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A. E. Johann

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Beschreibung

Anna Leblois ist in die Fußstapfen ihres Vaters Walther Corssen getreten. Gemeinsam mit ihrem Mann und ihren Kindern lebt sie auf der Pelzstation am mittleren Athabasca im Einklang mit den Indianern. Mit ihnen betreiben sie nach wie vor Handel. Doch einzelne Voyageurs sorgen für Ärger: Einsamkeit, verletzte Gefühle, die Gier nach Macht und Geld führen zu Spannungen und Auseinandersetzungen. Als die Situation eskaliert, gibt es Tote zu beklagen – unter ihnen ist auch Annas zukünftige Schwiegertochter, die junge Indianerin Nagamoun. Der dritte und letzte Band der großen Kanada-Trilogie von A. E. Johann über die Auswandererfamilie Corssen.

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A. E. Johann

Hinter den Bergen das Meer

Roman

1

Die beiden Männer standen am Ufer und blickten dem Kanu entgegen. Das schöne Fahrzeug mit dem hoch geschwungenen Bug näherte sich schnell mit silbern schäumender Welle. Gleich dem Gefieder eines Pfeils fächerten die beiden Schaumzeilen über die stille Oberfläche des Gewässers davon. Das Boot trug keine Last. Sechs Ruderer trieben es an. Sie stemmten ihre Paddel im Takt mit harten Schlägen durch die dunkle Flut. Im Heck des Bootes stand aufrecht ein Mann und führte das lange Steuerpaddel. Er war nur mittelgroß. Sein dunkelblondes zerzaustes Haar zeigte einen Anflug von Rot. Der Mann war in einen dunkelblauen Tuchrock gekleidet, der fast bis zu den Knien hinunterreichte. Der Rock war geschlossen – mit einer Reihe von silbernen Knöpfen –, ließ aber am Halse den Kragen eines weißen Hemdes frei. Das war eine höchst ungewöhnliche und zugleich vornehme Kleidung. Der Mann im Heck legte offenbar Wert darauf, für einen Herrn gehalten zu werden.

»Kennst du den, Paul?«, fragte der Indianer und starrte mit angestrengt gerunzelten Brauen dem stolz heranrauschenden Boot entgegen. Das Gesicht des Fragenden war durch grobe Blatternarben verunstaltet. Sie reichten bis in den Ansatz seines schwarzen Haares. Aus den dunklen Augen in dem entstellten Gesicht schimmerten aber unmissverständlich Ernst, Klugheit, Verlässlichkeit und auch ein versteckter Humor. Es war Mes Coh Thoutin, der »Rote Wind«, ein Cree-Indianer, Sohn des Masqua, des »Bären«; der Vater war 1782 mit den meisten anderen seines Stammes an den schwarzen Pocken gestorben. Die schreckliche Seuche hatte den Indianern des amerikanischen Nordwestens Anfang der Achtzigerjahre des achtzehnten Jahrhunderts einen furchtbaren Zoll abverlangt, hatte manche Stämme bis auf klägliche Reste vernichtet, so auch den bis dahin machtvollen Stamm der Cree entscheidend geschwächt.

Der mit »Paul« angeredete Mann, eine kräftige, breitschultrige, jedoch nicht allzu große Gestalt in Mokassins, einer schweren grauen Wollhose, die unterhalb der Knie mit zwei Lederbändern gerafft war, und einem weitläufigen Hemd aus ungebleichtem Leinen – Paul Soldat, so hieß er allgemein –, hatte die Daumen in den Hosenbund geschoben und gab zunächst keine Antwort. Er starrte dem von fernher über das stille Wasser heranrauschenden Kanu entgegen, schien ganz von diesem Anblick gefesselt zu sein. Die beiden Männer nahmen nichts wahr von dem wunderbaren Frieden dieses Spätsommerabends über der verhalten blinkenden, riesenbreit sich öffnenden Einmündung des gewaltigen Saskatchewan-Flusses in den meeresgleichen Winnipeg-See. Die Sonne war schon hinter den Wäldern im Westen versunken, doch ihr goldrotes Abschiedslicht glühte immer noch bis in den Zenit. Ein Fischadler schwebte in diesem Licht, zog darin seine weiten Kreise, ein winziges Spielzeug nur, von der Erde aus betrachtet, und doch ein untrügliches Zeichen dafür, dass die unabsehbare Wildnis und Einsamkeit weit umher von verborgenem Leben erfüllt war. Paul Soldat hatte die Augen zusammengekniffen, als könnte er so schärfer sehen. Als aber das Kanu nur noch zwanzig Längen entfernt war, hoben sich seine Brauen voller Erstaunen.

»Ich müsste mich sehr irren, Thoutin, wenn das nicht Alexander Mackenzie ist, einer der Partner der North-West Company.«

Der Indianer kannte den Genannten nicht, aber er hatte von ihm gehört. Alexander Mackenzie, einer dieser jungen Abenteurer und Geldverdiener, die von der mächtigen North-West Company, der Vereinigung der finanzstärksten Pelzhändler im kanadischen Nordwesten (angesiedelt aber in Montréal am Unterlauf des gewaltigen Sankt-Lorenz-Stroms), in die Gebiete jenseits der Hudson Bay geschickt wurden, um über hundertfach verästelte Wasserstraßen hinweg neue Einkaufsgebiete für kostbare Pelze, besonders aber für Biberfelle, zu erschließen und zugleich den Einfluss und die Handelswege der großen Company weiter und weiter nach Norden und Westen zu dehnen.

Bevor noch der Bug des Kanus den flach aus der Flut aufsteigenden Ufersand berührte, warf der Vorderste der Ruderer sein Paddel beiseite und sprang über die Bordwand ins Wasser, um das Boot aufzuhalten. Die übrigen Ruderer bohrten ihre Paddel senkrecht zur Bordwand in den sandigen Grund, sodass das Fahrzeug zum Stillstand kam und gewissermaßen kurz vor dem Ufer festgenagelt wurde. Auch der Mann im Tuchrock am Heck des Kanus hatte sein Steuerpaddel beiseitegelegt. Zu ihm trat der Ruderer, der das Kanu zum Stillstand gebracht hatte, hob ihn über den Bootsrand und trug ihn ans Ufer, sodass er sein Schuhwerk nicht zu nässen brauchte. Einen klareren Beweis dafür, dass der Mann als ein Herr zu gelten hatte, konnte es nicht geben.

Der Mann im Tuchrock trat auf die beiden am Ufer wartenden Männer, den Weißen und den Indianer, zu, erhob die Rechte mit der offenen Handfläche nach vorn zum Gruß und sagte mit klarer, sicherer Stimme: »Ich bin Alexander Mackenzie von der North-West Company. Ich hoffe, Walther Corssen vor mir zu haben.«

Den Indianer hatte Alexander Mackenzie gar nicht beachtet. Er streckte dem Weißen seine Hand entgegen (in Wahrheit war das Gesicht des »Weißen« genauso vom Wetter dunkel gegerbt wie das des Indianers). Paul Soldat ergriff die ihm gebotene Rechte, beantwortete aber die Frage des Besuchers nicht in englischer, sondern in französischer Sprache:

»Walther Corssen, Mister Mackenzie, ist im vergangenen Oktober nicht weit von diesem Ort im See ertrunken. Wir haben ihm dort, wo seine Mütze angetrieben wurde, ein Kreuz gesetzt. Seinen Leichnam haben wir nicht gefunden. Ich war seit längerer Zeit Corssens engster Mitarbeiter und habe mit unserem kundigen Helfer, dem Cree hier, Mes Coh Thoutin, den Bau und Verkauf von Kanus in der bisherigen Weise weitergeführt. Sollten Sie eines oder mehrere Kanus kaufen wollen, Mister Mackenzie, so sind Sie bei mir an der richtigen Adresse. Mein Name ist Paul Soldat.«

Mackenzie zeigte sich betroffen. »Corssen tot –? Schon wieder einer der Alten dahin, die noch auf eigene Faust und ohne eine große Gesellschaft im Hintergrund das Pays d’en Haut[1] erschlossen haben. Jammerschade! Ich hätte den bedeutenden Mann gerne kennengelernt. Er segelte eine Zeit lang, wenn ich nicht irre, unter dem Namen MacCorssen. Doch war ihm das ohne sein Zutun angeflogen, wie ich gehört habe. Er hat dann das ›Mac‹ wieder abgetan. Kam er nicht aus den Hannoverschen Stammlanden des englischen Königshauses?«

Paul Soldat bestätigte: »Ja, so war es, aber er hat seine Heimat nicht wiedergesehen. Er wollte auch nichts mehr von ihr wissen. Er hat immer gesagt, dass er hierher gehört, ins Pays d’en Haut, und nirgendwo sonst hin. Dies wäre seine Heimat. Hier hätte ihm keiner etwas zu sagen, wenn er sich nur mit den Indianern zu stellen wüsste. Und daran hat es bei ihm, weiß Gott, nie gefehlt!«

Paul Soldat fügte nach einer kurzen Pause, in der sich die beiden Männer für eine unwägbare Sekunde mit den Augen gemessen hatten, hinzu: »Wir haben es nicht weit bis zu meinem Hause, Mister Mackenzie. Wenn wir etwas zu besprechen haben, so können wir das dort besser tun als hier. Vielleicht trinken wir einen Brandy oder einen Portwein zusammen?«

»Gern!«, erwiderte Mackenzie und schritt mit Soldat den Strand hinauf. Der Indianer, Mes Coh Thoutin, folgte den beiden in gemessenem Abstand, begleitete sie aber nicht zu dem langen, niedrigen Blockhaus seines Meisters, das sich auf enger Lichtung in den Rand des Waldes duckte. Der Indianer bog vielmehr zu einem anderen kleineren Hause ab, fünfzig Schritte weiter am Strand entlang, wo ihm von der offenen Tür aus seine junge Frau, Losseh Thiegah mit Namen (was »Schwarzhaar« bedeutet), neugierig entgegenblickte. Auch sie hatte das vom anderen Ufer der Mündung des großen Saskatchewan her sich nähernde Kanu beobachtet und wollte nun wissen, wer sich da so spät am Abend als Besuch eingefunden hatte.

Thoutins Söhnchen lief dem Vater aus der Hütte entgegen, kreischend vor Vergnügen. Was der Kleine erhofft und erwartet hatte, geschah auch: Der Vater hob das Kind hoch, herzte es und behielt es im Arm, während er die letzten Schritte zu seinem Hause zurücklegte. Er bot seiner Frau, die nicht mehr am Türpfosten lehnte, sondern sich aufgerichtet hatte, keinen Willkommensgruß, warf ihr aber einen freundlichen Blick zu, den sie mit einem kühlen Lächeln um die Mundwinkel beantwortete. Er tat ihr gleich Genüge:

»Ein hochmögender Herr, der da gekommen ist, Losseh Thiegah. Wenn ich den Namen richtig verstanden habe, so heißt er Alexander Mackenzie und muss ein Partner der großen Company sein oder zum Mindesten ein wichtiger Mann in der Gesellschaft, denn einer seiner Voyageurs hat ihn an Land getragen, damit er sich nicht die Füße nass zu machen brauchte.«

Obgleich es nicht schicklich war – aber es war ja kein fremder Lauscher in der Nähe –, wagte Thoutins Frau eine Frage: »Will er eines von unseren Kanus kaufen? Wir haben doch vier Fertige auf Lager, und ihr arbeitet jetzt schon am Sechsten.«

Thoutin setzte sein Söhnchen ab, um durch die niedrige Tür des Hauses eintreten zu können. Dabei gab er seiner Frau Antwort: »Ich hoffe, dass er uns eines oder zwei unserer Kanus abnimmt. Sie sind diesmal besonders gut gelungen. Die Rinden der beiden Silberbirken, die wir verarbeitet haben, waren vollständig rein und astlos, sodass wir fast überhaupt nicht zu flicken brauchten. Aber ich habe keine Sorge. Bald werden andere Kanu-Flottillen eintreffen, die sich beeilen müssen, vor dem Eis ihre Standorte im fernen Westen zu erreichen. Ganz gewiss schlagen wir dann alle unsere fertigen Boote los, wahrscheinlich werden wir nicht einmal genug Kanus auf Lager haben.«

Im Hause wartete das Abendessen auf die kleine Familie, eine mit vielen Waldkräutern gewürzte Fischsuppe, dazu als Nachtisch Stücke getrockneten Wildfleisches, um die letzten Lücken im Magen zu füllen. Das an der Luft getrocknete, wenig gesalzene rohe Fleisch schmeckte beinahe wie Brot.

Inzwischen hatten Mackenzie und Soldat längst das große Haus erreicht und sich vor der breiten Front an einem groben Tisch auf breiten Hockern niedergelassen, die nichts weiter waren als vom Stamm einer mächtigen Fichte geschnittene runde Blöcke. Auf dem Tisch standen zwei dickwandige, aber geschliffene Gläser, in denen der beinahe schwarze Portwein, vom Abendlicht befeuert, ein warmes Leuchten auszustrahlen schien. Paul Soldat hatte die Gläser aus einer dickbauchigen Flasche gefüllt, hob das seine und trank dem Gast zu: »Ihre Gesundheit, Sir!«

»Auf die Ihre, Monsieur Soldat!«

Die beiden Männer tranken die Gläser leer, aber der Gastgeber füllte sie sofort von Neuem. Mackenzie strich sich genießersich mit der Zunge über die Lippen: ein vorzüglicher Portwein! Die Leute hier mussten mit ihren Kanus gutes Geld verdienen. Er fragte: »Sie sind Frankokanadier, Monsieur Soldat?«

Soldat drehte an seinem Glase, blickte den Fragenden nicht an und meinte dann, so, als müsste er sich die Sache erst überlegen: »Frankokanadier, Mister Mackenzie, bin ich erst geworden. Ursprünglich stamme ich, wie Sie auch, aus dem Alten Kontinent, aus Europa, und zwar, wie mein verstorbener Meister, Walther Corssen, aus dem Hannöverschen, also aus Deutschland. Aber das habe ich längst vergessen, ich bin Frankokanadier.«

Die beiden Männer schwiegen eine lange Zeit vor sich hin und blickten zwischen den Stämmen des Ufers auf den weiten See hinaus, über dem das Abendlicht sachte verging; die Nacht begann bereits von Osten her ihre violenfarbene Haube aufzustülpen. Ja, so war es in diesem wilden, weiten Lande im innersten Herzen des amerikanischen Kontinents, das niemand gehörte, es sei denn vielleicht den Indianern. Doch die Indianer waren sich ihres Rechtes der Erstgeburt in den grenzen- und weglosen Weiten der Gebiete westlich der Hudson Bay überhaupt noch nicht bewusst geworden, würden es vielleicht nie werden, wenn nicht die mit dem Pelzhandel langsam westwärts einsickernden Weißen in ihnen ein solches Bewusstsein erweckten, indem sie selbst Ansprüche anmeldeten, die in Wahrheit weder rechtens noch sinnvoll waren. Ja, so war es in der Tat: Im Pays d’en Haut hatte kein Kaiser und kein König etwas zu sagen. Es galten allein die Sitten der indianischen Stämme und darüber hinaus die Regeln menschlichen Anstands. Erzwingen ließen sie sich nicht, aber wer sie brach, erklärte sich selber für vogelfrei. Sie wurden nur selten gebrochen.

Alexander Mackenzie wollte zur Sache kommen. Aber zuvor machte er eine Bemerkung am Rande, die bei seinem Gastgeber keineswegs unterging: »Ich habe einen vorzüglichen Voyageur in meiner Mannschaft – sein Name ist Claas Forke –, der ebenfalls behauptet, deutscher Abstammung zu sein, sich aber in nichts von den echt frankokanadischen Voyageurs unterscheidet. Für mich kommt er vom unteren Sankt Lorenz wie die anderen auch. Was kümmern mich die Vorgeschichten meiner Leute. Hier fragt man, Gott sei Dank, nicht nach dem Woher und Wohin. Es kommt nur darauf an, ob sie das Paddel beherrschen und das Kanu, und ob sie notfalls mit den Indianern zu handeln wissen und sich mit ihnen vernünftig verständigen können. Lassen wir das, Monsieur Soldat, es versteht sich von selbst! Ich habe mich von meinem Lagerplatz an der anderen Seite der Saskatchewan-Mündung herüberrudern lassen, um erstens mit Ihnen über den Ankauf von ein oder zwei guten Lastkanus zu verhandeln, die ich gegen zwei schon überalterte Kanus meiner Flottille austauschen möchte. Dagegen werden Sie ja wohl kaum etwas einzuwenden haben, und über den Preis werden wir uns schnell einigen. Ich weiß natürlich, dass man die berühmten Corssenschen Kanus nicht gerade billig bekommt. Aber das muss wohl so sein.«

Paul Soldat unterbrach seinen Besucher mit dem Hinweis: »Ich habe einige gute Boote anzubieten, Mister Mackenzie, wir haben die Böden der Kanus – verglichen mit den indianischen, wie die Cree sie bauen – besonders verstärkt, haben auch die Bootswände etwas höher gezogen, um sie als Lastkanus für den Pelzhandel besonders geeignet zu machen. Aber das wissen Sie wahrscheinlich ohnehin. Jetzt allerdings scheint es mir schon zu dunkel zu sein, um die Boote auf unserer kleinen Werft noch von den Stellagen herunterzunehmen, auf denen sie aufgebockt sind, um sie vor Schaden zu bewahren. Sie werden also morgen noch einmal wiederkommen müssen, Mister Mackenzie, dann kommen wir sicherlich zu einem Abschluss.«

Der Besucher nahm den Faden wieder auf: »Ja, natürlich, ich habe nichts anderes erwartet. Aber vor allem bin ich noch aus einem anderen Grunde zu Ihnen gekommen: Ich habe vor, in diesem oder wahrscheinlich erst im nächsten Jahr über den Athabasca-See hinaus nach Westen, genauer Nordwesten, vorzustoßen, um festzustellen, wohin der mächtige Strom eigentlich fließt, der den See nordwestwärts verlässt. Sie leben schon lange im Pays d’en Haut, Monsieur Soldat, Sie haben wahrscheinlich längst vom Athabasca-See und vom Athabasca-Strom, auch vom Peace River, gehört, oder täusche ich mich?«

»Sie täuschen sich nicht, Mister Mackenzie. Am mittleren Athabasca habe ich selbst lange gesessen, habe als Voyageur mehr als eine Fahrt aus dem fernen Westen nach Grand Portage am Lac Supérieur und wieder zurück in den Westen mitgemacht. Auch den mittleren Peace habe ich schon zu Gesicht bekommen. Am See Athabasca selbst war ich noch nicht, weiß aber, dass Sie dort Fort Chipewyan gegründet haben und dass der Peace unmittelbar nordwestlich des Athabasca-Sees in den mächtigen Ausfluss aus dem See, der nach Nordwesten weiterzieht, mündet. Dass Sie weiter ins Unbekannte vorstoßen wollen, Mister Mackenzie, verwundert mich weniger, als Sie vielleicht denken. Ich war ja ein Schüler und Helfer meines Vorgängers hier unterhalb der Großen Schnellen des Saskatchewan, des Walther Corssen, den der See verschlungen hat. Corssen war immer vorneweg. Auf eigene Faust hat er manche Gegend für den Pelzhandel erschlossen, in die dann die North-West Company erst nachrückte. Sein Konzern ist schließlich in der North-West Company aufgegangen und mit zwei Partnerschaftsanteilen bedacht worden, die heute Corssens Sohn und Tochter gehören. Er selber und schließlich auch ich, übrigens auch mein Indianer, Mes Coh Thoutin, hier, wir wollten uns nicht in die große Gesellschaft fügen und machten uns lieber auf bescheidene Weise selbstständig. Das Geschäft geht übrigens ausgezeichnet. Wir brauchen uns um den Absatz unserer Kanus keine Sorgen zu machen.«

Mackenzie ließ sich ein drittes Glas Portwein einschenken. Während Paul Soldat die dunkelrote Flüssigkeit noch ins Glas rinnen ließ, fuhr Mackenzie fort: »Da haben Sie beinahe schon die Sache berührt, auf die es mir ankommt, Monsieur Soldat. Ich will mit einigen Kanus nach Nordwesten. Wie lange das dauern wird und wohin der Strom mich führen wird, das weiß der liebe Himmel. Ich weiß es noch nicht. Aber eines weiß ich bestimmt, wenn wir nicht gute Kanus haben, dann werden wir kaum von der gefährlichen Reise zurückkehren. Ersatzkanus können wir nicht mitnehmen, das würde eine neue Bootsmannschaft erfordern, weiteren Proviant und uns übermäßig belasten. Ich neige nicht dazu, auf gut Glück loszufahren und mich von vornherein in dem Glauben zu wiegen, dass alles nach Wunsch ablaufen wird. Ich möchte einen vorzüglichen Kanubauer mit auf die Reise nehmen, der notfalls, sollten wir ein Kanu verlieren, sogar aus dem Nichts, das heißt aus dem, was das Land unmittelbar liefert, Ersatzboote bauen kann. Viele Indianer verstehen das auch, aber für schwere Lasten sind ihre Kanus meist zu leicht gebaut, vor allem auch nicht sorgfältig genug konstruiert, als dass man sich in ihnen mit vielen Männern und Lasten einer weiten Reise anvertrauen könnte. Also, um es glatt herauszusagen, Monsieur Soldat, ich wollte Sie fragen, ob Sie bereit wären, gegen guten Lohn sich meiner Mannschaft für die Reise nach Norden anzuschließen, als Voyageur für den Alltag, aber für den Notfall als ein Mann, der beschädigte Kanus zuverlässig zu flicken vermag und innerhalb weniger Tage auch ein vollkommen neues Kanu zu bauen fähig ist. Ich erwarte natürlich nicht, dass Sie mir sogleich Antwort geben. Sicherlich wollen Sie sich meinen Vorschlag genauer überlegen. Damit habe ich gerechnet und mir vorgenommen, hier einige Tage Rast einzulegen. Meine Männer werden mir dankbar sein. Ich habe die Flottille ziemlich stark angetrieben, obendrein haben wir auf dem gefährlichen See zweimal schlechtes Wetter gehabt, und ein großer Teil unserer Lastenpacks ist nass geworden. Die müssen aufgeschnürt, getrocknet und umgepackt werden. Wenn es Ihnen recht ist, besuche ich Sie morgen Nachmittag, damit ich mit zweien meiner Gouvernails[2] die neuen Kanus aussuchen kann; vielleicht sind Sie dann schon zu einem Entschluss gekommen.«

»Gut, Mister Mackenzie, einverstanden! Wenn Sie erlauben, komme ich morgen Abend, wenn wir hier fertig sind, mit Ihnen in Ihr Lager hinüber auf die andere Seite und nehme auch meine Frau mit, sie sieht sich ebenfalls gern dort drüben um. Ich möchte mir gern ein Urteil über Ihre Kanus bilden und vielleicht auch den Voyageur deutscher Abstammung, von dem Sie berichteten – er hieß ja wohl Claas Forke –, kennenlernen.«

»Ganz wie Sie wollen, Soldat! Sie sind mir in meinem Lager willkommen! Sie können dann gleich bei mir Abendbrot essen, wenn Sie schon einmal da sind, nicht wahr?«

Während die beiden Männer wieder zum Strand hinunterschritten, bedankte sich Soldat bei seinem Besucher für die Einladung zum nächsten Abend. Es war inzwischen beinahe dunkel geworden. Nur noch über dem dunklen Saum der Wälder weiter im Westen lag der letzte Nachglanz der Sonne, wie ein von einem fernen Feuer dahinter durchleuchteter riesiger Fuchsschwanz – so wenigstens pflegten die Indianer diesen letzten Rest der Abendröte zu kennzeichnen. Der Spiegel des ungeheuren Winnipeg-Sees breitete sich so unbewegt und makellos nach Norden und Osten, als bestände er aus sorgsam geschliffenem schwärzlich-hartem Metall. Schon war der Große Wagen im sachte ins Nachtblau hinüberdunkelnden Himmel deutlich auszumachen und wies mit seinen beiden hintersten Sternen wie seit Urzeiten auf den Polarstern im Zenit des Himmels, den ewig Ruhenden, der allen Männern der Wildnis im Norden stets der unverbrüchlich getreue Wegweiser gewesen ist.

Die Ruderer in Mackenzies Kanus setzten sich bereit, als sie die beiden Gestalten vom Strande her dem Bootsliegeplatz zuschreiten sahen. Der schier unglaublich breitschultrige Mann, der Mackenzie aus dem Boot an Land gehoben hatte, erwartete seinen Herrn schon am Ufer.

»Also auf morgen, Soldat!«, rief Mackenzie leise, indem er sich verabschiedete.

»Ja, auf morgen, ich werde Sie erwarten, Mackenzie!«

Alexander Mackenzie zögerte einen Augenblick, als wollte er noch etwas sagen, ließ sich dann aber von seinem bärenstarken Voyageur vom Boden aufnehmen und ins Boot hinübertragen.

Während das Kanu, von kräftigen Paddelschlägen angetrieben, auf das dunkle Wasser hinausglitt, gestand sich Alexander Mackenzie im Stillen: Nun gut, ich habe ihn nicht mehr »Monsieur Soldat« genannt, sondern nur noch »Soldat«. Er ist von mir nicht abhängig, erst recht nicht mein Untergebener, mag er mir also das »Mister« verweigern. – Walther Corssen ist tot, ertrunken, in diesem Wasser unter mir, ruht irgendwo hier in der Tiefe des Sees. Man hat ihn nicht gefunden. Ich wollte ihm eigentlich einen seiner Leute ausspannen, um auf die Dauer jemand bei mir zu haben, der sich auf den Bau von Kanus versteht. Nun ist sein Helfer selber zum Meister aufgerückt. Aber vielleicht ist mit Walther Corssens Tod das ganze Unternehmen hinfällig geworden, und Paul Soldat lässt sich überreden, sich mir für die große Reise nach Nordwesten anzuschließen – vielleicht auch dieser Indianer Mes Coh Thoutin, der sicherlich ebenso viel vom Kanubau versteht. Ich bin im großen Niemandsland, in dem kein Mensch sich an irgendetwas gebunden zu fühlen braucht. Vielleicht wirft dieser Paul Soldat sein Los mit mir zusammen. Er wäre keine schlechte Wahl, scheint mir.

Als Paul Soldat das sich sehr schnell entfernende Kanu auf dem schwärzlichen Wasser nicht mehr erkennen konnte, machte er sich auf den Rückweg in seine Hütte. Dort würde ihn Atak, seine Frau, mit dem Abendessen erwarten. Auch Atak war eine Cree, stammte aber aus einem der westlichsten Unterstämme des großen Volkes; ihre Heimat lag am mittleren Athabasca-Fluss. Atak hatte sich am großen Winnipeg-See niemals wohlgefühlt. Es ist nicht mein Land, klagte sie stets. Es gibt keinen Fluss hier, der so schnell fließt wie der Strom meines Stammes, der Athabasca, und keiner spricht das Cree hier so, wie es in meiner Heimat gesprochen wurde. Paul Soldat hatte das Heimweh seiner Atak niemals sehr ernst genommen. Man fragt nicht viel nach den Stimmungen einer indianischen Frau. Das hatten ihn die Indianer selbst gelehrt. Auch dachte er stets: Sie muss ja glücklich sein, denn sie hat mir unsere entzückende kleine Nagamoun beschert, die Tochter, und sie selbst hat ihr den Namen Nagamoun, das heißt »Gesang«, verliehen, weil sie als ganz kleines Kind so melodische kleine Juchzer von sich zu geben pflegte.

Und außerdem hatte Paul seinen »Stern« Atak stets freundlich und liebevoll behandelt, war niemals so verächtlich und grob mit ihr umgegangen, wie dies viele Indianer selbstverständlich zu finden schienen. Und in den Nächten kargte sie niemals mit ihrer Bereitschaft. Jetzt würde er ihr von seinem Besuch berichten müssen. Sicherlich wollte sie wissen, was vorgefallen war. Auch hatte Paul längst gelernt, Ataks ruhiges Urteil zu schätzen.

Paul Soldats indianische Gefährtin hätte nicht nur in den wilden, gesetzlosen Gefilden des Pays d’en Haut als eine schöne Frau gegolten. Atak stand am Feuer des Kamins und hatte den Rücken halb der Tür zugewendet, durch die Paul Soldat aus der Dunkelheit sein Haus betrat. Atak rührte anscheinend geistesabwesend in einem rußigen Kochtopf, der über der offenen Feuerstelle des Kamins an einer eisernen Kette hing. Aus dem Topf dampfte es in den Schornstein hinauf. Trotzdem hatte sich auch im Raum der Duft einer vor sich hin brodelnden Wildbret-Suppe verbreitet, die offenbar mit vielen Kräutern und Beeren des Waldes gewürzt war. Der in dem großen Zimmer des Blockhauses schwebende Duft war so angenehm, dass Paul Soldat buchstäblich das Wasser im Munde zusammenlief. Er umfasste seine Frau mit einem freundlichen Blick und blieb stehen. Atak schien ihn gar nicht bemerkt zu haben. Das Knistern der Flammen und das Brodeln im Kochtopf hatten ihr wahrscheinlich die ohnehin nur sehr leisen Laute verdeckt, die von ihres Mannes weichledernen Mokassins ausgegangen waren, als er das Haus betreten hatte.

Ja, in der Tat, Atak war eine schöne Frau. Sie trug ein fast bis zu den Knöcheln reichendes Gewand aus gegerbtem Wildleder mit langen dicht anliegenden Ärmeln, bis zum Hals geschlossen, um die Hüften zusammengehalten von einem geflochtenen Gürtel. Das Lederkleid war an den Oberarmen und über den Brüsten mit bunten Mustern aus Glasperlen bestickt, jenen Glasperlen, die der Pelzhandel in die entlegensten Gebiete des Nordwestens gebracht hatte, um sie dort gegen hundertfach wertvollere Pelze einzutauschen. Das blauschwarze Haar der Indianerin war in der Mitte gescheitelt und hing im Rücken, zu einem festen, schweren Zopf geflochten, bis zu den Hüften hinunter. Das Profil der jungen Frau wurde von den Flammen des Herdfeuers beleuchtet, ein ganz indianisches Profil: die Nase leicht gekrümmt, die Augenbrauen sehr dicht und mit leichtem Schwung bis an die Schläfen gezeichnet, der Mund nicht üppig, sondern mit eher schmalen Lippen, aber keineswegs eng, das Kinn ausgeprägt und unter der Unterlippe kräftig gekurvt, die Linie der Kinnbacken deutlich und schön geschwungen; die Backenknochen betont; die Ohren zierlich gerundet mit nur eben angedeuteten Läppchen. Ein schlanker, fester Hals trug dieses schöne Haupt.

Paul Soldat umfasste das vom Herdfeuer rötlich angestrahlte Bild seiner Frau mit einem einzigen Blick – und war glücklich. Er streifte das zusammengerollte Tuch ab, das er nach der Weise der Voyageurs um die Stirn gewunden hatte, um dem Wind zu wehren, ihm die Haare ins Gesicht zu treiben. Er sagte in die Stille des großen Raums unter dem offen liegenden Gebälk des Dachstuhls mit gedämpfter Stimme: »Sei gegrüßt, Atak! Du hast Nagamoun schon schlafen gelegt. Schade! Aber ich komme wirklich spät heute Abend. Es ging nicht anders.«

Atak wandte sich nicht nach ihrem Mann um. Sie zeigte sich nicht überrascht oder gar erschrocken bei den plötzlich in der Stille der Nacht hinter ihr ertönenden Worten. Sie hob mit einem Holzscheit den Topf vom Haken über dem Feuer und stellte ihn auf den mit runden Steinen gepflasterten Platz vor dem Kamin ab. Danach erst wandte sie sich ihrem Mann zu: »Paul – sei gegrüßt! Ja, ich habe die Kleine schon zu Bett gebracht. Sie hätte dich gern noch gesehen, du weißt ja, das will sie immer. Aber ich glaubte, es wäre schon zu spät für sie. Bist du bereit zum Essen?«

»Natürlich, Atak, es wäre zu spät für sie gewesen. Ich wasche mir die Hände und komme gleich.«

Neben der Hütte rann ein Quell in einen hölzernen Brunnentrog, lief durch eine Kerbe im Trogrand über, zeichnete einen Wasserfaden in den Sand zum Ufer hinunter und war schon wieder versickert, ehe er noch die Fläche des Sees erreichte. Paul Soldat spülte Gesicht und Hände in dem Trog, ließ sich dann klares Quellwasser in die hohlen Hände rinnen und trank ein paar Schlucke. Wie stets erfreute er sich auch jetzt wieder an dem reinen, kühlen Trunk. Dieser Quell war es eigentlich gewesen, für den sich vor Jahren Walther Corssen entschieden hatte, als er am Ausfluss des Saskatchewan-Stroms in den Winnipeg-See einen Platz gesucht hatte, wo er sich als Erbauer und Verkäufer von Birkenrinde-Kanus niederlassen konnte. An den üblichen Lagerplätzen der Kanu-Flottillen weiter stromauf, vom offenen See also weiter entfernt, hatte er sich nicht festsetzen wollen. Dort gab es nach seiner Meinung im Frühling und im Herbst, wenn die Kanus des Pelzhandels west- oder ostwärts zogen, zu viel Unruhe. Wenn die Brigade- oder Flottillenführer der kleinen Kanuschwärme, die alle die Mündung des Saskatchewan passieren mussten, ehe sie sich dann in den weiteren Westen auffächerten, ein gebrochenes Kanu ersetzen oder ein überaltertes und durch reichliche Flickerei zu schwer gewordenes Kanu gegen ein neues tauschen wollten, so würden sie, hatte Walther Corssen sich gesagt, auch fünf Meilen am Südrand der Saskatchewan-Mündung weiterfahren, um sich von ihm ein neues, nach allen Regeln der Pelzfahrt meisterhaft gebautes Fahrzeug einzuhandeln. Das war eine richtige Rechnung gewesen.

Paul Soldat begann zu berichten, während Atak aus dem Kessel am Boden die dicke Fleischsuppe in die hölzernen Schalen schöpfte: »Atak, es war einer der wichtigen Leute der North-West Company, der mich heute besucht hat. Er wird morgen wiederkommen, um zwei Kanus zu erstehen. Aber ich glaube nicht, dass das der eigentliche Anlass zu seinem Besuch war. Er will mich überreden, mitzukommen, ihn als Voyageur und Kanubauer auf einer Erkundungsreise in den weiteren Nordwesten vom Athabasca-See aus zu begleiten. Die Boote kann er natürlich haben, wir stellen ihm gern zwei von unseren besten Nordkanus bereit. Über den Preis werden wir uns schnell einig werden.«

Atak hatte sich am Ende des groben Tisches auf einer Bank niedergelassen. Sie hatte die beiden Näpfe mit der dampfenden Fleischsuppe über Eck auf die Tischplatte gestellt und die dazugehörigen Holzlöffel bereitgelegt. Sie wartete darauf, dass Paul in der Ecke neben ihr Platz nahm. Dann sagte Atak verhalten und nachdenklich:

»Corssen, unser Meister, der uns hierher gebracht hat, ist tot; wir sind allein. Gewiss, Paul, du kannst weiter Kanus bauen. Du verstehst es genauso, wie Walther Corssen es verstanden hat, und Mes Coh Thoutin weiß alles, was wir vom Stamme der Cree überhaupt über den Kanubau wissen. Walther Corssen ist ertrunken; unsere kleine Nagamoun fragt noch jetzt manchmal nach dem Großvater, der doch gar nicht ihr Großvater war. Dabei ist Nagamoun erst vier Jahre alt. Es geht also alles weiter wie bisher. Du machst Geschäfte mit den Kanus, und Männer der großen Company wollen dich für eine weite Reise anheuern; ja, alles geht so weiter wie bisher. Aber Walther Corssen ist tot und kommt nicht wieder.«

Es war, als sei plötzlich durch die noch immer weit geöffnete Tür eine schattenhafte Gestalt in den Hüttenraum getreten und lehnte stumm und nur in blassen Umrissen erkennbar in einer Ecke. Die kleine Nagamoun schlief in der entgegengesetzten Ecke des Raums in ihrem liebevoll aus weißem Birkenholz zurechtgezimmerten Bettchen. Die Eheleute sprachen plötzlich sehr leise und wie von einer großen Befangenheit ergriffen. Verschlug ihnen der stille, fast unsichtbare Gast die Sprache, oder mussten sie sich Mühe geben, ihr Kind nicht zu wecken?

Paul Soldat nahm den Faden wieder auf, nachdem er schweigend seine Mahlzeit ausgelöffelt hatte: »Ich habe noch nie daran gedacht, Atak, den Betrieb aufzugeben. Warum sollen wir nicht noch viele Jahre weiter hier Kanus bauen? Gute Kanus werden stets gefragt sein. Und dass die Engländer, die Amerikaner oder die Russen oder sonst wer hier im fernen Westen erscheinen, um irgendwelche politischen Ansprüche geltend zu machen, das werden wir nicht mehr erleben. Wir bleiben hier unangefochten von jedem Kaiser und König und sind auf uns selbst gestellt. Mehr wollen wir nicht. Ich bin ein Cree geworden und gehöre hierher. Der Besucher, Atak, Alexander Mackenzie, hat mich gefragt, was ich sei. Ich habe ihm gesagt, ich gehörte nur ins Pays d’en Haut! Ich könnte nicht so schnell, wie er das haben will, hier meine Zelte abbrechen. Wir müssen erst die Kanus verkaufen, die wir im Sommer gebaut haben. Und was soll aus Mes Coh Thoutin werden? Er rechnet damit, dass sein Leben weitergeht wie bisher.«

Atak schwieg lange und blickte vor sich hin in den geleerten Teller. Das Feuer in der Herdstatt war zusammengesunken. Es war fast dunkel im Raum, und durch die geöffnete Tür ließ sich über der tiefschwarzen stillen Wasserfläche des Sees das Gefunkel einiger Sterne erkennen; sie spiegelten sich zu einem feinen Strich gedehnt silbern im Gewässer wider.

Atak nahm das Wort, so leise, dass ihr Mann genau hinhören musste: »Paul, ich habe meine Heimat und meinen Stamm am Athabasca damals verlassen, weil Walther Corssen es wollte und dem Häuptling nahelegte, dass ich dich heiratete. Dem Häuptling und dem großen Weißen Mann, dem mächtigen Händler, ohne den der Stamm kaum noch auskommen konnte, habe ich damals gehorcht. Nun ist Walther Corssen tot. Es ist noch nicht ein Jahr her, seit wir ihm das weiße Kreuz errichtet haben, dort, wo wir seine Wollmütze fanden, ans Ufer getrieben als Einziges, was von ihm zu entdecken war. Paul, du weißt, dass ich hier in diesem Lande nicht glücklich gewesen bin. Lass uns wieder nach Westen zurückkehren in meine Heimat. Vielleicht baut dir der Vorschlag von Alexander Mackenzie dorthin eine Brücke. Du solltest ihn nicht von vornherein ablehnen.«

Paul hatte mit steigender Aufmerksamkeit zugehört. Ihm war, als spürte er in den Worten seiner indianischen Frau eine leise Aufsässigkeit. Er hatte sich längst daran gewöhnt, seine Frau so zu nehmen, wie die Indianer es fast ohne Ausnahme taten. Die Frauen haben zu gehorchen und werden nicht gefragt. Sie werden mit Lasten bepackt und dürfen sich nicht beklagen. Wenn sie den Wünschen und Befehlen der Männer nicht Folge leisten, werden sie bestraft. Sie selbst finden das in Ordnung. Dass in Wirklichkeit die wahren Beziehungen zwischen Mann und Frau auch in indianischen Ehen andere Züge tragen mögen, als sich nach außen hin erkennen lässt, versteht sich von selbst.

Paul Soldat war stets der Meinung gewesen, dass seine Atak sich glücklich schätzen musste, ihn, einen weißen Mann, geheiratet zu haben, liebte er sie doch und war ihr erst recht ergeben, seit sie ihm die kleine Nagamoun geschenkt hatte, in die er zärtlich vernarrt war. Dass sein Söhnchen schon im ersten Jahr nach der Geburt an einer unbekannten Krankheit gestorben war, war ein sehr schmerzlicher Verlust gewesen. Es starben bei den Indianern viele Kleinkinder schon im ersten Jahr nach der Geburt, beinahe die Hälfte aller Neugeborenen. Der Mutter des Kindes war kein Vorwurf daraus zu machen. Und, Gott sei Dank, die kleine Nagamoun war schon aus dem Säuglingsalter heraus und so gesund, heiter und lebhaft wie ein Fisch im Wasser.

Nun hatte also Atak zum ersten Mal – soweit er sich erinnern konnte – einen Wunsch geäußert, sehr bestimmt dazu, nämlich mit ihm und dem Kinde zurückzukehren in ihr Heimatland, in das Gebiet ihrer Sippe am mächtigen Athabasca-Strom oberhalb der Großen Schnellen – sie werden nach dem Pelikan-Fluss benannt, der wenig weiter stromauf in den Athabasca von Westen einmündet. Paul war erstaunt, beinahe bestürzt: Wünsche und einen eigenen Willen – dergleichen hatte er bisher an Atak nicht erlebt.

Doch es ging nicht an, sich nach den Vorstellungen oder Absichten einer Frau zu richten. Das hätte den indianischen Regeln, die im Pays d’en Haut gültig waren, nicht entsprochen, denen zu folgen sich auch die wenigen Weißen in den unermesslichen Gefilden des Nordwestens längst gewöhnt hatten. Ein Indianer wäre wahrscheinlich auf die Wünsche einer Frau überhaupt nicht eingegangen. Paul war kein Indianer. Er sagte: »Ach, Atak, wir wollen uns nicht entscheiden. Lass uns abwarten, was morgen geschieht, ob Alexander Mackenzie uns wirklich zwei Kanus zu gutem Preis abkauft oder nicht. Und ich will auch nicht allein mit ihm in sein Lager auf der anderen Seite der Mündung hinüberfahren; du kannst mitkommen, um zu sehen, wie es bei einer richtigen Brigade der North-West Company zugeht. An unseren Gesprächen kannst du nicht teilnehmen; aber vielleicht haben einige der Mackenzieschen Voyageurs oder Indianer ihre Frauen mit. Die werden sich gern mit dir unterhalten.«

Atak schien die Worte ihres Mannes als ein Zeichen aufzufassen, das nächtliche Gespräch zu beenden. Sie erwiderte nichts weiter als: »Gewiss, wenn du es so willst, Paul.«

Sie erhob sich lautlos, entzündete einen kleinen Kienspan an der Herdglut, schloss die Tür des Blockhauses von innen, legte den schweren Holzbalken vor und trat mit ihrem Mann noch einmal an die Bettstatt der kleinen Nagamoun.

Das Kind schlief fest mit geballten Fäustchen. Das Köpfchen ruhte zur Seite geneigt auf einem mit feinem Gras gestopften Kissen. Das Kind hatte die Wolldecke, mit der es zugedeckt gewesen war, beiseitegeschoben, sodass das kräftige, in ein Nachtgewand aus rotem Flanell gekleidete Körperchen sich im rötlichen Flackerschein des Kienspans anmutig entspannt darbot. Die Wangen des Kindes waren von einem rosa Schimmer des Schlafs und Wohlbefindens überhaucht. Indianisch war das nicht, sondern ein Erbteil von seines Vaters Seite, genauso wie die dunkelbraunen zierlichen Locken, die sich um das Köpfchen wie eine zarte Wolke bauschten. Auch dies war nicht indianisch, denn indianische Kinder haben stets tiefschwarzes, glattes Haar. Der Vater beugte sich über die Bettstatt und deckte den kleinen Körper wieder mit dem Wolltuch zu. Als er sich aufrichtete, erfasste er, wie seltsam unbeteiligt und ernst, fast ablehnend die Mutter auf ihr Kind hinunterblickte. Paul empfand es wie einen feinen Stich. Er fragte: »Was hast du, Atak?«

»Was soll ich haben? Nichts!«

Sie wandte sich ab und deckte das eheliche Lager auf. Dann löschte sie den Kienspan. Die Eheleute entkleideten sich wie immer im Dunkeln.

Paul spürte keinen Widerstand, als er seine Frau in dieser Nacht in die Arme nahm. Nie hatte er einen Widerstand gespürt. Er liebte sie. Das war genug. Flammende Zärtlichkeit, das Verlangen, sich ihm hinzugeben, hatte er nie an seiner Atak gekannt. Er hatte deshalb auch nichts vermisst.

Am Vormittag des folgenden Tages bereiteten sich Paul Soldat und Mes Coh Thoutin sorgfältig auf den für den Nachmittag angesetzten Besuch Alexander Mackenzies vor. Sie bockten die zwei Kanus, die ihnen in den vergangenen Monaten am vollkommensten gelungen waren, auf hölzerne Ständer hoch, sodass sie von oben und unten betrachtet und genau untersucht werden konnten. Dabei halfen ihnen die beiden Indianer aus einer Kleinsiedlung von Cree-Leuten, die eine halbe Tagereise am Seeufer südwärts zu Hause waren. Diese beiden verheirateten Männer waren nicht regelmäßig bei Paul Soldat in der Kanuwerft tätig, wie ja Indianer überhaupt nur schwer zu regelmäßigen Arbeitszeiten zu bewegen sind. Wie es die Art der Eingeborenen war, vermochten auch diese Männer, wenn es ihnen Spaß machte, vom ersten Morgengrauen bis in die sinkende Nacht unermüdlich tätig zu sein, geradezu glühend vor Fleiß. Andererseits aber konnte ihre Stimmung von heute auf morgen umschlagen; was sie gestern noch begeistert hatte, langweilte sie, sie verschwanden, um fischen und jagen zu gehen, auf unbestimmte Zeit – oder auch um einfach nichts zu tun, den lieben Gott einen guten Mann sein zu lassen (das heißt in ihrem Falle Manitou, den »großen Geist«) und den Tag mit vollendetem Gleichmut zu vertrödeln.

An diesem Tag waren die beiden Männer wieder einmal erschienen, um sich einige Pennys zu verdienen, die dann, wenn sich genügend davon angesammelt hatte, gierig in Branntwein umgesetzt wurden. Paul Soldat hatte stets darauf zu achten gehabt, dass sie sich nicht auf der Werft betranken, sondern das Feuerwasser in ihr Dörfchen mitnahmen. Denn betrunkene Indianer, das hatte Paul oft genug erlebt, sind unberechenbar; die schönen Kanus aber, die er mit seinem Helfer und Freunde Mes Coh Thoutin herstellte, wobei die beiden Indianer Handlangerdienste leisteten, waren sehr verletzlich und durften nicht von blindlings umhertaumelnden und vielleicht zerstörungswütigen Männern gefährdet werden.

Gegen Mittag prangten die beiden zum Verkauf bereitgestellten Kanus auf ihren Postamenten am Strand des Sees und warteten auf ihren künftigen Herrn, Alexander Mackenzie. Werft und Strand waren von den beiden Indianern sauber gefegt worden, Späne und Rindenschnitzel waren zusammengekehrt und verbrannt, die wenigen einfachen Werkzeuge waren beiseitegeräumt. Die übrigen fertiggestellten Kanus lagen, auf die Bordkante gekippt, im Schatten des Waldrandes. Sollte der erwartete Käufer Lust bekommen, außer den zwei bestellten auch noch weitere Boote zu erwerben, so würde er nicht weit zu suchen brauchen. Auch konnte er gern die beiden Boote besichtigen, an denen noch gearbeitet wurde, wobei er sich davon überzeugen durfte, mit welch gewissenhafter Genauigkeit die Spanten zurechtgebogen und geschnitzt, die Rindenstücke eingepasst, die Säume zwischen den Rindenstücken vernäht und gepicht wurden, und wie aus einer Fülle von zähem und keineswegs leicht bearbeitbarem Material die wunderbaren Fahrzeuge der Wildnis – ausschließlich aus Baustoffen, die dort selbst zu finden waren – geschaffen wurden. Es war eine Lust, die schönen Boote mit dem hoch geschwungenen Bug und Heck anzuschauen. Der dahingegangene Walther Corssen hatte die indianischen Rindenkanus, in der Form, wie sie von dem großen Stamm der Cree gebaut wurden, für die besonderen Zwecke der Frachtfahrt des Pelzhandels noch widerstandsfähiger und brauchbarer werden lassen.

2

Man hatte sich auf je zwanzig Guineas für die drei Kanus geeinigt. Alexander Mackenzie hatte sie nach einigem Zögern Paul Soldat und seinem pockennarbigen Partner, Mes Co Thoutin, zugebilligt. Aber es war von Anfang an klar gewesen, dass Paul und Mes Coh Thoutin über den Preis nicht würden mit sich reden lassen. Der erst vor zehn Monaten im großen, tükischen Winnipeg-See ertrunkene Walther Corssen hatte seinen beiden jüngeren Gefährten mehr als einmal eingeschärft, dass so vorzügliche Nordwest-Kanus, wie sie sie da an der Mündung des Saskatchewan-Stroms in den großen See mit größter Sorgfalt und Überlegung erbauten, im ganzen fernen Westen des mächtigen Landes der unabsehbaren Wälder und Felsenwildnisse nicht aufzutreiben wären, und dass es also nur falsche Bescheidenheit bedeutete, weniger als die allerhöchsten Preise dafür zu fordern.

Alexander Mackenzie hatte zwei der erfahrensten Gouvernails aus seinem Lager an der Nordseite der Saskatchewan-Mündung mitgebracht und sich von ihnen mehrfach im Vertrauen bestätigen lassen, dass für so vorzügliche Boote, wie Paul Soldat und Mes Coh Thoutin sie vorführten, jeder Preis berechtigt wäre. Mackenzie hatte also schließlich nicht nur die zwanzig Guineas für jedes Boot akzeptiert, sondern noch ein Drittes übernommen. Er sagte: »Zwei von meinen alten Booten gebe ich gleich auf, Monsieur Soldat, und lasse sie hier zurück. Sie sind durch die viele Flickerei längst zu schwer geworden, und ich möchte nicht riskieren, unterwegs eine Ladung zu verlieren. Das dritte Boot, von dem Sie sagten, Walther Corssen habe es seinerzeit als ein ganz besonders robustes bezeichnet, das werde ich nächstes Jahr auf die weite Reise nach Nordwesten nehmen, die ich vorhabe. Wenn Sie sich entschließen könnten, Monsieur Soldat, sich mir für diese Reise ins Ungewisse anzuschließen, würde ich Sie zum Gouvernail dieses Bootes bestimmen.«

Paul Soldat hatte keine klare Antwort auf dies Angebot gegeben, aber er dachte, dem Mann muss viel daran liegen, mich mit auf die Fahrt zu nehmen, die er im nächsten Frühjahr vorhat. Seit gestern scheine ich ihm noch ein bisschen wertvoller geworden zu sein.

Der Handel wurde schließlich mit dem üblichen Handschlag besiegelt. Dann fragte Mackenzie: »Wollen Sie lieber eine Zahlungsanweisung aus Montréal, Monsieur Soldat, oder soll ich Ihnen den Kaufpreis in bar erlegen?«

Paul Soldat schob seine Kappe aus der Stirn, kratzte sich am Hinterkopf und meinte: »Wir gehören keiner Pelzhandelsgesellschaft an und verfügen nicht mehr über direkte Beziehungen nach Montréal. Also wäre es mir lieber, Sie gäben mir den Betrag in bar.«

»Gut, Monsieur Soldat, Sie kommen ja jetzt zu mir hinüber zum Abendessen. Meine Männer nehmen die drei neuen Boote gleich mit. Ich bin mit mehr als reichlicher Rudermannschaft angefahren. Drüben gehe ich dann an meine Reisekasse und zahle Sie aus, Monsieur Soldat.«[3]

Paul spürte im Geheimen ein Gefühl des Triumphes: Er hatte sich nach den Weisungen seines Meisters, Walther Corssen, gerichtet, zum ersten Mal ein so großes Geschäft auf eigene Faust abschließend. Ein voller Erfolg war ihm beschieden. Er schickte einen schnellen Blick zu seinem indianischen Gefährten mit dem von tiefen Narben entstellten Gesicht hinüber und nahm wahr, dass auch in den dunklen Augen Mes Coh Thoutins Genugtuung aufblitzte. Laut sagte er:

»Gut, Mister Mackenzie, vielen Dank! Fahren Sie nur voraus! Wir folgen Ihnen bald nach. Ich bringe meine indianische Frau Atak mit hinüber. Sie kann sich in Ihrem Lager umsehen, während wir essen. Vielleicht findet sie auch unter Ihren indianischen Leuten Bekannte oder Stammesgenossen.«

Mackenzie erwiderte: »Ganz nach Ihrem Belieben, Monsieur Soldat. Übrigens wird es Sie und Ihre Frau interessieren zu hören, dass gestern Abend noch zwei indianische Kanus in meinem Lager eingetroffen sind, Leute vom Athabasca, wie ich verstanden habe, die noch nach alter Weise ihre Pelze zur York-Factory an der Hudson Bay gebracht und sie dort bei der Hudson’s Bay Company gegen Gebrauchswaren eingetauscht haben. Sie sind jetzt auf dem Rückweg zum Athabasca. Wir Händler aus Montréal haben also der Hudson’s Bay Company nicht alle alten Kunden abspenstig machen können. Obgleich, weiß Gott, der Weg vom Athabasca zur Hudson Bay lang und schwierig ist.«

Paul Soldat und sein indianischer Gefährte achteten darauf, dass die verkauften Boote vorsichtig zu Wasser gebracht wurden. Mes Coh Thoutin holte auf Pauls Anweisung neun neue Paddel herbei, um sie den je drei Ruderern, welche die Boote zu Mackenzies Lager hinübertreiben würden, zu übergeben; sie stellten den »Rabatt« dar für den guten Preis, den Mackenzie, ohne viel zu feilschen, zugestanden hatte. Der Schotte, der schon in der Mitte seines Bootes auf dem mit einem Bärenfell gepolsterten Sitz Platz genommen hatte, bemerkte es, lächelte und dachte: Jeder von uns glaubt, ein besonders gutes Geschäft gemacht zu haben; vielleicht haben wir beide recht.

Paul Soldat jedoch war nicht bei der Sache. Die letzte Bemerkung Mackenzies hatte einen ganzen Schwall von Gedanken in ihm entfesselt. Indianer vom Athabasca also hatten die weite Reise zur Hudson Bay angetreten, um ihre Pelzausbeute gegen Waren des weißen Mannes und seinen Branntwein einzutauschen. Aber am mittleren Athabasca, dort, wo der Abfluss aus dem Lac la Biche, der Fluss gleichen Namens, in den Athabasca einmündet, saßen zwei Händler, die ihm sehr vertraut waren und von denen auch Mackenzie gehört haben musste, Justin und Anna Leblois, die Tochter und der Schwiegersohn des im großen Winnipeg-See verschollenen Walther Corssen. Justin und Anna »verstanden sich«, wie Paul Soldat wohl wusste, ganz ausgezeichnet auf Indianer, behandelten sie als ihresgleichen, rechneten mit ihnen bei allen Tauschgeschäften peinlich genau und ließen es doch niemals, wenn es darauf ankam, an Großzügigkeit und Hilfsbereitschaft mangeln. Sicherlich: Dort tauschten die Indianer vom mittleren und oberen Athabasca ihre Pelze gegen die ihnen längst unentbehrlich gewordenen Erzeugnisse des weißen Mannes ein, anstatt sich mit ihnen auf die weite, viele Monate dauernde Kanureise an die ferne Hudson Bay zu machen.

Als Paul Soldat sich bei Mackenzie für die nächste Stunde entschuldigt hatte, und der Schotte schon mit seinem alten und seinen drei neuen Booten über die weite Wasserfläche der Mündung des Saskatchewan zum anderen Ufer strebte, fiel dem sehr nachdenklich gewordenen Paul Soldat als einzige mögliche Lösung ein: Die Indianer, die gestern bei Mackenzie angekommen sind, müssen lügen; entweder stammen sie nicht vom Athabasca, oder sie kamen nicht von der York-Factory an der Hudson Bay. Oder: Sind Justin und Anna gar nicht mehr auf ihrem Posten – ist den beiden etwas passiert? Eine beängstigende Vorstellung!

Und Paul hörte sich plötzlich flüstern: »Anna, mein Gott, es darf ihr nichts passiert sein! Die beiden waren doch stets vorsichtig und besonnen und wussten, wie mit den Indianern umzugehen ist. Gebe Gott, dass ich mir nur etwas einbilde! Wenn wir jetzt hinüberfahren, werde ich Atak beauftragen, die Indianer bei Mackenzie auszufragen. Vielleicht findet sie eine Lösung des Rätsels.«

Die Anstandsregeln der Wildnis erforderten es, Mackenzie und seinen Leuten einige Zeit Vorsprung zu lassen. Der Schotte hatte in seinem Lager sicherlich eine Reihe von Anordnungen wegen der neuen Boote zu treffen und außerdem das gemeinsame Abendessen vorzubereiten, zu dem er Paul Soldat eingeladen hatte, diesen Mann des unabsehbaren Niemandslandes im Nordwesten des amerikanischen Kontinents, offenbar ohne Heimat und Nation, der sich aber nach seinem eigenen Bekenntnis in diesem Zustand sehr wohl und mit sich einig fühlte. Und der sich eine indianische Frau genommen hatte, Atak geheißen (was in der Cree-Sprache »Stern« bedeutet), eine Frau, die er durchaus als vollgültige Ehefrau anzusehen und entsprechend zu behandeln schien. Während Mackenzie in seinem Boot thronte und sich über die stille, weite Wasserfläche zu seinem Lager zurückrudern ließ, überdachte er dies alles; die vergangene Stunde hatte ihm nicht nur Geschäfte, sondern auch neue Begegnungen beschert. Indianerinnen sind ja manchmal sehr lecker, dachte Mackenzie weiter, aber so ernst wie dieser Paul Soldat seine Atak nimmt, sollte man solche Beziehungen nicht nehmen. Ein bisschen sonderbar, dieser Paul Soldat! Französisch ist er seiner Wesensart nach nicht, erst recht nicht englisch oder schottisch. Was ist er dann? Vielleicht ist was Deutsches zurückgeblieben. Da weiß man nie, was zu erwarten ist. Aber wahrscheinlich ist er vor allem eins: ein Produkt des Pays d’en Haut. Aber was soll’s! Mir kann’s gleich sein – seine Boote sind vorzüglich!

Als der Tag sich schon in den Abend neigte, hatten Paul Soldat, seine indianische Frau und sein Partner, Mes Coh Thoutin, das Boot bestiegen und waren den längst im Wasser vergangenen Spuren des Schotten zu seinem Lager gefolgt.

Paul Soldat hatte nur das Kleinste seiner Kanus gewählt, sein »Hauskanu«, ein für höchstens drei Ruderer bestimmtes Fahrzeug, kräftig, aber schlank und schnittig, dessen man sich nicht für weite Reisen, wohl aber für schnellen Verkehr in der Umgegend und am Ufer entlang bediente. Auch von einem einzigen Ruderer konnte das Fahrzeug schnell und sicher vorangetrieben werden.

Sie ruderten alle drei, Paul Soldat, Atak und Mes Coh Thoutin. Die Richtung einzuhalten, überließen die beiden Indianer dem Weißen im Heck des Bootes. Paul Soldat war zum »Maître« aufgestiegen, seit Walther Corssen in die Ewigen Jagdgründe fortgegangen war. Darüber hatte man nicht zu sprechen brauchen, es verstand sich von selbst.

Mes Coh Thoutins Frau, Losseh Thiegah (was »Schwarzhaar« bedeutet), war in dem kleinen Lager bei der Kanuwerft zurückgeblieben, um die Kinder zu warten, ihr eigenes Söhnchen Nekik, dazu Pauls und Ataks kleine Tochter Nagamoun. Nekik bedeutet »Otter« und Nagamonun »Gesang« – hübsche Namen für zwei hübsche Kinder, die sich gut miteinander vertrugen, und die von der freundlichen und sanftmütigen Losseh Thiegah leicht zu lenken waren. Dass sie hatte zurückbleiben müssen, um Haus, Kinder und Werft zu hüten, hatte nicht erörtert zu werden brauchen. In der indianischen Welt – und dies hier an der Mündung des großen Saskatchewan in den gewaltigen Winnipeg-See war indianische Welt – wurde die Rangfolge in jeder kleineren oder größeren Gruppe von Menschen stets sorgfältig eingehalten. Losseh Thiegah, die Frau des Indianers, stand unter Atak, der Frau des Weißen.

Die drei Menschen in dem kleinen Kanu, das seine silberne Bugwelle über die abendlich stille Wasserfläche pfeilte, wechselten kaum ein Wort miteinander; sie hingen ihren Gedanken nach. Paul dachte: Mackenzie wird endgültig von mir wissen wollen, ob ich bereit bin, ihn auf seiner Nordreise als Voyageur und Kanubauer zu begleiten. Zwar verlockt es mich sehr, auf so weite und gefährliche Fahrt zu gehen, aber auf gar keinen Fall kann ich mich ihm sofort anschließen. Ich muss erst mit Mes Coh Thoutin das halbfertige Kanu fertigstellen, und dann: Was soll aus Mes Coh Thoutin, den beiden Frauen und den Kindern werden, während ich abwesend bin? Doch damit ließe sich wahrscheinlich fertigwerden. Meine Leute sind mit dem Gedanken vertraut, dass Voyageurs lange abwesend bleiben. Sei ehrlich, Paul, etwas anderes beunruhigt dich viel mehr, die Frage nämlich, ob Justin und Anna am mittleren Athabasca etwas passiert ist. – Und wenn ich mich jetzt Mackenzie anschlösse, käme ich schneller als auf irgendeine andere Weise zum Athabasca und brächte in Erfahrung, was mit ihnen geschehen ist; aber vielleicht erfährt Atak von den Indianern, die bei Mackenzie einpassiert sind, warum sie ihre Pelze nicht an Justin und Anna verkauft haben. Ich darf keine vorschnellen Entschlüsse fassen. Ich muss Mackenzie hinhalten.

Mes Coh Thoutin überlegte nicht ganz ohne Bitterkeit: Erst seit einem Winter ist der alte Meister, Walther Corssen, tot, und schon fühlt sich Paul versucht, das gemeinsame Werk im Stich zu lassen und mit dem hochmütigen Schotten eine weite Reise anzutreten. Allein könnte ich die Werft mit den Frauen nicht betreiben. Zwei Männer mindestens müssen beim Kanubau Hand in Hand arbeiten. Paul könnte verlangen, dass ich mit auf die große Fahrt gehe, im nächsten Frühjahr nach Nordwesten. Aber das gäbe nichts Gutes; ich könnte es nicht ertragen, wegen meines narbigen Gesichts wiederum gehänselt zu werden; ich schlüge zu, und der Frieden wäre dahin. Nein, wenn Paul wirklich geht, dann löse ich die Werft auf und ziehe mit den beiden Frauen und den Kindern in die alte Heimat am Athabasca zurück. Dort wird sich schließlich auch Paul wieder einfinden, denn es zieht ihn zu Justin und Anna, zu Anna ganz besonders. Ich spüre es, ich bin nicht blind. Es gibt also noch keine Entscheidung. Ich muss abwarten.

Atak hockte vor den beiden Männern im Boot und zog ihr Paddel ebenso gleichmäßig und kräftig durchs Wasser wie die Männer hinter ihr. Sie wurde von einer ihr selbst nicht begreiflichen Unruhe gepeinigt. Leute vom Athabasca sind bei dem Schotten angekommen, auf weiter Rückreise von der Hudson Bay zum Strom meiner Heimat im Westen. Ich darf es nicht, aber ich werde sie doch fragen, wie es dem »Wolf« geht, Mayegan, dem Geliebten, den ich nicht vergessen kann. Vielleicht ist er selber unter den Leuten, die von der Hudson Bay gekommen sind. Denn Mayegan hat sicherlich niemals wieder mit den Leuten von Walther Corssen, zu denen Justin und Anna mehr als irgendwer sonst gehören, Handel getrieben. Mayegan kann mich nicht vergessen haben, obgleich ich auf Wunsch Walther Corssens, des großen Maître, und auf Befehl unseres Häuptlings, Aya wa Counah[4], dem Paul Soldat zur Frau gegeben wurde.

Die Kanus, die im Lager des Schotten eingetroffen sind – es könnten Mayegans Kanus sein; denn wer sonst von unseren Leuten sollte sich die Mühe machen, seine Pelze bis zur Hudson Bay zu frachten, wenn er sie an der Mündung des La Biche in den Athabasca loswerden kann. Mayegan, Mayegan – was tue ich, wenn er es ist?

Paul Soldat hatte das Ledersäckchen mit den Goldstücken, die ihm Alexander Mackenzie in seinem Zelt, gegen neugierige Augen abgeschirmt, aufgezählt hatte, im Innern seines Hosenbundes festgeknüpft. Es brauchte niemand zu wissen, dass das Geschäft zu einem guten Abschluss gekommen war. Ebenso hütete Mackenzie seine Reisekasse, die er in einer wasserdicht verschlossenen kleinen Kiste aus Eichenholz aufbewahrte. Sie ließ sich, in einen Leinwandsack gehüllt, auch im Kanu stets so verstauen, dass er sie im Auge behalten konnte, obwohl er wusste, dass keiner seiner Voyageurs sich je daran vergreifen würde. Sie mochten sich zwar umbringen, weil sie sich in ihrer Ehre gekränkt glaubten, konnten sich wild in die Haare geraten, wenn es um eine Indianerin ging oder um irgendeine Kraftmeierei, sie mochten sich betrinken und dann das verrückteste Unheil anrichten, aber Diebe gab es unter ihnen nicht. Immerhin war es besser, die Reise- und Kriegskasse so unauffällig zu halten, dass das eichene Kästchen sich gar nicht erst in die Träume der Männer drängte.

Dann hatten sich der Schotte und der Mann aus dem Pays d’en Haut vor dem Zelt an einem kleinen Tischchen niedergelassen, das sich, wie Paul gleich erkannte, zusammenklappen ließ: Ja, in der Tat, Alexander Mackenzie war ein großer Mann, der sich den ganz unerhörten Luxus eines im Kanu mitgeführten Zeltes und Tischchens leisten konnte. Der Voyageur, der Mackenzie als Leibdiener zugeteilt war (auch das ein Luxus, den die großen Leute der North-West Company von der Hudson’s Bay Company übernommen hatten), trug einen großen, am Tag zuvor gefangenen Hecht gebraten auf, eine höchst wohlschmeckende Speise, zu der als Zukost ein goldgelber Brei aus gekochtem Mais gereicht wurde. Auch hatte Mackenzie eine große Flasche Burgunder und zwei Zinnbecher auf den kleinen Tisch stellen lassen. Es war klar, dass er den Gast ehren wollte. Aber Paul Soldat sagte sich auch: Er will mich mit auf seine große Reise nehmen – oder will er noch etwas anderes?

Die Männer sprachen dem Fisch, dem Mais und auch dem Wein reichlich zu. Sie unterhielten sich locker über alles, worüber sich die Männer des fernen Westens stets unerschöpflich zu verbreiten wussten: über das Wetter, die Tauschpreise für Pelze, über Stromschnellen, Reiserouten und die Bravour der Voyageurs. Aber das war nur Vorgeplänkel. Die Sonne war schon untergegangen, als Mackenzie endlich zur Sache kam. Während er erneut den schwarzroten Wein in Pauls Zinnbecher rinnen ließ, fragte er wie beiläufig:

»Sie haben sich’s gewiss überlegt, Monsieur Soldat, in der Zwischenzeit, nicht wahr? Es wäre wirklich großartig, wenn Sie nächstes Frühjahr mit auf die große Reise kämen. Es muss doch irgendeinen Wasserweg geben, der uns zum anderen Ozean im Westen bringt. Wie viel mehr Geld ließe sich verdienen, wenn die Pelze an der Westküste in Seeschiffe verladen werden könnten, um sie von dort direkt nach China oder Europa zu verschiffen. Die kostspieligen Kanureisen aus dem fernen Westen nach Montréal ließen sich so enorm verkürzen.«

Mackenzie war, vom Wein beflügelt, vielleicht ein wenig zu deutlich geworden. Paul lachte: »Ich soll also sozusagen mithelfen, mein eigenes Geschäft, nämlich Nordwest-Kanus zu bauen und zu verkaufen, zu untergraben. Mister Mackenzie, ich habe mir die Sache in der Tat überlegt. Ich käme sehr gerne mit auf die große Reise, nicht so sehr wegen späterer guter Pelzgeschäfte, sondern weil es mich juckt, das Pays d’en Haut bis an seine äußerste Grenze zu erkunden. Aber dass ich mich Ihnen nun gleich, wenn Sie hier Ihre große Rast beendet haben, anschließen könnte, ist ganz unmöglich. Ich bin meinen Leuten verantwortlich, muss für sie sorgen; wir haben noch ein Kanu fertigzubauen und einige weitere zu verkaufen. Die werden sich sicherlich in den nächsten Wochen losschlagen lassen, denn bald werden weitere Brigaden westwärts hier vorbeikommen. Wenn ich alle meine Angelegenheiten geregelt habe, bliebe mir immer noch Zeit, Ihnen in einem schnellen Kanu nach Fort Chipewyan am Lake Athabasca nachzufahren. Ich könnte dann dort mit Ihnen überwintern und im nächsten Frühjahr die weite Reise antreten. Was sich dabei für mich verdienen ließe, darüber müssten wir uns noch einigen.«

Eigentlich hatte Paul Soldat eine viel weniger zustimmende Antwort geben wollen. Aber der Wein, der schöne Abend, das gute Essen und der so offensichtlich um ihn werbende stolze Schotte hatten ihn gegen seine Absicht dazu verführt, wesentlich mehr als nur ein halbes Einverständnis zuzugestehen. Mackenzie jedoch schien mehr erwartet zu haben. Er war wohl nicht gewöhnt, dass seinen Bitten oder Vorschlägen nicht sofort entsprochen wurde. Er entgegnete nach einer Weile mit deutlichem Missmut: »Über Ihr Entgelt, Monsieur Soldat, brauchen wir nicht zu sprechen. Darüber werden wir uns ohne Weiteres einigen. Aber gut, wenn Sie glauben, mich nicht sofort begleiten zu können, so folgen Sie mir in drei Wochen nach Fort Chipewyan. Ich darf wohl voraussetzen, dass Sie allein, ich meine ohne Anhang oder Begleiter, zu mir stoßen werden?«

»Gewiss, Mister Mackenzie, das versteht sich. Ich werde mich möglichst beeilen, um auf alle Fälle noch vor dem ersten Eis in Fort Chipewyan einzutreffen.«

Die beiden Männer schwiegen nach diesen Worten, beide nicht sehr zufrieden mit der Richtung, die das Gespräch genommen hatte. Paul dachte: Ich weiß schon jetzt nicht ganz genau, ob ich werde halten können, was ich da versprochen habe. Die große Reise lockt mich – aber ich müsste sie unter diesem Mann antreten, der den großen Herrn spielt. Und dann wäre ich in seinem Dienst. So bald schon nach Walther Corssens Tod soll ich sein Werk, die indianischen Gefährten und die Kinder im Stich lassen? Drei Wochen habe ich Bedenkzeit – da kann sich vieles ändern.

Alexander Mackenzie schien zu spüren, dass der kundige Mann, den er gern angeworben hätte, ihm wieder zu entgleiten drohte. Der war genau das, was er für die große Reise nötig hatte. Ein Mann, der in vielen Jahren der Erfahrung den Wildflüssen und Stromschnellen, gebrechlichen Kanus und oftmals unberechenbaren Launen der doch unentbehrlichen frankokanadischen Voyageurs gründlich auf die Spur gekommen war, ein Schüler Walther Corssens, der seit Jahrzehnten als Großmeister des Pays d’en Haut gegolten hatte. Mackenzie spürte, dass sein Gast sich überrumpelt fühlte; er musste ihm den Wert seines Angebots vor Augen führen. Er sagte: »Monsieur Soldat – wir sollten uns doch am besten gleich über ein Handgeld einigen, das ich Ihnen noch heute zahlen würde, ein beträchtliches Handgeld, damit Sie begreifen, wie wichtig es mir ist, Sie als Partner zu gewinnen.«

Mackenzie hatte den Gast einige Minuten zu lange seinen Gedanken überlassen. Er erkannte dies, als Paul Soldat abwehrte: »Nein, Mister Mackenzie, das wäre voreilig und mir nur eine Last und Fessel. Ich vertraue Ihnen aufs Wort und Sie mir hoffentlich auch, dass ich alles tun werde, um die Verabredung einzuhalten.«

Es war nicht mehr viel zu sagen nach diesen Worten. Aber Mackenzie versuchte es doch noch einmal: »Ich werde einen oder zwei Tage hierbleiben, Monsieur Soldat. Die Kanus müssen umgepackt, die Lasten neu verteilt werden, ich muss auch die Rudermannschaften neu einteilen. Das kostet gewöhnlich Zeit, wie Sie sicherlich wissen, und wird einigen Ärger geben. Sollten Sie sich also bis übermorgen oder dem Tag danach doch noch entschließen, Handgeld von mir zu nehmen, so stehe ich Ihnen zur Verfügung.«

Deutlicher konnte der Schotte nicht bekunden, wie viel ihm an einer eindeutigen Zusage gelegen war. Paul bedankte sich.

Inzwischen war die Dunkelheit eingefallen. Mackenzie begleitete seinen Gast zum Strand hinunter. Das elegante, kleine Kanu, mit dem Paul Soldat vom Südufer herübergekommen war, lag zwar noch im Sand, wo es von seinen drei Insassen aus dem Wasser gehoben worden war. Wo aber waren Pauls Gefährten geblieben? Sie hätten eigentlich beim Boot auf ihren Maître warten müssen. Aber Paul Soldat war für sie kein richtiger »Meister«, wie etwa Alexander Mackenzie für seine Voyageurs. Paul ärgerte sich. Die beiden hätten ihn nicht vor Mackenzie bloßzustellen brauchen. Paul ließ zweimal hintereinander den Ruf des Regenpfeifers ertönen, ein Zeichen, auf das sich die Leute der Kanu-Werft Walther Corssens von Anfang an geeinigt hatten, um sich von Weitem zu erkennen oder anzurufen. In der Wildnis war dergleichen notwendig.

In der Ferne tanzten die Voyageurs Mackenzies die Ronde um ein großes Feuer. Ihr Gesang drang halb verweht herüber. Paul Soldat und Alexander Mackenzie hatten es bis dahin kaum zur Kenntnis genommen. Die Männer hatten tagsüber nicht ihre sechzehn Stunden zu paddeln brauchen, der morgige Tag würde auch noch ein Rasttag sein und ihnen außer den Lagerarbeiten nicht allzu viel abverlangen. Also hatte man Zeit und Muße, sich die halbe Nacht um die Ohren zu schlagen, ums Feuer zu tanzen, die alten lustigen Gesänge anzustimmen und sich wieder einmal darüber klar zu werden, dass sich nichts mit dem freien, vergnügten Leben der Voyageurs vergleichen ließe, so gefahrvoll und hart es auch manchmal sein mochte.

Eine schattenhafte Gestalt erschien aus der Richtung des fernen Feuers: Mes Coh Thoutin.

»Sie hatten mich eingeladen, mitzuhalten, Paul. Sie haben unsere Kanus bewundert und meinten, wenn du schon mit ihrem Maître beschäftigt wärest, so müsste ich wenigstens in der Ronde mithalten. Fahren wir jetzt, Paul?«

»Ja, wir wollen fahren, Thoutin. Wo ist Atak?«