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Eine Zeit, voller Gewalt und Angst. Ein Junge, aufgewachsen in der trügerischen Sicherheit seiner Familie. Eine Geschichte über seine einsame Flucht, nach seiner Vertreibung. Eine Aufnahme in den Schoß einer neuen Familie und sein Werdegang, zu einem geachteten Mitglied der Gesellschaft.
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Seitenzahl: 471
Der Schmied aus Intal
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Dieser Roman beruht auf keinen wirklichen Geschehnissen, ist kein Spiegel seiner Gesellschaft. Weder die Zeit noch die geschichtlichen Hintergründe haben einen Zusammenhang. Die Geschichte ist eine reine Fiktion, zusammengewürfelt aus meiner Fantasie.
Ich weiß nicht, wann ich geboren wurde, ich weiß nicht, wie der Landstrich hieß, auf dem das Haus meiner Eltern stand. Ich weiß nur, dass es eine ganze Weile her ist. Rückblickend eine Zeit, von der ich kaum Erinnerungen habe.
Es muss in einem Frühling im Jahre des Herrn 1666 gewesen sein. Das hat man mir später erzählt, es kann auch früher gewesen sein. Zumindest kam das Datum gut hin.
Ein neues Jahr war angebrochen, was in den Augen der einfachen Landbevölkerung keinerlei Bedeutung hatte. Sie bekamen es nicht mit, einmal davon abgesehen, dass der Winter vorbei war, und spielte in ihrem anspruchslosen Leben auch keine Rolle. Die Menschen in den Städten, die jeden Sonntag zur Kirche gingen, wurden von den geistlichen darüber aufgeklärt. Diese nutzte das Datum zu ihrem Vorteil. Sie sahen wie alles mit dunklen Aussichten, riefen das neue Jahr als das Jahr des Weltuntergangs aus. Zu viel Leid war über die Menschen hereingebrochen. Eine Aussage, die genaugenommen zu oft getätigt worden war, dass es nur noch die Leichtgläubigen beeindruckte. Jeder Ältere unter den Kirchgängern hatte nach diesen Aussagen, mehrere Weltuntergänge überlebt. Mehrmals in den letzten Jahren war die Drohung über das bevorstehende Übel von der Kanzel gepredigt worden.
All dies bekam ich nicht mit. Wie gesagt, ich wurde auf dem Lande geboren und war das vierte männliche Kind von insgesamt acht Geschwistern. Anders gesagt hatte ich zwei ältere Brüder, einen Jüngeren und vier Schwestern. Zumindest war es so, als ich geboren wurde und hier sind nur die gezählt, die eine Zeit lang überlebten. Die Überlebensrate der Kinder war nicht hoch und es war üblich den Kindern erst an ihrem ersten Geburtstag einen Namen zu geben.
Ich an meinem ersten Geburtstag, zumindest um die Zeit, auf den Namen Martin getauft. Den genauen Tag konnte keiner sagen, selbst das Jahr ist nicht bestimmt. Frühling. Eine Zeit, die genau genommen gut für die Geburt eines Kindes war. Die Frau war in der Zeit der meisten Arbeit, einsatzfähig.
Mein Geburtshaus, ein Bauernhof, lag im Nirgendwo, zumindest kam es einem so vor. Nie verirrte sich jemand anderes in unsere Gegend, daher kam es mir vor, als wenn es nur die Menschen gab, die den Hof bewirtschafteten.
Dies waren neben Vater, Mutter und uns Kindern, zwei Knechte und zwei Mägde. Eine Gemeinschaft, die sich zusammengefunden hatte, um zu überleben, um nichts anders ging es in diesen schlechten Zeiten. Seit Jahren hatte sich das Wetter zum negativen verändert. Es war kälter und feuchter geworden und jedes Jahr mussten wir um die Ernte fürchten. Gerade die Winter wurden länger, man säte spät, um früher zu ernten. Kam der nächste Winter zu früh, bedrohte es die Lebensgrundlage.
Von all dem bekam ich die ersten Jahre meines Lebens nicht viel mit. Uns als Bauern ging es relativ gut, wir als Selbstversorger hatten als Erstes Zugriff auf die Ernte. In den Städten sah es anders aus. War die Ernte schlecht, hungerten zuerst die Städter.
Wir Kinder wurden uns in den ersten Jahren selbst überlassen, wir erwirtschafteten nichts und standen in der Hierarchie an unterster Stelle. Wer nicht arbeitete, bekam, was übrig blieb.
An oberster Stelle stand mein Vater, der sich um uns Kinder nicht kümmerte. Wir waren, solange wir klein waren, Ballast in seinen Augen, von daher widmete er sich uns nicht. Er blieb für mich ein Fremder und ich kann heute kaum sagen, wie er aussah. Er war selten da, kümmerte sich um alles, was anfiel, ob es um die Bestellung der Felder ging oder um die Viehwirtschaft. War im Winter nichts auf den Feldern zu tun, kümmerte er sich um alles, was im Winter kaputt gegangen war oder ersetzt werden musste. Es war die Zeit, in der er mit einem Fuhrwerk öfter für ein paar Tage wegfuhr, um Geschäfte zu tätigen. Was wir nicht verbrauchten, wurde zu Geld gemacht, was er fast alles ausgeben musste.
Einige Dinge des Lebens konnten wir nicht herstellen und musste erworben werden. Trotzdem blieb was von dem Geld übrig und wurde versteckt. Vater achtete darauf, dass außer ihm niemand wusste, wo es blieb und selbst meine Mutter kannte das Versteck nicht.
Mutter war eine ebenso beschäftige Frau und war immer schwanger.
Nicht jedes meiner Geschwister überlebte das erste Jahr. Besonders als Mutter älter wurde, häuften sich die Fehlgeburten und hinter unserem Haus standen später mehrere kleine Holzkreuze, zwischen denen unserer Vorfahren.
Nun hätte man meinen können, dass Mutter an zweiter Stelle der Hierarchie stand, doch das war nicht so. Diesen Platz nahmen unsere Knechte ein. Zwei grobschlächtige Kerle im besten Alter, die über den Erhalt von Kost und Logis etwas Geld dazubekamen.
Mutter kam an dritter Stelle, danach unsere Mägde, die sich um alles weiter im Haushalt kümmerten. Sie waren für das Federvieh in den Ställen verantwortlich und arbeiteten im Haus. Vater und die Knechte waren draußen, vom frühen Frühling bis späten Herbst auf den Feldern. Im Winter im Wald. Sie rodeten einen Teil des Waldes, um mehr Fläche für den Ackerbau zu gewinnen. Nebenbei fiel Brennholz an.
Erst nach den Mägden kamen wir Kinder dem Alter nach. In dieser Reihenfolge jedoch umgekehrt, wären wir verhungert. Das war kein Gesetz, sondern eine Überlebensstrategie.
Das Leben an sich war einfach. Wie gesagt, wir Kinder waren uns regelrecht selbst überlassen, bis wir in ein Alter kamen, in dem wir anfingen mitzuarbeiten. Wir Jungen lernten, soweit es unser Alter zuließ, vom Vater, die Töchter von der Mutter. Eine Ausbildung bekam ich nicht. Es war vorbestimmt, dass der älteste Sohn den Hof erbte. Er bekam von Vater mehr beigebracht. Dieser war es, der später mit Vater in den weit entfernten Ort fuhr, um alles über Geschäfte zu lernen. Die anderen Kinder wurden nicht mitgenommen. Für uns gab es den Hof und nichts als den Hof. Ab einem bestimmten Alter wurde mit dem Sonnenaufgang aufgestanden, mit dem Untergang machte man sich für die Nacht fertig. Kerzen waren viel zu teuer und somit beendete die Dunkelheit alle Tätigkeiten von Vater, Mutter, den Knechten und Mägden.
Im Winter war ehedem nicht viel zu tun. Mutter und die Mägde saßen hauptsächlich in der riesigen Küche und saßen an den Spinnrädern oder dem Webstuhl. Das Klappern und Surren der Spindeln und des Webstuhls kann ich heute noch in meinen Ohren hören. Sie saßen gerne hier, es war der einzige warme Ort im Haus. Der Ofen lief die ganze Zeit, um zu backen oder kochen. Diese Wärme strahlte in den Raum ab. Wenn wir Kinder klein waren, spielten wir hier mit allem, was es gab.
Es gab nicht viel. Das wenige Spielzeug, das wir hatten, bildete schon jetzt ab, was aus uns werden sollte. Dieses Spielzeug war nicht gekauft, dafür gab es kein Geld und ich weiß nicht, ob man es kaufen konnte. Das, was wir hatten, war von Veit, einem der Knechte geschnitzt worden. Wenn draußen nicht gearbeitet werden konnte, zum Beispiel ein Schneesturm über das Haus fegte und es nichts anderes zu tun gab, setzte sich Veit zu uns Kindern in die Küche und begann für uns zu schnitzen. Wir Jungen bekamen ein Tier geschenkt. Entweder eine Kuh, ein Pferd oder was, was ähnlich aussah. Für die Mädchen schnitzte er Puppenköpfe, aus denen meine Schwestern, mithilfe von Stoffresten oder anderem, ganze Puppen machten.
Veit war ein Baum von einem Mann, ruhig und zu uns Kindern freundlich. Im Gegensatz zu Mathes, dem zweiten Knecht. Er war ein Hitzkopf, mit nichts zufrieden und konnte mit uns Kindern nichts anfangen. Aber das musste er auch nicht. Er kam nur ins Haupthaus, wenn der Lohn ausgezahlt wurde. Sonst verbrachte er seine freie Zeit in der Baracke für die Knechte. Wir Kinder mochten ihn nicht, das beruhte auf Gegenseitigkeit.
Die Jahre vergingen und ich wuchs langsam heran. Mein Pech war, dass mein Körper nicht wollte, wie er sollte. Er blieb schwächlich, während meine Brüder zu Kerlen heranwuchsen, die das waren, was Vater brauchte. Selbst mein jüngerer Bruder, der zwei Jahre nach mir geboren war, überholte mich in Kraft und Größe.
Meinen Brüdern blieb dies nicht verborgen und sie begannen mich, zu hänseln.
„Schaut euch den an, der arbeitete wie ein Mädchen und sieht genauso aus!“, riefen sie mir zu. Ging ich mit ihnen in den Wald Bäume fällen, waren sie es, die die dicksten Bäume aussuchten und in wenigen Stunden umhauten. Ich bekam ein Beil in die Hand gedrückt, um die Äste und Borke von den Stämmen zu entfernen.
Meine Brüder lachten und neckten mich, wo es ging. Oft stellten sie mir ein Bein oder mir fiel zufällig was auf den Kopf. Selbst beim Essen machten sie nicht halt. Wir bekamen entsprechende Rationen mit, damit wir nicht zurücklaufen mussten, und wurde vom Ältesten verteilt. Ich bekam den geringsten Anteil ab, wenn überhaupt. Es kam vor, dass einer von ihnen es mir wegnahm und mit einem Grinsen verschlang.
„Der braucht nichts, hat nicht viel gearbeitet und sein schwächlicher Körper benötigt nichts zu essen. Das sieht man doch!“
Anfänglich hatte ich versucht, mich zu verteidigen, das endete mit blauen Augen und gleichfarbigen Flecken am ganzen Körper. Sehr schmerzhaft und ich schwor mir zu dieser Zeit, dass ich nur so lange bleiben würde, bis ich alt genug wäre, den Hof hinter mich zu lassen. Bis dahin war es ein langer Weg, dachte ich zumindest.
Ob es an dem wenigen Essen lag oder an meinem Körper, kann ich nicht sagen, ich blieb schmächtig, soll heißen, dünn und schwach. Sahen meine älteren Brüder mit sechzehn Jahren wie Männer aus, hatte ich im gleichen Alter nichts davon. Zwei Jahre später hatte sich nicht viel verändert. Selbst mein Bartwuchs war kümmerlich. Ein kaum wahrzunehmender Flaum wuchs an meinem Kinn.
Diese Jahre wurden eine wirkliche Tortur für mich. Wäre zu der Zeit nicht Veit da gewesen, ich weiß nicht, ob ich es überlebt hätte. Aus irgendeinem Grund war er es, der mich vor zu großem Schaden bewahrte. Mutter konnte und wollte nichts gegen die Drangsal meiner Brüder tun. Wenn Vater es bemerkte, war es ihm egal. Der Stärkste sollte überleben und ich würde nicht derjenige sein.
Veit war, als erster Knecht auf dem Hof, für meine Brüder nicht zu überwinden. Sein Wort war für sie Gesetz und wurde nur durch das Wort meines Vaters gebrochen.
Ich weiß nicht, ob es Mitleid gegenüber mir gewesen war, oder Veit sah in mir anderes, als in meinen Brüdern. Er nahm mich unter seine Fittiche, konnte aber nicht immer auf mich aufpassen. Er brachte mir alles bei, was ich wissen musste und ich hatte den Eindruck, dass er mehr wusste als Vater. Bevor Vater mit meinem ältesten Bruder in den Ort fuhr, um Geschäfte zu tätigen, war Veit mitgefahren. Er war es, der zu der Zeit Vater beibrachte, wie man handelte, wie man sich und seine Ware auf dem Markt verkaufte. Veit konnte rechnen und schreiben, was die wenigsten beherrschten.
So kam es, dass er mich mitnahm, wenn er die Felder bestellte oder andere Tätigkeiten verrichtete. Diese Zeit war die glücklichste in meinem bisherigen Leben, an die ich mich erinnern kann. In den Pausen, die wir machten, brachte er mir das Rechnen und Schreiben bei, wobei mir das Rechnen besser gefiel.
„Junge, wenn du mit den Händen nicht arbeiten kannst, dann musst du es mit dem Kopf tun!“, meinte er, lächelte mich dabei an.
Es brachte mir in diesen Zeiten wenig, in meiner Situation galt die Faust mehr als die Feder. Aber Veit meinte, dass es nicht schaden könnte, es würde mir irgendwann helfen.
Heute weiß ich, dass ich Veit viel zu verdanken habe. Leider konnte ich ihm niemals danken.
Es kam der Tag, der alles veränderte. Er fing ganz normal an.
Es war im frühen Herbst des Jahres 1684. Die Ernte war schlechter gewesen, als die Jahre zuvor. Das Wetter hatte uns in Stich gelassen. Zuerst wollte der Winter nicht enden, selbst im späten April, fror es und ein leichter Schneefall blieb liegen. Die vorbereitete Aussaat konnte nicht erfolgen und so kam sie erst Mitte Mai unter die Erde. Diese verfaulte, nach der Kälte, kam der Regen. Das Wasser stand auf den Feldern und konnte nicht in dem gesättigten Boden versickern.
Die Feldfrüchte die es schafften zu keimen und wachsen, blieben unter der erwarteten Größe und wurden zu langsam reif. Die Erträge waren entsprechend gering, kaum größer als das Saatgut, was man mühevoll unter die Erde gebracht hatte.
Hunger war vorprogrammiert und das sogar bei uns. Im späten Herbst war unser Vorratsspeicher nicht halb gefüllt, bedeutete also die Hälfte der Menge, die wir für uns benötigten. Doch in unserer Not ging es uns noch gut. Menschen ohne ein Stückchen Land, hatte es weitaus schlechter getroffen. Die Preise auf den Märkten explodierten. Eigentlich hatte keiner mehr was abzugeben und das, was es gab, war von schlechter Qualität.
Der Hunger hielt Einzug, gefolgt von Krankheiten, die sich über die geschwächten Körper der Menschen hermachten.
In dieser Zeit war sich jeder der Nächste. Menschen wurden für einen Leib Brot getötet, wer essen konnte, der überlebte.
Was sollten die Menschen tun. Einige schlossen sich zu Banden zusammen, waren bereit alles zu tun, um ihr Schicksal selber in die Hand zu nehmen. Andere schlossen sich den Heeren an, die in den Krieg zogen. Sie verdingten sich als Söldner, lebten von dem, was sie erbeuteten. Gab es kein Scharmützel, an dem sie sich beteiligen konnten, fielen diese Gruppen über das Land her, um sich das zu nehmen, was ihnen nicht freiwillig gegeben wurde.
Eine dieser Gruppen Landsknechte durchzog die Wälder um unseren Hof. Irgendwann stießen sie auf den Feldweg, der zu uns führte. Sie waren um die zwanzig, mit Keulen, Beilen und Äxten bewaffnet, die auf unseren Hof zukamen.
Es war am frühen Abend, einem der wenigen, an dem es nicht regnete. Veit und ich kamen gerade von einem Rundgang zurück, um nachzusehen, ob es was auf den Feldern zu retten gab.
Veit sah sie als Erstes und wusste, was die Stunde geschlagen hatte. Ansatzlos rannte er parallel zu den Männern in Richtung Hof und ich hinter ihm her, konnte ihm nach wenigen Hundert Metern nicht mehr folgen. Im leichten Trab und keuchend vor Anstrengung blieb ich weit zurück und konnte sehen, wie Veit zwischen den Bäumen verschwand.
Die Männer auf dem Feldweg hatten die Bewegung neben sich bemerkt und setzten ihren Weg schneller als zuvor fort. Sie rannten nicht richtig, langsamer, einen Schritt, der sie am Ende des Laufs befähigte, sofort kampfbereit zu sein.
Auch diesem, von ihnen gewohnten Schritt, konnte ich nicht folgen und sie verschwanden hinter einer Biegung aus meinem Sichtfeld.
Es war nicht mehr weit, hinter der übernächsten Biegung würde man den Hof sehen können. Dann war es ein kleiner Weg über die Felder bis dorthin, bei der Geschwindigkeit innerhalb kürzester Zeit zu meistern.
Eine viertel Stunde später stand ich am Rand des Waldes und konnte nicht glauben, was ich sah. Vater, Veit, Mathes und meine Brüder standen so auf dem Vorplatz, dass sie mit dem Rücken zur Hauswand zeigten. Die Landsknechte in einem geschlossenen Halbbogen davor.
Die Soldaten riefen Wörter, die ich aus dieser Entfernung nicht verstehen konnte. Dass es keine freundlichen Worte waren, konnte man trotzdem heraushören.
Drohend hoben sie ihre Waffen, wobei ich erkennen konnte, dass auch Vater und die anderen Gegenstände in den Händen hielten. Veit hielt eine Forke stoßbereit vor sich, meine Brüder waren mit Beilen bewaffnet. Mathes hatte sich einen Dreschflegel geschnappt, wobei das lose Holz am Ende bedrohlich kreiste.
So gesehen war es ein absolutes Missverhältnis. Sechs gegen gut zwanzig. Der einzige Ausgleich bildete die körperliche Überlegenheit von Vater und den anderen. An Kraft waren sie den schmal wirkenden Soldaten überlegen.
Ich war aus der Puste, aber auch wenn ich es nicht gewesen wäre, hätte ich nicht gewusst, was ich tun sollte. Ich stand alleine im Rücken der Soldaten und hätte mir höchstens einen Knüppel besorgen können. Ungeübt, wie ich war, hätten die Soldaten mich wahrscheinlich nicht wahrgenommen. Wenn doch, nicht als Gegner.
Die Lautstärke und Bedrohlichkeit der gewechselten Worte wuchs an, Fäuste wurden in die Richtung der anderen geschüttelt.
Auch wenn ich es nicht glauben wollte, es musste zum Kampf kommen, es gab keine andere Möglichkeit. Dies begann, als einer der Soldaten vorstürmte, hatte sich nicht mehr zurückhalten können, war in der Hitze der Spannung unvorsichtig geworden.
Mit einem Schrei, den ich bis zu mir hören konnte, stürmte er los, kam bis auf zwei Schritte an die Gruppe um Vater heran, um seinen nächsten auszustoßen. Dieser war von dem Schmerz gezeichnet, den der fühlte, als Veit ihm die Mistgabel in den Bauch rammte und ihn mit unheimlicher Kraft in die Höhe hob. Zappelnd hing er in der Luft und sein Schrei endete abrupt, als der Dreschflegel von Mathes seinen Schädel traf und diesen zertrümmerte.
Es herrschte für einen winzigen Moment Stille, während die Forke von Veit gesenkt wurde, der tote Körper von den Zinken rutschte und auf das Steinpflaster vor dem Haus aufschlug.
Kaum kam der Körper zur Ruhe, brüllten die Soldaten auf und gingen gemeinsam vor. Ihr halber Ring schloss sich enger, und da sie kampferprobte Männer waren, die zu allem entschlossen schienen, wurde es jetzt für die Sechs aussichtslos. Trotz der großen Enge schafften die Soldaten es, der Forke und dem Dreschflegel geschickt auszuweichen, auch wenn einer von ihnen an der Schulter erwischt wurde. Er schrie vor Schmerz auf, als sein Schlüsselbein brach. Dies war das Signal für die anderen, anzugreifen.
Vater und die anderen wehrten sich tapfer und manch einem der Soldaten wurden schwere Wunden zugefügt, drei sanken zu Boden und hauchten dort ihre Leben aus. Die Übrigen schafften, was sie von Anfang an gewollt hatten. Als einer meiner Brüder zu Boden ging, war der Bann gebrochen. Es dauerte wenige Minuten, bis nur noch Vater und Veit, Rücken an Rücken dort standen und von dem Rest der Soldaten bedrängt wurden.
Sie konnten nicht mehr gewinnen, obwohl sie einen kleinen Aufschub bekamen, als Mutter und die Mägde aus dem Haus gestürmt kamen und mit dem Mut der Verzweiflung und langen Messern versuchten, den Männern Schaden zuzufügen. Dieses kurze Aufglimmen von Hoffnung versank sofort. Die Soldaten mussten sich nicht sonderlich anstrengen, diese Bedrohung abzuwehren. Die Mägde bekamen jeweils einen kräftigen Schlag auf den Kopf, Mutter sank, von einer Axt tödlich getroffen, zu Boden.
Ich schrie auf, genauso Vater. Er sah seine Frau sterben und verließ aus blinder Wut seine geschützte Position. Wie ein Berserker schwang er seine Axt, traf den Arm eines Soldaten. Dieser blieb stehen und konnte nicht glauben, dass sein Arm neben ihm lag. Daher nahm er nicht wahr, wie ihm der zweite Hieb den Schädel spaltete.
In diesem Moment war Vater unvorsichtig geworden, seine Wut und Verzweiflung hatte ihn blind werden lassen. Seine nächste Bewegung blieb im Ansatz stecken, als die Klinge eines Beils seine Wirbelsäule durchschnitt. Seine Beine knickten unter ihm weg, und während seine Axt von ihm weg flog, fiel er auf seinen Bauch, blieb regungslos liegen.
Veit kämpfte weiter, obwohl auf verlorenem Posten. Sein Kampfbrüllen erschallte über die Felder und die restlichen Soldaten töteten ihn langsam und grausam. Mehrmals brachten sie ihm neue Wunden bei, bis er schwächer wurde. Seine Arme waren zum Schluss so schwer geworden, dass er die Mistgabel nicht mehr halten konnte. Sie fiel zu Boden und ich konnte das klappernde Geräusch hören, als der hölzerne Stiel auf den Steinen aufschlug. Hier sackte er in die Knie, senkte den Kopf und ergab sich in sein Schicksal. Dies kam in Form einer Axt, die ihm den Kopf vom Körper trennte. Sie fielen zur Seite weg und blieben auf dem Pflaster liegen.
Was folgte, will ich hier nicht erwähnen. Ich saß an einen Baum gelehnt, hörte später und in der Nacht die gellenden Schreie der Mägde und meiner Schwestern. Diese endete am frühen Morgen. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, trotzdem wurde es auf einmal heller. Ich war in einen Halbschlaf verfallen und hatte verweinte Augen, als ich in Richtung Hof sah. Die übrig gebliebenen Landsknechte hatten Ochsen vor zwei Wagen gespannt, auf dem sich alles türmte, was für sie von Wert war. Auf dem einen diverse Dinge aus dem Haus, auf dem anderen unsere Wintervorräte. Anderes Vieh aus dem Stall hatten sie an die Wagen gebunden oder in Teilen auf dem Wagen verladen.
Der helle Schein, der sich breitmachte, kam von einigen Fackeln, die sie an das Strohdach des Hofes hielten, welches sofort Feuer fing und nach wenigen Minuten, in Flammen stand.
In dem Schein des Feuers zogen sie ab und wenig später war ich alleine. Obwohl die Gefahr vorüber war, blieb ich wie gelähmt sitzen. Ich konnte nicht fassen, was passiert war. Innerhalb eines Tages war meine ganze Existenz zerstört worden. Ich war alleine, wusste innerlich, dass dort auf dem Hof niemand mehr sein würde, der sich um mich kümmerte.
Das Feuer war heruntergebrannt, als ich mich mit wackeligen Beinen und gesenktem Kopf aufmachte, um zu sehen, was ich tun konnte. Irgendwas Brauchbares musste vorhanden sein.
Wenig später stand ich auf dem Vorhof und spürte das harte Steinpflaster unter meinen Füßen. Die Toten lagen vor den Überresten des Hauses, welches aus wenigen, schwelenden Balken bestand. Nur der gemauerte Ofen war weitgehend intakt, obwohl der Schornstein in Mitleidenschaft gezogen war, er stand zur Hälfte. Der übrig gebliebene Stumpf sah wie ein mahnender Finger aus, der gen Himmel zeigte.
Im Haus war alles zu Asche verbrannt, trotzdem wollte ich nicht hingehen, befürchtete auf die Überreste meiner Schwestern und der Mägde zu stoßen. Ich hatte keine von ihnen, seit dem Abend mehr gesehen.
Hier gab es nicht mehr viel zu holen. Entweder war es verbrannt, oder nicht zu gebrauchen. Eine Schaufel steckte mahnend im Boden. Mutter wollte das letzte Gemüse vom Acker holen und Vater hatte diese für sie dort hingestellt.
Jetzt diente sie mir dazu, die Toten zu begraben. Die Soldaten hatten ihre eigenen Opfer mitgenommen. Wahrscheinlich, damit niemand nachvollziehen konnte, wer sie gewesen waren. Ihre Bekleidung hätte sie verraten.
Als Nächstes ging ich zu Vater und den anderen, die dalagen, wie sie gefallen waren. Die Soldaten hatten sich nicht mehr um sie gekümmert und waren dem Brandschatzen nachgegangen.
In dem Moment, als ich an Vater vorbeiging, hörte ich eine leise, schlecht zu hörende Stimme. Ich konnte sie kaum vernehmen und dachte zuerst, ich hätte mich verhört. Dann vernahm ich sie erneut und sah zu Boden.
Vaters Kopf war zur Seite gedreht und ich konnte seine verschmutzen Lippen sehen, die sich zuckend bewegten.
Sofort ging ich in die Knie und drehte ihn auf den Rücken, wobei ein gequältes Stöhnen über seine Lippen kam. Ich kniete vor ihm und hob seinen Kopf auf meine Schenkel. Wieder ertönte das Geräusch und sein Gesicht verzog sich schmerzhaft.
Hier fixierten seine verschleierten Augen meine und er öffnete mit viel Anstrengung seinen Mund.
„Junge!“, sagte er und ich meinte trotz seiner Lage, ein Lächeln zu erkennen.
„Du bist entkommen. Dafür danke ich dem Herrn. Geh von hier fort. Du kannst nicht hier bleiben. Wohin kann ich dir nicht raten, doch geh weit weg, hier wirst du nicht lange überleben. Ich werde dich nicht begleiten können, aber ich möchte, dass du mir genau zuhörst.
Im Wald, Richtung Osten, gibt es im Sumpf einen einzelnen, abgestorbenen Baum. Gehe dort hin und grabe an seiner Südseite. Dort findest du, was ich erspart habe. Ich kann es nicht mehr gebrauchen. Nimm es und komme nicht zurück!“
Die letzten Worte kamen gehaucht, danach bemerkte ich, wie die Kraft schwand, die seinen Kopf gehalten hatte und seine Augen brachen. Ein letztes Mal stieg sein Atem aus der Lunge, dann lag er still.
Ich konnte nicht mehr anders. Alles, was ich zurückgehalten, sich angestaut hatte, brach aus mir heraus. Ich schrie den Himmel an und brach über dem toten Körper meines Vaters zusammen.
Als ich zu mir kam, erledigte ich, was getan werden musste. Das war ich den Toten schuldig. Ich nahm die Schaufel und grub den restlichen Tag und die ganze Nacht, bis ich nicht mehr konnte. Danach zog ich die toten Körper zu dem großen Loch und legte einen nach dem anderen hinein. Leider war das Loch nicht groß genug, aber ich konnte kein größeres mehr graben. Also legte ich meine Brüder und Mathes übereinander. Vater, Mutter und Veit lagen dicht aneinander. Die Erde, die ich mühsam ausgeschaufelt hatte, kam zurück, und als die Sonne aufging, dieses Mal ohne Wolken, war es das Gesicht von Veit, was als Letztes von der Erde bedeckt wurde.
Wäre doch wenigstens er am Leben geblieben.
Zum Schluss fand ich zwei Hölzer, die ich mit einem Stück Schnur zusammenband. Das gefertigte Kreuz zeigte an, dass hier jemand begraben war.
Minutenlang stand ich mit gesenktem Kopf da und wollte keinen Schritt machen. Am liebsten wäre ich auf ewig dort stehen geblieben, doch das war nicht möglich. Also nahm ich die Schaufel, warf sie in einen Busch und lenkte meine Schritte Richtung Osten.
Als ich Vaters Versteck aushob, kam eine kleine, schwere Kiste zum Vorscheinen. Der Deckel war nicht verschlossen. Darin waren mehr Münzen, als ich in meinem Leben gesehen hatte. Ich rechnete alles zusammen, konnte aber mit der Zahl nichts anfangen, da ich nicht wusste, welchen Preis was hatte. Das hatte mir Veit nicht erzählt. Trotzdem wusste ich instinktiv, dass es viel Geld sein musste. Ich nahm mehrere, verschiedene Münzen, heraus und vergrub den Rest, wollte nicht viel Geld bei mir haben. Es würde Begehrlichkeiten wecken und mein Leben gefährden. Ich konnte später zurückkommen und den Rest holen.
Vater hatte mir gesagt, dass ich weit weggehen sollte. Aber wohin? Außer dem Hof und unsere Felder kannte ich nichts, hatte nicht einmal das Dorf gesehen, wohin Vater ab und zu fuhr und selbst das, wusste ich nicht, wo es lag. Auf dem Weg wollte ich nicht laufen, befürchtete, dass die Soldaten nicht weit weg waren. Sie noch einmal zu treffen, war nicht in meinem Sinn.
Ich hatte gehört, dass es im Süden wärmer sein sollte. Hinter einer breiten Bergkette sollte ein Land liegen, wo es den Menschen besser ging als hier.
Wälder, soweit das Auge reichte, unterbrochen durch Sümpfe, die man in der Nacht umgehen musste. Selbst am Tag war es besser, in einem Bogen herumzulaufen. Das Auge konnte getäuscht werden, manche grüne Fläche war nur von Torfmoos bewachsen und machte einen friedlichen Eindruck, darunter lag der Tod. Zäher, klebriger Schlamm ließ einen einsinken, und wenn man sich wehrte, sank man tiefer hinein. Man ertrank nicht, man starb an Erschöpfung. Zu dieser Zeit war die Feuchtigkeit darunter kalt und der Körper kühlte schnell aus. Kam einem Niemand zur Hilfe, war das Ende nicht fern.
Schrie man verzweifelt, musste man hoffen, dass der, der kam, einem helfen wollte. Es kam genauso vor, dass der vermeintliche Retter andere Ziele verfolgte. Man starb nicht nur, sondern wurde vorher oder danach ausgeraubt. Es gab Menschen, die warteten, dass man im kühlen Morast verreckte. Danach warf man eine Schlinge über den leblosen Körper und zog ihn heraus. Hier nahm man ihm alles, was er hatte, wirklich alles, die Zeit war hart. Den nackten Körper warf man zurück ins Moor oder ließ ihn liegen, damit die Tiere des Waldes den Rest besorgten.
Ich hielt mich von den Straßen fern, hatte wenig Geld dabei, es hätte vielen Menschen gereicht, mir dafür die Kehle durchzuschneiden. Stattdessen lief ich durch die Wälder, immer auf der Hut und leise, wie es ging. Zwielichtiges Gesinde durchzog die Einöde auf der Suche nach Nahrung.
Jetzt im Sommer, der sich dem Ende zu neigte, bestand meine Hauptnahrung aus Pilzen, die vermehrt aus dem Boden kamen. Veit hatte mir beigebracht, welche genießbar waren, alle anderen ließ ich zu meinem Bedauern stehen.
Ab und zu fand ich wilde Beeren, die ich wie die Pilze roh verzehren konnte. Feuer wollte ich nicht machen, zu schnell hätte es mich oder meinen Standort verraten.
Veit hatte mir beigebracht, wie man Fallen stellte und ich versuchte es mehrmals, aber ich hatte keine Zeit dafür, von daher fing ich nichts. Ich wollte schnell und weit nach Süden, über die hohen Berge, die man mir beschrieben hatte. Der nächste Winter stand vor der Tür. Berge, ein Wort, was ich kannte, konnte nichts damit anfangen. Man hatte mir erklärt, dass eine Art Hügel wäre, jedoch wesentlich höher. Vorstellen konnte ich es mir nicht. Vor allem nicht, das diese aus Stein sein sollten. Bei uns in der Gegend gab es eine Anhöhe, aber die war aus Erde. Man erzählte sich, dass dort lange verstorbene Menschen begraben wären und in bestimmten Nächten kämen deren Geister heraus, um auf dem Hügel zu feiern. Als ich Kind war, konnte man mich damit erschrecken.
Am zehnten Tag meiner Wanderschaft war ich ausgezehrt und kam langsam voran. Die rein pflanzliche Nahrung enthielt wenig Nährstoffe und mein Körper hatte geringe Reserven. Menschen hatte ich die ganze Zeit nicht ein einziges Mal gesehen. Nur einmal meinte ich in einiger Entfernung, Stimmen zu hören, sicher war ich mir nicht. Ich wich ihnen aus.
Später traf ich auf einen Trampelpfad. Schlecht zu erkennen, aber er war vorhanden. Außerdem roch ich verbranntes Holz. Irgendwo in der Nähe mussten Menschen sein.
Ich suchte mir einen Baum, den ich jederzeit wiederfinden würde, und vergrub den größten Teil des Geldes, welches ich bei mir hatte. Drei Münzen behielt ich bei mir. Eine große, wertvoll Aussehende und zwei Kleinere, von denen ich eine ganze Anzahl bei mir trug. Danach folgte ich dem Pfad und dem Geruch, der intensiver wurde.
Wenig später trat ich auf eine Lichtung, in deren Mitte ein kleines, windschiefes Häuschen stand. Es war älter, wurde, soweit ich das beurteilen konnte, öfters ausgebessert. Die verschiedenen Farben der Schindeln verrieten dies gut. Link und rechts vor dem Haus waren zwei halbkugelförmige Aufschüttungen errichtet worden, aus denen der Qualm stieg, den ich zuvor gerochen hatte. Weiterhin gab es an der einen Seite des Hauses eine weit überstehende Überdachung, unter der jede Menge Holz aufgestapelt war, dessen länge und dicke gleich war.
Veit hatte mit erzählt, dass in den Wäldern Köhler zuhause waren. Zumeist einsame, wenig umgängliche Menschen, denen man nachsagte, dass sie mit dunklen Mächten in Verbindung standen. Nicht umsonst waren sie im dunklen Wald. Veit meinte lachend, dass sie nicht wegen der dunkeln Mächte im Wald waren, sondern wegen der Bäume. In der Stadt hätten sie ihrem Gewerbe nicht nachgehen können.
Trotzdem hatte er gemeint, dass Menschen, die lange alleine im Wald lebten, seltsam wurden, oder es vorher schon gewesen waren. Wer wollte freiwillig dort hausen.
Ich blieb einen Moment stehen und betrachtete die ganze Sache und überlegte mir, ob ich einen weiteren großen Bogen herummachen sollte. Mein Innerstes entschied sich dagegen, ich fühlte mich einsam und wollte endlich die Stimme eines Menschen hören.
Gerade, als ich auf das Haus zugehen wollte, ging die Tür auf. Ein vom Alter gebeugter Mann, mit einem gewaltigen Bart, trat aus der Tür und ging ohne Eile zu einem der Holzkohlemeiler. Hier prüfte er anscheinende die Luftzufuhr und korrigierte diese. Danach schlurfte er zum anderen Meiler und vergewisserte sich auch hier, ob alles in Ordnung war.
Als er dies erledigt hatte, sah er gen Himmel, schüttelte seine Kopf und ging zum Haus zurück. Er ging nicht hinein, sondern setzte sich auf eine Bank, die neben der Tür stand. Dort blieb er sitzen, ohne sich zu bewegen.
Ich dachte mir, dass dies der richtige Zeitpunkt wäre, mich ihm zu nähern. Ich konnte nicht wissen, dass es bei ihm keinen guten Zeitpunkt gab.
Ob er mich gleich sah, oder erst, als ich fast bei ihm war, kann ich nicht sagen, doch auf einmal schallte mir ein unmissverständlicher Satz entgegen.
„Keinen Schritt mehr Junge. Ich habe nichts und will nichts. Sieh zu das du verschwindest.“
Ich blieb wie angewurzelt stehen, hatte ihm nichts getan, darum konnte ich nicht verstehen, dass er mich anging. Doch ich erinnerte mich an die Worte von Veit.
In den wenigen Augenblicken, die ich näher bei ihm stand, musterte ich ihn genauer. Seine Kleidung war verwahrlost, überall mit Löchern versehen, die zumeist Brandlöcher waren. Genauso wie sein Bart. Jahrelang nicht mehr geschnitten, dafür an manchen Stellen versengt, die Haut runzelig und vom Wetter gegerbt. Was nicht zu diesem Bild passte, waren seine wasserblauen, lebhaften Augen, die mich taxierten und unter der breiten Krempel seines Hutes hervorstarrten.
Obwohl ich merkte, dass ich nicht willkommen war, dachte ich mir, dass ich mich ihm vorstellen sollte, und trat einen Schritt vor.
Das war ein Fehler. Unter mir brach die Erde weg und ich fiel in ein Loch, was doppelt tiefer war, als ich hoch. Ich schrie auf und prallte mit voller Wucht auf den Boden auf, der knietief Unterwasser stand.
Noch einmal schrie ich auf, als ich mir meinen linken Fuß bei dem Aufprall so sehr verdrehte, dass ich wegrutschte und mit meinem gesamten Körper im Wasser landete.
Fauliger Geruch von vergammelnden Blättern und anderem traf meine Nase, wobei ich nicht wissen wollte, was dort noch vor sich hin verrottete. Dann durchzuckte mich ein stechender Schmerz im Fußgelenk, wusste sofort, dass dies kein gutes Zeichen sein konnte.
Ich wollte aufstehen, rutschte weg und schaffte es erst beim dritten Versuch. Allerdings konnte ich nur auf dem rechten Fuß stehen, trat ich mit dem Linken auf, durchzuckte mich dieser unheimlich starke Schmerz. Ob das Gelenk gebrochen war, wusste ich nicht, verstaucht auf alle Fälle.
Jetzt sah ich nach oben und konnte das Gesicht des Köhlers erkennen, der über den Rand der Grube gebeugt nach unten lugte.
„Habe ich dir nicht gesagt, du sollst keinen Schritt näher kommen?“, rief er herunter und schüttelte mit seinem Kopf.
„Nichts als Ärger hat man mit solch dummen Menschen wie dir. Ihr tut nie das, was man euch sagt. Ich weiß schon, warum ich hier alleine wohne!“
Danach verschwand sein Gesicht und Augenblicke später flog das Ende eines Seils herunter. An diesem Seil hangelte ich mich unter großer Mühe herauf und schaffte es mich über den Rand der Grube zu wuchten.
Der Köhler saß währenddessen auf seiner Bank und half mir nicht dabei. Er hatte das Seil an einen Pfosten vor seinem Haus geknotet und wartete darauf, dass ich aus der Grube kam.
„Ich sollte spitze Pfähle auf den Grund der Grube stellen. Dann erledigt sich das mit euch gleich für alle Male. Von mir aus könnt ihr dort unten verrecken.“
Daraufhin stand er auf und ging in sein Haus. Ich blieb nass wie ich war draußen.
Es wurde langsam dunkel und kalt. Schnell fing ich an zu frieren, in der nassen Bekleidung kühlte man schnell aus.
Ich wollte nicht bei dem Köhler klopfen, es war klar, dass er mir nicht gerade gut gesonnen war. Also humpelte ich auf einen der Meiler zu und prüfte, ob dieser äußerlich warm war.
Und richtig, die Außenfläche war merklich wärmer. Also zog ich mich so weit aus, wie es ging, und breitete meine Bekleidung darüber aus, lehnte mich gegen die Erde, damit ich mich wärmen konnte.
Es war nicht wirklich warm und in der Nacht fror ich gewaltig. Lag ich mit dem Bauch gegen den Hügel, wurde binnen weniger Augenblicke mein Rücken kalt, lag ich mit dem Rücken dagegen, war es anders herum. Doch zum Glück regnete es nicht.
Als der Tag hereinbrach, hatte ich meine Augen nicht zu gemacht und war unheimlich müde. Dafür war meine Bekleidung getrocknet. Bis auf Feuchtigkeit vom Morgentau war nichts auf der Oberfläche zu fühlen. Ich zog diese schnell wie möglich an, wobei mir egal war, dass sie von dem Wasser in der Grube fürchterlich stank. Bei Gelegenheit würde ich sie in einem Bach waschen, und solange ich nicht unter Menschen kam, war das nicht wichtig. Ich wollte nicht erfrieren.
Gerade als ich mich angezogen hatte, ging die Tür auf und der Mann kam aus dem Häuschen. Er sah mich sofort und sagte mit einer Stimme, die seinen Groll nicht verheimlichen konnte: „Du bist ja immer noch da. Soll ich dich in die Grube schmeißen? Dieses Mal werfe ich dir aber kein Seil hinterher. Kannst dann selber zusehen, wie du da wieder raus kommst. Wenn nicht, Pech gehabt!“
Ich glaubte es ihm und wäre sofort gegangen, wenn ich es gekonnt hätte. Mein Fußgelenk war in der Nacht auf das doppelte angeschwollen. Beim leichtesten Auftreten waren die Schmerzen kaum mehr auszuhalten.
Ich sah ihn flehend an und er mich teilnahmslos. Seine Augen gingen zwar ein paar Mal an mir herunter und blieben an meinem kranken Gelenk hängen, trotzdem blieb sein Blick hart.
„Bitte!“, sagte ich zu ihm, „Könnt ihr mir einen Stab geben, damit ich mich abstützen kann. Dann werde ich sofort von hier verschwinden!“
Mürrisch sah er sich um und entdeckte ein passendes Holzstück bei dem aufgestapelten Haufen am Haus.
Langsam ging er dort hin, überprüfte ihn gewissenhaft und mit Sorgfalt darauf, das er hielt, und warf mir diesen vor dir Füße. Danach ging er zum Haus zurück und setzte sich auf die Bank.
Mit großer Mühe konnte ich mich auf einem Bein herunterbeugen, damit ich den Stab greifen konnte. Aals ich aufrecht stand, war er eine große Hilfe für mich.
Ich sah den Köhler kurz an, drehte mich um und humpelte in die Richtung zurück, aus der ich gekommen war. Ich würde dem Trampelpfad folgen müssen, durch den Wald konnte ich mit dem Bein nicht vorwärtskommen. Umgefallene Bäume und Unterholz konnte ich nicht mehr überwinden.
Ich war nicht weit gekommen, als ich mit meinem gesunden Fuß auf einen wackeligen Stein trat und ins Straucheln geriet. Um mich abzufangen, trat ich mit meinem anderen Fuß auf und schrie gellend, während ich auf den Boden fiel. Tränen rannen mir über das Gesicht und ich konnte nicht mehr. Die lange Nacht, mein ausgezehrter Körper und die Schmerzen, ließen mich liegen bleiben. Ich war am Ende meiner Leistungskraft.
Wenigs später sah ich über mir den sich schüttelnden Kopf des Köhlers. Er sprach mehr zu sich als zu mir
„Immer dieser Ärger, warum kann man mich nicht in Frieden lassen. Da geht man in den Wald, um Ruhe vor den Menschen zu haben und was passiert? Sie finden einen trotzdem. Muss ich denn an das Ende der Welt gehen und mich über den Rand stürzen, damit ich endlich allein bin?“
Während er vor sich hinmurmelte, beugte er sich über mein krankes Bein und tastete es mit seinen, mit dicken Schwielen behafteten Fingern, ab. Hatte ich zuerst gedacht, dass er grob damit umgehen würde, hatte ich mich getäuscht. Seine Finger fuhren leicht über die Schwellung und drückte mal hier, mal dort leicht dagegen. Wenn mir der Schmerz zu stark wurde, stöhnte ich auf und er ließ locker.
„Tja, Jungchen, damit wirst du nicht weit kommen, nichts gebrochen, aber laufen wirst du eine Zeit lang nicht mehr. Was meinst du was ich mit dir anfangen soll? Ich könnte dich in eine Siedung bringen, wo man dich ausrauben und umbringen wird. Hast Glück, dass du dünn bist, dann werden sie dich wenigstens nicht auffressen.
Ich könnte dich hier und jetzt umbringen und ins Unterholz werfen, dann wäre ich dich los ohne den weiten Weg ins Dorf zu machen.“
Um ehrlich zu sein, es klang bei ihm nicht danach, als wenn er einen Scherz machte. Ich traute es ihm zu, hätte in meinem Zustand nichts gegen ihn ausrichten können. Mein Leben lag in seinen großen, schwieligen Händen.
Man konnte sehen, wie er am überlegen war und mir schwante nichts Gutes. Wer würde mich vermissen? Keiner!
„Hmmmm!“, machte er und sah mir in die Augen.
„Wenn man wenigstens was mit dir anfangen könnte. Aber in dem Zustand bist du zu nichts zu gebrauchen. Ich sagte ja. Nichts als Ärger. Wäre besser gewesen, wenn du nicht hierher gekommen wärst!“
Wenn er gewusst hätte, was ich überlegt hatte, hätte er mir vorgehalten, dass ich die falsche Entscheidung getroffen hatte. Also hielt ich lieber meinen Mund.
„Hmmm“, machte er erneut.
„Ich kann dich hier nicht liegen lassen, will nicht an einer verwesenden Leiche vorbeigehen müssen. Zu viele Fliegen. Ich werde gleich wiederkommen, weglaufen kannst du ja nicht mehr!“
Danach stand er auf und ich erwartete, dass er mit einer Axt oder Ähnlichem zurückkommen würde, um mich zu töten und zu zerlegen, doch ich hatte mich getäuscht. Er kam mit einer Schubkarre zurück und hob mich darauf, als wenn ich nichts wiegen würde. Dann schob er mich zum Haus. Davor angekommen hob er mich aus der Schubkarre und trug mich ins Haus.
Hier war es dunkel, das Haus hatte keine erkennbaren Fenster, sondern wenige Löcher in der Wand, die mit Stroh verstopft waren und durch Spalten ein wenig Licht durchließen. Die einzigen Möbel bestanden aus einem großen Bett, einem Tisch mit zwei Stühlen und eine Art Regal. Ansonsten gab es einen Kochkamin in der gegenüberliegenden Außenwand, in dem ein Kessel, an einer Kette, über dem Feuer hing.
Was mir sofort auffiel, war, dass es streng roch. War mir bereits aufgefallen, dass der Köhler nicht grade duftete, war es hier kaum zum Aushalten. Es war ein muffiger Geruch, der jedoch von einem feinen Aroma, von Essen, unterstrichen wurde. Wenn ich es heute beschreiben sollte, wäre der Geruch von nassem Hund am ehesten vergleichbar, ein Hund, der nie gebadet wurde.
Trotzdem fing mein Magen sofort an zu knurren, denn wie gesagt, war da ein feiner Essensgeruch, der sich in meine Nase schlich.
Der Mann sah mich an, als er das Knurren hörte.
„Es ist wirklich nicht mein Tag. Erst fällst du mir wegen deiner Dummheit in die Grube, dann nehme ich dich sogar noch mit in mein Haus und jetzt muss ich dich auch noch durchfüttern. Schlechter kann kein Tag werden! Jetzt wo ich dich schon mitgenommen habe, kann ich dich jawohl schlecht verhungern lassen. Da hätte ich dich ja gleich auf dem Weg liegen lassen können.“
Er sah sich um und legte mich in das große Bett. Danach schlurfte er zum Kessel, nahm eine nicht gerade sauber aussehende Holzschale und füllt mit einer Kelle etwas von dem Inhalt des Kessels hinein. Es dampfte gewaltig und war sehr heiß. Dazu griff er nach einem Holzlöffel und kam zu mir zurück.
„Vorsichtig, ist heiß, mach mir mein Bett nicht schmutzig!“
Dabei dachte ich mir, dass das nicht so einfach war. Das Bett sah nicht danach aus, als wenn es oft hergerichtet wurde. Aber das war mir in diesem Moment egal. Ich roch nur die Suppe und ich wunderte mich, was alles darin war. Zuhause bestand eine Suppe aus Wasser mit wenig Geschmack. Hier war das anders. Diese war dick, mit viel darin und roch unheimlich würzig. Das kam wahrscheinlich von den vielen Kräutern, die ich darin schwimmen sah. Zu meiner größten Überraschung befanden sich größere Stücke Fleisch mit einem ordentlichen Fettrand darin. Das kannte ich nur an besonderen Tagen, zumeist christlichen Feiertagen der heute nicht war.
In diesem Moment war mir das Datum egal. Hier war endlich was zu essen, warm und mit großer Energie darin. Genau das, was mein Körper brauchte.
Klar verbrannte ich mir bei dem ersten Löffel den Mund, aber ich schluckte es trotzdem herunter, ohne mit der Wimper zu zucken. Bei dem zweiten Löffel pustete ich lieber darüber. Wenig später hatte ich die Schüssel bis auf den letzten Tropfen geleert und ein wohlig warmes Gefühl machte sich in meinem Bauch breit. Fast im gleichen Moment fielen mir die Augen vor Erschöpfung zu und ich gelangte in einen traumlosen Schlaf.
Ich bekam nicht mehr mit, dass sich ein leichtes Lächeln in das Gesicht des Köhlers stahl und das er mich mit einer Decke zudeckte und das Haus verließ.
Irgendwann wachte ich auf. Es war dunkel und ich musste mich erst zurechtfinden. Durch die kleinen Luken kam kein Licht, also musste es in der Nacht sein. Was sich allerdings verändert hatte, war, dass ein lautstarkes Schnarchen durch das Haus ging. Es erklang neben mir und mir wurde klar, dass sich der Köhler neben mich gelegt hatte und dort schlief.
Ich glaubte nicht mehr, dass es was Schlimmes mit mir vorhatte, er hätte es sicherlich längst getan. Also fühlte ich mich seit Tagen das erste Mal sicher und schloss meine Augen. Sofort schlief ich friedlich und in Ruhe ein.
Spät am nächsten Morgen wachte ich auf und fühlte mich endlich ausgeschlafen. Am liebsten wäre ich aus dem Bett gesprungen, aber mein Bein hielt mich davon ab. Der Köhler war bereits aufgestanden und nicht mehr im Haus. Er hatte mir den Stab ans Bett gestellt, damit ich aufstehen konnte. Also erhob ich mich vorsichtig und humpelte zur Tür. Draußen holte ich in der frischen Luft tief Atem und setzte mich auf die Bank.
Ich saß nicht lange dort, als der Köhler aus dem Wald kam. Er hatte eine Axt über der Schulter hängen und ging ruhig auf dem Weg entlang. Kurz vor der Grube, die er wieder perfekt getarnt hatte, ging er zwei Schritte zur Seite und kam auf das Haus zu.
„Bist ja immer noch hier!“, waren seine ersten Worte.
„Geschlafen hat er, gegessen hat er. Was will er noch mehr? Ich bin für sein Leben nicht verantwortlich. Soll er doch sehen, wo er bleibt!“
„Martin!“, sagte ich, „mein Name ist Martin. Ich möchte mich bei euch bedanken. Hier habt ihr mein ganzes Geld. Bitte nehmt es, ihr habt es verdient!“
„Junge, wenn ich dein Geld hätte haben wollen, dann hätte ich es mir genommen. Behalte es selber. Ich kann in diesen Zeiten nur wenig damit anfangen. Was sollte ich schon davon kaufen? Die Menschen beginnen Ratten als Delikatesse zu verkaufen und man muss aufpassen, dass man diesen Viechern nicht zu sehr ähnelt. Es könnte sonst schlimm ausgehen.“
„Euch scheint ja das Problem nicht zu stören. Euer Topf ist gut gefüllt!“, meinte ich in seine Richtung und er grummelte vor sich hin.
„Nein, mich geht es nichts an. Menschen sind mir zuwider und ich kann für mich alleine leben. Der Wald gibt mir alles, was ich brauche. Meine Suppe ist nur so dick, weil die Menschen meine Ruhe respektieren. Sie machen große Umwege um mich herum, damit sie mir nicht begegnen. Darum ist mein Wald noch voller Leben, aber das wird nicht mehr lange so sein. Der Hunger treibt sie in meine Nähe.“
„Wenn ihr kein Geld braucht und andere Menschen auch nicht mögt, warum stellt ihr dann Holzkohle her?“
„Junge, sei froh, dass du noch lebst. Stell keine Fragen, wenn es so bleiben soll. Du kommst ungebeten in mein Leben und solltest dich mit den Antworten zufriedengeben, die ich dir gebe.“
Ich beschloss, am besten meine Klappe zu halten. So würde ich besser über die Runden kommen.
Obwohl ich nur eine Belastung für den Köhler war, durfte ich länger bei ihm bleiben. Allerdings brachte er Stroh in das Häuschen, auf dem ich schlafen durfte. Sein Bett war ihm vorbehalten.
Ehrlich gesagt lag ich lieber in dem Stroh, bei seinem Bett war ich mir nicht sicher, was dort sonst noch schlief.
Die Schwellung am Fußgelenk schwoll langsam ab und eine Woche später konnte ich ohne Stock laufen. Während der Köhler im Wald verschwunden war, ging ich nach draußen und dachte, dass ich mich nützlich machen konnte. Ich fand eine Säge, den benötigten Sägebock und diverse Stämme, die gesägt werden mussten.
Also nahm ich an einem anderen, bereits gesägtem Stück Holz Maß und begann mit der Arbeit. Die Säge war gut und scharf, von daher ging die Arbeit gut von der Hand.
Zwei Stunden später wollte ich einen neuen Stamm holen und erschrak fürchterlich, als ich mich umdrehte und der Köhler zwei Schritte hinter mir stand. Dabei hatte er seine Axt geschultert und stand wie angewurzelt vor mir. Er sah auf den groß gewordenen Haufen frisch gesägtem Holz und nickte und meinte: „Hinter dem Haus ist eine weitere Axt, stapeln kannst du es da vorne.“
Dabei zeigte er mit einer Hand auf die Stelle, an der er das frische Holz haben wollte, drehte sich um und ging ins Haus.
Ein paar Augenblicke später kam er zurück und hatte zwei große, dampfende Schüsseln Suppe in der Hand. Damit setzte er sich auf die Bank. Die eine behielt er, die andere stellte er neben sich. Ich ging leicht humpelnd zu ihm hin, nahm die Schüssel und setzte mich neben ihn. Dann löffelten wir sie langsam aus, ohne ein Wort zu sagen.
„Junge, wo kommst du eigentlich her?“, fragte er auf einmal und ich erzählte ihm mein Leben von Anfang an. Er saß da und sein Gesicht zeigte keinerlei Regung. Als ich nach einer Stunde fertig war, sagte er nur: „Ja, schlimme Zeiten!“, und stand auf.
Danach nahm der die Schüsseln und meinte zusätzlich. „Du hast noch zu tun. Das Holz stapelt sich nicht von alleine. Wer essen will, muss dafür arbeiten. Bis jetzt war es eigentlich noch keine volle Schüssel wert, also strenge dich mehr an oder geh.“
Obwohl mir alle Knochen wehtaten, ging ich zurück, hackte die letzten Baumscheiben kleiner und schaffte es bis zum Abend alles zu stapeln, ging ins Haus, legte mich auf das Stroh und schlief augenblicklich ein. Das dröhnende Schnarchen des Köhlers störte mich nicht.
Nachts wachte ich auf, als ich hörte, wie die Tür auf und zu ging. Ich schlich an eine der Luken, um zu sehen, was er draußen machte. Obwohl nur der Mond die Dunkelheit aufhellte, konnte ich sehen, wie er zu den Meilern ging und diese kontrollierte. Hier und da stach er mit einem Stock neue Löcher in die Beschichtung, andernorts verstopfte er sie. Eine Wissenschaft für sich.
Nächsten Tag nahm er mich mit in den Wald. Nicht weit weg war er gerade dabei, ein Stück zu roden. Während er die Bäume fällte, was in einer bemerkenswerten Geschwindigkeit geschah, machte ich mich über die Äste und Borke her. Das konnte ich, hatte es lange geübt. Der Köhler verlor kein Wort darüber, nahm es als gegeben hin.
Gegen Mittag machten wir eine kleine Pause. Dazu saßen wir auf einem der Baumstümpfe und der Köhler holte Brot aus einer Tasche. Woher dies kam, wusste ich nicht. Es war steinhart und man musste es kräftig mit Speichel vermischen, damit es essbar wurde. Danach schmeckte es nach was. Er musste es irgendwo lagern, in dem Haus hatte ich es nicht gesehen.
Wir saßen schweigend da, bis er auf einmal meinte: „Deine Leute hatten keine Erfahrungen damit, wie man kämpft. Sie hatten keine Chance!“
Es war eine reine Feststellung und ich brauche einen Moment, bis ich seinen Worte auf meine Lebensgeschichte bezog.
„Nein, hatten sie nicht!“, meinte ich und starrte in die Luft, während ich hinter meinen Augen die Bilder sah, wie sie gekämpft hatten.
„Manchmal sollte man lieber flüchten!“
„Ist das nicht feige?“, fragte ich und sah den Köhler von der Seite an. Er drehte seinen Kopf in meine Richtung.
„Was willst du? Dumm und tot oder feige und leben?“
„Meine Leute waren nicht dumm!“, meinte ich trotzig zu ihm.
„Sie haben gekämpft, bis sie nicht mehr konnten!“
„Trotzdem tot, das hat ihnen auch nichts gebracht. Schau dich an. Du lebst noch und warum?“
Ich sah den Köhler entgeistert an. Wollte er damit sagen, dass ich feige gewesen war?
„Weil ich zu schwach für einen Kampf gewesen bin. Darum, aber nicht weil ich feige gewesen bin!“
„Siehst du, du hast deine Chance abgewogen und dich nicht abschlachten lassen. Darum lebst du noch.“
Ich sah schweigend auf meine Füße und überlegte einen Moment. Ich wusste in meinem Inneren, dass er recht hatte, wollte es aber nicht glauben.
Trotzig antwortete ich ihm mit Verzögerung: „Was wisst ihr schon davon. Ihr seid ein Köhler, ihr braucht nicht zu kämpfen. Ihr habt nichts, was man euch wegnehmen kann. Euer Leben will keiner haben!“
Das war der Moment, in dem ich vom Baumstamm flog und auf dem Waldboden aufschlug. Der Köhler hatte mich unerwartete von der Seite erwischt und mir seine Faust direkt ins Gesicht geschlagen.
„Junge“, sagte er ruhig und blieb auf dem Baumstamm sitzen, „Beurteile niemals einen Menschen, nach dem, wie er aussieht, oder was er tut. Es kann das Letzte sein, was du tust.“
Mit dieser störrischen Ruhe brachte er mich in Rage, genauso, dass er es nicht lassen konnte, mich Junge zu nennen.
„Ich heiße Martin und nicht Junge“, versuchte ich möglichst gefährlich zu sagen und sah ihn wild an, rappelte ich mich auf.
„Für mich heißt du Junge. Männer heißen Martin. Du bist dieses kraftvollen Namens nicht würdig. Den must du dir erst verdienen!“
Ich glaube, ich war in meinem ganzen Leben noch nicht so sauer. Dort saß ein Mann, dessen besten Tage vorbei waren und vom Leben gezeichnet. Ich hingegen war in den letzten Tagen zu Kräften gekommen.
Ich wollte gerade auf ihn einstürmen, als er meinte: „Du solltest dazu wenigstens einen Knüppel benutzen. Mit den blanken Fäusten zu kämpfen, bis du nicht gewohnt. Deine Hände sehen nicht danach aus, dass sie das lange durchhalten. Außerdem erhöht es deine Reichweite und Schlagkraft.“
Ich hörte seine Worte und kam nicht darauf, dass es eine Aufforderung war, tiefer in den Schlamassel zu geraten, als ich bereits darin steckte.
Sofort sah ich mich nach einem entsprechenden Ast um und fand ihn. Ich dachte nur, dass er schön dumm sein musste, mir diesen Hinweis zu geben. Immerhin war es gegen seine eigene Position.
Mit dem Knüppel in der Hand stürzte ich mich auf ihn und lag Augenblicke später wieder auf dem Boden. Als ich auf ihn zugestürmt war, hatte ich zu viel Schwung drauf gehabt, und da er schnell zur Seite wegrutschte, ging mein Schlag ins Leere. Dieser Schwung übertrug sich auf meinen Körper und riss mich mit über den Stamm. Dieser brachte mich zum Stolpern und zu Fall.
Ich rappelte mich auf und wollte mich erneut auf ihn stürzen doch er saß nicht mehr auf dem Stamm, sondern stand einfach nur da und schüttelte seinen Kopf.
„Junge, du wirst dir nur wehtun. Lass es lieber und nimm dein kleines Beil. Vielleicht schaffst du es ja, einen dünnen Baum zu fällen. Ich glaube, ich habe am Rand des Waldes einen gesehen. Allerdings ist der so dünn, dass der dort lebende Biber aus Mitleid drum herum geht. Versuchte dich erst an diesem. Richtige Bäume schaffst du noch nicht!“
Er verhöhnte mich und das konnte ich nicht auf mir sitzen lassen. Ich sprang mit hoch erhobenem Knüppel über den Stamm, auf dem wir gesessen hatten, und war fast bei ihm, als mich sein vorgestreckter Fuß im Bauch traf. Ich konnte noch sehen, wie er sich wegdrehte, um meinem Knüppel aufzuweichen, danach überrollte mich der Schmerz in meinem Bauch.
Ich krümmte mich zusammen und bekam keine Luft mehr.
Schwer atmend spürte ich eine kalte Stahlklinge in meinem Nacken. Ich drehte meinen Kopf zur Seite, als ich die Schuhe des Köhlers neben mir stehen sah. Als ich einen besseren Blickwinkel hatte, sah ich in neben mir stehen und die Klinge seiner Axt, die auf meinem Nacken lag.
„So schnell kann man seinen Kopf verlieren, wenn man diesen zu schnell verliert.“
Ein kleines Wortspiel, mit dem er recht hatte. Ich hatte mich zu was verleiten lassen, was ich nicht beherrschte.
Dann verschwand das unangenehm, kühle Gefühl in meinem Nacken und er meinte nur: „Pause ist zu Ende. Machen wir weiter. Morgen bekommst du deine Axt. Wollen doch mal sehen, ob du nicht irgendwann Martin heißt.“
Schweigend arbeiteten wir, bis sich der Tag vor dem Abend verneigte.
Am nächsten Morgen war es nicht richtig hell geworden, als der Köhler mich aus dem Schlaf riss.
„Aufstehen. Wir haben zu tun. Schnapp dir die Säcke hinten in der Ecke und eine Schaufel. Dann komm damit raus!“
Ich hatte den Stapel Säcke gesehen, mir darüber keine Gedanken gemacht.
Draußen angekommen sah ich den Köhler auf einem der Meiler stehen und goss mit einem Eimer Wasser in die Mitte. Daraufhin zischte es stark und eine weiße Wasserdampfwolke schoss aus dem Loch.
„Noch einen!“, rief er und warf mir den Eimer vor die Füße.
Ich ging zum Brunnen und holte einen vollen Eimer Wasser. Dieser verschwand ebenfalls im Loch auf der Spitze des Meilers. Jetzt schien der Köhler zufrieden zu sein. Er nickte und stieg von dem Hügel herunter.
„Wird heute nichts damit, dass du einen Namen bekommst, Junge. Wir müssen den Meiler öffnen. Die Holzkohle ist fertig.“
Zusammen brachen wir den Meiler auf und mir stieg eine so große Hitze entgegen, dass ich augenblicklich anfing zu schwitzen. Ich entledigte mich meiner Oberbekleidung und später auch der Beinbekleidung, Schuhe blieben übrig. Um meinen Unterkörper schlag ich ein Tuch.
Es war ein Wechselbad der Gefühle und ich genoss es, wenn mich ein kühlender Windstoß traf.
Ich schaufelte die Holzkohle heraus und breitete sie auf dem Boden aus. Der Köhler schaufelte sie in einen Sack, wenn es sicher war, dass keine Glut mit in den Sack kam. Dann brachte er den Sack zum Haus uns stellte ihn auf den Boden. Hier standen später überall Säcke herum, die sich nicht berührten. Eine weitere Sicherheitsmaßnahme, denn wenn tatsächlich noch Glut in einen Sack gekommen wäre, wäre nur dieser verbrannt.
Die Säcke blieben die ganze Nacht draußen stehen. Am nächsten Morgen holten wir sie mit ins Haus und stapelten sie an einer der Wände bis an die Decke. Hier konnten sie nicht mehr nass werden.
Das schafften wir schnell, da Holzkohle leicht ist. Gegen Mittag gingen wir erneut in den Wald, um Bäume zu fällen. Dazu bekam ich die versprochene Axt.
Ich brauchte die dreifache Zeit, um einem Baum zu fällen, war es nicht gewohnt und musste die richtige Technik erst lernen. Später machten wir noch eine kleine Pause um etwas zu essen und trinken.
„Woran liegt es wohl, dass ich meine Bäume schneller fälle als du deine?“, fragte er mich auf einmal.
„An der Kraft und Übung?“, meinte ich, wobei ich ihn von der Seite ansah.
„Das mit der Kraft ist so eine Sache. Sie wird überbewertet. Übung ist ein wichtiger Faktor. Ohne wirst du es niemals schaffen, egal was du machst. Aber du hast was Wichtiges vergessen!“