Die Roggenmuhme - Nataly von Eschstruth - E-Book

Die Roggenmuhme E-Book

Nataly von Eschstruth

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Beschreibung

Laurit Stormy, Leutnant der Reserve, glaubt im Kornfeld der legendenumwobenen Roggenmuhme zu begegnen: "Da vor ihm steigt es plötzlich aus glänzenden Ähren empor, das wundervolle Spukgebilde! Eine schlanke, weißgekleidetet Gestalt. Ein süßes liebreizendes Antlitz, das ihn aus großen Blauaugen fast erschrocken anstarrt!" Es ist aber Hanna, die mit ihrem Onkel, dem Kommerzienrat Cattenstedt, und Tante samt Chauffeur mit dem Automobil auf einem Feldweg stecken geblieben ist. Bis der Wagen repariert ist und sie weiterfahren können, verbringen sie heitere, unbeschwerte Tage auf dem nahegelegenen Schloss und kommen sich langsam näher ...-

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Nataly von Eschstruth

Die Roggenmuhme

Humoristischer Roman

11. und 12. Tausend

Saga

Die Roggenmuhme

German

© 1910 Nataly von Eschstruth

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711472873

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

I.

Die Fenster in dem kleinen Dorfwirtshaus standen weit offen, und dennoch brütete eine so unerträgliche Hitze in dem niedrigen, kleinen Raum, dass der behäbige Wirt sein abgeschabtes Lederkäppchen längst von dem grauen Haar gezogen und an den Nagel neben die Tür gehängt hattte! —

Alle guten Geister, war das eine Hitze!

Fliegen, zahllos wie die Sterne am Himmel, schwirrten um die Öllampen, welche, seit langem nicht geputzt, von den niederen Deckenbalken herabbaumelten, — surrten über den blank gescheuerten Tischen, an deren einem die schwarze Lene, der Wirtin Töchterlein, rank, schlank und lang wie der Tag vor Johanni, eine Schüssel voll Kirschen entkernte.

Obwohl Lene weder die Schönste, noch Reichste im Dorfe genannt werden konnte, war sie doch in diesem Augenblick fraglos mehr umschwärmt als das dollarschwerste Milliardärstöchterlein, aber anstatt sich dieser Tatsache zu freuen und es ihren Verehrern hoch anzurechnen, dass sie mehr ein bescheidenes Verlangen nach Kirsch- wie nach Edelsteinen trugen, schlug sie unwirsch mit dem Küchenmesser in den dicksten Haufen hinein und räsonierte: „Elende Viehcher; fallt man immer ’rinn in’n Pott und kocht mit; rausfischen tu ich euch schon lang nicht wieder!“ — und dann strich sie mit der safttriefenden Hand über das erhitzte Gesicht und stöhnte: „Wenn doch man endlich ein Gewitter käm’, Vater!“

Matthies Pries machte eine melancholische Handbewegung: „Dass mir der Roggen zusammengeschlagen wird und ein Hochwasser gar Haus und Hof wegputzt? — Gott bewahre uns. Die Sonne geht klar und rot unter, da behalten wir noch die Hitze. Setz dich unter die Holunder draussen, dann hast du’s bald kühler!“

„Da ist kein Platz für mich!“ grollte Lene. „Hast ja schon den Tisch für die Herrnleut hingestellt!“

„Bis die kommen, hat’s noch eine Weile Zeit!“

„Oder grad nicht! Ich hör schon des Försters Waldmann! Die bissige Kröte spricht mal wieder unsern Phylax an!“

Der Wirt war hastig über die Schwelle getreten und schaute voll erwachenden Interesses die stille Dorfstrasse hinab.

Richtig, da blitzt schon der Gewehrlauf des Herrn Oberförsters über dem Lattenzaun der Wegbiegung auf, noch ein paar Schritte und die hohe, stramme Gestalt im sommerlichen grünen Leinenkittel und dem Strohhut mit den Fuchszahntroddeln schreitet dem behaglich kühlen Plätzchen unter den Holunder-, Flieder- und Jasminbüschen des Wirtsgartens entgegen. Aber er kommt heute nicht allein.

An seiner Seite taucht eine zweite Gestalt auf, schlank, elegant, im hellen, städtischen Zivil. — Die blauen Augen blicken ernst, beinahe etwas melancholisch, der Blick schweift umher, wie bei dem vielbesungenen Wanderer, welcher vom Gebirge herkommt und vergeblich nach dem Glück sucht.

Der Oberförster hat Matthis Pries erblickt und nickt ihm jovial zu: „Heute bin ich um eine ‚Piep Tobak‘ früher zur Stelle, Alterchen, und zweierlei bring ich noch mit, einen heidenmässigen Durst und hier unseren jungen Gutsherrn, dem es zu einsam in dem grossen Haus ist, seit die gnädige Frau Mutter ins Bad gereist ist.“

Der Wirt hat einen devoten Kratzfuss gemacht und dankt hocherfreut für die hohe Ehre des Besuchs, Laurit Stormy aber reicht ihm sehr freundlich die Hand und sagt, während sein Blick das niedere, weissgetünchte Häuschen unter dem tiefhängenden Strohdach mustert: „Es soll sich abends sehr gemütlich hier im Garten sitzen, Pries. Der Herr Oberförster erzählte mir, dass sich noch mehr Herren einstellen?“

Vater Matthis sah noch geschmeichelter aus. „Und ob, gnädiger Herr! — Da kommt immer noch der Schullehrer, ein sehr gescheiter Mann, der anno siebzig dabei war und auch sonst viel seltsames Zeug aus seinen Büchern zu erzählen weiss, und der alte Stur Böderson, der ehemals als Kapitän mit der „Anka Marianne“ in allen Wassern gefahren hat und bei einem vollen Glas gern sein Garn spinnt! Na, und dann der Herr Oberförster, die Herren Forsteleven und der junge Volontär vom Gutshof —“

„Schon gut, schon gut!“ — Herr Stormy lüftete den Hut und trat tief aufatmend in den Schatten des Gartens, dessen grüngestrichenes Tor der Wirt im Vorausschreiten geöffnet hatte: „Das ist ja eine sehr angenehme Gesellschaft, und eine frischere Abendbrise weht soeben auch von der See herauf, — da wird es sich gewiss recht gut sitzen, bis der Vollmond zum Heimweg leuchtet!“ —

Der Oberförster hing sein Gewehr an einen grossen verrosteten Nagel der Laube, an dem sich bei vorgerückter Abendzeit noch eine Laterne zu schaukeln pflegte, kommandierte seine beiden Dachshunde unter den Tisch und schob dem jungen Gutsbesitzer einen Stuhl hin.

„Nehmen Sie Platz, Herr Leutnant! — Es ist alles sehr primitiv hier bis auf die Getränke, die sind kühl, frisch und gut; das haben wir dem alten Sünder hier mit der Zeit angewöhnt!“ Der Wirt lachte, und Laurit Stormy setzte sich nieder. „Leutnant!“ wiederholte er mit einem etwas wehmütigen Lächeln. „Sie erinnern mich durch diesen Titel an eine schönere Zeit, mein lieber Oberförster! In der Regel nennt man uns Reserveoffiziere sehr selten so, und doch ist man mit dem einen Jahr in Königs Rock oft inniger verwachsen, als wie mit der langen Zeit der Lehr- und Wanderjahre eines Landwirts!“

„Sie wären lieber in dem bunten Tuch stecken geblieben, gnädiger Herr!“

„Fraglos!“

„Und warum taten Sie es nicht?“ Der Oberförster entwickelte einen riesigen Tabaksbeutel aus der Jagdtasche und begann die Pfeife zu stopfen. Laurit Stormy zuckte resigniert die Achseln. „Ich ward zum Landwirt bestimmt, noch ehe mein Onkel Baron v. Helmsdorf hier starb und mich als seinen Paten und Sohn der einzigen Schwester zum Universalerben machte!“

„Soweit ein ganz nettes Pöstchen!“ nickte der greise Nimrod und pinkte eifrig an seinem Feuerstein, den er aus Pietät immer noch mal den Schwefelhölzchen vorzog, wenn er Zeit dazu hatte. „Aber hätte sich das denn nicht mit der Offizierskarriere vereinen lassen?“

„Ganz gewiss! genau so gut wie bei vielen anderen! Aber der gute Onkel war ein Sonderling und setzte seinen besonderen Stolz darein, dass ich das Gut selber praktisch bewirtschaften solle, damit es auf der Höhe und der Familie erhalten bleibe! Er hielt nicht viel von Inspektorenregimes, wenn die Herren weit vom Schuss sind!“

„Sehr richtig! — kann man ihm nachfühlen!“ nickte der Oberförster, und da sich der Wirt, der respektvoll wartend noch zur Seite stand, leise mahnend räusperte, legte er die Pfeife momentan aus der Hand und klopfte den verstreuten Tabak vom Knie.

„Ja so! Vater Pries hat Angst, dass wir verdursten! Ist auch höchste Zeit! Was befehlen Sie denn, Herr Leutnant? Gleich das kalte Bier hinter die Krawatte giessen, wo wir eben ein ganzes Stück Wegs in der Hitze marschiert sind? Das taugt nichts. Ich habe alle Finessen dieses weltfremden Lunaparks schon ausprobiert und bitte, versuchshalber in meine Fusstapfen zu treten! Zuerst mal einen ‚kleinen Mampe halb und halb mit Karlchen‘ — und dann den edlen Gerstensaft frisch vom Füsschen!“

Laurit Störmy lächelte. „Lunapark!! Gott erbarme sich! Man sieht, dass Sie Zeitung lesen, Herr Oberförster! Aber das Gemisch von ‚Mampe und Karlchen‘ deucht mir sehr angemessen, — ich schliesse mich Ihnen an. Also zweimal, Pries!

Die Sonne war nun hinter der blau wogenden Unendlichkeit des Meeresspiegels verschwunden und taubengraue Schatten stiegen über der Küste auf, hie und da noch durchflammt von purpurgesäumten, schwefelgelben Lichtern, welche der scheidende Tag gleich grüssenden Wimpeln der Freundin Nacht entgegen wehen liess! — Dann sank die Dämmerung tief und tiefer über das weltferne Küstendörfchen und eine wonnig frische Luft strich von den Wassern herüber und erquickte die Kreatur, welche die glühenden Sonnenstrahlen tagsüber matt und siech gebrannt. —

In der Dorfstrasse ward es lebendig, — jenes leise, fast scheu pulsierende Leben, das dem Atemzug des schlafendes Kindes gleicht, gegen das fieberische, leidenschaftstolle Erwachen der Grossstadt nach bleierner Tageshitze.

In Helmsdorf öffneten sich leise die Haustüren; kaum, dass ein Hund fröhlich anschlagend einen Nachbar grüsste; die Fischerfrauen und Grossmütter traten mit wohligem Aufatmen über die Schwelle, setzten sich schweigsam auf der grün gestrichenen Bank vor dem Haus oder in der Bohnenlaube des bescheidenen Gärtchens nieder und falteten die arbeitsmüden Hände im Schoss.

Die Gatten und Väter steckten die kurzen Tonpfeifen in Brand und wechselten aller halben Stunden mit schiefgezogenem Mund ein inhaltsschweres Wort, während das junge Volk in langen Reihen die mondbeglänzte Strasse auf und nieder wandelte, erst schweigsam feierlich, dann heimlich kichernd und raunend, bis endlich der Bann gebrochen war und eine helle Mädchenstimme zu singen anhub. Alte, traute Fischerweisen, ernst und oft gar schwermütig:

„Es sitzet die Mutter am Strand allein,

Die Wogen, sie rauschen und ziehn.

Mein Dierk zog weit in die Welt hinein,

Graumövchen, sprecht, sahet ihr ihn?“

Aber Graumövchen sah ihn nicht, und das greise Mütterlein wartet unter Tränen Jahr um Jahr ...

Wie traurig klingt’s! und doch lacht die Mieke plötzlich leise auf und deutet nach kurzem Ellenbogenstoss gegen die Nachbarin schämig die Strasse hinab. Da kommen sie angestampft mit dem schwerfälligen Seemannsschritt, die jungen Burschen, die Netze und Riemen über der Schulter, aber ehe sie hinab zum Strand wandern, machen sie frohe Rast; der Harms spielt den schönsten Schleifer auf und plötzlich schwingt und dreht es sich im Kreise, dass die dunkeln Schatten sich gespenstisch im Mondschein wiegen.

Die Jungen jauchzen und lachen, — und die Alten vor den Haustüren lächeln wie im Traume, namentlich wenn der Vater seines Weibes schwielige Hand drückt und unter ein paar mächtigen Tabakswolken sagt: „Weesste ok noch, Mudding? Damals an Johann’?“ —

Ob sie’s noch weiss! —

Welt und Himmel sind noch dieselben, nur die Menschen gehen dahin wie das Gras auf der Wiese.

In der Holunderlaube bei Matthis Pries ist der Herrentisch nunmehr vollbesetzt, und der Lehrer Soltmann, der neben dem jungen Gutsherrn sitzt, rückt die Brille auf die Stirn empor und räuspert sich.

„Das glaube ich wohl, Herr Leutnant, dass es Ihnen in dem grossen, alten Gutshaus zu einsam ist!“ sagt er mit leiser, etwas müder Stimme. „Ihr Herr Onkel selig passte mit seinen 78 Jahren besser dahinein. Da wohnt noch lauter alte Zeit, — da liegt noch der Schleier der Romantik. Es war jedesmal ein Ereignis für mich, wenn ich am Mittwoch ins Schloss ging, die Skatpartie mit dem Herrn Baron zu machen. Die uralten Bilder an den Wänden lebten dann für mich, die gebräunten Möbel früherer Jahrhunderte erzählten mir seltsame Geschichten, und der ganz eigenartige Duft, der so manchem vergilbten Stück anhaftete, schien mir wie seine Seele, — fremd, unverständlich für uns späte Menschen, die oft noch blinder vor den Rätseln der Vergangenheit wie vor denjenigen der Zukunft stehen!“

Laurit Stormy blickte den Sprecher voll sympathischen Interesses an. Er liebte Menschen, die nicht nur an Kohl und Heller denken, sondern in ihrer Umgebung mehr sehen wie das Räderwerk einer Alltagsmaschine, — mag es auch manchmal etwas phantastisch klingen!

„Das freut mich sehr zu hören, Herr Soltmann!“ sagte er freundlich. „Wenn Sie gern in dem grossen, einsamen Hause weilen, werde ich mich sehr freuen, die Skatabende des seligen Onkels wieder aufleben zu lassen!“

„Das wäre eine gute Tat!“ nickte der Oberförster schmunzelnd. „Sie glauben nicht, Herr Leutnant, wie öde es mit der Zeit für reale Menschen in dieser Einsamkeit wird. Soltmann, der Glückliche, träumt vor jedem zerbrochenen Mustopf Romane und sieht sogar Gespenster, wo für andere Sterbliche nur ein paar Windeln auf der Leine flattern .....“

„Joho! Gespenster? Ist das wahr, Herr Lehrer?“

„Schon was erlebt!“

„Potz Wetter! dann komme ich einen Hochachtungsschluck!“

„Erzählen! Raus mit der wilden Katz!“

„Los, Soltmann! Wo spukt’s?!“

In heiterem Tumult klangen die Stimmen durcheinander, Stormy aber hob voll Interesse den Kopf und wiederholte: „Spuk? Etwa im Schloss? Wenn es eine holdselige weisse Dame ist, soll sie mir willkommen sein!“

Soltmann strich mit der blassen, magern Hand nervös über das Kinn. — Er lächelte seltsam dabei.

„Im Schloss? Nein, dort haben wohl nur die Ratten und Mäuse mal gepoltert!“ sagte er nachdenklich. „Der gnädige Herr liebte solches Larifari, wie er alles Übernatürliche nannte, nicht und unterdrückte energisch jedes Geschwätz, welches mal unter den Dienstboten laut werden wollte! — Ja, einmal, als ihm die wunderliche Geschichte mit Harms Klüssen und der Roggenmuhme zu Ohren kam, wurde er so ungehalten, dass er dem sonst so tüchtigen Knecht auf der Stelle kündigen wollte!“

„Harms Klüssen ... Roggenmuhme? — Was ist das für eine Geschichte?“

„Kennen wir noch nicht! Losschiessen, Soltmann!“

„Sicher eine fulminante Gespenstergeschichte!“

„Natürlich! Die Roggenmuhme gehört unter die Spezies aller guten Geister!“

„Ist mir ja vollkommen neu!“

„Ihnen auch, Schröder? Sie haben doch den Harms noch gekannt und die Sache miterlebt?“ Der Volontär nickte mit nachdenklichem Blick vor sich hin: „Ja, ja, entsinne mich. Es war damals wirklich eine komische Geschichte mit dem Harms!“

„Nun wird die Sache aber brenzlig! Gar einen Zeugen für eine Spukgeschichte? — Obacht! jetzt verlangen wir die Beichte, Schullehrerchen!“

„Silentium! die Geschichte von Harms und der Roggenmuhme steigt!!“

„Hoffentlich ohne Ausschluss der Öffentlichkeit!“

„Nee, nee, Karlchen! Sie müssen raus! Sind noch viel zu klein und graulen sich, wenn Sie abends im Bette liegen!“

„I wo, Herr Oberförster! Ihr Herr Praktikant spielt sich nur auf den Naiven auf; um Mitternacht aber giesst er Freikugeln!“

„Ganz recht; unter Assistenz der Roggenmuhme!“

„Hört, hört!“

„Nun aber bitte ich ernstlich um das interessante Erlebnis des Harms Klüssen!“ rief Stormy lebhaft. „Zuerst, Herr Lehrer, wer ist die Roggenmuhme? Ich gestehe, noch nie von dieser gewiss hochachtbaren Dame gehört zu haben!“

Momentane Stille. —

Soltmann räusperte sich, nippte noch einmal an seinem Glas Brauselimonade und antwortete: „So freue ich mich, Herr Leutnant, Sie mit dieser poetischsten aller Spukgestalten bekannt zu machen. Hier in der Gegend erzählt schon die Sage früherer Jahrhunderte, durch chronikalische Aufzeichnungen verbürgt, von einer sehr schönen, gespenstischen Frau, die als Hüterin der reifenden Roggenfelder grosse Verehrung des Volkes geniesst!“

„Siehe die Allmutter Erde in der nordischen Mythologie!“

„Mit photographischer Genauigkeit wiedererkannt! — Erda-Ceres rediviva!“ —

„Nicht unterbrechen, bitte Fortsetzung!“

Soltmann sass ebenso geduldig und freundlich vor den übermütigen grossen Herren wie sonst vor seinen widerborstigen Schuljungens.

„Es war an einem sehr heissen Tag, gegen Ende Juli —“

„Ganz wie heute!“ —

„Als ich zum Essen hierher in das ‚Blaue Schiff‘ gehen wollte —“

„Armer Witwer!!“ —

„Und drunten an der Wegbiegung dem Harms begegnete! Er sah so erschreckend bleich und starräugig aus, dass ich glaubte, er sei krank. — Ich redete ihn darum an und fragte, wie es um ihn stünde! Er hemmte momentan den Schritt und schaute mich mit verglasten Augen an wie ein Mondsüchtiger. —

‚Ach Herr Lehrer ...‘ stammelte er, ‚dat wird nun woll mit mi tau Enne gahn!‘ —

Ich erschrak. ‚Bist du toll, Harms? Ein so junger, kerngesunder Mensch wie du! Wo fehlt es denn, hast du Schmerzen?‘ —

‚Nee, Herr Lehrer, dat woll ganz und gor nich, — ä weess ... een’ Grugel hevv ick all kregen ...‘

‚Ein Grausen ist dich angekommen? — Gott erbarme sich! Es ist doch kein Verbrechen geschehn?‘

Harms rang mühsam nach Atem und wischte sich den kalten Schweiss von der Stirn. Er trat noch einen Schritt näher und flüsterte mit scheuem Umblick: Wenns ean’ daudslahn hätten — dat wier noch nich so slimm, as so’n gräsigen Speuk! ...‘

‚Ein Spuk? — jetzt am hellichten Tag? Bist du von Sinnen, Harms?‘

Der Bursch nickte fast ungestüm. ‚Grad darum! — Herr Lehrer —‘ er fasste mich mit zitternder Hand fest am Rockärmel und stöhnte leise auf. ‚Für’n oll dösigen Snack hevv ick’t immer estemirt, bis ick’t nau sülm to seihn’ kreeg’! Die Roggenmuhme, Herr Lehrer! — Dor hünnen im Feld ... ick hevv de Roggenmuhme begegnet!‘

‚Der Roggenmuhme! Da hat sich wohl eine von den lustigen kleinen Dirns einen Scherz mit dir gemacht!‘ versuchte ich den jungen Menschen, der noch an allen Gliedern bebte, zu beruhigen, obwohl mir gerade Harms Klüssen der letzte deuchte, mit dessen Bärenfäusten jemand Händel suchen würde!

Er schüttelte abermals mit fast wilder Erregung den flachsblonden Kopf: ‚Ganz un’ gor nich, Herr Lehrer! Ick hevv mit de Forken dreinslahn, dat keen Düwel dat hätt uthalen könn’.‘

‚So so! — Na, dann komm mal, Harms, und setz dich zu mir auf die Bank dort! Da erzähl, was du mit der Roggenmuhme erlebt hast!‘

Der Knecht setzte sich zu mir unter die Haselstauden und erzählte in fieberhafter Aufregung ungefähr folgendes.

Er hatte das Heu auf der Waldwiese gewendet und war, um ein Stück Weg abzuschneiden, durch die kleine Tannenschonung und dann quer durch die Roggenfelder gegangen, um rechtzeitig zum Essen auf dem Gutshof zu sein. — Es war gerade in der Mittagszeit, von dem Kirchturm herüber klangen zwölf Glockenschläge. Die Hitze war fast unerträglich; die Heugabel über der Schulter schritt Harms langsam durch die sengende Glut. — Plötzlich geht es wie ein scharfer, sausender Windstoss durch das Korn. Es wogt und wallt wie ein stürmendes Meer, und jählings vor dem entsetzten Bursch steigt eine leuchtende, überirdisch schöne Frauengestalt aus den goldenen Halmen empor. — Harms steht wie gebannt und starrt das Unglaubliche an. Er sieht, wie die Gestalt ihm lächelnd zunickt, einen grossen Brief mit grauem Umschlag emporhält und ihn ein wenig schüttelt. — Da fällt hell klingend ein Regen von Geldstücken heraus. Harms springt zu und rafft eine Handvoll empor, starrt darauf nieder ... es ist fremdländisches Geld, — lauter Dollars, wie er sie öfter bei Matrosen gesehen; — er will sprechen — fragen ... da zerrinnt die Frauengestalt vor ihm wie ein Dunstgebilde ... der Brief, die Dollars desgleichen und Harms Klüssen, der in seiner Aufregung nicht weiss, was er tut, schlägt wild mit der Heugabel drein —! Das Eisen zischt durch die Luft, ihm ist’s, als höre er noch ein leises Lachen ... ein Singen und Klingen wie ein Lied ... und da erst fährt es ihm wie ein eiskalter Schauer durch alle Glieder: das Lied der Roggenmuhme! — Es ist kein Märchen, er hat sie selber geschaut, die schöne Huldin!“ —

„Unglaublich!“ —

„Er hat geträumt!“

„Sicherlich! Die Hitze hat ihn ermüdet; er ist im Korn eingeschlafen!“

„Oder er hatte einen Sonnenstich!“

„Ward er hinterher krank?“

„Ahnte er, was der Brief bedeuten sollte?“

„Oder das amerikanische Geld?“

„Wie endete nun das Märchen?“

„Der Baron wollte ihn als Lügenmaul wegjagen!“

„Ganz recht, — bis eben die seltsame, unerklärliche Fortsetzung des Märchens kam! — Harms hatte weder geschlafen noch geträumt, er ward auch nachher nicht krank, aber drei Tage später ereignete sich etwas noch Unerklärlicheres als die Erscheinung der Roggenmuhme. Just um die zwölfte Stunde kam der Postbote und brachte einen grossen grauen Brief aus Amerika an ‚Marie Johanne Klüssen oder deren Erben‘. — Ihr einziger Sohn und Erbe war Harms.“

„Ah! — Das ist in der Tat merkwürdig!“

„Und was stand in dem Brief?“

„Bekam er Geld geschickt?“

„Der ältere Bruder der Marie Johanne war als halbwüchsiger Bursche als Schiffsjunge ausser Landes gegangen. Nachricht hatte er nur einmal nach fünf Jahren geschickt, dass er unter die Goldgräber gehen wolle. Es sei freilich eine riskierte Sache, die Gegend ungesund und mehr denn wild, die Männer, welche dort ihr Glück suchen wollten, schlimme Gesellen, die sich zumeist eines Verbrechens wegen aus der Heimat geflüchtet hätten. Aber das Gold läge tatsächlich dort blank auf der Erde, und er wolle auf seinen Schutzengel vertrauen und einmal probieren, ob nicht auch ein ehrliches junges Blut sein Glück dort machen könne!“

„Potz Wetter! und er machte es?“

„Ja —; er fand wenigstens das viele Gold, das er suchte. In die Heimat gelangte freilich keine Nachricht mehr von ihm, denn Marie Johanne starb als junge Frau bei der Geburt des Harms, und da sonst keine Anverwandten mehr im Dorf waren, sorgte der Pfarrer dafür, dass Harms in ein Waisenhaus kam, bis er später als Knecht auf dem Gutshof untergebracht wurde. — Ob der amerikanische Bruder seiner Mutter in jener Zeit noch einen unbestellbaren Brief an die Marie Johanne geschrieben, weiss man nicht, ja der Harms hatte nicht einmal eine Ahnung von seiner Existenz!“

„Und nun schreibt der Onkel einen Brief?“

„Und was für einen! Er erkundigt sich nach der Schwester und deren Kindern. Er teilt mit, dass ihm vor etlichen Wochen der vierte und letzte Sohn durch einen Unglücksfall jählings entrissen wurde, dass er als alter, kranker Mann nun ganz allein in der Welt stehe und sich danach sehne, die einzigen Anverwandten, welche er besitze, bei sich zu haben. Not sollten sie nicht bei ihm leiden, denn er sei nach langen Jahren schweren Kampfes doch noch ein reicher Mann geworden, dem drei grosse Häuser in New York zu eigen gehörten. Ausserdem habe er Landbesitz und ein Barvermögen von rund einer halben Million. Dies alles wolle er der einzigen Schwester und deren Kindern vermachen, wenn sie sobald wie möglich zu ihm kommen und ihn liebevoll pflegen wollten. Er selber könne nicht mehr reisen. Er sei allzusehr Amerikaner geworden und passe in keine engen Verhältnisse mehr! — Die Bank in Hamburg sei angewiesen, Marie Johanne und ihren Kindern eine Summe von viertausend Dollar auszuzahlen, damit sie davon die Reise bestreiten und eine schöne, bequeme Überfahrt haben möchten!“

„Mensch! Soltmann! und diese Geschichte ist eine verbürgte Tatsache?!“ —

„So wahr, wie ich hier zwischen Ihnen am Tisch sitze!“

„Na, der Aufstand im ganzen Dorfe!“ nickte der Praktikant lachend, „ich weiss noch, wie der Harms dasass und immer nur sagte: nee, nee! ick glöv dat nich.“ —

„Aber nachher glaubte er es doch?“

„Und wie gern! Der Herr Baron nahm die ganze Sache in die Hand, erkundigte sich beim Konsulat und bekam die Bestätigung, dass der Brief auf voller Wahrheit beruhe. Na, da klirrte ein gewaltiger Dollarregen über den Harms, und er ist wie ein Trunkener in das Roggenfeld gelaufen und hat sich den Hals nach der lieben, guten Roggenmuhme ausgeschrien. Als er abreiste, winkte er immer noch nach dem Feld herüber und rief: ‚Dank ok, du leiwet Minsche! dank ok hunnert dausend mol!‘“

Leises Gelächter im Kreise, Laurit Stormy aber blies nachdenklich ein paar blaue Zigarrenwölkchen in die Luft und fragte: „Danach hat sich die holdselige Prophetin nicht wieder blicken lassen?“

„Nein, ich hörte wenigstens nichts davon.“

„Und wie beschrieb sie der Harms?“

„Als eine junge, wunderschöne Frau mit goldenem Haar und einem weissen, luftigen Gewand. Sie trug einen Kranz von roten Mohnblüten im Haar, von dem ein zarter Schleier herabwehte.“

„Wie poetisch!“

„Man sagt aber auch im Volke, dass sie einen Kranz von Kornähren oder Feldblumen trage, manchmal soll sie von einem ganzen Schwarm reizender Engelchen umgeben sein, die eifrig das Unkraut aus dem Korn jäten!“

„Und sprachen Sie nicht von einem Lied der Roggenmuhme?“

Soltmann nickte. „Man sang es viel in den Spinnstuben. Ich hörte es wohl und besinne mich auf die weiche, einschläfernde Melodie, ohne sie nachsingen zu können. Der Refrain jeder Strophe lautet:

Junger Bursch, lauf schnell ins Korn,

Die Roggenmuhme geht um da vorn!“ —

Matthis Pries war neben dem Tisch stehen geblieben. Er räusperte sich und warf höflich ein: „Die Roggenmuhme erscheint aber auch jungen Mädchen, und da heisst es auch im Lied:

Jungfräulein, bleib fein zu Haus —

Im Korn lacht dich die Muhme aus!“

„Das tut sie wohl jedes mal?“

„Nur, wenn sich die Menschen fürchten oder so unsinnig mit der Heugabel auf sie einschlagen wie der Harms Klüssen!“

„Es spricht sehr für die gute, menschenfreundliche Gesinnung der Roggenmuhme, dass sie ihm solche zarte kleine Galanterie nicht übelgenommen hat! Oder kam der hinkende Bote etwa nach, und entpuppte sich der reiche Onkel vielleicht später als guter Geschäftsmann, der in seinen Verwandten nur unbezahlte Arbeitskräfte nach der neuen Welt hinüberlocken wollte?“

„Nein, die Roggenmuhme bewährte sich dauernd als freundliche Huldin“, nickte der Lehrer gewichtig mit dem Kopf: „Klüssen hat dieses Frühjahr an den Herrn Baron, kurz vor dessen Tode, geschrieben, und eine Photographie beigefügt, auf der er, kaum wiederzuerkennen, wie ein echter, rechter Dandy aussah! Er sitzt wohl für immer in der Wolle, und aus dem armen deutschen Fischerjungen ist ein schwer reicher Erbe geworden!“

„Kündet die Roggenmuhme nur Glück, — oder manchmal auch Unglück an?“

Laurit Stormy fragte es mit nachdenklichem Gesicht und blickte starr auf die grosse, leuchtend rote Mondscheibe empor, die ihr Licht immer heller und greller über den stillen kleinen Wirtsgarten ausgoss.

„Wohl meistens Glück, gnädiger Herr, denn noch niemals hörte ich von irgendwelchem Unsegen, den ihre Erscheinung gebracht!“

„Dann los dafür!“ lachte der Praktikant forsch auf und stellte sein geleertes Bierglas mit hartem Stoss auf den Tisch zurück: „Von nun an mache ich der schönen Dame im Kornfeld Fensterparade!“

„Recht so! ich begleite Sie!“

„Sie, Herr Leutnant? — Welch ein Glück wollen Sie denn noch suchen, nachdem Ihnen ein so freundliches Geschick schon das schönste Rittergut in die Wiege gelegt hat?“

Der Oberförster strich schmunzelnd den weissen Bart.

„Aber Schröder! sind Sie wirklich solch ein Barbar? Der Mensch lebt doch nicht vom Essen und Trinken allein! Bei der Jugend spielt das Herz doch eine noch weit grössere Rolle wie der Magen!“

„Ah! ... Spiritus merkst du was?! — Nun wird mir alles klar! Die junge, schöne, holdselige Gutsfrau! Die fehlt freilich noch zu allem Glück!“

„Hand aufs Herz, Herr Leutnant, ist sie noch nicht in Sicht?

Laurit Stormy machte eine jähe Handbewegung.

„Nein, meine Herren! Leider gehört sie noch ganz und gar zu den unbekannten Göttinnen!“

„Dann müssten aber alle Flaggen der Liebe wehen, dass diesem unhaltbaren Zustand ein Ende bereitet wird, Herr Leutnant!“ schüttelte Soltmann mit einem schnellen Lächeln um die bartlosen Lippen den Kopf: „Das alte Schloss hat lange genug einsam und verlassen gestanden, nun muss einmal wieder junges Leben durch den verträumten Bau fluten, eine lachende, sonnige Gutsfrau und eine Schar lieblicher Kinder —, gerade so, wie die Roggenmuhme sich zeitweise sehen lässt, umringt von den reizenden Engelchen!“

„Bravo, Soltmann, das soll ein Wort sein! Genau so blond und blauäugig, so wunderhold wie die Hüterin der Felder!“

Laurit strich langsam mit der Hand durch das lockige Haar.

„Goldnes Haar und Veilchenaugen! Sie treffen da seltsamerweise meinen Geschmack und werden es wohl kaum für möglich halten, meine Herren, dass ich, der so viel Menschen begegnete und so lange in der grossen Welt lebte, nie ein junges, blondes Weib fand, das mein Herz in süsse Fesseln geschlagen hätte! — Ob die goldhaarigen Mädchen so selten geworden sind, oder ob gerade ich keiner hübschen und liebenswerten begegnete, ich weiss es nicht; — jedenfalls habe ich bislang umsonst nach einer Verkörperung meines germanischen Geschmacks gesucht.“

„Das ist allerdings wunderbar!“ Der Oberförster paffte ein paar dicke Wolken: „Wer aus echtem Friesenblut stammt wie ich und eine blonde Frau und vier gelbblonde Schwestern hat, der begreift das nicht!“

„Je nun! vielleicht ist es der Roggenmuhme vorbehalten, Ihnen zu erscheinen, Herr Leutnant, und Ihnen ein wohlgetroffenes Porträt mit Namensunterschrift und genauer Adresse von einer der Schönsten aller Blondmen entgegenzuhalten!“

„O Götter! wie wollte ich ihr so dankbar sein!“

„Jedenfalls wäre es ratsam, des öftern um die Mittagsstunde in den Kornfeldern zu promenieren!“

Die Gläser klangen zusammen.

„Die Roggenmuhme soll leben! Doppelt und dreifach hoch leben, wenn sie unsern gnädigen Herrn bald unter die Haube bringt.“

„Vivat hoch! — austrinken!“

„Die Roggenmuhme hoch! hoch! hoch!“

„Horch ... klingt da nicht ihr Lied von der Dorfstrasse herauf?“

„Wahrlich, es ist’s!“

„Seltsames Zusammentreffen!“

Matthis Pries stellte frischgefüllte Seidel auf den Tisch. „Na, das ist nun grad kein Spuk! es sind die Mädels, die im Mondschein singen!“

„Aber just dies Lied!“

„Stille! — Welch eigenartige Melodie!

Junger Bursch, lauf schnell ins Korn,

Die Roggenmuhme geht um da vorn!“

Laurit Stormy hob sein Glas jählings hoch empor. „Diese Mahnung werde ich gern beherzigen! Denn ich hoffe nichts sehnlicher, als den holden Spuk von Angesicht zu schauen und mich ihr als meiner Brautbitterin auf Gnade und Ungnade zu ergeben! Mag sie mich schwärmerischen Gesell tüchtig dafür auslachen, — ich grüsse die holde Fei im Mondeslicht und rufe ihr zu: „Erscheine, o holde Dame, wenn die Sonne wieder strahlt!“

Abermals ein jubelndes Hurra hoch! Dann erhob sich der junge Gutsbesitzer und griff nach dem Hut: „Nun lasst mich meine Zeche zahlen, Matthis Pries, und gebt mir noch einmal Feuer, damit die Zigarre als Liebesfackel glüht, wenn ich an den wogenden Roggenfeldern dahinschreite!“

II.

Drei Tage waren vergangen.

Laurit Stormy war durch den Wald geritten, um auf den entfernter liegenden Wiesen nach der Heuernte zu sehen, die an diesem Tage mit der Einfahrt der letzten Fuder beendet werden sollte.

Sein Pferd scheute plötzlich vor einem Ochsengespann und brach seitlich aus, verfing sich in dem Brombeergestrüpp und stürzte auf die Beine. Laurit sprang aus dem Sattel, die Knechte eilten herzu und halfen dem Rappen auf die Füsse.

„Er lahmt, gnädiger Herr!“

„Hier auf das scharfe Steinicht ist er aufgeschlagen, über dem Knöchel blutet er!“

Störmy untersuchte den Schaden. „Es ist nichts von Bedeutung, aber ich möchte ihn trotzdem schonen und werde zu Fuss nach Hause gehen!“

„Dierk kann ihn führen, Herr Leutnant. Der Weg durch den Wald hier ist gar nicht weit, wenn der gnädige Herre durch das Korn gehn, schneiden Sie ein tüchtiges Stück ab.“

Laurit hob jählings das Haupt. Durch das Korn! War dies nicht derselbe Weg, den ehemals Harms Klüssen gegangen war, als er von der Heuernte auf der Waldwiese zum Essen ging?“ —

Er lachte. Seltsam. Bei Mondschein in des Matthis Holunderlaube hatte ihm ein Abenteuer mit der Roggenmuhme so poetisch gedeucht, dass er ernstlich beabsichtigte, dem holden Spuk zu Gefallen zu gehn; bei hellem Tageslicht aber kamen ihm solche Ammenmärchen doch zu töricht vor, um sich ihretwegen womöglich zum Gespött der Dörfler zu machen!

Er vermied es direkt, in der Mittagszeit auf die Felder zu gehen, und nun ereignet sich plötzlich ganz unerwartet ein kleiner Unfall, welcher ihn direkt zwingt, in das Gebiet der Roggenmuhme einzudringen!

Lächelnd schiebt er den leichten Strohhut aus der Stirn zurück und atmet tief auf.

„Der Weg ist nicht zu verfehlen, Inspektor?“

„Unmöglich, Herr Leutnant! Hier dicht an dem Waldrand beginnt der Roggenschlag, der sich bis hinab an die Chaussee zieht. Wenn Sie quer durch das Feld gehn, erreichen Sie diese in ein paar Minuten, und dann ist’s ja der gerade Weg bis zum Schlosshof.“

„Danke Ihnen, Inspektor. Dierk soll bestellen, dass der Fuss des Rappen sofort gekühlt wird!“

„Sehr wohl, Herr Leutnant!“ —

Laurit wandte sich nach freundlichem Gruss ab und schritt in den Wald hinein.

Die Sonne glühte auf den Kiefern; — ein fast berauschender Duft lag schwül unter den lichtdurchflimmerten Baumkronen.

Ab und zu schoben sich ein paar Buchen mit frisch-grünem Gezweig dazwischen. Der Boden war mit glatten Nadeln besät, zwischen denen hellgrünes Heidelbeerkraut und hohe, graziöse Farren ein entzückendes Teppichmuster woben, hie und da noch bereichert durch die verschiedenen Schwämme, gelbe Pfefferlinge und prahlende Fliegenpilze mit roten, weissgetupften Kappen, als seien lustige Heinzelmännchen vor Schreck über den fremden Wanderer in dem Boden festgewachsen.

Tiefe, feierliche Stille.

Fern nur gurren ein paar Waldtauben, und an einem Buchenstamme huscht mit leisem Rascheln ein Eichhörnchen empor, sich in dichtem Gezweig zu verstecken.

Laurit schreitet gemächlich aus und doch ist der schmale Waldstreifen schnell durchmessen. Ein Schmetterling, die kleine blaue Sylvia, gaukelt zutraulich vor dem jungen Manne her, als wolle sie ihm den Weg zeigen, und als Laurit den Waldesschatten verlässt, bleibt er einen Augenblick in entzücktem Schauen stehen. Welch herrliches Bild entrollt sich vor seinen Augen. — Er steht auf einer kleinen Anhöhe. Vor ihm, wie ein leuchtender Goldteppich, dehnen sich die fast reifen Roggenfelder, seitlich gesäumt von hochstämmigem Buchenwald und durchschnitten von dem grellweissen Strich der Fahrstrasse, die sich nach kurzer Biegung im Waldesschatten verliert.

Jenseits derselben leuchten smaragdgrüne Wiesen, aus welchen die ersten vereinzelten Häuschen des Dorfes mit ihren Gärtchen und buntgestrichenen Fensterrahmen freundlich herüberlachen — und noch weiter zurück streben in weisslichem Gelb die Sanddünen empor, das endlos weite, dunkelblau wogende Meer säumend, das sich hinter ihnen in unbegrenzter Herrlichkeit ausbreitet.

Wahrlich, wenn hier in diesen Feldern die Roggenmuhme ihr Heim gewählt, so hat sie sich ein herrliches Erdenfleckchen ausgesucht, um das sie auch der verwöhnteste Geschmack beneiden könnte.

Wie schön ist die Welt! Wie geschaffen für Glück und Liebe, und wie weit und sehnsuchtsvoll wird ein junges Menschenherz, wenn es inmitten all dieser Herrlichkeit einsam und allein dahinschreitet und auf die blaue Wunderblume harrt, ob sie nicht plötzlich auch ihm ihren Kelch öffnen will.

Langsam schreitet Laurit in die schmale Gasse hinein, die sich der Pfad zwischen den wogenden Kornfeldern geschnitten hat.

Jetzt erst merkt er, wie unsagbar heiss es ist. Die Luft liegt regungslos, sie flimmert und blitzt wie glühender Odem, und aus dem Roggen steigt ein feiner, süsser, geheimnisvoller Duft empor, der die Sinne schmeichelnd umfängt wie eine Narkose.

Ist es das Korn oder der rote Mohn, der es durchflammt?

Ein zarter, bitterlicher Hauch wie Opium liegt in der Luft, — selbst die schillernden Fliegen scheinen mit ausgespannten Glimmerflügeln still zu stehn, wie berauscht von süssem Traum.

Wie das so müde macht! —

Ringsum ein weites, ganz leise wogendes Meer von goldenen Ähren, — es blendet schier die Augen und es gehört alle Willenskraft dazu, sich nicht niederzulegen, — unterzutauchen in diese Roggenflut und den geheimnisvollen Duft einzuatmen, bis eine wundervolle Fata Morgana aus den Halmen emporsteigt, mit strahlenden Himmelsaugen, gleissendem Goldhaar und dem süssen Zauberlachen der Hexe Loreley auf den Lippen, — die Roggenmuhme!

Wo bleibt sie?

Wenn sie heute nicht emportaucht aus ihrem verwunschenen Schloss, so tut sie es wohl nie!

„Erscheine, o weisse Dame! erschein’, erscheine mir!“

Wahrlich, George Brown hat nicht sehnsuchtsvoller auf den holden Spuk im Schottenschlosse gewartet wie Laurit Stormy auf das blonde, schleierumwallte Weib im Roggenfeld. —

Horch! ... von dem Kirchturm hallen zwölf Glockenschläge empor! —

Unwillkürlich hemmt der junge Mann den Schritt und fühlt sein Herz höher schlagen. Wie Fieberglut rieselt es durch seine Adern. Ist er krank? Macht ihn der Opiumduft zum Phantasten?

Er steht und starrt über die wogenden Halme hin. — Sie muss kommen ... sie muss ... und was wird sie ihm als Glückssymbol zeigen? —

Roggenmuhme!

Ahnst du nicht, wie ich auf dich warte?

Und plötzlich ein leiser, halberstickter Aufschrei. Laurit Stormy taumelt jäh zurück und hält sich mit beiden Händen das Haupt, als wolle er sich gewaltsam aus tiefem Schlaf wachrütteln.

Er träumt! — er muss träumen ...

Da vor ihm steigt es plötzlich aus glänzenden Ähren empor, das wunderholde Spukgebilde! Eine schlanke, weissgekleidete Gestalt, ein süsses, liebreizendes Antlitz, das ihn aus grossen Blauaugen fast erschrocken anstarrt! — Lichtblonde Löckchen kräuseln sich um die weisse Stirn, ein schneeiger Schleier wallt vom Haupt hernieder, zu beiden Seiten der Schläfen von leuchtend roten Mohnblütensträussen gehalten. —

Roggenmuhme!

Laurit Stormy steht regungslos und starrt die zauberhafte Erscheinung an.

Er will sprechen, aber er vermag es nicht.

Da raschelt es im Korn; die Huldin schreitet ihm zaghaft entgegen und hebt die Hand.

Herr des Himmels! träumt er denn wahrlich? Einen kleinen, schmucklosen Ring hält sie ihm entgegen.

Wahrlich .. er sieht’s genau ... einen Ring! —

Und plötzlich tönt eine weiche Stimme an sein Ohr:

„Gewiss haben Sie den Ring verloren und suchten danach, mein Herr! Ich habe ihn soeben gefunden, bitte nehmen Sie ihn!“ —

Sie spricht, — die Roggenmuhme spricht zu ihm? Laurit reisst die Augen noch weiter auf, rafft sich zusammen und schreitet einen Schritt näher.

War er von Sinnen? Jetzt sieht er plötzlich scharf und genau .. eine bildhübsche, junge, elegante Dame, welche vor ihm steht.

„Mein gnädiges Fräulein ...“ Er greift mechanisch nach dem Ring —: „Ich begreife nicht .. Sie hier in dieser Einsamkeit .. um diese Stunde? ..“

Da lacht sie, genau so silberhell wie die Roggenmuhme, wenn sie einen hasenfüssigen Bursch verspottet.

„Meine unerwartete Erscheinung hat Sie überrascht? Eigentlich müsste ich wohl gepfändet werden, weil ich ohne Erlaubnis in das Kornfeld eingedrungen bin? — Vergeben Sie! Der rote Mohn trägt die Schuld, ich liebe ihn so sehr und werde um seinetwillen sogar zur Feldfrevlerin!“

Sie weist auf den grossen Strauss von Blüten und Ähren, der ihr im Arme liegt. Laurit starrt sie noch immer an wie eine Vision.

„Wohl, wohl! — wie aber kommen Sie hierher, meine Gnädigste? —

Sie hebt abermals die kleine Hand und deutet nach der nahen Chaussee.

„Unser Auto steht dort hinter der Wegbiegung im Waldesschatten!“ lächelt sie, dass die weissen Zähnchen im Sonnenlicht blinken: „Wir haben uns verfahren, weil Onkel eine falsche Karte eingesteckt hatte, und nun wollen wir unfreiwillige Rast halten und erst frühstücken, ehe wir die dreissig Kilometer zurückfahren!“ —

„Ein Automobil! Ah ... das ist ja höchst interessant! Nun fange ich an zu begreifen! ... Sie sind irregefahren — gewiss! Wie käme sonst auch ein Auto in dieses weltentlegene Dörfchen, wo die Kultur und die Landstrasse wie in einer Sackgasse aufhören!“

Ihr Blick schweift in entzücktem Schauen über die Landschaft.

„Von schwindender Kultur merke ich nichts, und mit der Sackgasse bin ich sehr einverstanden, ohne sie hätten wir dieses reizende Idyll niemals kennen gelernt! — Wie schön ist es hier! Wie wundervoll schaut es sich über das Meer! Tausendmal natürlicher und malerischer als von dem Strand der Seebäder, wo Strandkörbe und geputzte Menschen jeden Hauch von Poesie morden!“

Jähe Röte der Freude steigt in seine gebräunten Wangen, — ein aufleuchtender Blick dankt ihr für das Lob, das sie seiner Heimat spendet.

Plötzlich blickt er auf den Ring nieder, den er noch immer in der Hand hält.

„Sie gaben mir einen Ring, mein gnädiges Fräulein, was bedeutet das?“

Sie neigt das Köpfchen näher und blickt auf den schmalen Silberreif nieder.

„Ich fand ihn just in dem Augenblick, als Sie mir begegneten!“ sagt sie harmlos. „Hier an dem dürren Schlehdornästchen hing er, und da dachte ich, Sie hätten ihn verloren, weil Sie so suchend umher schauten!“

Voll graziöser Anmut wendet sie sich um nach dem schmalen Wegrain, an dem ein kleines Dornbüschchen seine Ranken über den Erdboden kriechen lässt.

Wieder schlägt Laurits Herz hoch auf in heissem Entzücken. Ja, er hat suchend umher geschaut, suchend nach dem Glück ..., suchend nach einem so wunderholden blonden Weib, das jählings wie die Verkörperung seiner kühnsten Träume vor ihm steht. —

Liest sie das etwa in seinem Blick?

Er wendet mit unsicheren Fingern den Ring hin und her.

„Nein, mir gehört dieser Reifen nicht!“ sagt er kopfschüttelnd. „Es scheint einer jener einfachen Trauringe zu sein, wie ihn die armen Fischer hier zumeist tragen! — Richtig! er trägt ja eine Inschrift: ‚Harms, 2. 6. 1885‘ buchstabiert er — und dann blickt er voll Überraschung auf und ruft: „Sicherlich der Trauring der Marie-Johanne! Ihr Mann hiess ebenfalls Harms wie der einzige Sohn, und Klüssen trug ihn wohl zur Erinnerung an die Mutter!“

Mit schnellem Blick überschaut er den Platz, an dem der Schlehdorn steht.

Fraglos! Der Ring flog dem jungen Burschen vom Finger, als er mit der Heugabel auf die Erscheinung der Roggenmuhme einschlug. — Es muss dieselbe Stelle hier im Korn gewesen sein. — Seltsam, sehr seltsam! —

Der laute Ton einer Hupe schallt von der nahen Waldecke herüber, und die junge Dame wendet sich hastig zum Gehen.

„Ah ... der Onkel hat Hunger und ruft zum Frühstück! — Schade, dass der Ring nicht Ihr Eigentum ist, — ich hätte mich dadurch so schön vor der Pfändung schützen können!“

„Davor kann Sie nichts schützen, mein gnädiges Fräulein!“ lachte Laurit, zog den Hut und klappte mit ritterlicher Verneigung die Hacken zusammen; „gestatten Sie, dass ich mich als Eigentümer des so total abgeplünderten Feldes vorstelle: Stormy, Leutnant der Reserve — und dass ich hiermit feierlich konstatiere: die geräuberten Feldblumen wiegen ein paar Liter Benzin reichlich auf!“

Die junge Dame ging heiter auf seinen scherzenden Ton ein, während er an ihrer Seite der Chaussee entgegenschritt: „Also mit Benzin muss ich mich freikaufen! Das ist praktisch! Nun fragt es sich aber, ob Ihr Wagen besser auf Stellin oder Dapolin läuft? Wir führen nur die erstere Sorte mit uns!“

„Dank für Ihre besorgte Nachfrage! mein Wagen läuft vorläufig noch am besten auf Heu und Hafer und hat nur zwei PS, aber ich hoffe es noch im Lauf des Herbstes auf eine Maschine zu bringen, und darum interessiere ich mich schon jetzt lebhaft für Autos! Glauben Sie, dass Ihr Herr Onkel mir eine Besichtigung des seinen gestattet?“

„Aber selbstverständlich! Wie alle Autler ist er blind entzückt von seinem „Schnauferl“, und wenn Sie dieses benzinfressende Ungeheuer schön, praktisch, tadellos finden, so ist er stolz wie ein Vater, dessen Kind man als einen Wunderknaben lobt!“ —

„Zum zweitenmal Dank für diesen liebenswürdigen avis au lecteur! — Ist Ihr Herr Onkel Soldat?“

Das junge Mädchen schob den langen, weissen Autoschleier, den ihr der Wind über die Schulter wehte, zurück. „Nein, mein Onkel ist der Kommerzienrat Cattenstedt, seine Frau die Schwester meines Vaters, des Oberst a. D. Velan, ich heisse Hanna Velan und begleite nebst meinem Vater das Ehepaar Cattenstedt auf einem Ausflug nach dem Seebad M.“

„Ah! Da haben Sie sich allerdings gründlich verfahren!“ Laurit hatte den Hut gezogen und sich bei Nennung des Namens abermals höflich verbeugt; jetzt blieb er stehn und bot der jungen Dame ritterlich die Hand, um sie den steil abschüssigen Grasrain, der den Fahrweg säumte, hinabzugeleiten.

Hanna legte ihre kleinen, schlanken Finger harmlos in die seinen. „Sehen Sie, da steht unser Landaulet! und Papa und der Chauffeur sind von jenen Häusern an dem Feld drüben, wo sie sich des näheren über den Namen des Dorfs und eventuellen Zustreckeweg erkundigen wollten, zurückgekommen!“

Sie hob die Hand und winkte, munter auf der Chaussee ausschreitend, den Herren zu, die erstaunt den Nahenden entgegenschauten. —

„Ich bin beim Blumenstehlen abgefasst!“ rief sie lachend, „kostet zehn Liter Benzin, Onkelchen! Hier, Herr Stormy nimmt es für seinen künftigen Wagen schon jetzt in Empfang!“

Eine schnelle, launige Begrüssung der Herren. Der Kommerzienrat schob seine korpulente kleine Gestalt näher und streckte, sich vorstellend, dem jungen Mann die Hand entgegen.

„Wollen auch unter die Autler gehn? Famos, ist auch das Gescheiteste, was ein Mensch heutzutage tun kann! So einem Wagen hat man viel zu danken! Er macht energisch, kühn ... stählt Haut und Nerven —“

„Namentlich die der Riechorgane!“ nickte der Oberst voll grimmen Humors, „und wenn der Mensch nicht zu Migräne neigt, wie meine Schwester, macht so eine kleine Komödie der Irrungen auf wegweiserlosem Terrain auch unempfindlich gegen dreissig Grad im Schatten!“

„Mensch, dafür gibt’s Waldesschatten und Frühstückskörbe!“ lachte der Kommerzienrat, trat an das offene Landaulet heran, in dem eine blasse, schlanke Dame mit halbgeschlossenen Augen lehnte, und sagte: „Gestatte Klärchen, dass ich dir Herrn Stormy vorstelle! Der Beherrscher dieses unbekannten Reichs ist dir gewiss als Schutzengel geschickt und verrät uns irgendeinen kleinen Badeort in der Nähe, wo es Hotels und kühle, dunkle Zimmer gibt!“

Frau Cattenstedt reichte dem jungen Mann mit wahrem Dulderlächeln die Hand, und Laurit zog diese sehr liebenswürdig an die Lippen. „Wenn Sie sich in dieser Beziehung meiner Fürsorge überlassen wollen, gnädigste Frau, so werde ich unbedingt für alles Gewünschte sorgen, — wie aufrichtig bedauere ich es, dass Sie sich gerade heute, auf einer so heissen Tour, derart unwohl fühlen!“

„Siehst du, Klärchen! Ich sage es ja immer, die Betrunkenen und die Autler haben ihre ganz besondern Schutzgeister!“ nickte der Kommerzienrat sehr wohlwollend und zog die weisse Weste unter dem geöffneten Leinenjackett über dem runden Bäuchelchen glatt. „Ganz extra um deinetwillen hat der gewaltige „Billeken“ unser kleines Hanneken in die Kornblumen geschickt, damit sie durch Herrn Stormys Hand der Gerechtigkeit überliefert wurde!“

„Billeken?“ lachte Laurit verbindlich. „Nein, ich glaube kaum, dass dieser Schutzpatron der Automobilisten auch mir, dem nichtzünftigen Rosselenker, so viel Angenehmes beschert hätte! Ich glaube eher, dass es unsere hier heimische gute Fee, die Roggenmuhme, war, die diese so erfreuliche Bekanntschaft vermittelte! Ich hatte Ihre Fräulein Nichte tatsächlich zuerst für den holden Spukgeist selbst gehalten!“

Frau Cattenstedt blickte bedeutend angeregter als zuerst auf den Sprecher. Sie lächelte sogar. „Ja, Sie haben recht! Wem Hanna unvermutet entgegentritt, der muss sie für etwas Überirdisches halten! Der Autoschleier und die Mohnblumensträusse à la Geisha geben ihr ein ganz phantastisches Aussehen!“