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Neue Deutsche Rechtschreibung Nataly von Eschstruth war eine deutsche Schriftstellerin und eine der populärsten und berühmtesten Erzählerinnen der Gründerzeit. Null Papier Verlag
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Seitenzahl: 554
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Nataly von Eschstruth
Hazard
Komplettausgabe beider Bände
Nataly von Eschstruth
Hazard
Komplettausgabe beider Bände
Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019 1. Auflage, ISBN 978-3-962810-86-3
null-papier.de/488
null-papier.de/katalog
Inhaltsverzeichnis
Widmung
Erster Band
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Zweiter Band
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
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Frau Anna von Poncet Geb. von Reiche in verehrungsvollster Freundschaft zugeeignet.
Nataly von Eschstruth Berlin, am 14. December 1887
»Denn sie ist klug, wenn ich mich drauf verstehe, und schön ist sie, wenn nicht mein Auge trügt, und treu ist sie, so hat sie sich bewährt! Drum sei sie, wie sie ist, klug, schön und treu mir in beständigem Gemüt verwahrt.«
(Shakespeare, Kaufmann von Venedig
»Ein Veilchen auf der Wiese stand, in sich gebückt und unbekannt: Es war ein herzig Veilchen!«
Ein köstlicher Septembertag! – Der Himmel spannt sich weit und fleckenlos über die Ebene in einem wunderlichen Farbengemisch von Grau und Blau, welches trotz seiner Klarheit aussieht, als zittere ein ganz feiner Dunstschleier darüber hin. Nach dem Horizonte zu färbt sich derselbe gelblich. –
Über den Stoppelfeldern schwirren die Lerchen und Staare, schwankt hie und da noch eine nachgewachsene Kornblume wie ein treues Sternchen, welches über dem Grab des Sommers Wache hält. – Ein paar gelbe Lupinenäcker ziehen sich wie ein Teppich mit grell abstechendem Rand noch an dem flachen Hügel empor, und seitwärts liegen in graubraunen Schwaden die gemähten Erbsen, in deren starrem Stroh es geheimnisvoll raschelt, wenn ein eiliges Feldmäuslein hindurch huscht. – Der Wald, welcher sich jenseits der Chaussee mit kurzen Unterbrechungen hinzieht, hat sich nur wenig gefärbt. Ein paar Eichenwipfel schauen wie gebräunte Gesichter über die junge Tannenschonung, und die Linden an der Fahrstraße streuen vereinzelte gelbe Blätter; zeitweise ragt wohl auch ein Birkenbäumchen mit falbem Laub aus dem unverändert tiefschattigen Buchengrün.
Eine unbeschreibliche, sonntäglich feierliche Ruhe liegt über dem Land, über den kleinen morastigen Teichen, welche in häufiger Wiederkehr die Eintönigkeit der Waldlisiére unterbrechen, über dem Dörfchen, welches sich fernab mit roten Dächern und glockenförmigem Kirchturm im Grünen versteckt, und über der Schafheerde, welche wie aufgestelltes Puppenspielzeug auf bräunlicher Hude weidet. – Die Chaussee hebt sich mehr und mehr einem Vorwerk entgegen, welches auf mäßiger Anhöhe, wie ein freundlicher Wächter sein Gebiet überschaut.
Hufschlag erklingt, – wie ferner Donner rollt es in flottestem Tempo die Fahrstraße entlang.
Ein Spitzreiter in keckem Jockeykostüm, mit der Cocarde in den Farben des Großherzogtums an der Mütze und der kurzstieligen Fantasie-Peitsche in der Hand, jagt auf schlankem Goldfuchs drei Hofequipagen voran, welche in knappen Distanzen, nur wenige leichte Staubwolken hinter sich zurücklassend, dem Vorwerk entgegen sausen.
Vier überaus reich geschirrte Rosse, vom Sattel aus gelenkt, schnaufen vor dem ersten der Wagen, welcher Ihre Königlichen Hoheiten die Großherzogin Rudolphine Alexandrowna und die Erbgroßherzogin Margarethe in lichtgrauen Seidenplüschpolstern aufgenommen hat.
Auf dem Rücksitz ist der Ehrendame der Großherzogin, Gräfin Molay, der vielersehnte Platz angewiesen worden, dieweil ihr Gemahl, der Kammerherr, die nachfolgende Equipage der beiden Hofdamen bestiegen hat.
Zuletzt fährt die Hofdame der Erbprinzessin, Fräulein Fides Wolff von Speyern in Begleitung des Baron Olivier von Nennderscheidt und des Reisemarschalls, Excellenz von Wolter.
Hier ist die Unterhaltung am animiertesten. Excellenz ist etwas schwerhörig und beständig in zitternder Angst, ein Wort des Gespräches zu verlieren; mit halboffenem Mund und dem stieren Ausdruck »geistiger« Gier, sitzt er vornübergebeugt, um dem »tollen Junker« die Worte von den Lippen zu lesen.
Und Olivier trägt fast allein die Kosten der Unterhaltung, obwohl Fräulein von Speyern voll seltener Lebhaftigkeit die Fäden des Themas lenkt und ausspinnt.
Ihr stolzes, regelmäßiges Antlitz verschmäht es, einen Schleier zu tragen und der Windzug, welcher sich vergeblich bemüht, die schweren, schlicht in die Stirn gelegten Haarwellen zu zerzausen, begnügt sich damit, das sonst etwas bleiche Antlitz mit warmem Rot zu überhauchen.
Es fällt Nennderscheidt auf, wie trefflich es ihr steht, wie die grauen Augen plötzlich einen Glanz haben, den er zuvor nicht an ihnen gekannt. Er hat just von seiner Passion für solche Fahrten durch herbstlich Land gesprochen, von feinem Vorsatz, stets den Aufenthalt auf seinem Schloss zu nehmen, sobald der Wind über die ersten Stoppeln weht, – natürlich, wenn er erst verheiratet sei. – eine Solopartie auf dem Lande sei entsetzlich.
Und dabei hatte er Fräulein von Speyern so lachend in die Augen geschaut, dass sie ihren Sonnenschirm jäh gesenkt hatte, als blende sie urplötzlich die Sonne, deren Strahlen doch die Lindenbäume mit dichtem Laubdach abwehrten. –
»Bis Sie einmal heiraten, Herr von Nennderscheidt, haben Ihre Passionen längst die Farbe gewechselt; man sagt ja, der Geschmack ändere sich alle sieben Jahre.«
Olivier strich amüsirt den blonden Schnurrbart. »Und zu einer etwas früheren Heirat bekomme ich nicht Ihren Consens?«
Fides schüttelte lächelnd den Kopf; ein wunderlicher Ausdruck beherrschte ihre Züge, halb Regen und halb Sonnenschein.
»Die Ehe ist ein Hazardspiel, Herr von Nennderscheidt, bei welchem sämmtliche Karten blind gezogen werden, denn wenn Sie selbst im günstigsten Fall wissen, ob Sie Herz oder Schellen in der Hand haben, der feine glitzernde Schleier der Politur liegt doch darüber ausgebreitet, welcher Ihnen verbirgt, ob sie die Hoffnungen erfüllt, welche darauf gesetzt sind. Sie sind nun ein ungestümer und wagehalsiger Spieler. Baron; wenn Sie verloren haben, werfen Sie die Karten ungestüm auf den Tisch, zahlen Ihr Reugeld und Sie sind frei wie zuvor. In dem Hazard der Ehe aber heißt es ausgehalten! – Die Parthie, welche Sie darin begonnen haben, hat kein Ende, und die Karte, welche Sie gezogen, gleich viel, ob sie Glück oder Unglück bringt, ist mit tausend unsichtbaren Ketten an Ihr Schicksal geschmiedet. Würden Sie jemals die Geduld haben, Ihr Leben lang Bank zu halten, selbst wenn Ihnen jede neue Enttäuschung sagte, dass Sie rettungslos – verspielt haben?« –
Excellenz Wolter nickte mit offenem Munde Beifall, die junge Dame aber dabei anstarrend, als dächte er im tiefsten Herzen: »Eine, die nicht angelt?! O ewiges miraculum!!«
Olivier drückte das Kinn auf den kostbaren Knopf seines kleinen Spazierstockes und blickte Fräulein von Speyern lächelnd, mit leicht zusammen gekniffenen Augen an.
»Wie kann ein Mann verspielen, der auf Cœurdame setzt!«
»Der welcher tatsächlich die Cœurdame gewinnt, hat ein seltenes Glück!« –
Die klare Stimme der Hofdame klang etwas verschleiert, und die Sonne, welche durch die jetzt weiter stehenden Linden schien, malte das Muster der niederhängenden Schirmguipure wie zitternde Schatten auf das ernste Antlitz. –
»Bin ich ein Pechvogel? Vor der Schwelle meines Ahnenschlosses liegt ein Stein eingemauert, auf welchem unsere Vorväter der Siona opferten; Niemand ist erkenntlicher für zarte Rücksichten als gestürzte Größen, und ich denke mir, auch vertriebene Gottheiten führen ein Tagebuch, darin die Namen einzelner Sterblicher rot unterstrichen sind. Ist Siona aber meine Freundin, wie könnte die Cœurdame meine Feindin sein?«
»Ein Schmetterling taumelt glückberauscht an den Kelch der Rose und liebt sie, weil er weiß, dass er jeden Augenblick wieder davon flattern kann; nähme sie ihm aber die Freiheit und wollte sie ihn festhalten, er würde ihrer überdrüssig werden und um der Dornen willen auch die Blüte hassen!«
»Aber Gnädigste, welche ein Pessimismus!! Ein Schmetterling. Ja … aber zwischen ihm und mir lässt sich doch wohl keine Parallele ziehen?«
Fides musste lachen. »Die sichtbaren Flügel gehen Ihnen ab, Herr von Nennderscheidt, sonst würden Sie sich gleichen wie ein Ei dem andern!«
»Das nehme ich übel, – das ist geradezu eine Injurie!«
»In wie fern? Können Sie ableugnen, dass es gleich wie bei dem Schmetterlinge Ihre Natur ist, im Sonnenglanz von Blume zu Blume zu flattern, voll liebenswürdigsten Leichtsinnes nicht einen Augenblick bedenkend, ob Netze und Fallen lauern, ob Sie sich bei übermütigem Spiel den Hals brechen oder nicht?«
»Aha – unser Thema!« – Olivier seufzte voll Humor auf: »Was habe ich denn schon wieder pexirt, gestrenge Herrin, dass ich Vorwürfe verdiene?! Übermütig! … Du lieber Gott, wann war ich zuletzt im Leben mal übermütig!!«
»In diesem Augenblick!«
»Ah?« …
»Was ist diese Fahrt von Ihnen anderes als tollster, veritabelster Übermut?«
Der Freiherr lachte schallend auf. »Wißbegierde ist es! ich brenne darauf, zu erfahren, wie es in einem alten Jungfernstift um’s Kaffeestündchen aussieht! Heilige Diana, Deine Jüngerinnen müssen des Anschauens wert sein, verdienen es, dass ein junger Cavalier über Land fährt, um sich mit eigenen Augen an der unendlichen Komik zu ergötzen, welche man neidisch hinter den Mauern von Hersabrunn versteckt!«
»Da haben wir’s! … Mokieren wollen Sie sich, die Geißel Ihres Spottes über den armen alten Damen schwingen, welche sich aus der abscheulichen Welt in dieses stille Heim geflüchtet! – Man braucht Sie ja bloß anzusehen, um sofort die Motive Ihrer Wißbegierde illustriert zu haben! Ich gebe gern zu, dass es für einen so heiter beanlagten Menschen wie Sie einen außerordentlichen Reiz haben muss –«
»Katakomben zu besuchen!«
»Abscheulich!«
»Also keine Skelette? Ich habe nur ein einziges Mal im Leben eine Stiftsdame gesehen, – die hatte aber überall, wo man sie ansah, eine Lücke … brr … dieses böse Gesicht! … als ob ich etwas dazu gekonnt hätte! … Bitte, bitte schnell etwas Zückerchen, damit es wieder gut Wetter gibt!« – Und Olivier zog hastig eine Bonbonière aus der Brusttasche und offerierte mit allen Zeichen tödlichster Angst und Hast, dieweil er sich vor innerem Lachen schüttelte. »Eine Marone, auf meinem Herzen geröstet – pikant und empfehlenswert … ich hatte sie eigentlich für diejenige Hersabrunner Schöne bestimmt, welche die wenigsten Zähne hat« – –
Ganz eigentümlich zuckt es um die Lippen der Hofdame, kämpfend zwischen Unwillen und Heiterkeit; die Miene einer Mutter, die dem Liebling zürnen will und dennoch lächeln muss.
»Unglaublich! Wollen Sie mit diesen kandierten Katapulten Bresche in die Herzen der Antiken schleudern? Sie sind ein gefährlicher Mensch, Herr von Nennderscheidt, ein Adler im Taubenschwarm, vor welchem man warnen muss! Hand auf’s Herz, Baron, auf welche der Damen haben Sie es abgesehen?«
»Wenn ich einen Spiegel hier hätte, würde ich sie Ihnen sofort zeigen!«
Die schlanke, nicht allzu kleine Hand der jungen Dame, welche sich seitwärts auf den Wagenschlag stützte, zuckte leicht zusammen. Langsam sanken die Wimpern über die klaren, ernsten Augensterne.
»Dass Sie doch niemals ihr diplomatisches Talent verleugnen können! Ein Gegner, welcher selber die Waffe aus der Hand wirft, ist unschädlich gemacht.«
Excellenz Wolter hatte das Monocle eingeklemmt und grüßte huldvoll die kleine Schar Dörfler, welche mit offenen Mäulern, tief respektvoll am Wege Spalier bildeten; niedere Bauernhäuschen säumten rechts und links die Straße, und fern über die Wipfel eines ausgedehnten Parks erhob sich der wunderlich geformte, schiefergedeckte Turm des Stiftes Hersabrunn.
Olivier neigte sich näher zu Fräulein von Speyern, dämpfte die Stimme und sagte mit einem selten weichen und herzlichen Ausdruck: »Und warum müssen Sie stets das – Verrückteste und Schlimmste von mir glauben? – Wäre es nicht viel natürlicher, dass es mich um der Spazierfahrt und nicht um des Besuches willen nach Hersabrunn gezogen? Wenn man zwei Stunden lang eine Rose an der Brust tragen darf, nimmt man schließlich am Ziele auch den Ruinen-Epheu mit in den Kauf! Das Kind muss doch einen Namen haben, Fräulein Fides, und … für gewöhnlich nehmen Sie mich ja nicht mit, wenn Sie über Land fahren!«
Die schwarzen Spitzen wogten über der Brust der Hofdame, und die reichen Schmelzperlen glitzerten und blitzten auf, als glühe tief innen ein Feuer, flammend und allgewaltig, das seine Funken emporsprüht, als wolle es die engen Schranken durchbrechen.
Sie antwortete nicht; als aber die Equipage eine viertel Stunde danach in dem gepflasterten Schlosshof, vor dem Portale hielt, Olivier sich mit schnellem Sprunge aus dem Wagen schwang und, dem Lakai zuvorkommend, Fräulein von Speyern die Hand bot, da ging es wie ein leichtes Beben durch ihre hohe Gestalt, und als sich Blick in Blick senkte, da däuchte es dem Freiherrn, als sei plötzlich das Eis geschmolzen, welches ihr graues Auge bisher so kühl und stolz verschleiert.
Hersabrunn ist ein uraltes Schlösschen; die Chroniken nennen die Markgräfin Wilhelmine Dorothea, †1509, seine Stifterin.
Ursprünglich zum Wittwensitz fürstlicher Gemahlinnen bestimmt, wurde es später Domäne, eine Zeit lang Lazareth, Waisenhaus, wieder Domäne und endlich, als ein Geschenk des Großherzogs, ein Stift für unbemittelte, hochbetagte adlige Fräuleins. – Die weiten Säle, die niederen, enggewölbten Corridore und schmalen Holzstiegen hatten schon mancherlei Leben und Wandel an sich vorüber ziehen sehen. Zuerst wehten die düstern Wittwenschleier, rauschten verbrämte Brokatschleppen und glitten unhörbare Höflingssohlen, dann lagerten hohe Getreideschütten auf gebräuntem Parquet, raschelten Ratten und Mäuse im Bohnenstroh, und lärmten wiederum fröhliche Kinderscharen durch die lange Flucht der Säle. – Jetzt endlich herrschte von all’ dem ein buntes Gemisch. Auf dem Stroh, unter alten Ahnenbildern breitete sich die Obsternte der Stiftsdamen aus; im würdigen, langschleppenden Ornat schritten etliche Fräuleins, der Oberin nacheifernd, feierlich einher, dieweil der größte Teil ihrer Genossinnen ein wundersames Illustrationswerk längst vergessener Moden bildete. –
An den grauen Mauern des dreigiebligen Frontgebäudes rankten Wein und Spalierobst, und ein rebenumsponnenes Holzgelände zog sich wie eine Art Laubengang vor dem schmalen Trottoir her.
Ein uraltes Brunnenhäuschen stand inmitten des Hofes, hohes Gras wucherte zwischen den Pflastersteinen, und das Rasen-Rondel, auf welchem kleine Beete mit Astern und Georginen prangten, sah aus wie ein Pelz, in welchem die Motten gewesen.
Sämmtliche Bewohnerinnen des Stiftes waren vor dem Hause versammelt, die höchsten Herrschaften zu begrüßen. Vornan stand die Oberin, eine mittelgroße, untersetzte Frauengestalt, welche das ergraute Haupt voll natürlicher Würde auf den Schultern trug und in jeder Geste und Miene ihre Stellung auf das Vornehmste repräsentierte.
Sie war die einzige der Damen, welche einen schwarzen Kopfputz, ähnlich einem hohen Crèpe-Diadem, von welchem ein schwarzer Schleier lang über den Rücken herniederfällt, trug; die Stiftstracht hatte aus einer Zeit freiwilliger Krankenpflege eine steife weiße Leinenhaube beibehalten, welche das Antlitz gleichwie mit ein paar Scheuledern umrahmte, und welche ausnahmslos von sämmtlichen Bewohnerinnen Hersabrunns zur Gala getragen wurde.
Gleich einer Nonnenschar, eine wie die andere im schwarzseidenen Kleid mit dem großen goldenen Wilhelminen-Kreuz auf der Brust, rangierten die Stifts-Fräuleins voll peinlicher Genauigkeit nach Titel und Rang hinter der Oberin eine der originellsten Auslesen vornehmer alter Frauen-Physiognomien.
Geradezu frappierend wirkte inmitten dieser gleichmäßig gekleideten Damen die Erscheinung einer uralten kleinen Frauengestalt, welche sich voll ostensibeler Eigenwilligkeit nicht neben, sondern sogar vor die Oberin drängte.
Bunt wie ein Papagei stach sie gegen die Genossinnen ab, so eigenartig und wunderlich, so unsagbar altmodisch und doch in jedem Zwirnsfaden so echt und originell, als habe sich eines jener Gräber hinter der Kapelle geöffnet, um eine Tochter lang versunkener Jahre unverändert an das Licht treten zu lassen.
Ein ganz, ganz enges, grasgrünes Seidenkleid, in welches köstliche, durch die Zeit etwas gebleichte Bouquets eingestickt waren, schloss sich wie ein Funeral um die kleine, zusammengeschrumpfte Figur in kurzer Taille, hoch unter der Brust durch einen rosa Atlasgürtel mit aufsteigender Schneppe geschlossen.
Eine dicke, etwas chiffonierte Tolle schloss den Rock über dem Knöchel und gab einen Fuß frei, welcher in hackenlosem, grünen Atlasschuh mit Kreuzbändern kokett den seidenen, ehemals rosa gewesenen Strumpf zeigte.
Der Hals war trotz der vorgeschrittenen Jahreszeit tief entblößt und nur geschmückt mit einem schmalen, schwarzen Sammetband, an welchem sich ein Pastellbildchen – einen Offizier mit gepuderter Perrücke darstellend, von Brillanten umrahmt, wiegte.
Gelb und entsetzlich dürr war der Hals, ebenso fleischlos und verdorrt wie die Ärmchen, welche aus den dicken Puffärmeln hervorstachen und vielfach geflickte Filethandschuhe trugen. Ein florartiger Shawl lag niedergeglitten über den Ellenbogen, und ein dickgefüllter, grellbunter Pompadour schaukelte sich an dem Handgelenk.
Ein ganz undefinirbares Chaos von Blumen, Federn und Bandschleifen aber balancierte auf dem Kopf, welchen ohne jegliche Anstrengung von Diskretion eine sehr fuchsig gewordene Perrücke bedeckte.
Silberweiße Haarsträhnchen hatten sich naseweis unter den Lockenringeln auf die Stirn hervor gestohlen, und die grellroten, abgezirkelten Flecken auf den Backenknochen waren nun und nimmermehr auf natürlichem Wege dahin gekommen.
Die kleine Dame hatte keinen Zahn mehr im Munde, nicht ein faltenloses Fleckchen mehr im Gesicht, dessen scharf vorspringendes Näschen ihm einen eigentümlich, vogelartigen Ausdruck gab; aber die kleinen, stechenden Schwarzäuglein flimmerten und blitzten wie zwei Sternlein unter den weißen Brauen, und in dem ganzen, winzigen Figürchen lag eine solch’ quecksilberige und jugendliche Behändigkeit, dass man vollständig an dem Exempel irre wurde –: »wie alt mag die wohl sein!«
Die Großherzogin war Protectorin des Stiftes und kümmerte sich voll liebenswürdigsten Interesses um all’ die kleinen Leiden und Freuden, welche sich hinter seinen grauen Mauern abspielten. – Alljährlich am Gedenktage der Einweihung begab sich die hohe Frau persönlich nach Hersabrunn, um unter den drei historischen Linden den Kaffee bei den alten Fräuleins zu trinken.
Ehe die Oberin dem hohen Besuch respektvollst entgegen treten konnte, hatte sich die wunderliche kleine Person im grünen Kleide bereits auf das Graziöseste wippend und knixend vorgedrängt, streckte Rudolphine Alexandrowna beide Hände entgegen und überflutete sie mit einem Schwall kaum verständlicher Worte: »Grüße Sie Gott, allergnädigste Herrin! – sehr wohl – sehr wohl zur Stelle! freut mich, freut mich bitte allerschönstens näher zu treten, näher zu treten; der Kaffee wird am Ende sonst kalt, am Ende kalt, und dann schmeckt er nicht, wissen Sie, liebe gnädige Frau! ja, ja, schmeckt nicht! … Sehen aber recht wohl aus, – recht wohl, und ein nettes Mäntelchen … gewiss recht teuer gewesen, ei ja, recht teuer gewesen … auch gutes Stöffchen dafür … freut mich, freut mich! … bitte allerschönstens, hübsch näher zu treten –«
Die Oberin wurde dunkelrot und blickte mit wahrhaft verzweifeltem Blick auf diese mehr wie eigentümliche Gruppe; die Großherzogin aber lächelte in ihrer so unendlich gütigen Weise, ließ freundlich ihre Hände drücken und sagte, die kleine Dame wie eine gute Bekannte grüßend: »Guten Tag, meine liebe Frau von Körberitz, wieder frisch und munter, wie im vergangenen Jahr! Sogar ganz jugendlich im decolletierten Kleid – werden Sie sich nicht erkälten?«
»Erkälten hihihi! … nein, meine Liebe … Jugend hat ja warmes Blut … sehr warmes Blut … und Sie wissen, dass ich erst viel viel später wie all’ diese Damen geboren bin … ja wohl geboren bin, wenn die neidischen Schlangen mir auch zum Ärger behaupten wollen, ich sei mit Ansbach und Baireuth dermalen schon an Preußen abgetreten … hihi … lauter Neid … sind boshafte Kröten, die Dämchen da … ja wohl, boshafte Kröten! … empfehle mich Ihnen, meine anderen Herrschaften –« und Frau von Körberitz wandte sich knixend, ohne jeden Übergang an das Gefolge der Großherzogin und klopfte Prinzessin Margaretha mit dem Fächer zärtlich-graziös die Wange. »Das liebe Schwiegertöchterchen, nicht wahr? … freut mich ungemein, ganz ungemein …, habe schon viel von Ihnen gehört … sehr viel … wie geht es denn dem schönen Gatten und den Kinderchen? … ganz recht, den Kinderchen … nicht viel Pflaumen essen lassen … böse Zeit jetzt – so eine junge Mutter ist ja uner fahren, natürlich unerfahren … und dann ist’s Malheur da!… Und Sie da?… Wer sind Sie denn? aha, kann mir schon denken, mit zwei hundert Talern Gehalt und freier Station … bekam ich auch als Hofdame … kürzlich noch … ich bin ja noch in den besten Jahren und nur wegen Marie-Luischen hier … wegen Marie-Luischen, wissen Sie … Wo ist denn das Kind? … nicht hier? … oh! oh! … Luischen! … Luischen!« … und Frau von Körberitz wandte ihren Gästen jählings den Rücken und flatterte wie ein Backfischchen die Treppe empor.
Fides warf einen Blick nach Nennderscheidt. Der tolle Junker stand regungslos, – starr, – versunken im Schauen. Sein ganzes Gesicht strahlte Vergnügen, aus weit aufgerissenen Augen folgte sein Blick der närrischen kleinen Person, deren rosa Schärpenbänder noch von dem Hausflur her zurück leuchteten.
Dann wandte er sich hastig zu Fräulein von Speyern. – »Also das war die ergebene Körberitz«, jubelte er, ohne die Stimme zu dämpfen, »ist ja ein göttlicher Spaß! In die Alte verliebe ich mich, die muss mit in die Residenz – die muss ich mir malen lassen, so etwas findet sich ja gar nicht zum zweiten Mal!«
»Warum nennen Sie das arme, kindische Geschöpf ergebene Körberitz?«
»Na das ist doch die, welche ihre Briefe an Königliche Hoheit nie anders unterzeichnet als wie: ›Mit schönstem Gruß Ihre ergebene Körberitz!‹ weil sie behauptet, sie sei keinem Menschen unterthänig, sie bezahle im Stift und habe keinem Menschen etwas zu danken …«
Fides lächelte. »Wie gut Sie unterrichtet sind! Woher stammen diese Kenntnisse?«
Olivier zuckte die Achseln: »Ein Mann, der auf Freiers Füßen geht, muss sich doch unter den Schönen des Landes umschauen! Halten Sie mir den Daumen, dass mich der neckische kleine Grünspecht nicht heimschickt. – Mit Ansbach und Baireuth annectiert … Heilige Unverwüstlichkeit – das sind ja bald hundert Jahre!!« – – –
Unter den mächtigen weitverzweigten Parklinden waren drei Tafeln gedeckt, an welchen die Hohen Herrschaften Platz genommen hatten. Die Lakaien trugen in weiß geflochtenen Körben das Gebäck herzu, welches die Großherzogin alljährlich zur Feier des Tages mitzubringen pflegte, und welches von gar Vielen der alten Fräuleins mit entzücktem Schmunzeln auf Güte und Quantität eingehendst geprüft wurde.
Als man sich bereits niedergesetzt hatte, tauchte zwischen den Gebüschen abermals die farbige Gestalt der Frau von Körberitz auf. Sie führte, resp. zog ein junges Mädchen ebenfalls in das Ornat der Stiftsdamen gekleidet, nach sich.
Angesichts der Gesellschaft sank das Köpfchen in der unförmigen Haube wie gebrochen auf die Brust, willenlos ließ sie sich dirigieren, und die Hand, welche einen schlicht gebundenen Strauß Herbstblumen trug, zitterte ersichtlich. »Aber Luischen … kleines Gänschen Du … willst Du sofort der Allergnädigsten Deine Aufwartung machen, ja, ja, Aufwartung machen! Habe doch bei Gott nicht umsonst meine schönen Astern geschnitten, – ja wohl ja, Astern, – augenblicklich wirst Du sie geben, Luischen!« … und Frau von Körberitz zerrte ihr Schlachtopfer neben den Sessel Rudolphine Alexandrowna’s und fuhr, behände sich wiegend und wippend wie ein Bachstelzchen, fort: »Dies ist nämlich Marie-Luischen, meine Großnichte, liebe Serenissima, ein allerliebstes junges Mädchen … jawohl, sehr junges Mädchen, welchem die andern alten Giftspinnen, wie gesagt Giftspinnen, Angst vor Ihnen machten … wollten uns alle Beide rausbeißen, weil wir die Jüngsten sind! … haha … offenbar die Jüngsten! Die Blumen sind von mir, wohlverstanden, Luischen darf sie nur überreichen!« Mit tiefem, feierlichem Knix sank die überschlanke, noch sehr kindlich eckige Gestalt Marie-Luises in sich zusammen; glühendes Rot färbte das schmale Gesichtchen, welches sich noch tiefer hinter den Haubenklappen zu verstecken schien.
Die fürstlichen Damen wandten sich mit liebenswürdigsten Worten an die so wunderlich Präsentierte; Frau von Körberitz klemmte sich ungeniert einen Stuhl zwischen die Oberin und die Großherzogin und sorgte auf das Lebhafteste für Unterhaltung.
Marie-Luise aber trat auf den Wink einer Stifts dame an den Nebentisch und beteiligte sich daran, die Kaffeetassen aufzutragen.
Mit den verschiedensten Blicken war die originelle Szene beobachtet worden. Etliche der alten Fräuleins schienen Gift und Galle über die unverfrorene Dreistigkeit der »Körberitzen«, andere lachten und amüsierten sich in nachsichtigster Weise.
Olivier wandte sich an seine Nachbarin, ein äußerst angenehmes und würdevolles Fräulein von Bohlen und bat um den Commentar zu dieser wunderlichen Erscheinung.
»Frau von Körberitz ist die einzige verheiratete Dame des Stiftes«, erhielt er zur Antwort, »welche durch besondere Fürsprache der hochseligen Großherzogin Mutter bei uns aufgenommen wurde, da sie keinerlei Familienanhalt mehr auf der Welt hat. Sie ist durch und durch Original und lebt so zu sagen mit uns in ewiger Fehde, weil etliche grillenhafte und nervöse Genossinnen ihr öfters Opposition machen.« –
»Und wer ist Luischen?« –
»Ihre Großnichte, Marie-Luise, Gräfin Herff. Ein höchst beklagenswertes kleines Wesen, welches völlig allein auf der Welt steht und darum, ebenfalls ausnahmsweise, bei der einzigen Anverwandten hier im Stifte Aufnahme fand.« –
Olivier schaute mitleidig nach der Genannten hinüber, welche voll peinlichster Verlegenheit, herzlich ungeschickt ihres Amtes waltete. Soeben schritt sie abermals um die Tafel, geleerte Tassen abzunehmen.
Sie schien den Blick zu fühlen, schaute jäh empor und starrte ihn an. Die Betroffenheit gab ihr etwas Lächerliches und verzog das hagere Gesichtchen in unschöner Weise. Olivier nickte ihr zu und hob seine Tasse.
Wieder flammte es über ihre Stirn, wie ein schmaler dunkelroter Strich hob sich das Antlitz aus den Leinentollen. Schnell kam sie herzu, stolperte über eine Wurzel und stieß einen Lakai an; dann endlich stand sie hinter ihm, streckte den Arm aus und nahm die Kaffeeschale. Eine rote, verarbeitete Hand tauchte an sehr magerem Arm aus dem weiten Ärmel.
Olivier wandte sich lachend zurück. »Nicht zu voll schänken, Fräulein Luischen, ich trinke diese zweite Auflage nur noch Ihnen zu Ehren!« Wieder starrten ihn die großen, dunkeln Augen einen Augenblick an, dann schrak sie zurück wie ein scheues Reh und eilte davon.
»Sie ist wohl sehr schüchtern?« fragte Nennderscheidt seine Nachbarin.
»Mehr wie das! Wie soll es auch anders sein? Das arme kleine Ding sieht ja außer uns fast nie ein fremdes Gesicht.« –
»Wird sie stets hier bleiben?« –
»Davor möge sie Gott bewahren!« Fräulein von Bohlen seufzte leise auf, »ich habe die Kleine lieb und wünsche ihr ein freundlicheres Geschick. – Gott aber weiß allein, wie das zu bewerkstelligen sei!« –
»Hat sie Geld?« –
»So gut wie nichts.« –
»Hm … und sonderlich hübsch scheint sie auch nicht zu sein; nun kommt Zeit, kommt Rat.«
Der Freiherr brach ab und wandte sich chevaleresk zurück, um sich vor der zurückkehrenden jungen Dame zu erheben und die Tasse in Empfang zu nehmen. Marie-Luise aber hatte das nicht vorausgesehen, sie war hastig herzugetreten und prallte gegen seinen Arm.
Der heiße Kaffee floss über und verbrühte ihre Hand; ohne zu zucken, setzte sie die Tasse nieder. Olivier aber stieß einen leisen Laut des Schreckens aus, riss sein duftendes Taschentuch aus der Brusttasche und erfasste die Rechte der Comtesse, um die verletzten Finger zu trocknen. Sie wich zurück. Fast entsetzt barg sie die Hand auf dem Rücken; abermals schlugen sich die dunklen Wimpern empor. – Dann schüttelte sie so heftig den Kopf, dass die weiße Haube ihr um die Wangen schlug, und das sah wieder unendlich komisch aus.
»Sie haben sich verbrannt, Fräulein Luischen! es gibt womöglich Blasen!!« – Seine Stimme klang, als spräche er zu einem Kinde. Sie lächelte, wurde abwechselnd blass und rot. »Es tut nicht weh!« – Sehr leise sagte sie es, und der Ausdruck ihres Gesichtchens hatte in feiner sanften, geduldigen Lieblichkeit etwas Rührendes. Dann war sie fortgehuscht.
Als man später eine Tour durch den Park gemacht hatte und durch die Anlagen zurück kam, räumte Marie-Luise in Gemeinschaft mit einer alten Magd den Kaffeetisch ab.
Mit einem Tablett voll Tassen kam sie dem Freiherrn und Fräulein von Speyern entgegen. – Olivier war sehr animiert, klemmte den Kneifer auf die Nase und trat der jungen Dame in den Weg.
»Nun Comteßchen, wie geht es den Fingern? Darf ich mir die Patienten einmal betrachten, ob es notwendig ist, dass ich Marie-Luischen mit in die Residenz zu dem Herrn Doctor nehme?« –
Wieder dieses stumme, angstvolle Anstarren und Erglühen. Die Tassen klirrten leise auf, der Kopf sank jählings nieder und, mit hastigem Schritt seitwärts auf den Rasen ausweichend, floh sie an ihm vorüber.
Nennderscheidt sah ihr lachend nach. –
Marie-Luise aber blieb verschwunden. –
Freut auch des Lebens, So lang noch das Lämpchen glüht!
(Volkslied.)
Nach Sonnenuntergang war es kühl geworden; Frau von Körberitz hatte in Folge dessen eine sehr schäbige, unförmig weite Pelzjacke über ihr grünseidenes Kleid gezogen, und zwei Stückchen Kuchen in Zeitungspapier gewickelt, welche die Erbgroßherzogin den Kinderchen zu Hause von Tante Körberitz mitbringen sollte. »Ich habe eine Tüte gemacht, kleines Frauchen, und dieselbe ringsherum zugenäht, jawohl, zugenäht!« flüsterte sie der Prinzessin zu, »falls die Hofdame den Kuchen tragen muss, wohlverstanden! Naschen ja alle wie die Katzen, die Hofdamen, weiß das, weiß das noch aus Erfahrung!« – und ihre scharfen Äuglein flinkerten feindselig zu Fräulein von Speyern hinüber. –
Dieweil die Wagen bestellt wurden, nahm sie die »Allergnädigste« noch einmal geheimnisvoll bei Seite und erschöpfte sich in Aufträgen, welche sie der Groß herzogin zur gütigen Besorgung mit in die Residenz gab. –
Mit außerordentlicher Huld und Güte ließ die hohe Frau den Wirbelwind von Worten über sich hinstürmen, winkte der schier verzweifelnden Oberin lächelnd ab und versprach der Frau Rittmeister, Alles zur vollen Zufriedenheit zu erledigen. –
Darauf bestiegen die Herrschaften die Wagen.
»Also ja nicht vergessen, bei dem Schuster tüchtig zu handeln!« – schärfte die Körberitz den Damen noch einmal mit wichtig erhobenem Finger ein, und dann vermisste sie plötzlich Luischen, – das dumme kleine Luischen, welches sich mal wieder in irgend einen Winkel verkrochen hat. – Laut rufend und gestikulierend, flatterte sie davon, und der Strickbeutel tanzte in heftigen Schwingungen nebenher, und die Blumen und Federn der Dormeuse schwankten vornüber. – – »Ein Königreich für einen Maler!« seufzte Baron Nennderscheidt mit lustblitzenden Augen!
Die Rosse griffen aus, und die starren Grashalme zwischen dem Hofpflaster beugten sich unter die zermalmenden Räder. Olivier’s Blick aber flog noch einmal über die Schlossfront, und er schwang grüßend den Hut nach den alten Damen zurück und schied so ungern von Hersabrunn wie ein Kind, welches man mitten aus dem schönsten Spiele reißt.
Als er nach den wunderlich verschnörkelten Giebeln und Erkerchen emporschaute, da däuchte es ihm, als schimmere hinter einer Dachluke die unförmige Haube Marie-Luisens … er lachte laut auf und nickte zu ihr empor.
Klirrend schlug droben das Fenster zu – und die Equipage sauste scharf um die Ecke, in die laubige Lindenallee hinein.
Fräulein von Speyern war nachdenklich und schweigsam, Excellenz Wolter etwas ungehalten über den »niederträchtigen Kaffee, welcher sicherlich nichts in den Weg gelegt hätte, wenn man auf dem tiefsten Grund der Tasse Trichinen und Bacillen mit großer Klarheit hätten erkennen wollen; außerdem drohe es jetzt noch zu allem Überfluss mit Regen – und der Abend sei sehr kühl geworden« – und der alte Herr schlug vor sittlicher Entrüstung den Rockkragen empor und wickelte die getigerte Decke fester um die Kniee.
Baron Nennderscheidt trug fast allein die Kosten der Unterhaltung. Er war im Gegensatz zu seinen Reisegefährten äußerst animiert, drehte den blonden Schnurrbart in die kühnsten Façons, schob den Hut seiner Angewohnheit gemäß in den Nacken und versicherte, dass er sich ganz famos amüsirt habe. Selbst dem Kaffee habe er all seine Schlechtigkeit verziehen und sei im Stande, noch einen Eimer voll von diesem Gift einzunehmen, wenn er zum Lohne dafür in Hersabrunn den Geist aufgeben dürfe! – Und er erzählte in seiner übermütigen, aber niemals boshaften Weise all die kleinen, scherzhaften Szenen, welche sich zwischen ihm und der ergebenen Körberitz, sowie einigen anderen Originalen abgespielt hatten. Der kleinen Gräfin Herff gedachte er mit herzlichstem Bedauern, gleich eines Vögelchens, welchem man gern die Türe des Käfigs öffnen möchte.
Fides blickte ihm sinnend in das Antlitz; die schnell zunehmende Dämmerung malte tiefere Schatten um ihre Augen und ließ sie noch ernster denn sonst erscheinen. »Sie beklagen die Kleine, Herr von Nennderscheidt, und wissen doch gar nicht, ob sie in der Tat beklagenswert ist. Wohl dem, welcher die Welt mit ihren spärlichen Blüten und ihren wuchernden Nesseln und Dornen nicht kennt; er weiß es selber nicht, wie viel bittere Enttäuschung, Qual und Aufregung ihm erspart bleibt. – So lange Marie-Luise hinter den Mauern von Hersabrunn lebt, in diesem stillen, wohligen Frieden, einsam und ohne rauschende Lebensluft, aber auch ohne die Fieberschauer von Liebe und Hass, so lange werde ich sie nicht bedauern, sondern sie vielmehr beneiden. Wenn aber das Gitter sich öffnet, und das unerfahrene, verwaiste Vögelchen in die Welt hinaus getrieben wird, in das Aprilwetter von Regen, Schnee und Sonnenschein, das junge Seelen wie ein Wirbelwind erfasst, – dann werde ich Marie-Luise von Grund meines Herzens beklagen, denn dann wird sie solchen Mitleids bedürfen.«
Olivier faltete die Hände und machte die fromme Miene, mit welcher er den feierlich ernsten Ton der Hofdame mit Vorliebe persiflierte. Dann lachte er lustig auf. »Gott sei Lob und Dank, dass es nicht viele junge Damen gibt, welche Ihren mehr wie einsiedlerischen Geschmack teilen, sonst könnten wir vom starken Geschlecht wohl schließlich mit Honigkuchenfrauen fürlieb nehmen! Apropos … Honigkuchen! Das erinnert mich ja wieder an den Kaffeetisch von heute Nachmittag! Als die Lakaien die Wagenladungen von Süßigkeiten auspackten, da rieselte es mir kalt über den Rücken, und ich dachte, – ›von dem Kuchen knuppern die alten Fräuleins bis zum nächsten Osterfest!‹ – Aber proste Mahlzeit! Haben Sie gesehen, wie die alte Garde weder starb, noch sich übergab« – –
»Hm … hm …, e rgab! lieber Baron!« – hüstelte Excellenz Wolter mit freundlichem Grinsen.
»Wie Sie befehlen, Gestrengster. – Also man legte die Lanze ein und stürmte die Schanzen von Bisquit und Blätterteig, und da dieselben solcher Kampfbegier nicht widerstehen konnten, verfuhr das Amazonencorps mit ihnen, wie weiland der grausame Scipio mit Karthago. – es blieb nichts – auch gar nichts übrig!« – –
Nennderscheidt hatte seinen Willen erreicht, – Excellenz Wolter warf das lauschend vorgestreckte Haupt mit krähendem Auflachen zurück, und durch die Lippen der Hofdame leuchteten die weißen, gleichmäßigen Zähne. Tiefer und tiefer sanken die Schatten, und die Stimmung des Freiherrn ward immer animierter, und der Plan, welchen er für einen nächsten Besuch in Hersabrunn entwarf, immer abenteuerlicher und toller. Wie unförmige Riesengebilde tanzten die Bäume des Waldrandes zur Seite vorüber. Nebel stiegen über den morastigen Wiesen empor, und fernab in einem Dörfchen blitzten die ersten Lichtfunken auf. – Ein kleiner Fluss schlängelte sich unter tiefhängenden Gebüschen durch das flache Land und ward an der Chaussee durch eine schmale Brücke überspannt. Weidenstümpfe standen rechts und links der weißen Ecksteine und streckten einander die trockenen Äste zu, wie wunderliche Spukgestalten, welche sich mit wehendem Haar zum Tanze umschlingen wollten.
Lachen und lauter Gesang schallte von jenseits der Brücke herüber. Ein leichtes Korbwägelchen, mit einem Schimmel bespannt, rollte in flottem Tempo herzu und erreichte die Brücke eher wie die Hofequipage. Der Kutscher derselben riss die Zügel an und hielt wartend zur Seite, da die Passage zu schmal war, um zwei Gefährten Raum zu geben. – Nennderscheidt richtete sich empor und schaute voller Sympathie nach dem, langsam über die Holzbohlen stolpernden Wagen, welcher so lustige Insassen beherbergte. Dorfmusikanten! – Fidele Kerle mit schiefgesetztem Filz und fadenscheiniger Joppe, mit Pauke und Horn, Clarinette und Triangel, und einem menschenfeindlich kläffenden Spitz auf dem Kutscherbock, welcher während der Concertreise durch die Dörfer der Einzige ist, der nicht mit an der großen Schnapsflasche participirt! Mit einem schnellen Blick hat der »tolle Junker« die Situation überschaut und erfasst. – Seine Gedanken und Ideen zucken ihm blitzartig durch den Kopf und werden ebenso flink und ohne Überlegen ausgeführt.
»Heda! Jungens, wohin?« –
Der Hornist nimmt hastig die Pfeife aus dem Mund. »Nach Obernwies hinter Hersabrunn, Ew. Gnaden!«
»Halt! – ich will mit!« – Und ehe nur der überraschte Jünger Euterpes sein Schimmelchen anhalten kann, und der großherzogliche Kutscher höchlichst überrascht sein Gesicht mit dem englischen Bart umwendet, stößt Olivier auch schon den Wagenschlag auf und springt zur Erde. – »Adieu, meine Herrschaften! – ich muss der Körberitzen ein Ständchen bringen! Bitte, schicken Sie mir morgen meinen Wagen nach Hersabrunn heraus! … Servus!!« – und ehe nur Wolter oder Fides ein Wort erwidern können, schwingt sich der Reichsfreiherr von Nennderscheidt bereits auf das Rad des Korbwägelchens und verdrängt das wütend keifende Spitzle von seinem angestammten Platz neben dem kutschierenden Herrn.
»Jungens – Ihr müsst mir in Hersabrunn eins aufblasen! – Je schönere Liebeslieder Ihr könnt, desto besser bezahle ich sie Euch! – Und nun los! macht mal Feuer hinter Euer bleiches Roß, dass wir die Vögel nicht schon im Neste finden, wenn wir kommen!« –
Jubelndes Halloh – – die Trompeten an den Mund und einen schmetternden, undefinirbaren Tusch! – der Kutscher hieb wie besessen auf das Schimmelchen, und heida ging es mit knatternden Hufen zurück nach Hersabrunn. Die großherzoglichen Hoflakaien saßen rückwärts, mit weitoffenen Mäulern und starrten dem Korbwägelchen nach wie einer Vision. Excellenz Wolter aber schlug höchlichst alteriert die Hände zusammen und hob sie wie beschwörend gegen Fides: – »Nun bitte ich Sie um Himmels Willen, meine Gnädigste, was sagen Sie dazu?! In Nacht und Nebel mit dem gewöhnlichsten Musikantenvolk hinaus! Ein Ständchen in Hersabrunn unter dem Fenster der Rittmeisterin! – Ist es zu glauben … überhaupt auszudenken? – Grâce à Dieu – wie wird sich unsere gute Residenz wieder über solche Tollheit die Mäuler« … Excellenz musste sich leider in der Hälfte der Rede unterbrechen, denn er hatte zu hitzig gesprochen und fuhr hastig mit dem feinen Battisttuch nach dem Munde, um die aufklappenden Zähne wieder festzudrücken. Eine feine Falte lag zwischen den Augenbrauen der Hofdame. »Zufahren, James!« befahl sie in ihrer ruhigen und ernsten Weise – und fügte, zu dem alten Reisemarschall gewandt, mit leiserer Stimme hinzu: »Sind Sie tatsächlich über diesen Scherz erstaunt, Excellenz? – Bei mir ist es umgekehrt der Fall, ich bin auf’s Höchste überrascht, wenn ein Tag vergeht, an welchem man nicht über einen ausgelassenen Streich des Herrn von Nennderscheidt zu lachen hat!«
»Sehr wahr, meine Gnädige … hahaha! … sehr wahr! warum hieße er sonst auch der tolle Junker?« –
Fides atmete tief auf und biss die Zähne zusammen. »Nicht durch eigenes Verdienst heißt er so, Excellenz, – wenn aber ein Demant in Blech gefasst wird, so verliert er seinen echten Glanz und wird um dieser gemeinen Umgebung willen von der Welt für einen Kiesel angesehen!«
Das Kinn des alten Höflings klappte auf’s Höchste verblüfft auf den Rockkragen hernieder. »Ah … Sie glauben die Gesellschaft jenes, jenes anderen Sonderlings … des Grafen Goseck wirke schädlich auf den jungen Mann ein?!«
»Ja! – Nennderscheidt ist ein braver Mensch, ein goldgetreues Herz«, – nickte Fräulein von Speyern herbe, – »aber Graf Goseck knetet dieses Gold zwischen den Händen und zersetzt es künstlich mit all’ jenen Schlacken, welchen das geschmackverderbte Publikum als Originalität und amüsanter Tollheit applaudiert!«
Einer solch klar ausgesprochenen Ansicht war Excellenz Wolter bis jetzt noch nie begegnet, und da er es sich sein Lebenlang zum Princip gemacht: niemals eine ganz direkte Meinung zu haben, geschweige sie auszusprechen, so beschränkte er sich auch jetzt darauf, ein undefinirbares Gemisch von Zustimmung und Zweifel zu hüsteln und hinter vorgehaltenem Taschentuch sehr verbindlich sein: »Ah, wahrhaftig … ganz charmant, ganz charmant!« zu lächeln. Der Wind pfiff scharf übers Feld und schnitt die Unterhaltung ab; – Fides aber wandte das Haupt zur Seite mit einem Gesichtsausdruck, wie Jemand, der sich plötzlich erinnert, dass es Verschwendung ist, Körner zu bieten, wo man nur leere Spreu verlangt.
Still und friedlich lag Hersabrunn im Schatten seiner hohen Linden und Kastanienbäume. – Die Fensterreihe des ersten Stockes war dunkel, nur der Esssaal im Parterre, woselbst die alten Damen nach Tisch noch ein Stündchen zusammen blieben, schickte durch drei helle Fenster freundlich einladenden Gruß in das Dunkel der Nacht hinaus. – Um das Rondel auf dem freien Platz vor dem Schloss schlich eine weiße Katze, und von dem Kiesweg herüber tönte ein schlurrender Schritt, pinkte es zwei, drei Mal und sprühte dann ein paar Funken … Der alte Gärtner Conrad, welcher sich auf dem Weg in sein Nachtquartier ein Pfeifchen leistete. – Dann klappte eine Tür … und aus dem Souterrain erschallte eine hohe Fistelstimme, welche unendlich kläglich das Lied von dem »Tannebaum – o Tannebaum« – in nicht immer zutreffender Melodie anstimmte. – Zwischendurch rasselten ein paar Teller … quietschte ein ersichtlich schlecht behandeltes Hündchen auf, – polterte und nieste es und versicherte zum Schlusse doch wieder: »O Tannebaum – o Tannebaum, wie grün sind deine Blätter!« – Heimlich, vorsichtig einherschleichend, wie die Diebe in der Nacht, tauchten im Dämmerschein des Schlossplatzes ein paar schwarze Gestalten auf, flüsterten und gestikulierten und drückten sich behutsam in den Schatten des Hauses, um sich auf leisen Sohlen an der Mauer entlang bis zu dem Rasenstück vor der Mittelfront zu pürschen. Dann wurde ein Kreis gebildet … blanke Musikinstrumente erglänzten, und der Freiherr von Nennderscheidt trat lachend zwischen seine Künstler und flüsterte: »Für’s Erste also einen recht rührenden Stoßseufzer, vielleicht ›Du, Du liegst mir im Herzen …‹ oder ›Hätt’ ich ein rotseidenes Bändchen, dann bänd’ ich’s Christinchen um’s Händchen!‹ – Man losgeschossen! – Ich werde zur Bekräftigung mit auf das Kalbfell pauken! – Achtung! … ›Du … Du liegst mir‹ … und einen Tusch voraus! Eins, zwei, drei …«
»Bum! – Tschinderadada! … Bum!« – –
Ein gellender Schreckensschrei in der Küche des Souterrains. – der »Tannenbaum« verstummt, es klirrt und schrillt … und droben in dem Esssaal findet die Angst ein Echo; – – sein jüngferliches Aufschreien, lautes Gelächter – Stühle werden umgerissen, und Kopf an Kopf drängen sich die schwarzen Schatten an die Fenster. Welch’ ein verändertes Bild von Hersabrunn! Draußen erklingt im fröhlichen Polkatacte das Lied der sehnsuchtsvollen Liebe, in dessen rührende Klänge in regelmäßigen Intervallen von zwei Minuten ein altes Reitersignal schmettert; die einzige Kunstleistung des Trompeters, welche jedoch in jegliches Lied hineinpasst, und welche in jeglichem Stück, sei es nun »Üb immer Treu und Redlichkeit – taterata!« – oder »In einem kühlen Grunde, da geht ein Mühlenrad – taterata – mein Liebchen ist gestorben, das dort gewohnet hat – taterata!« gleich große Effekte erzielt. – Zwischendurch aber wütet die Pauke und macht einen Spektakel, als solle dem Damenstifte Hersabrunn das Bombardement von Straßburg möglichst naturgetreu vor die Seele geführt werden. Ein Ständchen. – Abends neun Uhr ein Ständchen! – Solchen Evenements können sich selbst die Ältesten von Hersabrunn nicht aus den Annalen des Stiftes erinnern, und darum wirkt diese Überraschung ähnlich wie Feuerallarm, – es geht für ein paar Augenblicke Alles drunter und drüber.
Man reißt die Fenster auf – man ruft, lacht – schreit, – und erhält als einzige Antwort von einer johlenden Anzahl Männerstimmen die gesungene Versicherung:
»Du, du liegst mir im Herzen, Du, du liegst mir im Sinn.« –
Mit schlotternden Beinen kommt der alte Conrad, bereits in halber Nachttoilette in Hemdsärmeln, mit einer Strumpfkappe auf dem kahlen Kopf aus seinem Gärtnerstübchen gestolpert und beleuchtet die nächtliche Szene durch die hochgehaltene Stalllaterne. – Sein Gesicht mit den zahllosen Runzeln und Fältchen schneidet die wunderlichsten Grimassen, ähnlich einem Stotternden, der reden will und nicht kann, und die linke Hand umklammert die Tabakspfeife, an welcher der Alte in seinem ersten Todesschreck, da der Paukentusch ihm meuchlings durch alle Glieder fuhr, das Knöpfchen abgebissen hat. –
Angstvoll sichernd, mit vorgestrecktem Kopf, erscheint die stämmige Figur der drallen Küchenmagd Dörte hinter der halboffenen Souterraintüre, so allmählich nur in ihrer vollen Rundung auftauchend wie der liebe, gute Mond, welcher sich drüben, hinter den Baumwipfeln seine Bahn durch ziehendes Gewölk bricht. – Beide Hände drückt sie gegen den Magen, als fühle sie die Wirkung der großen Pauke noch immer darinnen nachzittern. –
Die Freitreppe herab aber stürmen die muntersten und »jugendlichsten« der Stiftsdamen. Baronesse Röschen mit dem Babykopf vornweg, als zweite hinter ihr das für gewöhnlich sentimental beanlagte Fräulein Friederika von Geuderheim, welche jedoch der Poesie wegen beansprucht, dass sie »Erika« genannt wird.–
Letztere hat in der Hast das kleine Corridorlämpchen ergriffen und fährt jedem der Musikanten damit beleuchtend unter die Nase, – plötzlich ein jubelnder Aufschrei – »Monsier le baron! … le baron de Nennderscheidt!!« – und Röschen schreit mit, und je nachdem es die alten Beine erlauben, eilt es die Treppe herab und umringt in höchster Fröhlichkeit den Ständchenbringer, welcher ritterlichst den Paukenschlägel präsentiert und dann mit weit ausgebreiteten Armen und Stentorstimme wiederholt: »Wisst nicht, wie gut ich Euch bin!« –
Die Frau Rittmeister von Körberitz, welche sich nicht sofort Gehör verschaffen kann und die Geduld verliert, erfasst den Freiherrn von rückwärts bei den Rockschößen und zieht, was nur das Zeug und Futter halten will. –
»Sie! … Sie! … junger Mann … müssen wir etwa die Kerle hier bezahlen? Bezahlen, frage ich? I, da sollte doch gleich! ei da wollte ich Sie doch gleich!« … und in höchster Alteration lässt sie Herrn von Nennderscheidt, welcher fest steht wie ein Baum und sich nur ganz verwundert nach der Ursache seiner ächzenden Rocknähte umschaut, fahren und hält laut aufschreiend beide Hände vor die Ohren. Der Trompeter hatte nämlich, dicht neben ihr stehend, mit voller Kraftaufwendung seine Fanfare losgeschmettert, und das nicht etwa aus Rancune gegen zarte Nerven, sondern lediglich aus Pflichtgefühl, – die zwei Minuten Pause waren um. –
Olivier erkannte mit Entzücken seine Freundin Körberitz, tat noch einen letzten Schlag auf die Pauke und streckte der Frau Rittmeister alsdann beide Hände entgegen. Nachdem er ihr auf Ehrenwort versichert hatte, dass er als galanter Cavalier ganz selbstverständlich alle Kosten dieses Ständchens allein trage, hatte er auch die Genugtuung, dass sie huldvollst in diese beiden Hände einschlug und ihn einen »ganz charmanten kleinen Schelm« nannte. –
Im Triumph wurde der späte Besuch in das Schloss geführt und die Oberin empfing ihn auf der Schwelle und gestattete voll freundlichen Ernstes, dass Nennderscheidt ihre Hand respektvoll an die Lippen zog. Sie dankte mit heiterem Lächeln für die liebenswürdige Aufmerksamkeit, welche sie sämmtlich in hohem Grade überrascht habe; aus diesem Grunde möge er die allgemeine Confusion und Aufregung freundlichst entschuldigen. Alsdann gab sie Auftrag, die Musikanten in die große Vorhalle zu rufen, und begab sich persönlich in die Küche hinab, um der Dörte die Zutaten zu einem kräftigen Eierbier einzuhändigen. Nennderscheidt aber befahl seinen Künstlern, ihr Bestes zu leisten, und versicherte alsdann der höchlichst animierten Damenschar, heute müsse noch ein ganz stylvoller Walzer getanzt werden. – eher würde er das Feld nicht räumen. Als er sich umschaute, sah er eine schlanke Mädchengestalt schüchtern an der Türe stehen. Er kniff die Augen zusammen und trat einen Schritt näher. Es war Marie-Luise. Sie hatte das schwarze Staatskleid abgelegt und ein sehr schlichtes graues »Nonnengewand« angezogen, welches ihr aber, trotz seiner talarartigen Façon ein besseres Ansehen gab; auch die weiße Haube hatte sie wieder sorglich in die Komode gebettet, und zum ersten Mal sah er das schmale, zarte Gesichtchen, um welches sich das Haar glattgescheitelt, aber in unendlich altmodischer Frisur legte. Er nickte ihr fröhlich zu und reichte ihr die Hand: »Na, Fräulein Luischen, sind Sie zufrieden mit mir?« –
Mit einem ganz eigenartig warmem Aufleuchten blickten die dunklen Augen zu ihm empor: »Ich habe Musik so sehr gern!« sagte sie leise. –
»Das freut mich! – freut mich weiß Gott von Herzen! Sehen Sie, Comteßchen, es gibt faktisch keinen größern Spaß für mich, als wenn ich Jemand eine Freude machen will, und die Leute haben dann auch wirklich ihr Vergnügen daran! – Also nun mal fröhlich und guter Dinge sein! Sie sollen heute sämmtlich vergessen, dass Hersabrunn das langweiligste Nest im ganzen Deutschen Reiche ist!« Das junge Mädchen blickte zu ihm auf, wie verklärt. Olivier sah es ihr an, dass sie mit sich kämpfte, ihm ein paar Worte zu erwidern, – plötzlich aber stieg glühende Röte in ihr Gesichtchen, sie neigte wie jäh erschrocken das Haupt und trat dann, wie erlöst aus quälender Situation, hastig der Oberin entgegen, welche mit einem Tafeltuch auf dem Arme in den Saal trat. – Die Damen umringten ihren so köstlich amüsanten Gast mit tausend jubelnden Fragen und Zurufen, und dieweil Hersabrunn vor Übermut und Glückseligkeit schier auf den Kopf gestellt wurde, waltete Marie-Luise still und bescheiden an dem Tisch, stellte Gläser auf und füllte sie mit dem duftenden Würzebier. – Ihr Blick flog wohl öfters zu dem blonden Mann, mit dem lustigen Gesicht und der schönen, vornehmen Gestalt herüber, sie dankte ihm auch heißerglühend, da er mit seinem Glase zu ihr trat, um anzustoßen; als aber Tisch und Stühle bei Seite geschoben wurden, um »Bahn frei!« für’s Tanzen zu schaffen, da versteckte sie sich schüchtern hinter der Oberin, welche kopfschüttelnd, aber mit nachsichtigem Lächeln dem fröhlichen Treiben zusah. Das Engagement Nennderscheidt’s zur »Eröffnungs-Polonaise« lehnte diese dankbar ab und sah es selber mit innigem Ergötzen an, wie die »ergebene Körberitz« triumphierend den einzigen Tänzer beschlagnahmte. Die Musik spielte: »Und als der Großvater die Großmutter nahm«, und in übermütiger Weise die gute, alte Sitte persiflierend, tänzelte der Freiherr in graziösen Pas vor dem sich sehr geräuschvoll ordnenden Zug der Damen her. Die Frau Rittmeisterin, welche noch in der vollen Gala des Nachmittags prangte, legte die Pelzjacke ab und trippelte voll fiebernder Aufregung neben dem riesenhaften Tänzer einher, an dessen Arme sie wie ein verlorener Pompadour hing. Sie erklärte aber mit boshafter Schadenfreude, dass sie entschieden die Jüngste und Schönste von Allen sei, und dass er ihr nur getrost den Hof machen möge; sie genire sich absolut nicht um die andern, neidischen Giftspinnen! –
Aufs Zierlichste wippend und hüpfend, schlängelte sich die Polonaise durch den Saal, und die Oberin sagte leise zu Marie-Luise: »Ein ganz absonderlicher Mensch, dieser Herr von Nennderscheidt. – anfänglich hatte ich den Soupçon, er wolle sich über meine gute, alte Heerde lustig machen, wenn man aber in seine ehrlichen, blauen Augen sieht, die vor Freude und Spaß wahrhaft Funken blitzen, dann weiß man, dass er tatsächlich nichts Anderes bezweckt, als Vergnügen zu bereiten und mit fröhlichen Menschen fröhlich zu sein!«
Marie-Luise nickte hastig. »Ich glaube, dass er ein sehr braver Mensch ist!« –
Mit strahlenden Augen schaute sie dem Tanze zu, bis sie bemerkte, dass Olivier’s Blick sie suchte, und dass er auf sie zuschreiten wollte, sie zu einem Walzer zu engagieren. – Da gings wie ein Zittern durch ihre Glieder, und sie stürmte davon, sich vor ihm zu verstecken. – Auf leisen Sohlen entfloh sie durch den Corridor, die Treppe hinab in das Souterrain. An der offenen Küchentür blieb sie überrascht stehen und schaute auf das närrische Bild, welches sich ihr darbot. – Dörte hatte eine weiße Schürze vorgebunden und schwang sich in dröhnenden Holzschuhen mit dem alten Conrad im Tanze! – Dem war das Eierbier in den grauen Kopf gestiegen. Er hatte die Strumpfkappe verwegen auf dem linken Ohr und sprang laut jauchzend mit steifen Beinen und in wundersam grotesker Weise um die dicke Dörte, welche sich wie ein Kreisel um die eigene Achse drehte. Im Kessel aber brodelte es und schoss schäumend über – – und die Trompete schmetterte, und die Flöten klangen: »Freut Euch des Lebens, so lang noch das Lämpchen glüht!«
Wenn’s irgend auf dem Erdenrund Ein unentweihtes Plätzchen gibt, So ist’s ein junges Menschenherz, Das fromm zum ersten Male liebt.
Geibel
In dem Esssaal hatten die Rundtänze nicht so recht zur Perfektion kommen können. Die meisten Damen klagten über arge Hitze, über Schwindel und Herzklopfen und waren durchaus nicht damit einverstanden, dass ihre jüngsten Gefährtinnen Röschen und Erika sich ganz allein in schmachtendem Walzer mit dem cher baron wiegen sollten. Es wurden ununterbrochene Polonaisen aufgeführt, und auf den etwas eigensinnigen Wunsch der Frau von Körberitz sogar ein Menuet probirt. – Die Meinungen wurden immer verschiedenartiger und die Spannung zwischen einzelnen Fräuleins immer größer, bis Nennderscheidt schließlich zu allgemeinem Beifall einen sanften »schwarzen Peter« zur Abkühlung vorschlug. – Er hatte verschiedentlich nach Marie-Luise gefragt und zur Antwort erhalten: Das »Kind« sei gewiss schon zu Bett gegangen, – morgen solle der kleine See gefischt werden, und da müsse sie sehr früh heraus, um die Oberin in den ersten beiden Stunden, wo dieselbe nicht im Hause abkömmlich sei, zu vertreten. –
Trotzdem trat Gräfin Herff nach einiger Zeit wieder in das Zimmer, um, auf den Stuhl der Rittmeisterin gelehnt, dem Spiel mit lebhaftestem Interesse zuzuschauen. Olivier bemerkte, dass sie ihm jetzt freier in das Auge schaue, wie zuvor, und voll liebenswürdiger Aufmerksamkeit als Wirtin am Tische waltete. Es schien ganz selbstverständlich, dass sie fast sämmtliche Damen bediente, dass sie herzuholte, was fehlte, und forträumte, was überflüssig war. – Still und bescheiden, grau und lautlos wie ein Schatten ging sie ab und zu, und da Olivier ihre Hand, welche ihm abermals das Glas füllte, festhielt, um nachzusehen, ob der Kaffee wirklich Brandflecke hinterlassen habe, da lachte sie ihm zum ersten Male fast schelmisch entgegen. – Ihr Blick aber leuchtete auf in unendlicher Dankbarkeit, – war sie es doch so gar nicht gewohnt, dass eine Menschenseele Anteil daran nahm, ob sie Schmerzen litt oder nicht, dass man sich dafür interessierte, ob es ihr gut oder schlecht gehe, die Oberin ausgenommen, welche ja für sie sorgte wie eine Mutter. Aber die hatte zu viel zu tun, um alle kleinen Miseren beobachten zu können, und Marie-Luise klagte nie. Unter schallendem Jubel bekam Fräulein Röschen einen Schnurrbart gemalt, und gleicherzeit öffnete die alte Turmuhr den Mund und rief der unsoliden Gesellschaft drunten im Schlosse zu, dass es über all dem Lärm und Spektakel bereits Mitternacht geworden sei. –
Die Gewohnheit ist eine unerbittliche Tyrannin. So herrlich sich die alten Damen auch amüsierten, so sauer wurde es ihnen schließlich doch, das Gähnen zu unterdrücken, und Olivier hatte den heimlich bittenden Wink der Oberin schließlich verstanden und die Musikanten entlassen. – Noch einen schmetternden Tusch und johlendes »Vivat hoch!« – und dann stolperten sie über den Kiesplatz nach dem Wägelchen zurück. Der Spitz kläffte ihnen entgegen, und das Schimmelchen ward losgebunden und setzte sich resigniert in Trapp, – lange noch hallten seine Eisen von der grabesstillen, harten Landstraße zurück. –
Auch Olivier verabschiedete sich. »Apropos … wo liegt denn eigentlich das Dorf, und wie heißt die Schenke, in welcher ich übernachten kann?« fragte er zu guter Letzt, als die Dankesergüsse und Lebewohls etwas ermatteter über ihn herstürmten. »Dorf? … Schenke?« – Alles horchte hoch auf, und die Oberin trat ganz betroffen einen Schritt näher und fragte: »Sie haben doch hoffentlich Ihre Equipage herbestellt. Herr von Nennderscheidt?«
»Natürlich – für Morgen Mittag. Ich finde es ganz amüsant, mal in einem Bauernbette zu kampieren, und wenn nicht gerade die Großmutter vor zwei Stunden an den schwarzen Pocken in demselben gestorben ist, dann gedenke ich sehr sanft darin zu ruhen!«
»Aber um Gottes Willen … es existiert weder Dorf noch Gasthaus auf eine Stunde Umkreis, Herr Baron!« schlug die Stiftsvorsteherin wahrhaft entsetzt die Hände zusammen. »Hersabrunn liegt ja völlig isoliert, und das nächste Vorwerk selbst kann erst in halbstündigem Marsch erreicht werden!«
»Heiliges Neundonnerwetter!!« – Olivier stemmte die Hände in die Seiten und bog sich in schallendem Gelächter –: »Na, dann kann die Sache ja noch ganz spaßhaft werden! Vielleicht haben Sie die Güte, mir einen Strick zu leihen, gnädigste Frau, damit ich mich bis morgen früh am Garderobehalter aufhängen kann?!« –
Stürmische Aufregung; selbst die schläfrigsten Damen wurden wieder vollständig munter.
»Sie müssen hier logieren! … selbstverständlich! Sie können doch unmöglich in Nacht und Nebel hinaus! – Ach und die Musikanten sind auch schon abgefahren! – Aber wohin mit ihm? Frau Oberin! … teuerste Frau Oberin, wo quartieren wir den Baron ein?« –
Wie ein Hagelschauer herniederprasselt, schwirrten die Stimmen, sich überschreiend in allen Klangfärbungen durcheinander, und Nennderscheidt stand und überschaute die erregte Szene, wie Einer, welcher voll Übermut in einen Ameisenhaufen sticht und sich des Wirrwarrs freut, welchen er angerichtet. Die Oberin sah unter all den lachenden Gesichtern merkwürdig ernst aus. Sekundenlang grub sich eine feine Falte zwischen ihre Augenbrauen, dann hob sie entschlossen den Kopf: »Ich sehe keine andere Möglichkeit, Herrn von Nennderscheidt unter Dach und Fach zu bringen, als die, ihn hier zu behalten. In dem Schlosse selber jedoch kann und darf ich keinen Gast aufnehmen und muss daher sehr um Verzeihung bitten, wenn mein Unterschlupf etwas primitiver Natur sein wird. – Das Gärtnerstübchen ist groß genug, um noch ein Bett stellen zu können, und der alte Conrad muss wohl oder übel als Stubenkamerad mit in den Kauf genommen werden –.«
»Aber Frau Oberin –.« rümpfte Fräulein von Geuderheim die Nase … »Das ist ja eine entsetzliche Zumutung … wie kann Herr von Nennderscheidt in solcher Gesellschaft und in solch einer Bedientenstube existieren!!« –
»Ja wissen Sie bessern Rat, Erika?« Die Oberin zuckte die Achseln. –
Laute Debatte, die verwegensten Vorschläge. Olivier findet die Idee mit der Gärtnerstube ganz kolossal amüsant. –
Marie-Luise berührt leise den Arm der Oberin. »Wir könnten ja Herrn von Nennderscheidt in der alten Kegelbahn unterbringen« – flüstert sie. »Staub und Spinnweben gibt’s allerdings genug, aber er hat doch einen Raum für sich allein!«
Jubelndes Gelächter. »Vortrefflich! … ausgezeichnet! in die alte Kegelbahn! Die ist ja ganz nah hier im Garten und nur wenige Schritte von der Gärtnerstube entfernt, – im Notfall können Sie Conrad rufen, falls Sie etwas wünschen sollten!« –
Olivier ist entzückt und versichert, dass ein Nachtquartier in der Kegelbahn zu seinen originellsten Memoiren zählen werde! –
»Aber fürchten Sie sich auch nicht? Die Türe schließt nämlich kaum noch in den Pfosten, geschweige in Schloss und Riegel!« haucht Fräulein Röschen so naiv wie möglich, macht angstvoll große Augen und legt den Finger an den Mund.
Der Freiherr zieht mit düsterer Banditenmimik ein Juchtenetui aus der Brusttasche, öffnet es und nimmt einen Revolver heraus. – »Ist nichts auch mein, als Büchse, Schwert und Roß, sind die Mädchen doch stets dem Jäger hold!« – singt er, dieweil die Damen laut schreiend beim Anblick der Waffe auseinanderstieben. »Das Nachtlager von Granada – Hersabrunn, meine Gnädigsten, wer weiß, was für Kämpfe ich noch zu bestehen habe!«
Die Oberin, Marie-Luise und Dörte begeben sich in die Kegelbahn, so gut es geht, ein Lager herzurichten. – Conrad leuchtet mit der Laterne. Alt und baufällig ist der lange Jahre unbenutzt stehende Raum. Mörtel und Kalk sind von den Wänden gefallen, in den Ecken lagern Blumentöpfe, aufgeschüttete Gartenerde, Sämereien und Geräte. – Die Fensterscheiben sind blind und zerbrochen, teilweise verklebt. Dörte versucht mit gewaltigem Besen etwas Ordnung und Sauberkeit zu schaffen, schlürft in den Holzschuhen laut lachend und schwadronierend über die morschen Dielen und jagt ein paar alte Kegelkugeln die Bahn hinab. Wie Donnerrollen klingt’s. Conrad und Marie-Luise richten die eiserne Bettstelle auf, und da der Alte in Eierbier seliger Stimmung mehr dazu neigt, mit Dörte Kegel zu schieben, so lässt Gräfin Herff ihn lächelnd gewähren und breitet still und behände die weißen Linnen über die Kissen. – Es ist ja heute Alles außer Rand und Band in Hersabrunn, – mögen die beiden Alten da auch ihr Späßchen haben und mit krähendem Gelächter Jupiter, dem Donnergott ins Handwerk pfuschen. Endlich ist das improvisierte Logirzimmer hergerichtet, und Dörte schlägt die Hände zusammen über das pfiffige Komteßchen, welches in aller Eile sogar Vorhänge aus zwei weißen Schürzen vor das Fenster gehängt hat. –
Im Triumph wird Nennderscheidt von der ganzen Gesellschaft bis zur Türe der alten »Burgruine« geleitet und als Prinz-Regent aus dem zahnlosen Munde der Frau von Körberitz andeklamiert. »Und ein ruhiges Gewissen – ist ein sanftes Ruhekissen –.«
Es dauert lang, bis er alle Hände zum Gute-Nacht geschüttelt, bis sich der Tumult gelegt und die höchlichst animierte Damenschar sich rückwärts konzentriert. –
Endlich wird’s still über Hersabrunn. Die Lichter verlöschen, – groß und glänzend schwebt der Mond über den dunklen Lindenwipfeln.
Plötzlich … horch … ein Schuss! … und abermals einer, – schauerlich krachts durch die einsame Nacht.
Von Neuem Aufregung und lauter Lärm im Schloss. Die Lichter flackern wieder auf. – Türen schlagen – in den wunderlichsten Kostümen, gleich Gespenstern der Nacht laufen die Damen auf den Corridoren zusammen, angstvoll fragend, vermutend, – schreiend. – An die Haustüre klopft es. – Alles stürmt an die Fenster. –
»Ich bin’s, gnädige Fräuleins … der Conrad!«
»Allmächtiger Gott … was ist geschehen? ein Unglück? ein Mord?« – zetert es von oben.
»Nee, nee. – gar nischt dergleichen!« tröstet es von unten, dieweil Mond und Laterne die gespenstische Erscheinung des Nachtwandelnden gar grausig matt beleuchten, »ich dachte ja och zuerscht, es müsste sich Eener in Blute wälzen, aber wie ich dann Kourage kriegte und beim Barone anpochte, da rief er mir zu –: Ist Alles in schönster Ordnung, Alter, – ich schieße bloß das Licht aus und treffe es verdammter Weise nicht!« –
»Das Licht ausschießen?!« …
»Ja, gnädige Fräuleins! Ich habe so ’was och mein Lebenlang noch nicht gesehen! Wie ich die Türe so ein bischen öffne und herein schiele, da sitzen der Herr Baron aufrecht im Bette und zielt nach dem Lichte, welches ganz unten in der Kegelbahn steht, und gleicherzeit geht es wieder – bumm – und … dunkel ist’s: – ›Hahaha! … jetzt hat die Schnuppe dran glauben müssen!‹ lacht der Junker, und dann sagt er sehr freundlich: ›Na gute Nacht, Zippelkappenmusjö! leg’ Er sich auf’s Ohr, und träume Er von Hammelswürsten!‹ – ›Schön Dank, Gnädiger Herr‹ – antworte ich. ›wünsche wohl zu ruhen!‹ und dann trollte ich mich schnell hierher, um den Damen zu sagen, dass Sie sich man ja nich ängstigen sollen, von wegen das Geschieße!« –
Lautes Gelächter; – die weißen Nachthauben in den Fenstern verschwinden, und Conrad schlurft auf seinen Filzpantoffeln, so schnell ihn die krummen Kniee tragen, über den Kiesweg zurück. –
Dann ist und bleibt es still in Hersabrunn. Der Nachtwind streicht um Turm und Giebel, und die alten Linden schütteln sinnend das Haupt, – – wie lang ist’s her, dass solch lustig Leben hier pulsirt, dass die Spornstiefeln eines flotten Junkers das Moos auf den Treppenstufen zertreten? … wie ein Traum aus fernen, fernen Tagen, da noch der Hofstaat der Markgräfinnen auf Stöckelschuhen hier einhergestelzt, zieht es durch die laubigen Wipfel.