Scherben - Nataly von Eschstruth - E-Book

Scherben E-Book

Nataly von Eschstruth

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Beschreibung

Der Band umfasst die beiden Novellen "Scherben" und "Heckenrosen". In der Titelgeschichte wird die – glückliche? – Liebe der jungen Margot auf geschickte Weise mit der unglücklichen ihrer Tante Cäcilie verbunden. Cäcilie wurde einst von der großen Liebe ihres Lebens ein chinesisches Teeservice aus der persönlichen Manufaktur des Kaisers von China geschenkt und sie hat dem jungen Marineoffizier Hellmuth bei ihrer einzigen persönlichen Begegnung gelobt, ihm immer treu zu bleiben und jedes Jahr an Silvester aus seiner Teetasse zu trinken. Allein, sie hat von nun an nie mehr von dem Marineoffizier gehört, so verzweifelt sie auch Monat um Monat und Jahr um Jahr auf ein Lebenszeichen von ihm gewartet hat. Hat er sie im Stich gelassen? Inzwischen ist Cäcilie über vierzig und hat sich verbittert vom Leben und vor allem von den Männern abgewandt. Ihrer Nichte Margot möchte sie ein ähnliches Schicksal um jeden Preis ersparen. Da taucht am Silvesterabend der junge Wolfgang auf, der um Margots Hand anhalten will. Aus Ungeschick schlägt er die kostbare Tasse zu Scherben – erbost verkündet Cäcilie, dass er Margot erst wiedersehen darf, wenn er ihr binnen Jahresfrist die zerbrochene Tasse durch die genau gleiche ersetzt hat. Ein schier unmögliches Unterfangen. Oder bewahrheitet sich einmal mehr das alte Sprichwort, dass Scherben Glück bringen? – Die zweite Novelle "Heckenrosen", um die junge Doraline, deren Liebes- und Lebensglück von Intrigen bedroht ist, steht der ersten an anrührender Dramatik, raffinierter Erzählkunst und überraschender Auflösung kaum nach!-

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Nataly von Eschstruth

Scherben

Novellen

Saga

Scherben

German

© 1893 Nataly von Eschstruth

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711487389

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

Wohl lenkt ich still nach andern Zielen

Und rang mich fort durch Freud und Pein

Doch, wie des Lebens Würfel fielen

Vergessen konnt’ ich nimmer dein!

Emanuel Geibel.

Tantchen, — es ist Alles bereit! — Wir sind gerüstet, das neue Jahr würdig zu empfangen!“

Sie blickte empor, die schlanke vornehme Frau, mit den kalten Grauaugen und dem herbe gefalteten Mund.

„Wahrlich, Margot? bereit wie alle Jahre zuvor? — Mir deucht, es fehlt noch die Hauptsache auf dem Tisch!“ —

Wunderlich! — lag’s am Ohr des jungen Mädchens, dass die Stimme der Sprecherin so fremd klang? Wäre es denkbar gewesen, so hätte Margot geglaubt, es gehe ein leises Zittern durch die Worte, ein Hauch unendlicher Wehmut, welchen sie nie vorher gekannt. Betroffen starrte sie auf den Teetisch, auf die bläulich züngelnde Flamme unter dem silbernen Kessel, auf das elegante Service, auf das Krystall, welches farbige Strahlen schoss, — auf die appetitlich garnierten Platten, welche mit dem kalten Inhalt des Menüs bereits den weissen Damast schmückten. Was hatte sie vergessen? — Sie war so zerstreut heute, so froh zerstreut! — Durch alle ihre Gedanken klangen und sangen noch die seligen Weisen, nach welchen sie gestern abend im Tanze dahin geschwebt war, — mit ihm. — Und durch das Locken und Jubeln des Walzers klang seine Stimme, die flüsterte: „Darf ich morgen abend kommen, Margot, endlich kommen, um von deiner Tante mein höchstes Lebensglück zu erbitten, — dich, du mein einzig Lieb?“ — Sprechen konnte sie nicht; sie sah ihm nur in die Augen, erwiderte den Druck seiner Hand und nickte ihm lächelnd zu, — und die Lichter wogten zusammen zu einem Flammenmeer, und von dem Orchester jauchzte es ihr wie ein Liebeslied entgegen.

Sie hört’s immer noch, sie hat den ganzen Tag über nichts anderes gesehen und gehört wie das eine Bild und das eine Wort, welches ihr Herz und ihre Seele erfüllt. Was hat sie vergessen? Sie vergisst sogar darüber nachzudenken, — sie schlingt die Hände ineinander, blickt wie geistesabwesend auf den Tisch hernieder und lächelt wie im Traum.

Sie ist anders, ganz anders wie sonst. Das strenge Wort der strengen Tante hätte sie an einem andern Tage wohl in höchste Bestürzung versetzt, denn Margot zittert vor den kalten Augen der Geheimrätin — aber heute ist sie wundersam verwandelt, — sie wähnt sogar, die Stimme der empfindungslosesten aller Frauen habe gezittert.

Seltsam, ist’s nur der feierliche, wehmütige Hauch der Versöhnung und Milde, welcher das scheidende Jahr umschwebt, oder ist’s eine andre Ursache, welche auch das Haupt der noch so jugendfrischen Matrone in tiefen Gedanken zur Brust neigt? — Wo bleibt heute der Tadel, die strenge Rüge über den unaufmerksam gedeckten Tisch? Nicht einmal in dem Blick drückt sich ein Verweis aus, im Gegenteil, so weich und sinnend hat er noch niemals auf dem rosigen Gesichtchen gehaftet, wie just heute. Und dennoch ahnt sie nichts, sie kann nichts ahnen, und täte sie es auch, würde ihr Angesicht wohl gerade entgegengesetzt mit solcher Milde dreinschauen. Tante Cäcilie hatte ihren verstorbenen, bedeutend älteren Gatten nicht aus Liebe geheiratet. Sie kennt überhaupt nicht die Bedeutung des Wortes Liebe, ihr Herz ist starr und hart wie Stein, ihre Ansicht über die Männer eine unbegreiflich niedere. Einen Mann, der Treue schwört, verachtet sie, denn sie weiss, dass er sie niemals halten wird, dass sein Gelübde ein Meineid ist. — Jedem Heiratsgedanken ist sie durchaus feindlich, und Margot hat wohl oftmals die bebenden Händchen gegen das Herz gepresst mit dem Seufzer der Todesangst: „Ach, was wird die Tante dazu sagen! Lieber Gott, hilf mir, ihr starres Herz zu erweichen!“

Und darum waren Margots Lippen wie mit sieben Siegeln verschlossen gewesen. Wie hätte sie es auch wagen können, jener Pessimistin von dem süssen, idealen Liebestraum zu erzählen, welcher ihre junge Seele mit dornenlosen Rosen kränzte, welchen sie wie ein heilig Altarfeuer in ihrem Herzen nährte, ganz voll Glauben, ganz voll Liebe, aufgehend in seinem reinen Glück!

Und dennoch musste die Stunde kommen, wo sie ihren herzliebsten Schatz vor die erbarmungslosen Richteraugen der Tante führen musste. Wolfgang war ein wackerer Soldat, ein flotter Student gewesen, dem wohl kein Mensch nachsagen konnte, dass er vor irgend einem Wagnis zurückschrecke, aber vor seiner Werbung bei der Geheimrätin graute es selbst ihm, und es hatte wohl ein gut Teil Ernst durch seine scherzende Äusserung geklungen: „Bei Frau Cäcilie um dich anhalten, Margot, ist gleichbedeutend wie ein Feldzug!“

Und dennoch musste das junge Paar in dieser Campagne Sieger bleiben, sonst war nicht nur viel, sondern alles verloren. — Die Liebe frägt nicht danach, ob sich auch das Portemonnaie zum Geldbeutel findet, wo sie zwei Herzen eint. Sowohl Wolfgang wie Margot waren völlig mittellos, und wenn auch das junge Mädchen von der sehr reichen Tante adoptiert war, so hing es dennoch lediglich von dem guten Willen derselben ab, die Nichte in die Lage zu setzen, einen armen Offizier zu heiraten, dem königliches Gebot und die unerbittliche Notwendigkeit die ausreichende Mitgift zum Gesetz macht. Dennoch vertraute das junge Paar jenem guten Stern, welcher so oft für Liebende aus den finstern Wolken der Hoffnungslosigkeit auftaucht, — und Wolfgang sah es bereits als ein ganz besonderes Glückszeichen an, dass Frau Cäcilie am Schluss des gestrigen Balles endlich von den herzbewegenden Klagen Notiz nahm, und den armen, einsamen jungen Mann, welcher so ungern ernste Stunden im Wirtshaus verlebt, zum Neujahrsabend in ihr stilles Heim einlud. Das hatte auch Margot in einen wahren Rausch von Wonne versetzt, um so mehr, als gerade der Neujahrstag eine ganz besonders weiche Stimmung bei der Tante zu verursachen pflegte, und darum den Wünschen des jungen Pärchens als Verbündeter zu Hilfe kam.

Und nun stand sie vor dem Teetisch und legte die Hand gegen die Stirn und konnte sich um die Welt nicht besinnen, was sie vergessen hatte!

Da wandte sie das Köpfchen und blickte ratlos in das Antlitz der Geheimrätin, und wie sie die dunkeln Augen auf sich gerichtet sah — gar nicht so kalt und grau wie sonst, sondern feucht glänzend durch Tränen, — da sank sie jählings vor der hohen Gestalt nieder und umschloss die weissen Hände, welche zum erstenmal ohne Arbeit, gefaltet im Schoss der ernsten Frau ruhten.

„Tante, liebe Tante, — ich finde es nicht heraus, was noch auf dem Tische fehlt!“

Wie in tiefen Gedanken strich Cäcilie über das seidenweiche Goldgelock der Nichte. „Du bist schon acht Jahre lang meine liebe Genossin, Margot, — hast du es an den acht Neujahrstagen jemals erlebt, dass ich meinen Tee aus einer solchen Tasse getrunken?“

Dunkle Glut flammte über das geneigte Antlitz des jungen Mädchens. Mit einem Laut des Schreckens sprang sie empor: „Die chinesischen Tassen! o, um alles in der Welt, wie konnte ich diese Hauptsache vergessen!“

„Die chinesischen Tassen!“ — auch die Geheimrätin erhob sich, aber nicht wie gewöhnlich, frisch und jung, sondern langsam wie eine Greisin: „So lange in meinem Leben die Neujahrsglocken läuten, sollen diese Tassen vor mir stehen, — ein Denkmal dafür, dass selbst solch ein elend Stücklein Porzellan dauerhafter ist, als Männerlieb und Männertreu!“

Margot schrak leicht zusammen, ihr Blick huschte angstvoll zu der Sprecherin empor, welche mechanisch den Arm um ihren Nacken legte, die Nichte mit sich nach dem Nebenzimmer zu führen. Wieder solch bittere Worte, aber ... Gott sei Lob und Dank, sie verscheuchen nicht den Zug der Wehmut, welcher heute um die stolzgeschweiften Lippen liegt, sie klingen auch anders wie sonst, nicht wie ein Richterspruch, sondern wie eine schmerzdurchbebte Klage.

Zu dem kleinen, uralten Eckschrank führte Frau von Kreutzer ihre Nichte. Sie trägt an jedem Neujahrstag tiefe Trauer, und auch heute schmiegen sich die schwarzen Wollfalten um ihre mädchenhaft schlanke Figur, auch heute umrahmt der dunkle Spitzenschleier das stolze bleiche Angesicht, dessen Schönheit die vierzig Lebensjahre eher gereift wie beeinträchtigt haben. Mit sammetweichen, ringgeschmückten Händen hebt sie einen Ebenholz-Kasten aus dem Schrank hervor und stellt ihn behutsam, als gälte es, das Glück von Edenhall sicher zu tragen, auf einem Nebentisch nieder.

„Hol’ ein Staubtuch, Margot!“ sagte sie leise, und als ihrem Wunsche eifrig Folge geleistet wird, und sie allein im verschleierten Lampenlicht vor ihrem wunderlichen Kleinod steht, da zieht sie mit bebenden Händen einen kleinen Schlüssel an feinem Goldkettchen, welchen sie auf der Brust getragen, hervor und öffnet den Kasten.

Mit leisem Knax springt der Deckel zurück, in gelbseidenem Polster gebettet liegen drei kleine chinesische Tässchen und eine Zuckerschale. Frau von Kreutzer aber sinkt auf den Sessel nieder, beisst die Zähne zusammen, als müsse sie einem leidenschaftlichen Aufschrei wehren, und neigt das Antlitz auf das kühle, kleine Service nieder. Wie ein Schluchzen durchschüttert es ihre ganze Gestalt; die Hände falten sich um das Kästchen, und ihre Lippen flüstern leise, ganz leise, als hielten sie Zwiegespräch mit den Geistern der Erinnerung.

Margots Schritte weckten sie aus ihrem Sinnen.

Sie schrickt empor, streicht tiefatmend über die Stirn und schaut der Nahenden entgegen. Ruhig, ernst, ohne die mindeste Spur einer Erregung. Ihre Hände nur greifen etwas unsicher, als sie die Tässchen empor nimmt, sie sehr sorgsam, beinahe feierlich mit dem Staubtuch abzureiben, obwohl kein Stäubchen auf dem goldglänzenden Muster zu entdecken ist.

„Darf ich dir diese Arbeit nicht abnehmen, Tantchen?“

Sie schüttelt mit seltsamem Lächeln das Haupt. „Nein, kleine Margot, solch eine Kostbarkeit vertraue ich keiner fremden Hand, selbst der deinen nicht an. Kennst du die Sage vom ‚Glück von Edenhall‘? Jener Krystallkelch und dieses kleine Service tragen dieselbe Bedeutung. Kein Verlust würde mich im Leben schmerzlicher treffen können, als der eines dieser kleinen Porzellanstücke, welche mir mit Herz und Seele verwachsen sind. Ich habe dich lieb, Margot, — wenn du aber eine dieser Tassen zerschlügest, würde ich dich hassen,“ und mit einer tiefen Falte in der Stirn, die dem schönen Antlitz einen schier grausamen Ausdruck verlieh, fasste Frau von Kreutzer die Kassette aus Ebenholz und trug sie in das Nebenzimmer auf den Teetisch.

Ein Gefühl banger Angst presste Margots Herz zusammen.

„Wenn die Tassen so unersetzlich wertvoll sind, bestes Tantchen, — warum sie einer Gefahr aussetzen und sie in Gebrauch nehmen?“

Die Gefragte neigte das Haupt tief zur Brust. „Sie liegen das Jahr über sorgsamer verwahrt als mein ganzes Hab und Gut, — am Neujahrstag jedoch muss ich sie vor mir sehen, muss sie benutzen und aus ihnen trinken, so oft wie ich noch im Leben die Glocken hören werde, welche eine Jahreswende einläuten!“ Wieder schlich der herbe Zug um ihre Lippen: „So ist’s ein Gelöbnis, welches ich seit zwanzig Jahren unverbrüchlich gehalten habe, denn ich, die schwache Frau, erfülle, was ich einst zugesagt, während er ...“ Sie unterbrach sich kurz, die kleinen Teeschalen klirrten seltsam auf unter ihren bebenden Fingern. Margot wusste es selber nicht, woher sie den Mut nahm, aber sie schlang einem jähen Impuls zufolge ihre Arme um den Nacken der einsamen Frau und blickte ihr voll und zärtlich in die Augen.

„Tantchen — mit diesen Tässchen hat es gewiss eine ganz besondere Bewandtnis! — ein Geheimnis knüpft sich daran, an welchem du, gleich wie an einer schweren Bürde trägst, und dennoch Leid und Schmerz mit keiner treuen Seele teilen magst! Liebe, liebe Tante Cäcilie, erzähle mir, woher stammen diese fremdartigen kleinen Schalen, wie ich sie weder in Form noch Farbe je zuvor gesehen?“

Wie im Traum starrte die Geheimrätin in das treuherzige Gesichtchen, welches sich so nahe dem ihren an ihre Brust schmiegte. Regungslos stand sie, schweratmend, als gelte es, einen Kampf mit sich selber und ihrem verschlossenen, widerstrebenden Herzen zu kämpfen! — Und dann neigte sie plötzlich ihr Antlitz gegen die Wange des jungen Mädchens und sprach wie unter einem Aufatmen der Erlösung: „Ja, Margot, ich trug 20 Jahre lang daran, wie an einer schweren Bürde! Ich habe mir niemals Kinder gewünscht und diese Gottesgabe voll trotzigen Sinnes verschmäht, und dennoch hat mir der barmherzige Vater im Himmel in diesem Augenblick eine Tochter an das Herz gelegt. ‚Wer weiss, wie nahe mir mein Ende‘ haben wir heute Morgen in der Kirche gesungen, und dieser Klang tönt mir im Herzen nach, wie eine ernste Mahnung. Du bist einst meine Erbin, Margot, auch jene kleinen Tassen werden einst in deine Hände übergehen, wenn mich ein jäher Tod verhindert, sie zuvor zu vernichten. Du wirst sie in Ehren halten, wenn du weisst, wie eng verknüpft diese kleinen Porzellanscherben mit meinem Schicksal waren, wie sie das einzige, kleine Scherflein gewesen, welches mir die Stiefmutter Glück jemals in den Schoss gelegt. Erzählen? nein, Margot, ich kann es nicht, meine Lippen sind ebenso störrisch wie mein Herz, sie haben nie im Leben das rechte Wort gefunden, welches sie erschliessen konnte. Aber hier, vor Jahren, als ich mir einbildete, an unheilbarem Lungenleiden erkrankt zu sein, habe ich diese Blätter geschrieben!“ Frau von Kreutzer hob das Atlaspolster der Kassette empor und entnahm dem sichtbar werdenden kleinen Holzfach einen dicken, versiegelten Brief. „Da wollte ich dieses Service in die Hände dessen zurücklegen, welcher es mir einst, in der seligsten Stunde meines Lebens zu eigen gab. Gott im Himmel hat es anders gefügt. Damals konnte ich die Spur jenes Gebers noch finden, heute ist sie verloren, und der weite Ozean, welcher ihn einst von meinem Herzen gerissen, ist wohl sein Grab geworden. So gebe ich dir denn diese Blätter, du meine liebe, kleine Tochter, mögest du schon vor meinem Tode ihren Inhalt kennen lernen, vielleicht entnimmst du ihnen eine Lehre, welche dein junges Herz noch rechtzeitig vor gleichem Leid behütet!“ Die Sprecherin richtete sich in ihrer alten, entschlossenen Weise auf und blickte nach der Pendüle. „Du hast noch eine Stunde Zeit bis zu der Ankunft unseres Gastes, setz’ dich und lies.“

Ein leiser, schneller Kuss auf die Stirne des jungen Mädchens, Frau Cäcilie neigte sich mit seltsam forschendem Blick: „Die Männer schwören und geloben viel, Margot, aber sie vergessen und verlassen noch mehr! Eine Närrin ist jeglich Mädchen, die ihr Herz an solch einen treulosen Schmetterling hängt!“

Heiss erglühend senkte die Kleine das Köpfchen, die Geheimrätin aber schritt lautlos auf dem schwellenden Teppich davon.

Margot war allein.

Neben dem Teetisch, gegenüber dem geheimnisvollen Kästchen, setzte sie sich nieder und erbrach klopfenden Herzens das Schreiben der Tante.

Folgendermassen lautete sein Inhalt:

„Wenn eine Frau liebt, liebt sie in einem fort, der Mann hat dazwischen zu tun!“ Wie hatte ich so oft über dieses Zitat gelacht und den Dichter verspottet, welcher den Frauen so viel müssige Zeit anfabelt, und dennoch ... seit der Stunde, da ich ihn, den Liebsten und Herrlichsten von allen, geschaut, überzeugte ich mich, dass Jean Paul ein grösserer Weiberkenner gewesen, als ich ihm zugestehen wollte.

Auch ich liebte in einem fort! Gleichviel ob meine Hände sich in mechanischer Arbeit regten, oder ob sie tatenlos im Schosse ruhten, — ich liebte, — und das füllte jeden Gedanken, jedes Wachen und Träumen, all mein Sein und Wesen aus!

Ich war seit Jugend auf ein Glückskind genannt, ein freundliches Geschick hatte mir alles in die Wiege gelegt, was nach menschlichen Begriffen das Glück eines jungen Mädchens ausmacht.

Die einzige Tochter eines sehr vermögenden Rittergutsbesitzers, hübsch, talentvoll, elegant und weltgewandt, ausgestattet mit der seltenen Gabe, die Männer in der Unterhaltung nicht zu langweilen, was Wunder, wenn ich viel umworbenes Prinzesschen im Grunde meines Herzens ein eingebildetes Fräulein war, so selbstbewusst und selbstzufrieden, dass es wohl den guten Engel der Liebe verdriessen musste, so sehr verdriessen, dass er mir den Rücken kehrte, mich zeitlebens einsam und freudlos in all meinem grossen Glück allein zu lassen.

Von all den Männern, welche um mich freiten, war mir keiner zum Heiraten gut genug. Mit dem kühlen Blut einer Spielerin, welche sich überlegt, auf welche Nummer sie am vorteilhaftesten setzt, beratschlagte ich mit mir — eine Mutter besass ich, Gott sei es geklagt, nicht mehr —, welcher von diesen Bewerbern mir das Meiste bieten könne an Geld, Namen und Stellung. Und niemals kam ich zum Resultat, und die Antworten, welche ich auf die Anfragen zu geben hatte, lauteten immer abweisender.

Aber auch für mich sollte die Stunde schlagen, über welcher für die meisten Mitschwestern das glückjauchzende Motto schwebt: „Nun, armes Herze, sei nicht bang, nun muss sich alles wenden!“

Ja, es ward alles, alles anders, seit ich in seine dunkelblitzenden Augen geschaut!

In unserer kleinen Nachbarstadt weilte er zum Besuch seines Bruders, eines Premierleutnants, welcher mir sympathisch war, weil er nicht mir, sondern meiner unbemittelten Freundin gleich einem getreuen Toggenburg die Cour machte. Er hatte mir schon viel von dem in Aussicht stehenden Besuch des Bruders erzählt, und wenn er von seinem wackeren Hellmuth sprach, strahlten seine Augen vor Stolz und Genugtuung.

Er hatte auch alle Ursache dazu. Gab es doch wohl kaum einen zweiten Marineoffizier, welcher sich so heldenhaft ausgezeichnet, welcher sich durch so viel schwere Schicksale geschlagen, wie ein Odysseus, den treue Liebe dennoch zur Heimat zurücktrieb, gleichviel ob manches Glück im Ausland gewinkt. Und so oft wir von dem Fernen gesprochen, malte ich mir sein Bild und schmückte es aus mit all den Vorzügen einer reichen Phantasie, welche sich noch für Ideale und heldenhafte Männergestalten begeistern kann.

Seit einem Jahr hatte ich im Geist mit dem Premierleutnant die Reise des Bruders verfolgt, hatte mit gejubelt, wenn endlich ein langersehnter Brief eintraf, und es ganz selbstverständlich gefunden, dass Leutnant Laarsen mir diese Briefe seines vergötterten Hellmuth vorlas, als sei ich keine Fremde, sondern eine Schwester, welcher das Wohl und Weh des kühnen Seefahrers ebenso am Herzen liegen musste, wie ihm selbst.

Und der Tag kam, an welchem Laarsen mir das Bild meiner Träume in Fleisch und Blut entgegenführte. Kein Trugbild war es, sondern die wahrhaftige Verkörperung dessen, was ich zu schauen gehofft. — Ja, — just so hatte ich ihn mir stets nach seiner Photographie vorgestellt.

So reckenhaft gross und imposant, mit dem Haupt eines Lohengrin, unter dessen blonden Locken kühne, dunkelblitzende Augen jedem Mitmenschen bis auf den Grund der Seele zu schauen scheinen. Und nichts in seinem Wesen, was an den rauhen Seesturm erinnert, der jede Blüte zarten Empfindens über Bord bläst! Nein, eine erstaunliche Idealität, eine kindliche Frömmigkeit und wärmstes Empfinden spiegelten sich in jeder Ansicht und Erzählung, und dabei frisch und fröhlich, wahr und offen, wie ein echtes, rechtes Seemannsblut, das nicht gewohnt ist zu diplomatisieren, sondern Brust an Brust und Aug’ in Aug’ mit den Gegnern kämpft, welche sich ihm in Sturm und Flut, Hitze und Kälte, Hunger und Entbehren, Fieber und Untiefe entgegenstellen! Nicht allein ich hatte das Gefühl, als seien wir jahrelange Bekannte!