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Bob Dylan veröffentlichte unzählige Songs, Lieder, Texte... oft genug enthalten einzelne Zeilen ewige Wahrheiten. Bob Dylan als Weisheitsdichter, die es schon seit Jahrtausenden gibt? Dem geht Volker Schoßwald in diesem Büchlein nach und ermuntert zugleich, in Dylans Werk wieder hineinzuhören...
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Seitenzahl: 149
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Vorbemerkungen
Laß die Phantasie schweifen
2.1 Wer bist du?
2.2 Robert Zimmermann und die Weisheit
2.3 Die „Weisheit“
Erinnerung der Dylan-Generation
3.1 Original oder Kopie?
Weisheit in konkreten Songs
4.1 „Blowin in the Wind“: eine endlose Reihung von endlosen Reihen
4.1.1 Religiöser Einschub: Blowin’ in the Wind
4.1.2 Blowin’ in the Wind und I have a dream
4.1.3 „Murder most foul“
4.1.4 Der Berg und der Weg
4.2 „My Back Pages“: Ich war soviel älter damals…
4.3 „Long time gone“: Weiser Mann oder Prophet?
4.4 “Masters of war”: Geld und Seele
4.5 A Hard Rain’s Agonna Fall: Die Welle brüllt
4.6 “Don’t think twice…”:Herz oder Seele
4.7 Love is just a Four Letter Word: Ich denke nur mit meinen Maßstäben
4.8 “Love minus zero”: no success like failure
4.9 Maggie’s Farm
4.10 The Mighty Quinn: Ich will wie die andern sein
4.10.1 Religiöser Einschub: The Mighty Quinn
4.11 Like a Rolling Stone: Du solltest nicht andere Leute deine Tritte für dich einstecken lassen
4.11.1 Religiöser Einschub: Like a Rolling Stone
4.12 Highway 61 revisited: Böse Spiele ungestraft
4.13 Motorpsycho Nightmare: Der verlogene „anständige“ Farmer
4.14 Just like a Woman: Frau oder kleines Mädchen?
4.15 Die Zeiten ändern sich: Der Erste wird der Letzte sein
4.15.1 Religiöser Einschub: The times are achangin’
4.16 One too many mornings: Zwei Perspektiven
4.17 With god on our side: Böses und Rechtfertigung
4.17.1 Religiöser Einschub: with god on our side
4.18 Father of Night: Ordnung
4.19 Forever young: Nehmen und Geben
4.20 Ring them bells: Richtig und falsch
4.20.1 Exkurs: God is one
4.21 „Love and Theft“: Feuertaufe 11.9.2001
Die Weisheit und die Weisheiten....
On Stage
6.1.1 War ich in einem anderen Konzert?
Nachwort
Anhang: „Freedom’s just another word for nothing left to loose“
„Auf offener See“ – „Die Seefahrer“
Noch ein Dylanbuch? Warum?
Um Dylan noch einmal ein wenig anders zu hören, anderes in seinen Lieder zu entdecken oder alte Entdeckungen aufleben zu lassen.
Als Dylan den Literaturnobelpreis bekam, wurde seine sprachliche Kraft gewürdigt. Bei Konzerten erkannte ich oft die Texte seiner Lieder nicht wieder, obwohl ich sie ziemlich auswendig kannte. Aber ich spürte den Rhythmus seiner Sprache: genial. Als wir in der Schulzeit griechische Versmaße erkennen mussten, irritierte mich das Fehlen von Reimen und unser Lehrer ließ uns stattdessen den Rhythmus fühlen. Bei Dylan erlebte ich beides: einen akzentuierten Rhythmus, der nicht zwangsläufig an das Abzählen von Silben gebunden war wie auch Reime.1
In diesem Buch gehe ich der literarischen Qualität in Dylans Liedern / Gedichten nach. So kann man seine Darbietung noch mehr genießen.
Ich wäre gerne ein Rockstar wie Elvis! So ging es schon Robert Allen Zimmermann wie John Winston Lennon. Aber ich liebe auch die surreale Tiefe der Sprache, die Dylan präsentiert. Bei meinen dadaistischen Anwandlungen verstehe ich die sprachverformende Kraft Lennons. Dylan war nie Dadaist, wenn man mal von „Selfportrait“ als Gesamtwerk absieht. Dylan ist ein größerer Dichter als Musiker, aber das ist eine Wertung innerhalb seines Opus, denn seine Dichtung verdichtet sich in der Rhythmik der Musik. Die Musik bringt die Sprache zum Klingen. Das ist der entscheidende Punkt. Bei Dylan sind beide aufeinander angewiesen – was bei seinen lyrischen Ergüssen wie die „Epitaphs“ zu erkennen ist. Nicht umsonst redet man von „Sprachmelodie“. Dylan setzt sie um. Und wer jemals versucht hat, Lieder von Dylan nachzusingen, merkt, wie wichtig es ist, bestimmte Silben zu betonen. Du musst genau wissen, welche Silbe betont wird, damit du im Tempo bleibst. Das artikuliert er fast beiläufig bereits in einem seiner ersten Meisterwerke „A hard rain’s agonna fall“: „But I know my song well, before I start singing“. Dieser Satz sagt nur dem etwas, der versucht hat, analoge Songs zu singen.
Wer nur Infos über Bob Dylan möchte, kann sich bei Wikipedia bedienen. Wer zu jedem Song etwas lesen möchte, greife auf Benzinger zurück. Wer etwas Authentisches lesen möchte, bei dem immer wieder unsicher ist, wie weit der Autor sich an der Historie orientiert, der ist mit „Chronicles“ von Bob Dylan gut bedient. Wer nach dem Volume One verzweifelt das Volume Two sucht: das schlummert noch in Dylans Schädel und diversen Schubladen.
Jeder Autor kommt mit seinem Hintergrund. Ich bin ein gesellschaftlich interessierter Theologe, der aktiv Rockmusik macht. Zudem schreibe ich gerne und habe einen entsprechenden Zugang zu Texten. Da ich es bevorzuge, englische Texte im Original zu lesen, bemerke ich auch manche Nuancen, die durch Übersetzungen verloren gehen (müssen).
In meiner Ausbildung ging es immer wieder um Literatur. Schließlich ist die ganze Bibel eine Literatursammlung. Dabei stieß ich auf eine besondere Gattung: die Weisheitsliteratur. Diese ist nicht speziell jüdisch oder christlich, sie findet sich in verschiedenen Kulturen und Religionen im Nahen Osten.
Bei Dylan fand ich oft genug Sätze oder Satzreihen, die den biblischen Literatur entsprachen. Das wollte ich genauer anschauen und habe es mit diesem Buch getan.
Ich wollte ein Buch über Bob Dylan in der literarischen Kategorie „Weisheit“ schreiben. Es gelang nicht. Trotzdem blieb ich weiter bei dem Buch, weil bei dem Versuch, die weisheitlichen Stilmittel Dylans zu finden, sich soviele weitere faszinierende Entdeckungen und Erkenntnisse einstellten, dass ich mir dachte: Das lohnt sich allemal.
Die Studien ergaben: : Er hat sich eben den Literaturnobelpreis redlich verdient, auch wenn er ihn nicht anstrebte.
Aus deutscher Sicht ist Dylan ein problematischer Künstler. Seine Lieder sind sehr wortlastig, Schulenglisch reicht nicht, Anspielungen sind oft schwer verständlich. Gute Melodien transportieren seine Lieder und daher sind die Cover-Versionen oft die erfolgreicheren. Aber manchmal denkt man sich: Das will ich jetzt verstehen! Dem gehen wir hier ein bisschen nach.
1 Im deutschsprachigen Raum verteilt Udo Lindenberg ebenso souverän Texte auf Rhythmen – stimmig, aber so dezidiert, dass es nicht einfach nachzusingen ist.
Man stelle sich vor: Yeshua ben Yussuf geht auf einen Hügel bei Kapernaum, setzt sich unter einen Olivenbaum, greift zu seiner Gitarre und sing ein Lied über die Boote, die über den See fahren,
über die Wolken, die ziehen,
über die Wellen im Wind,
über die Fische in Netzen,
über die Sonne, im Wasser gespiegelt:
„Das Leben, mein Kind, ist wie ein Boot auf dem See… das Leben ist wie ein Boot…“
Yeshua ben Yussuf kennen wir als Jesus von Nazareth, Josephs Sohn.
Man stelle sich vor: David ben Isai stellt sich auf den Gipfel des Zion, greift nach seiner Harfe und stimmt einen Psalm an,
über die Berge, die vor seinen Augen liegen,
über die Felsen, die alle Menschen überdauern,
über die Bäume, deren Blätter im Wind singen,
über die Schafe, die unter ihm weiden,
über das Lamm, das der Hirte auf seine Arme nimmt,
„Das Leben, mein Kind, ist wie der gewundene Weg durch die Berge… das Leben gleicht dem unbekannten Pfad.“
David ben Isai kennen wir als König David von Jerusalem.
Man stelle sich vor, Shabtai Zisel ben Avraham beträte eine Kneipe an der Ostküste der neuen Welt, setzte sich auf einen Hocker, nähme seine Gitarre und stimmte ein Lied an, über die Berge, die die Witterung erst in unendlichen Zeitspannen einebnet,
über die Wege, die eine Taube segelt, bevor sie den Strand erreicht,
über die Ohren, die ein Mann braucht, um Weinen zu hören,
über die Wege, die ein Mann braucht, um zum Mann zu werden,
über die Augen, die ein Mann wegdreht, um das Unrecht nicht zu sehen,
über die Kanonenkugel, die immer wieder fliegt, bevor der Frieden sie bannt…
„Die Antwort, mein Freund, wird in den Wind geblasen, die Antwort weht mit dem Wind…“
Wer ist Shabtai Zisel ben Avraham? In seinen Dokumenten stand Robert Allan Zimmermann, die Welt kennt ihn als Bob Dylan.
„Wer bist du?“ wurde Jesus gefragt und sollte sich offenbaren. Die versteckte Frage war: Bist du der Messias? Bist du der Menschensohn? Bist du Elias, der wiederkommt?
Jesus, David und Shabtai Zisel, bürgerlich Robert Zimmermann, populär Bob Dylan. Was verbindet sie?
„Wer bist du, Bob?“ Für manche seiner Fans war Dylan ein Messias, wie Jesus und David in jeweils unterschiedlicher Form. Aber das wollte er nicht sein. Er wollte sich nicht kreuzigen lassen und er wollte nicht eine Verantwortung, die er nicht tragen könnte.
Alle drei sind „Söhne Abrahams“, Dylan sogar im doppelten Sinn, da sein leiblicher Vater Abraham hieß. Alle drei sind aus dem Stamme Juda. Zwischen David und Jesus liegen tausend, zwischen David und Dylan gar dreitausend Jahre. Aber sie sind „verwandt“.
Lassen wir beiseite, was wir historisch über den König David wissen. Vieles ist nur legendär und noch mehr wurde ihm als einer populären Persönlichkeit zugeschrieben. Wer die biblischen Geschichten liest, kann sich nur schaudernd abwenden von diesem hinterlistigen Mann, dem Menschenleben nichts bedeuteten; für Heldenverehrung bietet er uns Zeitgenossen nichts mehr. Rechnen wir das nicht der historischen Figur zu, sondern seiner Kultur. Schauen wir mit der kulturellen Perspektive auf „Davids“ Psalm 23 „Der Herr ist mein Hirte“. Der passt durchaus zu Jesus und der Geschichte vom „verlorenen Schaf“.
In unserem Kontext, in dem es um Inhalte und nicht um Musik geht, können wir zu Davids Sohn Salomo schauen. Auch hier gilt: Wir orientieren uns nicht an der historischen Figur, sondern an dem, was die biblischen Schriften darstellen. Salomo gilt als Friedensherrscher, was ungefähr so belastbar ist wie der Friedensnobelpreis für Barak Obama. Salomo gilt auch als der „Weise“. Etwa das berühmte „Salomonische Urteil“, das noch den Bibelkenner Bert Brecht dazu stimulierte, seinen „Augsburger Kreidekreis“ zu schreiben, den er später als „Kaukasischer Kreidekreis“ ausbaute.2
Bei Salomo geht es immer wieder um „Weisheit“, die sogar in einem biblischen Buch zusammengefasst wird. Auch bei Jesus finden wir etwa in der Bergpredigt weisheitliche Sprüche. Im zitierten „Blowin in the Wind“ greift Dylan auf entsprechende Stilmittel zurück. Es lohnt sich für an Weisheit interessierte Menschen, das genauer zu betrachten.
2 Die Geschichte „Der Kreidekreis“ wird dem Chinesen Li Hsing-tao (13. Jahrhundert) zugeschrieben. Zentrale Figur ist der Richter Bao. Aufgegriffen wurde das Stück zur Zeit von Brecht von Klabund. Wir können davon ausgehen, dass der sehr bibelkundige Brecht die Geschichte von Salomo längst kannte, ehe er auf die in den 20er-Jahren populäre chinesische Variante stieß.
Robert Zimmermanns Elternhaus hatte vielfältige kulturelle Wurzeln: Ukrainische, weil von dort her seine Vorfahren 1905 eingewandert waren. Dann auch türkische und kirgisische, sowie deutsche. Die Familie trägt den deutschen Namen Zimmermann. Verbunden war dies alles in der jüdischen Tradition. Er gab sich den Namen Dylan nach einem irischen Dichter, behielt den Namen Bob von Robert, den seine Eltern ihm gaben und trug kaum seinen hebräischen Namen Shabtai Zisel ben Avraham, den seine Eltern für ihn bestimmt hatten. Ben Abraham heißt Sohn Abrahams und gilt für alle Juden, die Beni Avram, Roberts Vater hieß tatsächlich Abraham, seine Mutter hingegen Beatrice, was ein romanischer Vorname ist.
Dylan ist nicht nur ein waschechter US-Amerikaner, sondern auch ein Mensch mit realen jüdischen Wurzeln. Freilich wären waschechte US-Amerikaner nur sog. Indianer, alle anderen sind, wenn man sie „wäscht“, Immigranten und leben auf einer Scholle, die irgendwelche Einwanderer den Ureinwohnern, den Naives raubten. Die USA sind eine Community von Landräubern mit diversen Migrationshintergründen. Vielleicht haben sie gerade deshalb eine so verkrampfte nationale Identität, die nur eines gemeinsam hat: eine grundsätzliche Amoralität. Ikone der Amoralität ist sicherlich Senator McCarthy aus den 50ern, der in den frühen Songs von Dylan eine entsprechende Rolle spielte.
Einen ähnlichen multikulturellen, multinationalen Hintergrund wie Dylan skizzierte auch Chuck Berry in seiner Autobiography. Unter dessen Vorfahren finden sich diverse Europäer, auch eine deutsche Urgroßmutter. Freilich schaffte dies auch der Bush-Clan und selbst Barak Obama.
Die USA sind entgegen ihres narzisstisch-nationalen Bewusstseins multikulturell, wenn auch im synkretistischen Sinn. Dylan verkörpert dies durch seine Herkunft. Allerdings ist gerade bei den „Juden“ der letzten 2000 Jahre dieses Phänomen grundlegend: religiös scheinen „Juden“ eine Einheit zu bilden, aber de facto inkulturierten sie sich sehr häufig parallel zu ihrer sozialen Identität. Wir können diesem Phänomen hier nicht weiter nachgehen und schon gar nicht „bewerten“. Wichtig ist in unserem Zusammenhang, dass bei aller Inkulturation immer auch ein Bewahren der Tradition stattfand. Bewahren über lange Zeiträume gelingt niemals als eigentliches Bewahren: Wo Formen unverändert tradiert werden, erstarren sie. Wo Inhalte der Gegenwart angepasst werden, verändern sie sich. Gelebte Tradition kann immer nur in der zweiten Weise stattfinden. Wenn das Tradierte zum Leben gehört, muss es zu den Lebensumständen passen.
Das ist nicht neu und findet sich auch in der Entwicklung der Bibel, die sich über etwa 1200 Jahre hinzog, wieder. Bei Bob Dylan nehmen wir eine spezielle biblische Tradition in den Blick: die Weisheit.
Dazu bedarf es einer Begriffsklärung. Die „Weisheit“ ist eine Literaturgattung. Hier werden menschliche Erkenntnisse gesammelt. „Weisheit“ bedeutet nicht „Offenbarung“. Hier redet nicht Gott aus einer anderen Dimension, sondern hier wird Lebenserfahrung komprimiert weitergegeben.
Inzwischen gibt es „Weisheit“ als Klosprüche. Freilich: Wer Klosprüche kennt, der weiß, dass sie manchmal gar nicht so schlecht sind. Am besten sind natürlich die, die einen irgendwie überraschen und bei denen man das Moment der Wahrheit spürt.
In der Bibel gibt es etliche Spruchsammlungen der „Weisheit“. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass es kurze Sequenzen sind, die zusammen gehören, keine Geschichte. Oft genug sind sie inhaltlich geordnet, aber sie stammen aus unterschiedlichen Kontexten. Es sind kurze Sentenzen, die eine Mutter ihrer Tochter weitergibt oder ein Vater seinem Sohn. Manchmal sagt es auch Großvater oder Großmutter zur versammelten Großfamilie. Letztlich handelt es sich eben um Lebensweisheiten, oft genug abgehangen durch lange und viele Erfahrungen. Andererseits passen sie immer wieder nur zu bestimmten Persönlichkeiten oder Lebensentwürfen. Die suggerierte Übertragbarkeit auf alle Menschen und alle Umstände erweist sich als nicht tragfähig.
Manche christlichen Exegeten der Bibel halten die „Weisheit“ für einen Sündenfall, da sie stets auf allgemeine menschliche Erkenntnisse, die teilweise in fremden Religionen artikuliert wurden, zurückgreift. Mit dem Gott der Bibel, so meinen sie, kann nichts zu tun haben, was es in einer fremden, womöglich älteren Kultur gibt.
Auf dieser platten Ebene ist dies nicht diskussionswürdig. Aber für unseren Zusammenhang bedeutet es: Wo von „Weisheit“ im menschlichen Sinne geredet wird, geht es nicht um das Spezifische einer Religion, sondern eine menschliche Erkenntnis, die sich aus reflektierter Erfahrung ergibt oder aber eine gute formulierte Erkenntnis, die nur Wunschdenken ist. Im Unterschied zu „Gott“ lassen sich Erfahrungen überprüfen. Die Tragfähigkeit könnte das Entscheidende sein. Manchmal jedoch ist eine behauptete „Erfahrung“, die nicht belastbar ist, motivierend.
So ging die frühe Weisheit Israels davon aus, dass Gott den Gerechten belohnt und den Sünder bestraft, dass also der Sünde das Unglück und der Gerechtigkeit das Glück entspricht. Das passt nicht zu unseren Erfahrungen. Man mag es sich so wünschen, aber es ist nicht so. Zahlreiche Psalmen in der Bibel zeugen davon, wie sich Menschen über die Ungerechtigkeit, dass es den Bösen gut geht und die Guten leiden, beklagen. In seinem Gleichnis vom „Reichen Mann und armen Lazarus“ verlegt Jesus daher die „Lösung“ ins Jenseits. Das ist eine beliebte Lösung, aber das Wort „tragfähig“ gilt dafür nicht, da diese tröstliche Behauptung durch nichts belegt werden kann.
Es ist riskant, einer Behauptung Glauben zu schenken, die unserer Erfahrung widerspricht.
Dylan war nicht immer eine Ikone, er sprach für „meine Generation“, als wäre er einer von uns.
August 1971: Ich war als jugendlicher Begleiter in der Jugendherberg in Göttingen auf einer Kinderfreizeit. Eine Gitarre war auch dabei - und ein alter Mann (mindestens ein Jahr älter!). Der zeigte mir rudimentär die Griffe von „Blowin in the Wind“. Mein Schulenglisch reichte aus, aber meine Gitarrenkünste? Damals noch Null. Mit Dylan fing es an: Das „A“ lernte ich mit zwei Fingern, die drei Seiten auf dem zweiten Bund belegten. Für das „D“ deckte der Zeigefinger drei Seiten ab und mein dicker Mittelfinger quetschte sich auf die mittlere Seite. Das „E“ war am kompliziertesten. Da konnte man nicht schummeln und brauchte tatsächlich drei Finger. Aber was schafft man nicht alles, wenn man plötzlich seinen Weg ins Leben entdeckt? „How many roads“? Dieses Lied war mein Weg in meine Jugend. Inzwischen spiele ich es sogar mit vier Griffen und transponiere, wenn mal meine Stimme schwach wird.
Den Refrain konnten alle mitschmachten. Das Wort „Wind“ wurde sogar verstanden. Die Strophen? Unsereins musste dann die Strophen lernen, damit wenigstens einer sie kann – unbedingt nötig beim Lagerfeuer, wenn man keine Texte hat, aber auch im Gemeindehaus, wo man sich treffen konnte, denn die Kirche bot vielen von uns Unterschlupf. Die zweite Strophe mit den Bergen ging am besten, aber wie unterscheidet man den Anfang der ersten und der letzten? „How many“ und dann „man“. Was war übrigens „man“? Ein Mann, wie ich einer werden wollte, oder ganz banal ein Mensch, die andere Hälfte der Menschheit eingeschlossen?
Es dauerte Jahre, bis ich das Lied im Original hörte. Aus den Hitparaden war es längst verschwunden und die aktuellen Rock- und Popsendungen (es gab nur die öffentlich-rechtlichen Sender mit drei Programmen) brachten es nicht mehr. Unter uns Lagerfeuerromantikern kursierte es, aber wer hatte schon einen Tonträger von Dylan. Wir hörten meist Rockmusik. Dann erschien „Before the flood“ auf dem Markt. Dylan mit Band präsentierten auch „Blowin in the Wind“ für Rock-Hörer.
Mit sechzehn verstand ich viele von Dylans Metaphern assoziativ. Er sang von den Wegen, die jemand läuft, bevor er den Himmel sieht. Ich war gerade auf dem Weg, ein (junger) Mann zu werden. Dann kam die weiße Taube. Das war für mich als junger Mann eminent wichtig: ein Symbol für den Frieden. Damit konnten wir uns identifizieren. Dann sang Dylan von der Kanonenkugel. „Dylan“? Nein, das Lied wurde