Die Bären von Hohen-Esp - Nataly von Eschstruth - E-Book

Die Bären von Hohen-Esp E-Book

Nataly von Eschstruth

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Beschreibung

Neue Deutsche Rechtschreibung Nataly von Eschstruth war eine deutsche Schriftstellerin und eine der populärsten und berühmtesten Erzählerinnen der Gründerzeit. Null Papier Verlag

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Nataly von Eschstruth

Die Bären von Hohen-Esp

Heimatroman

Nataly von Eschstruth

Die Bären von Hohen-Esp

Heimatroman

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected] 2. Auflage, ISBN 978-3-962810-74-0

null-papier.de/neu

Inhaltsverzeichnis

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

X.

XI.

XII.

XIII.

XIV.

XV.

XVI.

XVII.

XVIII.

XIX.

XX.

XXI.

XXII.

XXIII.

XXIV.

XXV.

XXVI.

XXVII.

XXVIII.

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Die Schat­zin­sel

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Ro­bin­son Cru­soe

Das Got­tes­le­hen

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Eine Weih­nachts­ge­schich­te

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I.

»Wenn ein Mäd­chen einen rei­chen Mann be­kommt, ist es im­mer glück­lich ver­hei­ra­tet«, hat­te der alte Kam­mer­herr von Wahn­fried ge­sagt und da­bei die weiß­bu­schi­gen Au­gen­brau­en noch grim­mi­ger zu­sam­men­ge­zo­gen als sonst. »Gun­du­la kann Gott dan­ken, dass der Bär von Ho­hen-Esp sie zum Weib be­gehrt! Ist wohl kein Nest so weich ge­pols­tert wie das sei­ne, und wenn man den Gra­fen an­sieht, lacht selbst solch al­tem Kerl wie mir das Herz im Lei­be, wie viel mehr mei­ner jun­gen Toch­ter.«

Die alte Dame, die dem Spre­cher ge­gen­über­saß, rich­te­te sich noch straf­fer em­por und leg­te die großen, kräf­ti­gen, schnee­wei­ßen und un­ge­schmück­ten Hän­de im Schoß zu­sam­men.

Ihre kla­ren, durch­drin­gend erns­ten Au­gen hef­te­ten sich ru­hig auf die hü­nen­haf­te Ge­stalt des Bru­ders, der, auf sei­nen Krück­stock ge­stützt, vor ihr stand und sie her­aus­for­dernd an­blick­te.

»Jung, schön und reich«, sag­te sie lang­sam, »ja, das ist er, aber er ist noch mehr! Graf Fried­rich Carl ist leicht­sin­nig. Er ist durch und durch Le­be­mann; die große Welt, in wel­cher er, der Früh­ver­wais­te, so jung schon selbst­stän­dig ward, droht sein Ver­der­ben zu wer­den.«

»So! In­wie­fern, wenn man fra­gen darf?«

»Weil er sich rui­niert, weil er über sei­ne Ver­hält­nis­se lebt.«

Der Kam­mer­herr lach­te hart auf.

»Ein Ho­hen-Esp sich rui­nie­ren! Ein Ho­hen-Esp über sei­ne Ver­hält­nis­se le­ben! Ahnst du, wie reich der Mann ist?«

»Man kann in ei­ner ein­zi­gen Nacht Hun­dert­tau­sen­de ver­spie­len! Der Graf ist ein lei­den­schaft­li­cher Spie­ler. Mög­li­cher­wei­se hat er bis jetzt Glück am grü­nen Tisch ge­habt; wenn das aber ein­mal auf­hört, wird er sich und die Sei­nen rück­sichts­los an den Bet­tel­stab brin­gen!«

»Lä­cher­lich! Ver­langst du etwa, dass ich ihm einen Korb ge­ben soll, le­dig­lich, weil er mal in fi­de­ler Ge­sell­schaft ein Spiel­chen macht?« Herr von Wahn­fried nahm sei­ne Pro­me­na­de durch den Sa­lon wie­der auf, dass der Krück­stock auf dem Par­kett dröhn­te. »Das wäre mir frei­lich das liebs­te, denn das gan­ze Le­bens­glück un­se­res Lieb­lings ei­nem Spie­ler an­ver­trau­en …«

»Blöd­sinn! In­fa­mer Blöd­sinn! Du bist ei­fer­süch­tig, du willst das Mä­del über­haupt nicht fort­ge­ben …«

»Ei­nem Mann, der mir eine glück­se­li­ge, sor­gen­freie Zu­kunft ga­ran­tiert – so­fort! Aber dem Gra­fen von Ho­hen-Esp? Nein! Wenn du mich fragst, sage ich tau­send­mal nein, denn ich weiß, dass sie ei­nem na­men­lo­sen Elend ent­ge­gen­geht!«

»Sieh mal an – na­men­lo­ses Elend! Net­te Zu­kunfts­mu­sik! Haha! Na, und was sagt Gun­du­la selbst dazu?«

Da seufz­te die große re­so­lu­te Frau zum ers­ten Mal schwer auf, und über das erns­te Ge­sicht zog es wie tie­fe Schat­ten.

»Gun­du­la ist ver­blen­det«, sag­te sie lei­se, »sie ist eben­so wie alle an­de­ren von der Schön­heit und Lie­bens­wür­dig­keit die­ses glän­zends­ten al­ler Ka­va­lie­re ein­ge­nom­men!«

»Gut! Wa­rum also die­sen schö­nen Wahn zer­rei­ßen?«

»Weil es nicht im­mer bei ei­ner Flit­ter­wo­chen­lie­be bleibt! Wenn sie ihr Un­glück erst ein­sieht und be­grei­fen lernt, ist es zu spät.«

»Hast du dich von all dem Un­glück, wel­ches dich im Le­ben ge­trof­fen hat, zu Bo­den schla­gen las­sen?«

»Nein, eben­so­we­nig wie du; aber Gun­du­la …«

»…ist un­ser Fleisch und Blut, ist eine Wahn­fried reins­ter Ras­se. Komm ein­mal her, sieh mal da hin­ab! Na, gäbe es wohl auf der gan­zen Welt eine bes­se­re Bä­rin von Ho­hen-Esp, die mit stol­zen, wehr­haf­ten Pran­ken um ihr Glück kämp­fen wird?«

Tan­te Aga­the hat­te sich er­ho­ben und war hin­ter den Bru­der ge­tre­ten; ihr Blick flog hin­ab in den großen Hof, in des­sen Mit­te sich ih­ren Au­gen ein Bild zeig­te, wahr­lich dazu an­ge­tan, ihr be­sorg­tes Herz zu be­ru­hi­gen.

Baro­nes­se Gun­du­la kehr­te vom Rei­ten heim. Sie hat­te ih­rem klei­nen Groom die Zü­gel zu­ge­wor­fen und ver­ab­schie­de­te sich eben noch von dem Ritt­meis­ter von Ham­mer und des­sen Gat­tin, wel­che sie be­glei­tet hat­ten, als eine hohe Lei­ter, wel­che seit­lich an dem Haus­flü­gel lehn­te, ins Wan­ken ge­riet und mit lau­tem Krach ne­ben dem Pferd nie­der­schmet­ter­te.

Der Gold­fuchs stieg ker­zen­ge­ra­de em­por und brach in jä­hem Schreck wild aus, das Hof­tor zu er­rei­chen; macht­los hing der Groom am Zü­gel und ließ sich schlei­fen, wäh­rend er voll ver­zwei­fel­ter Angst nach dem Kut­scher schrie.

Schon aber war Gun­du­la dem er­reg­ten Tier ent­ge­gen­ge­eilt. Mit kraft­vol­ler Hand griff sie zu und dräng­te den schnau­fen­den Fuchs zu­rück. Ihre hohe, wun­der­vol­le Ge­stalt, von dem knap­pen Reit­kleid eng um­schlos­sen, schi­en aus Stahl und Ei­sen; ener­gisch, si­cher und doch bei al­ler Kraft voll schmieg­sa­mer Gra­zie stand Gun­du­la ne­ben dem Durch­gän­ger und zwang ihn zum Ge­hor­sam. Leuch­tend rot stieg das Blut in ihre Wan­gen, die großen, stahl­grau­en Au­gen blitz­ten einen stum­men Be­fehl, und das Pferd schäum­te ins Ge­biss und füg­te sich ge­hor­sam der Ge­bie­te­rin.

»Bra­vo, mein gnä­di­ges Fräu­lein!« ap­plau­dier­te der Ritt­meis­ter, und Gun­du­la lach­te ihm hei­ter zu und rief ein paar sie­ges­fro­he Wor­te.

Wie sie so da­stand in dem hel­len Son­nen­licht, zeig­te es sich be­son­ders auf­fal­lend, wie ähn­lich sie in Ge­stalt und We­sen ih­rem Va­ter und ih­rer Tan­te Aga­the war, von wel­chen die Welt sag­te, dass sie ener­gisch bis zur Starr­köp­fig­keit, klug und ziel­be­wusst bis zur Rück­sichts­lo­sig­keit sei­en.

»Und die soll­te nicht ih­ren Weg ge­hen und sich von ein paar Kar­ten­blät­tern um Glück und Exis­tenz brin­gen las­sen?« Wie­der lach­te der Kam­mer­herr sein dröh­nend tie­fes La­chen. »Un­be­sorgt, Aga­the! Ich fra­ge jetzt das Mä­del; will sie ihn, so be­kommt sie ihn!«

»Ein wil­des Pferd zu bän­di­gen, ist wohl leich­ter, als einen leicht­sin­ni­gen Men­schen im Zü­gel zu be­hal­ten! Wenn ein Weib liebt, so ist es schwach und ohn­mäch­tig – und Gun­du­la wird ih­ren Gat­ten lie­ben! Sie wird auch an sei­ner Sei­te so selbst­los und un­ei­gen­nüt­zig sein, wie sie es jetzt ist, und das öff­net dem Bank­rott Tür und Tor.«

Herr von Wahn­fried starr­te mit wun­der­li­chem Lä­cheln grad­aus. »Sie wird ih­ren Gat­ten lie­ben, ja. Aber nur so lan­ge voll blin­der Nach­sicht, bis ein an­de­rer kommt, den sie noch mehr liebt.«

Bei­na­he ent­setzt blick­te Aga­the auf. »Wie soll ich das ver­ste­hen? Wen könn­te sie je mehr lie­ben als den Mann ih­rer Wahl?«

»Ihren Sohn!« ant­wor­te­te der Kam­mer­herr lang­sam, voll schwe­ren Nach­drucks, und in sei­nen tief­lie­gen­den Au­gen glomm es wie­der so selt­sam wie zu­vor. »Eine Bä­rin ist das gut­mü­tigs­te Ge­schöpf der Welt, wel­ches sich ge­dul­dig den Pelz zau­sen lässt, so­lan­ge sie nichts an­de­res hat als ih­ren Meis­ter Petz. Wenn aber erst die jun­ge Brut in der Höh­le liegt, dann wird aus dem sanft­mü­ti­gen Weib­chen eine gar wil­de, lei­den­schaft­li­che Mut­ter, wel­che die wehr­haf­ten Pran­ken hebt und zer­beißt und zer­reißt, was das si­che­re Nest ih­rer Jun­gen ge­fähr­det. Je nun! Auch Gun­du­la wird eine Bä­rin von Ho­hen-Esp sein, und wenn sie zu­vor nicht für sich sel­ber kämpf­te, für ihre Söh­ne tut sie es so wahr und si­cher, wie es mein Blut ist, wel­ches in ih­ren Adern kreist.«

Gun­du­la von Wahn­fried stand im Braut­kleid und harr­te ih­res Ver­lob­ten, der sie in sei­ner glän­zen­den Equi­pa­ge, mit dem ele­gan­tes­ten Vierer­zug, den die Re­si­denz auf­wies, zur Trau­ung ab­ho­len woll­te.

Jung­fer und Mo­dis­tin hat­ten noch ge­schäf­tig an Schlep­pe, Kranz und Schlei­er ge­ord­net, als Tan­te Aga­the einen Blick auf die Uhr warf und den Dien­st­eif­ri­gen in ih­rer kur­z­en, ener­gi­schen Art be­deu­te­te, das Zim­mer zu ver­las­sen.

Auch Gun­du­la schi­en noch ein letz­tes Al­lein­sein mit ih­rer ge­lieb­ten Pfle­ge­mut­ter, die sie voll stren­ger, aber zärt­li­cher Sor­ge groß­ge­zo­gen hat­te, zu er­seh­nen.

Sie leg­te ihre Arme um den Na­cken der al­tern­den Frau und blick­te ihr mit leuch­ten­den Au­gen in das erns­te Ant­litz.

»Tan­te Aga­the«, flüs­ter­te sie, »ich weiß, dass du mei­ne Ver­lo­bung mit Fried­rich Carl nicht sehr gern zu­ge­ge­ben hast! Du lie­be, treue See­le hast so schwarz ge­se­hen und die klei­ne, harm­lo­se Pas­si­on mei­nes Herz­liebs­ten zu ei­ner wüs­ten Lei­den­schaft ge­stem­pelt, die uns nach dei­ner An­sicht rui­nie­ren muss! Hast du auch jetzt noch kei­ne bes­se­re Mei­nung von Fried­rich Carl be­kom­men, wo er es doch auf mei­nen Wunsch über sich ver­mocht hat, wäh­rend un­se­rer gan­zen Ver­lo­bungs­zeit kei­ne Kar­te an­zu­rüh­ren?«

Fräu­lein von Wahn­fried blick­te mit wun­der­li­chem Aus­druck in die ver­klär­ten Au­gen der rei­zen­den Braut, wel­che so gar nicht stolz, stark und ener­gisch, son­dern weich, lieb­lich und hold er­glü­hend wie das ver­lieb­tes­te und schwächs­te al­ler Wei­ber vor ihr stand.

Ein fei­nes Zu­cken ging um ih­ren herb ge­schlos­se­nen Mund.

»Ich sehe, dass du glück­lich bist, mein Lieb­ling«, sag­te sie, ihre Lip­pen auf das wun­der­schö­ne Ant­litz der Braut drückend, »und es sei fern von mir, dir die­sen son­ni­gen Tag durch mei­ne Angst vor dräu­en­den Wol­ken zu ver­dun­keln. Du hast Zeit ge­habt, um zu über­le­gen, was du tust; ich hof­fe, du wirst den An­for­de­run­gen, die das Le­ben an dich stellt, ge­wach­sen sein.«

»Ich bin es, Tan­te! Ich füh­le die hohe, hei­li­ge Kraft der Lie­be in mir. Du fürch­test, Tan­te, dass ich einst Man­gel an Geld und Gut lei­den wer­de! Was fra­ge ich da­nach? Wäre Fried­rich Carl der ärms­te al­ler Män­ner ge­we­sen, ich wür­de ihn eben­so ge­liebt ha­ben, ihm eben­so über­glück­lich mei­ne Hand ge­reicht ha­ben wie jetzt! Du weißt, dass ich nie­mals viel Sinn für Glanz, Pracht und Wohl­le­ben ge­habt habe. Dazu hast du mich zu ernst und so­lid er­zo­gen, hast mich bes­se­re und hö­he­re Wer­te des Le­bens ken­nen ge­lehrt. Doch ist es denn ein Un­recht, wenn Fried­rich Carl sich sei­nes Le­bens freut, es gern in mög­lichst glän­zen­dem Rah­men ge­nießt? Ge­wiss nicht, das ist nur Ge­schmackssa­che; und da er die Mit­tel be­sitzt, um in der großen Welt zu le­ben und ge­wis­ser­ma­ßen auch die Ver­pflich­tung hat, sei­nen Na­men zu re­prä­sen­tie­ren, so las­se ich es sehr da­hin­ge­stellt, ob sei­ne Ge­schmacks­rich­tung nicht viel na­tür­li­cher und rich­ti­ger ist als die mei­ne.«

»So wirst du dich be­keh­ren las­sen?«

Gun­du­la neig­te das schö­ne Ant­litz so tief, dass die duf­ti­gen Wo­gen des Braut­schlei­ers dar­über hin­flos­sen.

»Das dürf­te schwie­rig, aber nicht un­mög­lich sein. Ich wer­de mich gern dem Ge­schmack mei­nes Man­nes an­pas­sen …«

»Auch wenn dich der­sel­be in Wi­der­spruch zu dei­nen Pf­lich­ten setzt?«

Die jun­ge Braut blick­te er­schro­cken, bei­na­he ver­ständ­nis­los em­por. »Wie könn­te das mög­lich sein?«

»Wirst du blind­lings al­les gut­hei­ßen, was dein Gat­te tut? Als Frau lernt man oft sehr viel schär­fer und weit­sich­ti­ger ur­tei­len wie als Mäd­chen!«

Das ro­si­ge Ant­litz war jäh­lings er­bleicht, Gun­du­la hob ihr Haupt und schau­te der Spre­che­rin starr in die prü­fen­den Au­gen. Ein selt­sam frem­der Zug schlich sich plötz­lich um die lä­cheln­den Lip­pen, fest und ener­gisch, ein Ge­misch von Stolz und Un­wil­len.

»Wenn Fried­rich Carl je­mals un­edel oder frev­le­risch han­delt – was Gott ver­hü­ten möge –, wer­de ich nicht der­sel­ben Mei­nung sein wie er, son­dern so han­deln, wie ich es für recht und gut er­ach­te!«

Sie at­me­te schwer auf und senk­te wie­der, wie er­schreckt über ihre ei­ge­nen Wor­te, das Köpf­chen.

»Aber wie soll­te das ge­sche­hen?«

Aga­the press­te die Lip­pen zu­sam­men und kämpf­te se­kun­den­lang einen schwe­ren Kampf. Dann schüt­tel­te sie seuf­zend den grau­en Kopf und strich lieb­ko­send über das blon­de Haupt ih­res Lieb­lings, um das sich die blü­hen­den Myr­ten rank­ten.

»Nein, Kind, ich will dir dei­nen Glau­ben und dein Ver­trau­en nicht neh­men, ich will in die­ser Stun­de nicht mit Mög­lich­kei­ten rech­nen, die vor­läu­fig noch in Got­tes Hand ste­hen. Nur eine Bit­te möch­te ich noch aus­spre­chen, eine erns­te, in­ni­ge Bit­te. Dein Va­ter hat am gest­ri­gen Tag sein Te­sta­ment ge­macht und dich nach sei­nem Tod zur Er­bin ein­ge­setzt, er hat auch kei­ner­lei Be­din­gun­gen mehr ge­stellt, ob­wohl er weiß, dass du mit dei­nem Gat­ten in Gü­ter­ge­mein­schaft le­ben wirst. Du sel­ber, Gun­du­la, bist in Geldan­ge­le­gen­hei­ten und Ge­schäftssa­chen lei­der Got­tes un­er­fah­ren wie ein Kind, dar­um kann ich dir kaum klar­ma­chen, wel­che Ge­fahr die­ses Te­sta­ment für dei­ne Zu­kunft birgt! Um so be­rech­tig­ter ist aber mei­ne Bit­te, wel­che du hof­fent­lich nicht ab­schlägst, auch wenn du die­sel­be in die­sem Au­gen­blick noch nicht ver­stehst.«

»Sprich, Herz­lie­be!«

»Du weißt, dass dir Tan­te Mar­ga­re­te ihr gan­zes Ver­mö­gen ver­mach­te, al­ler­dings mit der Klau­sel, dass ich, so­lang ich lebe, die Nutz­nie­ßung des Ka­pi­tals habe.«

»Ja, Tant­chen. So Gott will, wirst du dich noch vie­le lan­ge Jah­re die­ser Ren­ten freu­en!«

Aga­the über­hör­te die­se Wor­te, sie blick­te mit sor­gen­vol­ler Stirn ge­ra­de­aus ins Lee­re und fuhr bei­na­he has­tig fort: »Von die­sem Erbe, das dir zu­steht, weiß nie­mand et­was. Dein Va­ter hat es selbst mir ge­gen­über nie er­wähnt, er wird auch ganz be­stimmt bei Fried­rich Carl nichts da­von ge­sagt ha­ben. Auf die­ses Ka­pi­tal be­zieht sich mei­ne Bit­te, Her­zens­lieb­ling. Ge­lo­be es mir in die­ser Stun­de mit hei­li­gem Eid, nie und nim­mer dei­nem Gat­ten ge­gen­über von die­sem Erbe zu spre­chen. Ge­lo­be es mir! Schwö­re es mir, wenn dir die Ruhe mei­ner See­le wert ist! Sieh mich nicht so fra­gend, so er­staunt an! Ich kann und will dir nicht die Grün­de sa­gen, die mich zu die­ser For­de­rung be­we­gen. Ich be­schwö­re dich nur mit all der in­ni­gen Lie­be, die ich dir seit lan­gen Jah­ren ge­zeigt habe, ich fle­he dich an als Stell­ver­tre­te­rin dei­ner teu­ren, ver­ewig­ten Mut­ter: Schwö­re mir, Gun­du­la, nie und nim­mer zu Fried­rich Carl von die­sem Geld zu spre­chen!«

In den Au­gen der jun­gen Braut glänz­ten Trä­nen. Sie warf sich an die Brust der Spre­che­rin und schluchz­te lei­se auf: »Ob­wohl ich nicht den Grund für die­se selt­sa­me Bit­te ein­se­he, Her­zen­stan­te, will ich dir den­noch ewi­ges Schwei­gen ge­lo­ben, dir zur Be­ru­hi­gung!«

Un­ten auf der Stra­ße klang ein ju­beln­des Hur­ra, brau­sen­de Hoch­ru­fe aus un­zäh­li­gen Kin­der­keh­len er­tön­ten.

Der Bräu­ti­gam nah­te, die Braut zu ho­len. Ein Zit­tern ban­ger Glück­se­lig­keit rann wie er­lö­send durch die Glie­der des jun­gen Mäd­chens. Im nächs­ten Au­gen­blick ward die Tür stür­misch ge­öff­net, und voll ju­beln­den Ent­zückens, schön und strah­lend wie ein jun­ger Sie­ges­gott, brei­te­te der Graf von Ho­hen-Esp sei­ne Arme nach der Ge­lieb­ten aus.

Die­se Au­gen­bli­cke ge­hör­ten dem jun­gen Paar; Tan­te Aga­the trat schwei­gend in den Er­ker und blick­te auf die Stra­ße hin­ab. Dr­un­ten dräng­te sich eine neu­gie­rig er­reg­te Men­ge um die prun­ken­de Gala­kut­sche der Bä­ren von Ho­hen-Esp.

Der Kam­mer­herr war ein­ge­tre­ten. Er trug sei­ne ele­gan­te Ho­f­uni­form, wel­che sei­ner mar­ki­gen Ge­stalt so be­son­ders kleid­sam war. Trotz des Krück­stocks ging er hoch und stolz auf­ge­rich­tet, und ein Aus­druck großer Ge­nug­tu­ung lag auf den stren­gen Zü­gen.

»Ich bin froh, dass ich die­sen Tag noch er­le­be«, hat­te er am Mor­gen ge­sagt, »er gibt mei­nem Le­ben einen gu­ten Ab­schluss.«

Jetzt streif­te sein Blick auf­leuch­tend das jun­ge Paar, ein schmun­zeln­des Ni­cken – und dann bot er sei­ner Schwes­ter Aga­the den Arm.

»Komm, du treue Pfle­ge­mut­ter, un­ser Wa­gen war­tet.«

Die bei­den Al­ten gin­gen, und Fried­rich Carl leg­te den Arm noch in­ni­ger um die rei­zen­de Braut, die in der Re­si­denz als ge­fei­erts­te Schön­heit galt. Er blick­te ihr tief in die erns­ten blau­en Au­gen, die ihm wie ver­klärt in Glück­se­lig­keit ent­ge­gen­strahl­ten.

»Nun bist du mein, Gun­du­la«, flüs­ter­te er, und sein fri­sches, hüb­sches, so le­bens­lus­tig la­chen­des Ant­litz färb­te sich tiefer.

II.

Der Graf von Ho­hen-Esp und sei­ne jun­ge, lieb­rei­zen­de Frau gal­ten für das glück­lichs­te Paar im Land. Nicht des­halb, weil Pracht und Glanz sie um­ga­ben, weil Sor­ge und Kum­mer un­be­kann­te Gäs­te in ih­rem Haus wa­ren, weil sie al­les be­sa­ßen, was dem Her­zen Freu­de und dem Le­ben Reiz ver­leiht, son­dern weil sie ein­an­der aus hei­ßer, in­ni­ger Lie­be ge­hei­ra­tet hat­ten. Auf Gun­du­las Wunsch hat­te das jun­ge Paar die Flit­ter­wo­chen auf Burg Ho­hen-Esp ver­lebt, und ein paar Da­men und Her­ren der Ge­sell­schaft, die, auf wei­te­rer Fahrt durch das Land be­grif­fen, für et­li­che Stun­den in dem wun­der­li­chen al­ten Strand­schloss Rast ge­hal­ten hat­ten, konn­ten gar nicht ge­nug er­zäh­len, wie wahr­haft ver­klärt in un­aus­sprech­li­cher Glück­se­lig­keit die jun­ge Grä­fin drein­ge­blickt habe. Ihr sei die Stil­le und Ein­sam­keit die­ses Auf­ent­halts sicht­lich sehr sym­pa­thisch, wäh­rend der le­bens­lus­ti­ge Gat­te wohl nur aus Galan­te­rie und im Rausch des Ho­nig­mo­nats in die­sem frei­wil­li­gen Exil aus­hal­te.

Selbst­re­dend wer­de das jun­ge Paar den Win­ter in der Re­si­denz ver­le­ben. Graf Fried­rich Carl habe das hei­lig ge­lobt und sehr ver­gnügt da­bei aus­ge­se­hen, auch Gun­du­la habe sehr lie­bens­wür­dig ge­lä­chelt, aber doch heim­lich ge­seufzt.

Wäh­rend­des­sen träum­te das jun­ge Paar eine zau­ber­haf­te Spät­som­me­ri­dyl­le auf Ho­hen-Esp, der ein­sa­men, ur­al­ten Burg, die sich auf be­wal­de­ter Berg­kup­pe am Ufer der Ost­see er­hebt und weit­hin über die blau­wo­gen­de Unend­lich­keit schaut. Sie ge­hört zu dem äl­tes­ten Grund­be­sitz der Fa­mi­lie, ein düs­te­res, al­tes Ge­mäu­er, ein Krä­hen­horst, den die ko­ket­te Lau­ne ehe­ma­li­ger Be­woh­ner gar ei­gen­ar­tig aus­staf­fiert hat­te. Die Bä­ren­burg gleicht in Wahr­heit der Höh­le ei­nes Bä­ren, denn die plum­pen, mas­si­gen Mau­ern, der graue, stump­fe Turm sind im In­ne­ren und Äu­ße­ren mit lau­ter Din­gen aus­ge­stat­tet, die an den Bä­ren und sei­ne wehr­haf­ten Pran­ken er­in­nern.

Gun­du­la war im ers­ten Au­gen­blick er­schro­cken, als ihr die bei­den rie­sen­haf­ten Bä­ren, die am Ein­gang des Burg­to­res Wa­che hal­ten, aus grim­mig of­fe­nen Ra­chen die Zäh­ne ent­ge­gen­fletsch­ten, als ihr über­all auf Schritt und Tritt in der gan­zen Burg, wo­hin sie nur blick­te, Bä­ren in al­len Grö­ßen und Ar­ten ent­ge­gen­schau­ten, als je­des Mö­bel oder je­des Ge­we­be ihr in Schnit­ze­rei oder Mus­ter das näm­li­che Mo­tiv zeig­ten – Bä­ren! Bä­ren über­all! Bald aber ge­fiel ihr die­se ab­son­der­li­che Ei­gen­art, und je mehr sie sich in die Tra­di­tio­nen der Fa­mi­lie und den Ge­dan­ken hin­ein­leb­te, dass sie nun sel­ber eine Bä­rin von Ho­hen-Esp ge­wor­den, eine je­ner see­len- und ner­ven­star­ken, stol­zen, ge­wal­ti­gen Frau­en, wel­che seit vie­len Jahr­hun­der­ten hier ge­haust, wahr­haf­te Her­rin­nen der al­ten Zwing­burg zu sein, da schlug ihr Herz hoch auf im stol­zen Selbst­be­wusst­sein, und bei­na­he zärt­lich haf­te­te ihr Blick auf den braun­zot­ti­gen Ge­sel­len, wel­che in die­ser ver­zau­ber­ten al­ten Herr­lich­keit die neue Ge­bie­te­rin auf Schritt und Tritt be­grüß­ten.

»Ich be­grei­fe ei­gent­lich dei­nen Ge­schmack nicht, Herz­lieb«, lach­te Fried­rich Carl, als sie ei­nes Abends auf der Zin­ne des Tur­mes stan­den, um weit hin­ab über die Wip­fel des Bu­chen­wal­des auf das fer­ne, blaue Meer zu schau­en, in das der glü­hen­de Son­nen­ball lang­sam, durch vio­let­te Dunst­schlei­er tau­chend, nie­der­sank. »Ich be­grei­fe dich nicht, dass es dir hier in der ent­setz­lichs­ten al­ler ver­mo­der­ten und ver­räu­cher­ten Bä­ren­höh­len so gut ge­fällt. So schön, wie Ho­hen-Esp sei­ner­zeit als Sitz der Ers­ten un­se­res Ge­schlechts ge­we­sen sein mag, so völ­lig über­lebt hat sich sein mys­ti­scher Zau­ber in un­se­rer heu­ti­gen Zeit voll Kom­fort, Ele­ganz und Leicht­le­big­keit. Ich hat­te im stil­len ei­gent­lich ge­hofft, Gun­du­la, du wür­dest beim An­blick all der grau­si­gen Un­tie­re, die einen schier zu­dring­lich hier auf Schritt und Tritt ver­fol­gen, schleu­nigst Reiß­aus neh­men. Was zu viel ist, ist zu viel! Un­se­re Alt­vor­de­ren sind mir mit die­sem Bä­ren­kul­tus schließ­lich lang­wei­lig ge­wor­den.«

Bei­na­he er­schro­cken sah die Grä­fin den Spre­cher an. »Lang­wei­lig? Und das sagst du, Fried­rich Carl, der Nach­kom­me die­ses herr­li­chen Ge­schlechts, für den je­der Zoll die­ses Grund und Bo­dens hei­lig sein soll­te? Sieh, ich tra­ge erst seit we­ni­gen Wo­chen den Na­men Ho­hen-Esp – und doch ist es mir, als sei mein Herz und Sinn schon ganz und gar ver­wo­ben mit ihm. Ich kann nicht satt wer­den, durch Räu­me zu schrei­ten, wo rings­um die An­den­ken von Vä­tern und Ahn­her­ren spre­chen, wo al­les da­von zeugt, was sie einst wa­ren und was wir Glück­se­li­gen jetzt sind, wo uns ihr Geist um­weht und ihre Na­men zu uns spre­chen! O du lie­ber Mann, ich habe zu­vor nie dar­über nach­ge­dacht, wie schön es wohl sein müs­se, die Mut­ter ei­nes Soh­nes zu sein; hier aber, in der Burg dei­ner Vä­ter, da über­kommt es mich wie eine hei­ße, ehr­furchts­vol­le Sehn­sucht, wie eine jauch­zen­de Be­geis­te­rung bei dem Ge­dan­ken, dass ich be­ru­fen sein möch­te, die­sem al­ten, trot­zi­gen Bä­ren­ge­schlecht einen Er­ben zu schen­ken, es fort­zu­pflan­zen in ei­nem Sohn, der der­einst so edel, so rit­ter­lich sein wird wie alle jene hel­den­haf­ten Män­ner, die ehe­mals in die­sen Räu­men ge­haust, die ih­ren Wahl­spruch in die grau­en Qua­der­stei­ne ge­mei­ßelt, ihn hoch auf ihr Ban­ner ge­schrie­ben ha­ben und in sei­nem Sinn leb­ten und star­ben.

›Chris­te Ky­rie … Zu Land und See, Schirm­herr der Not – Das wal­t’ Her­re Gott!‹«

Mit ent­zück­tem, stau­nen­dem Blick sah Graf Ho­hen-Esp auf die Spre­che­rin. Wuchs sie tat­säch­lich ne­ben ihm em­por, oder täusch­te ihn sein Auge, dass er ihre schlan­ke Ge­stalt plötz­lich so hoch und stolz ne­ben sich sah? Und die­ses schö­ne, be­geis­ter­te An­ge­sicht, die­se leuch­ten­den Au­gen … Ge­hör­ten sie wahr­lich sei­ner erns­ten, träu­me­risch stil­len Gun­du­la?

Fes­ter schlang er den Arm um sie, hei­ßer noch küss­te er ihre Lip­pen.

»Scha­de, dass mein gu­ter Va­ter dich nicht spre­chen hö­ren kann, du wä­rest wahr­lich eine Schwie­ger­toch­ter nach sei­nem Her­zen! Ja, der alte Herr war in der Tat noch der alte Schirm­vogt der Not und Schwach­heit, wie ihn der alte Wap­pen­spruch ver­langt, er hat viel Gu­tes ge­tan, und wenn auch nicht mit ge­wapp­ne­tem Arm ge­gen die See­räu­ber hier von dem Bä­ren­horst aus, so doch als mo­der­ner Mann im Reichs­tag und von der Mi­nis­ter­kan­zel aus; du weißt, wie man sein An­den­ken in Ehren hält. Ja, ein mo­der­ner Mann! Ho­hen-Esp be­wohn­te er sel­ten, fast nie; es lag ihm zu ab­ge­le­gen. Da hat­te er sich Schloss Wals­le­ben für den Som­mer­auf­ent­halt zu­recht­ma­chen las­sen, auch ein von den Vä­tern er­erb­ter ›hei­li­ger‹ Bo­den, aber doch et­was be­hag­li­cher und kom­for­ta­bler als hier die alte Bä­ren­höh­le. Und siehst du, Herz­lieb, die­sem hüb­schen Be­sitz möch­te ich mein won­ni­ges Weib auch ein­mal zu­füh­ren. Wir wa­ren nun drei Wo­chen hier, die Wals­le­be­ner dür­fen doch nicht ei­fer­süch­tig wer­den!«

Wie in­nig er sie an sein Herz drück­te, wie schmei­chelnd sei­ne Stim­me klang, wie un­wi­der­steh­lich der strah­len­de fro­he und hei­te­re Blick sei­ner Au­gen, die in letz­ter Zeit oft­mals recht müde und ge­lang­weilt in die Wald­ein­sam­keit hin­aus­ge­schaut hat­ten.

Ein Ge­fühl tiefer Weh­mut be­schlich Gun­du­las Herz, wenn sie ans Schei­den dach­te, wie un­aus­sprech­lich glück­lich war sie hier ge­we­sen! Wie re­de­te je­des Zim­mer, je­des Plätz­chen im Park von ei­ner Zeit be­rau­schend se­li­ger jun­ger Lie­be! Nie und nim­mer wür­de sie sich in Ho­hen-Esp lang­wei­len, und müss­te sie ihr gan­zes Le­ben hier zu­brin­gen!

Aber was gal­ten ihr die ei­ge­nen Wün­sche, wenn Fried­rich Carl an­de­re Plä­ne heg­te? Ein ein­zi­ger Blick in sein la­chen­des Ge­sicht, ein Kuss von sei­nem Mund, und die Bä­rin war wie­der die wil­len­lo­se Tau­be, die mit de­mü­ti­gem Lä­cheln nickt. »So bring mich nach Wals­le­ben, Liebs­ter! Die Welt ist ja über­all schön, wo du bist!«

»Gut, sa­gen wir vier­zehn Tage noch nach Wals­le­ben! Das ge­nügt, dass du dein neu­es Heim, die Um­ge­gend und Men­schen ken­nen­lernst, und dann … dann ma­chen wir doch noch un­se­re Hoch­zeits­rei­se, Lieb­chen?«

»Hoch­zeits­rei­se? Ich glaub­te, die mach­ten wir schon jetzt!«

»Hier­her nach Ho­hen-Esp?« Er lach­te bei­nah über­mü­tig. »Nein, mei­ne klei­ne Schirm­vog­tin, die­se Ex­tra­tour war nur ein Be­weis mei­nes un­be­ding­ten Ge­hor­sams! Du wünsch­test, die Bä­ren­burg ken­nen­zu­ler­nen, und ich war Wachs in dei­nen Händ­chen, wie ich stets im Le­ben sein wer­de. Nun aber kommt die Be­loh­nung für die­sen Se­pa­ra­tar­rest, ob­wohl der­sel­be so süß und won­nig war, dass er sei­nen Lohn schon reich­lich in sich sel­ber trug! Aber wir Men­schen sind nun mal un­be­schei­den und nim­mer­sat­te Krea­tu­ren. Auf das schö­ne Exil in Ho­hen-Esp folgt ein noch schö­ne­res in Wals­le­ben, und wie man nach der sü­ßen Spei­se noch Kon­fekt und Früch­te ver­langt, so las­sen wir uns noch eine klei­ne Spritz­tour gen Niz­za, San Remo, Mon­te Car­lo usw. ser­vie­ren.«

»Al­les, was du willst! Die Zwing­her­rin ist ih­rem Herz­liebs­ten ge­gen­über Skla­vin!«

In Wals­le­ben fand Gun­du­la al­les, was wohl sonst je­des Frau­en­herz ent­zückt und hoch be­frie­digt hät­te: ge­die­ge­ne Ele­ganz, Be­hag­lich­keit und die Er­fül­lung ei­nes je­den, selbst des an­spruchs­volls­ten Wun­sches. Es wür­de die jun­ge Frau auch be­glückt ha­ben, wenn sie mehr Wert auf äu­ße­ren Glanz ge­legt und Sinn für all die vie­len hüb­schen Nich­tig­kei­ten ge­habt hät­te, mit de­nen sich das mo­der­ne Wohl­le­ben aus­stat­tet und die ei­ner Rei­he von mü­ßi­gen Ta­gen einen schein­ba­ren In­halt ver­lei­hen.

Gun­du­la hat­te aber seit je­her we­nig Pas­si­on für Ge­sel­lig­keit und al­les, was mit der­sel­ben zu­sam­men­hing. Die reins­te Freu­de, die sie emp­fin­den konn­te, war die an ei­ner schö­nen Na­tur mit all dem stil­len Zau­ber und den un­er­forsch­li­chen Wun­dern, die ih­rem Schöp­fer Preis und Ehre ge­ben.

Das Wals­le­be­ner Schloss mit sei­nem ele­gan­ten Le­ben und Trei­ben ent­sprach nicht ih­rem Ge­schmack. Den­noch ver­riet nicht das kleins­te Wort, nicht der lei­ses­te Seuf­zer, wie un­gern sie hier weil­te. Sie sah es ja dem glück­li­chen Ge­sicht ih­res Man­nes an, dass er sich au­ßer­or­dent­lich wohl­fühl­te, und was hät­te der selbst­lo­sen und an­spruchs­lo­sen See­le Gun­du­las mehr Be­frie­di­gung ge­ben kön­nen, als den Ge­lieb­ten froh und zu­frie­den zu se­hen?

Man fuhr schon am zwei­ten Tag, als die jun­ge Her­rin kaum den ei­ge­nen fürst­li­chen Be­sitz in Au­gen­schein ge­nom­men hat­te, in die Nach­bar­schaft, um Be­su­che ab­zu­stat­ten. Da man nur so kurz­be­mes­se­ne Zeit in Wals­le­ben weil­te, dräng­ten sich die Ein­la­dun­gen; man be­such­te Fes­te und sah wie­der­um Gäs­te bei sich, und Gun­du­la emp­fand es bei all ih­rem Wi­der­wil­len ge­gen eine der­ar­ti­ge Ver­gnü­gungs­het­ze doch mit un­end­li­cher Won­ne, dass Fried­rich Carl eine stol­ze Ge­nug­tu­ung dar­in fand, der Welt sein jun­ges Weib zu zei­gen, dass er sich be­nei­dens­wert und glück­lich in ih­rem Be­sitz fühl­te. Zwi­schen all dem Tru­bel fan­den sich doch noch schö­ne, stil­le Stun­den, in de­nen der Ge­lieb­te ihr al­lein ge­hör­te, in de­nen er sich ihr voll zärt­li­cher Rit­ter­lich­keit auch aus­schließ­lich wid­me­te. Da­für dank­te sie ihm durch eine stets lie­bens­wür­di­ge Be­reit­wil­lig­keit, ihm hin­aus in das lau­te, bun­te Le­ben zu fol­gen, und als die für Wals­le­ben fest­ge­setz­te Zeit ab­ge­lau­fen war und der jun­ge Graf voll un­ge­dul­di­ger Sehn­sucht nach neu­en Zer­streu­un­gen ver­lang­te, da gab sie gern Be­fehl, die Kof­fer zu pa­cken.

Welch ein ru­he­lo­ses Hin und Her, Kreuz und Quer durch die Welt! Dann kam Mon­te Car­lo!

An­fäng­lich hat­te Gun­du­la gar nicht ge­ahnt, welch ein Höl­len­ab­grund in die­sem Pa­ra­dies gähn­te. Sie sah voll nai­ver Ver­ständ­nis­lo­sig­keit dem Spiel zu, bis es ihr all­mäh­lich klar­wur­de, was das­sel­be ei­gent­lich be­deu­ten woll­te. Da er­schrak sie zum ers­ten Mal bis in das tiefs­te Herz hin­ein. Sie stand hin­ter ih­rem Gat­ten und sah, wie die Glut fie­be­ri­scher Er­re­gung im­mer dunk­ler und hei­ßer in sein schö­nes Ant­litz stieg, wie die Bank­no­ten in sei­ner Brief­ta­sche mehr und mehr zu­sam­men­schmol­zen.

»Herz­lie­ber«, flüs­ter­te sie in sein Ohr, »lass uns ge­hen! Ich st­er­be vor Mü­dig­keit.«

Er sprang so­fort auf, raff­te noch ein paar Gold­stücke zu­sam­men und bot ihr den Arm.

»Ver­gib mir, Dar­ling! Es ist in der Tat sehr spät ge­wor­den. Aber im Ei­fer des Spiels … ich habe gar nicht dar­an ge­dacht, dass du in letz­ter Zeit im­mer so spät ins Bett ge­kom­men bist.«

Am fol­gen­den Tag ver­spiel­te er noch eine weit grö­ße­re Sum­me.

»Ich muss an mei­nen Ban­kier te­le­gra­fie­ren«, sag­te er, »un­ser Rei­se­geld ist auch schon futsch!«

Da fass­te sie fle­hend sei­ne Hän­de, und ihre blau­en Au­gen schau­ten voll Angst in sein schö­nes, sorg­lo­ses Ant­litz.

»Fried­rich Carl«, flüs­ter­te sie, »ach, lass uns fort von hier!«

Er lach­te hell auf und küss­te sie. »Ich glau­be, du hast Angst, dass ich uns hier bank­rott­spie­le«, scherz­te er. »Un­be­sorgt, du lie­bes Närr­chen! Die paar tau­send Fran­ken rei­ßen noch kein Loch in un­se­ren Geld­beu­tel, und ein­mal muss ich doch auch wie­der ge­win­nen!«

Er ge­wann aber nicht, son­dern ver­lor auch in den nächs­ten Ta­gen un­auf­hör­lich. Die nam­haf­te Sum­me, die ihm sein Ban­kier an­ge­wie­sen hat­te, schmolz da­hin wie der Schnee im Son­nen­schein. Der jun­ge Graf lach­te noch im­mer, aber es war ein et­was ge­walt­sa­mes und ner­vö­ses La­chen.

»Fried­rich Carl, lass uns fort von hier«, fleh­te Gun­du­la aber­mals, und dies­mal roll­ten ein paar große Trä­nen über ihre Wan­gen und netz­ten sei­ne Hand. Er zuck­te zu­sam­men.

»Wenn du be­fiehlst, so­fort, mein Lieb­ling! O du glaubst doch nicht etwa, der Spiel­teu­fel habe mehr Ge­walt über mich als die­ser süße En­gel, den ich mir selbst zum Wäch­ter mei­nes Glückes ge­setzt habe?«

Er schell­te sei­nem Kam­mer­die­ner und teil­te ihm mit, dass mit dem Ku­rier­zug am nächs­ten Vor­mit­tag wei­ter­ge­reist wer­den soll. So un­be­schreib­lich glück­lich wie in die­ser Stun­de war Gun­du­la nie wie­der.

Die nächst­fol­gen­den Jah­re ver­leb­te das jun­ge Paar in Saus und Braus in der hei­mat­li­chen Re­si­denz. Graf Ho­hen-Esp mach­te ein glän­zen­des Haus, und da er nie im Le­ben ge­fragt hat­te: »Kann ich mir dies oder je­nes ge­stat­ten«, so frag­te er auch jetzt nicht da­nach, son­dern war sehr er­staunt, als ihm sein Ad­mi­nis­tra­tor ei­nes Ta­ges er­öff­ne­te, er sei nicht in der Lage, noch mehr Gel­der zu zah­len, da die zu­stän­di­gen Re­ve­nu­en be­reits an die Adres­se des Herrn Gra­fen ab­ge­führt sei­en.

»Was? Ei zum Teu­fel! Wir ha­ben ja das neue Quar­tal kaum an­ge­fan­gen!«

»Herr Graf ver­ges­sen, dass das Ka­pi­tal sehr ab­ge­nom­men hat; die Sum­men, die nach Mon­te Car­lo ge­schickt wur­den, die Ehren­schuld, die an Herrn von X., und die­je­ni­ge, wel­che nach Wies­ba­den ab­ge­sandt wur­de …«

»Don­ner­wet­ter! Ist das so ins Geld ge­lau­fen?« wun­der­te sich der jun­ge Mann sehr ge­las­sen. »Das ist ja fa­tal. Aber ich muss doch mo­men­tan was ha­ben! Vom nächs­ten Quar­tal an kön­nen wir ja man­ches spar­sa­mer ein­rich­ten. Aber ge­ra­de jetzt muss ich so man­cher­lei be­rap­pen. Was fan­gen wir da an?«

Der Be­am­te zuck­te et­was be­sorgt die Schul­tern.

»Kön­nen Sie kei­nen Wald schla­gen las­sen?«

»Da ist in den letz­ten Jah­ren schon so viel ra­siert wor­den, Herr Graf, dass da nichts mehr weg darf! Höchs­tens die Bu­chen­wal­dung um Ho­hen-Esp her­um. Da sind star­ke Stäm­me, die wür­den einen gu­ten Er­trag ge­ben.«

Fried­rich Carl grub die schlan­ke Hand in sein lo­cki­ges Haar. »Mei­ne Frau hat eine Lei­den­schaft für das alte Bä­ren­nest und den schö­nen Hoch­wald. Sie will je­den Som­mer ein paar Wo­chen da zu­brin­gen. Also ganz her­un­ter darf das Holz nicht!«

Ein Jahr ver­ging, und im Haus des Gra­fen von Ho­hen-Esp klan­gen nach wie vor die Flö­ten und Gei­gen, klim­per­ten fern­ab im Zim­mer des Haus­herrn die Gold­stücke auf dem Spiel­tisch. Fried­rich Carl amü­sier­te sich, reis­te, rauch­te, spiel­te und war nach wie vor ein auf­merk­sa­mer und rit­ter­li­cher Gat­te, wenn­gleich die im­mer blas­ser wer­den­den Wan­gen und der müde, re­si­gnier­te Aus­druck im Ge­sicht sei­ner Frau im­mer deut­li­cher her­vor­tra­ten.

Gun­du­las Va­ter war sehr un­er­war­tet an ei­nem Herz­schlag ge­stor­ben, und wäh­rend des Trau­er­jah­res, in dem man doch nicht gut die Sai­son mit­ma­chen konn­te, un­ter­nahm Graf Ho­hen-Esp in Beglei­tung sei­ner Ge­mah­lin eine Rei­se um die Welt.

»Du hast ja jetzt ein recht net­tes Ka­pi­tal ge­erbt, Lieb­chen«, sag­te Fried­rich Carl in sei­ner leich­ten, fröh­li­chen Art, »da könn­test du mir ei­gent­lich einen Ge­fal­len tun. Es ist mo­men­tan schwer für mich, Geld flüs­sig zu ma­chen; du weißt, dass das bei Grund­be­sitz im­mer sei­nen Ha­ken hat. Da­rum wäre es mir sehr lieb, du rück­test ein biss­chen von dei­nem Mam­mon her­aus, um die Rei­se­kos­ten zu de­cken. Ja? Willst du? Wä­rest auch die bes­te Frau der Welt!«

Er küss­te ihre Wan­gen und Hän­de, und sie lä­chel­te ihr stil­les, mü­des Lä­cheln, schmieg­te sich an ihn und nick­te. »Nimm, so­viel du willst! Was soll ich mit dem Geld?« Und er nahm Geld, so­viel er woll­te, denn die Rei­se­kos­ten wa­ren nicht ge­ring.

Ach, wie hat­te Gun­du­la ge­hofft, dass sie das Trau­er­jahr still und be­hag­lich in der schö­nen Ein­sam­keit von Ho­hen-Esp ver­le­ben wür­den, end­lich, end­lich ein­mal wie­der glück­lich zu sein wie zu An­be­ginn ih­rer Ehe. Statt des­sen hub wie­der ein ru­he­lo­ses Wan­dern an, ein ste­tes Zu­sam­men­le­ben mit frem­den Men­schen, de­ren Mit­tel­punkt der schö­ne, lie­bens­wür­di­ge Graf ja stän­dig war! Rei­che Eng­län­der und Ame­ri­ka­ner schlu­gen ein Spiel­chen vor; und um die Lan­ge­wei­le der end­lo­sen See­fahr­ten zu lin­dern, spiel­te Fried­rich Carl; manch­mal mit Glück, meist mit recht er­heb­li­chen Ver­lus­ten. Und als man nach Jahr und Tag heim­kam, teil­te er sei­ner blas­sen Frau so en passant ein­mal mit, dass die Rei­se­rei doch in­fam teu­er ge­we­sen sei und ein Hei­den­geld ver­schlun­gen habe. Das er­erb­te Ka­pi­tal sei bei­na­he drauf­ge­gan­gen. Na, all­zu viel war es ja nicht! Und da kei­ne Kin­der da sind, für die man zu sor­gen hat, ist es ja gleich­gül­tig, wo es bleibt! Gun­du­la hat­te ohne ein Wort still vor sich hin­ge­nickt.

Nein, es wa­ren kei­ne Kin­der da, für die man hät­te spa­ren und sor­gen müs­sen. Was ihr Mann ach­sel­zu­ckend und mit la­chen­dem Mund als eine ja wohl fa­ta­le, aber doch nicht zu än­dern­de Tat­sa­che aus­sprach, das fraß ihr seit Jah­ren schon wie na­gen­des To­des­weh am Her­zen, das las­te­te auf ihr wie ein grau­sa­mes Schick­sal, wie eine Bür­de, un­ter der sie freud- und trost­los da­her­schlich.

Ein Sohn! Ach, dass sie einen Sohn hät­te! Wenn sie zu­rück­denkt an jene ers­ten traum­se­li­gen Wo­chen in Ho­hen-Esp, mit welch ei­ner stol­zen Glück­se­lig­keit sie zu den ge­dun­kel­ten Bil­dern an der Wand em­por­ge­schaut und ih­nen zu­ge­flüs­tert hat­te:, »Ei­nen Sohn will ich euch einst zu­füh­ren, einen jun­gen Bä­ren, furcht­los, brav und recht­schaf­fen, ein Schirm­vogt der Schwa­chen, ein Ret­ter der Ge­fähr­de­ten, ein Edel­mann in Tat und Wort, so wie ihr es ge­we­sen seid!«

Wie glüh­te ihr da­mals das Herz in der Brust voll stol­zer Be­geis­te­rung, wie träum­te sie mit of­fe­nen Au­gen einen herr­li­chen, gol­de­nen Traum! Weh ihr! Es ist nur ein Traum ge­we­sen und ge­blie­ben! Kein Kind im Haus! Nur ein grau­es Ge­s­penst schleicht dar­in her­um, das klim­pert mit Gold­stücken und schlägt klat­schend die Kar­ten auf!

III.

Die Zeit ver­ging, für Gun­du­la schlei­chend, mit blei­er­nen Flü­geln, für ih­ren Gat­ten in wir­beln­dem Tanz.

Da es der Grä­fin in das Herz schnitt, un­ter so gänz­lich ver­än­der­ten Ver­hält­nis­sen auf Ho­hen-Esp zu wei­len, so hat­te sie ei­gent­lich dar­auf ver­zich­ten wol­len, in die­sem Jahr zu kur­z­em Som­mer­auf­ent­halt nach dort zu rei­sen, da trat jäh­lings ein Er­eig­nis ein, das das blei­che Ant­litz der mü­den jun­gen Frau in Son­nen­hel­le tauch­te.

An­fäng­lich wag­te sie es kaum, an ihr ver­spä­te­tes Glück zu glau­ben, ihr Herz zit­ter­te in ban­gen Zwei­feln, ihre See­le jauchz­te in Hoff­nung, und auf ih­ren Wan­gen blüh­ten wie­der Ro­sen auf, ihre Lip­pen lä­chel­ten wie im Traum. Fried­rich Carl be­ob­ach­te­te über­rascht und er­freut die sicht­li­che Ver­än­de­rung sei­ner sonst so re­si­gnier­ten Frau, und als er sich ei­nes Ta­ges so­gleich nach dem Din­ner mit scher­zen­den Wor­ten und ei­ner klei­nen Galan­te­rie über ihre leuch­ten­den Au­gen und blü­hen­den Wan­gen zu­rück­zie­hen woll­te, da hielt sie sanft sei­ne Hän­de fest, führ­te ihn nach ih­rem dämm­rig stil­len Sa­lon und warf sich voll be­ben­der Er­re­gung an sei­ne Brust.

»Das al­les siehst du und be­merkst du, Ge­lieb­ter, und fragst doch nicht nach der Ur­sa­che, die mich neu auf­le­ben lässt in über­großer Se­lig­keit?«

Über­rascht schau­te er sie an, nahm an ih­rer Sei­te auf dem Di­wan Platz und mur­mel­te be­trof­fen: »Ich ver­ste­he dich nicht, Gun­du­la … Hast du etwa das große Los ge­won­nen?«

Sie lach­te un­ter Trä­nen. »Nur das große Los? Ach, was be­deu­tet al­les Geld und Gut der Welt ge­gen un­ser Glück!«

Sei­ne Hand zuck­te un­ru­hig auf ih­rem schö­nen Haupt. »Sprich, Lieb­ling … Fol­te­re mich nicht!«

Da schmieg­te sie sich fest, ganz fest in sei­nen Arm und flüs­ter­te ihm ein paar Wor­te ins Ohr.

»Gun­du­la«, schrie er bei­na­he auf, »Gun­du­la, ist das Wahr­heit? Uns soll­te ein Erbe ge­bo­ren wer­den. Ich soll­te noch ein Kind auf den Ar­men wie­gen?«

Er sprang em­por, er stürm­te im Zim­mer auf und nie­der, und dann be­deck­te er ihre Hän­de, ihr ver­klär­tes Ge­sicht mit Küs­sen.

»Ja, das ist ein un­er­war­te­tes Glück, Gun­du­la«, ju­bel­te er, »nun ist ja dein hei­ßes­ter und sehn­lichs­ter Wunsch er­füllt!«

»Und der dei­ne nicht auch?«

Wie ein Er­blei­chen ging es über sein er­hitz­tes Ge­sicht, er sah sie nicht an, son­dern press­te die Wan­ge ge­gen ihre Hand.

»Wie kannst du da fra­gen, Liebs­te? Als ob es mir gleich­gül­tig sei, ob die Ho­hen-Esps aus­ster­ben oder nicht! Neun Jah­re lang hat­te ich mich frei­lich an die­sen Ge­dan­ken ge­wöhnt. Ich rech­ne­te mit je­der Mög­lich­keit, nur nicht mehr mit der, einen Er­ben zu be­kom­men.«

»Und wenn es eine Bä­rin ist?«

»Um so kost­ba­re­ren Schatz hat die Burg zu hü­ten«, lä­chel­te er ga­lant, und dann küss­te er die Lip­pen sei­ner Frau und zog die Klin­gel, um dem Die­ner zu sa­gen, dass er heu­te Abend zu Hau­se blie­be, es sol­le ein Bote nach dem Klub ge­sandt wer­den mit der Mel­dung, dass der Herr Graf heu­te ver­hin­dert sei, zu kom­men.

Gun­du­la aber fal­te­te die be­ben­den Hän­de und schloss lä­chelnd die Au­gen. Kam es noch ein­mal zu­rück, das Glück, das große, mär­chen­haf­te Glück von ehe­mals?

Als sich der Grä­fin lä­cheln­des Ant­litz zum Schlaf in die Kis­sen ge­neigt hat­te, wan­der­te Fried­rich Carl ruhe- und rast­los in sei­nem Zim­mer auf und nie­der. Er hat­te einen Brief per Eil­bo­ten ab­ge­sandt, einen Brief, der den Ad­mi­nis­tra­tor an­wies, so­fort dem Ab­hol­zen der Ho­hen-Es­per Wal­dun­gen Ein­halt zu tun. Er hat­te sich in sehr miss­li­cher Lage be­fun­den und nach kur­z­em Kampf den Be­fehl ge­ge­ben, die herr­li­chen Bu­chen­wal­dun­gen um die Burg her­um schla­gen zu las­sen; hat­te doch Gun­du­la ge­äu­ßert, dass sie kei­nen Auf­ent­halt wie­der in Ho­hen-Esp neh­men wol­le. Sie schäm­te sich vor all den Ahn­her­ren im Saal, dass sie ih­nen noch im­mer kei­nen Stamm­hal­ter zu­füh­ren kön­ne. Das war nun an­ders ge­wor­den. Jetzt, nach neun­jäh­ri­ger Ehe! Wer hät­te das ge­dacht? Nun war Gun­du­las Lie­be für den al­ten Ah­nen­sitz neu ent­flammt, und auf kei­nen Fall durf­te sie die Ver­wüs­tun­gen in ih­ren ge­lieb­ten Wäl­dern er­bli­cken. Das war ein recht fa­ta­ler Zwi­schen­fall! Was soll­te er nun be­gin­nen? Sei­ne Lage war von Jahr zu Jahr schlech­ter ge­wor­den, ach, Gun­du­la ahn­te es nicht, wie schlecht! Er muss­te ab­so­lut eine be­deu­ten­de Sum­me flüs­sig ma­chen, um eine Spiel­schuld zu be­zah­len. In­fam! Er hat­te wäh­rend der letz­ten Zeit so viel Pech ge­habt, und wenn er ein­mal ge­wann, so ran­nen die Du­ka­ten wie die Was­ser­trop­fen durch die Fin­ger. Es ist selt­sam, dass in Spiel­ge­win­nen so gar kein Se­gen steckt.

Wals­le­ben, Mönch­ha­gen und Got­tern sind be­reits der­art be­las­tet, dass er mit die­sen Gü­tern kaum noch rech­nen kann, und das Ka­pi­tal ist lang ver­braucht, eben­so das Erbe sei­ner Frau.