Der Misanthrop - Jean-Baptiste Molière - E-Book

Der Misanthrop E-Book

Jean Baptiste Molière

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Beschreibung

Der Misanthrop – eine Komödie in fünf Akten des französischen Dichters Molière. Der Idealist und Menschenfeind Alceste erhebt für sich den Anspruch, ohne Heuchelei zu leben. Obwohl er adeliger Abstammung ist, zelebriert er seine Unabhängigkeit gegenüber dem königlichen Hof und weigert sich, in seinem Reden und Verhalten Kompromisse mit der Wahrhaftigkeit zu machen. Auf seinen Freund Philinte, der ihn zur Mäßigung und einer gewissen Anpassung auffordert, will Alceste nicht hören. So zieht er sich auch gleich die Feindschaft des ihn besuchenden Höflings und Verseschmieds Oronte zu, weil er dessen schlechtes Gedicht nicht lobt, sondern verreißt. Er pflegt eine Beziehung zu Célimène, einer jungen Witwe, die seine Neigung nicht unerwidert lässt, im Gegensatz zu ihm jedoch die Geselligkeit in ihrer adeligen Umgebung genießt und es liebt, mit vielen Männern zu kokettieren.

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LUNATA

Der Misanthrop

Komödie in fünf Akten

Molière

Der Misanthrop

© 1666 Molière

Originaltitel Le Misanthrope ou l’Atrabilaire amoureux

Aus dem Französischen von Ludwig Fulda

© Lunata Berlin 2020

Inhalt

Personen

Erster Akt

Zweiter Akt

Dritter Akt

Vierter Akt

Fünfter Akt

Personen

Alcest

Philint, sein Freund

Oront

Celimene

Eliante, ihre Cousine

Aisinoë, ihre Freundin

Acast, Marquis

Clitander

Basque, Diener Celimenens

Ein Bote des Marschallamtes

Dubois, Diener Alcests

Schauplatz: Paris, in Celimenes Haus

Erster Akt

Erster Auftritt

Philint. Alcest  

Philint. Was ist?

Was gibt es?

Alcest. Lassen Sie mir Ruh'!

Philint. Nein wahrlich – welche sonderbare Grille ...?

Alcest. Sie sollen gehn – sogleich; das ist mein Wille.

Philint. Eh' man sich ärgert, hört man doch erst zu.

Alcest. Ich will mich ärgern, und ich will nichts hören.

Philint. Wo soll nur dieser wilde Zorn hinaus?

Die beste Freundschaft muß es stören,

Wenn ...

Alcest(steht schnell auf).

Ich Ihr Freund? Nein, streichen Sie mich aus!

Das Band, das uns gefesselt, ging in Stücke;

Nachdem sich heut verraten hat Ihr Sinn,

Erklär' ich, daß ich nicht Ihr Freund mehr bin

Und nichts gemein will haben mit der Tücke.

Philint.  Was ist's denn, was Sie mir so übel nehmen?

Alcest. Fürwahr, zu Tode sollten Sie sich schämen.

Ein solches Tun verdient das schärfste Wort,

Muß jeden Ehrlichen in Harnisch bringen!

Ich sehe, wie Sie jenen Menschen dort

Mit Artigkeit und Süßigkeit umringen;

Sie häufen auf dies feurige Betragen

Beteuerungen, Anerbieten, Schwüre

Und können mir, nachdem er aus der Türe,

Nicht einmal seinen Namen sagen.

Verschwunden ist das herzliche Gefühl;

Sie reden über ihn gleichgültig kühl.

Potz Wetter, das ist elend, feig, gemein,

Die eigne Seele so mit Schmutz zu mengen,

Und sollte mir das widerfahren sein,

Ich eilte, mich vor Ekel aufzuhängen,

Philint. Je nun, mir scheint der Fall nicht hängenswert;

Ich bitte Sie recht freundlich um die Liebe,

Daß mir für diesmal Gnade widerfährt,

Und daß ich's mit dem Hängen noch verschiebe.

Alcest. Wie schlecht doch dies Gewitzel Ihnen steht!

Philint. Im Ernst – ich weiß nicht, was Sie wollen.

Alcest. Die Wahrheit will ich; dem Charaktervollen

Entschlüpft kein Wort, das nicht von Herzen geht.

Philint. Wenn jemand uns mit Freundesgruß begegnet,

Dann mein' ich, daß man sich erkenntlich zeigt,

Zu seiner Liebenswürdigkeit nicht schweigt

Und ihn für seinen Segen wieder segnet.

Alcest. Unleidlich ist mir dieser feige Schacher,

Den ihr zum guten Ton gehören laßt!

Nichts ist mir so im Innersten verhaßt

wie diese kunstgerechten Phrasenmacher,

Die Schmeichler, stets zum Liebesgruß bereit,

Die uns mit leerem Redeschwall bedecken,

Die mit derselben süßen Höflichkeit

Den ernsten Mann behandeln wie den Gecken.

Was frommt es noch, wenn jemand hoch und hehr

Uns Treue schwört, Hingebung, Freundesglut,

Mit Lob uns überschüttet und nachher

Dem ersten besten Tropf ein Gleiches tut?

Wer noch gesund empfinden kann,

dankt für solche feilgebot’nen Ehren,

Und wenn sie noch so überschwänglich wären,

Der teilt nicht gern mit jedermann.

Auf ein Verdienst muß sich Verehrung gründen:

er jeden achtet, achtet keinen;

Und weil auch Sie der Knecht sind dieser Sünden,

Drum sind wir fertig – ein für allemal.

Mir widerstrebt's, mich Leuten zu vereinen,

Die sich verschenken ohne Wahl.

Ich fordere, daß man mich höher stellt;

Der Allerweltsfreund kann mir nicht genügen.

Philint. Wir leben doch nun einmal in der Welt,

Und ihren Sitten müssen wir uns fügen.

Alcest. Brandmarken, sag' ich, muß man ohn' Erbarmen

Dies falsche Händedrücken und Umarmen.

Ein Mann sei männlich, und in jedem Fall

Soll er in seinem Wort sein Denken spiegeln;

Nie soll des Herzens echter Widerhall

Mit leeren Floskeln sich verriegeln.

Philint. Doch was die Offenheit zum Lohn erhält,

ist meistenteils Verfolgung und Gelächter,

Und manches Mal, Herr Weltverächter,

Verlangt die Klugheit, daß man sich verstellt.

Ist's schicklich, ist es wohlerzogen,

Wenn man zu jedermann die Wahrheit spricht?

Und wenn ich einem Menschen nicht gewogen,

Soll ich es ihm bekennen ins Gesicht?

Alcest. Ja!

Philint. Würden Sie der alten Schönheit sagen,

Daß es in ihren Jahren nur empört,

Wenn Frau'n sich schminken und kokett betragen?

Alcest. Gewiß!

Philint. Dem Dorilas, wie sehr es jeden stört,

Wenn er bei Hof mit prahlender Betonung

Von seinen Taten, seinen Ahnen spricht?

Alcest. Jawohl!

Philint. Sie scherzen.

Alcest. Nein, ich scherze nicht

Und kenn' in diesem Punkte keine Schonung.

Was Hof und Stadt mir vor die Augen brachte,

Reizt mir die Galle, raubt mir meinen Schlummer,

Und Schwermut überfällt mich, tiefer Kummer,

Wenn ich das Treiben dieser Welt betrachte.

Ich sehe, wie ich meinen Blick auch schärfe,

Nur Unrecht, Selbstsucht, Lüge, falschen Sinn;

Mir wird's zu viel; es macht mich toll; ich werfe

Dem ganzen Menschenvolk den Handschuh hin.

Philint. Das ist ja lächerlich: Sie nehmen's allzu schwer

Mit ihrem philosoph'schen Herzeleide! –

Paßt nicht vortrefflich auf uns beide

Die »Ehemännerschule« von Molière,

Wo auch zwei Brüder...

Alcest. Törichter Vergleich!

Philint. Nein, wirklich, sparen Sie die Zorngebärden.

Die Welt wird deshalb doch nicht anders werden,

Und weil der Freimut gar so tugendreich,

Drum sag' ich Ihnen frei heraus:

Dies all ist krankhaft, und man lacht Sie aus.

Ja, solch ein unbarmherz'ger Menschenfresser

Macht sich zum Narren überall.

Alcest. Potz Wetter – um so besser, um so besser!

Das freut mich äußerst, das ist grad mein Fall.

Gält' ich dem Volk für einen weisen Mann,

Das würde mich verzweifeln lassen.

Philint. So bitter klagen Sie die Menschheit an!

Alcest. Ich lernte sie aus tiefster Seele hassen.

Philint. Hat denn Ihr Grimm die armen Erdenseelen

In Bausch und Bogen ausnahmslos verdammt?

Ich denke doch, daß Männer uns nicht fehlen...

Alcest. Die Menschen hass ich, alle – insgesamt:

Die einen, weil sie falsch und ränkevoll,

Die andern, weil sie Falschheit höflich dulden,

Statt sie zu geißeln mit dem tapfern Groll,

Den sie der Tugend und sich selber schulden.

Hilft dies Vertuscheln nicht sogar zum Siege

Dem Schuft, mit dem ich im Prozesse liege?

Man kennt die Maske, die er umgehangen,

Man kennt ihn als den schändlichsten Kujon;

Sein Augenspiel, sein zuckersüßer Ton

Vermögen nur noch Bauern einzufangen.

Man weiß, daß nur durch Bubenstücke

Der Leisetreter es so weit gebracht,

Weiß, daß der Glanz von seinem Glücke

Verdienst entrüstet, Tugend schamrot macht.

Trotz allen Titeln, die er sich erworben,

Gibt's niemand, der für seine Ehre ficht;

Nennt man ihn ruchlos, diebisch und verdorben,

Stimmt jeder ein und keiner widerspricht.

Und doch ist seine Fratze stets willkommen,

Ist er in allen Häusern aufgenommen,

Und wo ein Amt zum Wettbewerb gestellt,

Schlägt er die besten aus dem Feld.

Zum Henker auch, ich kann's nicht überstehn,

Wie sie mit Schonung die Verruchtheit züchten,

Und manchmal möcht' ich in die Wüste flüchten,

Um keines Menschen Antlitz mehr zu sehn.

Philint. Ich bitte, zürnen wir etwas geringer

Auf die Gesellschaft unsrer Zeit;

Gehn wir in unsrer Strenge nicht zu weit

Und sehen wir ein wenig durch die Finger.

Die Welt verlangt zwar Tugend, doch mit Maß,

Und auch die Weisheit läßt sich übertreiben;

Vernunft, die ihrer Grenzen nicht vergaß,

Wird hübsch auf festem Boden bleiben.

Die starre Tugend der antiken Sitten

Ist heute nicht mehr wohlgelitten;

Sie fordert von den Menschen allzu viel.

Die eigne Zeit soll man nicht trotzig meistern,

Und Weltverbesserung, das ist ein Ziel,

Für das nur Toren sich begeistern.

So gut wie Sie begegn' ich hundert Dingen

Auf Schritt und Tritt und Tag für Tag,

Die anders sind, als man sie wünschen mag;

Ich aber weiß mich zu bezwingen.

Die Menschen nehm' ich, wie sie einmal sind,

Und was sie tun, ich trag's gelind

Und glaube, daß bei Hof und in der Stadt

Mein Phlegma klüger ist als Ihre Wut.

Alcest. Dies Phlegma, das so gute Gründe hat,

Dies Phlegma, kommt es denn durch nichts in Glut?

Und wenn die Freunde sich als Lügner zeigen,

Wenn man mit seinen Kniffen Sie bestiehlt,

Wenn Lästersucht nach Ihrem Haupte zielt,

Wie – werden Sie auch dann gelassen schweigen?

Philint. Was Ihren Zorn erregt, das sind die Schwächen

Der ganzen menschlichen Natur;

Erblick' ich Unrecht, Niedertracht, Verbrechen,

Ist mein Gefühl dasselbe nur,

Als säh' ich Geier, die den Raub erraffen,

Blutdürst'ge Wölfe, hinterlist'ge Affen.

Alcest. Man darf mich kränken, schinden und berauben,

Und ich soll nicht ... Potz Wetter, nun genug!

Das sind ja Dinge, die Sie selbst nicht glauben.

Philint. Wahrhaftig, wenn Sie schweigen, ist es klug.

Sie tun den Gegner laut in Acht und Bann,

Statt den Prozeß zu fördern nach Gebühren.

Alcest. Mein Wort, ich denke nicht daran!

Philint.