichte mit den kleinen Armen in die Höhe, um sie zärtlich um seinen Hals zu schlingen, »Gute Nacht, Norbert«, und ein herzhafter Kuss krönt den Abschied, »musst mich aber morgen früh gewiss aufwecken, wenn Du fort willst! – ja?«
»Ei versteht sich!« nickt der Vetter, sich wieder zu voller Höhe empor richtend, »und wenn ich dann von meinen Reisen zurückkomme, bringe ich Dir schöne Muscheln und einen Papagei mit!«
Ännchen jauchzte leise auf, und huschte hierauf wie ein heller Mondstrahl über den Kiesplatz in das Försterhaus. – Norbert aber überlegte noch einen Augenblick, dann schritt er gedankenvoll in den stillen Wald hinein.
»… und siehst Du nicht dort Erlkönigs Töchter am düsteren Ort?«
Die Buchenzweige flüsterten ganz leise, als sprächen sie im Traum. Der Waldweg war breit und moosig, malerisches Gestein baute sich hier und da zur Seite auf, umnickt von schlanken Farrenblättern, oder überwuchert von großblättrigen Brombeerranken, welche sich in dichtem Gewirr an den Abhängen hinzogen. Die Heckenrosen blühten und der Duft versteckter Waldblumen wehte süß und schmeichlerisch durch die laue Sommernacht; ein Flöten, Zirpen und Rascheln ging durch die Laubholzwipfel, und fern im Tal lockte noch eine Nachtigall in den Haselnußstauden.
Norbert schritt langsam bergab; »Unsinn mit den Märchen!« dachte er und pfiff kopfschüttelnd eine unklare Melodie vor sich hin, »Liebe! bah, was geht mich Liebe an!« und er stimmte mit seiner vollen Baritonstimme an: »Liebchen ade! scheiden tut weh, morgen da geht’s in die wogende See!«
Das Mondlicht flimmerte wie Nebelduft um die dunkeln Tannenhäupter, ein Nachtschmetterling strich mit schwerfälligem Flügel quer über den Weg, und aus dem Tal kam frischer Windzug, welcher die Gräser der Halde wie Seewellen auf- und niederwogen ließ. Der Wald ward licht und hörte mit rauschender Eichenfront plötzlich auf. Ein enges Tal zog sich am Fuß der Anhöhe hin, durchschnitten von den sprudelnden Wellen eines Gewässers, der Niederkleen, deren ausgespülte Wiesenufer von silbernen Erlen und Weiden beschattet wurden. Man sah die Stämme wie dunkle Gestalten aus dem grauen Nebelmeer tauchen, abenteuerlich und seltsam, wie kleine, bucklige Gnomen, oder tanzende Riesenleiber, deren dürre Glieder haltlos zu wilder Umarmung in einander greifen.
Norbert blieb stehen und blickte unentschlossen in den düsteren Kleengrund hinab. Zwei Käuzchen flogen schreiend an ihm vorüber und verschwanden im Dunkel, klagende Unkenstimmen riefen von dem Wasser zu ihm herauf. Da plötzlich blitzte es hell durch den Nebel, dicht unter den Ellern tauchte ein Flämmchen auf, husch, tanzte es unter den Zweigen hin, und dann war es wieder verschwunden wie ein Blitzstrahl!
»Ein Irrlicht!« jauchzte Norbert auf, »halt, kleiner Gesell, Dich will ich in der Nähe sehen!« und wie der Sturm setzte er den Hügel hinab über die Wiese.
»Irrwisch!« rief er: »Halt ein!«
Da stand das Flämmchen auch wirklich still, und je näher Norbert kam, desto größer und deutlicher ward es, endlich konnte er es ganz genau sehen und – doch was war das? So sieht kein Irrlicht aus! Das war ja ein brennendes Kerzenlicht, welches sich in einem Glase spiegelt.
»Wer ist denn da?« fragte eine herrische Kinderstimme plötzlich, »macht, dass Ihr ins Schloss zurückkommt und versucht nicht, mich von hier weg zu holen! Ihr habt mir gar nichts zu befehlen, ich tue was ich will, ich bin die Herrin von Altingen!«
Die letzten Worte klangen laut und heftig, das Licht kam schnell ein paar Schritte näher, und nun sah Norbert eine kleine, zierliche Mädchengestalt vor sich, im langen, gestickten weißen Nachtkleidchen, welches unachtsam in die Höhe gerafft war und einen nackten Kinderfuß sehen ließ.
»Wer bist Du denn?« klang es erstaunt weiter, als der Lichtschein auf Norberts schönes Gesicht fiel, »ich kenne Dich ja gar nicht, was willst Du hier?«
»Ich glaubte – ich – ich dachte – es sei ein Irrlicht!« stotterte der junge Mann verwirrt, »ich ahnte nicht, dass um diese Zeit noch eine lebende Seele hier sei.«
Sie lachte leise und hart auf. »Das ahnt überhaupt niemand, auch drüben im Schlosse dürfen sie’s nicht wissen, wie oft ich hier bin; ich habe aber den Kleengrund gern, und wenn ich den ganzen Tag hier unten bin, dann kann ich’s auch zur Nacht sein, kann das ganz machen wie ich will, verstanden?« Damit ließ sie den Arm sinken und das volle Licht fiel auf ihr Gesicht. Brennend vor Neugierde schaute sie Norbert an. Seltsam! Ein Knabenkopf schien auf dem schlanken Hälschen zu thronen, umlockt von schweren goldblonden, aber auf der Stirn kurz verschnittenen Haaren, beseelt durch zwei große, stolzblickende Kinderaugen und markiert von zwei Lippen, um welche Launen und Eigensinn starre, unschöne Falten gezogen hatten.
»Wer bist Du denn?« fragte er fast schüchtern.
»Kennst Du mich nicht?« klang es hochmütig zurück, und der kleine Kopf ward herausfordernd zurückgeworfen, »ich bin die Erlkönigin! Hier der Kleengrund ist mein Reich, dort der Weidenstamm über dem Wasser mein Thronsessel! Du musst entweder sehr dumm oder fremd hier sein!« Das große Auge blickte ihn durchdringend an: »Weißt Du denn nicht, dass dort hinter den Eichen Schloss Altingen steht?«
»Nein«, sagte er, kalter Schauer war ihm unwillkürlich bei dem Namen ›Erlkönigin‹ durch die Glieder gerieselt.
»Wo wohnst Du denn, wie heißt Du?« fuhr sie ungeduldig fort.
»Drüben im Forsthaus habe ich meine Großmama besucht, ich heiße Norbert de Sangoulème, und ging noch in den Wald, um meinem Onkel zu begegnen.«
»de Sangoulème?« wiederholte sie weich, »ein Franzose? Wie kommst Du nach Deutschland?«
Norbert schüttelte den Kopf. »Ich nenne mich gut deutsch, trotz meines ausländischen Namens«, sagte er.
»Ja, aber wie kommt denn das?« wiederholte sie mit dem Tone des verzogenen Kindes.
»Meine Mutter, die Schwester des hiesigen Oberförsters, war deutsche Gouvernante in Frankreich«, erklärte er gehorsam, »und lernte meinen Vater dort kennen. Sie heirateten sich und wie ich zwei Jahre alt war, starb ihr Gatte. Drauf kam meine Mutter hierher zurück, und ich ward in Deutschland erzogen. Nun ist sie auch tot und ich reise morgen ab, um Seekadett zu werden.«
»Gouvernante war sie?« wiederholte Erlkönigin geringschätzig, »und Du willst Kadett werden, warum denn nicht Lieutenant zur See?«
»Das werde ich hoffentlich mit der Zeit auch!« entgegnete er etwas gereizt, »aber wer war denn Deine Frau Mutter, Majestät Erlkönigin, dass Du so verächtlich von Erzieherinnen sprichst?« Auch seine Stimme konnte verletzen.
»Eine Gräfin von Saaleck-Hardenburg!« klang es schneidend von ihren Lippen, »ich bin Ruth von Altingen und das Schloss da drüben gehört mir! Meine Stiefmutter tut jetzt allerdings, als wäre sie Herrin, Alles hat sie seit vorgestern durcheinander geräumt, die schönen wilden Rosen am Turm und den Epheu will sie auch noch herunter reißen lassen, aber nein! ich leide es nicht! ich kratze ihr die Augen aus, wenn sie sich unterstehen will!« Die Stimme des Kindes war hoch und schrill geworden, jetzt sank sie herab zum dumpfen Grollen. »Sogar den Brechthald von Altingen hat sie aus der Ahnengalerie hängen lassen, weil der Ritter die Hand auf einen Schädel stützt und maman zu nervös für solchen Anblick ist! – Lächerlich, nicht wahr? – O wenn ich der Brechthald wäre, ich erschien ihr jede Nacht als Spukgeist und jagte sie in die Residenz zurück!« –
»Und man hat Dich so ganz allein um Mitternacht hier in den Kleegrund gelassen?« fragte Norbert kopfschüttelnd.
Ruth warf mit sarkastischem Lachen den Kopf zurück und die gestickten Falbeln ihres Nachtkleidchens zitterten um die mageren kleinen Schultern.
»Köstliche Frage! Als ob das überhaupt jemand im Schlosse ahnen dürfte! nein, ich bin heimlich davon geschlichen, um für heute Nacht noch die ›neun Kräuter‹ zu holen, wir haben ja Johannis!« fügte sie wichtig hinzu. »Am Nachmittag hat Mama mich nicht fortgelassen, weil meine Gouvernante die Tafel mit arrangieren musste, und sie behauptete, es passe sich nicht, wenn ich allein in den Wald ging, Unsinn! ich gehe stets allein! Ich schlich mich ganz heimlich aus dem Zimmer, um meine Erlenzweige zu holen, hier, meine Pantoffel habe ich in dem feuchten Gras ausgezogen, sonst merken sie’s morgen früh.« Sie öffnete das zusammengehaltene Kleidchen und wies auf ein paar rote Saffianpantöffelchen, dann fasste sie die Falten behutsam wieder zusammen, damit keins der Zweiglein verloren ging.
Norbert lachte: »Die Kräuter muss man unter das Kopfkissen legen, dann geht der Traum in Erfüllung, nicht wahr?« fragte er.
Sie nickte. »Suchst Du auch welche?«
»Soll ich?«
»Gewiss, es ist ja gar zu lustig! und morgen kommst Du wieder hierher und erzählst, was Du geträumt hast, ja?«
»Morgen früh reise ich ja nach Kiel«, entgegnete Norbert kleinlaut, und zum ersten Male kam es ihm wie Bedauern darüber.
»Das ist dumm!« schalt Ruth eigensinnig, »ich will, dass Du erst Deinen Traum erzählst.«
»In ein paar Jahren komme ich wieder, dann erzähle ich!«
Ihm deuchte es, als habe sie ihm eine kleine Grimasse geschnitten, dann wandte sie sich um. »Ich gehe jetzt nach Hause!« sagte sie kurz.
»Ganz allein? fürchtest Du Dich nicht?«
Ruth sah ihn groß an. »Fürchten? in meinem Kleengrund?« und sie zuckte die Achseln, als wollte sie sagen: der ist nicht recht gescheut!
»Wo willst Du denn da hin?« rief Norbert, jäh ihren Arm fassend; Erlkönigin bog nämlich die Weidenzweige auseinander und plätscherte versuchend mit dem Füßchen in dem Wasser.
»Durchwaten!« antwortete sie lakonisch.
»Ich habe hohe Stiefeln an, ich nehme Dich auf den Arm und trage Dich hinüber!«
Das kleine Mädchen maß seine schlanke Gestalt mit schnellem Blick. »Dann wärest Du doch zu etwas nütze, Norbert de Sangoulème«, spottete sie, »aber hier kennst Du das Wasser nicht, komm mit dort hinauf, da ist es ganz gleichmäßig.« Sie fasste ungeniert seine Hand und führte ihn am Ufer entlang. Der Bach lag hier freier im hellen Mondschein.
Dann blieb sie plötzlich stehen. »Willst Du mich nun hinüber tragen?« Ihr Auge blickte voll zu ihm empor, Norbert sah, dass der Ausdruck dieses Auges wie Aprilwetter wechselte, aber die Farbe desselben zu unterscheiden war unmöglich. Er beugte sich schweigend herab und hob die kleine Gestalt wie eine Feder auf den Arm, der Nebel hatte die weißen Batistfalten feucht und schlaff gemacht, die breiten Spitzen fielen kühl auf seine Hand, und das goldene Kettchen an ihrem Hals flimmerte im Mondlicht. Norbert wähnte, er drücke einen kleinen Nixengeist an seine Brust.
Langsam schritt er durch das klare Wasser und trug seine bleiche Last noch ein paar Schritte weiter über das sumpfige Ufer.
»Danke«, sagte Ruth und hielt ihm schnell die Hand hin, »nun bin ich gleich zu Haus!« Und gleichzeitig hob sie mit der Linken flink die Laterne empor und leuchtete ihm in das Gesicht. – Eine kurze, scharfe Musterung. »Eil Dich, dass Du Offizier wirst! Seekadett ist dasselbe wie ein gemeiner Matrose, kein Mensch hat Respekt davor, und in Altingen sehen sie Dich vollends über die Schulter an! Als Leutnant aber darfst Du mich wiedersehen!«
»Kommst Du denn niemals in das Forsthaus?«
Erlkönigin schüttelte heftig die wilden Haare zurück. »Nein! Mademoiselle Marion sagt, das sei kein Umgang für mich, da sei nicht einmal ein Diener, welcher den Kaffee serviert! Aber …« – und Ruth schien momentan zu überlegen –: »ich werde einmal heimlich hingehen, den Hunden zu lieb, Nimrod und die Diana haben mir längst gefallen. Außerdem kann ich tun was ich will, ich brauche keinen Menschen zu fragen und niemand hat mir zu befehlen, ich bin die Herrin von Altingen!« Wieder zuckte Trotz und Eigensinn um ihre Lippen, dann packte sie die Erlenzweige in ihr Röckchen und reichte ihm abermals die Hand: »Vergiss nicht die neun Kräuter zu sammeln, es ist gewiss kein Unsinn damit! Adieu!«
Norbert hielt die schmale Kinderhand für einen Augenblick in der seinen. »Leb wohl!« sagte er, »ich werde von Dir träumen, Erlkönigin.«
Sie sah schnell auf, es war ihm, als lache sie, dann nickte sie und wandte sich schnell um. »Gute Nacht!« klang es zurück.
Norbert stand unbeweglich und sah ihre weiße Gestalt schemenhaft davon huschen, das Laternchen blitzte noch einmal auf, dann war es hinter den Tannen verschwunden. Langsam schritt er endlich durch das Wasser zurück. »Wenn ich an Märchen glaubte, so würde ich darauf schwören, einem kleinen Kobold begegnet zu sein, aber es ist eitel Lüge mit den Feengeschichten, ich bin kein Kind mehr!« Und er ging gedankenvoll weiter durch die milde Sommernacht. In den Eichen flüsterte es geheimnisvoll, Johanniskäfer schwirrten wie helle Funken über den Waldboden und die Farren am Wege nickten ihm bedeutsam zu, – der junge Mann aber schritt langsam durch das Mondlicht und dachte an den Königssohn, der nicht wusste, was Liebe war!
Am andern Morgen stand ein einsamer Wanderer auf der hohen Bergstraße und wartete auf die Post, welche hier vorüberkommen musste. Er legte die Hand über die Augen und spähte den Weg hinab, dann ging er ungeduldig dem langsamen Gefährt entgegen. Hier macht der Waldweg eine scharfe Wendung und senkt sich jäh abfallend zu dem Tale, Norbert hemmte überrascht den Schritt und blickte voll lebhaften Interesses auf das Bild, welches sich seinem Blicke so unverhofft entrollte. Dort, dicht vor ihm erhob sich ein uraltes Jagdschlösschen aus dem umgrenzenden Eichenwald. Massive, graue Mauern bildeten ein stolzes Quadrat, je an den vier Ecken von einem niederen, runden Turme abgeschlossen, und umzogen von jetzt zwar ausgetrocknetem, aber dennoch schilfbewachsenem Wallgraben, welcher von einer schweren bohligen Zugbrücke überdacht war. Dichtes, fast verwildertes Gerank von Epheu und wilden Rosen umzog die ganze westliche Seite des Schlosses und gab ihm fast das idyllische Ansehen eines Dornröschen-Palastes, nur die grellfarbigen Flaggen, welche von den beiden Fronttürmen wehten, störten den Eindruck der verzauberten Königsburg. Norbert genoss das Bild mit Entzücken. Die prächtigen in Stein gehauenen Hirsche, welche zu beiden Seiten der Freitreppe lagen, das Doppelwappen, welches den Türknauf krönte, endlich die modernen Spitzenvorhänge des einen Turmzimmers, und die plaudernden Lakaien, welche einen glänzenden Goldfuchs vor den kleinen Wirtschaftswagen spannten, ließen ihn nicht länger in Zweifel, dass er das Heimatschloss der Erlkönigin vor sich habe. Noch lag alles im tiefsten Schlaf in Altingen; die Morgensonne glitzerte über die blühenden Rosenhecken, frische Räderspuren erzählten noch von den Gästen der verflossenen Nacht und drinnen in den seidenen Kissen träumte sich die schöne Stiefmutter zurück in die Residenz und faltete verdrossen die genussdurstigen Lippen, welche noch zwei Monate hier in dieser »Waldspelunke« aushalten mussten.
Hell und lustig klang das Posthorn von der Straße herauf und weckte den jungen Mann aus seinen Träumen, vor dem Schlosstor hielt das Gefährt noch einen Augenblick an, ein Diener sprang eilig die Steinstufen herab und eilte quer über Hof und Brücke, um die lederne Brieftasche dem Postillon empor zu reichen, dann knallte es aufmunternd über die drei Braunen, und bald schwankte der gelbe Wagen um den Vorsprung des rauschenden Eichenwaldes.
»Leb’ wohl, Erlkönigin! Auf Wiedersehen!« rief Norbert mit heller Stimme, dann schwenkte er dem Postillon begrüßend den Hut entgegen und schwang sich zu ihm auf den hohen Kutschersitz. »Liebchen ade, Scheiden tut weh, morgen da gehts in die wogende See!« schallte es jubelnd durch den sonnigen Wald.
»Ich liebe Dich, mich reizt Deine schöne Gestalt!«
Die Zeit spannte ihre vielfarbenen Flügel aus und flog um Jahre voraus. Der Schnee war geschmolzen. Im Kleengrund ward es grün und licht, warm und frühlingsduftig. Der Rasen sproßte mit bunter Blumenpracht empor, der letzte gelbe Staub der Seidenkätzchen schimmerte über das junge Erlengrün.
Von der Straße herauf klang das Posthorn, dann rauschte und knackte es in dem nahen Eichenwald wie flüchtig ziehendes Wild, näher und näher kam es, endlich teilten sich die letzten Büsche. »Grüß Gott, Kleengrund!« rief eine frische Männerstimme, und der hastige Wandersmann trat, die Augen beschattend, auf die Wiese heraus.
Hoch und stolz war seine Gestalt, die blaue Jacke auf der Brust geöffnet und das dunkle Auge frisch und treu, und klar und frei, echter Seemannsblick!
Langsamer schritt er jetzt daher, und das Haupt sank tiefer und tiefer, bis er endlich wie träumend auf den kleinen Pfad vor seinen Füßen niederschaute. Wie mit einem Zauberschlag wurden lang vergessene Bilder in dem hellen Sonnenlicht lebendig, er hörte das Meerrauschen, den Sturm um die Türme des Nordlandschlosses pfeifen, er sah die versunkene Pracht der Tropen unbedauert hinter sich liegen, er war auch ein Heimkehrender, der die Liebe gesucht, und nicht gefunden hatte! Um die weite Welt war er mit schnellen Segeln gekreist, Palmen und heilige Cedern hatten über seinem Haupte gerauscht, fremde, wundersame Bilder waren gleich einer Fata-Morgana an ihm vorübergezogen und die Wellen ferner Meere hatten um seine Füße gespült. Lieder orientalischer Leidenschaft umrauschten voll Hass und Sehnsucht wundersam sein Ohr, der Flammenblick aus schwarzen Augensternen winkte ihm; schillernd wie gleißender Schlangenleib hatte ihn die giftige Pracht der Zonen umstrickt und dennoch riss er sich los von ihr, dennoch spannte er die Segel stets sehnsuchtsvoller aus und steuerte zurück zu der nordischen Heimat, in deren Wäldern verzauberte Schlösser schlafen und Irrlichter durch den gespenstischen Grund tanzen.
Da plötzlich schrickt der Träumer empor und bleibt wie gebannt vor den flüsternden Zweigen stehen: »Verzeihen Sie«, murmelte er betreten.
Von dem Stamm einer niederen, verkrüppelten Erle sprang eine junge Dame und trat ihm schnell entgegen.
»Verzeihen? Dass ich Sie erschreckt habe, Herr Norbert de Sangoulème?« fragte sie mit verhaltenem Lachen, »bitte, das war sehr gern geschehen!« und nun lachte sie wirklich, laut und melodisch wie Wasserklingen. »Sie dachten wohl gerade an die Gespenstergeschichten des Kleengrundes?«
»Wenn Sie die Erlkönigin unter dieselben rechnen, allerdings«, gab er heiter zurück, »und außerdem bin ich ja Seemann, der steif und fest an Nixen und Wassergeister glaubt! Sie kennen mich? Im Mondschein trug ich einst ein Kind auf meinen Armen durch den Bach hier, Jahre sind seitdem vergangen, aber ich habe auch ein gutes Gedächtnis. Sie sind Fräulein von Altingen!«
Ruth strich die vollen Haare aus der Stirn. »Das ist gar nicht schmeichelhaft, dass Sie mich wiedererkennen!« neckte sie mit schnellem Seitenblick, »man sagt, ich sei hässlich wie ein kleiner Kobold gewesen, und nun begrüßen Sie mich gar mit solch unverhohlenem Schrecken, dass ich es eigentlich übel nehmen müsste, wenn ich eitel wäre!«
»Wissen Sie nicht, dass man auch freudig erschrecken kann?«
Sie wandte das Köpfchen hastig um und sah voll zu ihm empor, ein kleiner Weidenzweig glitt aus dem Haar und fiel zwischen die Gänseblümchen auf den Rasen.
»O ja!« lachte sie leise, »Sie werden das gleich beobachten können! Kommen Sie nur mit zu Großmütterchen in das Forsthaus, wo alle Stuben gedielt und tapeziert werden, wo der Herd in der Küche abgerissen ist und die Besuchsstube bis unter die Decke voll Möbel, Bettzeug und übriggebliebene Wintervorräte gepackt, Alles andere, nur keinen Gast erwartet! Die werden Augen machen, die guten Leute, wenn plötzlich der Weltumsegler Sangoulème, den man noch bei den Hottentotten glaubt, über die Schwelle tritt!«
Norbert blickte amüsiert auf die zierliche Sprecherin hernieder. »Großmutter weiß doch hoffentlich, dass ein Matrose gewöhnt ist, in der Hängematte zu schlafen? Ich finde schon ein Plätzchen, wo ich meine Hütte baue! Aber woher, um Alles in der Welt, wissen Sie so genau Bescheid im Försterhause, gibt es jetzt vielleicht einen Diener da, der den Kaffee serviert?«
Ruths schmales Gesichtchen färbte sich höher. »Das klingt ja gerade, als ob ich einmal so gesagt hätte!« entgegnete sie, die Reitgerte balancierend, »früher gefiel es mir allerdings nicht bei Försters, aber seit der Begegnung mit Ihnen bin ich das tägliche Brot dort. Ihre Kousine Annchen ist ja eben so alt wie ich, wir musizieren und lesen zusammen, und im Winter soll sie mich in der Residenz besuchen.«
»Annchen in der Residenz? was wird Ihre Frau Mama dazu sagen?« Norberts schönes Auge haftete fest auf den Zügen der jungen Baronesse, um deren Lippen es noch eben eigensinnig zuckte wie damals im Mondenschein.
»Die Eltern werden den Winter im Süden verleben, weil Papa schon längere Zeit sehr leidend ist, ich soll ihr Haus in D. bewohnen und unter dem Schutz der Gräfin Lersnek die Geselligkeit mitmachen; ob das geschieht, kommt auf mich an, Ännchen geht aber ganz bestimmt mit mir und nimmt ordentlichen Singunterricht. Und nun kommen Sie, ich möchte am liebsten gleich mit in das Forsthaus, um den Empfang zu sehen, aber zuerst werde ich doch nach Altingen zurückreiten, um ein Besuchszimmer in Stand setzen zu lassen. Sie werden es sich schon gefallen lassen müssen, bei mir zu wohnen, auch Ännchen und der kleine Hans sind seit fünf Tagen meine Gäste!« Ohne eine Gegenrede abzuwarten, schritt sie ihm voraus quer durch die Wiese. Norbert versuchte noch mit ihr über die letzte Bestimmung zu debattieren, aber Ruth von Altingen war nicht der Charakter, sich umstimmen zu lassen, und so folgte er ihr, schweigend – und betrachtend.
Ruths ganze Erscheinung war ebenso gewinnend wie seltsam. Sie trug ein dunkles Reitkleid aus schwerem Tuchstoff, welches sich weich und knapp um die zierliche Figur schmiegte und mit langer Schleppe die kleinen Gräser am Wege knickte. Die junge Dame beugte sich nieder und schlang die Falten empornehmend um den Arm. Große Stulphandschuhe trug sie abgestreift in der Hand. Das Haar lockte sich goldblond um die schmale Stirn, und verschlang sich am Hinterkopf zu losem Knoten, welchen ein Zweiglein Erle mit langen, silberglänzenden Blättern, als einziger Schmuck zierte. Die auffallend großen graugrünen Augen kamen Norbert bekannt vor, er hatte einst ein Bild gesehen »Waldgespräch«, auf welchem die Rheinnixe den jungen Ritter mit denselben rätselhaften Augen zum willenlosen Sklaven macht – –. An einer niederästigen Buche der Waldwiese neigte ein Goldfuchs ruhig grasend den Kopf in die wiegenden Halme.
»Sehen Sie dort meinen Freund Suwaroff?« wandte sich Ruth lebhaft zurück und hob die Hand mit der Reitgerte, nach der Richtung zu weisen, »den hat mir Papa zu Weihnachten geschenkt, weil mein Pony zu altersschwach wurde! Reiten Sie auch?«
Norbert neigte bejahend den Kopf. »Recht gern, aber leider recht herzlich schlecht. Auf dem Schiff gehört das Spazierenreiten zu den angenehmen Träumereien, welche uns meistens ebensofern liegen, wie die ersehnte Küste!«
»Ich denke es mir entsetzlich langweilig in solch schwimmendem Stubenarrest!« entgegnete sie mit verächtlichem Achselzucken, »außer Ratten und Zwiebäcken sieht man nichts Interessantes; das einzige eigenwillige Wesen ist der Barometer, und die Hauptverwaltung dreht sich mit der Windrose! Nie und nimmer möchte ich Seemann sein!«
»Sie urteilen schnell, Fräulein von Altingen!« Über die Stirn Sangoulèmes flammte es hell auf, »langweilig kann es unter dem Segel nur solchen Menschen sein, welche sich durchaus nicht geistig, nicht mit sich selbst zu beschäftigen wissen! Wer zu seiner Zerstreuung und Unterhaltung allerdings rauschende Vergnügungen und ewig wechselndes Leben braucht, wer verlangt, dass die Welt stets neue Bilder entrolle, um das Auge zu beschäftigen und den Geist anzuregen, wer eben nur sehen, genießen und ausruhen will, nein! für den ist das Schiff ein Grab und Gefängnis, für den wird es nie ein beglückender Boden sein! Ich habe selten, fast nie Langeweile empfunden. So lange wir auf der See waren, gab es genügend Arbeit, um unsere Gedanken zu beschäftigen, es gab Sturm und brausende Wogen, welche gar ernste Psalmen der Ewigkeit singen, und wohl den Sinn auf Höheres lenken, als wie auf ein Vergnügungsregister heiterer Tage! Es gab stilles, blauglänzendes Meer, weit und unermesslich ausgebreitet wie das sonnige Himmelsall, mit welchem es fern am Horizonte purpurleuchtend in einander schwimmt, es gab eine majestätische Nacht voll klarer Sternbilder, eine Nacht voll träufelnden Nebels, eine Nacht voll Donner und Blitz! Und schließlich, Fräulein von Altingen, haben Sie denn so ganz das Ziel der langen Reisen vergessen? Was kann schöner, was interessanter, was unterhaltender sein, als endlich das ersehnte Land vor Augen zu haben, als die geträumte Herrlichkeit von tausend und einer Nacht wahr und handgreiflich vor sich zu sehen! Von der einsamen Insel trägt uns das Schiff weiter zum bunten lärmenden Handelshafen! Da schwirrt und summt es durcheinander wie toller Maskenscherz, alle Nationen, alle Sprachen, alle Pracht der weiten Erde hält hier ihren glänzenden Jahrmarkt, ein solches Bild hält kein Maler fest! Ich wünschte, Fräulein von Altingen, Sie könnten eine einzige Reise mit uns machen, Sie würden den Seemann nicht mehr bemitleiden, sondern fest zu seiner Flagge schwören!«
Mit leuchtenden Augen stand der Seekadett vor Ruth, sein edles Profil zeichnete sich scharf gegen das dunkle Tannengrün ab, Begeisterung hauchte lebhafte Röte über die freie Stirn und die hohe Gestalt schien noch stolzer emporzuwachsen unter dem tiefen Atemzug, welcher die Brust hob. Lachend fuhr er fort: »Und Ratten? Gott Lob und Dank, wenn unsere lieben Ratten bei uns bleiben! Lieber von ihnen aufgefressen, als von ihnen verlassen sein!« –
Sie waren an der Eiche angelangt; die Herrin von Altingen stand neben ihrem Fuchs und hatte die behandschuhte Rechte leicht streichelnd auf seinen schlanken Hals gelegt, mit klugen Augen lauschte sie zu dem lebhaften Sprecher empor, still und atemlos wie ein Kind, welchem man Märchen erzählt.
»Sie müssen mir noch von Ihren Fahrten erzählen, viel, sehr viel. Es klingt so schön, wenn Sie sprechen, Sie müssen mich oft in Gedanken zum fernen Süden zaubern! Und wenn der Seemann außer seinem tiefen Gemüt, seinen Ratten und Mäusen auch eine feurige Seele zum Schildern hat«, fügte sie schelmisch hinzu, »dann schwör’ ich treu zu seiner Fahne!«
Schnell warf sie die Zügel in ihre andere Hand und sprang auf den Grasrain, um den kleinen Fuß in den Bügel zu stellen. Schon war Norbert an ihre Seite getreten und reichte helfend seine Hand empor, ungeniert ließ sich Ruth stützen, einen Augenblick ruhten ihre Finger auf seiner Schulter.
»Danke! nun geht’s, eins – zwei, drei! Sehen Sie? Da saß ich! Wenn Sie sich aber das Großkreuz verdienen wollen, reichen Sie mir meinen Hut dort aus dem Gras – da hinter Ihnen! Ich danke!« Sie nahm den breitkrempigen Federhut aus seiner Hand, drückte ihn achtlos auf das Haar, und nickte kurz zurück; dann fiel die Reitgerte antreibend auf den Hals des edlen Suwaroff, und kerzengerade emporsteigend wandte sich der Goldfuchs, um die Reiterin pfeilgeschwind über die wogende Wiese zu tragen.
Lange stand Norbert und schaute ihr nach, wandte sich hastig ab und schritt den felsigen Waldweg entlang. Vor seinen Ohren schwirrten ihre letzten Worte, er sah ihren klugen Blick fest auf seinem Antlitz ruhen, er fühlte ihre kleine Hand in der seinen.
»Von ihrem Scheitel floss das Licht der Sonne, ihr Nacken schimmerte weiß, wie Myrthenblüte, und ihr Auge spiegelte Himmelsblau«, hörte er plötzlich Großmütterchens Stimme wieder märchenerzählend unter dem Lindenbaum, »der Königssohn aber jubelte voll seligen Entzückens: ja, das bist Du – o Liebe!«
»Ja, das bist Du, o Liebe!« flüsterte Norbert leise, er blieb stehen und wandte sich sinnend zu dem Kleengrund zurück. »Erlkönigin, der Fürstensohn weiß jetzt, wo sein Glück zu suchen ist!«
Durch den Wald aber spielten goldene Sonnenlichter, weich wie Maienhauch schmeichelte die Luft um knospendes Gezweig, und auf der Lichtung schaukelten sich neu die Blumenglöckchen über vorjährigem Herbsteslaub. Da blitzte es durch das Grün wie tausend schimmernde Insektenflügel, da tanzten die lustigen Mückenwolken über den Weg, und ringsum sang und klang und schmetterte es tausendstimmigen Akkord glückseliger Frühlingsluft!
»Nun, Großmütterchen, was habt ihr Alle für Augen gemacht, wie plötzlich die Einquartierung von ›Pernambuco‹ eintraf?« rief Baronesse Ruth schon über den Kiesplatz hinüber, lachend fasste sie ihr Kleid zusammen und lavierte sich durch ein Bollwerk von Backtrögen und Waschwannen.
»Grüß Gott, liebe Fräulein Ruth!« und die Gefragte trat ihr, eifrig die Hände über die weiße Schürze gleiten lassend, entgegen, »es ist immer noch Sodom und Gomorrah bei uns, verzeihen Sie, wenn der Weg so gewaltig verrammelt aussieht! Ach und nun erst der Junge in all diesen Wirrwarr hinein, ich traue ja meinen Augen nicht, wie er plötzlich da vor mir steht, aber eine Freude war es, o, du mein Herr Jesus, wie habe ich mich über den lieben Schlingel gefreut!« und noch im Andenken wischte die greise Frau die Augen, mit strahlendem Lächeln drückte sie die Hand des jungen Mädchens.