Der Mann, der sein Wort gab - A. E. Johann - E-Book

Der Mann, der sein Wort gab E-Book

A. E. Johann

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Beschreibung

In der Never-Never, der unendlichen Einöde im Inneren Australiens, sind vier weiße Australier verschwunden. Sie waren auf der Suche nach neuem Weideland. Der Schweizer Sergeant Jakob Kanderer, der in diesem verlassenen Gebiet für Recht und Ordnung sorgt, wird beauftragt, nach den Verschollenen zu fahnden. In Begleitung von zwei ihm treu ergebenen Eingeborenen, die mit dieser unergründlichen Wildnis vertraut sind, tritt Kanderer die nicht ungefährliche Mission an, fest entschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen.

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Seitenzahl: 88

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A. E. Johann

Der Mann, der sein Wort gab

Erzählung

Er hieß eigentlich Jakob Kanderer und stammte aus Appenzell in der Ostschweiz, am Fuße des mächtigen Säntis-Rückens. Im fernen Nord-Australien war er indessen fast nur unter seinem Spitznamen »der Gardist« bekannt, denn es ging die Sage, dass entweder er selbst oder sein Vater der Guardia Svizzera, der »Schweizergarde« des Papstes, angehört hätte. Genaues wusste mein Gewährsmann, der Sergeant der Königlich-Australischen Berittenen Polizei Dick Schiller, auch nicht.

Schiller war in Tanunda, unweit der großen Stadt Adelaide im Staate Süd-Australien, daheim, einer Gegend, die bis zum heutigen Tage fast ausschließlich von Menschen deutschen Geblüts bewohnt wird und unter den schönsten und blühendsten Bezirken ganz Australiens zu nennen ist. Gut hundert Jahre sitzen die Deutschen schon dort; und viele deutsche Ortsnamen beweisen noch jetzt den starken Anteil der Deutschen an der Erschließung dieser Gebiete. Dick Schiller wollte allerdings nichts davon wissen, dass er den Namen eines großen deutschen Dichters trug; er war überzeugter Australier, nannte sich Skiller und verstand kein Wort Deutsch. Immerhin bewegte ihn das Schicksal des »Gardisten« so heftig, dass er fast einen ganzen Abend lang darüber sprach. Offenbar war er lange niemandem begegnet, mit dem er die Umstände, die Kanderers erregenden Lebensweg bestimmt hatten, so ausführlich erörtern konnte wie mit mir. Drei Abende hockte ich mit Schiller zusammen; und sie wurden uns nicht lang.

Ich hatte mich in Wochen währender Fahrt von Australiens größter Stadt Sydney zunächst längs der Küste nordwärts vorgeschoben, dann aber Brisbane, die Hauptstadt des Staates Queensland, ostwärts liegen lassen und mich von dem Städtchen Toowoomba seitwärts in die Büsche geschlagen, das heißt, ich hatte mich aufgemacht, immer tiefer ins leere Innere des leersten aller Kontinente vorzustoßen, ins »tote Herz Australiens«.

In Morven verließ ich den Strang der letzten Stichbahn von der Küste und folgte nun in allgemein nordwestlicher Richtung oftmals kaum erkennbaren Autospuren, denn Straßen in unserem Sinn gab es längst nicht mehr, nicht einmal Feldwege. An manchen Tagen brachte ich es nur auf sieben, acht Kilometer in der Stunde: wenn endlose Sumpfstrecken zu überwinden oder tief zerrissene Flussbetten, die zuweilen noch Wasser führten, zu umgehen oder irgendwie so lange zu verfolgen waren, bis man eine Stelle fand, wo man den Übergang wagen durfte, ohne Auto, Kopf und Kragen dabei zu riskieren. Mein schwerer Wagen hielt sich wacker; es brach zwar allerlei, und ich lag manchmal tagelang in der Einöde fest. Aber da ich schon vor der Abreise die hinteren Sitze herausgerissen und mir stattdessen ein Ersatzteil- und Proviantlager eingerichtet hatte, so überstand ich eine Fährnis nach der anderen, jeden Tag ein paar, teils mit List und Tücke, teils mit Geduld, teils mit Gewalt.

Ich hatte beschlossen, bis nach Port Darwin vorzudringen, wo ich viele Monate zuvor meine australische Reise, von Timor herkommend, begonnen hatte. Es lag wie ein Zwang über mir, den Ring zu schließen; dann würde ich den fünften Erdteil in allen seinen wesentlichen Teilen erkundet haben, konnte beruhigt nach Sydney zurückgondeln – was man im australischen Busch so gondeln nennt – und den reichlichen Staub des Känguru-Landes von meinen Füßen schütteln.

Unverdrossen näherte ich mich der Grenze – sie ist nur ein schnurgerader Strich auf der Karte, der dem 138. Grad östlicher Länge folgt, welche Queensland vom Northern Territory trennt. Ich überfuhr sie schließlich, die unsichtbare Linie, die nicht einmal von einem Pfahl neben dem Wege angedeutet wurde. Ich hatte mir bei der letzten gottverlassenen, winzigen Wellblech-Siedlung im Nichts, in Camooweal, errechnet, wie viele Meilen mich noch von der Grenze trennten. Als dann der Meilenzähler anzeigte, dass ich sie gut und gerne hinter mich gebracht hatte, hielt ich an, stieg aus und blickte mich um. Nichts Besonderes bot sich dem Blick. Die endlosen, unsagbar eintönigen Eukalyptuswälder, die weiter im Südosten Queenslands für viele Tage und Wochen die mühselige Fahrt begleitet hatten, waren längst zurückgeblieben. Unabsehbare, baumlose, manchmal flach gewellte Steppen hatten mich aufgenommen, mit spärlichem, dürftigem Graswuchs; fast waren sie Wüste zu nennen; doch traf das Wort Wüste nicht voll für sie zu; denn beinahe überall ist hier Wasser zu erbohren. Wahre Wüsten sind nur die Zuckerhutgärten, in denen ein Termitenhügel, manchmal doppelt mannshoch, neben dem anderen steht, sodass sich das Auto nur in tollen Schlangenwindungen hindurchzufädeln vermag. Magerer Busch lispelt schüchtern zwischen den eisenharten Burgen der sonderbaren Insekten; er lebt von der Feuchtigkeit, die sich in den oberen Sandschichten hält; aber Brunnen lassen sich nicht erbohren; wer hier versagt, ist verloren. Gerade hatte ich eine solche Termiten-»Wüste« hinter mich gebracht; einer plötzlichen Eingebung folgend, kletterte ich aufs Dach meines Autos: nichts! Vor mir fiel das Land wie ein flacher Tisch gegen den Horizont zu ab, als glitte es ins Leere. Termitenhügel hier, trockene Steppe dort. Ein Schwarm von Galapapageien strich mit wütendem Krächzen auf rosaroten Flügeln ab; sonst nichts Lebendiges, kein Zeichen menschlicher Wohnung, nur stumme Öde; wahrlich, ich war im »toten Herzen Australiens« angelangt.

Und doch und gerade hier zuckte mir jenes Gefühl durchs Herz, das eigentlich die einzige echte Belohnung aller Strapazen, Gefahren, Entbehrungen einer Reise ins Unbekannte ist: Northern Territory – mit den Tundren Sibiriens und des hohen amerikanischen Nordens vielleicht das leerste, einsamste, merkwürdigste aller bewohnbaren Gebiete der Erde überhaupt. Der Vorhang hob sich mir vor einem neuen, von wenig Sterblichen nur erlebten Gefilde.

Der erste Mensch in dieser Öde, dem ich unterwegs begegnete, als ich endlich weiterfuhr, war Dick Schiller, einer der unumschränkten Herren der nördlichen Einsamkeiten des Kontinents, Sergeant also der Berittenen Polizei. Er war mit zweien seiner schwarzen Gehilfen »auf Patrouille« gewesen und kehrte gerade zurück. Bekanntschaften schließen sich schnell in der Wildnis. Da ich mich ohnehin auf seiner Station melden musste, um meinen Eintritt ins Northern Territory registrieren zu lassen (damit man wenigstens eine lockere Kontrolle darüber besitzt, wer in der Leere abhanden gerät), bot ich ihm an, sich zu mir ins Auto zu setzen und in einer Stunde zurückzulegen, wofür er zu Pferde den ganzen Tag brauchen würde. Das war ein guter Vorschlag; er überlegte nicht lange und stieg ein. Seine Schwarzen standen daneben, etwas abseits, stumm, hässlich, klug und unverständlich, seltsame Kinder eines seltsamen Erdteils.

Schon im Auto fragte ich ihn nach dem »Gardisten«, denn ich hatte mir vorgenommen, alles über ihn auszukundschaften, was sich irgend zuverlässig in Erfahrung bringen ließ. Dick Schiller war sehr erstaunt darüber, dass ich schon einiges über Jakob Kanderer aus Appenzell wusste, und wollte wissen, wer es mir erzählt hätte. Im Süden sei einmal im Gespräch unter Männern, die mit der großen Never-Never vertraut waren, die Rede auf den »Gardisten« geraten; auch wäre ich dann der Sache in alten Zeitungen nachgegangen und was mir an Einzelheiten noch gefehlt hätte, hätten mir Bekannte aus Melbourne berichtet.

»So, so! Im Süden gibt es also doch einige Leute, die sich für uns hier in der Wildnis interessieren. War immer der Meinung, die kümmern sich nur um Pferderennen und Kricket –!«

Vor uns tauchte ein Streifen dunkelgrünen Galeriewaldes auf; wie er das Bett der Trockenflüsse in der Steppe begleitet. Dort war die Polizeistation zu erwarten, denn dort bot sich in der Regenzeit fließendes, in der trockenen Brunnenwasser im Überfluss an. Bald tauchten die niedrigen Wellblechhäuser mit ihren wegen der Moskitos dicht vergitterten Veranden auf, wahllos und weitläufig verstreut, denn Platz gab es im Überfluss und Grundrechte macht niemand geltend.

Der Sergeant war nicht verheiratet. Was sollte er auch in dieser Verlassenheit mit einer Frau! Der unvermeidliche Chinamann ersetzte Hausfrau, Dienstmädchen, Koch und Sekretärin. Kung begrüßte uns mit Wohlgefallen; und ich muss gestehen, kochen konnte der Bursche!

Abends saßen wir beim Schein der Glühlichtlampe auf der Veranda, tranken eine lang entbehrte Flasche Bier und redeten. Zuweilen prallte ein Nachtinsekt an die Fliegengitter; sonst war es still. Rundum wogte die grenzenlose Einsamkeit, das seit Urzeiten nie gestörte Land: nichts als Raum ohne Zeit. Schiller selbst brachte das Gespräch wieder auf den »Gardisten«, dessen Station gut vierhundert Kilometer weiter nordwestlich gelegen hatte; er war also in diesen Ödnissen sein Nachbar gewesen. Die beiden hatten sich auf ihren regelmäßigen Patrouillen durch die weiten Gebiete, für die sie verantwortlich waren, stets besucht und gute Freundschaft miteinander gehalten, auch ihre Tracker ausgetauscht, wenn einmal eine besonders schwierige Frage in einer Landschaft zu lösen war, in welcher die eigenen Tracker sich entweder nicht sicher fühlten oder besonders gute Beziehungen zu den dort heimischen Horden unterhielten, also nicht geneigt waren, einem Verdächtigen allzu eifrig nachzuspüren.

Denn ohne Tracker, eingeborene Fährtensucher, kommt die Polizei nicht aus, auch wenn die weißen Männer sich noch so bedingungslos der Wildnis verschreiben. Der »Gardist« verfügte über einige besonders scharfsinnige, ihm treu ergebene Tracker.

»Er verstand es gut, mit den Niggern umzugehen,« meinte Schiller. »Er kümmerte sich um sie wie ein Vater um seine unmündigen Kinder. Ich könnte das nicht. – Dabei hielt er streng auf Abstand!«

Mit großer Achtung sprach Schiller von den Eigenschaften seines ehemaligen Kameraden; Standhaftigkeit, Entschlossenheit, ein zäher Mut hätten ihn ausgezeichnet; er sei ein vorzüglicher Schütze und ein blendender Reiter, insbesondere aber bei allen Übelwollenden wegen der unerbittlichen Hartnäckigkeit gefürchtet gewesen, mit welcher er eine einmal aufgenommene Spur verfolgte. Er gab nie nach, ehe er nicht seinen Mann zur Strecke gebracht hatte.

Ich warf ein: »Einer von jenen Schweizern also, die in vergangenen Tagen als Reisläufer die Schlachten halb Europas schlugen; unter dem Motto »Point d’argent, point de Suisse« (»Kein Kreuzer, kein Schweizer!«) für spanische, piemontesische, französische, päpstliche oder neapolitanische Herren ihre Haut zu Markte trugen. Vielleicht haben seine Vorväter zu den tapferen schweizerischen Leibgardisten gehört, die sich beim Sturm auf die Tuilerien lieber für den schwächlichen Louis XVI. zerhacken ließen, als ihm die geschworene Treue zu brechen. Wert ist er’s nicht gewesen!«

Dick Schiller hatte von Reisläufern der großen Französischen Revolution und dem Sturm auf die Tuilerien noch nie etwas gehört. Die Reihe, zu berichten, war also an mir. Was ich darüber zu erzählen wusste, bewegte ihn sehr. Er meinte: »Macht bestimmt etwas aus, wenn man solche Vorfahren hat; müssen gewaltige Haudegen gewesen sein. Jakob, der Gardist, hatte ihr Blut in den Adern; das glaube ich jetzt. Er war eben zu spät geboren; er musste bis hierher nach Australien fahren, um Sold zu nehmen. Ist ihm übrigens nicht leichtgefallen, weil sonst nur geborene Australier ins Korps aufgenommen werden; aber da er nicht nachgab und so bald wie möglich den australischen Pass erwarb, hat er es schließlich durchgesetzt. Der Staat hat es nicht zu bereuen brauchen. Bis dann die letzte Geschichte kam –.«