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Neue Deutsche Rechtschreibung Nataly von Eschstruth war eine deutsche Schriftstellerin und eine der populärsten und berühmtesten Erzählerinnen der Gründerzeit. Null Papier Verlag
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Nataly von Eschstruth
Frieden
Komplettausgabe
Nataly von Eschstruth
Frieden
Komplettausgabe
Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019 1. Auflage, ISBN 978-3-962810-98-6
null-papier.de/492
null-papier.de/katalog
Inhaltsverzeichnis
Widmung
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
X.
XI.
XII.
XIII.
XIV.
XV.
XVI.
XVII.
XVIII.
XIX.
XX.
XXI.
XXII.
XXIII.
XXIV.
XXV.
XXVI.
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Dem Oberst und Kommandeur des Badischen Infanterie-Regiments Nr. 113 Herrn von Beck und Frau Gemahlin in dankbarster Erinnerung zugeeignet Nataly von Knobelsdorff-Brenkenhoff geb. von Eschstruth
Schloss Planta, im Februar 1905
Was ist das Glück? Ist es ein Traum? Ist es ein Stern im Weltenraum? Die beide kommen und vergehn Und vor der Sonne nicht bestehn? Ist es ein Rausch der flücht’gen Stunde, Ein Lächeln von geliebtem Munde? Ist es des Wissens Allgewalt, Der Ruhm, der durch die Länder schallt? Ach nein! sie gleichen nur den Wellen, Die schimmernd am Gestad zerschellen! Des Glückes unerforschte Macht Liegt wie das Erz in tiefem Schacht, Im Herzen ist’s der stille Frieden, Den uns aus Gnad’ der Herr beschieden!
J. A. –
Wie ein großer Blütenstrauß lag der Park. Auf sammetweichen Rasenflächen, deren Grün so fleckenlos und licht wie ein Riesensmaragd in der Sonne lag, erhoben sich die Tuffs von Flieder und Goldregen, untermischt mit dem Schatten dunkellaubiger Taxus und Zypressen, um welche der Perückenstrauch seine zarten Schleier wob.
Alles, was an Frühlingsblumen existiert, hob die bunten Köpfchen, die Krokus, Tazetten und Hyazinthen lachten von den sorgsam gepflegten Beeten, und in dem gewaltigen Basaltbecken rauschten die silbernen Wasser aus Tritonhörnern und fluteten wohlig über den Rand, sich in breiten Kaskaden den sanften Abhang der Schlossanlage hinab ergießend.
Die Front des königlichen Schlosses dehnte sich an dem herrlichen Paradeplatz entlang, die Nebenflügel und uralten Seitenbauten mit Türmen, Erkern, Giebeln und Söllern wandten sich den weitläufigen Parkanlagen zu und versteckten ihr graues Gemäuer hinter einem wahren Dickicht von Epheugespinst und Klematisranken, welche neugierig in die ehrwürdigen Fenster lugten, hinter welchen so manch’ prächtiges, geheimnisvolles, glückliches und leidenvolles Leben schier sagenhaft dahingeflutet.
In dem runden Turmausbau der Westseite lag das Ankleidezimmer der jungen Kronprinzessin, die elegante Flucht ihrer Privatgemächer auf das würdigste abschließend.
Nicht steife, zwingende Konvenienz hatte vor zwei Jahren das Eheband des königlichen Paares geknüpft, sondern heiße, innige Liebe hatte es schon seit Jahren im geheimen gewebt, seit Kronprinz Georg die liebreizende kleine Prinzessin Ingeborg anlässlich der Silberhochzeit ihrer Eltern an befreundetem Fürstenhof zuerst geschaut.
Da hatte er ihr sonniges, lachendes Kindergesichtchen tief in sein Herz geschlossen und als er ihr bei Tafel die purpurnen Rosen, welche vor ihm dufteten, mit lächelndem Gruß hinübersandte, da nickte ihm Schön-Ingeborg mit strahlenden Augen zu, nahm scherzend ein Knallbonbon und schickte es ihm zum Gegengruß.
In dem Bonbon aber befand sich eine gedruckte Devise mit dem Vers:
»Was sich findet Und verbindet, In der goldnen Jugendzeit, Bleibt verbunden Auch in Stunden, Wo im Leben wogt der Streit.«
Als Kronprinz Georg diese Worte las, färbte sich sein ernstes Antlitz höher und er hatte das Empfinden, als hielte er in diesem Augenblick seinen Schicksalsspruch verbrieft und besiegelt in Händen.
Obwohl er die damals fünfzehnjährige Prinzessin in den nächsten Jahren nicht wiedersah, blieb ihr doch sein Herz mit tausend geheimen Fäden innigen Gedenkens verbunden.
Er beobachtete jedes Vorkommnis an dem Hofe ihrer Eltern mit lebhaftem Interesse, und als von seinem Vater die Notwendigkeit einer baldigen Heirat des Thronfolgers erörtert wurde, wusste er alle etwaigen Bedenken zu besiegen und den König seinen Plänen geneigt zu machen.
Am achtzehnten Geburtstag der Prinzessin Ingeborg kehrte Kronprinz Georg abermals als Gast in dem nachbarlichen Schlosse ein, und was die Zeitungen sofort als interessante Vermutung ausposaunten, war wirklich schon nach wenigen Tagen eine Tatsache geworden.
Eine tiefe, schwärmerische Neigung für den ernsten, stattlichen Mann, welcher ihr das Ideal eines ritterlichen Königsohnes schien, erfüllte die bildschöne, jugendliche Prinzessin, und diesmal war es – aller Tradition zum Trotz – Gott Amor, welcher eigenhändig die blühende Myrte um die Königskronen eines überglücklichen Paares flocht.
Die Hochzeit ward unter beispiellosem Jubel von dem ganzen Land gefeiert.
Das Volk war stolz auf seine bezaubernde Kronprinzessin; wo sie sich zeigte, flogen ihr die Herzen im Sturme zu, und wen ihre Schönheit nicht sieghaft zu eigen nahm, den gewann ihre Anmut und Liebenswürdigkeit.
Voll kindlich froher Laune und harmloser Heiterkeit, von Herzen gut und freundlich, wirkte Kronprinzessin Ingeborg wie ein Sonnenstrahl auf ihre ganze Umgebung, und ihr hoher Gemahl war der Erste und Eifrigste, welcher ihr die Rosen der Liebe und Verehrung auf den Lebensweg streute.
Er selber hatte die Zimmer für »seine kleine Frau« – nach eigensten Plänen und Anordnungen auf das idealste ausgestattet.
Er wollte ihrer lichten Schönheit in allem und jedem für einen passenden Rahmen sorgen. Das alte, düstere Schloss sollte selbst bis in das hinterste Winkelchen hinein in Glanz und Duft getaucht werden.
Hellrosa – himmelblau – crême und goldgestickt, von duftigen Spitzen umwallt, belebt von zwitschernden Vögelchen und durchweht von dem süßen Odem immer frischer Blüten, reihten sich die Salons der Kronprinzessin aneinander. Gold-, Silber- und Kristallglitzern überall, – die Kunst in Bild, Statue und Wort, ganz modern und ganz antik – aus jedem Zeitalter das Schönste und Beste zusammengetragen, der herrlichsten von allen in ihrem »sweet home« zu huldigen. Auch das Toilettenzimmer, das weite, sechsfenstrige, runde Turmgemach war auf das geschmackvollste und originellste für die junge Gebieterin hergerichtet.
Von der gemalten Decke fielen die graziösen Bronzegewinde nieder, welche die rosigen Lilien des elektrischen Lichts trugen und von schwebenden Amoretten gehalten wurden. In allen Pfeilerwänden zwischen den vielen Fenstern befanden sich hohe Kristallspiegel, welche das Bild der Anwesenden wiederholt zurückwarfen.
Eine Symphonie in Weiß und Gold!
Bis auf den kleinsten Gegenstand trägt der goldumrahmte Toilettentisch seine Elfenbeinbürsten, Vasen, Dosen, Fläschchen, Schalen und Leuchter, alles mit dem goldenen Namenszug und der Königskrone geschmückt.
Und mit weißen Atlaskissen ist auch der kleine Sessel von vergoldetem Bambus bedeckt, auf welchem Prinzessin Ingeborg soeben Platz genommen hat, um sich frisieren zu lassen.
Die Kammerfrau hat das Spitzengeriesel eines Frisiermantels um die zarten, noch so mädchenhaften Schultern der Fürstin gelegt und öffnet soeben mit geschickten Händen die langflutende Pracht lichtblonden Haares, das dem rosigen Antlitz der Prinzessin einen so sonderbaren Reiz verleiht.
Auf dem Eck des nahen Diwans hat die Hofdame, Gräfin Frieda von Herdern, Platz genommen. Ihr rundes, rotes, kleines Vollmondgesicht ist durchaus nicht hübsch, aber es hat einen sehr gewinnenden, liebenswürdigen Ausdruck, freundlich und aufrichtig blickende Augen und Lippen, welchen man gern glaubt, was sie sagen.
Die Königin-Mutter hat einmal lächelnd gesagt: »Komtesse Frieda wird nie eine Mördergrube aus ihrem Herzen machen können, es steht jede Empfindung und jeder Gedanken so klar in ihren Zügen geschrieben, dass sie gar kein Wort zu sprechen braucht, – man liest es ihr bereits von der Stirn!« –
Und dies war Tatsache.
Als Gräfin Frieda soeben – die Hände lässig Um das Knie geschlungen, das Spiegelbild der Kronprinzessin anschaute, prägte sich ein solch ehrliches, begeistertes Entzücken in dem gutmütigen Gesicht aus, dass Ingeborg hell auflachte und das Köpfchen nach ihr umwandte.
»Wissen Sie, liebe Frieda, wie Sie eben aussehn? Genau wie der kleine Bauernjunge, welcher heute Morgen im Park am Nymphenbrunnen stand und wie gebannt dem Spiel der Melusine mit den Wassern zuschaute! Ich hätte gern gewusst, was der kleine Kerl in jenem Augenblick dachte – nun, da Sie mich plötzlich genau so anstarren, wie er jene – erfahre ich vielleicht jenes Geheimnis ihrer beider Seelen!«
Die Hofdame hielt dem neckischen Seitenblick unverändert stand.
»Bezweifeln Königliche Hoheit, dass auch ein Bauernjunge einmal geistreiche Betrachtungen anstellen kann?«
Die Fürstin lachte. »Gewiss! Viel eher das, als dass Gräfin Frieda einmal nicht geistreich sein könnte!«
»Ich bedanke mich für dies gnädige Zutrauen. Geistreich und wahr pflegt meistens Hand in Hand zu gehen, wenn es impulsiv ist. Der Bauernjunge stand gebannt vor einer bis dahin nie gekannten Schönheit, – ich tue desgleichen. Der Junge sann darüber nach: Wie kann solch ein kleiner Kopf eine so große Wasserschaale tragen, und ich überlege eben – welche Last muss dieses köstliche Haar für solch zierliches Haupt sein.«
»Ist das eine Schmeichelei?«
»Nein, nur die Wahrheit, welche man zu hören verlangte. Freiwillig hätte ich sie nicht ausgesprochen, denn leider hängt allen Höflingen der Verdacht des Schmeichelns an, wie der gelbe Staub den Weidenkätzchen!«
»Die Wahrheit! – Sie haben recht, liebe Frieda. In der ganzen Residenz, wenigstens in unserer Hofgesellschaft, kenne ich keine zweite Dame, welche sich eines solch üppigen Haarwuchses erfreut wie ich. Sie sahen mein Haar tatsächlich noch nicht zuvor, wenigstens nicht in solch günstigem Augenblick wie soeben, wo es im Sonnenlicht besonders golden glänzt. Also wahr ist Ihre Bemerkung, aber nicht gerade geistreich. Ich halte mich nicht für hervorragend erleuchtet, aber wenn ich an Ihrer und des Bauernjungen Stelle gestanden, hätte ich doch noch etwas tiefer grübelt, wie ihr beide!«
»Ich bitte, von Euerer Königlichen Hoheit lernen zu dürfen!«
Das lachende, kindliche Gesicht der hohen Frau sah plötzlich ernst und nachdenklich in den Spiegel.
»Nicht so! – Belehren Sie mich lieber, ob solche Gedanken ketzerischer Natur sind! So oft ich mich in dem Spiegel sehe, frage ich mich: ›Was ist eigentlich Schönheit?‹ – Halten Sie die seichte Antwort ›Geschmackssache‹ für richtig?«
»Nein, höchstens als Folgerung! Die richtigste Antwort ist wohl diejenige: Schönheit, welche nicht erworben, nicht anerzogen, sondern nur angeboren sein kann, ist eines der herrlichsten Gnadengeschenke Gottes.«
»Diesen Gedanken hatte ich auch, aber ich verwarf ihn, weil er mir zu unlogisch erschien. – Alles, was von Gott kommt, ist zu irgend etwas nütze auf der Welt, – aber was nützt und frommt dem Menschen die Schönheit?«
»Sie erfreut! erhebt! idealisiert!«
»In ganz vereinzelten Fällen. Meistens ist sie ein Danaergeschenk, welches seinen Besitzer eitel, stolz, habgierig, oberflächlich und herrschsüchtig macht. Die schönsten Menschen sind nicht immer die besten.«
»Gewiss nicht! Aber was gäbe es in der Welt, das so göttlich wäre, um nicht zum Fallstrick für die Tugend zu werden? Jede Gottesgabe kann missbraucht und entwertet werden! Ein Künstler kann durch sein Talent ein Fluch für die ganze Menschheit werden! Ein schlechtes Buch kann das Ergebnis eines eminenten Talentes sein und nützt doch nicht, sondern schadet der Sache Gottes in weitgehendster Weise!«
Prinzessin Ingeborg drehte nachdenklich den goldenen Reifen an ihrem schlanken Handgelenk.
»Die Kunst! Talente! Sie berühren da ein ganz anderes Gebiet als das der passiven Schönheit eines Menschen, liebe Herdern! Eine Gottesgabe, durch welche man etwas leisten und schaffen kann, wie der Künstler es tut, nützt stets, so schlagend auch der Gegenbeweis ist, welchen Sie eben lieferten. Ein schlechtes Buch kann immer noch sehr verschieden wirken, – nicht nur verderblich, sondern oftmals auch als ein Spiegel, in welchem die Sünde erschreckt ihre eigenen Züge erkennt! Und wenn dies leider auch recht selten der Fall ist – die Abschreckungstheorie gleicht meist den öffentlichen Hinrichtungen, welche den Blutdurst reizen und oft erst die schlummernde Bestie im Menschen wecken! – so kann doch solch ein übles Buch oft ein Prüfstein in Gottes Hand werden, dem gegenüber wahre Tugend und Reinheit auf die Probe gestellt, dennoch ihren edeln Sieg feiert! – Jedes, auch das schlechteste Werk, welches durch Menschengeist oder Menschenhand geschaffen wird, ist niemals nutzlos – aber die Schönheit! Was bedeutet die kurze Freude, welche sie durch ihren Anblick einem Neidlosen schafft, gegen die tausend wilden Flammen der Leidenschaft, welche sie schürt?« –
»Es kommt ganz darauf an, wo die Rose der Schönheit blüht!« – Die Gräfin lächelte und blickte nach dem Spiegelbild der Prinzessin, um welches die Sonne einen wahren Glorienschein wob. »In erster Linie dächte ich, müsste es einen Menschen, welcher ein Engelsantlitz im Glas schaut, wie Eure Königliche Hoheit, durch solch einen Anblick unbeschreiblich erfreuen und gegen den Schöpfer solchen Kunstwerkes andächtig und dankbar stimmen. Eine Seele aber, welche froh, glücklich und dankbar ist, wird auch gut und tugendhaft sein, und durch solch leuchtendes Beispiel auch alle andern veredeln, welche mit ihr in Berührung kommen!«
Eine heiße Blutwelle schoss jählings in das holde Antlitz der Fürstin. Sie schlug einen Augenblick die Wimpern nieder und um ihre Lippen zuckte es seltsam: »Holen Sie mir verschiedene Hüte zur Auswahl, meine gute Frau Brabant!« sagte sie in ihrer heitern Weise zu der Kammerfrau, welche sich zur Seite neigte, das zierlich frisierte Köpfchen prüfend zu mustern. – »Ich wähle dann die Toilette nach dem Hut!«
Die Genannte verneigte sich stumm und verließ in lautloser Eile das Gemach, Prinzessin Ingeborg aber wandte sich jählings zu Fräulein von Herdern um und sah sie mit den großen, veilchenblauen Augen halb belustigt, halb herausfordernd an.
»Falsch, sehr falsch philosophiert!« lachte sie leise auf, »nicht einmal das bringt die Schönheit zuwege, wenn sie mich schön nennen wollen! – Ich bin gewiss eine frohe, Gott dankbare und gern zur Andacht gestimmte Person, und doch lauert mir im Herzen eine kleine Schlange, welche fraglos das letzte, böseste Stücklein am Lasterring der Schönheit bildet! – Ja, sehen Sie mich nur so ungläubig an! Ich werde in diesem Augenblick – vielleicht als einzige Tugend! – wahr sein! Wollen Sie wissen, was Schönheit ist? Brennender Ehrgeiz! Ein unstillbares Verlangen nach Triumph, jenes undefinierbare Etwas, welches auch in der Brust des Künstlers wohnt und ihn von einer Konkurrenz in die andere treibt, bis dahin, wo es heißt: va banque!«
Gräfin Herdern hob jäh die Hand. »Eure Königliche Hoheit haben doch nie und nimmer eine Konkurrenz zu fürchten!«
Prinzessin Ingeborg schlug wie in heftiger Anklage die Hände zusammen und schüttelte das reizende Haupt. »Nein! das habe ich nicht – und das – das ist ja eben das Grässliche, Langweilige, Nervenmordende an meiner unglückseligen Schönheit!«
Die Hofdame sah die Sprecherin mit einem Ausdruck derart hilfloser Überraschung an, dass die junge Fürstin hell auflachte.
»Hören Sie die Beichte einer schönen Seele, liebste Frieda, und wundern Sie sich nicht allzusehr über die exzentrische Laune einer modernen Frau! Ich langweile mich! – Ja, ja, fallen Sie nur in Ohnmacht! ich langweile mich! und warum? Weil ich schön bin, fraglos und anerkannterweise die Schönste im Lande! Und nirgends ein Spieglein an der Wand, welches mir als erlösendes Wort zuflüstert:
Aber Schneewittchen auf den Bergen, Bei den sieben Zwergen, Ist noch viel tausendmal schöner wie Ihr!
Ach, dass ich wüsste, wo ich solch ein Schneewittchen auftreiben könnte! – Zwei Jahre bin ich nun schon verheiratet, – unsagbar glücklich verheiratet. Zwei Winter tanzte ich hier auf den Hofbällen. Es ist eine unbegreifliche, aber effektive Tatsache, dass ein großer Mangel an schönen Damen in der Hofgesellschaft herrscht. – Über die Mittelmäßigkeit ragt nichts hervor, und wenn ich in ihrem Kreis erscheine, fallen mir ohne jedweden Kampf die Palmen des Sieges zu! – Ist das nicht zum verzweifeln langweilig? Anfänglich wusste ich nicht so recht, was mir eigentlich bei jedem Fest und jedem Vergnügen fehlte, – jetzt, nach längerem Sinnen, ward es mir klar! – die Konkurrenz! Der Nerven und Geist auffrischende Wettbewerb um die Kritik! – Sie lachen? O glauben Sie mir, es ist mein bitterster Ernst! – Fragen Sie jeden Künstler – was macht erst seinen vollen Erfolg aus? – Der Sieg über einen Rivalen! Unbestrittener Lorbeer ist ein duftloser Kranz, denn nur die Bitterkeit des Errungenwerdens gibt ihm sein berauschendes Aroma!«
»So streben Königliche Hoheit eine Schönheitskonkurrenz an?« – Gräfin Herdern lächelte nicht mehr so ungläubig wie zuvor, es lag im Gegenteil wie ein atemloses Interesse in ihren Worten und ihrer Miene!
Prinzessin Ingeborg zupfte die goldenen Haarlöckchen noch duftiger um die weiße Stirn.
»So ist’s, mein Feldherr!« nickte sie voll graziösen Humors, »ich sehne mich wie eine unverbesserliche Spielerin nach einer Hasardpartnerin! Wenn ein Doppelgestirn am Himmel strahlt, wird es noch einmal so hell wie zuvor! Denken Sie sich, welch ein glühender Eifer mich beseelen würde, jene Nebensonne zu überstrahlen. ›Wie wird sie heute Abend aussehn? In welcher originellen Toilette will sie mich ausstechen? Wen wird man schöner finden, sie oder mich?‹ – Ist das nicht ein lustiger Krieg, welcher auf Amors Schlachtfeld toben würde? Mein Mann liebt, vergöttert mich, er betet mich an, weil keine andere da ist, welche sein Interesse, seinen Schönheitssinn fesselt! – Seine Verehrung erfreut mich, aber ich nehme sie als etwas Selbstverständliches hin, weil der Reiz fehlt, sie entbehren zu müssen! Steht aber eine andere, vielleicht noch sieghaftere Schönheit neben mir – und ich lese in seinen Augen, dass ich es dennoch bin, welche ihn entzückt, so ist mein Glück und Stolz erst auf dem Höhepunkt angelangt!«
»Und Königliche Hoheit fürchten keine Gefahr in diesem Spiel mit dem Feuer?«
»Nein, dazu bin ich zu eitel. – Sie sehen, liebe Frieda, welch ein nagender Wurm die Schönheit ist, sie nährt sich von den Wurzeln des Blümleins Bescheidenheit! – Am besten wäre es, meine Konkurrentin wäre in allen Dingen das gerade Gegenteil von mir, – sie tief brünett, – ich blond, – sie imposant, – ich zart, – sie voll sinnlicher Glut, – ich voll mädchenhafter Zurückhaltung – und dann die große, stürmische Kritik des Publikums, in dessen Blicken es zu lesen ist wie in dem Spieglein an der Wand, wer die Schönste im Lande ist!«
Die Sprecherin unterbrach sich und blickte Frau Brabant entgegen, welche, gefolgt von einer Zofe, wieder über die Schwelle trat und mehrere Hüte der jungen Fürstin präsentierte.
»Das sonnige Frühlingswetter bedingt eine sehr duftige Toilette, Königliche Hoheit!« – sagte sie mit einer so wichtigen Miene, als handle es sich um eine Staatsaktion. »Darf ich gehorsamst bitten, dieses rosa Arrangement zu prüfen!« Sie hob mit geschickten Händen ein »Stilleben« von rosigen Malven und zart schattierten, wallenden Straußfedern, welche sich über einen breiten Rand von mit Flitter betupfter Seide wiegten, und drückte das duftige Kunstwerk auf das Köpfchen der hohen Gebieterin.
»Entzückend! Geradezu wunderbar! Dazu die Toilette von dem gleichfarbigen Chinéstoff – und jedes Bild in der Gemäldeausstellung muss gegen diese Wirklichkeit verbleichen! Befehlen Königliche Hoheit nun diese Fliederfarbe noch zu probieren, oder jenes Hopfengrün …«
»Nein, nein! es ist gut, beste Brabant! bleiben wir bei dem rosa!« wehrte Prinzess Ingeborg zum Staunen der Kammerfrau plötzlich sehr gleichgültig ab. »Der Wagen wird gleich vorfahren, wir müssen uns beeilen!« Und sich mit schnellem Blick zu Gräfin Herdern wendend, lächelte sie achselzuckend: »Jetzt hat es ja noch gar keinen Reiz zu prüfen und zu wählen! denn – ›in Bildersälen ganz allein – da ist’s gar leicht, die Schönste sein!‹ – Aber ich hoffe, es kommt noch einmal die Zeit, wo die Toilettenfrage auch für mich wieder eine brennende wird!«
Nach kurzer Zeit stand die Kronprinzessin, zur Ausfahrt bereit, in dem Ankleidezimmer und die hohen Spiegel warfen ihr so überaus anmutiges Bild zurück.
Wie der verkörperte Frühling schwebte sie über den weiß-goldenen Smyrnateppich und Gräfin Herdern knöpfte mechanisch die langen Schwedenhandschuhe zu und dachte im Herzen: »wahrlich, es wird schwerhalten, für so viel Schönheit eine Rivalin zu finden – und eine Gefahr kann und wird diese niemals für die hohe Frau sein!«
Kronprinz Georg hatte nebst seiner hohen Gemahlin seinen Besuch in der Gemäldeausstellung schon verschiedentlich hinausschieben müssen, da stets unvorhergesehene und dringliche Angelegenheiten seine Zeit in Anspruch nahmen.
Heute endlich hielt die Equipage vor dem hohen Portal des Nationalmuseums, in welchem die Werke moderner, ausstellender Künstler untergebracht waren, und umjubelt von dem schnell angesammelten Publikum stieg die reizendste aller Prinzessinnen am Arm ihres Gemahls, geleitet von den beiden Direktoren des Museums, die breite Freitreppe empor.
Gräfin Herdern und der Flügeladjutant, sowie ein diensttuender Kammerherr folgten.
Die Kronprinzessin war eine große Liebhaberin schöner Gemälde, und so schweifte schon jetzt ihr Blick voll Interesse durch den Kuppelbau der Vorhalle, die bekannten Fresken darin mit dem Blick zu umfassen.
Währenddessen richtete sie in ihrer so gewinnend anmutigen Weise das Wort an den neben ihr schreitenden Direktor.
»Ich habe mit viel Freude gehört, dass die Ausstellung in diesem Frühjahr besonders reich beschickt worden ist! Es sollen mehrere ganz hervorragende Arbeiten unter den Bildern sein, man nannte mir vor allen: ›Herbstzeitlosen‹ von E. v. H., einer jungen, sehr talentierten Straßburger Malerin, – dann die ›Mühle mit Wehr‹ und einen Studienkopf von Manfred Hoff, – letzterer soll besonders viel besprochen werden?«
Der Direktor verneigte sich: »Allerdings scheint Manfred Hoff, ein bisher noch unbekannter Anfänger, den Vogel abzuschießen, was die Gunst und das Interesse des großen Publikums anbetrifft! Der ›Studienkopf‹ ist fraglos eine tüchtige Arbeit, tadellos im Kolorit und ein Meisterstückchen, was die Beleuchtung anbetrifft, aber – um ganz ehrlich zu sein – der Erfolg würde trotzdem nicht ein derartig großer sein, wenn er nicht durch die Schönheit des Modells auf das wesentlichste unterstützt würde!«
»Schönheit des Modells? – gehört der ›Studienkopf‹ einer Dame an?« – Die Prinzessin sah plötzlich sehr lebhaft zu dem Sprecher empor und schien seine Antwort voll sichtlicher Spannung zu erwarten.
»Man sagt, der junge Maler habe eine nahe Anverwandte auf die Leinewand gezaubert, eine Dame, welche eine ganz hervorragende Schönheit sein muss, wenn der Künstler nicht sehr idealisiert hat!«
»Ach! eine Schönheit, welche einem großen Publikum einstimmig gefällt? Die dürfte unter die weißen Raben gezählt werden!« – – Prinzessin Ingeborgs veilchenblaue Augen blitzten plötzlich auf. »Ich gestehe, dass ich auf den Anblick dieses Bildes besonders neugierig bin! Bitte führen Sie uns zuerst zu Manfred Hoffs gefährlicher Schönheit!«
Der Direktor verneigte sich mit sehr vielsagendem Lächeln: »Die dürfte wie ein Schatten vor der Sonne vergehen, wenn der gemalten Schönheit die lebendige gegenübertritt. Königliche Hoheit! Ich bitte, mich einen Augenblick zu beurlauben, um die Menschenmenge, welche sich meist vor diesem Bilde staut, ein wenig in Fluss zu bringen! Es war der direkte Befehl Seiner Königlichen Hoheit, die Säle während des Besuchs der höchsten Herrschaften nicht abzusperren!«
»Ich weiß! – Halt, verehrtester Herr Professor, bleiben Sie! Ich bin überzeugt, dass wir genug Raum zum sehen finden, und möchte die Zuschauer durchaus nicht zur Eile treiben! Rechts im Lichtsaal? – Gut! Gehen wir den direkten Weg!«
Die hohe Frau sprach sehr heiter und sichtlich angeregt, sie wandte sich zur Gräfin Herdern zurück und rief ihr mit bedeutungsvollem Blick zu: »Wir werden jetzt das Bild einer Dame sehen, welche der ganzen Residenz den Kopf verdreht! Eine Schönheit, die mich ganz besonders interessieren wird!«
»In der Tat? Welch schnelle Erfüllung eines Wunsches!« erwiderte die Hofdame überrascht und sah dabei aus, als ob sie jeden, auch den geheimsten Gedanken ihrer Gebieterin in diesem Augenblick erriete.
Tatsächlich drängte sich das Publikum vor dem Bild des unbekannten Malers, und als das Erscheinen des kronprinzlichen Paares bekannt wurde, wich man in freudigster Erregung voll Ehrfurcht zur Seite, ohne jedoch den Saal zu verlassen. Ja, es schien beinahe, als ob sich eine ganz besondere Lebhaftigkeit der Zuschauer bemächtigte.
Ein entzücktes Tuscheln und Raunen, welches der bezaubernden Erscheinung der hohen Frau galt, und dann ein gedämpftes Flüstern, eifriges Debattieren und ein Beobachten und sichtliches Vergleichen, welches trotz seiner diskreten Art doch wohl bemerkt werden konnte.
»Ach! sie ist brünett!« sagte Prinzessin Ingeborg mit tiefem Aufatmen im Flüsterton zu Gräfin Herdern, welche an ihre Seite getreten war, dann hob sie mit einem Blick höchsten Staunens die juwelengeschmückte Lorgnette und rief ganz begeistert: »O sieh doch, Georg! wie wunderbar schön!«
Der Kronprinz trat einen Schritt zur Seite um noch besseres Licht zu gewinnen und nickte nachdenklich vor sich hin: »In der Tat ein überraschend schönes Gesicht, allerdings scheint es sehr idealisiert, und der Effekt wird durch die Beleuchtung sehr erhöht!«
»Severa. Studienkopf.«
»Stellt es eine geschichtliche oder romanhafte Szene dar? Ist es eine Kostümstudie?«
»Führt uns der Maler in die alte Zeit zurück?« –
»Gewiss nicht! Nur poetische Auffassung!«
»In der Tat frappant!«
»Man wird an eine schöne Märtyrerin oder einen Sklavin aus Hermann des Cheruskers Zeit erinnert!«
Einen Augenblick herrschte Schweigen.
Man schaute, in tiefes Sinnen verloren, auf das seltsame Bild. – Eine alte feuchtgraue Mauer, an welcher ein junges Weib, bis zu den Knien sichtbar, lehnt. Ein Arm ist hinter den Kopf geschoben und das lange, wilde, blauschwarze Haar flutet, ihn halb verdeckend, darüber hin. Seitlich, in einem verrosteten Eisenring an der Mauer, steckt eine blutrot flackernde Pechfackel, welche ihr unruhiges Licht über Gesicht und Brust der geheimnisvollen Severa sprüht.
Geheimnisvoll! – Mit großen, nachtdunkeln, weit offenen Augen sieht sie dem Beschauer gerade in das Gesicht! Welch ein Blick! Er durchzuckt wie Feuer, und dennoch fröstelt es einen dabei. Was liegt darin? –
Eine düstere, leidenschaftliche Frage? Ein unbändiger Stolz, welcher lieber Banden und Kerker wie einen ungeliebten Gatten wählt? – Religiöser Fanatismus, der lieber voll wilden Entzückens den Leib auf die Folter legt, ehe er den verächtlichen Göttern der Heiden huldigt?
Severa!
Ja, sie ist schön, unbegreiflich schön, sie ist die verkörperte Schönheit, von welcher Prinzessin Ingeborg träumerisch gefragt hat: »Was bist du? Ein Engel oder ein Teufel? – Wo stammst du her? Aus dem Himmel oder der Hölle?«
Die Herren beginnen mit gedämpften Worten zu flüstern und zu debattieren, der Blick der Kronprinzessin aber huscht unbemerkt zu dem seitlich stehenden Publikum und sieht es – deutlich und unverkennbar – man zieht Vergleiche zwischen ihrer blonden, liebreizenden und sonnigen Schönheit und dem Zauber jenes glutäugigen Weibes!
Aber die Blicke, welche sie treffen, strahlen in solch aufrichtiger Bewunderung, und es sind ihrer mehr und immer mehr, welche sich von dem Bild abwenden und auf ihrem rosigen Antlitz weilen. Da flammt es heißer und heißer in ihre Wangen empor. Ein nie gekanntes Gefühl steigt wie leises Dämmern in ihr auf, – der selige Triumph, noch schöner zu sein, wie die Schönste!
Und dies Entzücken spiegelt sich in dem warmen, seelenvollen Blick, welcher nun auch in heimlichem Forschen das Auge des Gatten sucht.
Ganz vertieft steht der Kronprinz in den Anblick der wundersamen Severa.
Man sieht es ihm an, wie auch ihn die Macht dieser Glutaugen ergreift, – plötzlich aber wendet er sich, um an das Weitergehen zu mahnen.
Sein Blick trifft das Antlitz seiner liebreizenden jungen Frau.
Welch ein Gegensatz zwischen ihr und diesem fackelüberloderten Antlitz!
Ingeborg sieht den jähen Blick, welcher scharf prüfend zwischen Bild und Leben hin und her zuckt, – dann aber haftet er, aufleuchtend in unbeschreiblicher Zärtlichkeit auf dem goldblonden Köpfchen, welches mit beinah’ schelmischen Lippen zu ihm auflächelt.
»Gehen wir weiter!« sagt er, nimmt den Arm seiner Gemahlin und drückt ihn unbemerkt fest und fester an sich!
O welch ein wonnevoller Triumph!
Noch nie im Leben hat sie ein solch kleiner Beweis seiner Liebe so beglückt wie in diesem Augenblick. Und die Freude verklärt ihr holdes Gesicht und macht es noch anmutiger wie zuvor.
Sie lächelt und grüßt nach allen Seiten und der Enthusiasmus des Publikums ist stürmischer wie je.
Wieder sitzt Prinzessin Ingeborg in dem Ankleidezimmer vor dem Spiegel und wartet, bis sich Frau Brabant mit Hut und Schirm entfernt hat.
Dann wendet sie sich hastig zu Gräfin Herdern um. »Sie mussten mich hierher begleiten, liebe Frieda!« flüsterte sie erregt. »Denn ich wollte Sie noch allein sprechen! Was sagen Sie zu dem Schneewittchen, welches wir entdeckt haben?«
Die Hofdame küsst voll ehrlichen Entzückens die kleine weiche Hand, welche sich ihr entgegenstreckt.
»Ich sage, dass sie lange, lange nicht schöner ist, wie unsere allerherrlichste Königin!«
»Das dürfte Geschmackssache sein! – Ihr Bild haben wir gefunden, nun heißt es, das Original zur Stelle schaffen!«
»Das Original … zur Stelle …?« Mit großen Augen starrte die Hofdame die Sprecherin an. »Ich verstehe nicht, Königliche Hoheit!«
»Kapricen müssen stets erläutert werden! Darum lassen Sie sich’s sagen und bleiben Sie Ihrer Sinne Meister! Die geheimnisvolle Severa soll meine Nebensonne bei Hofe werden!«
»Königliche Hoheit!! Wir ahnen ja nicht, wer sie ist!«
Die Prinzessin lachte wie ein glückseliges Kind.
»Sie ist in wenig Wochen eine landbekannte Schönheit, ebenso wie ich. Die gleichen Bedingungen zu dem Wettkampf sind also gegeben! Und wie die Rivalin heißt? Das wollen wir bald erfahren! Der erste Würfel soll noch heut durch Ihre Hand fallen! Also Sie setzen sich sofort hin, liebe Herdern und schreiben einen Brief an den Maler Manfred Hoff. Folgenden Inhalts. Ihre Königliche Hoheit, die Frau Kronprinzessin sind entzückt von dem herrlichen Gemälde, welches Sie ausgestellt haben. Hochdieselbe lässt Ihnen Ihre vollste Anerkennung ausdrücken und gleichzeitig um die genau Adresse Ihres Modells bitten, welches Ihrer Königlichen Hoheit sehr sympathisch aufgefallen ist! – Schluss. – Nun, was sagen Sie zu dieser allerneusten Marotte?«
Wie in hilfloser Bestürzung schaute die Hofdame in das übermütige Gesichtchen der jungen Frau. Wie beschwörend hob sie die Hände.
»Ich sage und hoffe, dass meine allergnädigste Herrin nur im Scherz gesprochen haben!«
»Durchaus nicht, – ich war nie so ernsthaft entschlossen wie in diesem Augenblick!«
»Königliche Hoheit ahnen ja gar nicht, was solch ein außergewöhnlicher Schritt heraufbeschwören kann! Wer sagt uns, dass jene glutäugige Severa ein Wesen ist, welches ein derartig huldvolles Interesse verdient?«
»Aber, beste Herdern – Sie sehen am hellen Tag Gespenster. ›Ob ich dich liebe oder mich für dich interessiere, was geht’s dich an?‹ sage auch ich mit dem Dichter. Ihr Brief verpflichtet zu nichts. Erfahren wir die Adresse, so werden wir uns ganz unter der Hand nach der schönen Severa erkundigen. Ist sie nicht ladylike – nun, so sinkt der Vorhang tiefen Schweigens über unsere Pläne, ist sie aber ein Wesen, welches verdient emporgehoben zu werden, so steht uns nichts im Wege, sie zu meiner Nebensonne zu machen!«
»Was verstehen Euere Königliche Hoheit darunter? soll jene Unbekannte tatsächlich in die Hofgesellschaft lanciert werden?«
»Wenn uns ihre Persönlichkeit Erfolg garantiert, gewiss!«
Gräfin Frieda Herdern presste einen Augenblick die Lippen wie in schwerer Sorge zusammen. Dann hob sie den Blick und bat mit sehr weicher, herzlicher Stimme: »Darf ich in diesem Augenblick einmal ganz ehrlich und aufrichtig sein?«
»Das hoffe und verlange ich stets von Ihnen!«
»Ich bemerkte, dass sowohl das Publikum, wie auch Seine Königliche Hoheit der Kronprinz, vor dem ›Studienkopf‹ Vergleiche zwischen meiner allergnädigsten Herrin und jener Fremden zogen. Das Resultat war ein Triumph für erstere. Auch Eure Königliche Hoheit beobachteten dies, und der Erfolg hat wohl fraglos den außergewöhnlichen Plan, Fräulein Severa in unsere Kreise zu ziehen, gezeitigt. Nun aber halte ich es für meine Pflicht, auf eine Tatsache aufmerksam zu machen. Dem Leben gegenüber verliert jedes Bild. – Wenn aber jene faszinierenden Augen des ›Studienkopfes‹ in Wahrheit neben denen Euerer Königlichen Hoheit blitzen, wenn vielleicht viel Raffinement und Koketterie die gefährliche Schönheit jenes eigenartigen Weibes unterstützen, gestaltet sich der Erfolg ganz anders, und wer weiß, wie viel schmerzliche Schatten, ja wie viel düsteres Unheil er auf das sonnige Glück meiner teuren Fürstin wirft!«
Prinzessin Ingeborg lachte hell auf. »Fürchten Sie für meines Gatten Herz? – glauben Sie, die Qualen der Eifersucht würden das meine zerfleischen? O wie schlecht kennen Sie meinen tadellosen, tugendhaften Georg, wie wenig das feste Fundament unseres Glücks! Und Fräulein Severa die Palme des Sieges missgönnen? Niemals! Ich kenne keinen Neid und kann mich auch über die Erfolge anderer freuen, selbst wenn diese eine Niederlage für mich bedeuten! – Der Reiz des schönen Wettkampfes bleibt trotz allem! und ob so oder so – ich löse die brennende Frage über das wahre Wesen der Schönheit auf jeden Fall! Warum mir diese harmlose Freude missgönnen? Als Sie neulich abends ›Gelb rollt mir zu Füßen‹ sangen und Seine Majestät Ihnen Beifall klatschte und sagte: ›So schön habe ich dieses Lied kaum von der Hermine Spieß gehört!‹ da strahlte Ihr Gesicht auch vor Freude über diesen Sieg über eine Meisterin, – und mir wollen Sie es missgönnen, auch einmal über eine berühmte Schönheit zu siegen? Ich habe ja leider keine Talente, welche sich an denen anderer messen könnten, mir ward nur ein wenig nutzlose, zwecklose Schönheit – was Wunder, wenn ich auch aus diesem Körnlein eine Blüte der Freude ziehen möchte! – Also unbesorgt. – Schreiben Sie sofort und lassen Sie mich umgehend die Antwort des neuentdeckten Raffaels hören!«
Gräfin Herdern seufzte tief auf und küsste die kleine Hand der Prinzessin, welche die ihre sehr herzlich drückte.
»Tu l’as voulu George!« versuchte sie zu scherzen, – »die Wünsche Euerer Königlichen Hoheit sind ja Befehl für mich.«
In einer kleinen Provinzialstadt, nahe der Residenz, lag ein einfaches Landhäuschen vor dem Tor.
Im Erdgeschoss wohnte der Besitzer, ein betagter Rentier mit seiner kränklichen Frau, die erste Etage hatte die verwitwete Regierungsrätin Hoff mit ihren Kindern, einer erwachsenen Tochter und drei minderjährigen Söhnen, inne. Da die Vermögensverhältnisse äußerst bescheiden waren, lebte die Familie sehr still und zurückgezogen, kaum dass Severa eine Teegesellschaft oder einen Ball besuchen konnte, denn für nichts mochte keine Familie mit Töchtern das schöne Mädchen einladen und Neid und Missgunst bemühten sich eher, sie überall fern zu halten, anstatt sie zu fataler Konkurrenz heranzuziehn.
Der Flieder stand in Blüte, berauschende Duftwogen stiegen aus dem Garten zu dem einsamen Erker empor, in welchem Severa Hoff mit einem tiefen, ungeduldigen Seufzer die feine Stickarbeit aus der Hand legte.
Es war zu dämmerig geworden, um den Goldfaden noch durch die weiße Seide zu ziehn, und das junge Mädchen schaute einen Augenblick mit gefurchter Stirn auf die kostbare Stickerei nieder, welche sie für eines der ersten Konfektionshäuser der Residenz auf Bestellung arbeitete.
In den dunklen Augen glühte es heiß und leidenschaftlich auf und die weißen Zähne schnitten scharf in die Lippe, als müsse ein immer wieder aufquellender Groll gewaltsam verbissen werden. Welch eine funkelnde Pracht von Gold und Pailletten entstand unter ihren rastlos fleißigen Händen! Für wen?
Welch ein beneidenswertes, glückbegünstigtes Geschöpf wird sich zu bevorstehendem Gartenfest, wie es in der dringlichen Bestellung hieß, damit schmücken?
Vielleicht ist sie hässlich, töricht, langweilig, in nichts das, was ein Männerherz entzückt, aber sie ist reich! und der Reichtum ist eine Macht, welche selbst den Geschmack und das Herz der eleganten Herren beherrscht!
Ein bitteres Lächeln glitt über das schöne Antlitz der Sinnenden.
Mechanisch hob sie den schweren Seidenstoff, trat vor den Spiegel und ließ die letzten Strahlen des Abendrots über das Bild, welches sie darin sah, gleiten.
Ja, wenn sie dieses Kleid besitzen könnte! wenn sie reich, vornehm, elegant wäre! Welch eine Trägerin würde sie solch flimmernder Pracht sein!
Ist ihr stolzes, klassisch schönes Haupt nicht dazu geboren, eine Krone zu tragen? Schauen nicht ihre Augen wie in heißem Hunger nach Glück und Genuss in die Welt?
Armes Aschenbrödel!
Mit leidenschaftlichem Ruck warf sie die Stickerei wieder auf den Nähtisch zurück und schlug in qualvoller Erregung die Hände vor das Gesicht. Wehe ihr mit diesem ewig ungestillten Sehnen und Verlangen in der Brust! – Wehe ihr mit dem Antlitz, welches wie eine Sonne in die Welt strahlen könnte und doch zeitlebens verurteilt sein wird im Schatten der Armut und des Entbehrens zu verkümmern!
Für immer?
Mit jäher, energischer Bewegung warf Severa beinah trotzig das schöne Haupt zurück.
Nein! Tausendmal nein!
Sie will um jeden Preis aus diesen engen, kleinen, kümmerlichen Verhältnissen heraus! Koste es was es wolle!
Zur Bühne! wie ein Traum voll Glanz und Märchenherrlichkeit hat sie dieser Gedanke stets umgaukelt, er ist ihr fieberisches Sehnen gewesen, so lange sie den Begriff ihrer Armut und Vergessenheit fassen lernte! – Wäre es nach ihr gegangen – sie säße jetzt nicht hier und arbeitete sich für andere eitle, vergnügungssüchtige Weiber ab!
Aber die Mutter!
Welche verzweifelten Kämpfe hatte es schon gekostet sie ihren Wünschen geneigt zu machen! Umsonst. Die Regierungsrätin war eine starre, strenge Frau, mit allen Herzens- und Verstandsfasern in den Vorurteilen lang vergessener Zeiten wurzelnd. Ihr Kind eine Komödiantin? – nie! Und will Severa es erzwingen, so hat sie keine Mutter mehr! Wer weiß, was trotzdem unbezwingliches Verlangen und trotzige Leidenschaft nicht alles vermocht hätten, wenn, – ja, wenn nicht plötzlich alles so ganz, ganz anders gekommen wäre!
Welch ein Wechsel und Wandel seit jenem Augenblick, wo Manfred Hoff, der Neffe ihres Vaters, zuerst das einsam stille Häuschen der Mutter betreten!
Welch ein erstes, stolzes Triumphieren, als der junge Mann wie gebannt in ihr Antlitz starrte und dann tief aufatmend sagte: »O, Severa! Schaumgeborene! Dich zu schauen ist eine Gunst der Götter und dich zu malen das Glück, welches mich armen Gesellen wie mit Adlerschwingen zum Parnass tragen könnte!«
Er sprach’s zuerst im Scherz, aber dann ward es ihm heiliger Ernst mit dem Malen!
Welch selige Stunden!
Severa machte eine große, überraschende Entdeckung, sie hatte ein Herz in der Brust!
Ihre Brüder hatten oft gespottet und sie die »Marmorbraut« genannt, wenn jede Huldigung der Prima voll kühlen Stolzes abgelehnt wurde, wenn sich die jungen Kaufleute, Freiwilligen und hie und da auch ein Referendar oder Leutnant die Augen nach ihrem Fenster ausguckten, ohne dass die spröde Schöne auch nur das Haupt von der Arbeit hob.
Warum auch?
Sie waren alle arm, alle keine derartige Partie, wie sie Severa in ihren ehrgeizigen, anspruchsvollen Träumen sah. Ja, eine Marmorbraut, welche kalt und ungerührt nur eine große, kluge Rechentabelle anstatt eines Herzens in der Brust trug.
Und wo blieben all die hoffärtigen Pläne?
Wie ein süßes, seliges Lächeln ging es plötzlich über das Antlitz des schönen Mädchens.
Manfred war arm, vielleicht der Ärmsten einer, und dennoch hatte sie sich ihm für Leben und Sterben angelobt.
Wie das gekommen war? – O, wenn man sein edles, herrliches Antlitz sah, verklärt in heiligem Entzücken, in einem beinahe überirdischen Enthusiasmus für seine Kunst, wenn man in diese klaren, tiefen Augen sah, welche kein Falsch kannten, wenn man seine Worte hörte, die so edel, so tugendhaft und ernst von den Idealen sprachen, die seines Lebens Zweck und Ziel bedeuteten, dann musste man ihn lieb haben und überzeugt sein, dass keines Weibes Glück in sichereren Händen ruhen könne, als wie in den seinen.
Wie ein Rausch, wie ein Taumel süßer, innigster Leidenschaft überkam es Severa.
Eine erste Liebe, so mächtig, so blendend und zaubergewaltig, dass aller Stolz, Ehrgeiz und Verlangen vor ihr dahinschmolzen, wie Schatten an der Sonne. Severa begriff sich selber nicht, – aber in jener Wonnestunde, als er ihre Hände fasste und ihr seine Liebe bekannte, lauter und ernst wie ein Glaubensbekenntnis, da gelobte sie sich ihm an und war glücklich wie nie zuvor im Leben.
Ein armer, mittel- und titelloser Mann!
Wahrlich? – Bei aller Liebe zuckte Severas Herz doch bei diesem Gedanken schmerzlich auf, und sie verschlang die Hände vor der Brust und es klang wie eine schier trotzige Überzeugung: nein! nicht arm, nicht unbekannt! er wird ein berühmter Maler werden und viel, viel Geld verdienen – und dann bin ich eine viel beneidete Frau, die doch noch eine große Rolle in der Welt spielen wird!
Und just, als ob ihre leidenschaftlichen Gedanken sein Schicksal beeinflussten, so kam der erste große, unbegreiflich herrliche Erfolg mit seinem Bild: »Ein Studienkopf«.
Wie berauscht vor Freude kam Manfred aus der Residenz in das kleine Städtchen und erzählte mit strahlenden Augen von seinem Glück, von den Porträtbestellungen, welche mehr und mehr bei ihm einliefen, sodass er sich schon nach einem anständigen Atelier habe umsehen müssen!
Und heimlich zog er die Geliebte an die Brust und flüsterte mit stockendem Herzschlag: »Nun ein paar große Honorare – und dann teilen wir deiner Mutter unsern Herzensbund mit und werden so schnell wie möglich Mann und Weib!«
»Ja, sobald wie möglich!« nickte Severa mit blitzendem Blick. »Ach, wie sehne ich mich danach, aus diesen engen, prosaischen Verhältnissen herauszukommen und an deinem Flug zur Sonne teilzunehmen!«
Ja, bald! nur bald!
Auch jetzt rang sich’s wie ein ungeduldiger Seufzer von ihren Lippen.
Das strahlende Lächeln, welches einen Augenblick ihr Antlitz verklärte, verlor sich in desto tieferen Schatten. Wieder streifte ihr Blick die kostbare Stickerei.
Manfred hat Erfolg und Bestellungen, er wird den Unterhalt für sein Haus verdienen, und wenn sie viel Glück haben, werden sie im günstigsten Fall sorgenlos leben können, vielleicht einmal eine Reise machen und in das Theater gehen – aber ein Leben so voll Pracht und Glanz, dass sie eine Stickerei wie diese – Toiletten für Hunderte von Mark tragen kann – ob er jemals so viel verdient? Wenn er gesund bleibt! – Mit den Jahren! – Dann, wenn sie alt geworden und ihre Schönheit zu welken beginnt, wenn der volle, stürmische Genuss der Jugend fehlt!
Ach, dass doch kein Glück vollkommen sein kann! Je nun! sie muss sich bescheiden.
Sie liebt ihn ja – und ein Herz und eine Hütte – und ein stilles Fleckchen, wo sie alle hochfliegenden Pläne zu Grabe legen kann.
Severa wirft mechanisch ein weißes Tuch über die Arbeit und wendet sich zur Türe, um noch ein wenig frische Luft in dem Garten zu schöpfen. Sie liebt es so sehr, dieses elegante Nichtstun! ebenso sehr, wie sie das sauere Arbeiten für fremde Leute hasst!
Und wie sie in den dämmrig stillen, blütenduftigen Wegen des Gartens hin und her schreitet, folgen ihr die Gedanken wie ein zudringlicher Mückenschwarm, und wieder und wieder grübelt sie über dem hässlichen Rätsel: Warum lebt ein so unbezwingliches Sehnen nach einem goldenen, gleißenden Dasein voll Glanz und Pracht in ihrem Herzen, wenn das grausame Geschick es nicht stillen wollte?
Horch … ein eiliger Schritt auf dem Kiesweg.
So schreiten ihre Brüder nicht, so stürmt nur ein einziger seinem Glück entgegen.
»Manfred!«
Just will er die Steintreppe zur Haustüre emporspringen, als er ihren leisen Jubelruf hört.
Er wendet sich, eilt ihr entgegen und reicht ihr beide Hände dar.
»Kannst du mich für eine Stunde brauchen?« flüsterte er mit jauchzendem Klang in der Stimme. »O, süßes Lieb, ich bringe eine berauschend schöne Nachricht!«
»Ist dein Bild verkauft?« Sie fragt es atemlos, nimmt seinen Arm und schreitet an seiner Seite in das bergende Blütengebüsch hinein.
Er antwortet nicht sogleich, er steht unter den duftenden Fliederdolden, presst sie stürmisch an die Brust und bedeckt ihr Antlitz mit Küssen.
»Aber Liebster – wenn man uns sieht!« wehrt sie erschrocken, und doch fluten die Schauer süßen Glücks durch ihre Brust und lassen sie alles vergessen, was sie eben noch so missmutig stimmte.
»Lass unser Geheimnis sehen, wer es will!« ruft er so übermütig und keck wie sie ihn noch nie zuvor gesehn. »Nun soll und darf es ja offenbar werden, nun soll es die Welt wissen, dass du mein bist, und soll mich beneiden als den glückseligsten Mann im Deutschen Reich!«
»Was um alles ist geschehen, Manfred? Mach mich nicht neugierig! sprich!«
Er macht ein sehr geheimnisvolles Gesicht, zieht feierlich einen Brief aus der Brusttasche und hält ihn auf den Rücken.
»Rate von wem?« scherzt er leuchtenden Auges.
»Aber, Manfred! welch ein Verlangen!!«
Da lacht er abermals, küsst sie aufs neue und zieht sie neben sich auf die kleine Holzbank unter dem Flieder und Goldregen nieder.
»Nun sieh einmal diesen Stempel an!« sagte er feierlich.
Sie beugt sich neugierig vor und hält das große, steif kuvertierte Schreiben in das Licht.
»Ein Doppelwappen unter einer Königskrone?« sagt sie erstaunt und dann buchstabiert sie nicht ohne Mühe in dem Dämmerlicht: »Korrespondenz Ihrer Königlichen Hoheit der Kronprinzessin!«
Ein leiser Ausruf höchster Überraschung.
»Manfred! ein Brief vom Hofe? – hat man dort dein Bild gekauft?«
Wieder lacht der schlanke, blonde Mann und streicht launig den kleinen Schnurrbart.
»Nun gut! so sollst du diese Neuigkeit zuerst wissen! Ja, der Kronprinz hat das Bild zur Geburtstagsüberraschung für seine Gemahlin angekauft, und einen sehr generösen und fürstlichen Preis dafür gezahlt! – Nun, Herzliebste, was sagst du zu dieser Jubelpost?«
Severa atmet hoch auf. Ihr Blick umfasst voll stolzen Entzückens das Antlitz ihres Verlobten, nie ist er ihr so schön, so liebenswert vorgekommen wie in diesem Augenblick, nie zuvor hat ihr Herz in solch reiner, himmelaufjauchzender Liebe geschlagen wie soeben.
Zum ersten Mal im Leben denkt sie nicht in erster Linie an sich, sondern an ihn, an seinen Erfolg, an seine Auszeichnung, an sein Verdienst! Und die Selbstlosigkeit dieses Gefühls ist ihr so neu und erfüllt sie mit einer solch fremden, überwältigenden Glückseligkeit, dass sie in stummem Jubel die Arme um ihn schlingt und ihn küsst, – so heiß, so leidenschaftlich, wie nur eine Severa empfinden kann!
Es ist, als ob das große, wahre Glück, das einer edlen und selbstlosen Liebe in diesem Augenblick an ihre Seite getreten wäre, ihr süß und dringlich in das Ohr zu flüstern: »Hier bin ich! Halte mich fest, wenn dein Dasein Wert und Inhalt haben soll! Einmal nur kreuze ich im Leben den Weg der Irdischen, wohl dem, welcher mich erkennt und echtes Gold dem Flitterglanz weltlicher Lockung vorzieht!«
Severa ist es, als ob sie die leise Stimme hörte, traumhaft und verschwommen.
Aber sie hat es nie in ehrlicher Selbstzucht gelernt, auf die zarten Mahnungen ihres Gewissens zu achten, sie genießt auch jetzt die schöne Weihe dieses Augenblicks in achtloser Flüchtigkeit.
»Lass dir gratulieren, Manfred! Tausendmal Glück wünschen zu dem großen, wohlverdienten Erfolg, welcher mir eine Triumphpforte für unsere Zukunft deucht! Dein Bild ist herrlich! ein Meisterwerk! Es ist eine Garantie für eine glänzende Karriere!«
Im Übermaß des Glückes zieht er sie ans Herz. Noch nie hat sie ihm ihre Liebe so rückhaltlos gezeigt wie heute, noch nie brannte ihr stolzer, kühler Mund so heiß wie in dieser Stunde!
»Und wem danke ich diesen Erfolg, du Herrlichste?« fährt er erregt fort. »Dir! dir und deiner Schönheit allein, und das will ich dir sofort beweisen! Kannst du diesen Brief noch entziffern? oder soll ich meine elektrische Taschenlampe zu Hilfe nehmen? Aber lesen musst du ihn – und zwar auf der Stelle, denn er enthält die zweite, große Überraschung, welche speziell dir gilt!«
»Mir?«
Mit zweifelndem Blick schaut sie zu ihm auf, dann erhebt sie sich und tritt unter den Wüschen hervor auf den freien Kiesweg, wo das letzte Tageslicht noch leuchtet.
»Weg mit der Lampe! ich kann noch ganz gut sehn!« sagt sie hastig und entfaltet mit einer ihrer kurzen, energischen Bewegungen das steife Papier mit der goldenen Königskrone!
Einen Augenblick haftet ihr Blick auf dieser.
Eine Krone! – Wie schön!
Und wäre es auch nur eine neun- oder siebenpunktige – sie würde bezaubernd sein!
O glücklich, beneidenswert die Menschen, welche ein Krönlein tragen, welche sich solche Briefbogen anfertigen lassen können!
Sie wird nie so glücklich sein. – Severa Hoff! nichts mehr und nichts weniger, und wenn Manfred noch so berühmt wird!
Wieder fliegt der schnelle Schatten über ihre Stirne, sie neigt sich und liest.
Plötzlich werden ihre Augen groß und starr – sie liest ein-, zweimal – als könne sie den Sinn dieser Worte gar nicht fassen … ihre Hand hält das duftende Papier fester, als fürchte sie, es könne wie Lug und Trug unter ihren Fingern zerrinnen.
»Manfred!«
Wie ein leiser, halberstickter Aufschrei ringt es sich von ihren Lippen.
Er ist aufgesprungen, neben sie getreten, er legt den Arm um sie und weidet sich an ihrer sprachlosen Überraschung.
»Hast du dir das träumen lassen?« lacht er, und seine weißen Zähne blinken durch den Schnurrbart.
Dunkle Blutwellen ergießen sich über Severas Antlitz.
»Und dies ist kein Scherz … dies ist wahr und wahrhaftig ein Brief der Hofdame?« stammelt sie, kaum der Worte mächtig.
»Wahr und wahrhaftig ein echter Brief!« amüsiert er sich, greift nach dem Schreiben und will es wieder an sich nehmen, das schöne Mädchen aber wehrt ihm mit einer leidenschaftlichen Bewegung.
»Lass ihn mir! ich bitte dich darum! – und nun komm! setz dich wieder zu mir, – sag, was du der Gräfin geantwortet hast?«
Er führt sie zu der Bank zurück und nimmt an ihrer Seite Platz.
»Was ich geantwortet habe? Diese Staatsaktion steht mir noch bevor!« scherzt er und fasst ihre Hände, welche vor Aufregung beben: »Und aus diesem Grunde kam ich so überraschend und am späten Abend noch hierher gesaust! – Vor allen Dingen muss ich dich doch fragen, wie meine Antwort lauten soll! Willst du dein Inkognito aufgeben, soll ich der Hofdame wirklich deinen Namen nennen, oder ist es dir ein peinlicher Gedanke?«
»Peinlicher Gedanke? Inwiefern das? nicht im mindesten!« ruft sie beinah heftig, »ich bin selig über dies Interesse, ich würde kein höheres Glück kennen, als es mir vollends zu gewinnen!«
»Du glaubst, dass dieser Brief noch Folgen haben kann? Ehrlich gestanden, halte ich es auch nicht für unmöglich, dass du vielleicht einmal zu der Kronprinzessin befohlen würdest! Aber es würde mir sehr schmerzlich sein, wenn du dir falsche Hoffnungen machtest, denn die hohen Herrschaften sind viel beansprucht, – sie haben morgen vergessen, was sie heute interessiert!«
»Das hoffe ich nicht! Das wäre eine Grausamkeit des Schicksals, welche unerhört wäre!« rief Severa beinah ungestüm. »Nein, nein! ich weiß, ich fühle es, dieser Brief greift in mein Leben ein, er bildet den Wendepunkt, welchen ich so heiß ersehnte …«
»Aber Kind! du bebst ja wie im Fieber!« lacht er noch immer voll harmloser Freude, »welch einen Wendepunkt soll er noch bringen? Unser Glück hat Gottes Gnade uns ja jetzt gesichert! Wir können heiraten! Ist das nicht die Erfüllung all unsrer sehnlichsten Wünsche?«
Es ist zu dämmrig unter den Zweigen, er sieht nicht den seltsamen Ausdruck ihres Gesichts, dieses begehrliche, unbefriedigte Glühen in den schwarzen Augen.
»Das wohl! – gewiss!« sagt sie flüchtig. »Aber zu dem Leben, dem schönen, reichen Leben gehört doch mehr wie Liebe und das tägliche Brot!«
»Mir genügt es!« sagt er weich, »habe ich dies beides, beneide ich keinen König!«
Sie machte eine ungeduldige Bewegung.
»Schäm dich! nur Lumpe sind bescheiden! Das solltest du doch wissen!«
»Ja, ich weiß und kenne dies so vielfach missverstandene und übel gedeutete Dichterwort und bleibe darum um so fester bei der Ansicht, dass Bescheidenheit und nur Bescheidenheit die Grundlage zu jedem wahren und friedlichen Glück bildet!«
»Auch für einen Künstler?«
»Für den in erster Linie! Du kennst meine strenge Moral und weißt, welche hohe Anforderungen ich gerade an die Künstler stelle! Sich selbst gegenüber, mit dem Maßstab, wie er sein künstlerisches Schaffen, Können und seine idealen Ziele misst, kann er nie unbescheiden genug sein, sondern muss die höchsten Anforderungen an seinen Fleiß und sein redliches Streben stellen. Aber was seine Ansprüche an das Leben betrifft, muss er desto genügsamer und bescheidener sein! – Jedwedes Talent ist eine göttliche Inspiration, – der Künstler wird dadurch hoch über den Durschnittsmensch erhoben und soll in jeder Beziehung sein belehrendes und erziehendes Vorbild werden. Gebraucht er seine Gaben recht, und verwertet er sie nach Gottes Willen, so müssen sie ganz notwendigerweise auch seine eigene Persönlichkeit veredeln und sich in seinen Werken, seinem Leben und Handeln ausdrücken!«
Severa zerpflückte mit nervösen Fingern die Fliederdolde, welche er ihr gereicht.
»Die Vorliebe für Pracht und Luxus ist doch wohl nur eine Art Schönheitssinn, welche unmöglich strafbar oder unrecht sein kann!«
»Für Menschen, welchen Gott die überreichen Mittel gab, Kunst und Schönheit zu pflegen, gewiss nicht, aber für solche, welche sie nicht besitzen, aber in wilder, ruheloser Jagd danach haschen, um lediglich eine Begier und Wohlleben und Üppigkeit zu befriedigen – für solche ist eine derartige Vorliebe das größte Unglück!«
Severa lachte etwas ungläubig. »Unglück?! inwiefern?«
Er sah sehr ernst aus. Sein ehrliches, treues Gesicht schimmerte wunderbar licht in den ersten Strahlen des aufgehenden Mondes.
»Wer unbescheiden ist, wird ewig unzufrieden sein, und wer mit seinem Schicksal hadert, wer immer höher und höher hinaus will, der raubt sich das beste und einzige, was für uns arme Menschen in diesem Erdenleben das notwendigste ist – den Frieden! Die Jagd nach dem Glück gibt ihn nicht, in den Palästen wohnt er nicht, Ruhm und Ehre kennen ihn nicht. – Nur tief drinnen in dem stillen, Gott ergebenen Herzen, da hat er sich seinen Tempel gebaut.« – Voll großer, herzlicher Innigkeit fasste Manfred die Hände seiner schönen Braut und zog sie an die Brust: »Ob ich dir jemals einen Nibelungenhort zu Füßen legen kann, mein süßes Lieb, ob ich deine Schönheit jemals mit Brillanten und Perlen zu schmücken vermag, ich glaube es nicht, und ehrlich gestanden, ich hoffe es auch nicht! Selbst wenn ich ein reicher Mann würde, ginge es durchaus gegen meine Grundsätze, dem Luxus zu frönen, alles, was wir entbehren können, gehört den Armen. Also ein Glück nach dem Sinn der leichtfertigen Welt kann ich dir niemals bieten, aber den Frieden und all die stille Glückseligkeit, welche mit ihm Hand in Hand geht, die soll dir an meinem Herzen erblühen, das gelobe ich dir mit heiligem Wort! – Wird das nicht eine Ehe werden, um welche uns die Engel im Himmel beneiden?«
Wieder klang seine Stimme in dem leisen Jubel, welcher sie schon den ganzen Nachmittag durchbebte, er küsste die schwellenden Lippen und bemerkte es nicht, wie kühl sie geworden waren.
»So würdest du es nicht billigen, wenn ich zu der Kronprinzessin befohlen würde?« fragte sie gedehnt.
Er lachte. »Nicht billigen? Im Gegenteil, ich würde mich von Herzen darüber freuen, mehr noch, als wenn solche Auszeichnung mir widerführe! Ich weiß nur nicht recht, warum du solch eine an und für sich sehr harmlose Huld als ›Wendepunkt‹ deines Lebens bezeichnen willst!«
Severa lehnte das Haupt wie müde gegen seine Schulter zurück. Einen Augenblick starrte sie mit gefurchter Stirn geradeaus.
»Ich würde sie insofern als Wendepunkt betrachten, als sie mir eine neue Welt erschließt, in welcher ich viel für dich und deine Karriere wirken könnte!« sagte sie ausweichend. »Auch zu dem täglichen Brot braucht man Einnahmen und wen man bei Hofe protegiert, dem fehlt es nicht an Aufträgen!«
»Und dies alles willst du in fünf Minuten, bei einer einzigen Audienz bewerkstelligen?« amüsierte er sich, ebenso harmlos wie zuvor.
Sie nagte an der Lippe. »Hältst du es für unmöglich, dass sich die Kronprinzessin dauernd für mich interessiert?«
»Unmöglich nicht! Aber solch ein Interesse kann nur sehr ›par distance‹ sein. Ein Verkehr bei Hofe ist doch um unseres schlichten Namens willen ausgeschlossen!«
Er bemerkte nicht, wie sie zusammenzuckte, wie ihre Brust sich stürmisch hob und senkte.
»Bitte, antworte noch heute Abend! umgehend! – und teile der Gräfin meine genaue Adresse mit! Hörst du? Bitte schalte den Satz ein, dass das Interesse der Kronprinzessin mich doppelt hoch beglückt hätte, weil ich zu den schwärmerischsten Verehrerinnen ihrer idealen Schönheit zählte!«
»Sieh, sieh, du kleine Diplomatin! Wenn du dieses Geständnis deiner schönen Seele für vorteilhaft hältst, will ich deinen Wunsch erfüllen, obwohl ich ein abgesagter Feind von Schmeicheleien! bin!«
»Es ist keine Schmeichelei, sondern die Wahrheit!«
»Um so besser! Und nun komm, du mein süßes, wonniges Lieb, und lass uns zu deiner Mutter gehn! Ich möchte sie von all dem, was unsere Herzen so sehr bewegt, unterrichten, und diesen günstigen Augenblick benutzen, um mir ihr Kind zum Weibe zu erbitten!«
Er erhob sich, bog ihr Haupt zurück und sah ihr tief in die Augen.
»Komm!« bat er.
Severa aber hielt ihn mit fester Hand zurück.
»Du willst offiziell um mich anhalten?«
»Ja, Severa! Ich möchte der Kronprinzessin mitteilen, dass der schöne Studienkopf meiner Braut angehört! Ich möchte mein Glück, welches ich so schwer verheimlichen konnte, nun als schönsten und herrlichsten Erfolg in alle Welt jubeln!«
»Liebster – –«
»Nun? – zögerst du?«
»Unterlass es heute noch! Aus zwei Gründen!«
»Und die wären?«
Seine Stimme klang sehr enttäuscht, mechanisch setzte er sich nieder.
»Mama ist sehr schlechter Laune heute! Die Buben haben nicht gut gelernt … Du weißt, sie ist dann ungenießbar!«
»Um so mehr ist ihr Freude und Zerstreuung zu gönnen. Ich weiß, dass sie mich lieb gewonnen hat, und mich gewiss gern als Sohn in die Arme schließt! Also den Grund entkräfte ich! Und Nummer zwei?«
»Wenn du mich der Kronprinzessin als Braut vorstellst, wird es aussehn, als wolltest du dich dadurch in den Vordergrund des Interesses schieben!«
Er lachte hell auf.
»O du holde Unschuld! Nichts ernüchtert das Publikum mehr, als wie von der Verlobung eines Künstlers zu erfahren!«
»Gut, so unterlass es aus diesem Grunde!«
»Aber Severa – sehnst du dich denn nicht auch danach, den goldenen Ring mit Fug und Recht zu tragen?«
Sie schmiegte sich kosend an ihn.
»Nein! Du gehörst mir, auch ohne Klatsch und Aufregung in der Stadt! – Lass mich erst mein neues Straßenkostüm fertig schneidern, damit ich an deiner Seite bestehen kann – –«
Ein lauter Ausbruch der Heiterkeit unterbrach sie.
»Also darum! – O, Eva, wie ähneln dir doch all deine Töchter!! Also die neue Toilette! Gut, diesem Wunsche füge ich mich: du liebes, eitles, großes Kind! Obwohl du wissen solltest, dass du keines Putzes bedarfst, um die Schönste von allen zu sein! Wie aber soll ich bei Mutter meinen überraschenden Besuch motivieren?«
Sie schlang die Arme um seinen Nacken.
»Gar nicht! Du sollst ungesehn, wie du kamst, sofort in die Residenz zurückkehren und den Antwortbrief an die Prinzessin schreiben!«
»So grausam kannst du gegen mich sein?«
»Ja! so grausam! Bis an die Gartenpforte begleite ich dich und sowie das Kleid fertig ist, schreibe ich dir einen Eilbrief!«
»Gut, ich bin gehorsam, – wer weiß ob ich es wäre, wenn nicht daheim so viel Arbeit auf mich wartete! Also Gott befohlen, du liebes, liebes Lieb! Ob offiziell oder nicht – mein eigen bist du doch!«
Ein letztes Grüßen und Winken noch durch die Gartenpforte, dann verschwand seine hohe Gestalt in dem Dämmerlicht der Allee, durch deren frisch grünes Laub der Mondenschein wie ein zarter Nebel fiel.
Severa aber wanderte ruhelos durch die einsamen Gartenwege; hinter ihrer Stirn jagten sich die Gedanken wie in Fieberhitze. Die seltsamsten Pläne tauchten aus, wurden fantastisch ausgesponnen und wieder verworfen.
Eine Audienz bei der Kronprinzessin! – Welch eine berauschende Hoffnung! Hat Severa erst den Fuß auf diese erste Sprosse einer Leiter gesetzt, welche empor führt, so wird sie Klugheit und Energie genug besitzen, sich auch weiter hinauf zu schwingen, hoch und höher – bis zu dem schwindelnden Gipfel alles Glücks.
Und Manfred?
Das schöne Mädchen kraust die Stirn. Wie ein schriller Misston klingen ihr seine Worte noch in den Ohren: »Pracht, Wohlleben, Perlen und Brillanten kann und will ich dir niemals geben, – aber den Frieden sollst du an meinem Herzen finden!«
Ein leises, spottendes Auflachen. Den begehrt sie nicht!
Wie ein feiner Riss geht es durch ihr Inneres und der Engel, welcher soeben noch neben ihr stand und flüsterte: »Ich bin das Glück! Halte mich fest!« – der weicht mit traurigem Blick weiter und weiter von ihr zurück, nur von ferne noch hebt er warnend die Hand.
Wie langsam vergingen die nächsten Tage!
Severa deuchte es, dass die Stunden noch nie derart geschlichen waren als wie jetzt, wo sie voll nervöser Unruhe dem Briefboten entgegenschaute, sehnsüchtiger eine Nachricht von der Kronprinzessin erwartend, als je zuvor einen der seelenvollen Liebesbriefe ihres heimlich Verlobten. Die Regierungsrätin schalt die flüchtige, unachtsame Tochter, welche all ihre Obliegenheiten nur halb verrichtete, und so nachlässig im Haushalt waltete, wie noch nie im Leben.
Severa hatte sich nie für häusliche Arbeiten interessiert, sie empfand es wie eine Schmach und unerträgliche Last, die Hände rühren zu müssen, um durch ihren Fleiß manche Ausgabe zu ersparen. Wenn sie zurückdachte an die Zeit, wo der Vater noch lebte und ein, seiner Stellung entsprechendes Haus machte, wo alles noch elegant, üppig und behaglich war und noch nicht mit jedem Heller geknausert werden musste wie jetzt, dann ward das Gefühl der Bitterkeit immer stärker in ihrem Herzen, und sie grollte dem Schicksal, welches sie zu dem schrecklichsten Loos, welches ihrer Ansicht nach einem Menschen widerfahren konnte, zu der Armut, verurteilt hatte. Wenn die strenge, gewissenhafte Mutter über die hässlichen Launen der Tochter schalt, so antwortete Severa voll Ironie: »Ich habe kein Talent zum Aschenbrödel! Mein Fuß ist so klein und zierlich, dass er in jeden Glaspantoffel eines Königsohns passen würde!«
»Es kommt nur keiner!« antwortete die Regierungsrätin achselzuckend.
»Wie sollte er auch! Mein einziges Licht, welches ich leuchten lassen könnte, meine Schönheit, wird ja derart unter den Scheffel gestellt, dass kein Mensch seine Existenz ahnt!«
»Ich besitze leider kein Postament, um diese Leuchte darauf zu setzen! Welch ein Segen wäre es, wenn die Natur dich weniger günstig an äußerlichen Vorzügen bedacht, und dir dafür die demütige, tatkräftige Bescheidenheit hässlicher Mädchen verliehen hätte! Dir ist die Schönheit kein Nutzen, sondern viel eher ein Schaden, denn zum Glück gehört kein Reichtum, sondern vor allen Dingen Zufriedenheit!«
Immer dieselbe Leier!
Und genau wie die Mutter, fing nun auch Manfred schon an und pries in sentimentaler Schwärmerei das Idyll von Herz und Hütte!
Severa warf wie in leidenschaftlichem Trotz das schöne Haupt in den Nacken.
Ist es ihre Schuld, dass die Natur ihr den stolzen Widerwillen gegen ein Bettelleben im Joch der Arbeit ins Herz gelegt?
Sie ist nicht zur sparsamen, anspruchslosen Hausfrau geschaffen, die nur mal am Sonntag die verarbeiteten Hände in Glacé zwängt, und mit Mann und Kind vor das Tor spazieren geht!
Glacéhandschuhe! Du liebe Zeit, – Manfred findet vielleicht einen Zwirnhandschuh elegant genug für sie und gibt den Mehrbetrag den Armen!
Severa schüttelt sich vor Abscheu bei diesem Gedanken.
Ein ärmliche Wirtschaft ist ihr ein Greuel!