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Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. »Grüß Gott, Fräulein Mayn. Haben S' gut geschlafen?« erkundigte sich die Zimmerwirtin fürsorglich bei ihrem Gast. Das junge Madel war gerade die Treppe heruntergekommen. Es lächelte freundlich zurück. »Dank' schön, Frau Stubler. Ja, es war sehr ruhig und erholsam, wie immer.« »Fein. Dann setzten S' sich mal ins Frühstückszimmer. Ich bring' Ihnen gleich Kaffee. Oder möchten S' heut' lieber Tee trinken?« Lea Mayn schüttelte den Kopf. »Nein, nein, Kaffee ist schon in Ordnung.« Sie betrat das Frühstückszimmer, in dem bereits andere Pensionsgäste saßen und sich die erste Mahlzeit des Tages schmecken ließen. Ein Tisch am Fenster war noch frei und für eine Person eingedeckt. Lea setzte sich und schaute in den Garten hinaus. Es versprach, ein herrlicher Tag zu werden. Ria Stubler brachte die Kaffeekanne und einen Korb mit Semmeln. »Lassen S' sich's schmecken«, wünschte sie.
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Seitenzahl: 109
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»Grüß Gott, Fräulein Mayn. Haben S’ gut geschlafen?« erkundigte sich die Zimmerwirtin fürsorglich bei ihrem Gast.
Das junge Madel war gerade die Treppe heruntergekommen. Es lächelte freundlich zurück.
»Dank’ schön, Frau Stubler. Ja, es war sehr ruhig und erholsam, wie immer.«
»Fein. Dann setzten S’ sich mal ins Frühstückszimmer. Ich bring’ Ihnen gleich Kaffee. Oder möchten S’ heut’ lieber Tee trinken?«
Lea Mayn schüttelte den Kopf.
»Nein, nein, Kaffee ist schon in Ordnung.«
Sie betrat das Frühstückszimmer, in dem bereits andere Pensionsgäste saßen und sich die erste Mahlzeit des Tages schmecken ließen. Ein Tisch am Fenster war noch frei und für eine Person eingedeckt. Lea setzte sich und schaute in den Garten hinaus. Es versprach, ein herrlicher Tag zu werden.
Ria Stubler brachte die Kaffeekanne und einen Korb mit Semmeln.
»Lassen S’ sich’s schmecken«, wünschte sie.
Lea indes nippte nur an ihrem Kaffee. Schon beim Aufstehen spürte sie, daß sie überhaupt keinen Appetit hatte und jetzt mußte sie sich regelrecht zwingen, zumindest eine halbe Semmel zu essen, um überhaupt etwas im Magen zu haben.
Dabei schaute sie eher geistesabwesend aus dem Fenster und schien mit ihren Gedanken weit, weit fort zu sein
Von ihrem Platz aus, an der kleinen Rezeption, hatte Ria Stubler das Madel genau im Blick. Die resolute und symphatische Pensionswirtin beobachtete Lea Mayn und machte sich dabei so ihre Gedanken.
Irgend etwas stimmte nicht mit ihrem Gast, soviel stand für Ria fest. Selten hatte sie einen jungen Menschen getroffen, der so still und in sich gekehrt war, wie das Fräulein Mayn.
Drei Tage wohnte es jetzt in der Pension Stubler, aber mehr als ein ›Grüß Gott‹, war ihm nicht über die Lippen gekommen, auch wenn die anderen Gäste den Versuch unternahmen, mit dem Fräulein ein Gespräch zu beginnen. Lea Mayn reagierte nicht darauf und zog sich zurück, wie eine Schnecke in ihr Haus, wenn Gefahr droht.
Es schien Ria, als mache ihr Gast irgend etwas mit sich ab, als trage dieses nette und hübsche Madel eine schwere Last mit sich herum.
Lea ahnte nicht, daß sie im Mittelpunkt dieser Überlegung stand. Sie hatte es tatsächlich geschafft, eine halbe Semmel zu verzehren und schob jetzt den Teller von sich.
Ja, schön würde der Tag wohl wieder werden, überlegte sie. Nur was fang’ ich damit an? Zum wiederholten Male durch das Dorf spazieren? Irgendwo einen Kaffee trinken, vielleicht zum Mittag einen kleinen Imbiß einnehmen, und darauf warten, daß der Tag vorbeiging?
Während sie aufstand, überlegte Lea, ob es wirklich so eine gute Idee gewesen war, sich auf diesen Urlaub einzulassen. Wäre sie nicht besser zu Hause geblieben und hätte sich dort auf das Unvermeidliche vorbereitet? In München hätte sie wenigstens noch den Trost und Zuspruch ihrer Freundinnen gehabt. Doch hier war sie ganz alleine mit ihrem Kummer.
In ihrem Zimmer stand sie erst unschlüssig da und wußte nicht, welche ihrer Jacken sie anziehen sollte. Wie immer hatte ihre Mutter übertrieben, als sie den Koffer packte, und viel zuviel Kleidungsstücke hineingetan.
Lea entschloß sich für eine leichte Strickjacke, die vom Muster her ausgezeichnet zu dem geblümten Kleid paßte, das sie trug. Sie nahm den Fremdenführer für St. Johann und Umgebung vom Tisch und steckte ihn in ihre Handtasche, dann verließ sie das Zimmer und schloß hinter sich ab.
Auf dem Flur begegneten ihr andere Pensionsgäste. Lea erwiderte die freundlichen Grüße zwar mit einem Lächeln und Kopfnicken. Dabei schaute sie so geistesabwesend, daß die Gäste ihr fragend hinterher sahen. Doch das bemerkte sie gar nicht.
Von der Pension aus erreichte sie recht schnell das Zentrum des Alpendorfes, das von der Kirche dominiert wurde. Lea spazierte, wie schon in den Tagen zuvor, durch die engen Straßen, stöberte in den kleinen Geschäften und Andenkenläden, und konnte sich doch auf nichts konzentrieren, denn immer wieder schweiften ihre Gedanken ab.
Noch zehn Tage Urlaub. Wenn sie dann nach Hause zurückfuhr, war es soweit. Es kam auf sie zu, unaufhaltsam, wie eine Lawine, der man nicht mehr ausweichen konnte, würde es sie überrollen und unter sich begraben.
Als Lea sich dies wieder bewußt machte, schluchzte sie unwillkürlich auf. Die anderen Touristen, die wie sie nach einem Reiseandenken suchten, sahen sie seltsam berührt an.
Die junge Frau ignorierte die Blicke. Fast fluchtartig verließ sie die Geschäftsstraße und suchte einen ruhigeren Ort auf. Sie fand ihn unterhalb der Kirche von St. Johann. Dort stand an der Straße eine Bank, auf der sie sich niederließ. Lea zog ein Taschentuch hervor und wischte sich die Tränen ab, die nicht versiegen wollten.
*
»Hallo, Anderl, grüß’ dich. Wie geht’s? Hast’ dich inzwischen ein bissel eingelebt?«
Der junge Senner nickte dem Wandersmann zu.
»Grüß Gott, Hochwürden. Ja, es geht mir ganz wunderbar hier oben.«
Er reichte Sebastian Trenker die Hand.
»Schön, daß Sie mich besuchen kommen. Möchten S’ was essen oder trinken?«
»Essen net, dank’ schön«, wehrte der Geistliche ab. »Meine Haushälterin gibt mir immer so reichlich mit, daß es für zwei genug ist. Aber ein Glasl Milch, das nehm’ ich gern.«
»Kommt sofort, Hochwürden, nehmen S’ nur Platz.«
Während der Senner in der Hütte verschwand, setzte sich Sebastian auf eine der Bänke. Sein Blick schweifte über die Almwiesen, auf denen Kühe grasten, von zwei Hütehunden bewacht.
Hoffentlich würde dieser Senner länger bleiben, überlegte der Geistliche, während er über die wechselhafte Geschichte der Birrachhütte nachdachte.
Jahrelang hatte ein alter Senner, Alois Krinzinger, hier oben gelebt, bis eine Krankheit ihn dazu zwang, seinen Beruf aufzugeben. Danach hatte Sebastian einen entlassenen Strafgefangenen hierher vermittelt. Der war jedoch inzwischen mit der Tochter eines Bergbauern verheiratet und war auf dem Hof seines Schwiegervaters unentbehrlich.
Nachdem der Wendelbauer, dem die Alm gehörte, eine Zeitlang mit Aushilfskräften hatte arbeiten müssen, hatte es sich erst vor ein paar Wochen ergeben, daß Andreas Winderer sich um die Stelle als Senner beworben hatte. Der junge Mann stammte aus dem Allgäuischen, wo er auf dem Hof seines Vaters alles gelernt hatte, was man wissen mußte, um ein guter Bauer zu sein. Allerdings gab es da noch einen älteren Bruder, der einmal alles erben würde, und für Anderl blieb nur das Pflichtteil. Er war also gezwungen gewesen, sich nach etwas anderem umzusehen, wenn er nicht als Knecht seines Bruders auf dem Hof bleiben wollte. Für zwei Jahre hatte er sich auf Wanderschaft begeben und war dabei bis ins Wachnertal gekommen. Hier arbeitete er zuletzt beim Wendelbauer. Als der niemanden fand, der bereit war, das einsame Leben eines Senners zu führen, entschloß sich Anderl das Wagnis einzugehen.
Eine gute Hand im Umgang mit den Kühen hatte er schon zu Hause bewiesen, und wie man einen ordentlichen Bergkäse machte, war ihm schon vom Großvater beigebracht worden. Selbstbewußt und voller Tatendrang hatte er sich in seine neue Aufgabe gestürzt, und seit gut vier Wochen hatte die Birrachhütte endlich wieder einen Senner.
Der junge Bursch kam mit einem Milchkrug und einem Glas zurück. Beides stellte er vor Sebastian auf den Tisch.
»Ich hätt’ net gedacht, daß du dich so schnell an das Leben hier oben gewöhnen könnt’st«, sagte der Seelsorger, nachdem er getrunken hatte.
»Na ja, ein bissel einsam ist’s manchmal schon«, gab Anderl zu. »Es kommen ja net gerad’ viele Touristen herauf.«
Das stimmte. Die Hütte lag nicht an einer der Wanderrouten, die von den meisten Touristen benutzt wurden.
»Allerdings kann das auch ein Vorteil sein«, fuhr der Senner lachend fort. »So komm’ ich wenigstens dazu, meine Arbeit zu machen. Das Käsen ist doch ganz schön aufwendig. Übrigens, ich hab’ gerad’ heut’ morgen einen Laib geschnitten. Den ersten, den ich gemacht hab’. Vier Wochen sind zwar net viel, um zu reifen, aber so ein junger Käse kann auch seinen Reiz haben. Er ist sehr sahnig, so wie man’s bei uns zu Haus’ mag. Davon müssen S’ nachher ein Stückerl mitnehmen.«
Sie unterhielten sich noch eine ganze Weile, ehe sich Sebastian wieder auf den Weg machte. Der Bergpfarrer hatte einen guten Eindruck von Anderl und seiner Arbeit gewonnen, und bestimmt würd der alte Loisl, Anderls Vorgänger, auch zufrieden sein, wenn er hörte, daß auf ›seiner‹ Hütte alles zum Besten stand.
Mit einem großen Stück von dem neuen Bergkäse im Rucksack, machte Sebastian sich an den Abstieg. Er hatte keine Ahnung, daß das Schicksal ihn in der nächsten Zeit noch einige Male zur Birrachhütte hinaufbringen würde…
*
Spazieren gehen, irgendwo eine Kleinigkeit essen, ein Buch lesen – die Zeit totschlagen. Das war der Tagesablauf, den Lea in diesen Tagen erlebte. Sie fragte sich immer häufiger, ob es wirklich so eine gute Idee gewesen war, hier herzufahren. Aber sie wußte auch, daß sie sich gegen den Familienbeschluß nicht hätte durchsetzen können – wobei Familienbeschluß auch nicht ganz stimmte. Ihr Vater war es, der beschlossen hatte, daß sie die letzten Wochen in Freiheit, fernab von München, verbringen sollte, um sich mit dem Unvermeidlichen abzufinden.
Hätte sie allerdings geahnt, wie trübe dieser Urlaub werden würde, so wäre sie doch zu Hause geblieben.
Lea seufzte, während sie über ihre Misere nachdachte. Vielleicht hätte ich doch Mutters Angebot, mitzukommen, annehmen sollen, dachte sie. Dann wäre ich wenigstens nicht ganz so einsam.
Die junge Frau saß in ihrem Pensionszimmer und schaute aus dem Fenster. Es war ein grandioses Panorama, das sich ihr bot, mit den wildzerklüfteten Bergen im Hintergrund, deren Spitzen in den Himmel zu stoßen schienen.
Gedankenverloren griff sie wieder nach dem Fremdenführer und blätterte darin. St. Johann und Umgebung boten verlockende Wanderziele, hieß es darin. Insbesondere wurden Wanderungen zu den verschiedenen Almhütten hinauf angeboten. Mit und ohne Bergführer.
Lea blätterte weiter und schaute sich die Bilder an. Vielleicht war es das! Eine Wanderung würde sie auf andere Gedanken bringen. Es mußte ja nicht zu einer der Hütten sein, die von den Touristen regelrecht überlaufen wurden. Bestimmt gab es die eine, oder andere, die etwas abseits der Routen lag, und in denen man sich nicht mit zig anderen Menschen drängeln mußte.
Die Idee gefiel ihr plötzlich. Warum nicht? Bestimmt war es allemal besser, als tagtäglich durch das Dorf zu laufen, das gewiß auch seine Reize hatte, aber auf die Dauer nicht befriedigend sein konnte. Und es wäre jammerschade, wenn sie nach vierzehn Tagen Urlaub nichts anderes gesehen hätte.
»Freilich gibt’s Berghütten, die net so frequentiert sind«, antwortete Ria Stubler auf Leas Frage. »Wenn S’ mich so direkt fragen, fällt mir die Birrachhütte ein. Ich hab’ gehört, daß da seit kurzem ein neuer Senner oben ist.«
Das Madel bat um eine Wegbeschreibung, und die Zimmerwirtin suchte den entsprechenden Prospekt heraus.
»Dann sollten S’ heut’ abend aber wirklich früh schlafen gehen«, meinte sie. »Wenn S’ morgen hinauf wollen, müssen S’ zeitig los. Soll ich Sie wecken?«
»O ja, das wär’ nett«, bedankte sich Lea. »Was meinen S’ denn, wann ich los müßt?«
»Na, also spätestens um sechs Uhr. Sonst lohnt’s sich’s net.«
»Dann geh’ ich wirklich früh schlafen«, stimmte das Madel mit einem Nicken zu.
»Ich weck’ Sie dann so um fünf, und eine Brotzeit für unterwegs mach’ ich Ihnen auch zurecht.«
»Das ist lieb, Frau Stubler. Bis morgen früh dann.«
Lea ging zum Abendessen in den Gasthof hinüber. Es war nicht viel, was sie verzehrte, aber immerhin schaffte sie es, eine Suppe und ein belegtes Brot zu essen.
Sie war gerade auf ihrem Zimmer zurück, als das Telefon klingelte. Lea nahm den Hörer ab und meldete sich.
»Ich bin’s«, hörte sie die Stimme ihrer Mutter.« Ich wollte mal hören, wie es dir geht.«
Sie hatte sich auf das Bett gesetzt und atmete tief durch. Diese Frage stellte Mutter jeden Abend. Als wenn es nichts anderes zu bereden gäbe.
»Danke, Mama, mir geht’s gut«, antwortete Lea.
»Hast du etwas gegessen?«
Ihre Mutter klang besorgt. Ahnte sie, daß die Tochter keinen Appetit hatte?
»Ja, Mama ich komme gerade aus dem Wirtshaus, und jetzt will ich bald schlafen gehen. Für morgen habe ich mir eine Wanderung vorgenommen, da muß ich früh aufstehen.«
»Eine Wanderung? Ach, wie schön? Ja, Kind, mach’ das nur. Das bringt dich auf andere Gedanken.«
Lea stutzte. Auf andere Gedanken kommen? Wie sollte das funktionieren, wenn sie jeden Tag, jede Stunde, jede Minute, jede Sekunde nur daran denken konnte, daß es die letzten Tage waren, die ihr ganz alleine gehörten? Und daran, daß, wenn sie nach München zurückfuhr, nichts mehr so sein würde, wie früher?
Sie wechselten ein paar belanglose Floskeln und beendeten das Gespräch.
»Vater läßt dich grüßen«, sagte ihre Mutter zum Abschied.
»Danke«, antwortete Lea. »Grüß zurück.«
Dann saß sie noch eine ganze Weile nachdenklich da und hielt immer noch das Telefon in der Hand. Sie überlegte, ob sie Kirsten anrufen sollte. Doch dann verwarf sie den Gedanken. Wenn Sie ihre beste Freundin erst einmal an der Strippe hatte, dann würden sie sich festplaudern, und mit dem frühen Aufstehen gab es Probleme. Lea kannte sich. Es war sowieso ein Wagnis von ihr, sich die Wanderung vorgenommen zu haben, doch wenn sie schon soviel Mut bewies, dann wollte sie ihren Entschluß nicht dadurch ins Wanken bringen, daß sie verschlief. Also stellte sie das Telefon an seinen Platz und machte sich fertig, um ins Bett zu gehen. Zwei, drei Seiten noch in dem Buch gelesen, das sie sich gleich bei ihrer Ankunft hier gekauft hatte, dann löschte sie das Licht.