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Der Beweis ist erbracht. Jesus von Nazareth wurde verraten, aber Judas Iskariot hat es nie gegeben. Dieses Buch korrigiert einen 2000 Jahre alten Irrtum. Ein Faktengewitter, zusammengestellt aus den Hinweisen des Kronzeugen Johannes und seiner Zeitgenossen. Es ist Johannes, der Lieblingsjünger des Jesus von Nazareth, dessen Funktion und Lebenswerk hier nachgegangen wird. Seine Bedeutung für die Herausbildung des Christentums wird immer noch stark unterschätzt, denn erst aus der Analyse seiner Gesamtaktivitäten ergibt sich, in welches Netz politischer und privater Intrigen seiner Zeit die Mission des Jesus von Nazareth verstrickt war und worauf diese Mission tatsächlich abzielte. Tauchen Sie ein in die Turbulenzen und Machtkämpfe der Geschichte des 1. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung. Vollziehen Sie nach, wie Geschichte entsteht. Angesichts der Faktenlage erhebt sich die Frage, ob die Geschichte der Entstehung des Christentums nicht neu geschrieben werden müsste, um ihm seinen Platz in unserer Kultur und damit seine Existenz im 3. Jahrtausend seit seiner Entstehung zu sichern.
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Seitenzahl: 567
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Auf der Grundlage des Neuen Testamentes der Bibel und den Schriften des Flavius Josephus wird hier den bisher ignorierten historischen Spuren des Jesusjüngers und Apostels Johannes nachgegangen. Aus der Summe der Ergebnisse wird deutlich, welche Rolle er für die Herausbildung der christlichen Religion spielte, welche zentrale Bedeutung gerade diesem Apostel zukommt, und dass diese Religion ihre Entstehung hauptsächlich den politischen Zwängen ihrer Zeit verdankt.
Das ist alles im Spannungsfeld der gegenläufigen Interessen der Akteure des 1. Jahrhunderts und dem gnadenlosen Machtkampf innerhalb des Führungszirkels der Urchristen dargestellt. Es wird deutlich, wie die Herausbildung der christlichen Religion von Anfang an mit verbissenem Fanatismus verbunden war.
Der Kampf um politische Positionen und um theologische Standpunkte scheint vordergründig entscheidend. Am Ende sind aber ganz andere Gründe maßgebend.
Angesichts der Faktenlage erhebt sich die Frage, ob die Geschichte der Entstehung des Christentums nicht neu geschrieben werden müsste, um ihm seinen Platz in unsere Kultur und damit seine Existenz auch im 3. Jahrtausend seit seiner Entstehung zu sichern.
(Überarbeitete und ergänzte Fassung 2017)
Einführung in die Problematik
Josephus und Johannes
Die Rolle der Flavier
Das Testimoniumproblem und die Erarbeitung der Evangelien
Die wirkliche Mission des Jesus von Nazareth
Die Apostelgeschichte des Lukas
Wer war Paulus tatsächlich?
Was in der Apostelgeschichte wirklich steht
Die Vita des Josephus, Jochaanan bar Levi, Simon bar Gamaliel und Simon Petrus
Johannes, der Jünger
Das Evangelium des Johannes
Die Aktion Judas Iskariot
Panorama eines Lebenswerkes
Offenbarende Rückschau
Das Credo des Johannes
Zusammenfassung
Anhang
Alle
in diesem Buch gezogenen Schlussfolgerungen
basieren auf der Auswertung anerkannter,
öffentlich zugängiger und allgemein verbreiteter
geisteswissenschaftlicher Darstellungen und Erkenntnisse.
Die Diffamierung oder Diskriminierung gegenteiliger
Auffassungen oder Überzeugungen sind weder beabsichtigt,
noch wissentlich erfolgt.
Die Daten und Fakten aus der im Anhang
aufgeführten Literatur und einschlägiger Artikel
aus Internetenzyklopädien wurden inhaltlich entsprechend
dem Ziel dieser Arbeit ausgewertet.
Die logische Nachvollziehbarkeit der Ereignisse
erforderte deshalb oft neue Deutungen,
die nicht immer dem entsprechen,
worüber die Autoren der jeweiligen Basisschriften
zu informieren beabsichtigten.
Hier wird nur versucht, eine zurzeit immer noch mit
Denkverboten belegte Hypothese erstmals
ohne Angst zu Ende zu denken.
Ihr werdet die Wahrheit erkennen,
und die Wahrheit
wird euch frei machen.
Johannes 8,32
Dieses Buch handelt hauptsächlich von Johannes, dem Lieblingsjünger des Jesus von Nazareth. Es gibt verschiedene legendäre Berichte über das Leben dieses vorbildlichen Jesusjüngers. Bringt man jedoch das tatsächliche und bisher ignorierte historische Material mit dem zusammen, was die religiösen Basisschriften des Christentums über ihn aussagen, entsteht ein davon völlig abweichendes Bild.
Als ich mich dem historischen Johannes zu nähern versuchte, stieß ich fast zwangsläufig auf die Spuren des Judas Iskariot. Die Analyse der Texte der Bibel in Verbindung mit den historischen Berichten lassen vermuten: Judas Iskariot hat es wahrscheinlich nie gegeben. Der Mensch, der aber im entscheidenden Moment vorübergehend als Judas Iskariot auftritt, war andererseits für uns von ausschlaggebender Bedeutung. Dieser Judas hat sich damals auch keineswegs umgebracht. In hohem Alter ist er nach einem langen bewegten Leben, und im Bewusstsein etwas wirklich Bleibendes geschaffen zu haben, im Kreise seiner ihn anbetenden Anhänger friedlich entschlafen, und auch wir verehren ihn weiterhin, allerdings unter einem anderen Namen.
Er hat darüber hinaus entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung der christlichen Religion genommen. Nachdem angeblich Paulus nach unserer Ansicht die theologische Basis dazu verkündet haben muss, formte dieser Judas sie für uns aus. Damit scheint alles auf den Kopf gestellt zu sein, was wir an Vorstellungen über die Entstehung des Christentums verinnerlicht haben. Dieser Judas, dessen tatsächlicher Identität hier nachgegangen wird, war zwar Gottes Geschöpf, wie wir alle, aber durchaus nicht von einem Schicksal dafür vorbestimmt, was er in seinem Leben alles anrichtete. Zielstrebiger und beharrlicher als dieser Mensch war selten einer, trotz aller Rückschläge, die er in seinem Leben erlitt. So viel Nachhaltigkeit, wie der, an dessen Karrierebeginn der Verrat Jesu steht, haben nur wenige Menschen mit ihrem Wirken erreicht. Diese Tat: Den Messias verraten zu haben, ist in unseren Augen darunter die allerschlimmste, obwohl es gar nicht stimmt. Die vom Judasverrat ausgelöste Kreuzigung Christi ist beispielsweise für das Christentum genau so ein Nullpunkt, wie ihn die daraus resultierende Zeitenwende für die Kalenderrechnung darstellt. Alles, was uns die Evangelien erzählen, führt auf diesen Punkt zu, aus dem wiederum alles hervorgeht: Auferstehung, Himmelfahrt, Ausgießung des Heiligen Geistes, Gründung der Urchristengemeinde und Mission. Alles, was vor der Kreuzigung stattfindet ist im Bezug auf Jesus noch Geschichte. Das, was danach von ihm berichtet wird, gehört zur Religion, die sich anschließend diese Geschichte einverleibt.
Meine Untersuchungen setzten genau dort an. Sie befassen sich mit historischen Begebenheiten des 1. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung und mit den Hintergründen, die für die Entstehung der christlichen Religion entscheidend waren. Es wird dabei den politischen und religiösen Motivationen und auch den Schicksalen der in diese Sache verwickelten wichtigsten Personen nachgegangen. Die Ergebnisse solcher Untersuchungen sind nicht immer sehr salonfähig. Auch hier ist das so. Es besteht aber nicht die Absicht, mit diesem Buch den christlichen Glauben anzugreifen. Auch wenn es dabei ab und zu hart auf hart zugehen sollte, es läuft nicht auf religiöse Umsturzabsichten hinaus. Die gerade wieder einmal angeschobene Welle eines neuen Atheismus soll uns dabei nicht interessieren. Dazu werden Sie hier auch nichts finden. Gott ist nicht Gegenstand der Ermittlungen. Hier wird nicht versucht Gott nachzuspüren, sondern den Menschen und ihren Taten, die am Anfang, an der Schwelle der Tür stehen, durch welche die Menschheit in den christlichen Glauben eintritt.
Betrachten wir es so: Wenn ein Uhrmacher eine Uhr öffnet, dann geschieht das keineswegs in der Absicht, dem Geheimnis der Zeit auf die Spur zu kommen. Er kann nur dem Geheimnis eines Mechanismus nachspüren, der für uns die Zeit einteilt. Genau so wird hier dem nachgegangen, was uns von unseren Vorfahren geistig konstruiert und überliefert wurde, um dem Christenglauben eine Basis zu geben.
Auch wenn dabei das, was wir normalerweise glauben, sehr auf die Probe gestellt wird; wer wirklich Christ ist, den wird das, nicht ernsthaft erschüttern. Glauben ist eine Sache des Charakters. In wie weit unser Glauben dann noch an Mythen, zeremoniellen Abläufen, Traditionen oder Dogmen festgemacht ist, ohne die es nun einmal im menschlichen Zusammenleben und auch in der Religion nicht geht, bleibt uns selbst überlassen. Um beim Vergleich mit der Uhr zu bleiben: Wir glauben doch auch nicht, dass die Zeit stillsteht, nur weil sich herausstellt, dass unsere Uhr stehengeblieben oder kaputt ist.
Um diese Zeit in der das Christentum entstand, aus sich selbst heraus erklären zu können, muss man sich in diese Zeit, vor allem in die Handelnden und deren Motivationen hineinversetzen, in deren Gegenwart von damals. Vieles wird uns dann bekannt vorkommen, weil sich menschliche Grundverhaltensweisen, wie die Geschichte beweist, seit Jahrtausenden kaum wesentlich verändert haben. Dazu muss man allerdings in einem Maße umdenken, wie wir es uns gerade in Glaubensdingen verbieten, denn die von mir untersuchten Vorgänge sind später so stark mit religiösen Vorstellungen überfrachtet worden, dass man nur schwer zu ihrem rationalen Kern vordringen kann. Vor allem macht es sich erforderlich, die Mission des Jesus von Nazareth näher zu betrachten und genauer zu prüfen, welche sie wirklich war.
Jesus von Nazareth, so werden wir feststellen, hatte mit dem, was derzeit in unseren Kirchen gepredigt wird, absolut nichts zu tun. Das, was wir als Mission des Jesus von Nazareth ansehen, ist die Einsetzung des christlichen Glaubens. Wir sehen im christlichen Glauben, die Fortsetzung der Mission Jesu. Das stimmt aber nicht, wenn die Mission Jesu als die betrachtet wird, welche sie war und was sie bezweckte. Das zu begreifen, erscheint uns Christen kaum zumutbar und schlicht unmöglich. Noch schwerer ist die Vorstellung zu vermitteln, dass der Judas, der uns seit fast 2000 Jahren als Synonym für den Verräter an sich steht, nicht in dem Sinne die Bestie war, als die sie uns hingestellt wird. Um der Hauptfrage zu beantworten, wer denn Jesus von Nazareth war und welcher Mission er sich verschrieben hatte, muss man das religiöse und politische Umfeld, in dem er seiner Mission nachging rekonstruieren und auch der Funktion der Leute seiner Umgebung und auch seiner Kontrahenten nachgehen.
In den Evangelien stehen ihre Namen, aber sonst wissen wir nicht viel von ihnen. Wir sind gewöhnt, in ihnen böswillige Vertreter feindlicher Gruppierungen zu sehen, oder sie als Statisten, Stichwortgeber, oder Fragesteller zu betrachten, die Jesus Gelegenheit geben, uns etwas mitzuteilen. Nur ein paar Jünger treten stärker in den Vordergrund. Angefangen bei Petrus, der ganz vordergründig agiert und Jesus sogar verleugnet, hinterlässt nur noch Judas einen stärkeren Eindruck, weil er so infam den Sohn Gottes für die berühmten 30 Silberlinge verrät. Das Brüderpaar Johannes und Jakobus, die „Donnersöhne“ sind nicht sehr sympathisch. Sie drängen sich Jesus erst förmlich auf und beanspruchen dann auch noch die besten Plätze an seiner Seite im Himmel. Johannes verlangt, einen fremden Wanderprediger zu bestrafen, weil der nach seiner Meinung Jesu ins Handwerk pfuscht. Die Donnersöhne wollen sogar Feuer legen, als der Gruppe Jesu in Samarien das Nachtlager verweigert wird. Thomas glaubt nicht an Jesu Auferstehung, bevor er sich nicht handgreiflich davon überzeugt hat. Der Rest sind nur Mitläufer. Von den Frauen, die mit Jesu mitziehen, tritt nur Maria aus Magdala stärker in Erscheinung. Die Muttergottes verschwindet nach den einleitenden Geburtsgeschichten fast aus unserer Sicht. Jesu Familie spielt eine eigenartige und befremdliche Rolle. Es sind alles sehr menschliche Verhaltensweisen, die uns von ihnen im Neuen Testament der Bibel übermittelt werden, aber diese Personen sind für uns durch ihren direkten Kontakt zum Sohn Gottes geheiligt.
Wer versucht, das Neue Testament unserer Bibel daraufhin zu prüfen, was es uns Authentisches über das Leben in der damaligen Zeit, über Jesus und dessen Tätigkeit vermittelt, muss deshalb ausblenden und überblättern, was ihm unter dem Begriff des christlichen Glaubens beigebracht wurde. Was dann von den Evangelien und der Apostelgeschichte des Lukas übrig bleibt, entspricht seltsamerweise ungefähr dem, was uns von Che Guevara als „Bolivianisches Tagebuch“ vorliegt. Es gibt allerdings einen gravierenden Unterschied. Che Guevara hat sein Tagebuch selbst geschrieben. Die Basisvorlage zu den Evangelien schrieb nicht Jesus, sondern einer seiner engsten Vertrauten. Beide, Che Guevara und auch Jesus, hatten sich einer Idee verschrieben, deren idealistischen Basisentwürfe sich stark ähnelten. Beide wurden für ihre Idee getötet, als sie an deren praktische Umsetzung zu gehen versuchten. Was bei Jesus aber ganz entscheidend anders ist, sein Berichterstatter und Verräter hat später diese Mission weitergeführt, obwohl er es ursprünglich nicht wollte.
Im übertragenen Sinne war der Judas nicht nur der Verräter, sondern ein Erbe und Nachfolger Jesu. Er ist sogar der Vollender dieser Mission im Sinne des Jehoshua bar Joseph aus Nazareth in zweierlei Hinsicht. Das bedeutet in seinem Fall etwas anderes als wir uns bisher vorstellen. Jesus hatte eine ganz irdische Mission, die mit dem Christentum absolut nichts zu tun hatte. Die führt dieser Nachfolger aus den Zwängen der Situation heraus bis zum Ende. Erst dann widmet er sich der Vollendung der Botschaft in dem Sinne, wie wir Jesus heute sehen. Da vollendet er aber für Jesus etwas, woran Jesus nie dachte, wir ihm aber unterstellen, weil es uns die paulinischen Apostelbriefe so vermitteln. Das mag absolut widersinnig klingen. Im Laufe der Textrecherchen werden wir aber feststellen müssen, dass es leider so war und sich auch nicht einfacher darstellen lässt.
Der wichtigste Teil der Bibel ist für uns Christen das Neue Testament. Es enthält die Evangelien und zugehörige Texte, aus denen sich die Basis des christlichen Glaubens herleiten lässt. Jeder, der sich auf der Grundlage dieser Unterlagen dem christlichen Glaubens zu nähern versucht, glaubt, dass es sich dabei um Schriften handelt, die sich gegenseitig bestätigen und ergänzen. Bei näherer Betrachtung entdeckt man aber, dass sie sich ab und zu widersprechen und das in ihnen enthaltene Gedankengut sich nur unzureichend miteinander in Einklang bringen lässt. Es sind eine Menge ungereimter Sachen darin zu finden, die ziemlich vordergründig anderes aussagen, als uns darüber erzählt wird. Zum Teil widersprechen sich die Texte sogar in prinzipiellen Glaubensdingen. Es ist auch erstaunlich, was bei näherer Betrachtung der Texte an politischen und privaten Interessen zum Vorschein kommt, und was im Hintergrund alles abläuft, während für uns im Vordergrund das Christentum inszeniert wird.
In den Texten herrscht eine starke Diskrepanz der nebeneinander eingearbeiteten Ideen und Konzeptionen. Spätere Korrekturversuche haben das glücklicherweise nicht alles zu verwischen vermocht. Das geschah aber keineswegs in Ehrfurcht vor den überlieferten Basistexten. Im Gegenteil. Man hat diese Basistexte sogar sehr stark verändert, ergänzt und umformuliert, sich aber dabei auf die Anpassung des theologischen Inhaltes an die Interessen der Kirche konzentriert. Der historische Gehalt dieser Texte wurde dabei glücklicherweise nur selten angetastet, so dass sich noch heute viel Wissenswertes aus den Widersprüchen zwischen der Verkündigung und dem tatsächlichen Geschehen rekonstruieren lässt, wovon wir sonst nichts erfahren würden. Es ist im Neuen Testament über die handelnden Personen alles miteinander verbunden, hängt aber insgesamt in der Luft. Es wird erst durch den Glauben zu einer stabilen Sache. Es wäre höchste Zeit, das personell und historisch endlich einmal auf eine festere Basis zu stellen.
Basis aller jüdischen Religionsrichtungen war damals die Tora, die Heilige Schrift des Judentums in der erst in dieser Zeit erstellten griechischen Fassung, die Septuaginta, welche auch noch nicht ihre jetzige endgültige Fassung hatte. Diese Tora finden wir als „Altes Testament“ unserer Bibel wieder, woran sich dann das „Neue Testament“, die Sammlung der neu entstandenen Schriften zum Christentum anschließt. Dieses Neue Testament entstand auch stufenweise, aber nicht in der Reihenfolge, in der uns diese Schriftenfolge jetzt angeboten wird. Die neue Christensekte besitzt an eigenen Schriften nur die ziemlich spät, ab dem Jahre 50 entstehenden ersten Entwürfe zu den Apostelbriefen des Paulus, die aber noch nicht als heilige Schriften, sondern nur als Gebrauchsanweisungen für eine christliche Lebensweise angesehen werden. Das ist mehr als 20 Jahre nach den Ereignissen des Jahres 30, dem Zeitpunkt, zu dem Jesus nach unserer Auffassung gekreuzigt wurde. Sie lehren bereits den Auferstandenen, der mit seinem Opfertod die Menschheit erlöst hat und einmal wiederkommen wird, um im Auftrag Gottes das Weltgericht zu halten.
Erst nach dem Jahre 70, dem Ende des Judäischen Krieges der Römer, der Niederschlagung dieses Aufstandes in der syrischen Provinz, wie das Heilige Land genannt wird; nach der Zerstörung Jerusalems und des dort stehenden Tempels, entstehen nun weitere Ergänzungsschriften zu diesen Apostelbriefen.
Parallel dazu, davon unabhängig, faktisch aus dem Nichts heraus, entstehen nun die Evangelien. Sie enthalten erstmalig einen Lebenslauf Jesu. Sie beschreiben das Leben des Religionsgründers Jesus von Nazareth. Das ist ein nachgeschobener historisierender Unterbau für den Ausgangspunkt der Religion der Christen, wie sie schon über 40 Jahre missioniert worden sein soll.
Es entstehen anschließend aus diesen Evangelien heraus weitere Apostelbriefe. Der Kreis der Schriften ist am Ende des ersten Jahrhunderts erstmals geschlossen, weil er das Christentum nun hinreichend umfassend definiert. Was später entsteht ist ergänzend und man sondert es auch als apokryph wieder aus dem Neuen Testament aus. Man hat nach dem Jahre 70 die Religion der Christen so vervollständigt. Die Teile ergänzen sich zumindest gegenseitig.
Wer keine Zweifel anmeldet, kann sich in diesem geschlossenen System einrichten. Und es ist eine gute Religion, denn sie stützt von Anfang an ganz vordergründig die pax romana, die Idee des römischen Friedens, wie sie von Augustus als Reichsidee geprägt und administrativ durchgesetzt ist. Darüberhinaus lehrt sie die Unterordnung der Niederen unter die Herrschenden und verweist die Ahndung aller ungesühnten irdischen Ungerechtigkeiten ins Jenseits. Einem solchen Religionsentwurf ist vorbestimmt, irgendwann von Herrschenden für ihre Zwecke gefördert und auch benutzt zu werden. Wer nicht weiß, wie alles entstand, hangelt sich nach der darin enthaltenen logischen Chronologie durch die Texte. Er liest am besten zuerst die zuletzt entstandenen Evangelien, anschließend die Apostelgeschichte des Lukas und vervollständigt sein religiöses Verständnis mittels der Apostelbriefe. Auftauchende Fragen kann er sich beantworten, indem er auf die immer noch aktuelle Tora zurückgreift, das Alte Testament unserer Bibel.
Dass es in der Zeit zwischen der Entstehung der jüdischen Sekte der Christen und der Auflösung ihrer Zentrale in Jerusalem keine Erstellung von Schriften gibt, erklärt sich aus zwei einfachen Gründen. Zum einen erwarteten die Christen in allernächster Zukunft die Rückkehr ihres zum Himmel aufgefahrenen Messias und dessen Weltgericht im Namen Gottes. Zum anderen ist das Christentum von Anfang an eine Volksreligion der unteren und benachteiligten Bevölkerungsschichten, deren Interessen mehr praktisch ausgerichtet sind. Ihnen ist die Verheißung der Zukunft im Paradies wichtiger als die Vollständigkeit der Lehre. Eine gehobenere Bevölkerungsschicht, wie beispielsweise die Schriftgelehrten und Priester des Judentums, die sich rein philosophisch mit Glaubensfragen auseinandersetzen könnte, gibt es bei den Christen anfangs noch nicht. Außerdem haben sich Juden und Christen noch nicht getrennt. Die Tora benutzen sie gemeinsam.
Die Katastrophe des Jahres 70, welche viele als das beginnende Gottesgericht ansahen, endete mit der Vernichtung Jerusalems. Die Zentrale der Urchristen Jerusalems zieht noch rechtzeitig in die Diaspora, aber damit auch in die Bedeutungslosigkeit, denn das bis zum Ende noch erwartete Eingreifen Gottes fiel aus. Der Menschensohn, der himmlische Messias war nicht gekommen. Hier setzen nun logischerweise die klärenden Aktivitäten ein, die zur erwähnten Vervollständigung des christlichen Schrifttums mittels der Evangelien führten.
Das Christentum war im ersten Jahrhundert noch eine mehrfach gestaffelte Sekte innerhalb der jüdischen Religion. Als Christen bezeichnete man auch nur die Mitglieder, der Sekte, die aus dem Heidentum stammten und das Mosaische Gesetz nur anteilig befolgten. Das Christentum erlangt erst im Jahre 100 unbeabsichtigt seine Selbstständigkeit, als man die Christen als nicht mehr tolerierbare Ketzer aus den jüdischen Synagogen austrieb.
Die Entstehung der jüdischen Sekte der Urchristen und ihrer Heidenfraktion, ihre Ausbreitung und Mission sind historisch unbestreitbare Tatsachen. Der Impuls dazu erfolgt im Jahre 30 in Jerusalem mit der Hinrichtung des essenischen Verschwörers und Nasiräers Jehoshua bar Joseph von Nazareth, der allerdings aus Bethsaida stammte, woher er auch seine Jünger rekrutierte, und seiner anschließend verkündeten Auferstehung und Himmelfahrt als Jesus Christus. Da sein Vater Joseph eigentlich kein Zimmermann, sondern ein Baumeister war, ist diese Annahme, die sich auch auf die damalige Bauwut der Tetrarchen in Bethsaida stützt, und administrativ veranlasste Bevölkerungsverlagerungenen beinhaltete, durchaus schlüssig. Flavius Josephus berichtet uns jedenfalls in seinen „Jüdischen Altertümern“ (XVIII,2,3) aus Galiläa, und da speziell über Kapernaum und Bethsaida, wie sich da um die Zeitenwende die Tetrarchen ihrer Bauwut hingaben und mittels welchen rigorosen Methoden sie dann diese Städte neu besiedelten, so dass die Bezeichnung „Jesus von Nazareth“ damals hauptsächlich der Identifizierung seiner aus Nazareth nach Bethsaida zugezogene Familie galt. Wir Heutigen haben resultierend aus den Ereignissen dieser Zeit die Texte, in denen sich speziell in den Evangelien auch das niederschlug, was in dieser Gegend um den See Genezareth alles passierte. Es ist das Neue Testament, die heilige Schrift der Christen.
Die Unterweisung im christlichen Glauben erfolgt für uns normalerweise durch erfahrenes und ausgebildetes Personal, dem man gesagt hat, was wichtig ist. Wichtig ist die Vermittlung des Glaubens. Geschichte ist da höchstens Beiwerk. Wie das mit der Glaubensvermittlung zu handhaben ist, finden wir in den Apostelbriefen. Der Rest ist Illustration. Dieser Heidenapostel des Christentums, der uns als Paulus von Tarsus benannt wird, ist eine eminent wichtige Person. Er kommt in den Evangelien noch nicht vor, tritt in der Apostelgeschichte erstmals in Erscheinung und ist dort deutlich der Mittelpunkt der Berichterstattung. Auf sein Gedankengut geht ganz eindeutig die Etablierung des Christentums als Religion zurück. Er wird uns als der erste und wichtigste Theologe in der Geschichte des Christentums, der erfolgreichste Missionar des Urchristentums und der Hauptautor der Briefliteratur des Neuen Testamentes benannt. Seine Apostelbriefe prägen die Anschauungen der Christen mehr als die Evangelien. Er ist der große Organisator, welcher die Heidenmission betreibt. Seine Anschauungen und Hinweise, seine Theologie prägen unseren Glauben. Unser Christusbild, und damit auch unser Christentum, sind paulinisch. Das ganze hat aber einen Mangel. Dieser Paulus von Tarsus ist historisch nirgendwo nachweisbar und er wird außer in der Apostelgeschichte nirgendwo erwähnt. In keiner Dokumentation seiner Zeitgenossen taucht er auf. Niemand scheint ihm je begegnet zu sein.
Um auf die tatsächlichen historischen Vorgänge der damaligen Zeit, den Menschen Jesus und die Personen seines Umfeldes zurückschließen zu können, muss man sich deshalb auch von dem frei machen, was uns unter dem Namen Paulus hinterher darüber gestülpt hat. Das wird das Schwerste sein, weil unser christliches Denken weniger von Jesus, sondern mehr davon geprägt ist, wie Paulus ihn uns vermittelt. Wer also die Evangelien liest, und sie im Lichte der uns unter dem Namen des Paulus übermittelten Lehre betrachtet, für den bleibt die Welt in Ordnung. Aus dem sicheren Boot des uns durch ihn vermittelten christlichen Glaubens heraus betrachtet der gläubige Leser den Lebensweg Jesu und seine Passion als Bestätigung dessen, was er schon kennt, weil man es ihm so erzählt hat.
Unter dem Namen Paulus hat man uns mit der Theologie der Erlösungslehre vom kommenden Christus den christlichen Glauben so stark überformt, dass alles, was nicht mit Jesus direkt in Verbindung zu bringen ist, fast aus unserem Gesichtskreis verschwindet. Was allerdings unbestritten ist, die paulinische Lehre von Jesus Christus hat uns Christen tatsächlich Gott gebracht, einen Gott der uns nicht mehr als der eifersüchtige, ständig zu beschwichtigende Rächergott des Alten Testamentes entgegentritt und über die Vermittlung durch Jesus deshalb menschlich näher ist. Indem man uns die Theologie des jüdischen Glaubens an einen allmächtigen Gott mit Jesus Christus vervollständigte, schuf man die Basis für eine neue Religion.
Es muss allerdings auf alle Fälle ein historisches Vorbild für die Figur des Saulus/Paulus von Tarsus gegeben haben, einen sehr selbstbewussten und durchsetzungsfähigen Menschen, der im Auftrag verschiedener Auftraggeber unterwegs war und da auch allerhand bewirkte. Der Missionar, als den ihn uns das Neue Testament hinstellt, war er aber nicht. So ungewöhnlich es erscheinen mag, Paulus so ins Zwielicht zu stellen, bei der Suche nach den historischen Spuren des Jesusjüngers Johannes werden wir noch größere Überraschungen erleben.
Flavius Josephus, der jüdische Historiker dieser Zeit, zeichnet uns aber abweichend von den Evangelien, und noch stärker von dem, was die Apostelbriefe uns übermitteln, als Augenzeuge ein ganz anderes Bild der damaligen gesellschaftlichen, politischen und religiösen Zuständen im Heiligen Land, als er die konkreten Ereignisse der Jahre 66-74 beschreibt, und was diese Zeit tatsächlich prägte. Seine „Geschichte des Judäischen Krieges“ behandelt das. Zu dieser Zeit leben viele Auferstehungszeugen und die zu Aposteln aufgestiegenen Jünger Jesu nicht mehr. Der Rest ist über den Bereich des Nahen Ostens verstreut und missioniert auf eigene Faust. Die Christengemeinden werden meist schon von der nächsten Generation geführt.
Von einem dämpfenden Einfluss irgendwelcher Vermittler aus dem Kreis der damals schon weit verbreiteten Religion der Christen auf die Kriegsereignisse steht da gar nichts. Er erwähnt sie da mit keinem Wort. Es ist, als habe es die das ganze Land übergreifende pazifistische Religionsgemeinschaft der Christen in Palästina nie gegeben, weil sie in seinen Berichten von den anschließenden Ereignissen nie auftaucht. Stattdessen durchzieht die Beschreibung eines unversöhnlich verhärteten Fanatismus, mit dem der Kampf des Judentums gegen den römischen Herrschaftsanspruch geführt wurde, seine Darstellung der Ereignisse dieser Jahre von Anfang bis Ende.
Er übermittelt uns aber auch, trotzdem er das Christentum völlig zu ignorieren scheint, wie einige der wichtigsten Jünger Jesu und auch noch weitere Personen der Apostelgeschichte, in die damaligen historischen Ereignisse verstrickt, und auch, was das angeblich für Menschen waren. Ausgehend vom Bericht des Josephus ist es deshalb auch kein Wunder, dass die abendländische Geschichtsschreibung im Interesse unserer christlichen Traditionen seine Mitteilungen bisher nie im Zusammenhang mit den Texten des Neuen Testamentes zu interpretieren versuchte, was ich hier aber in Angriff nehme.
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Ich muss dabei aber darauf hinweisen: Am Beispiel bestimmter Texte muss angenommen werden, dass manche der überlieferten antiken Schriften gar nicht zur reinen Lesung oder zum direkten Vortrag bestimmt waren, sondern ihren Verfassern nur als Ideenskizze zum Vortrag dienten und verschlüsselte Botschaften als unauffällige Notierungen zu bestimmten Ereignissen enthielten, die für sie zur Überlieferung wichtig erschienen, aber aus verschiedenen Gründen unerwünscht waren, oder deren Kenntnis für sie sogar gefährlich war.
Diese Texte wären dann nur ein Merkzettel für die in ihnen enthaltenen Andeutungen für Eingeweihte gewesen. Der Autor hätte dann bei einer Lesung entsprechend seinem jeweiligen Publikum die eine oder andere Sache daraus entwickelt, oder auch nicht. Weil aber die entsprechenden erhellenden wichtigen Ergänzungen bei der Weitergabe oft verloren gingen, stochern wir deshalb ab und zu hinsichtlich dieser fehlenden Hintergrundinformationen tatsächlich im Nebel. Diese Sichtweise muss im Hinblick auf die damaligen Verhältnisse in Betracht gezogen werden. Die Autoren unliebsamer Schriften riskierten damals nicht selten Verbannung oder sogar die Todesstrafe. Um die Erinnerung und damit die Überlieferung zu bewahren und abzusichern, blieb ihnen nur die unverdächtige getarnte Verschlüsselung ihrer Texte, bei deren Untersuchung wir das immer mit berücksichtigen sollten.
Was uns die Bibel, und vor allem das Neue Testament textlich vermitteln, liest sich zwar wie ein Bericht, aber es ist historisch nur sehr unscharf an bestimmte historische Ereignisse angebunden, die sich bei näherer Untersuchung oft gegenseitig ausschließen. Um zu ermitteln, was sich historisch nachweisbar in der Zeit und dem betreffenden Gebiet tatsächlich ereignete, und unter welchen politischen Bedingungen welche Interessengruppen diese Zeit dominierten, muss man ziemlich weit ausholen, um zu neuen und vor allem tragfähigen Erkenntnissen zu gelangen.
Beginnen wir mit der Historie und dem, der sie uns übermittelte. Es ist der uns als einer der wichtigsten jüdischen Historiker des hellenischen Judentums für das 1. Jahrhundert bekannte Flavius Josephus. Er lebte von 37/38 bis nach 100 unserer Zeitrechnung und war der Sohn einer angesehenen priesterlich-königlichen Familie aus Jerusalem. Studiert hat er die drei theologischen Grundrichtungen des Judentums: Die der Sadduzäer, der Pharisäer und der Essener. In seinen Anschauungen schließt er sich schon früh den Pharisäern an.
Josephus ist in der Zeit des judäischen Krieges der Römer (66 – 70) der offizielle Militärkommandeur der Juden in Galiläa. Die Truppen des von Nero mit der Niederschlagung dieses Aufstandes gegen Rom beauftragten Feldherrn und späteren Kaisers Vespasian nehmen Josephus im Jahre 67 gefangen, nachdem er vergeblich auf genauere Instruktionen aus Jerusalem gewartet hat, ob er infolge der sich abzeichnenden Gesamtniederlage in Galiläa weiterkämpfen oder in Verhandlungen mit den Römern eintreten soll.
Josephus, dessen Schicksal normalerweise der sofortige Tod, bzw. die Aufsparung für einen der Triumphzüge in Rom gewesen wäre, in dessen Verlauf man ihn hingerichtet hätte, entkommt seinem Schicksal durch einen genialen Trick. Er verblüfft den Oberkommandierenden der Römer, Vespasian, indem er ihm dessen spätere Ernennung zum Kaiser prophezeit. Das hat ihm vermutlich auch nach eigenen Angaben das Leben gerettet und ihm auch seine Gefangenschaft sehr erleichtert.
Bei der Belagerung Jerusalems, als bereits Vespasians Sohn Titus die Führung übernommen hatte, versuchte Josephus sogar auf der Seite der Römer offen zwischen den feindlichen Parteien zu vermitteln, um die Zerstörung Jerusalems zu verhindern. Er wird aber von der jüdischen Seite als Abtrünniger beschimpft. Dabei gerät er sogar in Lebensgefahr, als er vor der Stadtmauer Jerusalems zur Einstellung der Feindseligkeiten aufruft. Sein Ziel, Jerusalem und den Herodianischen Tempel vor der Vernichtung zu retten, schlägt damit fehl. Die Römer erobern unter Titus auch Jerusalem.
Anschließend kommt Josephus als Gefangener des inzwischen zum Kaiser aufgestiegenen Vespasian nach Rom. Dort wird er frei gelassen und erhält das römische Bürgerrecht unter dem Namen Titus Flavius Josephus. Der Kaiser gibt ihm eine Villa und setzt ihm auch eine Pension aus. Josephus widmet sich von da an literarischen Arbeiten. Es steht zweifelsfrei fest, dass Josephus eine enge persönliche Beziehung zur Familie der Flavier hatte. Er war ihr Historiker. Seine Schriften beweisen es. Von diesen Schriften ist „Die Geschichte des Judäischen Krieges“ die wichtigste, weil sie ein weitgehend authentisches Bild der militärischen Vorgänge liefert. Josephus schreibt diesen Bericht in den Jahren 75–79 nieder.
Diese Schrift über den Krieg in der syrischen Provinz Roms, den judäischen Krieg, ist mit Cäsars „Der Gallische Krieg“ vergleichbar. Bei solchen unmittelbar nach den Ereignissen abgefassten, und als Rechtfertigungsschriften angelegten Berichten, erfährt man aus der Art der versuchten Verschleierung unliebsamer Vorkommnisse und Pannen oft noch allerhand von dem was zwar passiert ist, aber besser nicht bekannt wird. Die Nähe der Augenzeugen verbietet noch die allzu gefällige oder unterschlagende legendäre Bearbeitung der Tatsachen für die Nachwelt.
Dieser judäische Krieg war die Niederschlagung eines religiös motivierten Volksaufstandes in der damaligen syrischen Provinz des Römischen Reiches. Er diente der Sicherung der Weltmacht Rom. Dem Anspruch Roms, den Gewaltfrieden der pax romana mit allen Mitteln zu sichern, sind die religiösen und nationalistischen Ziele der Aufständischen und auch des dort wohnenden Volkes und seiner Repräsentanten völlig untergeordnet. Das eigentliche Ziel ist für Rom ein strategisches. Das Reich der Parther, welches sich östlich dieser Provinz befindet, war damals stets auf dem Sprung, diesen östlichen Küstenstrich des von den Römern beherrschten Mittelmeeres wieder zurückzuerobern. Dem ist mit allen Mitteln vorzubeugen, was uns Josephus verschweigt, aber letztlich die Ursache für die Gnadenlosigkeit ist, mit der dieser Krieg seitens der Römer gegen die Aufständischen geführt wurde.
Im Judäischen Krieg steckt gleich zu Anfang ein Beschreibung, der man bisher zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet hat, weil sie nur wie eine einleitende folkloristische Umrahmung für den Kriegsbericht erscheint. Im 8. Kapitel, des zweiten Buches dieser Schrift, gibt uns Josephus eine Übersicht über die in diesem Gebiet, welches wir auch als Heiliges Land kennen, verbreiteten wichtigsten Varianten des jüdischen Glaubens. Er stellt uns drei philosophische Schulen vor. Vom Christentum berichtet er seltsamerweise nichts. Während er sich über die Pharisäer und Sadduzäer nur sehr vage äußert, macht er das bei den Essenern besonders ausführlich, was sich sogar bis auf spezifische Besonderheiten der individuellen Lebensführung und Tageseinteilung erstreckt. Ich bringe jetzt seinen Text, kürze aber den der Essener auf den Hauptinhalt:
Es gibt bei den Judäern drei Arten von philosophischen Schulen; die einen bilden die Pharisäer, die andere die Sadduzäer; die dritte, die nach besonders strengen Regeln lebt, die sogenannten Essener. Diese sind ebenfalls Judäer, aber untereinander noch mehr als die anderen durch Liebe verbunden ... Reichtum verachten sie, und bewundernswert ist bei ihnen die Gemeinschaft der Güter, so dass man niemand unter ihnen findet, der mehr besitzt als die anderen. Es besteht die Vorschrift, dass jeder, der der Sekte beitreten will, sein Vermögen der Gesamtheit abtreten muss … alle verfügen wie Brüder über das aus dem Besitz der einzelnen Sektenmitglieder gebildete Gesamtvermögen. Die Verwalter des gemeinsamen Vermögens werden durch Stimmenmehrheit gewählt und jeder ohne Unterschied muss zu Dienstleistungen für die Gesamtheit bereit sein. … Sie haben keine eigene Stadt, sondern in jeder wohnen viele von ihnen. Sektenangehörigen, die von anderen Orten kommen, steht alles, was sie bei ihren Genossen finden, wie ihr eigener Besitz zur Verfügung … Untereinander kaufen und verkaufen sie nichts, sondern jeder gibt von seinem Eigentum dem anderen, was dieser nötig hat, und empfängt umgekehrt von ihm, was er selbst brauchen kann.
Josephus beschreibt nun das gemeinsame Gebet und die gemeinschaftliche Einnahme der Mahlzeiten. Er verweist auf die Ernsthaftigkeit der Essener, die er aus deren ziemlich spartanischen und vor allem nüchternen Lebensweise heraus erklärt: Nichts tun die Essener ohne ausdrücklichen Befehl ihrer Vorsteher, und nur in zwei Dingen besitzen sie völlige Freiheit: in Hilfeleistung und Barmherzigkeit … Unterstützungsbedürftigen beizuspringen und Notleidenden Nahrung zu reichen … Zorn äußern die Essener nur, wo er berechtigt ist … Treu und Glauben halten sie hoch; den Frieden pflegen sie angelegentlich. Das gegebene Wort gilt bei ihnen mehr als ein Eid; ja sie unterlassen das Schwören, weil sie das für schlimmer als Meineid halten … Mit Vorliebe widmen sie sich dem Studium der Schriften der Alten … Wer schwerer Sünden überführt wird, den schließen sie aus der Sekte aus … Sehr gewissenhaft und gerecht verfahren sie bei gerichtlichen Entscheidungen … Nächst dem Gott zollen sie die größte Verehrung dem Namen des Gesetzgebers (Mose); wer ihn lästert, wird mit dem Tode bestraft. Dem Alter und der Mehrheit Gehorsam zu erweisen, halten sie für ehrenvoll ... Am Sabbat vermeiden sie es, zu arbeiten … Dabei lässt das schrecklichste Unglück sie kalt; denn Schmerzen überwinden sie mit Seelenstärke, und einen ruhmvollen Tod ziehen sie dem längsten Leben vor … Sie hegen den festen Glauben, dass der Körper zwar verwese und vergänglich sei, die Seele dagegen ewig fortlebe.
Josephus sieht die Besonderheit dieser jüdischen Glaubensrichtung darin, dass ungesühnte Verbrechen, die jemand zu Lebzeiten beging, im Jenseits bestraft werden. Nach der Erwähnung, dass es weitere Spielarten des Essenerglaubens gibt, wendet sich Josephus nun den Pharisäern zu: Was die beiden zuerst genannten Schulen betrifft, so ist die der Pharisäer die älteste unter den dreien. Sie gelten für besonders kundige Erklärer des Gesetzes, machen alles von Gott und dem Schicksal abhängig und lehren, dass Recht- und Unrechttun zwar größtenteils den Menschen freistehe, das aber bei jeder Handlung auch das Schicksal mitwirke. Die Seelen sind nach ihrer Ansicht alle unsterblich, aber die der Guten gehen nach dem Tode in einen anderen Leib über, während die der Bösen ewiger Strafe anheimfallen. Das ist eine sehr dürftige Auskunft. Noch weniger verrät uns Josephus von der letzten Gruppe, den Sadduzäern: Die Sadduzäer hingegen, die zweite der Sekten, leugnen das Schicksal völlig und behaupten, der Gott habe mit dem Tun und Lassen der Menschen gar nichts zu schaffen; vielmehr seien gute wie böse Handlungen ganz dem freien Willen anheim gestellt, und nach eigenem Gutdünken trete jeder auf die eine oder andere Seite. Weiterhin leugnen sie die Fortdauer der Seele sowie Strafen und Belohnungen in der Unterwelt … Das ist es, was uns Josephus zur Religionssituation seiner Zeit von den Judäern berichtet. Dass sich aber auch Schwarmgeister und religiöse Führer im Lande erhoben, erwähnt er nebenbei. Josephus grenzt solche Bewegungen aber strikt von dem ab, was er gerade beschrieben hat.
Wer die Apostelgeschichte des Lukas kennt, findet dort fast alles über die Christen überliefert, was uns Josephus von den Essenern berichtet. Man muss also annehmen, dass Josephus hier die Christen als rein jüdische Sekte beschreibt, die sich Essener nennen, obwohl die Essener bereits vor der Zeitenwende unter Herodes dem Großen eine große Rolle spielten.
Es muss also einen direkten Zusammenhang zwischen Essenern und zumindest dem jüdischen Urchristentum geben, der bisher nur noch nicht untersucht wurde.
Die Apostelgeschichte wird ungefähr zur gleichen Zeit niedergeschrieben, wie die „Geschichte des Judäischen Krieges“. Diese Schriften wären demnach nur eine rückschauende gegenseitige Beglaubigung nicht beweisbarer Behauptungen, denn es handelt sich beide Male um eine nachträgliche Beschreibung eines Zustandes vor den Ereignissen des Jahres 70. Aus den inzwischen sehr gut rekonstruierten Riten und Vorschriften der Essener ist der Bericht des Josephus allerdings als zutreffend beglaubigt. Das bedeutet aber nicht, dass der Autor der Apostelgeschichte essenisches Traditionsgut auf die Christen projiziert.
Man muss hier auch den nachweislich älteren Gehalt der paulinischen Apostelbriefe mit heranziehen. Was in diesen Briefen steht, und was dort zu vermitteln versucht wird, ist die Ethik der von Josephus beschriebenen Essener als Verhaltenskodex seiner Anhänger; und das sind die Christen. Es muss angenommen werden, um die Zeit der Endsechziger, nach dem wahrscheinlich unter Nero erfolgten Tod des Paulus stellt sich für Außenstehende die Organisationsform der Christen im Raum Palästina tatsächlich so dar, wie sie Josephus beschreibt.
Josephus erwähnt die Sekte, bzw. Glaubensrichtung des Christentums nur einmal in seinem Werk Jüdische Altertümer, und auch da nur in seinem umstrittenen Testimonium Flavianum, welches als Fälschung gilt. Wir finden aber im ganzen Neuen Testament der Bibel, und auch in der Apostelgeschichte des Lukas, wo sie unbedingt erwähnt werden müssten, wiederum von den Essenern nichts, obwohl sie nachweislich existierten.
Weil die Christenmission ihren Ausgangspunkt in den Synagogen der Juden und auch in denen der Diasporajuden nimmt, ist erklärlich, dass Josephus das alles noch auf die Essener als jüdische Sekte reduziert. Die um das Jahr 100 datierte Austreibung der Christen aus der jüdischen Glaubensgemeinschaft ist noch nicht erfolgt, als er das alles niederschreibt. Dazu kommt, dass lt. der Apostelgeschichte die Bezeichnung Christen erstmalig nicht vor dem Jahre 35, und dann auch nur in Antiochia erwähnt wird. Dort ist es die separate Kennzeichnung der von uns als Urchristen bezeichneten Sektenmitglieder, die aus dem Heidentum übernommen wurden und dem Mosaischen Gesetz nicht vollständig unterworfen waren. Die Beschneidung, welche die Grundlage für den Beitritt zur jüdischen Religion bildete, war für sie nicht bindend. Sie waren sozusagen Urchristen zweiter Klasse.
Josephus hat sich später in seinen „Jüdischen Altertümern“ der Religionsproblematik noch einmal gewidmet. Er weist auf die von ihm erwähnten Religionsrichtungen hin und scheint sie nur nochmals zu bestätigen. Bezüglich einer von ihm im „Judäischen Krieg“ noch als Episode berichteten Erhebung des Galiläers Judas liest sich das jetzt anders. Dort steht nun (18,I,6): Außer diesen drei Schulen nun gründete jener Galiläer Judas eine vierte, deren Anhänger in allen anderen Stücken mit den Pharisäern übereinstimmten, dabei aber mit großer Zähigkeit an der Freiheit hängen und Gott allein als ihren Herrn und König anerkennen. Sie unterziehen sich auch jeder möglichen Todesart und machen sich selbst nichts aus dem Morde ihrer Verwandten und Freunde, wenn sie nur keinen Menschen als Herrn anzuerkennen brauchen.
Während Josephus vorher die Hauptforderung des Judas, den Römern keine Steuern mehr zahlen zu müssen, als vordergründig bezeichnet, hält er den religiösen Kern später für wichtiger. Diese Sekte ist in Galiläa in der Gegend um Gischala tätig.
Die Befragung Jesu, die wir als Zinsgroschenbericht in den Evangelien finden, hat damit einen triftigen Zuordnungshintergrund. Es war der Test, ob der Betreffende zur Judasverschwörung gehörte oder nicht. Auch wenn es Josephus erst spät und auch nur als Randnotiz erwähnt, es muss demnach unter den Essenern eine militante gegen Rom gerichtete Bewegung gegeben haben, die mit diesem Judas verbunden war, dessen Nachkommen ausgehend vom ersten Jahrzehnt des 1. Jahrhunderts bis zum Ende des Judäischen Krieges Mitte der 70er Jahre namentlich bekannt und dort durchgängig militant in Revolten und Aufstände verwickelt sind.
Nun glaubt man zu wissen, wie sich die religiösen Zustände zum Zeitpunkt des Jahres 70 in Palästina darstellten. Hier muss zwangsläufig unser Zweifel ansetzen. Die uns von Josephus beschriebenen Essener entsprechen nicht der uns von römischer Seite als Mönchsorden beschriebenen frauenfeindlichen Sekte, die ihren Sitz in Qumran gehabt haben soll. In der ganzen folgenden Geschichte des Judäischen Krieges findet sich aber auch bei Josephus, nirgendwo einen Hinweis, wie sich die so extrem pazifistische und das Land überdeckende Religionsgemeinschaft der Essener zu den Gräueln des Krieges verhält. Wir haben nur auf der einen Seite Rom, präsent durch seine Truppen unter Vespasian und Titus, und auf der anderen Seite eine Bevölkerung, die von Fanatikern und deren Anhängern als Geisel genommen ist und die Last des Krieges tragen muss.
Die judäischen Aufstandsführer Johannes von Gischala und Simon bar Giora mit ihren Zeloten, den Eiferern und den Sikariern, den Dolchmännern, dominieren diese Masse. Es wird deutlich, als es zum Endkampf in Jerusalem kommt. Im Essenergebiet beherrschte außerdem der Diktator Eleazar, ein Nachkomme des Galiläers Judas, die Gegend von der Festung Masada aus. Seine Anhänger sind angeblich ebenfalls Sikarier. Es bleibt uns nun nicht viel Auswahl, wofür wir uns gedanklich entscheiden sollen: Entweder sind die Essener eine so pazifistische Gruppe, dass sie den Aufstand und seine Niederschlagung als Strafgericht über sich ergehen lassen, wobei sie sich hätten entweder alle ausrauben, erschlagen oder in die Sklaverei verkaufen lassen müssen, oder sie nehmen an diesem Kampf teil. Da nur das zweite anzunehmen ist, bleibt nur die Vermutung, dass sie die Zeloten stellten und auch die Sikarier.
Das passt wiederum in die Tradition der Essener, die nach den Berichten des Josephus in seinem späten Hauptwerk, den Jüdischen Altertümern, nach dem Tode Herodes des Großen schon einmal den Aufstand probten. Die bei Josephus im Judäischen Krieg so ausführliche Darstellung des Pazifismus der Essener muss deshalb als Propaganda für ein Konzept gesehen werden, welches der nachträglichen Bagatellisierung der nach dem Jahre 70 die römische Welt beunruhigenden terroristischen Drachensaat der geflohenen und nach Rache schreienden Sikarier und Zeloten dienen sollte. In Wirklichkeit waren die Essener eine religiöse Sekte, die unterschwellig den Aufstand gegen die römische Fremdherrschaft vorbereitete, was uns Josephus aus unerfindlichen Gründen in seinem Kriegsbericht noch nicht preis geben will.
In der Mitte des 1. Jahrhunderts u. Z. lassen sich die nachweisbar ständig schwelenden Unruhen in der Bevölkerung des judäischen Raumes immer schwerer unterdrücken. Gamaliel, der Fürst des Sanhedrins zur Zeit Jesu, nennt in der Apostelgeschichte noch weitere, die damals niedergeschlagen werden. Die Hungersnot, welche in den fünfziger Jahren in Palästina herrscht, muss diese Unruhen verstärkt haben, die von den Römern immer wieder niedergeschlagen, besiegt, aber nie restlos befriedet werden können, weil sie aus der tatsächlichen Notlage der ärmeren Bevölkerung heraus stets neu entstehen.
Aufstände, wie der beschriebene des Judas gehören dazu. Selbst Jesus von Nazareth ist mit dazu zu zählen. Das Land kommt nie zur Ruhe.
Im Jahr 66 ist dann der Punkt erreicht, an dem der Ausbruch des allgemeinen Aufstandes erfolgt. Ob nun durch die restriktive Politik der römischen Prokuratoren, die inzwischen erreichte Konzentration des ertragreichsten Grundbesitzes in nur noch ganz wenigen Händen und die dadurch entstehende Verelendung der Masse der Bevölkerung, das schreibt jede Schule anders in ihre Lehrbücher. Tatsache ist, dass es eine Volkserhebung ist.
Ausgangspunkt ist der zufällig über eine Lappalie im Zusammenhang mit dem Opferkult des Tempels ausgelöste Aufstand in Jerusalem. Eine kleine Palastrevolte in der Führungsspitze des Hohepriestertums ist die Initialzündung. Diese Situation benutzt eine militärisch organisierte Gruppe von Aufständischen, um nun ihrerseits die Unterstadt und den Tempel zu besetzen. Diese Truppe, welche von den Römern als „Latrones“, als Räuber, bezeichnet wird, räumt nun auf. Der Palast des Agrippa und noch mehrere andere Gebäude werden niedergebrannt. Das städtische Archiv wird erobert und alle Schuldverschreibungen vernichtet. Die von den Römern besetzte Burg Antonia wird gestürmt, desgleichen die Herodesburg. Der Hohepriester Hananias wird von ihnen gefangen und umgebracht. Die Priester sehen sich bedroht. Eine Priesterrevolte im Tempel reicht aus, die Anführer der Aufständischen zu beseitigen. Die Sikarier werden vertrieben und fliehen nach Masada.
Man will in Jerusalem wieder zu Normalität übergehen. Da aber die Aufständischen die kleine römische Garnison der Römer trotz vorheriger Zusicherung ihres friedlichen Abzuges anschließend überfallen und getötet haben, ist die Chance, sich mit den Römern friedlich zu einigen vertan. Im Gegenzug werden nun in Cäsarea alle Judäer umgebracht. Es greift auf andere Städte über. Eine Bluttat zieht die nächste nach sich. Der Aufstand wird allgemein. Der Bürgerkrieg bricht aus.
Cestius, der syrische Legat Roms, beginnt nun mit einer größeren Streitmacht die Provinz zurückzuerobern. Er kommt bis vor Jerusalem, wird aber zurückgeschlagen. Eine große Rolle spielen dabei die Truppen des Aufstandsführers Simon bar Giora, der im Gebirge Juda operiert. Während die Aufständischen noch das geschlagene Römerheer unter Cestius verfolgen, versucht man von Jerusalem aus, die Rebellion wieder in kontrollierbare Bahnen zu lenken. Die Oberpriester und führende Mitglieder der Laiengeschlechter stellen nun aus ihrer Mitte Oberkommandierende für die Gebiete Judäas und Galiläas auf.
Der in diesem Zusammenhang zum Strategen für Galiläa ernannte Josephus, schreibt später in seiner Autobiografie: Ein nicht geringer Schrecken befiel uns, als wir das Volk in Waffen sahen, und wir waren in Verlegenheit, was wir tun sollten. Den Umstürzlern Einhalt gebieten, konnten wir nicht. Die Gefahr, der wir gegenüberstanden, klar vor Augen, stimmten wir ihren Ansichten zu … So taten wir in der Hoffnung, dass binnen kurzem Cestius mit einem starken Heer käme, um den Umsturzversuchen ein Ende zu machen.
Josephus hat nach seinen eigenen Angaben den Auftrag, die Aufständischen in Galiläa zur Niederlegung der Waffen zu bewegen. Als das fehlschlägt, versucht er sie unter sein Kommando zu bringen. Auf alle Fälle will er erreichen, dass der Oberbefehlshaber der zu erwartenden römischen Truppen in ihm einen bevollmächtigten Ansprechpartner findet. Lieber Galiläa den Römern auf Gnade oder Ungnade übergeben, als es ihrer Wut überlassen.
Das mag wie Verrat aussehen, und wird auch im Nachhinein von Justus von Tiberias als solcher angeprangert. Der diesbezügliche Text in der späteren Autobiografie des Josephus bezieht sich nämlich auf einen solchen Vorwurf, dessen genauer Wortlaut aber nicht überliefert ist. Rom hat sich aber entschlossen, zu kämpfen. Nero beauftragt seinen Feldherrn Vespasian mit diesem Feldzug und der nimmt seinen Sohn Titus zur Unterstützung mit. Gemeinsam ziehen sie Truppen zusammen, um die Provinz Syrien auf römische Art zu befrieden. Das Ende kennen wir. Nachdem das Land unterworfen war, wurde auch Jerusalem erobert und dem Erdboden gleich gemacht.
Eine herausragende Figur dieses Aufstandes ist auf jüdischer Seite Jochanaan (Johannes) von Gischala. Die von ihm befehligte Truppe muss aber nach den Berichten des Josephus wirklich die letzte Hefe und der Abschaum der untersten Schichten der Bevölkerung gewesen sein. Unklar ist in diesem Zusammenhang die Rolle des Josephus. Er selbst hat Johannes nämlich die Verteidigung der Stadt Gischala übertragen. Die von Josephus erwähnten 100.000 Verteidiger, die er in Galiläa zusammenbekommen haben will, sind wohl die bereits vorher dort operierenden Aufständischen.
Josephus spielt in seinem Kriegsbericht die Bedeutung dieses Johannes ziemlich herunter. Der sitzt dort aber in Gischala sehr sicher im Sattel. Es gelingt dem nach Galiläa entsandten Josephus nie, sich endgültig gegen ihn durchzusetzen. Wie wenig Einfluss Josephus auf die von ihm erwähnten Truppen hat, ist daraus ersichtlich, dass es ihm nicht gelingt, sie an Disziplin zu gewöhnen, oder überhaupt eine Mindestkampfausbildung zu organisieren. Im 21. Kapitel des zweiten Buches über den judäischen Krieg berichtet Josephus deshalb ausführlicher über die Machenschaften des Johannes von Gischala:
Während Josephus die Verwaltung Galiläas einrichtete, trat gegen ihn ein hinterlistiger Mensch aus Gischala auf, der Sohn eines gewissen Levi, mit Namen Johannes, der durch Ruchlosigkeit verschlagenste und tückischste unter den Angesehenen. Anfangs war er arm, und geraume Zeit hinderte die Mittellosigkeit seine Frevel. Dagegen war er stets mit Lügen zur Hand und ein Meister in der Kunst, seine Lügen glaubhaft zu machen. Betrug hielt er für eine Tugend, und er benutzte ihn gegen seine besten Freunde. Menschenliebe trug er heuchlerisch zur Schau, obwohl er aus Gewinnsucht mordgierig war. Er war ehrgeizig, doch waren seine Pläne niederträchtig und schurkisch. Er war eigentlich nichts als ein Räuber, der zunächst sein Handwerk auf eigene Faust trieb, bald aber einige verwegene Gesellen seines Schlages gefunden hatte, deren Zahl sich im Laufe der Zeit immer mehr vergrößerte. Er sah darauf, dass niemand in seine Truppe eintrat, der leicht zu überwältigen war, sondern er nahm nur solche Leute, die sich durch kräftigen Körperbau, Entschlossenheit und Kampferfahrung auszeichneten. So brachte er nach und nach eine Schar von 400 Mann zusammen, größtenteils Flüchtlinge aus dem Stadtgebiet von Tyrus und umliegenden Dörfern. Mit ihnen zog er plündernd durch ganz Galiläa …Schon dachte er daran, den Oberbefehl zu übernehmen,… aber immer war es seine Geldnot, die ihm Schwierigkeiten bereitete. Kaum hatte er erkannt, dass Josephus an seinem Tatendrang Gefallen fand, als er ihn zunächst zu bereden wusste, ihm den Wiederaufbau der Mauern seiner Vaterstadt anzuvertrauen, wobei er von den reichen Bürgern große Summen erpresste.
Mit diesem Geld kauft dann Johannes einen großen Teil der Ölernte Galiläas billig auf und verkauft sie dann, nach den Angaben des Josephus, zu überhöhten Preisen nach Tyrus. Ohne vor Ort fest verwurzelte Beziehungen auch wirtschaftlicher Art wäre eine solche Aktion kaum durchführbar gewesen. Nun strebt Johannes danach, Josephus abzulösen, indem er seine Banden dazu antreibt, in Galiläa stärker zu marodieren, um mehr Unruhe unter der Bevölkerung zu erzeugen und so die Unfähigkeit des Josephus zu erweisen. Eine entsprechende Propaganda, die noch mit der Botschaft angereichert wird, Josephus wolle das Land an die Römer verraten, bringt die Bevölkerung gegen Josephus auf und soll seinen Sturz vorbereiten. Josephus entgeht nur durch Glück und Geistesgegenwart einer gegen ihn angezettelten Revolte und in Tiberias einem direkten Mordanschlag der Leute des Johannes.
Dann stellt sich heraus: Johannes hat bereits eine Verschwörung unter den Städten Galiläas angezettelt. Josephus stellt deshalb ein Ultimatum. Er werde den Besitz derer plündern lassen, die weiterhin zu Johannes halten. Die Verschwörer sagen sich von Johannes los und der flieht mit seinen Anhängern nach Gischala und verschanzt sich dort. Gleichzeitig schickt er Nachricht nach Jerusalem und bezichtigt Josephus, mit Hilfe der Römer in Jerusalem als Tyrann einziehen zu wollen. Falls nichts gegen ihn und sein bereits sehr großes Heer unternommen werde, könnte es schon zu spät sein. Daraufhin setzt Jerusalem, für uns überraschend, nicht nur Truppen gegen Josephus in Marsch, sondern auch Agitatoren, und schickt darüber hinaus Johannes sogar Geld. Josephus soll abgesetzt werden.
Der ist aber von seinen Freunden aus Jerusalem auch gewarnt und trifft Gegenmaßnahmen. Er bringt die Bevölkerung wieder hinter sich. Die Befehlshaber der gegen ihn geschickten Truppen bringt er in seine Gewalt, überzeugt sie von der Haltlosigkeit der Anschuldigungen des Johannes und schickt dann das ganze gegen ihn aufgefahrene Aufgebot wieder nach Jerusalem zurück.
Johannes sitzt nun in Gischala und verlässt die Stadt nicht mehr. Josephus hat zwar durch dieses geschickte Manöver nun offiziell die Oberhand, aber offensichtlich nicht die Macht, denn es kommt dann weder zu einer Feldschlacht mit den Römern, noch zu Verhandlungen des Josephus mit ihnen, obwohl er der Oberbefehlshaber ist. So weit die Variante des Josephus aus seinem Kriegsbericht.
Das Kriegsglück ist nicht auf der Seite der Juden. Die Römer erobern nun Städte. Als die Stadt Jotapata, welche unter Führung des Josephus verteidigt wird, nach 47 Tagen erbitterten Widerstandes fällt, ergibt sich Josephus nach der Zusicherung auf Verschonung den Römern. Galiläa ist nun erobert bis auf Gischala, und da sitzt der Intimfeind des Josephus: Johannes. Josephus berichtet:
Nur das Städtchen Gischala war in Galiläa noch unbezwungen. Die Bevölkerung war zwar friedlich gesinnt … Es hatte sich aber ein Haufe Räuber bei ihnen eingenistet, der auch einen Teil der Bürger mit dem Fieber der Empörung angesteckt hatte. Der Mann, der diese Leute zum Abfall aufhetzte und zusammenscharte, war Johannes, …er war offensichtlich für den Krieg, weil er dadurch die Herrschaft zu erlangen gedachte. Seiner Führung unterstanden die Aufrührer in Gischala, deren Anwesenheit schuld war, dass die Bürger der Stadt, die sonst vielleicht wegen der Übergabe unterhandelt hätten, jetzt in kriegerischer Haltung den Anmarsch der Römer erwarteten ... Als Titus mit seinen Reitern vor Gischala anlangte, sah er, dass er die Stadt … durch Überrumpelung nehmen könnte… (Um unnötiges Blutvergießen zu vermeiden) zog er es vor, die Stadt … zur Übergabe zu bringen. Er wandte sich deshalb an die in großer Anzahl auf der Mauer stehenden Männer, die fast alle zur Rebellenhorde gehörten, und erklärte ihnen, er begreife nicht, worauf sie sich verließen, dass sie allein den Waffen der Römer noch Widerstand leisten wollten, … und wie alle die sich ihres Besitzes in Sicherheit freuen könnten, die sich der Gnade der Römer anvertraut hätten. Diese biete er ihnen auch jetzt an … Hierauf war es nicht nur keinem von den Bürgern erlaubt zu antworten, sondern es durfte nicht einmal jemand die Mauer besteigen; sie war ganz von den Räubern besetzt, und an den Toren standen Wachen, damit niemand zu Unterhandlungen hinausginge… Nur Johannes ergriff das Wort und entgegnete, er sei mit den Vorschlägen einverstanden und werde jeden Andersdenkenden durch Überzeugung oder mit Gewalt ebenfalls dazu bringen …
Es passe aber gerade nicht, denn es sei Sabbat. Die Römer möchten sich bitte bis zum nächsten Tag gedulden. Sie brauchten auch nicht zu befürchten, dass jemand über Nacht fliehe. Er würde das mit seinen Männern verhindern.
Titus zieht sich nun mit seiner Vorausabteilung zurück. In der folgenden Nacht flieht aber Johannes mit seinen bewaffneten Anhängern und mit ihm auch eine große Menge: … unbeteiligter Leute mit ihren Familien auf Jerusalem zu. Zwanzig Stadien weit schleppte er, selbst von der Angst um Freiheit und Leben gehetzt, den Haufen der Frauen und Kinder mit, aber als er seinen Marsch fortsetzte, ließ er sie im Stich. Johannes treibt die Männer weiter Richtung Jerusalem, von wo aus sie, falls ihre zurückbleibenden Frauen und Kinder den Römern in die Hände fielen, dann später die Gelegenheit hätten, dafür Rache zu nehmen.
Mit Tagesanbruch erscheint Titus vor Gischala und die Bürger öffnen ihm die Tore. Zugleich melden sie ihm die Flucht des Johannes. Titus lässt sofort die Verfolgung aufnehmen. Sie erreichen Johannes nicht mehr. Er entkommt nach Jerusalem.
Als Johannes in Jerusalem einzieht, strömt ihm die ganze Bevölkerung entgegen. Johannes brüstet sich seiner Taten. Er sei nicht vor den Römern geflohen, sondern sei nur gekommen, um sie von einem sicheren Ort aus zu bekämpfen: … denn es sei ebenso unvernünftig wie nutzlos, für Gischala und dergleichen unbedeutende Städtchen sein Leben aufs Spiel zu setzen, anstatt Waffen und Kräfte zu schonen und für die Hauptstadt aufzusparen. Johannes ist angekommen, schürt nun den Widerstand. Er war, wie sich aus der vorherigen, für uns unerwarteten Hilfestellung Jerusalems ergibt, eine Person mit einflussreichen Verbindungen zu den Herrschenden. Nicht umsonst erwähnt ihn Josephus neben einigen anderen Personen von Rang später als einen der wichtigsten Ratgeber des Hohepriesters.
Erst als in den Wirren des Bürgerkrieges diese Führungsschicht Meuchelmorden und Femeurteilen zum Opfer fällt, greift Johannes zur Macht und baut gleichzeitig eine Gewaltherrschaft auf. Das von Josephus widerwillig beschriebene diplomatische Geschick des Johannes in Jerusalem beweist uns, dass da jemand mit Gespür für politische Situationen am Werk war. Er war nicht der Schaumschläger, wie ihn uns Josephus beschreiben will.
Josephus hat allerdings großes Interesse daran, uns seinen Rivalen Johannes als unbedeutenden Räuberhauptmann, aber gleichzeitig als Teufel in Menschengestalt vorzuführen.
Als weiterer Führer des Aufstandes wird uns von Josephus der Simon bar Giora genannt, der die Truppen des Cestius geschlagen hat. Josephus schreibt über ihn: Der brachte in der Zeit eine Menge Unzufriedener zusammen und verlegte sich auf Raubzüge, wobei er nicht nur die Häuser der Reichen plünderte, sondern auch sie selbst misshandelte. Schon jetzt traten die Anfänge seiner späteren Tyrannei zutage.
Dieser Simon bar Giora wird nach Errichtung der Diktatur des Johannes von den Jerusalemern mit seinen Truppen in die Stadt eingelassen, weil von ihm die Befreiung vom Joch des Johannes erwartet wird. Auch er hat kaum nur mit einer Räuberbande den Cestius geschlagen. Simon besetzt nun die Oberstadt sowie einen Teil der Unterstadt, während Johannes vorwiegend den Tempelbezirk beherrscht. Die Truppen des Simon und die des Johannes bekämpfen sich nun im belagerten Jerusalem. Es herrscht Bürgerkrieg.
Johannes wurde zwar von den Herrschenden als nützliches Werkzeug stets gern benutzt, aber standesmäßig nicht anerkannt. Eleazar, derjenige, der den Anlass zur Katastrophe lieferte, der Sohn des Hohepriesters Hananias, weigerte sich jedenfalls lt. Josephus, Johannes als gleichberechtigt anzuerkennen. Johannes geriet deshalb innerhalb Jerusalems, welches die Römer inzwischen zu belagern begannen, zeitweise in einen Zweifrontenkrieg.
Der ihn ablehnende Rest der abgesetzten Führung Jerusalems hatte sich im Tempel verschanzt und griff seine Leute von da aus an, und in der Stadt bekämpften ihn die Truppen des Simon bar Giora. Johannes nimmt zwar den Tempel ein, und als der römische Angriff auf die Stadt beginnt, stehen sich dann nur noch Johannes und Simon gegenüber. Sie vereinigen sich aber nicht, gehen aber gemeinsam gegen die Römer vor. Während ihre Truppen beschrieben werden als Bauern, Tagelöhner und freigelassene Sklaven, als Zeloten und Sikarier, bezeichnet sie Josephus als: Sklaven, Hergelaufene … zugrunde gerichtete Bastarde des Volkes, und als Räuber.
Dieser Johannes und dieser Simon sind die zentralen Figuren und Gegenspieler der Römer. Nachdem sie sich mit ihren Anhängern in Jerusalem eingenistet haben geht alles Üble, wovon uns Josephus berichtet nun ursächlich auf die von ihnen eingeleiteten Maßnahmen zurück, weil sie die Kapitulation Jerusalems verhindern. Als Jerusalem endlich erobert und dem Erdboden gleich gemacht ist, fehlen die beiden Anführer. Sie sind aber nicht geflohen, sondern auch sie haben sich versteckt, wie schon Josephus in Jotapata. Johannes hat sich mit einigen Anhängern in die unterirdischen Katakomben der Stadt geflüchtet. Als ihnen die Nahrungsmittel ausgehen, stellen sie sich den Römern und werden gefangen genommen.
Johannes wird zu lebenslänglicher Einkerkerung in Rom verurteilt. Dann verliert sich seine Spur in den Aufzeichnungen des Josephus. Das ist ein unverständlich mildes Urteil, in Anbetracht seiner Beurteilung durch Josephus, auch wenn man nicht weiß, welche Gräuel er nach dem Bericht des Josephus außerdem unter der Jerusalemer Bevölkerung veranlasst haben soll und welche Verbrechen er dabei beging. Aus den deutlich von einem lebendigen Hass auf diesen Johannes geprägten Texten des Josephus ist deshalb zu schließen: Johannes lebt zum Zeitpunkt der Abfassung des Berichtes über 20 Jahre später tatsächlich noch in Rom und auch keineswegs in einem Kerker. Josephus sieht in ihm vielleicht sogar einen Rivalen im Dienst, bzw. in der Gunst der Flavier.
Simon bar Giora hatte sich mit einigen Anhängern und auch Steinmetzen in einen unterirdischen Gang begeben, der unter dem Tempel beginnt, und versucht sich aus dem Tempelbezirk herauszugraben. Es misslingt. Auch ihn treibt der Hunger, allerdings erst sehr spät, an die Oberfläche. Man findet ihn, als er sich an der Stelle aus der Erde herausgräbt, an der vorher der Tempel stand. Simon wird anschließend für den Triumphzug des Titus nach Rom gebracht, in dessen Verlauf er hingerichtet wird. Josephus berichtet uns im Zusammenhang mit der Beschreibung dieses Triumphzuges seine öffentliche Erdrosselung.
Die entkommenen Sikarier und Zeloten tragen aber nun die Berichte von den beiden Anführern des Judäischen Aufstandes und deren in ihren Augen ruhmvollen Taten mit sich in alle Welt und damit auch zu den Diasporajuden.
Der Endkampf des Judäischen Krieges findet aber erst ziemlich lange nach der Eroberung Jerusalems statt. Als Flavius Silva das Amt des Prokurators von Judäa übernimmt, findet er das ganze Land bis auf die Festung Masada erobert vor. Die Festung ist besetzt von Sikariern unter Führung des Eleazar, dem Nachkommen des Judas, welcher schon zur Zeit des Quirinius einen Aufstand gegen die Römer führte.
Josephus lässt nun in seinem Bericht an den Sikariern kein gutes Haar und rechnet mit ihnen endgültig ab. Nachdem in den vorhergehenden Büchern und Kapiteln des Kriegsberichtes, wirklich alle mit der Belagerung Jerusalems verbundenen Grausamkeiten bis in die Details schrecklichster Einzelheiten beschrieben sind, was vom willkürlichen Hinschlachten von Flüchtlingen, denen man das verschluckte Metallgeld und Gold abnehmen will, bis zum Kannibalismus von Müttern an ihren Kindern reicht, wird hier bei der Beschreibung der Sikarierherrschaft in Masada eine Endauswertung gemacht:
Auch jetzt hatten sich die Sikarier gegen alle verschworen, die sich den Römern fügen wollten, und behandelten sie in jeder Beziehung als Feinde, indem sie ihnen die Habe raubten und fortschleppten und die Häuser in Brand steckten. Sie stellten diese Judäer den Fremden gleich, da sie die so heiß umstrittene Freiheit verraten und eingestandenermaßen die römische Knechtschaft erwählt hätten. Solche Reden waren aber nur der Deckmantel, hinter dem sie ihre Grausamkeit und Habgier zu verbergen suchten, wie aus ihren Taten deutlich hervorging. Denn die anderen Judäer hatten ja ihren Abfall mitgemacht und sich am Kampf gegen die Römer beteiligt, nur um von den Händen der Sikarier noch schlimmere Gräuel erdulden zu müssen. Wies jemand den Sikariern die Grundlosigkeit ihres Vorwandes nach, so unterdrückten sie den, der ihnen mit Fug und Recht ihre Bosheit vorwarf, nur umso ärger … Die Zügellosigkeit und das grausame Wüten gegen die eigenen Landsleute aber waren von den Sikariern ausgegangen, die den Verfolgten gegenüber keine Beleidigung unausgesprochen und keine Tat zu ihrem Verderben unversucht ließen. Doch sie erschienen noch gemäßigt im Vergleich zu Johannes. Denn dieser mordete nicht nur alle Bürger, die ihm gute und nützliche Ratschläge erteilten, und behandelte sie wie die schlimmsten Feinde, sondern er stürzte sein ganzes Vaterland in namenloses Unheil, wie es nur von einem Menschen ausgehen konnte, der sich erdreistet hatte, sich gegen den Gott zu empören. Und nun Simon, des Gioras Sohn, welche Verbrechen verübte er nicht? Oder gab es irgendeine Misshandlung, die er nicht an frei geborenen Judäern begangen hätte, obwohl er gerade ihnen seine Stellung als Gewaltherrscher verdankte? Dämpften etwa freundschaftliche Beziehungen und Bande des Blutes ihre Mordgier? Denn an Fremden sich zu vergreifen, gehörte, wie sie meinten, zu den gewöhnlichen Schlechtigkeiten; eine recht glänzende Rolle dagegen wollten sie durch grausames Wüten gegen ihre nächsten Angehörigen spielen.
Der Prokurator Silva rückt nun mit seinen Truppen gegen Masada vor, unterwirft das Umland, umgibt die Festung mit einem Ringwall, um den Belagerten die Flucht zu erschweren und beginnt mit der Belagerung. Josephus berichtet: An Flucht jedoch dachte Eleazar nicht, wie er sie auch keinem anderen gestattet haben würde. Vielmehr überlegt er, da er die Mauer vom Feuer zerstört sah, und kein weiteres Mittel zur Rettung oder Verteidigung ausfindig machen konnte, wie die Römer die Frauen und Kinder behandeln würden, wenn sie in ihre Hände fielen, und kam zu dem Entschluss, dass alle in den Tod gehen müssten. Weil er, wie die Dinge standen, dies für das beste hielt, versammelte er die mutigsten seiner Gefährten und suchte sie… davon zu überzeugen.
Die nun von Josephus nachträglich formulierte Überzeugungsargumentation des Sikarierführers Eleazar ist die längste, die im Werk des Josephus enthalten ist. Sie umfasst mehrere Druckseiten. Danach erfolgt die kollektive gegenseitige Ermordung der 960 Personen umfassenden Verteidiger der Festung und ihrer Familien, bis der letzte Überlebende vor seinem Selbstmord noch Feuer legt.