Frühlingsstürme - Nataly von Eschstruth - E-Book

Frühlingsstürme E-Book

Nataly von Eschstruth

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Beschreibung

Neue Deutsche Rechtschreibung Nataly von Eschstruth war eine deutsche Schriftstellerin und eine der populärsten und berühmtesten Erzählerinnen der Gründerzeit. Null Papier Verlag

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Nataly von Eschstruth

Frühlingsstürme

Komplettausgabe

Nataly von Eschstruth

Frühlingsstürme

Komplettausgabe

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019 1. Auflage, ISBN 978-3-962810-80-1

null-papier.de/486

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Wid­mung

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

X.

XI.

XII.

XIII.

XIV.

XV.

XVI.

XVII.

XVIII.

XIX.

XX.

XXI.

XXII.

XXIII.

XXIV.

XXV.

XXVI.

XXVII.

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Widmung

Sei­ner Ho­heit dem Her­zog Jo­hann Al­brecht Re­gent des Groß­her­zog­tums Meck­len­burg-Schwe­rin in dank­bars­ter Ver­eh­rung zu­ge­eig­net.

»Du schützt die Mu­sen, ed­ler Herr, Gott lohn’ es Dir!« La Ho­che-Houblon.

Es tobt der Sturm durch Wald und Feld, Zieht brau­send sei­ne Bahn, Ver­kün­det laut der gan­zen Welt Des jun­gen Len­zes Nah’n. Und Baum und Strauch sind jäh er­wacht, Nach lan­ger, ban­ger Win­ter­nacht! So braust der Sturm auch durch das Herz, Bis Schnee und Eis ver­geht, Und bis die Lie­be nach dem Schmerz In vol­ler Blü­te steht, Dann folgt auf Sturm und Win­ter­leid Des Her­zens sel’­ge Früh­lings­zeit.

G. v. Rochow geb. von Pa­chelbl-Ge­hag.

I.

Die Sonn­tags­glo­cken läu­te­ten.

Tie­fe Stil­le lag über den Stra­ßen der Haupt­stadt, aber nicht die fried­li­che, er­qui­cken­de Fei­er­tags­ru­he, wie sie voll hei­li­ger Klar­heit über Wald und Flur aus­ge­brei­tet liegt, son­dern eine dump­fe Re­gungs­lo­sig­keit, ein Schwei­gen, wie das­je­ni­ge schwers­ter Er­schöp­fung, wie eine Tod­mü­dig­keit, wel­che mit halb­of­fe­nen Au­gen in blei­er­nen Schlaf sinkt. –

Glü­hend heiß brü­te­te die Mit­tags­son­ne auf dem Häu­ser­meer, – je­der Mau­er­qua­der schi­en un­er­träg­li­che Hit­ze aus­zu­strö­men, kein Hauch, – höchs­tens eine schwü­le Duft­wo­ge von Brand- und Gas­ge­ruch, von all dem wi­der­li­chen Ge­misch un­ge­sun­der Aus­düns­tun­gen, wel­che im Um­kreis die Groß­stadt­luft schwän­gern.

Die Drosch­ken­pfer­de ste­hen mit tief ge­neig­ten Köp­fen re­gungs­los im Schat­ten, selbst der Fut­ter­beu­tel hängt schlaff und noch halb­ge­füllt an den Mäu­lern, sie träu­men me­lan­cho­lisch vor sich hin, und nur dann hebt sich müde lau­schend ein Ohr am Kop­fe, wenn der Kut­scher das ge­wal­ti­ge Bier­glas mit bei­den Hän­den hebt und einen lan­gen, gie­ri­gen Zug tut. –

Blas­se, mat­t­äu­gi­ge Ge­stal­ten schlei­chen von Tür zu Tür, – an den Kel­ler­trep­pen lie­gen und kau­ern elen­de Kin­der, wel­che selbst zum spie­len zu müde sind und mit zwin­kern­dem Blick an den Haus­rie­sen em­por­star­ren, de­ren grell­be­strahl­te Mau­ern mit den ver­häng­ten Fens­ter­rei­hen die Au­gen blen­den, dass sie schmer­zen. –

Und hier ist noch ein bes­se­res Stadt­vier­tel, die ele­gan­te­re Ge­gend, wo die Fa­brik­schorn­stei­ne noch nicht auf­ra­gen, wo Plät­ze mit be­staub­ten An­la­gen die ein­för­mi­gen Häu­ser­rei­hen un­ter­bre­chen und klei­ne Vor­gär­ten sich hier und da als wohl­tu­en­de Ab­wechs­lung zu dem schier schmel­zen­den As­phalt vor­schie­ben.

Es ist eine gute Ge­gend, aber doch nicht das »Ge­heim­rats­vier­tel«, wo prun­ken­de Vil­len den Stadt­park säu­men und lu­xu­ri­öse Gär­ten hin­ter ho­hen Gold­git­tern eine Idyl­le in­mit­ten der Pro­sa end­lo­ser Stein­wüs­te zau­bern! –

Und den­noch ste­hen auch sie jetzt leer und ver­las­sen, le­dig­lich ein Er­ho­lungs­plätz­chen der Por­tiers und da­heim­ge­blie­be­nen Die­ner­schaft, de­ren rei­che Ge­bie­ter sich an den Strand der See oder in die Wal­des­schat­ten des Hoch­ge­bir­ges flüch­te­ten, um in ele­gan­tem Bad zu ver­ges­sen, dass zu Hau­se in der Re­si­denz das Ther­mo­me­ter von Tag zu Tag hö­her steigt, so hoch, dass die Wirt­schaf­te­rin in ih­rem Wo­chen­be­richt mit der ver­zwei­fel­ten Kla­ge schließt: »Es ist kaum zu er­tra­gen!« –

Wer dem Mo­lochra­chen die­ses Häu­ser­mee­res ent­rin­nen kann, der enteilt, und manch seuf­zen­der Fa­mi­li­en­va­ter bringt schwe­re Op­fer, um Weib und Kind wäh­rend der Fe­ri­en­zeit in Licht und Luft hin­aus zu ret­ten. Da bleibt kaum noch eine Fa­mi­lie zu­rück, – selbst für die Ärms­ten gibt es Fe­ri­en­ko­lo­ni­en, wo Wal­des­schat­ten und See­luft Leib und See­le er­qui­cken. Wohl dem, wel­cher rei­sen kann, wel­chen we­der Pf­licht noch Ar­mut un­ter die­se Blei­dä­cher bannt! –

Lang­sam, den Kopf nach­denk­lich ge­senkt, schritt ein halb­wüch­si­ger Kna­be durch die sen­gen­de Glut der Stra­ße. Groß und schlank auf­ge­schos­sen, ein we­nig vorn­über ge­neigt, wie ein jun­ger Stamm, wel­chem noch die Kraft fehlt, sich mar­kig auf­zu­re­cken, die Glie­der eckig und et­was un­be­hol­fen in der Be­we­gung, zeig­te er den­noch in sei­nem gan­zen Äu­ßern und We­sen die gute Kin­der­stu­be, in wel­cher er groß ge­wor­den.

Der An­zug war ein­fach, aber ta­del­los, und gut­sit­zen­de Hand­schu­he be­wie­sen, dass ihr jun­ger Trä­ger es ge­wohnt war, äu­ße­ren For­men zu ge­nü­gen.

Sei­ne Au­gen, groß und tief­blau, von dun­keln Wim­pern be­schat­tet und sehr ener­gisch ge­zeich­ne­ten Brau­en über­wölbt, blick­ten ernst, bei­na­he kum­mer­voll aus dem blas­sen, groß­ge­schnit­te­nen Ge­sicht, wel­ches trotz sei­nes ju­gend­li­chen Aus­se­hens den­noch den Ein­druck ei­nes ernst­den­ken­den, ge­reif­ten Man­nes mach­te.

Es lag ein fei­ner Lei­dens­zug um die Lip­pen, wel­chen nur die Er­fah­rung und der vol­le Ernst des Le­bens in jun­ge Ge­sich­ter schnei­den kann.

Mehr denn je trat er in dem farb­lo­sen Ant­litz her­vor, als der Se­kun­da­ner tief auf­at­mend in den hoch­ge­wölb­ten, mit der mo­der­nen Ele­ganz der Groß­stadt aus­ge­stat­te­ten Haus­flur trat, an des­sen De­cke rei­cher Stuck sei­ne ver­gol­de­ten Mus­ter zeig­te, und Öl­ge­mäl­de an den Wän­den auf zier­li­che Blatt­pflan­zen­ar­ran­ge­ments nie­der­blick­ten.

Hier war es kühl! Hier konnn­te man et­was auf­at­men, und wenn die Luft auch noch im­mer er­sti­ckend auf die Lun­gen fiel und durch die ver­schlos­se­nen En­tree­tü­ren ein häss­li­cher Ge­ruch von Kam­pher und Naph­tha­lin drang, es war doch nicht die ner­ven­mor­den­de Glut, wel­che die Stra­ßen und süd­lich ge­le­ge­nen Zim­mer un­er­träg­lich mach­te!

Der jun­ge Mann seufz­te tief auf, nahm das klei­ne Ge­bet­buch aus der rech­ten in die lin­ke Hand, und fuhr mit dem ein­fa­chen, wei­ßen Ta­schen­tuch, in des­sen Ecke je­doch ein ele­gan­tes Mo­no­gramm un­ter sie­ben­za­cki­ger Kro­ne von flei­ßi­gen Hän­den er­zähl­te, über die feucht­per­len­de Stirn. – Es lag et­was Ge­mes­se­nes, bei­na­he Pe­dan­ti­sches in sei­nem We­sen, et­was Um­ständ­li­ches, was ihn äl­ter er­schei­nen ließ, als er war. Müde, mit bei­na­he schlep­pen­den Schrit­ten stieg er die tep­pich­be­leg­ten Stu­fen em­por – eine Trep­pe – noch eine – und aber­mals eine. – Mecha­nisch schweif­te sein Blick über die Tür­schil­der, an wel­chen er vor­bei­sch­ritt. – Meist gute Na­men – ein Oberst a. D. – ein Bau­meis­ter – ein Sa­ni­täts­rat – ein Haupt­mann – glück­li­che Men­schen, – sie sind alle fort­ge­reist! – Hin­aus in die schö­ne, – som­mer­li­che, – herr­li­che Got­tes­welt voll Harz­duft und Vo­gel­fang, voll Wel­len­rau­schen und See­wind – ach, dass auch er die Arme aus­brei­ten und mit vol­len Lun­gen ein­mal durch­at­men könn­te! – So wie frü­her in je­nen bes­se­ren Zei­ten, wo auch bei ih­nen all­jähr­lich die Kof­fer ge­packt wur­den, wo er auf die Ber­ge stei­gen und im Dü­nen­sand wüh­len konn­te! O se­li­ge Erin­ne­rung! Was gäbe er dar­um, könn­te sie noch ein­mal wie­der­kom­men, noch ein­mal Wahr­heit wer­den!

Mit weh­mü­ti­gem Lä­cheln bleibt er ste­hen und ruht einen Au­gen­blick aus. Ja, auch für ihn wäre es eine Wohl­tat! Aber wie ger­ne wür­de er den­noch dar­auf ver­zich­ten, könn­te er nur für sein so heiß­ge­lieb­tes, her­zi­ges Müt­ter­chen solch’ eine Er­ho­lung schaf­fen! – Für ihn wäre es nur eine Er­qui­ckung. Aber für sie wäre es neu­er Le­ben­so­dem, für sie ist es eine Not­wen­dig­keit! –

Mit bei­na­he bit­te­rem Aus­druck mus­tert er das ele­gan­te Trep­pen­haus. Wa­rum müs­sen sie in der teu­ren Woh­nung woh­nen? Wa­rum ihr Geld für Din­ge aus­ge­ben, von wel­chen sie so gar nichts ha­ben? Ware es nicht bes­ser, an­statt all die­ser Äu­ßer­lich­kei­ten lie­ber nütz­li­che­re und not­wen­di­ge­re Din­ge zu be­den­ken? Wie er­schreckt über sich sel­ber schüt­telt der jun­ge Mensch den Kopf. Welch ket­ze­ri­sche Ge­dan­ken kom­men ihm so plötz­lich! Hat er ganz und gar die Grund­sät­ze ver­ges­sen, in wel­chen er er­zo­gen ist? – No­bles­se ob­li­ge! – Die­ses Wort ist ihm so­zu­sa­gen in Fleisch und Blut über­ge­gan­gen, er hat an sei­ner schier hei­li­gen Kom­pe­tenz nie zu rüh­ren ge­wagt, er hat es an­er­kannt und re­spek­tiert, wie man sich die zehn Ge­bo­te ohne zu man­geln und zu han­deln zum Ge­setz macht. –

No­bles­se ob­li­ge! – Seit er den Klang die­ses Wor­tes ken­nen lern­te, hat er es als Pf­licht er­ach­ten müs­sen, als eine erns­te, hei­li­ge Pf­licht, als Ver­mächt­nis sei­nes Va­ters und der Vor­vä­ter, wel­che die­sem ari­sto­kra­ti­schen Be­griff wohl noch an­de­re Op­fer brach­ten, als wie eine Ba­de­rei­se!

Und gleich­sam, als müs­se er jede Spur sol­cher fre­veln­den Ge­dan­ken fort­wi­schen, strich er noch ein­mal has­tig mit der Hand über die Stirn und trat mit ener­gi­schem Schritt vor die ei­chen­ge­schnitz­te En­tree­tür des drit­ten Stockes, an wel­cher auf weißem Por­zel­lan­schild der Name der Be­woh­ner zu le­sen stand: »Ge­ne­ral­leut­nant Frei­herr von To­ris­dorff.«

Die blau­en Au­gen leuch­te­ten un­will­kür­lich auf, als ihr Blick die­se Wor­te traf, und gleich­sam als gin­ge eine wun­der­ba­re, ge­heim­nis­vol­le Kraft, wel­che Mark und Bein stählt, von ih­nen aus, rich­te­te und reck­te sich die ha­ge­re Ge­stalt des Kna­ben, stolz und selbst­be­wusst hob sich das Haupt in den Na­cken, und um die schma­len Lip­pen spiel­te ein Lä­cheln, wel­ches auch ohne Wor­te zu sa­gen schi­en: »Ja, No­bles­se ob­li­ge! – Der Name To­ris­dorff darf nicht auf dem Tür­schild ei­ner Miets­ka­ser­ne ste­hen, er ge­hört in die­se Um­ge­bung und soll in der­sel­ben ver­blei­ben! Die Som­mer­hit­ze bleibt nicht ewig, der Win­ter ent­schä­digt uns für un­se­re jet­zi­gen Lei­den, aber der gute Klang un­se­res Na­mens muss bei­de über­dau­ern!«

Der Glock­en­ton schrill­te auf dem Vor­platz, – ein paar Mi­nu­ten ver­gin­gen, dann ras­sel­te die Si­cher­heits­rä­te und ein sau­be­res Stu­ben­mäd­chen in wei­ßer Schür­ze und Ham­bur­ger Häub­chen öff­ne­te.

»Mama zu Hau­se?« – klang es ihr has­tig ent­ge­gen. Das Mäd­chen knix­te mit be­sorg­tem Blick. »Ach, wie gut, dass Sie kom­men, jun­ger Herr! – Ex­cel­lenz be­fin­den sich heu­te wie­der schlecht, – der Herr Dok­tor ist im Sa­lon, und flüs­ter­te mir zu, dass er nach­her Herrn Jo­sef gern ein paar Mi­nu­ten spre­chen möch­te!« –

Ein jä­hes Er­schre­cken ging über die Züge des Se­kun­da­ners, sein Ge­sicht sah noch blei­cher aus wie sonst, er press­te die Lip­pen wie un­ter phy­si­schem Schmerz.

»Lina – hat – hat Mama wie­der einen An­fall ge­habt?«

»Es war nicht schlimm! Durchaus nicht schlim­mer als sonst! Das alte Asth­ma! Ex­cel­lenz sind auch auf­ge­stan­den und be­fin­den sich im Sa­lon!« –

»Gott sei Lob und Dank!« – Jo­sef schritt has­tig an der Jung­fer vor­über und woll­te sich nach der Sa­lon­tür wen­den, als die­sel­be ge­öff­net ward und ein al­ter Herr ihm ent­ge­gen trat. –

»Ach, da kommt un­ser from­mer Kirch­gän­ger just zu­rück, Ex­cel­lenz!« – rief er mit lie­bens­wür­di­ger Ges­te in das Zim­mer zu­rück, »ge­ra­de zur rech­ten Zeit! Darf mir wohl er­lau­ben, die ver­stauch­te Hand noch ein­mal zu un­ter­su­chen, ob sie völ­lig wie­der in­takt ist. – Auf Wie­der­se­hen, Ex­cel­lenz, in zwei Mi­nu­ten soll ihr jüngs­ter Ver­eh­rer Ihre Hand küs­sen, so lan­ge be­an­spru­che ich ihn noch!«

La­chend schloss der Spre­cher die Tür, stell­te den nach zar­tem La­ven­del duf­ten­den Cy­lin­der auf die klei­ne Mar­mor­kon­so­le und streck­te Jo­sef die Hand ent­ge­gen.

»Treff’ ich den Jun­ker hie? – Zu Hau­se weilt er sel­ten, Bei mir er­scheint er nie!«

re­ci­tier­te er scher­zend, und mit ei­nem heim­li­chen Wink nach ei­ner Sei­ten­tür, schob er den jun­gen Men­schen schnell durch die­sel­be in ein klei­nes, ein­fenst­ri­ges Schlaf­zim­mer­chen, an des­sen Wän­den hohe Bü­cher­re­ga­le von dem Wis­sens­durst sei­nes Be­woh­ners Kun­de ga­ben.

Die Aus­stat­tung der Stu­be war ele­gant und ge­schmack­voll und be­wies, dass eine lie­be­voll sor­gen­de Hand dem Sohn das war­me Nest­chen be­rei­te­te.

Der jun­ge To­ris­dorff schob dem Arzt mit leicht be­ben­der Hand einen großen, ge­schnitz­ten Ses­sel, wel­cher vor dem Schreib­pult stand und als Erb­stück des ver­stor­be­nen Va­ters auf den Sohn über­kom­men war, zu, und bat Platz zu neh­men, der Ho­frat aber wehr­te ei­lig ab, leg­te bei­de Hän­de auf die Schul­tern Jo­sefs und sag­te kurz und ein­dring­lich: »Ihre Mut­ter ist krank, mein jun­ger Freund, krän­ker als wie mir lieb ist. Noch ist’s Zeit, das Übel im Keim zu er­sti­cken, aber es muss so­fort et­was ge­sche­hen, – et­was Ener­gi­sches –«

»Ach die Hit­ze! ich dach­te es mir!« – stöhn­te sein Ge­gen­über mit blas­sen Lip­pen auf.

»Die Hit­ze? – Im Ge­gen­teil – die Hit­ze ist noch nicht das Schlimms­te für Ex­cel­lenz, der Win­ter ist mir bei wei­tem be­denk­li­cher! Ich wür­de es ja sehr an­ge­nehm fin­den, wenn ich Ihre Frau Mut­ter auch jetzt in schö­ne, rei­ne Wald­luft schi­cken könn­te, das ist selbst­ver­ständ­lich, sie wür­de ihr herr­li­che Diens­te tun, – aber die Haupt­sa­che, – sie müss­te nicht nur jetzt – sie müss­te auch im Win­ter in ein wär­me­res Kli­ma! Über­haupt müss­te die­se so zar­te, lei­den­de Frau ganz an­ders ge­pflegt wer­den! Nicht drei Trep­pen hoch woh­nen, das ist bei ih­rer schwa­chen Lun­ge Gift! Fer­ner ein ge­schütz­ter großer Bal­kon, – am bes­ten eine an­de­re Ge­gend – et­was frei­er nach dem Park zu, – da­mit sie die An­la­gen schnel­ler er­rei­chen kann! Wenn sie sich erst in den stau­bi­gen, hei­ßen Stra­ßen müde lau­fen muss, hat sie kei­ne Er­ho­lung von ih­ren Pro­me­na­den! Ihre Frau Mut­ter denkt so gleich­gül­tig über sich, – je­den Vor­schlag, wel­chen ich ihr ma­che, weist sie in ih­rer en­gel­haf­ten An­spruchs­lo­sig­keit zu­rück, ja sie hat so­gar die Ab­sicht, we­der im Som­mer noch im Win­ter zu rei­sen! Das ist un­denk­bar! Das ist ihr Ver­der­ben! Sie muss et­was für sich tun, wenn sie ge­sun­den will! Und dar­um wen­de ich mich an Sie, lie­ber Jo­sef, und bit­te Sie in­stän­digst, mir ein­mal ehr­lich Red’ und Ant­wort zu ste­hen! Ich darf Ex­cel­lenz un­mög­lich sa­gen, wie ernst es mit ih­rer Ge­sund­heit steht, – Ih­nen kann und muss ich es je­doch, denn ich be­darf Ihres Bei­stan­des, um die Kran­ke zu den not­wen­di­gen Schrit­ten zu ver­an­las­sen.«

Nach Atem rin­gend, mit nie­der­ge­schla­ge­nen Au­gen stand der Sohn der ver­wit­we­ten Ge­ne­ra­lin vor dem Arzt, – Röte und Bläs­se wech­sel­ten auf sei­nem Ant­litz, tie­fe Schat­ten senk­ten sich um die Au­gen. Als er nicht ant­wor­te­te, neig­te sich der Ho­frat nä­her zu ihm hin, leg­te den Arm um den Na­cken des jun­gen Man­nes und sag­te lei­se: »Ver­zei­hen Sie mir, Jo­sef, wenn ich in­dis­kret er­schei­ne, der gan­ze Schnitt Ihres Hau­ses macht mir nicht den Ein­druck, als ob Ex­cel­lenz aus fi­nan­zi­el­len Rück­sich­ten ihre Pfle­ge ver­nach­läs­sigt, – oder – par­don – mein lie­ber, jun­ger Freund – ist dies doch der Fall?« –

Jo­sef wech­sel­te aber­mals voll töd­lichs­ter Ver­le­gen­heit die Far­be. »Ach – die teu­ern Ei­sen­bahn­fahr­ten!« stot­ter­te er mit zu­cken­den Lip­pen.

»Teu­er? – I wo sind denn un­se­re Bah­nen teu­er! Es gibt ja gott­lob Da­men­coupés drit­ter Klas­se.« –

»Drit­ter Klas­se!« – wie ein Schrei des Ent­set­zens klang es, »dar­in fährt Mama nicht! Nie! O, Sie ah­nen nicht, wie un­ge­heu­er streng mei­ne Mut­ter in die­ser Be­zie­hung denkt –!«

Ein fei­nes Lä­cheln spiel­te um die bart­lo­sen Lip­pen des al­ten Herrn: »Doch mein lie­ber Jo­sef, doch ahne ich es und ge­ra­de dar­um wand­te ich mich an Sie. Ich ste­he Ex­cel­lenz zu fern, um mei­nen Ein­fluss ge­nü­gend gel­tend ma­chen zu kön­nen, aber Sie als Sohn ha­ben das Recht, ge­gen tö­rich­te Vor­ur­tei­le an­zu­kämp­fen! Und die­ses Recht wird jetzt zur Pf­licht! Es gilt Le­ben und Ge­sund­heit Ih­rer Mut­ter. Ge­schieht nicht so bald als mög­lich et­was Ein­grei­fen­des, ist ihre Lun­ge nicht mehr zu ret­ten. Wol­len Sie Ihre Mut­ter, das Liebs­te was Sie auf der Erde be­sit­zen, ei­nem Hirn­ge­spinst op­fern? Wol­len Sie es dul­den, dass die zar­te Frau zu Grun­de geht, le­dig­lich dar­um, weil sie nicht drit­ter Klas­se fah­ren, nicht in ei­nem be­schei­de­nen Stüb­chen woh­nen und in ei­nem Ho­tel zwei­ten Ran­ges es­sen will? – Lä­cher­lich! Ich bin ein prak­tisch den­ken­der Mann und sage: es ist bes­ser, nicht stan­des­ge­mäß le­ben, als stan­des­ge­mäß ster­ben! – Weg mit der falschen Ei­tel­keit, die­sem wert­lo­sen Plun­der, wel­cher im neun­zehn­ten Jahr­hun­dert kei­nen Kre­dit mehr hat! – Hul­di­gen Sie etwa sel­ber den An­sich­ten Ih­rer Frau Mama, so ma­chen Sie sich frei da­von, wenn Sie nicht die schwe­re, ent­setz­li­che Verant­wor­tung auf sich la­den wol­len, an dem Ster­ben und Ver­der­ben der kran­ken Frau mit­ge­ar­bei­tet zu ha­ben! In Ihren Hän­den liegt es, sie dem Le­ben zu er­hal­ten, – zei­gen Sie, dass Sie ein treu­er, op­fer­mu­ti­ger Sohn sind, – las­sen Sie Ihre Lie­be grö­ßer sein, wie den in die­ser Be­zie­hung so falschen Wahl­spruch: No­bles­se ob­li­ge – wel­chen ich lei­der nur zu oft von Ex­cel­lenz zur Ant­wort er­hielt! – Re­den Sie zur Ver­nunft, schnü­ren Sie ein ein­fa­ches Bün­del­chen und fah­ren Sie ru­hig drit­ter Klas­se zu ei­nem bil­li­gen Land­auf­ent­halt – ich schi­cke Ih­nen Adres­sen. Brau­chen ja die ›Ex­cel­lenz‹ nicht in die Kur­lis­te zu schrei­ben! So, nun neh­men Sie mir mei­ne ehr­li­chen Wor­te nicht übel, – ich muss­te sie zu Ih­nen spre­chen, wenn ich kein ge­wis­sen­lo­ser Mensch sein woll­te! – Also frisch ans Werk! Sie ha­ben Geist und Ein­fluss ge­nug, um se­gens­reich wir­ken zu kön­nen, also tun Sie es! – Gott be­foh­len!« –

Lin­den drück­te die Hand des jun­gen Man­nes, griff has­tig nach dem Hut und war – ei­lig wie im­mer – im nächs­ten Au­gen­blick hin­ter der Tür ver­schwun­den. Jo­sef aber press­te die be­ben­den Hän­de ge­gen das Ant­litz und fühl­te, wie hei­ße, bren­nen­de Trä­nen un­aus­sprech­li­cher Qual aus sei­nen Au­gen stürz­ten. Sei­ne Mut­ter, sei­ne so in­nig, über al­les ge­lieb­te Mut­ter krank, – so krank, dass sie nur kost­spie­li­ge Rei­sen ret­ten kön­nen, – o, dies war ein Ge­dan­ke, wel­cher ihn zu ver­nich­ten droh­te!

Selbst die bil­ligs­te Rei­se – selbst eine Fahrt drit­ter Klas­se wür­de für die so be­schei­de­nen Ver­hält­nis­se der Of­fi­ziers­wit­we un­er­schwing­lich sein! Und wür­de sie auch wahr­lich alle Vor­ur­tei­le über­win­den, wür­de sie sich auf sein Bit­ten und Fle­hen wirk­lich in Ver­hält­nis­se schi­cken, wel­che ih­rer gan­zen Na­tur als et­was Uner­träg­li­ches zu­wi­der sind, es wür­de den­noch an dem Kos­ten­punkt schei­tern. – Ach, der Ho­frat ahnt es nicht, wie sehr sie sich ein­schrän­ken müs­sen, wie ihre klei­ne Ren­te so völ­lig von all den Äu­ßer­lich­kei­ten, wel­che ein stan­des­ge­mä­ßes Le­ben for­dert, auf­ge­zehrt wird! –

Wie soll er da Hil­fe schaf­fen? Was soll er tun, um das heiß­ge­lieb­te, teu­re Le­ben der Mut­ter zu ret­ten? Noch nie hat er den Fluch der Ar­mut so furcht­bar, so na­men­los bit­ter emp­fun­den wie in die­sem Au­gen­blick hilflo­ser Verzweif­lung.

Was soll er tun, – er, dem es der Arzt zur Pf­licht ge­macht hat, zu hel­fen? –

Er kann noch kein Geld ver­die­nen, – er kann nichts – gar nichts! – Wahr­lich nichts? –

Sein Blick fällt auf das klei­ne Ge­bet­buch, wel­ches noch vor ihm auf dem Tisch liegt, – und er hört plötz­lich die Or­gel spie­len – er hört die Stim­me sei­nes ehe­ma­li­gen Pri­vat­leh­rers, des jun­gen De­kans, wel­cher in der Schei­de­stun­de die Hän­de auf sein Haupt leg­te und mit sei­ner lie­ben, erns­ten Stim­me sprach: »Ver­giss nicht, Jo­sef, dass ich dich be­ten lehr­te! – Es kommt wohl noch ein­mal die Zeit, da du nichts auf der Welt zum Trost hast im Leid, denn dein Ge­bet!« Konn­te er wahr­lich nichts für sei­ne Mut­ter tun? O ja, das bes­te, was ein Sohn in Lie­be tun kann, – be­ten. –-

Über sei­nem Bett hing das Bild der Mut­ter Got­tes, sie, wel­che auch einen Sohn ge­liebt, – bis in den Tod.

Zu ihr hob er die trä­nen­feuch­ten Au­gen und be­te­te.

»Hilf mir! – ret­te sie!« –

»Jo­sef! – wo bleibst du?« –

Der jun­ge To­ris­dorff er­hob sich, strich über die Au­gen und at­me­te tief auf.

Es war ihm plötz­lich so leicht und zu­ver­sicht­lich ums Herz, und die Stim­me der Mut­ter schi­en ihm wie ein Ruf der Er­lö­sung. Man nann­te ihn schon seit Jah­ren einen Schwär­mer, und sein Va­ter hat­te oft et­was miss­bil­li­gend die Stirn ge­kraust: »Der De­kan er­zieht einen Kle­ri­ker aus mei­nem Sohn! Un­sinn, ein To­ris­dorff taugt nicht für die Kut­te, – Sol­dat soll er wer­den!«

Sei­ne Frau aber hat­te mit wei­cher Stim­me geant­wor­te­te »Lass ihn ge­wäh­ren! Got­tes­furcht und Fröm­mig­keit sind auch für einen Sol­da­ten gute Mit­gift! Und der De­kan hat einen so vor­treff­li­chen Ein­fluss auf Jo­sef! Das all­zu viel sei­ner kind­li­chen Schwär­me­rei wird die rohe Hand des Le­bens schon bald ge­nug ab­strei­fen, und was bleibt, ist der gute Kern, wel­cher Sturm und Wet­ter über­dau­ert!«

So war der Kna­be un­ter zwei mäch­ti­gen Ein­flüs­sen auf­ge­wach­sen, – un­ter demje­ni­gen des Va­ters und demje­ni­gen sei­nes Pri­vat­leh­rers. Der alte Ge­ne­ral­leut­nant war die Ver­kör­pe­rung sol­da­ti­schen Ehr­be­griffs und ari­sto­kra­ti­scher Kor­rekt­heit. Sei­ne An­sich­ten wur­zel­ten noch tief in der Ver­gan­gen­heit, wo der Edel­mann Trä­ger von Idea­len war, wo sich Rit­ter­lich­keit und No­bles­se nicht nur in der Ge­sin­nung zeig­ten, son­dern sich auch in Äu­ßer­lich­kei­ten be­tä­ti­gen muss­ten, wo das, was am fin de siècle zum un­nö­ti­gen Auf­wand ge­wor­den, noch als Takt­be­griff, ja di­rekt als Pf­licht sei­ne An­sprü­che an den Adel stell­te. –

In je­ner Zeit glänz­ten die Wap­pen­schil­der noch gol­den, und im Schoß der ei­ge­nen Schol­le barg sich noch ein Se­gen, wel­cher dem schö­nen Wor­te No­bles­se ob­li­ge den nö­ti­gen Nach­druck ver­lei­hen konn­te. Da­mals konn­te der Adel sei­nen Ver­pflich­tun­gen noch ge­recht wer­den, und er tat es mit höchs­tem Op­fer­mut bis zur he­ro­i­schen Selbst­ver­leug­nung, in­dem er all sein Hab und Gut, bis auf die Schmuck­stücke und Zöp­fe der Frau­en und Töch­ter her­ab, auf dem Al­tar des Va­ter­lan­des op­fer­te, als die hei­li­gen Flam­men der Be­geis­te­rung wäh­rend der Be­frei­ungs­krie­ge em­por­loh­ten. –

Die Va­ter­lands­lie­be und der Idea­lis­mus gin­gen Hand in Hand. Trotz des ein­schnei­den­den Wan­dels in den meis­ten Ver­hält­nis­sen hielt die Pie­tät der Kin­der den­noch an den An­sich­ten und Ge­pflo­gen­hei­ten der Vä­ter fest, sie wa­ren ih­nen zu Fleisch und Blut ge­wor­den, sie lie­ßen sich nicht ver­leug­nen, wie man nicht will­kür­lich die Ge­sichts­zü­ge än­dern kann, wel­che in ih­rer Ähn­lich­keit das Ant­litz der El­tern spie­geln.

Auch Ex­cel­lenz To­ris­dorff war in der At­mo­sphä­re ei­nes Grund­be­sit­zes auf­ge­wach­sen, auf wel­chem noch der Geist ver­gan­ge­ner Zei­ten durch die so schlicht und ein­fach ge­wor­de­nen Säle und Zim­mer weh­te. Die Ti­tel wa­ren ge­blie­ben, die Mit­tel aber von Jahr zu Jahr be­denk­li­cher zu­sam­men­ge­schmol­zen, so­dass nur der äu­ßers­te Fleiß und die prak­tischs­te Öko­no­mie des Va­ters, den ehe­dem so rei­chen Be­sitz der Fa­mi­lie er­hal­ten konn­te.

Die Le­bens­wei­se, die Er­zie­hung der Kin­der war schlicht und an­spruchs­los, den­noch wur­de das ein­fachs­te Mahl von dem Die­ner in großer Li­vree ser­viert, und man setz­te sich zu Pell­kar­tof­feln und He­ring mit der­sel­ben wür­de­vol­len Fei­er­lich­keit nie­der, wie ehe­mals die Groß- und Ur­vä­ter in die­sem Saal ihre opu­len­te Spei­sen­fol­ge ein­ge­nom­men hat­ten. Die alte Kut­sche hät­te längst ei­nem mo­der­nen, ele­gan­ten Lan­dau­er Platz ma­chen müs­sen, und wer sie in ih­rer gan­zen, fa­den­schei­ni­gen Dürf­tig­keit hät­te ste­hen se­hen, wür­de es nicht an Spott und Witz ha­ben feh­len las­sen, – wenn aber vier gut ge­schirr­te Pfer­de da­vor gin­gen, und Kut­scher und Die­ner in Gala dar­auf sa­ßen, – wenn die ho­hen, im­po­nie­rend stol­zen Ge­stal­ten der Guts­herr­schaft voll et­was alt­frän­ki­scher Gran­dez­za ein­stie­gen – dann war das Gan­ze ein so har­mo­ni­sches Bild, dass es nie sei­nen gu­ten Ein­druck auf den Be­schau­er ver­fehl­te. No­bles­se ob­li­ge! Die Töch­ter hei­ra­te­ten nicht un­ter ih­rem Stand, son­dern wur­den – falls sich kein ge­eig­ne­ter Frei­er fand, – Stifts- oder Hof­da­men, je nach­dem es Nei­gung und Be­ga­bung be­stimm­ten und die jün­ge­ren Söh­ne hat­ten le­dig­lich die Wahl zwi­schen Stu­di­um und Mi­li­tär­dienst, wäh­rend der äl­tes­te das Gut über­nahm und es im Sin­ne der El­tern wei­ter­be­wirt­schaf­te­te. –

Staats­dienst oder Mi­li­tär! – Je­der an­de­re Be­ruf war für einen To­ris­dorff aus­ge­schlos­sen, und wenn ein noch so emi­nen­tes Ta­lent die glän­zends­te Küns­ter­lauf­bahn ga­ran­tier­te, oder be­son­de­re Pas­si­on oder Be­fä­hi­gung für den Kauf­manns­stand sprach, – solch ein Ge­dan­ke al­lein wäre Ver­rat an den Tra­di­tio­nen der Fa­mi­lie ge­we­sen.

Jo­sefs Va­ter war der dritt­ge­bo­re­ne Sohn. Da zu dem Stu­di­um die Mit­tel nicht aus­reich­ten, ward er für die mi­li­tä­ri­sche Lauf­bahn be­stimmt. Sie sag­te ihm zu, – er war ein geist­vol­ler, streb­sa­mer Of­fi­zier, wel­cher sich trotz sei­ner knap­pen Zu­la­ge als all­ge­mein be­lieb­ter Ka­me­rad in den bes­ten Re­gi­men­tern hielt und gute und schnel­le Car­rie­re mach­te.

Da ihm sei­ne stren­ge Ge­sin­nung eine Geld­hei­rat als ver­ächt­lich, – ja ge­ra­de­zu ehr­los er­schei­nen ließ, und die­je­ni­gen Da­men, für wel­che sein Herz in Lie­be ent­brann­te, nicht in der Lage wa­ren, einen mit­tel­lo­sen Leut­nant hei­ra­ten zu kön­nen, so ent­sag­te er der Ehe, bis ihm sei­ne Ein­künf­te ge­stat­ten wür­den, ganz nach Nei­gung zu wäh­len. Er war be­reits Oberst­leut­nant, als sich sein Schick­sal ent­schied, und er das Ide­al all sei­ner Träu­me in der rei­zen­den Grä­fin Ines Ha­gen­dorf ver­kör­pert fand. –

Die jun­ge Dame war früh ver­waist und in ei­nem kö­nig­li­chen Stift er­zo­gen wor­den, – als­dann, sehr jung noch, der Kron­prin­zes­sin als Hof­da­me zu­er­teilt, mit wel­cher sie an­fäng­lich län­ge­re Zeit auf Rei­sen und der Kränk­lich­keit der ho­hen Frau we­gen in tiefer Zu­rück­ge­zo­gen­heit auf ei­nem süd­lich ge­le­ge­nen Schloss leb­te.

An­läss­lich ei­ner Denk­mal­sent­hül­lung lern­te Ines den Frei­herrn von To­ris­dorff ken­nen, auf wel­chen die schlan­ke, so äu­ßerst an­mu­ti­ge Blon­di­ne so­gleich einen der­art tie­fen Ein­druck mach­te, dass er voll glü­hen­der Lei­den­schaft um sie warb, und sie noch vor Schluss der ers­ten Sai­son als Braut in die Arme schloss.

Ob­wohl der Al­ters­un­ter­schied zwi­schen dem Paar ein sehr großer war, ga­ran­tier­te die ge­gen­sei­ti­ge sehr in­ni­ge Zu­nei­gung doch ein großes Glück, wel­ches sich auch wäh­rend der gan­zen Ehe be­tä­tig­te. Den­noch war die­sel­be eine je­ner un­ver­ant­wort­li­chen, bei wel­chen nur an die Ge­gen­wart, aber nicht an die Zu­kunft ge­dacht wird. –

Bei­de Ehe­gat­ten be­sa­ßen kein Ver­mö­gen, bei­de wa­ren in man­cher Be­zie­hung ver­wöhnt und durch Na­men und Stel­lung zu ei­nem ge­sel­li­gen Le­ben ge­zwun­gen, bei wel­chem kei­ne Er­spar­nis­se zu ma­chen wa­ren.

Das hohe Ge­halt des Frei­herrn ge­stat­te­te ja ein in je­der Be­zie­hung be­hag­li­ches Le­ben, und Ines, viel lei­dend und von ei­ner syl­phen­haf­ten Zart­heit, wel­che den be­sorg­ten und ver­lieb­ten Gat­ten ver­an­lass­te, sie auf Hän­den zu tra­gen, um­gab sich gern mit ei­nem Kom­fort, wel­cher ih­rem ei­gen­ar­ti­gen We­sen erst die rech­te Fo­lie zu ge­ben schi­en. –

Der ein­zi­ge Sohn, wel­cher dem Ehe­paar ge­bo­ren wur­de, wuchs, ver­hät­schelt und ver­wöhnt wie ein klei­ner Prinz, um­ge­ben von zärt­lichs­ter Lie­be und all den Hul­di­gun­gen de­rer, wel­che in dienst­li­chen Be­zie­hun­gen zu dem Va­ter und ge­sell­schaft­li­chen zu der Mut­ter stan­den, als Sohn des Re­gi­ment­s gleich ei­nem Bäum­chen im Son­nen­schein auf. –

Glück­li­che Kin­der­jah­re! Se­li­ges Ge­nie­ßen al­les Schö­nen und Be­geh­rens­wer­ten, ohne Sor­ge, ohne Kum­mer, be­strahlt von dem Nim­bus des hö­her und hö­her stei­gen­den Va­ters, – bis plötz­lich die Nacht her­ein­brach, wel­che all die blen­den­de Hel­le in trost­lo­ser, grau­sa­mer Öde und Dun­kel­heit un­ter­ge­hen ließ! –

Ein Sturz von höchs­ter Höhe in be­kla­gens­wer­tes­te Tie­fe!

Ein Schlag­an­fall mach­te dem Le­ben des Va­ters ein jä­hes, un­er­war­te­tes Ende.

Die jun­ge Wit­we und ihr Söhn­chen blie­ben ohne nen­nens­wer­tes Ver­mö­gen, le­dig­lich auf die spär­li­che Pen­si­on an­ge­wie­sen, zu­rück.

Welch ein grau­en­vol­ler Um­schwung! Uner­träg­lich für eine Frau, wel­che so sehr des Son­nen­scheins und des Glücks be­durf­te, um ihre zar­te Blu­men­see­le zu er­hal­ten!

Was soll­te sie be­gin­nen? Sich los­rei­ßen von al­lem, was ihr lieb und un­ent­behr­lich war, und sich in ei­nem be­schei­de­nen Win­kel ver­ste­cken, um küm­mer­lich ihr Le­ben zu fris­ten? – Nein, lie­ber ster­ben! Der Name To­ris­dorff durf­te nicht im Ar­men­vier­tel un­ter­ge­hen, – No­bles­se ob­li­ge! –

Eine wohl­ha­ben­de Ver­wand­te nahm sich der jun­gen Frau an, – bei Hofe in­ter­es­sier­te man sich voll war­mer Teil­nah­me für die ehe­dem so glück­li­che, ge­fei­er­te Beglei­te­rin der Kron­prin­zess. Von al­len Sei­ten er­wies man ihr Freund­lich­kei­ten und so wur­de die Ein­sa­me voll dop­pel­ter Auf­merk­sam­keit in den ihr ge­wohn­ten Krei­sen fest­ge­hal­ten.

Und Ines sag­te sich aber­mals: No­bles­se ob­li­ge! – die­ses Lieb­lings­wort des ver­stor­be­nen Gat­ten, wel­ches der­sel­be ihr und sei­nem Sohn so oft als Richt­schnur fürs Le­ben ge­ge­ben, und sie rich­te­te mit Hil­fe der Tan­te ihr Le­ben ein, dass kein Schat­ten auf den blan­ken Schild der To­ris­dorff fal­len konn­te.

Eine Woh­nung im gu­ten Stadt­vier­tel, in ele­gan­tem Haus, – ein Heim, in wel­chem man aus dem ehe­ma­li­gen lu­xu­ri­ösen Quar­tier ein vor­nehm be­hag­li­ches Nest­chen ein­rich­ten konn­te.

Die Men­schen se­hen ja nur, was vor Au­gen ist! Dement­spre­chend muss der Zuschnitt, das Äu­ße­re sein, – wie sie und Jo­sef sich hin­ter den Cou­lis­sen ein­schrän­ken, das wird nie je­mand er­fah­ren und ah­nen. – No­bles­se ob­li­ge –

All die vie­len, vor­teil­haf­ten Be­zie­hun­gen, wel­che Ex­cel­lenz zeit­le­bens kul­ti­viert hat, dür­fen nicht ab­ge­bro­chen wer­den, – um des Soh­nes wil­len nicht. Jo­sef muss Kon­ne­xio­nen ha­ben, wenn er der­einst als mit­tel­lo­ser Of­fi­zier in die Ar­mee ein­tritt, – ohne tat­käf­ti­ge Hil­fe von oben kann nichts aus ihm wer­den, denn er ist lei­der Got­tes all­zu­sehr das Kind sei­ner kränk­li­chen Mut­ter. Ines gab ihn auch dar­um nicht in das Korps, ihre gan­ze See­le hängt an dem Lieb­ling, dem ein­zi­gen Glück, wel­ches ihr noch ge­blie­ben!

Wird er über­haupt Sol­dat wer­den kön­nen? – Die­ser Ge­dan­ke pei­nigt und quält die be­sorg­te Mut­ter Tag und Nacht. – Was soll sonst aus ihm wer­den? Zum Stu­di­um reicht die Wit­wen­pen­si­on nicht – und ein an­de­rer Be­ruf? – Er ist ein To­ris­dorff! er kann und darf nichts er­grei­fen, was nicht stan­des­ge­mäß ist! – No­bles­se ob­li­ge!

Pries­ter! – Ja, Pries­ter, – das wäre noch die ein­zigs­te Mög­lich­keit, – die ka­tho­li­sche Kir­che sorgt für die Söh­ne ih­rer glau­ben­streu­en Edel­leu­te, und Jo­sef wür­de ge­wiss zu Rang und Ehren stei­gen – – aber sei­ne Ju­gend – sein Herz – sein Glück ist ge­op­fert!

Die ju­gend­li­che Ex­cel­lenz, wel­che sel­ber so gern ge­lebt und so heiß ge­liebt hat­te, schlägt bei sol­chen Ge­dan­ken die Hän­de voll Ent­set­zen vor das zar­te Ant­litz.

Ihr ein­zi­ges Kind! – Ihr Lieb­ling! – Nein, tau­send­mal nein! Er soll auch glück­lich wer­den! Aber wie? Ach, dass sie es mit ih­rem Herz­blut er­kau­fen könn­te, das Glück! – Wer aber han­delt es ihr ein?

Voll bit­te­rer Qual ringt sie oft die fei­nen, ring­ge­schmückt­cn Hän­de, wel­che wie blas­se Ro­sen­blät­ter in ih­rem Schoß ru­hen; sie ist viel zu matt, viel zu kraft­los, um voll küh­nen Muts den Kampf mit dem Schick­sal wa­gen zu kön­nen, – für ihr Kind! –

II.

Jo­sef folg­te dem Ruf der Mut­ter.

Noch ein­mal hat­te er sorg­sam glät­tend über das wel­li­ge Haar ge­stri­chen und voll pein­li­cher Ge­nau­ig­keit den Staub von dem dun­keln Sonn­tags­rock ge­bürs­tet. Er war es so ge­wöhnt, den Sa­lon der Mut­ter von Kind­heit auf als ein ge­wis­ses Et­was an­zu­se­hen, wel­ches Re­spekt und Ach­tung er­heischt, wel­ches sei­ne Ce­re­mo­nie vor­schreibt und stets mit dem Ge­fühl: »Eine Aus­zeich­nung da­durch zu er­fah­ren« be­tre­ten wird.

Auch heu­te lag der Aus­druck wür­de­vol­ler Fei­er­lich­keit auf den schmäch­ti­gen Zü­gen des Se­kun­da­ners, als er die Por­tiè­re teil­te und in das süß­duf­ten­de, däm­me­rig stil­le Zau­ber­reich sei­ner an­ge­be­te­ten Mut­ter ein­trat.

Ex­cel­lenz To­ris­dorff lag auf dem Di­van, wel­cher mit ge­schmack­vol­ler Ge­nia­li­tät un­ter die brei­ten Fä­cher­blät­ter treff­lich ge­pflanz­ter Pal­men ge­scho­ben war. Der Sa­lon zeig­te noch un­ver­än­dert die ge­die­ge­ne Ele­ganz, mit wel­cher der ver­stor­be­ne Ge­ne­ral die ge­lieb­te Frau um­ge­ben hat­te.

Gold­ge­stick­te De­cken, von ei­ner Ori­ent­rei­se heim­ge­bracht, dra­pier­ten mit star­ren Sei­den­fal­ten die Wän­de, sorg­lich je­des Fleck­chen Ta­pe­te ver­hül­lend, wel­ches die präch­ti­gen Ge­mäl­de, – Erb­stücke aus der Ah­nen­gal­le­rie der Ha­gen­dorfs, – so­wie die Meiß­ner Fi­gu­ren und Bron­ze­va­sen auf den Gold­kon­so­len, noch frei­ge­las­sen hat­ten.

Kry­stall­fun­keln­de Arm­leuch­ter, mit dem großen Lüs­ter har­mo­nie­rend, ge­ni­al ge­mal­te Ses­sel und Tisch­chen, wei­che At­las­pols­ter und schwel­len­de, spit­zen­über­rie­sel­te Kis­sen füll­ten den Raum, wel­cher trotz sei­ner präch­ti­gen Aus­stat­tung den­noch den Cha­rak­ter au­ßer­or­dent­li­cher Ge­müt­lich­keit trug.

Die vie­len, kost­ba­ren Hoch­zeits­ge­schen­ke der Fürst­lich­kei­ten und Hof­ge­sell­schaft, wel­che die so sehr be­lieb­te Hof­da­me ehe­mals be­son­ders reich be­dacht, re­prä­sen­tier­ten einen Kunst­wert, wel­cher der gan­zen To­ris­dorff­schen Woh­nung das Ge­prä­ge größ­ter Wohl­ha­ben­heit ver­lieh und die glän­zen­de Mas­ke war, hin­ter wel­cher sich Frau Sor­ge mit dem Trä­nen­tüch­lein ver­steck­te. –

Der gan­zen Um­ge­bung an­ge­mes­sen war die Er­schei­nung der Be­sit­ze­rin, wel­che trotz al­ler Ein­fach­heit ihre Per­sön­lich­keit mit ei­nem Reiz zu um­ge­ben wuss­te, wie es nur wirk­lich vor­neh­men Frau­en ei­gen ist, wel­chen es zur zwei­ten Na­tur ge­wor­den, durch gu­ten Ge­schmack zu wir­ken.

Die Som­mer­hit­ze mach­te sich selbst hier in dem so tief ver­häng­ten und ge­schütz­ten Sa­lon be­merk­bar, dar­um trug Ex­cel­lenz ein Mor­gen­kleid von weißem Ba­tist, – durch­aus schlicht in Form und Aus­schmückung, eine Ar­beit ih­rer ei­ge­nen, flei­ßi­gen Hän­de, wel­che mit Hil­fe der ein­zi­gen Die­ne­rin die Näh­ma­schi­ne hand­hab­ten, zur Verzweif­lung Jo­sefs, wel­cher die­se Ar­beit in ho­hem Gra­de schäd­lich für die zar­te Frau hielt.

Aber was half es! Die teue­ren Schnei­der­rech­nun­gen muss­ten ge­spart wer­den, über­all da, wo kei­ne frem­den Bli­cke hin­drän­gen, an Haus­klei­dern, Wä­sche und Fli­cke­rei­en, – schlimm ge­nug, dass die Ge­sell­schaft­stoi­let­ten so ta­del­los ge­ar­bei­tet sein muss­ten, – die konn­te nur eine Schnei­de­rin lie­fern, – No­bles­se ob­li­ge! –

Aber selbst das Ein­fachs­te sah an der hoch­ge­wach­se­nen schlan­ken Ge­stalt der Ge­ne­ra­lin so chic und kleid­sam aus, dass man schon frü­her in der Ge­sell­schaft die scher­zen­de Be­mer­kung ge­macht hat­te: Selbst in Sack­lein­wand bleibt Ines To­ris­dorff vom Schei­tel bis zur Soh­le Ex­cel­lenz! –

Auch jetzt blieb ihr Sohn einen Mo­ment in über­rasch­tem An­schau­en vor der noch ju­gend­li­chen Mama ste­hen, ehe er voll zärt­li­cher De­vo­ti­on ihre Hän­de küss­te, bis die schlan­ken Arme ihn in­nig an die Brust der Mut­ter zo­gen und Ines durch Küs­se und Lieb­ko­sun­gen die Er­laub­nis gab, wie­der­um von ih­rem Lieb­ling ge­herzt zu wer­den.

Selbst jetzt, mit über­vol­lem Her­zen, wahr­ten bei­de ein ge­wis­ses Ce­re­mo­ni­ell, wel­ches nie durch ein Un­ge­stüm die Form und gute Sit­te ver­letz­te, und den­noch nicht als stö­rend emp­fun­den ward, weil es zu dem Na­tür­li­chen, Selbst­ver­ständ­li­chen ge­hör­te, wel­ches dem gan­zen We­sen der To­ris­dorff den Stem­pel auf­drück­te.

Ex­cel­lenz war eine ver­hält­nis­mä­ßig noch jun­ge Frau, wohl noch jün­ger aus­se­hend als sie war, weil ihre mäd­chen­haft schlan­ke, wei­che und bieg­sa­me Fi­gur, mit den et­was mü­den Be­we­gun­gen, den Be­schau­er in je­der Be­rech­nung irre führ­te. Auch ihr sehr schma­les, fein­ge­schnit­te­nes Ge­sicht mit den großen, feucht­gläu­zen­den Blau­au­gen, wel­che meist et­was ver­schlei­ert und traum­be­fan­gen in die Welt blick­ten, –- das rei­che, asch­blon­de Haar, wel­ches kein Sil­ber­fäd­chen ver­rät, und schließ­lich der mat­te, so über­aus zar­te Teint, farb­los und gleich­mä­ßig wie bei ei­ner Wachs­fi­gur, tru­gen dazu bei, über das Al­ter zu täu­schen, und die jüngs­ten Her­ren tru­gen noch mit Be­geis­te­rung die Schlep­pe der an­mu­ti­gen Frau, wenn sie ihr in den Sa­lons be­geg­ne­ten.

Jo­sef hat­te sich einen klei­nen Ses­sel ne­ben den Di­wan ge­scho­ben. Er hielt die schlan­ken Hän­de der Mut­ter krampf­haft mit den sei­nen um­schlos­sen und blick­te ihr mit bei­na­he angst­voll for­schen­dem Blick in das Ant­litz.

»Lina sag­te mir, du ha­best wie­der einen leich­ten An­fall ge­habt, Müt­ter­chen! Aber ich fin­de zu mei­ner großen Freu­de und Be­ru­hi­gung, dass du woh­ler aus­siehst wie je! Du hast ja seit lan­ger Zeit nicht so ro­si­ge Wan­gen ge­habt wie heu­te, und dei­ne Au­gen blit­zen wie die Ster­ne zur Win­ters­zeit!« –

Die fei­ne Röte auf dem Ant­litz der Frau ver­tief­te sich, bei­na­he ver­le­gen wand­te sie den Blick. »O, mit dem An­fall hat es dies­mal ab­so­lut nichts auf sich, Dar­ling!« – wehr­te sie has­tig ab, »es war nur ein we­nig Herz­klop­fen, ver­ur­sacht durch eine mo­men­ta­ne Auf­re­gung.« –

»Eine Auf­re­gung?!« –

Ex­cel­lenz schob mit ner­vös be­ben­den Hän­den die schma­len Gold­rei­fen an dem Arm hö­her em­por. »Nichts von Be­deu­tung – ein klei­ner Är­ger. – Ich woll­te dir ei­gent­lich gar nichts da­von sa­gen, denn schie­ßen kannst du dich doch noch nicht mit ihm, und da ist’s bes­ser, du regst dich nicht erst über solch eine un­ver­schäm­te Frech­heit auf! – Aber – viel­leicht ist es doch bes­ser, du weißt Be­scheid – denn sein Sohn – ich weiß nicht, wie du mit ihm stehst – und – und – ach, Jo­sef – es ist schreck­lich!« –

Mit jä­her Be­we­gung drück­te die Spre­che­rin das Ta­schen­tuch ge­gen die Au­gen und schluchz­te krampf­haft auf. Der jun­ge To­ris­dorff war auf­ge­sprun­gen, eine dro­hen­de Fal­te senk­te sich zwi­schen sei­ne Brau­en und die kno­chi­gen Kna­ben­hän­de ball­ten sich.

»Eine Frech­heit – eine Be­lei­di­gung? – Mut­ter – es ist dei­ne Pf­licht – du musst mir die­sen Bu­ben nen­nen!« – stieß er be­bend durch die Zäh­ne her­vor. Er­schro­cken blick­te Ines auf uud nahm has­tig die be­ben­de Rech­te in die ihre. –

»Miss­ver­ste­he mich nicht, mein Her­zens­kind! Nein, kei­ne Be­lei­di­gung in dei­nem Sinn – im Ge­gen­teil – er denkt mir eine enor­me Ehre an­zu­tun – aber – dass er es über­haupt ge­wagt – das –«

Und wie­der er­stick­te ihre Stim­me in lau­tem Auf­schluch­zen.

»Lie­be Her­zens­ma­ma, – ich ver­ste­he dich nicht! – Er­bar­me dich mei­ner und lass mich al­les wis­sen! –«

Da rich­te­te sich die Ge­ne­ra­lin auf und deu­te­te mit der Hand er­regt nach ei­nem klei­nen Mar­mor­tisch in dem Er­ker. – »Sieh und lies es selbst, Dar­ling, – ich kann so et­was nicht aus­spre­chen!« –

Jo­sef trat has­tig nach dem Er­ker hin und schlug die Por­tiè­re zu­rück.

»Ah!« – Ein Laut höchs­ter Über­ra­schung und Ent­zückens rang sich von sei­nen Lip­pen.

Ein wun­der­vol­les Blu­men­ar­ran­ge­ment, so köst­lich und ei­gen­ar­tig in ver­schwen­de­ri­scher Fül­le, wie er noch keins ge­se­hen, bot sich ihm dar.

»Mama – das ist ja feen­haft!« stam­mel­te er.

Ex­cel­lenz drück­te das Ant­litz tiefer in die Kis­sen. »Lies nur erst!« stieß sie kurz her­vor.

»Le­sen? – was? – wo? –«

»Der Brief liegt – ach so – da – auf dem Tep­pich.«

Jo­sef beug­te sich und nahm das ele­gant cou­ver­tier­te Schrei­ben, wel­ches so ver­ächt­lich zu Bo­den ge­schleu­dert war, über­rascht em­por.

»Ich darf es le­sen, Mama?« –

Eine jähe, zu­stim­men­de Be­we­gung der wei­ßen Frau­en­hand.

Mecha­nisch setz­te sich der jun­ge To­ris­dorff auf einen der nächst ste­hen­den Ses­sel nie­der, klapp­te das stei­fe Pa­pier aus­ein­an­der und über­flog has­tig den In­halt des lan­gen Schrei­bens.

Und wäh­rend er las, stieg es rot und im­mer rö­ter in sei­nem blas­sen Ge­sicht auf, und sei­ne Hand beb­te wie im Fie­ber und sein Atem stock­te. Ein Hei­rats­an­trag! – ein Hei­rats­an­trag an sei­ne Mut­ter! – und von wem?

»Ja­mes Fran­klin Ster­ley, – Kom­mer­zi­en­rat.«

Der er­ho­be­ne Arm sank schlaff her­nie­der, – weit of­fen, ins Lee­re ge­rich­tet, starr­ten Jo­sefs Au­gen – vorn­über­ge­neigt, wie ver­stei­nert saß er im Ses­sel.

Ja­mes Fran­klin Ster­ley! Der rei­che, schwer­rei­che Ban­kier, des­sen Sohn Klaus sein Mit­schü­ler in der Klas­se war! Der viel­be­nei­de­te Klaus, wel­cher den Spitz­na­men »Na­bob« er­hal­ten, wel­cher so oft mit ele­gan­tem Vierer­zug den Schul­weg zu­rück­leg­te, wel­cher ihm noch ges­tern, bei Schluss der Schu­le, ge­sagt hat­te: »Jo­sef – ich fah­re mor­gen mit dem Ex­press­zug nach Ti­rol, – will die­ses Jahr un­se­re Vil­la am Te­gern­see be­woh­nen und ein biss­chen auf Gem­sen ja­gen! Sag’, Jo­sef – könn­test du nicht mein Gast sein? – ich darf mir ein­la­den, wen ich will, – und dich möch­te ich am liebs­ten mit­neh­men!« –

O, wie gern – wie lei­den­schaft­lich gern wäre er dem Ruf ge­folgt! Nach Te­gern­see – in das Haus die­ses Krö­sus, in die herr­li­che, köst­li­che Got­tes­welt hin­ein!

Aber er hat­te trau­rig den Kopf ge­schüt­telt und die Hand des Freun­des ge­drückt. »Ich dan­ke dir von gan­zem Her­zen, Klaus, und ich freue mich sehr, dass du an mich denkst und mir die Freu­de be­rei­ten willst, – aber es geht nicht, – wahr­lich nicht. Ich muss bei Mama blei­ben. Sie ist so lei­dend, sie darf nicht al­lein sein, – sie kann die­sen Som­mer wohl gar nicht rei­sen und ich muss ihr selbst­ver­ständ­lich Ge­sell­schaft leis­ten! Ich dan­ke dir, Klaus!«

Und nun? Nun hielt der Va­ter die­ses Be­nei­dens­wer­ten um die Hand sei­ner Mut­ter an? War so et­was über­haupt aus­zu­den­ken?

Er war im ers­ten Au­gen­blick so fas­sungs­los, so starr vor Stau­nen, dass er wie geis­tes­ab­we­send vor sich hin­blick­te und sei­ne Ge­dan­ken erst sam­meln muss­te.

Und dann kam ihm plötz­lich das Ver­ständ­nis für die Em­pö­rung sei­ner Mut­ter.

Ja­mes Fran­klin Ster­ley! – Kom­mer­zi­en­rat – Ban­kier – ein rei­cher Mann, wel­cher nichts wei­ter hat, als sei­ne Mil­lio­nen – un­a­de­lig – Kauf­mann – Gott im Him­mel! wie wagt er es, um eine der vor­nehms­ten Frau­en der Re­si­denz zu wer­ben? Um eine Ex­cel­lenz von To­ris­dorff! –

Ja, solch’ eine Ver­mes­sen­heit ist Be­lei­di­gung – ist mehr wie das. –

Jo­sef zuckt zu­sam­men. Wahr­lich, ist es eine Schmä­hung? Wie nun, wenn es Hil­fe und Er­ret­tung aus tiefs­ter Not wäre, – wenn der lie­be Herr­gott im Him­mel die­sen Brief als Ant­wort auf sein hei­ßes, in­brüns­ti­ges Ge­bet ge­sandt hat­te? – Er drückt bei­de Hän­de ge­gen den Kopf und ringt nach Atem. – Nein, tau­send­mal nein! Wie kann es der ge­treue Gott wol­len, dass ein Weib un­treu wer­de! – Hat sei­ne Mut­ter nicht ih­rem ver­stor­be­nen Gat­ten die Treue bis in den Tod ge­lobt, und nun soll sie ihn ver­ges­sen? –

Da trifft sein Blick wie­der den Brief. »Es sei fer­ne von mir, Ex­cel­lenz, das An­den­ken Ihres teu­ern, ver­ewig­ten Herrn Ge­mahls aus Ihrem Her­zen rei­ßen zu wol­len! Im Ge­gen­teil, es soll mir eine hei­li­ge, lie­be Pf­licht ge­gen den un­ver­ge­ss­li­chen Ent­schla­fe­nen sein, sein An­den­ken hei­lig und in den Her­zen von Mut­ter und Sohn le­ben­dig zu er­hal­ten! Ich ver­lan­ge nicht jene bräut­li­che Lie­be von Ih­nen, Ex­cel­lenz, wel­che Sie dem To­ten ge­zollt, ich bit­te Sie nur um Ihre op­fer­mu­ti­ge Freund­schaft, mei­nem ver­wais­ten Hau­se eine neue Her­rin zu sein, mir zu ge­stat­ten, Ih­nen mei­ne tie­fe, in­ni­ge Ver­eh­rung und Nei­gung be­wei­sen zu dür­fen, in­dem ich Ih­nen al­les zu Fü­ßen lege, was ich mein ei­gen nen­ne. Ge­stat­ten Sie mir auch, Ihren Sohn, den Freund des mei­nen, mit Lie­be und Sor­ge um­ge­ben zu dür­fen, und sei­en Sie ver­si­chert, Ex­cel­lenz, dass ich mein gan­zes Le­bens­glück dar­in su­chen will, Sie auf Hän­den zu tra­gen und glück­lich zu ma­chen. – –«

Wie ein Stöh­nen ent­rang es sich der Brust des Le­sen­den. – Glück­lich will er sie ma­chen, glück­lich und ge­sund! – Er will kei­nen Raub an den Rech­ten des To­ten be­ge­hen, – er will nicht um eine zärt­lich Lie­ben­de, – son­dern nur um eine neue Her­rin für sein ver­wais­tes Haus wer­ben, er sagt und be­kennt es ehr­lich, und doch ver­letzt die­se Of­fen­heit nicht, er ist ja sel­ber Wit­wer, wel­cher viel­leicht eine treue, un­wan­del­ba­re Lie­be zu der ver­klär­ten Gat­tin im Her­zen tragt. Er sucht eine Re­prä­sen­tan­tin für sein fürst­li­ches Heim, – wer passt bes­ser dazu, wie eine Ex­cel­lenz To­ris­dorff? Und wo bie­tet sich je wie­der eine Mög­lich­keit, so viel, so al­les was not ist, für Ge­sund­heit und Le­ben der heiß­ge­lieb­ten Mut­ter tun zu kön­nen?

Soll­te es doch die Ant­wort des lie­ben Herr­gotts auf sein Ge­bet sein?

Wie ein Be­ben stiegt es durch die Glie­der des Den­kers, er presst die eis­kal­ten Hän­de in ein­an­der und sinkt noch tiefer in sich zu­sam­men.

Frau Ines hat das Ta­schen­tuch vor den Au­gen sin­ken las­sen; ihr Blick haf­tet groß und ver­wun­dert auf dem Sohn, in re­gungs­lo­sem Beo­b­ach­ten und For­schen. Zum ers­ten Mal im Le­ben ver­steht sie ihn nicht. – Er hat den Brief ge­le­sen und zer­knäult ihn nicht voll Em­pö­rung und Zorn, ihn eben­so ver­ächt­lich von sich zu schleu­dern wie sie?

Er hat den Hei­rats­an­trag, wel­cher im Grun­de ge­nom­men nicht ein sol­cher, son­dern ein kühl be­rech­ne­ter, ge­schäft­li­cher Vor­schlag ist, ge­le­sen, und er braust nicht auf in Ent­rüs­tung? Er fühlt nicht die Be­lei­di­gung, wel­che für das Weib in dem­sel­ben liegt? – Kein hei­ßes, him­mel­an­stür­men­des Lie­bes­wer­ben, son­dern nur das Aus­schrei­ben ei­ner vor­teil­haf­ten Stel­lung als Her­rin des Hau­ses! – Jo­sef ist noch kein Mann, aber er ist doch schon alt ge­nug, um zu emp­fin­den, wie solch ein An­trag der Ei­tel­keit der Eva Wun­den schlägt! –

Ines ist eine welt­ge­wand­te, – aber kei­ne geist­rei­che Frau, wel­che in Men­schen­her­zen liest. – Was sie an dem Hei­rats­an­trag ver­letzt, ist für das wehe Herz des Soh­nes Bal­sam, es ver­söhnt sei­ne Ei­fer­sucht, wel­che für den Va­ter so­wohl wie für sich selbst Par­tei ge­gen je­den glü­hen­den Lieb­ha­ber er­grei­fen wür­de, dem erns­ten, ent­sa­gungs­vol­len Mann je­doch, wel­cher nur bie­tet, ohne zu for­dern, wel­cher nicht als Räu­ber der Lie­be, son­dern als Meh­rer der­sel­ben kommt, un­will­kür­lich sei­ne Sym­pa­thie ent­ge­gen bringt. –

Im­mer un­ge­dul­di­ger be­ben die Lip­pen ih­rer Ex­cel­lenz. Jo­sef hat den Brief ge­le­sen, – er las auch sei­ne Un­ter­schrift – Ja­mes Fran­klin Ster­ley! – Und er bricht nicht in ein schal­len­des Ge­läch­ter aus, wel­ches dem An­trag des Herrn Ban­kiers die Kri­tik spricht, wel­ches ihn dazu stem­pelt, was die­ser Brief ist? Eine Far­ce! eine fre­che Selb­st­über­he­bung – eine … – – Nein, Jo­sef lacht nicht, – er seufzt tief auf und starrt re­gungs­los vor sich nie­der.

»Jo­sef!!« – wie ein zit­tern­der Auf­schrei ringt es sich von den Lip­pen der Ge­ne­ra­lin.

Da zuckt ihr Sohn zu­sam­men und er­hebt sich has­tig. Er streicht die Haa­re aus der Stirn und blickt die Mut­ter ver­wirrt an.

»Ma­ma­chen – ja – ich – ich habe ge­le­sen.« –

»Und das ist al­les, was du dar­auf zu er­wi­dern hast?« –

Jo­sef setzt sich schwei­gend an die Sei­te der Mut­ter und hält ihre be­ben­den Hän­de zwi­schen den sei­nen.

»Noch bin ich so über­rascht, Her­zens­mut­ter, dass ich we­der Wor­te noch Ge­dan­ken fin­de! Ich ahn­te es ja gar nicht, dass du den Kom­mer­zi­en­rat Ster­ley über­haupt kennst!« –

»Mein Gott, Dar­ling, ich habe es nie für der Mühe wert ge­hal­ten, dir von die­sem Mann zu spre­chen, oder doch – sag­te ich dir nicht, dass er auf dem letz­ten Wohl­tä­tig­keits­ba­zar für fa­bel­haf­te Sum­men Bü­cher bei mir kauf­te? – Ich mach­te – dank sei­ner Frei­ge­big­keit, die bes­ten Ge­schäf­te von al­len Da­men. Er­zähl­te ich es dir nicht? – nein? nun, dann deuch­te es mir wohl nicht in­ter­essant ge­nug für dich!«

»Nur das eine Mal sahst du ihn?« –

»O nein! Bei dem letz­ten Di­ner auf der ame­ri­ka­ni­schen Bot­schaft führ­te er mich zu Tisch. – Er ist, so viel ich weiß, Ame­ri­ka­ner. – Ich war et­was in­di­gniert über die­sen Tischnach­bar, ließ es aber als wohl­er­zo­ge­ne Frau den un­schul­di­gen Ja­mes Fran­klin nicht mer­ken, – was konn­te er da­für! Im Ge­gen­teil, ich er­in­ner­te mich des Ba­zars und war so lie­bens­wür­dig zu ihm, wie zu den an­de­ren Gäs­ten auch. Die­se Dan­kes­quit­tung hat er wohl miss­ver­stan­den – – –«

»Mach­te er dir kei­nen Be­such? – –«

»Ge­wiss, das hat­te er schon frü­her ge­tan, als ich ihn ei­ni­ge­mal im Sa­lon der Grä­fin Brütz ge­trof­fen hat­te, – sie ist ja auch ge­bo­re­ne Ame­ri­ka­ne­rin und er be­sorgt wohl ihre Geld­ge­schäf­te, da­her die Be­kannt­schaft.« –

»Und er zeig­te dir nie, was er für dich fühlt?«

Ex­cel­lenz To­ris­dorff lach­te et­was ner­vös auf. »Ich bit­te dich, Jo­sef, wo nichts ist, kann man auch nichts zei­gen! – Eine va­kan­te Stel­le als Re­prä­sen­tan­tin spie­gelt sich nicht in den Au­gen!! Im­mer­hin war er sehr auf­merk­sam, so­weit dies bei sei­ner Steif­heit und Lang­wei­lig­keit mög­lich ist, – ich glau­be so­gar, er hat sich ein paar­mal zu ar­ti­gen Phra­sen hin­rei­ßen las­sen, – nun – und sei­ne Blu­men –.«

»Blu­men? –«

Die Ge­ne­ra­lin er­rö­te­te und senk­te mo­men­tan die lan­gen Wim­pern über die Au­gen.

»Er schick­te in der letz­ten Zeit öf­ters schö­ne Sträu­ße und Jar­di­nièren.« – –

»Ach! Ich sah sie aber nie­mals!« –

Frau Ines neig­te das Haupt noch tiefer. »Ver­gib mir, Jo­sef, ich schäm­te mich, dass ich von ei­nem Herrn Ster­ley Blu­men an­nahm, – aber sie ka­men mir so ge­le­gen! Das ers­te Mal war ge­ra­de der Ge­burts­tag der Prin­zess He­le­ne, – ich woll­te ihr so gern eine Auf­merk­sam­keit er­wei­sen, gleich­sam als Dank für alle Be­wei­se ih­rer Gna­de, wel­che sie mir in der letz­ten Zeit ge­ge­ben, – da schick­te ich die wun­der­vol­le Jar­di­niè­re so­gleich an sie wei­ter, und freu­te mich bei der Au­di­enz über die Huld, mit wel­cher die hohe Frau mei­nen Mor­gen­gruß auf­ge­nom­men! – Nun – und das nächs­te Mal traf die Jar­dinè­re ge­ra­de am Mor­gen von Eva Dü­rings Hoch­zeit ein! Ich emp­fand es so sehr pein­lich, dass ich ihr nicht die min­des­te Lie­bens­wür­dig­keit er­wei­sen konn­te, wo ich so viel Güte in ih­rem El­tern­haus ge­nos­sen!

Mein simp­les Schlüs­sel­körb­chen, wel­ches ich ihr ge­stickt, war doch über­haupt nicht der Rede wert! – Da kam das schier fürst­li­che Blu­men­ar­ran­ge­ment Ster­leys – und ob­wohl ich mir das ers­te Mal so bit­te­re Vor­wür­fe ge­macht hat­te, Hul­di­gun­gen von die­sem Mann an­zu­neh­men, war ich ge­ra­de an die­sem Tage zu schwach, so ener­gie­los, – die Ge­le­gen­heit war so ver­lo­ckend – o sich mich nicht so groß an, Jo­sef, ich emp­fin­de das Un­pas­sen­de mei­ner Hand­lungs­wei­se ja selbst am meis­ten. – Aber es ist so na­men­los schwer, im­mer zu wol­len und doch nicht zu kön­nen! Zu wis­sen, wel­che Pf­lich­ten Na­men und Stel­lung uns auf­er­le­gen und doch nicht die Mit­tel zu be­sit­zen, sol­chen An­for­de­run­gen ge­nü­gen zu kön­nen! O Jo­sef – ich habe es mir nicht so schwer ge­dacht, arm zu sein! Wahr­lich kei­ne Bett­le­rin emp­fin­det die Mit­tel­lo­sig­keit so herb wie ich, die es nie ge­lernt und ge­übt hat, zu ent­sa­gen, die mit An­sich­ten und Be­grif­fen aus­ge­wach­sen ist, wel­che ein Ver­mö­gen be­din­gen!« –

Ex­cel­lenz To­ris­dorff drück­te aber­mals das Ta­schen­tuch vor das Ant­litz und neig­te das Haupt schwer ge­gen die Schlü­ter des Soh­nes.

Jo­sef strei­chel­te lie­be­voll das sei­den­wei­che Blond­haar, wel­ches in duf­ti­gen Wel­len un­ter sei­nen Fin­gern glänz­te, und at­me­te be­klom­men auf.

»Ster­ley ist reich, – sehr reich, – in sei­nem Hau­se kennt man kein Ent­sa­gen!« mur­mel­te er durch die Zäh­ne.

Ines zuck­te leicht zu­sam­men und rich­te­te sich jäh auf. Ein bei­na­he ent­setz­ter Blick traf den Spre­cher.

»Jo­sef – willst du da­mit sa­gen – – – o nein, das ist ja un­mög­lich! Wie soll­te sich dein Fleisch und Blut so ver­leug­nen! –«

Ein fast bit­te­res Lä­cheln spiel­te um die Lip­pen des jun­gen Men­schen: »Ich ken­ne Ster­ley nicht. Wel­chen Ein­druck mach­te sei­ne Per­sön­lich­keit auf dich?« –

Ex­cel­lenz To­ris­dorff rich­te­te sich un­ru­hig auf: »Jo­sef, – ich glau­be bei Gott, du er­wägst die Mög­lich­keit, sei­nen Hei­rats­an­trag an­zu­neh­men?« –

»Und wenn ich es täte, Her­zens­ma­ma­chen?« – Das klang müde und re­si­gniert, aber auch sehr be­stimmt, »Es wäre zum min­des­ten ein sträf­li­cher Leicht­sinn, wenn wir uns solch einen erns­ten Schritt nicht über­le­gen woll­ten. Bit­te ant­wor­te mir doch – welch einen Ein­druck mach­te der Ban­kier? – Sei ehr­lich und wahr, Mut­ter!«

Die Ge­ne­ra­lin hat­te sich has­tig er­ho­ben und schritt er­regt im Sa­lon auf und nie­der. Sie press­te die be­ben­den Lip­pen zu­sam­men und schlang die Hän­de in­ein­an­der, und dann fass­te sie jäh die Rech­te ih­res Soh­nes und zog ihn ne­ben sich vor das Por­trät des ver­stor­be­nen Gat­ten und frag­te herb: »Wagst du es auch vor ihm, dei­nem Va­ter – dem Mann, wel­cher nichts hö­her hielt, als sei­ne Ehre und sei­nen Na­men – wagst du es auch vor ihm, dei­ner Mut­ter zu­zu­mu­ten – eine – eine Frau Ster­ley zu wer­den?« –

Jo­sef war tief er­bleicht, ein schmerz­li­cher Blick tiefs­ter See­len­qual traf die ge­lieb­ten Züge des Ver­klär­ten, wie ein Zit­tern rie­sel­te es durch sei­ne schmäch­ti­ge Ge­stalt, wie ein Schwä­che­ge­fühl, wel­chem man nicht län­ger wi­der­ste­hen kann. Und als er sich mit er­lö­sen­dem Auf­schrei an die Brust der Mut­ter wer­fen woll­te, sah er plötz­lich in ihr Ant­litz, wel­ches sich jetzt zum ers­ten Mal von hel­le­rem Licht be­schie­nen, ihm zu­wand­te.

Er schrak zu­sam­men. Wie elend – wie un­sag­bar lei­dend sah sie aus! – Wel­che Schat­ten um die Au­gen, wel­che fei­nen Li­ni­en des Schmer­zes um Mund und Nase!

»Krank! – krän­ker als sie ahnt!« Die Stim­me des Arz­tes klang plötz­lich an sein Ohr: »Es muss bald et­was ge­sche­hen, wenn sie er­hal­ten blei­ben soll, und Ihre Pf­licht als Sohn ist es, da­für zu sor­gen!« –

Er leg­te den Arm um die Mut­ter und blick­te aber­mals zu dem Bild des Va­ters auf. »Ja, Mama, auch vor ihm, den ich ach­te, ehre, lie­be, wie kei­nen an­de­ren Mann auf Got­tes Welt, auch vor mei­nem Va­ter wie­der­ho­le ich mei­ne Wor­te, und ich habe in die­sem Au­gen­blick so­gar das wun­der­sa­me Emp­fin­den, als stün­de ich an sei­ner­statt vor dir, – als wä­ren mei­ne Ge­dan­ken in die­ser Stun­de die sei­nen! Er hat dich ge­liebt, wie ich dich lie­be, – – – er mein­te es eben­so treu und selbst­los mit dir, wie ich es auch tue, – und könn­te er es noch, so wür­de er dein teu­res Le­ben wohl auch schüt­zen und schir­men und be­reit sein, ihm je­des Op­fer zu brin­gen! Sieh, Mut­ter, al­les was uns kommt – das kommt von Gott, und wir ha­ben nicht das Recht, aus Hoch­mut und Ei­tel­keit sei­ne Wege zu durch­kreu­zen! – Ster­ley wirbt nicht um dich als Ge­lieb­te, son­dern um die Her­rin sei­nes Hau­ses, – er will das An­den­ken dei­nes Gat­ten nicht til­gen, son­dern es re­spek­tie­ren, und in Ehren hal­ten. Was an­de­res also macht dir sei­ne Wer­bung un­sym­pa­thisch, wenn es nicht der Stolz, der kalt­her­zi­ge Stolz ist, wel­cher einen Herrn Ster­ley nicht für gleich­be­rech­tigt mit uns hält? – Ist er ein bra­ver und recht­li­cher Mann, eh­ren­fest und vor­nehm in sei­nen Ge­sin­nun­gen, wie man es ihm all­seits nach­rühmt, – nun – so ist es dei­ne Pf­licht – ich wie­der­ho­le es – sei­nen An­trag reif­lich zu er­wä­gen!« –

»Jo­sef! – Kind! wo­her nimmst du sol­che Wor­te und Ge­dan­ken, was hat dich so völ­lig ver­än­dert – welch ein un­be­greif­li­cher Wech­sel dei­ner An­sich­ten?!« –

Der jun­ge To­ris­dorff leg­te den Arm um sei­ne Mut­ter und führ­te sie nach dem nächs­ten Ses­sel, auf wel­chen sie wie ge­bro­chen nie­der­sank, – er sel­ber knie­te an ih­rer Sei­te nie­der und blick­te ihr ernst in die Au­gen. »Du bliebst mir noch die Ant­wort schul­dig, Mama, – wel­chen Ein­druck mach­te Ster­leys Per­sön­lich­keit?« –

Ines starr­te ge­ra­de­aus. »Ei­nen gu­ten, sym­pa­thi­schen«, ant­wor­te­te sie bei­na­he rau, – »er trägt sei­nen Reich­tum nicht prot­zen­haft zur Schau. – Aber ich bin kei­ne Men­schen­ken­ne­rin – ich weiß nicht, was sich hin­ter der glat­ten Stirn ei­nes sol­chen Zah­len­menschen ver­steckt, – ich kann nicht be­ur­tei­len, ob er nur Gent­le­man scheint oder auch wirk­lich ist!«

»Du bist eine sen­si­ble Na­tur, Mut­ter, du wür­dest es in­stink­tiv füh­len, wenn der Kom­mer­zi­en­rat« – –

Ex­cel­lenz schau­der­te leicht zu­sam­men – »eine un­fei­ne, bru­ta­le oder herz­lo­se Na­tur wäre. Sein Brief spricht für ihn, – ehr­lich, ohne Phra­sen, treu ge­meint. Wenn sein Sohn Klaus Ähn­lich­keit mit ihm hat, so ist er ein in je­der Be­zie­hung che­va­le­res­ker Mann.«

»Lo­cken dich denn die Mil­lio­nen so ge­wal­tig, Jo­sef?« Ines fühl­te, wie die Hand des Soh­nes in der ih­ren zuck­te, – er ant­wor­te­te nicht so­gleich, dann aber fuhr er mit un­ver­än­dert ru­hi­ger Stim­me fort: »Ja, sie dün­ken mir ein gar herr­li­ches Ge­schenk, wel­ches der lie­be Gott uns in ih­nen bie­tet!«

»Wer weiß, ob du je­mals einen Dol­lar da­von zu ei­gen be­kommst! – Wie man­ch’ schö­ne Il­lu­si­on hat bei sol­chen Spe­ku­la­tio­nen schon be­tro­gen!«

»Ob ich et­was da­von habe, ist ja gleich­gül­tig; du wür­dest auf je­den Fall den Reich­tum ge­nie­ßen, und das ist die Haupt­sa­che.«

»Wie ge­nießt eine Ma­da­me Ster­ley das Le­ben? Es dürf­te wohl kaum nach dem Ge­schmack ei­ner Ex­cel­lenz To­ris­dorff sein!« –

»Sei nicht so bit­ter, Ma­ma­chen! Lass uns doch ru­hig die Für und Wi­der be­spre­chen – und be­harrst du bei dei­ner Wei­ge­rung – je nun – du bist ja dei­ne ei­ge­ne Her­rin! Wie eine Frau Ster­ley das Le­ben ge­nießt? In vol­len Zü­gen. Vor al­len Din­gen ste­hen ihr alle Mit­tel zu Ge­bo­te, sich Le­ben und Ge­sund­heit zu er­hal­ten! Sieh mal, Ma­ma­chen, du bist lei­dend.« –

»Un­sinn! – mir fehlt nicht das min­des­te! Et­was bleich­süch­tig und ner­ven­schwach! – welch eine Frau des neun­zehn­ten Jahr­hun­derts wäre das nicht?« –

»Der Dok­tor be­ur­teilt dein Lei­den erns­ter.« –

»Ein­bil­dung! er ist über­trie­ben be­sorgt! ich sel­ber muss es wohl bes­ser wis­sen, wie ich mich füh­le, wie er!«

Jo­sef seufz­te tief auf und strich et­was ner­vös mit der Hand über die Stirn. Dann fuhr er ru­hig fort: »Nun, so wür­de man die schö­nen Rei­sen zum Ver­gnü­gen ma­chen! Denk, Ma­ma­chen, wenn wir jetzt aus die­ser Hit­ze her­aus könn­ten; eine ei­ge­ne Vil­la am Te­gern­see oder an der Nord­see be­zie­hen könn­ten, wenn dort al­les so reich – so üp­pig – zau­ber­haft schön wäre, – wenn du so ohne Not und Sor­ge je­den Wunsch be­frie­di­gen könn­test – nur die Zau­ber­ger­te he­ben und vor dir se­hen könn­test, was dein Herz be­gehrt!« –

»Ja, es ist sehr heiß«, mur­mel­te Ines me­cha­nisch, »und fri­sche Luft at­men« -

»Hier in der Re­si­denz ein solch fürst­li­ches Palais be­woh­nen wie das Ster­ley­sche, muss im Win­ter ja auch schön sein, – aber eine Rei­se nach Kai­ro – oder Niz­za – wäre wohl noch schö­ner! Du klag­test über die Käl­te und den vie­len Wind im Win­ter noch mehr, wie jetzt über die Hit­ze.« –

»Ja, eine Rei­se nach dem Sü­den wäre wohl das Ide­al all mei­ner Wün­sche, – das hie­si­ge Kli­ma mor­det mich.« –

»Nicht wahr, das emp­fin­dest du selbst, Her­zens­mut­ter, und dann be­den­ke, wie gut es sich aus­neh­men wür­de, wenn du dei­ne Vi­si­ten nicht mehr zu Fuß bei Wind und Wet­ter ma­chen müss­test, son­dern mit den vier Voll­blut­rap­pen vor­fah­ren könn­test.«

Ex­cel­lenz To­ris­dorff mach­te eine jähe, lei­den­schaft­li­che Be­we­gung, »Glaubst du, dass mau mich als Frau Ster­ley über­haupt noch in der Ge­sell­schaft emp­fan­gen wür­de? – Siehst du, Jo­sef, – die­ser Ge­dan­ke – von den Men­schen, wel­che jetzt mei­nes­glei­chen sind, über die Schul­ter an­ge­se­hen, wo­mög­lich ver­leug­net zu wer­den, – mich sel­ber aus der Ge­sell­schaft de­rer, bei wel­chen all mei­ne In­ter­es­sen, all mei­ne Le­bens­fa­sern – mein gan­zes Sein und Den­ken wur­zelt, aus­zu­schlie­ßen – die­sen Ge­dan­ken er­tra­ge ich nicht, Jo­sef! solch eine De­mü­ti­gung wür­de mich tö­ten!« –

Auch in die Stirn und Schlä­fen des jun­gen To­ris­dorff stieg bei solch ei­ner An­nah­me das Blut und sei­ne Au­gen flamm­ten auf wie in dro­hen­dem Zorn, dann biss er die Zäh­ne zu­sam­men und ließ das Haupt tief zur Brust sin­ken, in die­sem Au­gen­blick durf­te die Mut­ter am we­nigs­ten se­hen, wel­che Qua­len hel­den­haf­ter Selbst­ver­leug­nung sein jun­ges Ant­litz spie­gel­te.

Mo­men­tan herrsch­te tie­fe Stil­le. Dann fuhr Jo­sef ru­hig fort: »Wie kommst du auf solch selt­sa­me Idee? Du, die so be­liebt – so be­kannt hier ist.« – –

Ines schüt­tel­te er­regt den Kopf und press­te ihre Hand auf sei­ne Lip­pen: »Um­sonst – hör auf, Jo­sef – ich hei­ra­te ihn nicht, – ich darf es nicht, – um un­se­res Na­mens wil­len, – No­bles­se ob­li­ge!« –

Und wie­der ein Au­gen­blick atem­lo­sen Schwei­gens. Jo­sef hat­te die Hän­de zu­sam­men­ge­krampft, sein Blick irr­te wie in fle­hen­der, ver­zwei­feln­der Angst zu dem Bild des Va­ters. Was soll­te er noch sa­gen – was noch er­sin­nen, um den mo­ra­li­schen Zwang auf sie aus­zuü­ben, wel­chen der Arzt ihm zur hei­li­gen Soh­nes­pflicht ge­macht, ihr teu­res Le­ben zu ret­ten! – Jo­sef war noch zu jung, zu er­regt, zu ver­zwei­felt in die­ser Stun­de, um mit dem Ver­stand des Man­nes die Si­tua­ti­on zu er­mes­sen und ihr ge­recht zu wer­den. Mit der Zä­hig­keit über­trie­be­nen Pf­licht­ge­fühls, ge­paart mit der ver­zwei­feln­den Angst und Sor­ge um das Le­ben des teu­ers­ten We­sens, wel­ches er noch auf der gan­zen, wei­ten Welt be­saß, er­fass­te er den ein­zi­gen Ret­tungs­an­ker, wel­chen ihm Gott sel­ber, als Ant­wort auf sein Ge­bet, zu­ge­wor­fen. Und wie sein Blick über des Va­ters Bild irr­te, fiel ein grel­ler Son­nen­strahl über die Uni­form des­sel­ben und mit ihm leuch­te­te es wie ein neu­er, hilf­rei­cher Ge­dan­ke in Jo­sefs ge­quäl­ter See­le auf. »Mut­ter!« –

»Was willst du?«

»Mut­ter, hast du mich lieb?« –

Wie weich, wie fle­hend dies klang! Ines rich­te­te sich jäh auf und schlang laut auf­schluch­zend die Arme um den Sohn.

»Über Al­les, – Jo­sef, – be­zwei­felst du das?«

»Hast du mich auch lie­ber – wie – wie dei­nen Stolz?«

»Wie meinst du das?«

»Hast du mich so lieb – wie un­se­ren Na­men?« –

»Jo­sef! – um dei­net- und des Na­mens wil­len ent­sa­ge ich ja selbst Mil­lio­nen!« –

»Und wärst du im­stan­de ein noch grö­ße­res Op­fer zu brin­gen?« –

Be­frem­det blick­te sie in sei­ne fle­hen­den Au­gen.

»Welch ei­nes?« –

»Nimm die­se Mil­lio­nen an! – um mei­net- und mei­nes Na­mens wil­len!« –

»Kind!«

Da press­te er das farb­lo­se Ant­litz auf ihre Knie.

»Ich bin ein Ego­ist, Mut­ter, ich weiß es und schä­me mich nicht, es dir ein­zu­ge­ste­hen, denn ich for­de­re nicht al­lein für mei­ne Per­son, son­dern auch für das Wap­pen­schild, wel­ches ich füh­re. Es gilt die Zu­kunft, Mut­ter! – Ich bin nicht stark ge­nug, um Sol­dat zu wer­den, ich füh­le es, mei­ne Kräf­te rei­chen nun und nim­mer dazu aus! Stu­die­ren las­sen kannst du mich nicht, also muss ich ent­we­der Ju­gend und Glück op­fern und Kle­ri­ker wer­den, ich, ein To­ris­dorff, de­ren es nicht mehr vie­le gibt, oder ich muss den Na­men ganz ab­le­gen und ein Hand­werk er­ler­nen, – denn als Frei­herr – du ver­stehst mich – Mut­ter, auch ich sage: No­bles­se ob­li­ge! und in mei­nem Mund hat das Wort einen noch erns­te­ren Klang als in dem dei­nen! – Du op­ferst ein we­nig, den Klang des Na­mens für den Rest dei­nes Le­bens, aber du er­kaufst dem­sel­ben durch dein per­sön­li­ches Op­fer den al­ten Glanz, – ich je­doch wür­de al­les hin­ge­ben müs­sen, ohne auch nur das min­des­te da­für ein­zut­au­schen! Weißt du nun, um was ich bit­te, Mut­ter? – Ja­mes Fran­klin Ster­ley wür­de sei­nem Stief­sohn nie­mals die Mit­tel zum Stu­di­um ver­wei­gern, er wür­de es mir er­mög­li­chen, spä­ter aus ei­ge­ner Kraft und ei­ge­nem Fleiß ein Ziel zu er­rei­chen, des­sen sich kein To­ris­dorff zu schä­men braucht, ein Ziel und Stre­ben, wel­ches mei­nen Va­ter noch im Gra­be eh­ren wird! – Dein Op­fer, Mut­ter, wür­de dich in dei­nem Sohn seg­nen! – Man sagt, die Lie­be ei­ner Mut­ter über­win­det al­les, sie ver­setzt Ber­ge, sie gibt, sie dul­det, – sie wagt al­les für ihr Kind! – Ist das wahr, Mut­ter? – O, dann be­weis es mir!« –

Ines lehn­te das blei­che Ant­litz zu­rück, ihre weitof­fe­nen Au­gen blick­ten wie bei ei­ner Träu­men­den, wel­cher durch se­li­ge Ge­dan­ken eine Of­fen­ba­rung wird, ein Lä­cheln, süß und ge­heim­nis­voll schweb­te um ihre Lip­pen, Und dann press­te sie das Haupt ih­res Soh­nes an die Brust und flüs­ter­te: »Ver­gib mir, Jo­sef, dass ich auch nur einen Au­gen­blick dich und dein Glück ver­ges­sen konn­te!«

III.

Es hat­te vor drei Jah­ren un­ge­heu­res Auf­se­hen in der Re­si­denz ge­macht, als der Ame­ri­ka­ner Mis­ter Ja­mes Ster­ley ein neu­es Bank­haus – die Fi­lia­le sei­ner Fir­men in Chi­ca­go, Lon­don und Pa­ris – in der deut­schen Groß­stadt grün­de­te, und sich für sei­nen Pri­vat­be­darf eine pa­last­ar­ti­ge Vil­la er­bau­te, von de­ren fürst­li­cher Aus­stat­tung man sich sei­ner Zeit Wun­der­din­ge be­rich­te­te.

Schon das Äu­ße­re des Ge­bäu­des fes­sel­te je­den Blick, denn es war so ge­schmack­voll, so reich und ei­gen­ar­tig, ohne da­bei über­la­den zu sein, dass es wohl nicht mit Un­recht von den Drosch­ken­kut­schern als Se­hens­wür­dig­keit den Leu­ten ge­zeigt wur­de. Die Skulp­tu­ren wa­ren Meis­ter­wer­ke ers­ter und nam­haf­ter Künst­ler, und die wun­der­vol­len Ma­le­rei­en zwi­schen den Säu­len­fel­dern der Vor­hal­le rühr­ten von den Pin­seln der be­deu­tends­ten Meis­ter her, wel­che ihr Bes­tes ge­ge­ben, um den ver­wöhn­ten und fein­ge­bil­de­ten Ge­schmack des »Kö­nigs von Il­li­nois«, wie man Ster­ley teils scher­zend, teils nei­disch spot­tend, nann­te, zu ge­nü­gen.

Des Hau­ses glän­zen­de Scha­le barg einen noch glän­zen­de­ren Kern, und doch konn­te auch der schärfs­te Kri­ti­ker nichts Prot­zen­haf­tes, Über­trie­be­nes dar­an ta­deln. Der Ame­ri­ka­ner zeich­ne­te sich durch Takt und maß­hal­ten­de Wür­de aus, und die­ser sym­pa­thi­sche Grund­zug sei­nes Cha­rak­ters öff­ne­te ihm selbst in der gu­ten Ge­sell­schaft man­che Tür, wel­che der Gelda­ri­sto­kra­tie für ge­wöhn­lich ver­schlos­sen blieb.

Ja­mes Fran­klin Ster­ley ver­stand es, sich Freun­de zu ma­chen. Auch er hat­te sich einen Wahl­spruch für sein Tun und Han­deln er­ko­ren, ein Ge­gen­stück zu dem welt­be­kann­ten »No­bles­se ob­li­ge« – mit der ein­zi­gen Va­ri­an­te, dass ihn nicht der Adel, son­dern die Mit­tel, über wel­che er ver­füg­te, ver­pflich­te­ten.